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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Durch die Blume

von Muggelchen

Nachdem Hermine ihm einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, konnte er sie nicht ansehen, stattdessen nickte er beschämt, um ihre dankenden Worte entgegenzunehmen, bevor er in den Kamin stieg und nach einem geflüsterten „Hogwarts, Severus Snape” in grünem Rauch eingenebelt verschwand. Hermine blickte auf den leeren Kamin und hielt sich eine Hand vor den Mund. Sie hatte das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, aber erst nachdem sie seine Reaktion gesehen hatte. Er schien von einer Sekunde zur anderen wieder so distanziert, weil sie womöglich eine Grenze überschritten hatte. Trotzdem bereute sie es nicht.

In der finsteren Lehrerunterkunft angekommen war der einzige Lichtblick Harry, der aus seinem Korb sprang und mit wedelndem Schwanz auf sein Herrchen zustürmte. Der Hund sprang ihn nur sehr behutsam an, wusste er doch, dass Severus so ein aufdringliches Verhalten nicht einmal bei einem Menschen duldete. Aufgeregt hechelnd rannte Harry zur Tür hinüber, um die Leine, die daneben an der Wand angebracht war, mit der Schnauze aus ihrer Halterung zu nehmen. Ein Spaziergang am späten Abend war eine gute Idee, denn wie schon mehr als nur einmal musste Severus seine Gedanken ordnen.

Die kalte Luft tat ihm gut, aber er vermied es, in den sternenklaren Nachthimmel zu blicken, weil es ihn zu sehr an sie erinnern würde. Wie ein kompliziertes Makramee verknüpfte er die Erinnerung vergangenen Momente miteinander, um am Ende aus den vielen einzelnen Fäden ein klares Bild zu erhoffen, dass ihm die Gesamtsituation erklären sollte, aber ...

„Snape, so spät noch wach?” Weil Severus so in Gedanken versunken war, war er dem Wildhüter genau in die Hände gelaufen, was er eigentlich vermeiden wollte.
„Nein Hagrid, ich schlafwandle nur”, gab er trocken zurück, bevor er den Hund von der Leine ließ. Fang war bereit, ein wenig zu balgen und so, wie Harry am ledernen Riemen zog, er auch.
„Sie schlafwandeln?”

Severus rollte mit den Augen. Bei Hagrid durfte er selten Scherze machen, denn weil sie von ihm kamen, dem griesgrämigen Zaubertränkelehrer, erkannte der Halbriese sie einfach nicht als solche.

„Wann gehen Sie eigentlich jemals schlafen, Hagrid?” Der Wildhüter zierte sich und spielte verlegen mit seinen enormen Finger. „Wenn ich hier vorbeikomme, ist entweder noch Licht zu sehen oder Sie sind nicht da, weil Sie im Verbotenen Wald 'Stöckchenwerfen' mit irgendwelchen Monstren spielen.”
„Ich hab in meinem ganzen Leben noch kein einziges Monster zu Gesicht bekommen!”, beteuerte Hagrid vollkommen davon überzeugt.
„Und was ist mit Fluffy?”
Hagrids voluminöser Bart bewegte sich nach oben – ein Zeichen dafür, dass Hagrid bis über beide Ohren lächeln musste, was in der Dunkelheit kaum anders auszumachen war. „Hab ihn eben besucht und 'n bisschen mit ihm gespielt. Er ist immerhin der Einzige seiner Art.”
„Zum Glück! Nicht dass wir hier noch dreiköpfige Welpen umherlaufen haben, die nach und nach die Schüler verschlingen.” Severus zog eine Augenbraue in die Höhe. „Andererseits ist der Gedanke daran gar nicht mal so erschreckend.”
„Kommen Sie, Snape, so schlimm sind die Schüler doch ganz bestimmt nich. Oder gibt es welche, die Ärger machen?”
„Sie meinen jemand wie Potter?”
„Ich dachte eher an einen jungen Mr. Malfoy oder schlimmer noch: beide zusammen.”

Wenn man ein einziges schnaufendes Geräusch bei Severus schon als Lachen zählen konnte, dann hatte er über diese Bemerkung eben tatsächlich gelacht. Wenn die beiden Jungen sich damals in den Haaren gehabt hatten, dann bebten die sonst so stabilen Mauern von Hogwarts. Heute sah einiges anders aus. Auch bei ihm selbst hatte sich eine ganze Menge entwickelt. Nur die Richtung war ihm noch nicht ganz klar.

„Harry hat Sie vorhin gesucht.”
Verwundert blickte er den Halbriesen an. „Hat er? Wann?”
„Vor 'ner Stunde ungefähr. Wollt sich wohl anhören, wie der Tag so war. Vielleicht können Sie morgen beim Frühstück fragen, was er wollte.”

Morgen Früh, dachte Severus mit einem seltsam spannungsreichen Prickeln im Magen, wäre er bei Hermine. Er hatte das Gefühl, seine Wange würde warm werden, weswegen er unbewusst seine Fingerspitzen auf die Stelle legte, an der er ihren herzlichen Dank erhalten hatte. Mehr als ein Dank war es nicht gewesen, machte er sich weis. Das hatten schon ihre Worte untermauert. Severus blickte zu Hagrid hinüber, der den Hunden beim Spielen zusah. Auch der Halbriese hatte schon einmal so einen Dank erfahren dürfen, wie auch die meisten Gäste im letzten September, als Hermine ihren 24. Geburtstag gefeiert hatte. Diese Geste durfte er nicht überbewerten, so gern er das auch tun wollte. Es war lediglich der Moment gewesen, in dem sie ihm gezeigt hatte, dass er ein fester Bestandteil ihres Freundeskreises war. Selbst der Gedanke daran, in Zukunft womöglich immer so begrüßt und verabschiedet zu werden, wollte ihn noch entflammen.

Nach einer Weile rief Severus den Hund zurück, ging dabei ein wenig um Hagrids Hütte herum, bis er dort einen Gegenstand fand, der ihn verwunderte.

„Was ist das?”
„Och, das is' Sirius' altes Motorrad. Seine Frau war heut hier, mit Remus. Sie haben gefragt, ob ich es noch habe.”
„Wieso hatten Sie dieses Ding überhaupt?”

Für Hagrid völlig ungewöhnlich schien er erst nachzudenken, bevor er den Mund aufmachte und das auch nur zögernd.

„Ich hatte es in der Nacht, als ich den kleinen Harry ...”

Severus begrüßte es, dass Hagrid innehielt, weil er zu schluchzen begann. An diese Zeit wollte er jetzt ganz bestimmt nicht erinnert werden, doch es war längst zu spät. Der von Hagrid nicht vollendete Satz machte sich in Severus' Kopf selbstständig, brachte Bilder in den Vordergrund, die er seit zwei Jahrzehnten in die finstersten Ecken seines Geistes verdrängt hatte.

„Meinen Sie, es ist eine gute Idee”, fragte Severus ernst, „Black genau das gleiche Gefährt wie damals zu überreichen? Denn wie ich es mir denken kann, soll es eine Überraschung werden. Wäre ich an Blacks Stelle, würde mich der Schlag treffen.”
„'s war ja nich meine Idee gewesen”, rechtfertigte sich Hagrid.
„Nein”, stimmte Severus zu und warf einen letzten Blick auf das Motorrad, „war es nicht. Und meine Meinung zählt auch nicht. Gute Nacht, Hagrid.” An den Hund gewandt rief er knapp „Harry” und endlich parierte das Tier.

In der Nacht wälzte sich Severus hin und her, pendelte vom wachen Zustand in den Schlaf, nur um kurz darauf wieder zu erwachen. Er war rastlos; sein Herz war unruhig. Mit seinem lauten Pochen wollte das vernachlässigte Organ alle Welt kundtun, dass es existierte und umsorgt werden wollte. Sein Geist gebot ihm Einhalt. Es folgte endlich ein tiefer Schlaf, keinesfalls jedoch ein traumloser.

Im Utopia seines Unterbewusstseins angekommen fand sich Severus bei strahlendstem Sonnenschein in einem weiten Meer aus tizianroten Blumen wieder, die ihm bis zur Hüfte wuchsen. Es waren duftende Astern, die Gestirne der Erde. Manche von ihnen, in naher Ferne, waren bis zu drei Meter hoch gewachsen und wiegten sich im Wind wie kleine Bäume, die sich am Leben erfreuten. Schnell hatte Severus verdrängt, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte, denn der Ort sprach ihm zu. Eine Aufgabe für sich hatte er in dieser ruhigen Gegend schnell gefunden: Er wollte Beeren suchen – Himbeeren. Von dem süßen Duft der Blumen ganz hingerissen fand er nach einer ganzen Weile endlich unter einem mächtigen Apfelbaum, der seine weißen Blüten fallen ließ, einen Strauch, von dem er einzelne Beeren pflückte, sogar eine davon verstohlen kostete, als handelte es sich um eine verbotene Frucht. Kaum hatte er die zarte, rote Beere aus der Familie der Rosengewächse mit seiner Zunge am Gaumen zerdrückt, trat hinter dem Stamm des blühenden Apfelbaums eine Person hervor. Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen kniete sich Hermine neben ihn nieder und zeigte ihm die Hand, die sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte. Sie hielt ihm einen roten Tafelapfel entgegen. Den Idared nahm er blindlings an, ohne zu fragen, was es mit ihm auf sich hatte oder warum er ihn nehmen sollte. Die Farbgebung der Frucht faszinierte ihn, denn alle möglichen Tönungen waren vertreten: ein helles rot, sowie ein dunkles, das an Kirschen erinnerte. Während er noch den Apfel bestaunte, als hätte er nie zuvor einen gesehen, naschte Hermine von den Beeren. Severus hingegen biss in den Apfel. Der säuerlich erfrischende Geschmack war angenehm und als er nochmals seine Lippen zum Apfel führte, spürte er keine wachsartige Oberfläche, stattdessen etwas sommerlich Warmes und Geschmeidiges. Es waren Lippen so weich wie ein Rosenblatt zwischen den seinen, und das Aroma konnte er einer soeben verzehrten Himbeere zuordnen.

Dieser betörende Traum schwor etwas aus seinem tiefsten Innern herauf, entfesselte Empfindungen, die lange Zeit vernachlässigt worden waren. Im Schlaf fand seine Seele Erlösung, sein Verlangen Befreiung, wenn auch nur für einen kurzen Moment in einer Welt, in der er sich weder dafür rechtfertigen noch sich schämen müsste: In seiner eigenen Welt, seinem Wolkenkuckucksheim.

Mit Herzklopfen und hörbar außer Atem erwachte Severus, doch er blieb entgegen seiner normalerweise sofort einsetzenden Tagesroutine im Bett liegen und schloss die Augen, um das beflügelnde Gefühl noch einen Moment länger bewahren zu können.

Einen Stock über ihm war es Harry nicht vergönnt, nochmal die Augen schließen zu dürfen.

