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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Freude trinken alle Wesen

von Muggelchen

Seine Animagusgestalt stand gelassen vor ihm. Severus rief sich ins Gedächtnis zurück, was Minerva ihm geraten hatte. Er sollte die Gestalt finden, sie beobachten und berühren, sich aber keinesfalls sofort in sie verwandeln. Die Suche hatte ihn müde gemacht. Er würde es nicht riskieren, die tierische Form anzunehmen und wegen seiner Unerfahrenheit möglicherweise nicht mehr dazu imstande zu sein, sich wieder in einen Menschen zurückzuverwandeln.

Der Vogel schaute noch immer wachsam zu ihm auf. Die stechenden Augen blinzelten nervös, aber es blieb furchtlos bei ihm stehen. Vorsichtig streckte Severus eine Hand aus, um damit die grauen Federn am Rücken zu berühren. Für einen Moment bedauerte er, Hermines Angebot nicht annehmen zu können, denn es wäre nicht möglich, dieses Tier wie einen Hund zu bürsten. Um was für einen Vogel es sich handelte, wusste Severus noch nicht, aber er hatte die vage Ahnung, damals bereits einen gesehen zu haben, als seine Eltern ihn in einen Muggelzoo mitgenommen hatten. Es war ein Greifvogel, so viel war sicher. Der Schnabel war wie bei einem Adler leicht nach unten gebogen, als wollte der Animagus damit eine Hakennase nachahmen.

„In deiner Form hätte ich nie meine Dienste für Albus verrichten können“, murmelte Severus. Der Vogel war zu groß und zu auffällig, als dass er diese Gestalt für seine Spionageaufgaben hätte verwenden können. Allerdings hatte jedes Tier besondere Fähigkeiten, aber die seines Vogels waren ihm fremd.

Mit einem Male materialisierte sich, weil er eben an seine Zeit als Spion hatte denken müssen, ein Todesser in seinem Unterbewusstsein. Rodolphus. Der in eine schwarze Kutte gehüllte Mann kam einen Schritt auf Severus zu. Als der Vogel sich umdrehte und den Feind erkannte, stellten sich vor Erregung die pechschwarzen Federn an Kopf und Nacken auf. Er spreizte die beeindruckend großen Flügel, die eine Spannweite von mindestens zwei Meter zwanzig haben mussten. Im Nu war das Tier in voller Kampfbereitschaft, auch wenn dieser Kampf zwischen Mensch und Vogel ungerecht ausfallen würde. Es war erneut Severus, dessen Gedankengänge aus Rodolphus das Wappentier Slytherins machte. Der Todesser verwandelte sich in eine Schlange, die nun bedrohlich zischelnd auf ihn zusteuerte. Seine Animagusgestalt näherte sich der Schlange unerschrocken und fixierte sie mit den wachen Augen. Völlig unerwartet trat der Vogel mit einem seiner starken Beine zu, hielt derweil mit den ausgestreckten Flügeln das Gleichgewicht für den schlanken Körper. Der Schlag war so wuchtig gewesen, dass er noch ein paar Sekunden nachhallte. Die Schlange holte zum Gegenangriff aus, aber der Vogel war viel zu wendig und geschickt, wich dem Opfer in Windeseile aus, bevor er das Kriechtier erneut attackierte. Er holte aus und trat zu. Wieder und wieder trafen die schlanken, aber kraftvollen Beine des Vogels das Reptil, und er zielte dabei auf den gefährlichsten Teil: den Kopf. Sehr bald hatte der Vogel der Schlange das Genick gebrochen.

An der erlegten Beute hielt sich der Vogel nicht lange auf. Er kam zu Severus zurück und der konnte nicht anders, als das Tier zu berühren. Am schwarzen Federkleid um den oberen Teil der Beine strich der Tränkemeister hinunter bis zu der rosafarbenen schuppenartigen Verhornung am unteren Teil, die den Vogel vor Schlangenbissen zu schützen vermochte. Eigentlich, dachte Severus, müsste er selbst auf der Hut sein. Dieses Tier war ein natürlicher Feind der Schlangen, vielleicht symbolisch sogar ein Feind der Slytherins, was ihn selbst in Gefahr bringen würde. Andererseits war dieses Tier ein Produkt seiner eigenen Persönlichkeit. Severus‘ damaligen Feinde stammten überwiegend aus dem Haus mit der grünen Farbe im Wappen. Es wäre möglich, dass er deshalb Angst vor sich selbst hatte, wie sein Irrwicht es deutlich gemacht hatte. Im Kampf für das Gute wäre Severus nicht einmal davor zurückgeschreckt, auch sich selbst aus dem Weg zu räumen, hätte Albus das von ihm verlangt. Natürlich waren nicht alle Slytherins schlechte Menschen; weder die von damals noch die heutigen Schüler. Trotzdem hatte sich bei Severus offenbar unbewusst eine Abneigung gegen das eigene Haus entwickelt, gerade weil die vielen Todesser ihm entsprungen waren.

Der Vogel ließ sich berühren, gestattete es sogar, dass Severus einen der dicht am Körper gefalteten Flügel vorsichtig spreizte, um ihn zu betrachten. Ob er auch fliegen könnte?

Den Körperbau hatte Severus eine Weile studiert, bevor er den Rückweg in die Realität antrat.

„Ich habe das Tier gefunden“, waren Severus‘ ersten Worte, nachdem er seinen Geist wieder verlassen hatte und sich Aug in Aug mit Minerva wiederfand.
„Schon? Das ist unerwartet.“ Mit skeptischem Blick musterte sie ihn. „Hat es dich denn gar nicht gerührt, was du in deinem Innern erfahren hast? Die Suche nach dem Tier dauert oftmals sehr lange, weil man sich an den ganzen Erinnerungen und Träumen aufhält.“

Zu solchen Reaktionen war er gar nicht fähig. Das erste Mal in seinem Leben hatte der Ewige See ihm tatsächlich einen Vorteil verschafft und ihm die notwendige Gleichgültigkeit gegeben, um zum Ziel zu gelangen.

„Ich habe mich nicht aufhalten lassen. Du selbst hast mir diese Anweisung gegeben, Minerva.“
Sie unterdrückte ein Schmunzeln, welches sich nur an den Augenwinkeln zeigte, als sie stichelte: „Und jetzt spielst du den Musterschüler?“ Seinen scharfen Blick übersah sie absichtlich, bevor sie wissen wollte: „Was war es?“
„Der Name ist mir nicht geläufig.“
„Ein Reptil, ein Insekt? Hatte es Haare oder Schuppen?“, zählte sie hilfreich auf.
„Federn.“
Sie stutzte. „Feder? Das hätte ich nicht gedacht.“ Minerva erhob sich von ihrem Stuhl und sagte, als sie zu einem der Bücherregale ging: „Dann lass uns mal nachschauen.“

Sie zog ein dickes Buch mit dem Titel „Der Animagus-Finder, Band 2 – Vögel“ heraus. Sie reichte es Severus, der es ohne Umschweife aufschlug. Das Buch hielt sich weder an eine alphabetisch Ordnung noch war es nach Gattungen sortiert. Es begann bei verschiedenen Kategorien, wie beispielsweise der Größe des Tieres oder seiner Farbe. Auf diese Weise konnte jeder mit wenigen Informationen seine Animagusform identifizieren, wenn man keine weiteren Anhaltspunkte hatte außer dem Aussehen. Eine getroffene Auswahl führte zu einer weiteren Aufzählung von Merkmalen, damit die Suche nach und nach eingeschränkt werden konnten.

„Damit findest du es bestimmt schnell. Die Arten sind nach ihren Merkmalen sortiert. Soll ich dir helfen?“
„Ich denke, ich komme mit der Anordnung des Buches selbst zurecht.“

Sofort begann Severus zu blättern. Albatros und Kondor hatten eine noch größere Flügelspannweite als seine Gestalt, also wählte in dieser Kategorie die Spalte „2,00 – 2,50 Meter“. Mit dieser Wahl wurde er auf eine andere Seite verwiesen. Dort las er weitere angegebene Merkmale, aus denen er wählen konnte und die ihm beim Fortsetzen der Suche helfen sollten. Er konzentrierte sich auf das sicherste aller Merkmale und sah deswegen vorerst von der Farbe des Gefieders ab. Stattdessen stürzte er sich auf das Kapitel „Nahrung“. Hier suchte er nach „Schlangen“ und blätterte zum Verweis, der dahinter stand.