„Wach auf, Harry!”
„Mmmh”, brummte er Ginny ungnädig an, doch ihrerseits folgten Taten, denn sie zog ihm die Bettdecke weg.
„Steh auf, wir wollten heute Quidditch spielen.” Sein Gemurmel verstand sie nicht, weswegen sie nachfragte.
Harry versuchte, die Bettdecke zu erhaschen, doch sie war außer Reichweite. Einigermaßen ansprechbar erklärte er: „Es ist doch noch so kalt draußen.”
„Blödsinn, wir haben schon plus Grade”, rechtfertigte sie ihr Vorhaben.
„Plus ein Grad oder schon zwei? Nein Ginny, bitte nicht.”
„Haaaryy”, sagte sie lang gezogen und furchtbar nörgelnd, weswegen er das Gesicht verzog. Er würde gegen sie verlieren, das wusste er.

Mit einem Male bewegte sich das Bett, aber keinesfalls sachte. Es kam ihm vor, als würde er auf einem Trampolin liegen und tatsächlich, als er die Augen öffnete, sah er Ginny, die wie ein übermütiges Kind die Matratze als solches missbrauchte. Mit frechem Grinsen sprang sie auf und ab, brachte Harry dabei so zum Schaukeln, dass er beinahe seekrank wurde. Er rettete sich auf weniger flexibles Gebiet und stand einen Moment später nur in Unterhose bekleidet neben der Schlafstätte.

„Geht doch!”, lachte sie vom Bett hinunter.
Mit seinem Zeigefinger deutete er auf sie, während er bedrohlich sagte: „Beim Quidditch werde ich dich fertigmachen!”
„Versuch's ruhig!”

Harry konnte nicht ernst bleiben, wo Ginny ihn schon mit so einem dreisten Lächeln bedachte.

„Wir spielen aber nicht zu zweit oder?“, wollte er wissen.
„Wie soll man zu zweit Quidditch spielen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab Draco gefragt, ob die Mannschaft auch ohne ihn trainieren darf. Du springst für ihn ein. Er ist heute noch Zuhause bei Susan und dem Kind.“
„Hat er was gesagt? Ich meine, wie es mit seinem Vater aussieht? Ich hoffe, sie kommen einigermaßen miteinander aus.“
„Es scheint erträglich zu sein. Und bevor ich es vergesse: Draco und Susan haben uns zu einer kleinen Gesellschaft eingeladen. Nicholas können wir auch mitbringen und wenn unser Elf möchte, ist er ebenfalls eingeladen.“
Harrys Augenbrauen wanderten bis zum Haaransatz hinauf. „So schnell will er uns einladen?“
„Wir hätten auch vorher mal kommen können. Immerhin gehören wir durch deine Patenschaft zur Familie der Malfoys und waren vom Mutter-Kind-Schutz nicht berührt.“
Ein fieses Grinsen breitete sich auf Harrys Gesicht aus. „Das wird Malfoy senior nicht gefallen, uns zu seiner Familie zählen zu müssen.“
„Du wirst es ihm aber auch bitte nicht unter die Nase reiben, Harry. Vergiss nicht: Wir sind die Guten.“ Sie faltete ihre Hände vor der Brust, als wäre sie ein Rauschgoldengel auf einem Weihnachtsbaum. Es fehlte nur noch der Heiligenschein. Einen Moment später sprang sie vom Bett. „Wir, Harry, werden niemanden provozieren. Als vorbildliche Familie werden wir bei Draco und Susan zu Gast sein. Nicht nur den beiden werden wir eine Aufmerksamkeit mitbringen, sondern auch Dracos Eltern. Ein Strauß Blumen und Konfekt für die Dame und eine Flasche Feuerwhisky …“
„Billig-Fusel tuts auch“, murmelte Harry.
„… für den Herrn!“, beendete sie grantig, weil er einen Zwischenkommentar abgegeben hatte. „Wir werden uns nicht lumpen lassen und niemanden benachteiligen, selbst nicht Mr. Malfoy.“
„Er hat dir das Tagebuch …“
„Das war vor elf Jahren, Harry, das sind olle Kamellen. Wir beide haben es überlebt und ihm sollte klar sein, wer hier der Stärkere ist.“ Ginny kam auf ihn zu und legte ihre Arme um seine nackte Taille. „Ich bin drüber hinweg. Was hab ich davon, wenn ich jahrelang diesen Zorn in mir herumtrage? Davon wird es auch nicht besser.“
„Der Typ wollte über Leichen gehen! Wer weiß, ob er das nicht längst getan hat?“, echauffierte sich Harry.
„Jetzt mach aber mal einen Punkt! Glaubst du etwa, mein Dad hätte ihn einfach so gehen lassen, wenn er wirklich jemand auf dem Gewissen hätte? Für wie blöd hältst du meinen …“
„Nein, so meine ich das doch gar nicht“, beschwichtigte er Ginny. „Lass uns einfach Quidditch spielen, okay?“
„Allzeit bereit, Harry.“
„Und sowas sagst du, während du mir in Unterwäsche gegenüberstehst“, murmelte er noch in seine Bartstoppeln, bevor er ins Badezimmer ging, um sich von ihnen zu befreien.

Auf einen Sonntag begann das Frühstück in der großen Halle in der Regel später, so dass Harry und Ginny, sowie die anderen Schüler nach ihrem aufreibenden und anstrengenden Spiel bei kühlen Temperaturen erst noch ein zweites Mal an diesem Tag duschen konnten, bevor sie sich auf zur ersten Mahlzeit des Tages machten. Beziehungsweise machten sie sich darüber her, denn körperliche Aktivität regte den Appetit an.

Die Schüler kamen und gingen, um ausgiebig zu frühstücken oder sich ein Brot für unterwegs zu schmieren. Severus war nirgends zu sehen, aber das fiel kaum auf. Sonntags gönnte er sich oft eine Pause, weil er vor den Schülern nicht immer präsent sein wollte.

In den Kerkern inspizierte er gerade das Frühstück, das er mit zu Hermine nehmen wollte. Es war nicht ein Korb, nicht zwei, sondern gleich drei, die die Elfen zurechtgemacht hatten. Der Inhalt, vieles davon sorgfältig eingepackt, so dass man nicht einmal erraten konnte, was das Behältnis verbergen könnte, reichte für eine halbe Kompanie. Er nickte den Elfen zufrieden zu, so dass sie ihn endlich allein lassen und ihn nicht weiter mit ihre großen misstrauischen Augen belästigen würden. Einer der Elfen hatte tatsächlich gewagt, mit skeptischem Unterton anzumerken, dass es für ein Picknick wohl noch etwas zu frisch wäre. Severus hatte nichts richtiggestellt. Niemandem war er Rechenschaft schuldig, schon gar nicht einem Hauself.

Über das Flohnetzwerk war er pünktlich bei Hermine im Wohnzimmer angekommen, wurde aber nicht von ihr, stattdessen von dem Duft von frisch gebrühten Kaffee begrüßt, der von der Küche am Ende der Treppe hinauf bis in die Wohnräume gekrochen war, um sein Aroma wenig zurückhaltend zu verströmen. Severus hatte die Wohnzimmertür nach dem Verlassen extra laut zugezogen, damit sein Erscheinen angekündigt werden würde. Kaum war er auf der Treppe, kam Hermine aus der Küche und stellte sich an den unteren Treppenabsatz, von dem aus sie nach oben blickte und ihn breit anlächelte. Dann machte sie ein erstauntes Gesicht.

„Was denn, gleich drei Körbe?“
„Die Elfen glauben wohl, ich würde vom Fleisch fallen. Sie haben es etwas zu gut gemeint.“ Er war unten bei ihr angekommen. Ihre braunen Augen funkelten ihn erwartungsvoll an. Gleichzeitig befürchtete und erwartete er, dass sie ihm einen Willkommenskuss gab, doch der blieb aus. Stattdessen räusperte er sich. „Das hat den Vorteil, dass Sie alles, was heute übrig bleibt, für den weiteren Verzehr behalten können.“
„Darf ich Ihnen einen abnehmen?“

Er verneinte wortlos, ging stattdessen an ihr vorbei in die Küche, um die Lebensmittel aus den Körben zu nehmen. Vieles war mit einem Wärme- und Frischezauber belegt. Man musste nicht einmal etwas anrichten, denn die Elfen hatten Teller, Schälchen und Platten aus der Küche verwendet.

„Hogwarts könnte viel Geld mit einem Catering-Service verdienen“, flunkerte Hermine, als sie die vielen leckeren Lebensmittel bestaunte, die zwar in der großen Halle zum Alltag gehörten, aber auf ihrem altmodischen Holztisch wie ein Festmahl wirkten. Hermine schnupperte, denn es lag der Duft von Likör in der Luft, der unter einem der abgedeckten Teller hervorkroch. „Ist das etwa Crêpe Suzette?“
„Ich sagte ja“, bestätigte er, „dass die Elfen es sehr gut gemeint haben.“

Severus stellte den besagten Teller auf die Mitte des Tisches ab und hob den Deckel, erstarrte dann zur Salzsäule – den Deckel wie ein Schutzschild vor sich haltend.

„Was haben Sie, Severus? Mögen Sie keine Himbeeren?“

Unschuldig stibitzte sie eine der rosaroten Himbeeren, die rund um und auf den süßen Pfannkuchen verteilt waren und vernaschte sie, während Severus ihr dabei mit einem entrückten Blick zusah, mit dem er Luna Konkurrenz machen könnte.

Im Verlauf des gemeinsamen Frühstücks schwiegen sie sich überwiegend an, doch sie tauschten Blicke aus, die Bände sprachen und davon nicht zu wenig. Hermine schien zwar vorsichtig zu sein, doch ihre Augen funkelten kess. Er hingegen suchte in ihrem Blick, ihrer Mimik, Hinweise auf etwas, das über Freundschaft hinausging.

Ein Klopfen an der Glasscheibe ließ beide zum Fenster hinübersehen. Es waren zwei Eulen, die sich, nachdem Hermine sie hereingelassen hatte, auf die Lehnen der beiden Stühle hockten und von dort aus das köstliche Essen beäugten, von dem sie sich wahrscheinlich einen Happen als Belohnung erhofften. Vorsichtig hatte Hermine die beiden Pergamentrollen von den winzigen Beinen gelöst.

„Die hier ist für Sie.“ Hermine hielt ihm eines der Pergamente entgegen. Fast zeitgleich entrollten sie sie und lasen die Einladung von Draco und Susan für das kommende Wochenende, den Samstagabend.

„Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, Mr. Malfoy senior gegenüberzutreten.“
„Ich kann Ihre ablehnende Haltung nachvollziehen, Hermine. Es gab Momente, in denen ich mit ihm gut ausgekommen bin, andererseits kann er ein richtiges …“
Er stoppte sich selbst, doch Hermine drängte mit glitzernden Augen: „Bitte, sagen Sie es! Ich möchte es einmal aus Ihrem Mund hören.“
Severus musste schmunzeln, vervollständigte seinen Satz jedoch mit den Worten: „… Schwein sein.“
„Ich hätte vermutet, Sie würden das böse A-Wort benutzen.“
„Würde ich nie in den Mund nehmen“, wollte er ihr weismachen, als er sich von den Champignons, den Eiern und den gebackenen weißen Bohnen in Tomatensauce auftat.
„Dann gehen Sie hin?“
„Draco würde es von mir erwarten. Ich werde ihm den Gefallen tun, dann fällt es nicht so auf, dass ich darauf brenne, Lucius nach all den Jahren wiederzusehen, um ihm die eine oder andere Stichelei an den Kopf zu werfen.“
„Uh, Sie scheinen sich ja wirklich auf ein Wiedersehen zu freuen.“
„Ich komme nicht umhin, ihn für einige sehr unangenehme Situationen in meinem Leben verantwortlich zu machen. Die Einladung sehe ich als Freibrief für mich, ihm meine Meinung sagen zu können.“
Hermine hielt ihm ihren Teller hin, so dass er ihr von dem Porridge auftun konnte, während sie erleichtert zugab: „Wenn Sie hingehen, dann komme ich auch. So schlimm wird es wohl nicht werden.“
„Dann darf ich Sie abholen? Sagen wir, um 18 Uhr?“

Zuvor war sie stets diejenige, die gefragt hat, ob sie zusammen hingehen würden. Das erste Mal, dachte Hermine, machte er von sich aus den Vorschlag, sie zu einer Feierlichkeit abzuholen und natürlich stimmte sie zu.

Die Woche verging schnell. Severus hatte sie häufig nach seinem Feierabend zusammen mit seinem Hund aufgesucht, um ihr bei Kleinigkeiten zu helfen oder auch mal zum Brauen eines komplizierten Trankes. Jene Abende ließen sie gemütlich in der Küche ausklingen, bevor er – immer später und immer widerstrebender – nach Hogwarts zurückkehrte.

Am Samstagmorgen wurde Severus, bevor er die große Halle betreten konnte, von Albus abgefangen, der das Gespräch unter vier Augen mit ihm suchte.

„Severus, gestern Nachmittag, wo warst du da?“
„Was geht dich das an, Albus?“ Die Worte waren nicht bösartig gemeint, eher hörte man heraus, wie unangenehm Severus die Frage war.
„Du hast ein Recht auf Freizeit und Privatsphäre, Severus, das spricht dir niemand ab. Allerdings wurdest du gestern Nachmittag von einem Schüler vermisst. Ich wende mich also lediglich in einer schulischen Angelegenheit an dich.“
„Wenn ein Schüler es gewagt haben sollte …“
Mit einer beschwichtigenden Geste seiner Hand winkte Albus ab. „Er hat es nur ‘gewagt‘, deinen Rat zu suchen und zwar in genau der Stunde, die du selbst für Schüler deines Hauses für persönliche Belange zur Verfügung stellst.“
Skeptisch blickte Severus den Direktor an, verzog dabei das Gesicht immer weiter, so dass sich sogar seine Hakennase kräuselte. „In all den Jahren, in denen ich in Hogwarts unterrichtet habe, hat niemals ein Schüler auch nur ein einziges Gespräch mit mir gesucht. Diesen freitägigen Termin gibt es nur, weil du alle Lehrer dazu zwingst, auch privat für die Schüler da zu sein.“
„Es geht mir nur darum, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Dann streiche den festen Termin am Freitag und teile deinen Schülern mit, dass Unterredungen mit dir nur nach vorheriger Absprache möglich sind.“
„Wer wollte mich sprechen?“ Diesem Schüler würde er schon austreiben, Probleme mit ihm diskutieren zu wollen.
„Es hat sich längst erledigt“, erwiderte Albus, der keine Anstalten machte, den Namen des Schülers preiszugeben. „Remus hat sich der Angelegenheit angenommen.“ Der Direktor machte eine Geste mit seiner Hand und begleitete Severus zum Lehrertisch, während er noch ein Schwätzchen hielt. „Es ist schön zu sehen, dass du eine Beschäftigung gefunden hast. Wie es scheint, eine sehr zeitintensive noch dazu?“
Severus warf seinem alten Mentor einen Blick zu, der genügte, um die wortlose Frage „Was willst du mir damit sagen?“ zu stellen.
„Auch wenn mit dem Wort ‘Beruf‘ heutzutage nur noch die Erwerbstätigkeit gemeint ist, stammt es ursprünglich von ‘Berufung‘ ab. Du hast deine längst gefunden, Severus.“

Am Lehrertisch angelangt setzte sich Severus wie üblich zwischen Remus und Harry, die ihn beide grüßten. Harry widmete sich gleich darauf seinem Frühstück in einer Menge und Geschwindigkeit, dass er damit sehr an die damaligen Essgewohnheiten von dem jungen Mr. Weasley erinnerte, dachte Severus.

„Bekommen Sie nicht genügend zu essen oder warum schlingen Sie so?“, stichelte er.
„Ich trainiere wieder regelmäßig Quidditch! Und das jeden Tag. Da bekommt man nun einmal Hunger“, verteidigte Harry den Berg an gebratenem Speck und Eiern, der schon an manchen Stellen über den Tellerrand hinübertrat.
So nebensächlich wie nur möglich fragte Severus: „Sie werden heute Abend auch zu Gast bei den Malfoys sein?“
Harry nickte, denn mit vollem Mund sprach man nicht. Nachdem er geschluckt und mit Kürbissaft nachgespült hatte, bestätigte er nochmals verbal. „Ja, wir sind auch eingeladen. Bin schon gespannt, wenn ich ehrlich bin.“
„Das dürfen Sie auch sein. Ich vermute, Dracos Vater wird sich nicht zurückhalten, die ein oder andere spitze Bemerkung fallen zu lassen – so gut in Worte gepackt, dass man sich erst Stunden später über seine Äußerungen ärgern wird, wenn man endlich begriffen hat.“
Harry verzog das Gesicht. „Glauben Sie wirklich, dass er uns gegenüber so sein wird?“
„Ich weiß es nicht. Angesichts der Tatsache, dass Sie, Harry, nie zu seinen bevorzugten Gesprächspartnern gehört haben, könnte es durchaus möglich sein, dass er Ihnen seine Ablehnung auch offen zeigt.“
Einen Moment war Harry in sich gegangen, bevor er den Kopf schüttelte. „Das kann ich nicht glauben, aber nett von Ihnen, dass Sie mich warnen.“

Die ganze Zeit über kämpfte Severus gegen den Impuls an, sich an diesem unterrichtsfreien Samstag nicht schon gegen Mittag bei Hermine einzufinden. Albus würde ihm nur wieder seltsame Gespräche aufzwängen, sollte der davon erfahren. Dieses drängende Gefühl zog ihn immerhin aus den Kerkern hinaus an die Oberfläche. Der Hund begleitete ihn. Sein Weg führte ihn um das noch immer eingeschneite Schloss herum, doch auf dem Boden taute der Schnee langsam. Die Sonne war seit einigen Tagen mit ihren warmen Strahlen vertreten und lockte die ersten Krokusse aus dem gut gewässerten Boden. Schwertliliengewächse.

Der Hund führte ihn in die Nähe der Gewächshäuser. In einem arbeitete jemand, denn Severus konnte die Silhouette eines Mannes erkennen. Das ungewohnte Bedürfnis nach Geselligkeit ließ ihn an die Tür des Glashauses klopfen, bevor er eintrat. Neville schien im ersten Moment erschrocken, aber nicht wegen Severus, sondern weil überhaupt jemand um diese Zeit hier vorbeikam.

„Severus.“ Neville nickte ihm grüßend zu. Um weitere Worte war er offensichtlich verlegen.

Mit interessiertem Blick betrachtete Severus die vielen bunten, hochwachsenden Blumen, die Neville mit seinem speziellen Dünger im Februar zum Blühen gebracht haben musste. Einen Moment später fand sich Severus in einem anregenden Gespräch über Pflanzen wieder, in welchem Severus unterschwellig die Zukunftspläne des angehenden Kräuterkundlers zu erfahren versuchte, weswegen er das Gespräch geschickt in entsprechende Richtung lenkte. Man könnte es als Neugier betrachten, aber auch als Übung für die arglistigen Unterhaltungen, die er heute Abend voraussichtlich mit Lucius führen würde.

Gegen 18 Uhr wollte er Hermine abholen, weswegen er eine Stunde früher das interessante Gespräch mit Neville beendete, um gleich im Anschluss Hagrid aufzusuchen. Er wollte Harry in der Obhut des Halbriesen lassen, was ganz nach Fangs Geschmack zu sein schien. Hermine wäre sicherlich nicht böse, dachte Severus, wenn er sie schon ein Stündchen früher aufsuchen würde.

Besagte Dame stand gerade vor dem Spiegel und hielt sich die wenigen Kleider an, die sie in ihren Schränken finden konnte. Das vom Weihnachtsball in der vierten Klasse war nicht nur zu schmal, sondern auch ein wenig zu elegant für den heutigen Abend. Die Fetzen von dem Kleid, welches sie auf Sirius‘ Hochzeit getragen hatte, waren längst im Müll gelandet und an jenes, welches sie als Trauzeugin getragen hatte, konnte sich vermutlich noch jeder erinnern. Sie wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, sie würde keine angemessene Kleidung für einen vornehmen Abend aufweisen, aber leider entsprach genau das den Tatsachen. Das einzige Kleid, das sie heute tragen könnte, war das, welches ihr Severus für die Veranstaltung geschenkt hatte. Sie seufzte und betrachtete dabei die blauen Seidenfalten des überraschenden Geschenkes von letzter Woche. Nur Severus würde wissen, dass sie es erst vergangenen Samstag getragen hatte und er, der merkwürdigerweise viel über den Inhalt ihrer Kleiderschränke zu wissen schien, würde bestimmt mit Verständnis reagieren, sich vielleicht sogar geschmeichelt fühlen.

Sie schlüpfte in das blaue Seidenkleid und machte sich die Haare mit dem Zauber zurecht, den sie von Narzissa abgeschaut hatte, doch er gelang ihr nicht einmal halb so gut. Trotzdem gefiel sie sich. Ihr Vater würde sagen, sie würde fesch aussehen, aber er schmeichelte er immer, egal wie sie aussah.

Nebenan hörte sie den Kamin knistern. Es folgte das Geräusch von Schritten. Severus war da. Auf ihr Bauchgefühl konnte sie sich verlassen, denn sie hatte geahnt, dass er früher kommen würde. Sie war bereits fertig angekleidet.

„Hermine?“, hörte sie ihn im Flur rufen. Fellini sprang sofort vom Bett und rannte zur geschlossenen Tür hinüber. Severus war höflich genug, nicht einfach ungefragt die Räume abzugehen.
„Ich bin gleich bei Ihnen.“

Sie warf einen kritischen Blick in den Spiegel vor sich, der sie sehr an Nerhegeb erinnerte, doch andererseits musste sie beim Anblick jeden Spiegels sofort an den denken, der ihr ihren Herzenswunsch gezeigt hatte. Einen Teil dieses Wunsches hatte sie sich letzte Woche nach der Versammlung erfüllt. Sie musste ihm nur noch die Arbeit in der Apotheke schmackhaft machen.