Endlich waren einige Tiere aufgelistet, auf die all diese Merkmale zutrafen. Er fand den Steinadler, Aquila chrysaetos, der mit einer maximalen Flügelspannweite von etwas über zwei Metern mit einem bewegten Bild aufgelistet war. Auf der nächsten Seite erhielt Severus seinen persönlichen Treffer. Minerva musste an seiner Reaktion erkannt haben, dass er fündig geworden war.

„Etwas gefunden?“, fragte sie neugierig.
„Ja.“
„Darf ich mal sehen?“
„Darf ich erst einmal lesen?“, erwiderte er ablehnend.
„Da steht nicht viel, nur welcher Vogel es ist. Um Genaues über dieses Tier zu erfahren, solltest du in der Bibliothek die Abteilung für Ornithologie aufsuchen. Diese Bücher“, sie deutete auf das in seinen Händen, „helfen nur bei der Bestimmung deines Animagus. Es gibt Tiere, die man noch nie in seinem Leben gesehen hat und deren Definition daher sehr schwer für einen Laien ist.“
„Ich habe ihn schon einmal gesehen, ich wusste nur nicht mehr, wie er heißt“, offenbarte Severus, der sich jetzt wieder daran erinnerte, dass das Tier in Afrika heimisch war.
„Hast du ihn als Kind gesehen? Ich frage nur, weil eine Prägung in zartem Alter für die spätere Animagusform verantwortlich sein könnte.“

Severus nickte nur und merkte sich den lateinischen Namen seiner Animagusgestalt, damit er in der Bibliothek nachschlagen könnte. Seiner neugierigen Kollegin reichte er das aufgeschlagene Buch mit dem sich bewegenden Bild eines Sekretärs.

„Oh“, machte sie erstaunt, als sie das Foto betrachtete. „Eine imposante Gestalt, Severus. Vielleicht ein wenig aufsehenerregend, weil es nicht bei uns beheimatet ist, aber dennoch beeindruckend.“
„Und du wirst Stillschweigen bewahren, Minerva!“
Verärgert kniff sie die Lippen zusammen. Es kränkte sie, dass er ihre selbstverständliche Diskretion nicht zu schätzen wusste. „Natürlich werde ich! Allerdings werde ich dich bei erfolgreicher Verwandlung beim Ministerium anmelden.“ Bevor er dagegenhalten konnte, lenkte sie ab. „Hast du ihn nur gesehen oder bereits berührt?“
„Berührt.“
„Gut, dann lies so viel wie möglich über den Vogel. Das nächste Mal wirst du ihn schneller finden, denn er wird sich bereits im Bewusstsein aufhalten. Der nächste Schritt ist die Vereinigung, die Verwandlung in deine Animagusgestalt und natürlich auch die Rückverwandlung.“
„Und wann?“
Minerva zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Wann immer du bereit bist. Das hängt nicht von mir ab.“
Er nickte. „Dann werde ich jetzt gehen.“

Höflich, wie sie war, begleitete sie ihn zur Tür. Bevor er jedoch außer Hörweite war, lobte sie ihn noch.

„Beachtlich, Severus, dass du ihn beim ersten Mal gefunden hast. Wahrlich eine Spitzenleistung.“
Severus drehte sich schnell um, so dass sein Umhang noch nachwehte. „Möchtest du mir etwa noch ein goldenes Sternchen ins Hausaufgabenheft zaubern?“
Mit ernster Miene erwiderte sie: „Wenn es dich glücklich macht?“

Er schnaufte herablassend, bevor der Drang nach Spott von ihm abfiel und er ihr höflich zum Abschied zunickte, bevor er seinen Weg in die Bibliothek fortsetzte. Minerva glaubte sogar, ein Lächeln gesehen zu haben.