Ihr Äußeres befand sie als dezent elegant und nicht zu auffällig. Trotzdem sie ihrer Meinung nach noch immer zu viel auf den Hüften hatte, fand sie sich hübsch. Als sie auf den Flur hinausging, hatte sich ein zufriedenes Lächeln in ihrem Gesicht niedergelassen, mit dem sie Severus begrüßte. Sie musste lachen, als sie ihn erblickte. In einer Hand hielt er einen auffällig üppigen Strauß mit Blumen, deren riesigen aufgeplusterten Blüten eine wahre Augenweide darstellten. Mit der anderen Hand drückte er zwei in Geschenkpapier gewickelte Pralinenschachtel an seinen Körper, während aus den beiden Taschen seines Umhangs die verpackten Hälse von zwei in Papier gehüllten Flaschen – vermutlich Feuerwhisky – herausragten.

„Haben Sie vielleicht eine Tasche?“, fragte er peinlich berührt.
„Natürlich, kommen Sie doch mit ins Wohnzimmer.“

Die Geschenke für die Malfoys ließ Hermine nacheinander in eine große Tasche verschwinden. Hermine hockte auf dem Boden und verstaute erst die Flaschen und Pralinenschachteln, bevor sie ihre Hand nach den Blumen ausstreckte, die er hielt. Plötzlich hielt er ihr einen Strauß entgegen, hatte aber noch immer einen in der Hand. Weil die Blumen optisch ineinander übergegangen waren, hatte sie sie als einen Strauß wahrgenommen. Den einen stellte sie vorsichtig in die äußerste Ecke der Tasche, den anderen, den er ihr reichte und den sie ohne aufzuschauen entgegennahm, in die andere. Jede Dame im Hause Malfoy würde einen Strauß und eine Süßigkeit erhalten, die beiden Herren eine Flasche guten Whisky.

Als Hermine aufstand, stutzte sie, denn Severus hielt noch einen dritten Strauß in der Hand. Das letzte Drittel des vermeintlich üppigen Straußes konnte sie keinem Gastgeber mehr zuordnen, doch es war nicht nötig, sich Gedanken darüber zu machen. Severus brachte Licht ins Dunkel.

„Der ist für Sie, Hermine“, sagte er mit verhaltener Stimme, während er darauf wartete, dass sie die Blumen nehmen würden. Perplex griff sie zu. Sie kam nicht drumherum, ihre Nase in die Blüten zu tauchen.
„Was sind das für welche?“
„Ranunkeln.“
„Wo …?“ Sie musste einmal kräftig schlucken. „Wo haben Sie die zu dieser Jahreszeit her? Werden die nicht erst ab Mai gesät?“
„Ich habe Beziehungen spielen lassen“, erwiderte er scherzend. „Es gibt da jemanden, den wir beide kennen, der wirklich ein Händchen für Pflanzen hat.“ Deutlicher musste er nicht werden, denn sie dachte bereits an Neville. „Aber ich versichere Ihnen, dass ich die Blumen erworben habe, obwohl ich mir sicher bin, er hätte sie mir auch so gegeben.“
„Vielen Dank, Severus.“
„Gern geschehen.“ Die Situation war momentan viel zu ernst, weswegen er anfügte: „Wenn Neville in der Kräuterkundelehre versagen sollte, was ich nicht glaube, dann würde er einen bewundernswerten Floristen abgeben.“
„Ja“, sie lachte auf, „da behalten Sie wohl Recht.“

Den Strauß hatte sie auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer in eine uralte Vase gestellt, deren hässliche Schnörkelei gar nicht mehr zu sehen war, denn man guckte automatisch auf die rosafarbenen und roten Blüten, deren Blätter breit waren und eng aneinander gereiht. Sie wirkten wie Rosen, die viel zu viele Blütenblätter hervorgebracht hatten. Nicht umsonst bezeichnete man Ranunkeln als die Rosen des Frühlings.

„Wissen Sie noch, Severus“, begann sie, als sie den Strauß bewunderte, „als Sie zu Ihrem Geburtstag von der Blumensprache der Muggel gesprochen haben? Ich habe mir ein Buch darüber gekauft. Es klang interessant.“
„Tatsächlich? Dabei hatte ich, wenn ich mich recht entsinne, diese Blumensprache als Unsinn bezeichnet. Genauso ein Unsinn wie die angebliche Bedeutung von Trankzutaten.“
„Ich fand den Gedanken schön.“
„Glauben Sie mir bitte, dass ich keinesfalls eine versteckte Botschaft zum Ausdruck bringen wollte.“ Weil sie ihn fragend anblickte, erklärte er: „Wenn rote Ranunkeln unter Umständen bedeuten würden, Sie könnten sich zum Teufel scheren, dann nehmen Sie das bitte nicht ernst. Ich bin nicht sehr vertraut mit diesen Dingen. Meine Mutter hatte damals …“ Seine Gedanken drifteten ab, weswegen er diesen Satz nicht beenden konnte, doch er fing sich wieder. „Sie fand Gefallen an diesem Un…“ Die Vorlieben seiner Mutter wollte er nicht in den Schmutz ziehen. „An solchen alten Überlieferungen. Einiges habe ich mitbekommen, aber die vermeintliche Bedeutung von Ranunkeln ist mir fremd. Das nur als Warnung, falls Sie es nicht lassen können, in Ihrem Buch zu blättern und Ihnen nicht gefallen sollte, was Sie finden.“ Am Ende hatte er wieder seine alte, freundlich spöttelnde Art zurückerlangt, die sie zum Lachen brachte.
„Es wird Zeit, Severus. Wollen wir gemeinsam flohen?“

Die beiden flohten mit der Tasche voller Geschenke nach Malfoy Manor, in welchem sich Lucius in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte. Narzissa wusste nicht, wie sie ihn dazu bewegen konnte, die Gäste wenigstens zu begrüßen.

„Was soll ich sagen, warum du uns keine Gesellschaft leistest?“
Er schnaubte genervt. „Sag Ihnen, allein schon bei dem Gedanken daran, sie als Gäste meines Hauses …“
„Lucius, bitte.“
Er seufzte, bevor er kühl eine Ausrede zum Besten gab. „Sag ihnen, ich bin unpässlich. Das muss reichen. Es wird wohl niemand eine Krankenakte von mir anfordern.“ Gelassen lehnte er sich in seinen kostbaren Stuhl zurück und spielte mit einer Seite des Tagespropheten, den er vorgaukelte zu lesen.
„Severus wird auch da sein. Möchtest du ihn gar nicht sehen?“
„Was hätten wir uns zu sagen? Weil er bei Voldemort in Ungnade gefallen ist, musste ich büßen und zwar bis zum Ende! Soll ich ihm das vorwerfen? Lust darauf hätte ich! Ich könnte ihm auch anlasten, dass er es besser hätte vertuschen müssen, auf wessen Seite er wirklich stand.“ Sie wollte etwas dagegenhalten, doch er ergriff schneller das Wort und fragte: „Und was würde er wohl mit mir zu besprechen haben? Glaubst du, mich interessieren die Details der Hirnwäsche, die er bei meinem Sohn ganz offensichtlich angewandt hat, während er ihn lediglich schützen sollte? Ich bezweifle ebenfalls, dass er Interesse an meinen Schilderungen haben wird. Die letzten Jahre bei Voldemort waren kein Zuckerschlecken.“
„Vielleicht“, begann Narzissa vorsichtig, „könntest du mit ihm über die Dinge sprechen, die die Gegenwart betreffen.“
„Oh“, machte er spöttisch. „Da hätte ich wohl viel zu erzählen. Dass ich mein Augenlicht verloren hatte, das weiß er. Es würde ihm wohl sehr gefallen zu hören, wie schmerzhaft die Behandlung war. Was gibt es noch? Durch einen findigen Beistand konnte ich Askaban entkommen“, er erhob seine Stimme, „nur um jetzt vor dem absoluten Nichts zu stehen! Ich habe NICHTS, Narzissa und ich werde ihm nicht die Genugtuung bereiten, sich daran ergötzen zu können.“
„Du hast mich.“ Es war nur ein Flüstern gewesen, doch er hatte sie vernommen: die traurigen Worte, die ihm ihre Unterstützung zusichern sollten.

Er musste die Augen schließen, um sich zu beruhigen, denn Narzissa wollte er um nichts in der Welt anherrschen.

„Du“, seine Stimme war die eines gebrochenen Mannes, „bist das Einzige, das ich überhaupt noch habe.“
„Ich hätte dich so gern an meiner Seite, Lucius.“
Entkräftet schüttelte er den Kopf. „Rechne nicht mit mir.“

Einen Moment lang hoffte Narzissa, er würde sich umentscheiden, doch er schüttelte immer wieder den Kopf, als würde er im Zwiespalt mit sich selbst stehen und Argumente, die er im Geiste anführte, zerschlagen.

Betrübt ging Narzissa zur Tür hinüber, um sich nach unten zu begeben. Die Gäste würden jeden Moment kommen.

„Ich wünschte nur“, sie drehte sich noch einmal um und sah ihm in die Augen, „dass du lieber an das denken würdest, das du jetzt hast und nicht an die Dinge, die einmal waren.“

Sie verließ das Schlafzimmer und ließ Lucius mit seinen Gedanken allein.

Nachdem eine halbe Stunde später alle Gäste eingetroffen waren, entschuldigte Narzissa ihren Gemahl. Niemand nahm ihr ab, dass Lucius sich nicht wohl fühlen würde, aber niemand nahm ihr wiederum übel, dass sie ihn schützte. So war wenigstens vorhersehbar, dass der Abend nett werden würde. Die Frauen hatten sich allesamt in die Küche begeben, um das Essen anzurichten. Hermine war wenige Minuten später zurück im grünen Salon und wurde von Draco, Harry und Severus skeptisch beäugt.

„Man ist der Meinung, man benötigt meine Hilfe nicht“, erklärte sie verlegen. Sie hatte sich nicht einmal zum Nachwürzen der Suppe geeignet, denn sie hatte sie versehentlich versalzen, weswegen Susan sie freundlich wegen ihrer Kochkünste erst auf den Arm nahm und dann vom Küchendienst suspendierte. Harry, der Nicholas auf dem Arm trug, grinste in sich hinein. Er kannte Hermines Unbeholfenheit auf diesem Gebiet. Draco lenkte zum Glück ab, denn Hermine war das Thema unangenehm.

„Wie wäre es mit einem Aperitif: Sherry, Portwein oder Madeira?“

Man verkürzte sich nicht nur mit einem alkoholischen Getränk die Zeit bis zum Essen, sondern auch mit netten Unterhaltungen, die alles Mögliche beinhalteten, nur nicht den ehemaligen Herrn des Hauses. Der hatte sich in seinem Schlafzimmer verbarrikadiert und machte es den Gästen gleich, indem er einen Drink zu sich nahm – eigentlich schon ein paar mehr. Aus dem Keller hatte er sich einen 82er Mouton Rothschild stibitzt. Diesen Rotwein plump als „Drink“ zu bezeichnen stellte eine persönliche Beleidigung an Dionysos dar, doch die Flasche, die er damals erworben hatte, um seinem Sohn eines Tages ein schönes Geschenk machen zu können, wenn beispielsweise der erste Nachkomme das Licht der Welt erblickt hätte, würde sonst nur verstauben. Außerdem hatte er heute sehr wenig gegessen, weswegen der edle Tropfen nur noch besser schmeckte, vor allem aber schneller zu Kopf stieg. Trotzdem schaffte Lucius es nicht, die vielen Stimmen in seinem Oberstübchen zu überhören. Eine davon war die Stimme seiner Frau, die ihn zu sich rief. Eine andere war die von Severus, die ihn auslachte. Die von Narzissa gewann Überhand. Lucius‘ Herz sah sich dazu verpflichtet, seiner Frau zur Seite zu stehen und so erhob er sich, hielt sich kurz den Kopf, weil sich alles drehte, griff sich seinen Gehstock und schwankte zur Tür hinüber.

Im grünen Salon, wo sich die Gäste nach dem Essen aufhalten sollten, wollte er mit seinem plötzlichen Erscheinen Aufsehen erregen, doch er hörte schon von weitem das Geplärr von Babys, die sich gegenseitig im Weinen übertrumpfen wollten. Wie er befürchtet hatte, wurde er gar nicht beachtet, nachdem er die Tür aufgeworfen und sich im Rahmen positioniert hatte. Niemand blickte zu ihm hinüber. Stattdessen versuchten fast alle, die beiden Kinder mit klimpernden oder glitzernden Gegenständen so abzulenken, dass sie ihre Tränen vergessen würden. Nur Severus stand abseits und beobachtete das Spektakel mit einer Mischung aus Abscheu und Verlegenheit, ließ derweil den Blick schweifen und traf auf den von Lucius. Wie in Zeitlupe hob sich einer der Mundwinkel in spöttischer Vorfreude. Lucius versuchte, diese Mimik nachzuahmen, bevor er seinem alten Bekannten grüßend zunickte.

Noch immer wurde er von keinem der anderen beachtet, konnte sich daher majestätisch an einem der dunkelgrün gepolsterten Stühle in Position bringen. Mit einer Hand ergriff er die Stuhllehne, mit der anderen hielt er lässig seinen Gehstock, bis endlich einer der Gäste ihn bemerkte.

„Oh“, machte Harry als Erster. „Guten Abend. Ich hoffe, es geht Ihnen besser, Mr. Malfoy.“ Spätestens jetzt blickte ihn jeder an, sogar die beiden Babys im Schoß ihrer auf der Couch sitzenden Mütter. Es ging Lucius gegen den Strich, dass dieser Rotzbengel so höflich formuliert gegrüßt hatte.
„Guten Abend, Mr. Potter“, warf er ihm mit einem schmierigen Lächeln entgegen. „Danke der Nachfrage. Ich fühle mich“, er hielt inne, weil er aufstoßen musste, was zum Glück niemand vernahm, „schon viel besser.“

Reihum wurde er von jedem zwar nicht überschwänglich freundlich, aber wenigstens achtungsvoll begrüßt. Die kleine Weasley konnte seinem Blick zwar nicht lange standhalten, stellte ihm dennoch das vermutlich gemeinsame Kind vor, das ihrer Beziehung zu Potter entsprungen sein musste, wie Lucius vermutete. Dann war da dieses Schlammblut, dachte er abfällig, die es auch noch wagte, ein traditionell aus der Zaubererwelt stammendes Kleid für feine Anlässe zu tragen und ihm damit einen Grund nahm, eine zweideutige Bemerkung fallenlassen zu können. Die Schwiegertochter, dachte er stöhnend, war wie immer lieb und zuvorkommend, so dass er sich fragte, ob man ihm den plötzlichen Drang, sich übergeben zu müssen, wohl übel nehmen würde. Sein Blick fiel auf seinen Sohn. Stolz stand er an Susans Seite, hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt, um ihre Zusammengehörigkeit jedem unter die Nase zu reiben. Lucius zog missgelaunt das Gesicht.

„Möchtest du noch etwas essen?“, fragte seine Frau besorgt. Offensichtlich war er etwas grün um die Nase geworden.
„Nein, meine Liebe.“ Sein Blick erhaschte die Flasche auf dem Tisch. „Nur einen Schluck Sherry vielleicht?“ Gerade wollte Narzissa ihrem Gatten den Wunsch nach mehr Alkohol erfüllen, da legte Severus sein Veto ein, denn er hatte ein Geschenk in der Hand und kam auf Lucius zu. Arrogant zog Lucius eine Augenbraue in die Höhe und fragte, während er einmal mit dem Knauf seines Gehstocks auf das Geschenk deutete: „Ah, der höflichkeitshalber ein kleines Mitbringsel?“
„Ganz recht, Lucius.“ Mehr Worte benötigte Severus nicht, das Geschenk erfolgreich an Lucius abzutreten, der es sofort auspackte.
„Ogdens Old Feuerwhisky. Das hätte ich mir denken können. Vielen Dank.“ An seine Frau gerichtet bat Lucius um ein entsprechendes Glas, denn der Whisky könnte ihm den Abend erträglicher gestalten.

Mit der Flasche hatte er sich auf einen Zweisitzer zurückgezogen, um die Gäste im Blick zu behalten. Schon nach dem ersten Schluck des rotgoldenen Getränks spürte er die Entspannung durch den Alkohol, die auch dazu führte, dass seine motorischen Fähigkeiten mehr und mehr zu wünschen übrigließen. Lucius rechnete nicht damit, dass jemand anderes als seine Frau ihm auf der Couch Gesellschaft leisten würde. So ließ er sich dazu hinreißen, das Treiben der Gäste und seiner Familie heimlich zu beobachten und natürlich bemerkte er auf diese Weise die auffällig unauffälligen Blicke, die sie ihm zuwarfen. Sie hatten keine Furcht vor ihm, was ein überaus ernüchterndes Erlebnis für Lucius darstellte. Stattdessen schienen sie ihn zu bemitleiden und das gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Mr. Malfoy?“

Erschrocken fuhr Lucius zusammen, als neben ihm Potter Platz genommen hatte und ebenfalls ein Geschenk in den Händen hielt, unter dessen Papier sich unverkennbar eine Flasche abzeichnete. Er zögerte, nahm die Flasche jedoch an, als der junge Mann sie ihm schon fast in den Schoß legte.

„Wie komme ich zu dieser Ehre?“, näselte der leicht beschwipste Lucius einigermaßen verständlich.
„Man muss doch die Form wahren“, gab ihm der Bengel frech grinsend zurück. Lucius hatte es sich einfach gemacht und das Papier mit dem Zauberstab verschwinden lassen. Er fand es unerhört, dass Potter ihm ein Geschenk machte, an dem er rein gar nichts auszusetzen hatte. Ein 92er Elfenwein. Lucius beäugte die Flasche Feuerwhisky, die er von Severus bekommen hatte. Es fehlte nur ein Drittel, ansonsten hätte er auf der Stelle Potters Geschenk verköstigt.
„Ich muss Ihnen wohl meinen Dank aussprechen.“ Auch nur höflichkeitshalber, aber das fügte er selbstverständlich nicht hinzu. Man könnte es höchstens heraushören, dass ihm die offensichtlich von beiden Seiten vorgespielte Freundlichkeit gegen den Strich ging. Doch er wollte höflich bleiben – wollte nicht als derjenige dastehen, der sich danebenbenommen hätte.
„Genießen Sie ihn“, sagte Potter, „es ist ein sehr guter Jahrgang gewesen.“

Und wie er genoss, zumindest den Alkohol, wenn schon nicht den Abend. Lucius, vom 82er Mouton Rothschild schon gut angesäuselt, hielt sich an seinem Freund Mr. Ogdens fest, während er die Damen bei ihren Gesprächen über Quidditch und Selbstständigkeit und die Herren beim verbalen Kräftemessen beobachtete, denn die führten eine hitzige Diskussion über die Gesetze der Zaubererwelt. Dahin war die Zeit, dachte Lucius, als Damen sich noch über Familie, Haushalt und Garten unterhielten. Doch dann erregte ein unvorhergesehener Themenwechsel bei den Damen seine Aufmerksamkeit. Seine Schwiegertochter war ganz begeistert davon, wie der Balg der Weasley nach den kleinen Stofftieren griff und schon in einem Alter war, dass er mit beiden Händen jeweils eines halten konnte. Besonders angetan war sie von den tänzelnden Bewegungen der kleinen Beine, als Miss Weasley – oder war sie bereits Mrs. Potter? – den Kleinen ein wenig anhob, so dass er wie von selbst erst Schrittbewegungen ausprobierte. Das Einzige, was Charles schon konnte, war, Gegenstände mit den Augen zu fixieren und manchmal die kleinen Händchen offen zu halten, anstatt zu einer Faust geballt. Maximal ein halbes Jahr Altersunterschied und doch waren die beiden Entwicklungsstadien schon sehr gut zu unterscheiden.

„Lucius, es ist lange her.“
Lucius drehte seinen Kopf, musste dann ein paar Mal blinzeln, damit der Raum stehenblieb. „Sev’rus.“ Es störte den Angesprochenen nicht, dass ein „E“ aus seinem Vornamen abhanden gekommen war. „Setz dich doch, mein alter …“
„Freund?“, schlug Severus argwöhnisch als mögliche Bezeichnung vor.
Lucius fixierte Severus mit seinen grauen Augen, doch kam zu der Erkenntnis, dass die Babys das momentan besser konnten als er, denn die Sicht schien ein wenig vernebelt. „Freund?“, wiederholte er nachdenklich.
„Genießt du den Whisky?“
„Den Whisky durchaus. Die Gesellschaft könnte nur etwas angenehmer sein.“ Seine Worte unterstreichend ließ er seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Severus tat es ihm gleich. „‘s hat mich gewundert“, lispelte Lucius, weil seine Zunge sich sämtlichen Befehlen des Gehirns entzog, „dass du nicht der Pate geworden bist. Hast deinen Job“, abfälliger hätte er es nicht betonen können, „bei Draco ja bestens erledigt.“
„Ich habe das getan, worum Narzissa mich gebeten hat. Es war auch zu deinem Wohl.“

Verächtlich schnaufte Lucius, behielt danach im Hinterkopf, nicht noch einmal schnaufen zu dürfen, bevor er sich nicht die Nase geputzt hatte. Von der Couch gegenüber drang erneut Babygeschrei, das bei fortgeschrittenem Alkoholkonsum nur schwer zu ertragen war. Er stöhnte.

„Sind Kinder nicht ein Segen?“, spottete Severus, dem nicht entgangen war, wie ohrenbetäubend das Geschrei im Gehör seines Gesprächspartners dröhnen musste.
Wieder stöhnte Lucius, bevor er murmelte: „Herrje, wann ist denn endlich mal Ruhe?“

Sein Blick wanderte durch den Raum hinüber zum Kamin. Dort hing ein Bild von Narzissa, ihm und Draco als Baby. Vor etlichen Jahren hatte er das Bild stumm gemacht, weil nicht nur ihm das ständige Wimmern und Weinen aus dem Gemälde mit der Zeit zu viel geworden war. Jetzt hatte er eine in seinen Augen fabelhafte Idee. Er zückte seinen Zauberstab, den er im Gehstock bei sich hatte. Severus zuckte deswegen kurz zusammen und legte eine Hand auf seine Brust, auf seinen Zauberstab. Die Sorge war umsonst, denn Lucius richtete den Stab auf das Gemälde über dem Kamin und sprach: „Finite Incantatem.“

Dem Geheule der beiden Babys gesellte sich das des Gemäldes hinzu. Das Bildnis des gerade mal fünf Monate alten Draco schrie sich die Seele aus dem Hals.

„Vater, was soll das?“, fragte sein Sohn ohne hörbaren Vorwurf.
Mit spitzbübischer Miene erklärte Lucius: „Ich dachte nur, es würde zur allgemeinen Stimmung passen.“

Draco hatte das Gemälde mit einem Wutsch wieder verstummen lassen. Lucius indes lachte in sich hinein, griff gleich darauf zur Flasche.

Die belehrende Stimme von Severus war zu vernehmen, der wissen wollte: „Meinst du nicht, du hattest genug?“
„Ich habe noch lange nicht genug.“ Großzügig schenkte sich Lucius das Glas Whisky ein. „Oh, da hab ich wohl meine Manieren vergessen. Darf ich dir auch einen anbieten?“
„Nein danke, ich sehe lieber dabei zu, wie du deine Grenzen austestest.“ Severus betrachtete Lucius mit einem Schmunzeln, bevor er die erste Provokation vom Stapel ließ. „Wie ich erfahren habe, hat Draco einige deiner ehemaligen Geschäftspartner übernommen.“
„So?“ Davon hatte sein Sohn ihm noch nichts erzählt, was aber daran lag, dass sie sich aus dem Weg gingen.
„Ja, er vergibt Darlehen und beteiligt sich an Vertragsabschlüssen von jungen Unternehmen, um Gewinne zu sichern. Ganz der Vater, meinst du nicht auch?“ Das linke Augenlid von Lucius zuckte bereits. „Des Weiteren ist mir zu Ohren gekommen, dass er demnächst ein bekanntes Quidditch-Team sponsern wird. Bei Spielen kann er einen Teil der Werbeflächen an seine Geschäftspartner vermieten, womit er nochmals Umsatz macht. Eigentlich müsste er sich nur noch zurücklehnen“, Severus lehnte sich gemütlich zurück, „und im Kreise seiner Familie auf die Galleonen warten.“ Er bemerkte, sie Lucius die Lippen zusammenkniff, weswegen er noch einen drauflegte. „Und das ganz ohne Wucherpreise oder Geldeintreiber.“
„An meinen Geschäftsmethoden war nie etwas falsch!“
„Deine Geschäftspartner hatten Angst vor dir.“
Lucius schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn sie sich an alle Abmachungen gehalten haben.“

Als Lucius einen Schluck Whisky nahm, blickte Severus zu Hermine hinüber, die immer wieder zu ihm schaute. Vielleicht machte sie sich Sorgen oder sie war nur neugierig, was er mit Lucius zu besprechen hätte.

„Was hast du nach deiner Freilassung vor, Lucius? Da du dich nicht mehr um geschäftliche Belange kümmern musst, steht dir sicherlich viel Freizeit zur Verfügung.“
„… weil ich mich nicht mehr um geschäftliche Belange kümmern muss …“, murmelte Lucius missgelaunt. Natürlich musste er sich nicht mehr darum kümmern, denn Draco hatte ihm alles aus der Hand gerissen. „Weiß‘u, Severus, so wie sich das entwickelt“, er deutete auf Susan und Draco, „werden die Malfoys bald keine geachtete Zaubererfamilie mehr sein, sondern nur eine von vielen.“
„Und eine der reichsten, daran wird sich nichts ändern.“
Lucius verkniff es sich zu schnaufen, denn er hatte sich noch nicht die Nase geputzt. „Man bewilligt uns nicht einmal einen Hauself!“ Er klang empört und Severus übernahm diesen Tonfall.
„Nein wirklich? Wie unerhört!“
„Mach dich nicht über mich lustig!“
„Vielleicht bewilligte man keinen Hauself, weil der Antrag von dir stammte und nicht von Draco, schon einmal darüber nachgedacht?“, hielt ihm Severus vor Augen und genau das, stimmte Lucius innerlich zu, konnte durchaus der Grund sein. Seine Meinung behielt er für sich. „Du könntest deinen Namen“, begann Severus, „auf andere Weise reinwaschen.“ Hier horchte Lucius interessiert auf. „Du hast früher oft und gern dem Mungos eine Spende zukommen lassen. Es gibt aufgrund des Krieges eine in der Zaubererwelt völlig neuartige Einrichtung, für die man zuvor keine Notwendigkeit sah.“
Lucius zog die Augenbrauen in die Höhe und überlegte, konnte sich jedoch nicht vorstellen, was Severus meinen könnte. „Und welche wäre das?“
„Ein Heim für Waisenkinder. Für die wohl unschuldigsten Opfer von Voldemorts“, Lucius verzog das Gesicht, „Kriegsführung.“

Es wäre eine nette Idee, dachte Lucius. Würde er in der Öffentlichkeit als wohlhabender Gönner einer solchen Einrichtung in Erscheinung treten, könnte sich das Bild, das man von ihm hatte, schnell wandeln. Die Gesellschaft könnte ihm unter Umständen viel schneller abkaufen, dass er selbst ohne eigenes Verschulden in Voldemorts Reihen gestolpert war. Da war nur eine wichtige Sache, die ihm diese Idee durchkreuzte.

„Du vergisst wohl, dass ich in diesem Haus nur noch geduldet bin. Selbst wenn ich wollte, könnte ich so ein Heim gar nicht unterstützten.“ Lucius verfluchte sich. Er hatte vor Severus nie preisgeben wollen, dass er weder Geld noch anderen Besitz sein Eigen nennen konnte, doch andererseits würde Severus das sicherlich längst durch Draco wissen.
„Dann such deinen Sohn in dieser Angelegenheit auf. Er wäre der Letzte, der dir so ein Vorhaben nicht gestatten würde.“

Dieser Vorschlag widerstrebte Lucius. Er müsste Draco bei allen finanziellen Angelegenheiten fragen, auch ob er die vom Ministerium auferlegte finanzielle Wiedergutmachung vom malfoyschen Verlies überweisen könnte, aber bisher hatte er nicht den Mut gefunden, seinen Sohn daraufhin anzusprechen. Er hoffte nur, es würde demnächst keine Mahn-Eule aufgrund des noch offen stehenden Betrages einfliegen.

Nach einer Weile, die sie mit unterschwelligen Sticheleien, aber auch ernsthaften Themen verbrachten, stand Lucius wankend auf, so dass Narzissa unauffällig zu ihm eilte und ihren Arm unter seinen hakte. Sie gab ihm Halt.

„Lucius, möchtest du nicht doch lieber etwas essen? Nur eine Kleinigkeit?“
„Nein, meine Liebe, vielen Dank. Ich wollte mir nur ein wenig die Beine vertreten“, erwiderte er, doch er musste feststellen, dass seine Gliedmaßen ihm nicht aufs Wort gehorchten. „Ein wenig frische Luft wäre schön. Der Wintergarten …“ Er blickte hinüber zu dem Ort, an welchem sein Sohn getraut worden war. Entsprechendes Bild hatte er während seines Aufenthalts im Mungos in der Zeitung gesehen. „Nur etwas frische Luft“, säuselte er angetrunken.
„Lass nur, Narzissa“, Severus erhob sich, „ich werde ihm Gesellschaft leisten.“ Genauso gut hätte er sagen können, er würde darauf achten, dass Lucius nicht stürzen würde.

Unter den wachsamen Augen der anderen Gäste gingen Severus und Lucius, der seinen Stock im alkoholisierten Zustand mehr denn je benötigte, hinaus aus dem grünen Salon. Der Wintergarten war nur durch Glas vom Raum getrennt. Die Luft war kühl und frisch, machte Lucius aber nur beschränkt nüchtern. Die Gäste drinnen konnte man noch alle sehen, aber deren Gespräche drangen nur als unverständliches Gemurmel in den Wintergarten.

„Wie ich hörte, bist du wieder in Hogwarts tätig.“
Zustimmend erwiderte Severus: „Ganz recht. Ich habe meine alte Position als Zaubertränkelehrer inne.“
„Wieso als Lehrer für Zaubertränke? Weshalb nicht, wie du es immer wolltest, als Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste?“ Lucius war froh, dass seine Zunge wieder mitspielte und er die Worte nicht lallend aussprach.
„Was würde mir ein Beruf bringen, der mich tag ein, tag aus an die schlechten Abschnitte meines Lebens erinnert? Gegen Dunkle Künste habe ich mich lange genug zur Wehr setzen müssen.“
„Ah“, machte Lucius und es hörte sich tatsächlich verständnisvoll an. „Ich kann das gut verstehen. Andererseits warst du ja ‘unterwegs‘, hast dich mit Draco an dem Abend in Hogwarts seitlich in die Büsche geschlagen und warst mit einem Male auf und davon. Hast du eine Ahnung, wie lange wir auf dich und ihn gewartet haben? Jede einzelne Minute wurde das Gefühl in mir, von meinem eigenen Sohn im Stich gelassen worden zu sein, stärker. Voldemort schoss bereits seine Giftpfeile in meine Richtung ab und als klar war, dass wir mit euch nicht mehr rechnen konnten, da …“

Die schlimmen Erinnerungen an den Moment, in welchem Voldemort ihn vor allen anderen Todessern als Verräter abgestempelt hatte, der womöglich genau wusste, was Severus und Draco geplant hatten, ließ ihn für einen Augenblick die Augen schließen.

„Was ist passiert?“, hörte er Severus fragen, weswegen er die Augen wieder öffnete.
„Kannst du es dir nicht denken? Voldemort war nicht gerade begeistert davon, dass du, für den ich mich damals auch noch verbürgt habe, dich zusammen mit meinem Sohn von ihm abgewandt hast. Was glaubst du wohl, wie er mir seinen Jähzorn entgegengebracht hat?“ In Lucius‘ Gesicht war aufschäumende Wut zu erkennen, doch die richtete sich gegen den verblichenen Dunklen Lord. „Bis heute habe ich Rückenprobleme durch die Flüche, mit denen er mich malträtiert hat. Seiner ‘Gnade‘ habe ich es zu verdanken, noch am Leben zu sein. Für die Drecksarbeit war ich noch gut genug, während ihr beide euch ein schönes Leben gemacht habt.“
„‘Schön‘ war es ganz sicher nicht. Mehr als nur einmal sahen Draco und ich dem Tod ins Auge, sei es durch Auroren, durch euch oder einfach nur durch den Winter.“ Lucius runzelte die Stirn, woraufhin Severus deutlicher wurde. „Gesucht von allen Seiten blieb uns auf der Flucht kaum ein Ort, an dem wir für längere Zeit unterkommen konnten. Wir mussten in die Muggelwelt fliehen, sonst wären wir erfroren und selbst dort, ohne Heizmöglichkeit, war ich nicht sicher, ob Draco es überstehen würde.“

Lucius musste sich eingestehen, das er die Situation der beiden nie so betrachtet hatte. Er hatte sich immer ausgemalt, dass Severus und Draco sich an einem geheimen Ort niedergelassen hatten, der vielleicht noch mit einem Fidelius geschützt war und wo sie gemütlich dem Ende des Krieges entgegensahen. Die Stimme von Severus holte ihn aus seinen Gedanken zurück.

„Wir waren ständig in Bewegung, wären zweimal beinahe Voldemorts Bluthunden in die Arme gelaufen. Ich vermute, er hatte Rodolphus auf uns angesetzt?“ Lucius nickte bejahend. „Er war wirklich gut. Hat unsere wenigen magischen Signaturen aufgespürt und uns fast erwischt, bis wir aufgehört haben zu zaubern. Erst da waren wir vor ihm sicher. Das bedeutete jedoch, keine Wärmezauber mehr, kein herbeigerufenes Essen, kaum noch Verhüllungszauber und auch Apparation war nicht mehr möglich.“
„Aber ihr wart in Sicherheit!“
„Wir waren fast am Ende“, flüsterte Severus, der noch sehr gut wusste, wie Draco und auch er selbst der Zukunft nur noch ausweglos entgegengesehen hatten. Beide waren niedergeschlagen gewesen, beide sahen keinen weiteren Grund mehr zum Leben, nur noch den, während der letzten Schlacht ein paar Feinde mit ins Grab zu nehmen.
Vorwurfsvoll zischte Lucius ihn an: „Habt ihr auch nur ein einziges Mal daran gedacht, wie es mir ergehen könnte, wenn ihr über alle Berge seid?“ Er erwartete keine Antwort darauf, war deshalb sehr erstaunt, als er eine bekam.
„Draco hat immer an euch gedacht, an Narzissa und dich. Im Schlaf hat er oft …“ Dass Draco geweint hatte, würde er nicht preisgeben, um Lucius keinen Grund dafür zu geben, seinen Sohn ungerechterweise als Schwächling zu bezeichnen. Dumm war Lucius jedoch nicht, denn den Satz konnte er in Gedanken richtig vervollständigen. „Als wir gerade ein Muggeldorf verlassen haben und offenbar Rodolphus mit ein paar Helfershelfern dort einritt, hat Draco vorgeschlagen zurückzugehen. Er wollte sehen, ob du dabei bist, wollte dich aus deren Mitte reißen und einfach mitnehmen. Ich musste ihn gewaltsam aufhalten.“
„Voldemort hat mich nicht mehr für irgendwelche Aufträge außerhalb eingeteilt. Es war ihm ganz recht, dass ich an seiner Seite blieb.“
„Genau das habe ich vermutet und Draco klarmachen müssen.“

Was Lucius vorhin noch als unmöglich gesehen hatte, fand gerade zwischen ihm und Severus statt: Ein Gespräch über seine Zeit bei Voldemort und Severus‘ Flucht. Vielleicht waren Severus und er mehr Freund, als man vermuten könnte. Was er eben über seinen Sohn erfahren hatte, stimmte Lucius nachdenklich. Draco hatte an ihn gedacht, hätte ihn gern zu sich geholt. Offenbar hatte er seinen Sohn völlig falsch eingeschätzt. Es war bei Narzissa, bei ihm selbst und seinem Sohn immer eines gewesen, das vor allem andern stand und das war die Familie.

Durch die nur leicht beschlagenen Fensterscheiben blickte Lucius in den gemütlichen grünen Salon, in welchem Draco gerade seinen Jungen im Arm wiegte, dabei verzaubert lächelte. Er konnte sich noch sehr genau an die vielen kleinen Momente erinnern, in denen er Draco auf dem Arm hatte und wie stolz er damals auf seinen Sohn war. Draco musste genauso fühlen.

„Mit was außer deiner Lehrertätigkeit vertreibst du dir so die Zeit, Severus?“ Lucius blickte zu seinem Freund hinüber und bemerkte, dass der ebenfalls in den Raum schaute. Es handelte sich jedoch um jemand anderen, den Severus mit vielsagendem Gesichtsausdruck betrachtete. „Nein“, spottete Lucius mit einem fiesen Lächeln, „hast du am Ende doch noch dein Schlammblut bekommen?“

Auf diese Bezeichnung reagierte Severus seit langer Zeit allergisch. Schon damals hatte sich Draco eine Ohrfeige eingehandelt, als er über Muggel schimpfte und sie mit diesem Wort betitelte. Das Schimpfwort hatte Draco unbewusst mit Bestrafung verknüpft, hütete sich seitdem, es nie mehr zu benutzen. Lucius würde man nicht umerziehen können. Dennoch konnte sich Severus nicht zurückhalten, den alten Freund für dieses Wort, das ihm in seiner Jugend so viel Kummer bereitet hatte, zurechtzuweisen.

Die Faust war so schnell an Lucius‘ Nase angelangt, dass er nicht einmal Zeit hatte, die Augen zu schließen. Ein lautes Knirschen war zu hören. Gleichermaßen durch den stechenden Schmerz im Gesicht und auch durch den Alkoholkonsum aus dem Gleichgewicht gebracht taumelte Lucius und fiel vornüber auf ein Tischlein, auf welchem ein Blumentopf mit Erde stand. Tisch und Kübel gingen fast gleichzeitig zu Bruch, als das Gewicht des Blonden vollends darauf lastete.

Durch das Geräusch aufmerksam geworden öffnete sich die Tür zum Wintergarten. Draco war der Erste, der zu seinem Vater eilte und sich auf den Boden kniete. Bevor irgendjemand etwas Gegenteiliges behaupten konnte, sagte Severus: „Er ist gestolpert. Ich habe ihn nicht schnell genug zu fassen bekommen.“

Dem Verletzten half Draco ein wenig auf, so dass er wenigstens sitzen konnte. Lucius hielt sich die Nase und atmete aufgeregt. Seine obere Bekleidung, Gesicht, Haare und Hände waren mit Erde beschmutzt. Zwei paar hellgraue Augen blickten zu Severus hinüber. Das eine durch zusammengekniffene Augenlider, das andere mit einem skeptischen Blick. Lucius behielt die vorangegangene Szenerie für sich, bestätigte Severus‘ Aussage jedoch nicht.

„Zeig mal, Vater.“ Draco versuchte, die Hand seines Vaters vom Gesicht zu entfernen, doch der schüttelte seinen Sohn von sich ab. Er hielt Draco aber nicht dabei auf, als der mit seinem Zauberstab die ganze Erde entfernte. „Vater, lass doch mal sehen, wie schlimm es ist.“
„Lucius?“ Narzissa kniete sich ebenfalls neben ihn nieder. Auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen war das Letzte, was er wollte. Sicherlich standen Potter, sein Wiesel und das Schlammblut an der Tür und gafften, dachte er abwertend.

Aus einem der weiten Ärmel seines weißen Rüschenhemdes zog Lucius ein Taschentuch und hielt es sich vorsichtig vor die Nase. Das viele Blut auf seinem Hemd war erst jetzt zu sehen. Draco und Narzissa atmeten zur gleichen Zeit erschrocken ein.

„Vater, es blutet stark.“
„Ein paar Spritzer kaltes Wasser und alles ist wieder in Ordnung“, winkte Lucius ab, der genau wie Severus wusste, dass das nicht genügen würde, um die Blutung zu stillen.
„Ich verfüge zwar nicht über eine Heilerausbildung“, warf Severus monoton ein, „aber laut des Geräusches, das ich vernehmen konnte, scheint die Nase gebrochen zu sein.“
Narzissa legte eine Hand auf Lucius Schulter. „Nein, wie furchtbar.“
„Dann werde ich mich ins Krankenhaus begeben. Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet?“

Ohne die angebotene Hilfe seiner Frau oder seines Sohnes anzunehmen stand Lucius auf, drückte aufgrund des durch sein Gesicht fahrenden Schmerzes die Augen fest zusammen.

„Um diese Zeit …“ Alle drehten sich um und blickten Hermine an, die an der Tür zum Wintergarten stand und ihren Satz nach einem Moment von vorn begann. „Um diese Uhrzeit muss man im Mungos mit mindestens eineinhalb Stunden Wartezeit rechnen.“
„Ach und woher wollen Sie das wissen?“, fragte Lucius durch den Schmerz noch viel gereizter.
Es war Severus, der es ihr abnahm, darauf zu antworten. „Weil sie dort ihre Ausbildung zur Heilerin abgeschlossen hat und das auch noch mit einem ‘Phänomenal‘.“
„Ich könnte mir die Verletzung mal ansehen, Mr. Malfoy“, bot sie höflich an.

Narzissa war von der Idee begeistert und stimmte zu, ohne ihren Mann zu anhören, der sich sehr wahrscheinlich lieber ins Mungos begeben hätte – trotz der langen Wartezeit. Er wehrte sich nicht, wollte keine Szene machen, wegen der man ihn belächeln konnte, also fügte er sich seinem Schicksal und auch dem Willen seiner Frau.

Während Narzissa mit Lucius und Hermine in einen anderen Raum verschwand, um die Nase zu behandeln, waren Harry, Ginny sowie Susan zurück in den grünen Salon gegangen. Draco blieb einen Moment bei Severus. Er wandte einen Reparo an, um Tisch und Blumenkübel zu reparieren und einen Evanesco, um die restliche Erde zu beseitigen. Als Severus den Wintergarten verlassen wollte, hielt Draco ihn auf und griff sich seine recht Hand. Severus wollte sie wegziehen, doch Draco ließ nicht los und betrachtete die leicht rötliche Verfärbung an den Knöcheln und die kleinen Schwellungen. Als er das gesehen hatte, ließ er die Hand wieder los. Für ihn war klar, dass Severus zugeschlagen haben musste.

„Das wird in meinem Haus nicht noch einmal passieren, Severus.“ Keine Drohung, kein Vorwurf, nur die einfache Anweisung, sich in Zukunft an die Regeln des Gastgebers zu halten.
„Es gibt Situationen, in denen ich tun werde, was erforderlich ist. Das war so, ist so und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern“, machte Severus ihm leise und stoisch klar.
„Was ist denn passiert, dass es erforderlich war, ihm die Nase zu brechen?“
Severus spitzte die Lippen und schien über eine Antwort nachzudenken, bevor er lediglich unklar erwiderte: „Er ist frech geworden.“
„Das ist nicht deine Art.“

Draco konnte nicht einmal ahnen was vorgefallen sein mag. Sein Patenonkel war kein Mensch, der Konflikte mit Gewalt löste. Er selbst hatte einmal in seinem Leben eine von diesen Situationen geschaffen, von denen Severus eben sprach und auch er hatte damals – das erste und einzige Mal in seinem Leben – erfahren müssen, dass sein Pate auch mal die Beherrschung verlieren konnte.

„Oh“, machte Draco, als er sich diesen einen Moment ins Gedächtnis zurückrief. „Vater hat über Hermine gesprochen.“ Für ihn war das die einzige Erklärung, die er in Betracht ziehen konnte. Severus bestätigte die Vermutung mit einem Kopfnicken.

Nach der schnellen und erfolgreichen Behandlung der Nase zogen sich Narzissa und Lucius zurück. Als Hermine auf die anderen traf, wurde sie sofort mit Fragen bombardiert. War die Nase wirklich gebrochen? Ist alles in Ordnung? Wie war es überhaupt dazu gekommen?

„Leute, ich stehe unter Schweigepflicht. Mir ist höchstens erlaubt zu sagen, dass es ihm gut geht.“
„Ich möchte mich für meinen Vater entschuldigen.“ Beschämt blickte Draco zu Boden und atmete einmal tief durch. „Es ist nach all den Jahren nicht sehr leicht für ihn, sich …“
Ginny unterbrach ihn. „Du kannst nichts dafür.“
„Es war schön, dass er überhaupt gekommen ist“, flüsterte Draco zu sich selbst.

Die Stimmung ließ sich von dem Vorfall, von dem kaum jemand was mitbekommen hatte, nicht drücken. Harry fand ein Thema, das er unbedingt ansprechen wollte und das war Hermines Rede bei der Körperschaft. Während Charles und Nicholas ein Nickerchen in einem herbeigezauberten Kinderbett hielten, hörten besonders Draco und Susan begeistert zu. Von Hermines beruflicher Laufbahn hatten sie nur wenig erfahren. Natürlich kam man auf die Apotheke zu sprechen.

„Und wie läuft sie?“, wollte Susan wissen.
„Bestens! Eigentlich viel zu gut. Es ist eine Menge Arbeit, die ich allein gar nicht schaffe.“ Hermine machte jedoch nicht den Eindruck, als würde diese Feststellung sie belasten, was Draco stutzig machte.
„Dann hast du jemanden eingestellt?“
„Oh nein, das habe ich nicht, aber ich bekomme Hilfe“, antwortete sie, bevor sie zu Severus hinüberblickte. Er folgte ihrem Blick und zog erstaunt beide Augenbrauen in die Höhe.
„Habe ich dich deswegen nicht in deinem Büro angetroffen?“
„Ach“, ein Geheimnis war gelüftet, „dann warst du der Schüler, der sich beim Direktor darüber ausgeweint hat, dass er mich nicht antreffen konnte!“
„Ich bin Professor Dumbledore nur zufällig über den Weg gelaufen und habe gefragt, ob er weiß, wo du bist“, verteidigte sich Draco scherzhaft. „Er ging davon aus, dass du dich zu dieser Uhrzeit – wie es übrigens auf dem schwarzen Brett im Gemeinschaftsraum zu lesen ist – in deinem Büro aufhältst.“ Von Severus‘ Todesblick ließ sich Draco nicht einschüchtern. „Es hat sich erledigt. Professor Lupin war so frei …“
„Ich dachte, die Angelegenheit wäre geklärt? Dann möchte ich im Nachhinein auch nicht mehr damit belastet werden.“

Alle mussten schmunzeln. Diese kleine Unterbrechung vergessend nahm sich Draco des vorherigen Themas wieder an.

„Es ist schön, dass du Hilfe hast.“
Sie musste nur noch bestätigen. „Am schlimmsten war es zum ersten Vollmond. Ich hatte am Ende so viele Kunden, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich zuerst machen soll.“
„Na ja“, Draco blickte zu seinem Paten hinüber, „das ist doch sowieso dein Gebiet.“ Wieder zu Hermine schauend schlug er vor: „Stell doch ihn ein.“
Bevor sie die Chance hatte, irgendetwas von sich zu geben, warf Severus ruppig ein: „Ich werde ganz sicher nicht die angesehene und vor allem gut bezahlte Position in Hogwarts verlassen, nur um eine Anstellung anzunehmen.“
„Ich kann ihn sowieso nicht bezahlen.“ Der traurige Klang ihrer Stimme war Severus nicht entgangen. „Zaubertränkemeister werden sehr gut bezahlt, im Mungos wie auch in Hogwarts.“ Er war erleichtert, als sie wieder lächelte. „Ich kann ihn mir nicht leisten.“
„Es gibt andere Möglichkeiten“, warf Draco nachdenklich ein, als würde er eines seiner Geschäfte kalkulieren.

Der Abend fand noch viele Themen, unter anderem das Heim, das Mr. Panagiotis leitete. An diesem Gesprächsthema beteiligte sich Severus nicht, ging stattdessen im grünen Salon auf und ab, um sich einige Kunstgegenstände zu betrachten. Er wurde auf die anderen wieder aufmerksam, als Harry sich für den netten Abend bedankte und für Aufbruchsstimmung sorgte. Hermine und Severus schlossen sich ihnen an. Noch vor dem Kamin fragte sie ihn leise, ob er sie begleiten wollte und wie schon all die anderen Abende der letzten Wochen stimmte er zu.

Bei ihr angelangt machte sie einen Kaffee, ohne ihn zu fragen, ob er überhaupt einen wollte, denn es gingen ihr ganz andere Dinge durch den Kopf.

„Ich wollte mit Ihnen über eine ernste Sache sprechen, Severus.“
Er stöhnte genervt. „Oh Merlin, ich hab es geahnt.“ Seine spöttische Aussage brachte sie dazu, einmal zu seufzen.
„Severus, es ist mir wirklich sehr ernst.“

Aufgrund des Gesprächsthemas, welches Hermine zuletzt mit den anderen behandelt hatte, konnte er schon vorhersehen, dass sie ihn wegen seines Problems ansprechen wollte.

Er nahm ihr die Worte aus dem Mund und sagte: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag!“
Verdutzt riss sie die Augen auf, bevor sie wiederholte: „Sie mir?“ Sie wollte mit ihm besprechen, was für Möglichkeiten er sehen könnte, damit sie beide wie in ihrer Lehre zusammen arbeiten könnten.
„Ja, ich Ihnen und hören Sie gut zu, denn es betrifft die Angelegenheit, von der Sie einfach nicht die Finger lassen wollen!“ Jetzt war sie wirklich neugierig und hörte daher aufmerksam zu, als er sein Anliegen vortrug. „Ich mache Ihnen als Heilerin den Vorschlag, sich meiner annehmen zu dürfen.“ Sie öffnete den Mund, doch er hob eine Hand und stoppte die vielen Fragen, die er schon beinahe über ihre Lippen hervorquellen sah. „Sie haben richtig gehört, aber ich verlange im Gegenzug, dass die Schweigepflicht Gültigkeit haben wird.“ Er hatte genug davon, dass sie mit anderen über seine Problematik sprach, wenn auch – wie heute – nur angedeutet, indem sie die seelenlosen Patienten des Professor Panagiotis zur Sprache brachte. „Des Weiteren werde ich mich nicht drängen lassen.“
Sie schnaufte amüsiert. „Und was soll daran anders sein, als es im Moment ist? Sie haben sich noch nie zu etwas drängen lassen, Severus. Trotzdem bin ich sehr überrascht über Ihr Angebot und ja, ich nehme es an, verlange im Gegenzug aber auch etwas.“
„Und was wäre das?“
„Kooperation! Sie werden sich nicht mehr zurückziehen, sondern mit mir reden.“ Weil er das Gesicht verzog, hielt sie ihm vor Augen: „Es war Ihr Angebot, denken Sie dran. Ich werde nur eine Heilerin sein. Natürlich wird es anfangs schwer sein, das zu trennen. Wir könnten beispielsweise feste Termine vereinbaren und über Ihren, ähm, Zustand sprechen, auch über die Dinge, die ihn hervorgerufen haben. Außerhalb dieser Termine, das verspreche ich Ihnen hoch und heilig, werde ich das Thema mit keiner Silbe erwähnen.“

Diese Forderung klang verlockend. Nur sie würde alles erfahren, was er preiszugeben bereit war. Sie dürfte keinem Menschen davon erzählen, nicht einmal Harry. Dass Hermine viel Wert auf Schweigepflicht legte, hatte sie vorhin bei Lucius bewiesen. Endlich hätte er Kontrolle darüber, wer von was Kenntnis erlangen würde und das war ausschließlich sie. Damit könnte er leben.

„Dann ist es abgemacht?“, fragte er nach.
„Ja.“ Nach einem Moment der Stille fragte sie scherzend: „Was erwarten Sie jetzt? Sollen wir das irgendwie mit Blut besiegeln?“
„Ich denke, ein Handschlag reicht aus.“

Mit ausgestreckter Hand kam sie erwartungsvoll auf ihn zu. Er zögerte nur einen Moment, schlug aber ein und schüttelte ihre zierliche Hand. Sie strahlte über das ganze Gesicht, sogar noch, als sie den Kaffee an den Tisch holte.

„Ich bin erstaunt, Severus, aber auch erleichtert.“ Sie rückte auf der Bank etwas näher an ihn heran. „Nachdem wir das jetzt geklärt haben, würde ich gern über eine andere ernste Sache sprechen.“ Sein Blick war Gold wert.
„Andere ernste Sache?“, wiederholte er perplex.
Sie nickte. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, hier mit mir zusammenzuarbeiten, denn Sie müssen wissen, dass ich unsere Teamarbeit sehr schätze und auch, na ja, vermisse.“

Völlig verwundert griff er zu seiner Tasse, trank aber nicht, sondern ließ die Erkenntnis über sich kommen, dass er ihr Angebot nicht vorweggenommen hatte, sondern er ihr aus einer falschen Mutmaßung heraus ein eigenes gemacht hatte.

„Dann wollten Sie gar nicht über den Ewigen See sprechen?“
„Nicht heute, nein. Sie machen jetzt aber keinen Rückzieher oder?“ Er würde nur zu gern, das verriet auch sein kalkweißes Gesicht und die zitternden Hände. Er war jedoch ein Mann, der sich an Abmachungen hielt.
„Nein“, hauchte er kaum hörbar.
„Das ist gut, denn ich habe ein großes Interesse an Ihnen, Severus.“ Damit er sie nicht falsch verstehen würde, weil es ihm womöglich missfallen könnte, fügte sie schnell hinzu. „Ein wissenschaftliches Interesse.“ Ihren Worten glaubte sie selbst nicht.
Er offensichtlich auch nicht, denn er fragte nach: „Ein wissenschaftliches?“

Als sie ihn anblickte, war sie abermals von seinen brauen Augen fasziniert, die in ihren Kindheitserinnerungen stets so schwarz und undurchschaubar waren. Natürlich war sie auch erpicht darauf zu erfahren, warum seine Augen einst das Licht verloren hatten und wie sie es jetzt nach zwei Jahrzehnten wiedererlangen konnten. Dennoch waren es nicht die wissenschaftlichen Aspekte, die sie an ihn banden.

„Nein“, gab sie ein wenig verspätet zu, schüttelte dabei langsam den Kopf. „Ich will nur, dass es Ihnen gut geht.“


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Elisabeth Sparrer, Abendzeitung