Die Bibliothek war nicht verschlossen, aber menschenleer und dunkel, so dass er einen Lumos anwandte. Er hatte nicht einmal auf die Uhr gesehen und wusste nicht, wie viel Zeit bei Minerva vergangen war. Es war ihm letztendlich egal. Im Moment interessierte ihn nur sein Animagus, zu dem er jetzt schon eine unvorstellbar feste Bindung aufgebaut hatte, obwohl er ihm heute das erste Mal begegnet war. Er mochte das Tier und war fasziniert von seiner Schnelligkeit und der ungewöhnlichen Taktik, den Feind zu besiegen.

Er suchte die Abteilung der Naturwissenschaften auf, die mit großen Schildern über den Regalen in ihre vier klassischen Gebieten aufgeteilt waren: Physik, Chemie, Geologie und Biologie. In letzteren Gang bog Severus ein. Nach der Botanik traf er sofort auf die Zoologie, die nochmals in mehrere Sparten unterteilt war. Hier in der Abteilung Tierkunde war er nicht mehr weit entfernt von der Vogelkunde. Er ging an Büchern über Herpetologie, Ichthyologie und Malakologie vorbei und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, sich wie vorhin schon in seinem eigenen Geist zu befinden, so ordentlich, wie Madam Pince hier alles sortiert hatte. Schon war er bei dem Buchstaben „O“ angelangt und stieß auch gleich auf Ornithologie.

Ein Buch über afrikanische Vögel erweckte seine Aufmerksamkeit. Er zog es hinaus, blätterte im Inhaltsverzeichnis und, als er ein langes Kapitel über den Sekretär fand, schlug es wieder zu, um es sich unter den Arm zu klemmen. Zusätzlich nahm er „Vögel und ihre magische Bedeutung“ mit sowie „Falconiformes – Greifvögel unserer Zeit“ und den Band „Der große Vogelführer“ aus der Reihe „Animagiwelten“.

Mit diesen vier Büchern machte er es sich an einem Tisch bequem. Mit in die Kerker könnte er sie nicht nehmen, wenn Madam Pince nicht vor Ort war, denn die Bücher würden einen Höllenlärm machen, sollte man sie unrechtmäßig entwenden. Die zwei kleinen Lampen auf dem Tisch waren mit Hilfe seines Zauberstabes schnell entzündet. Pergamente und Schreibfedern standen in der Bibliothek immer zur Verfügung, so dass er sich etwas zu schreiben an den Tisch zauberte.

Noch bevor er dazu kam, eines der Bücher aufzuschlagen, hörte er Schritte, dann die leise Stimme eines Kollegen, die ihn vorwarnte: „Erschreck dich nicht.“
„Lupin, was tun Sie um diese Zeit hier?“
Ein warmes Lächeln schlug sich auf dem Gesicht seines Kollegen nieder. „Die Frage kann ich gern zurückgeben. Ich konnte nicht schlafen und wollte die Zeit nutzen, für die Schüler ein Informationsblatt zusammenzustellen, damit sie für ihre Prüfungen alles Wichtige in Stichpunkten vor Augen haben.“ Remus war bei Severus am Tisch angekommen. Er selbst trug drei Bücher mit sich herum. „Darf ich mich zu dir setzen?“
„In der Bibliothek ist wohl Platz genug vorhanden, warum ausgerechnet hier?“
Severus‘ ablehnende Haltung trieb Remus nicht in die Flucht. „Weil es angenehmer ist, nicht allein zu sein.“ Nach einigem Zögern und weil Severus nichts mehr sagte, setzte sich Remus auf den Stuhl gegenüber. „Ich werde auch niemandem verraten, dass du wieder heimlich in schwarzen Büchern liest.“ Es war als Scherz gemeint, was Severus durchaus an der Mimik des Kollegen und dem spitzbübischen Lächeln erkennen konnte.
„Sie haben Vorurteile, Lupin. Ich beschäftige mich nicht mit den Dunklen Künsten.“
„Ach nein? Welchem Thema widmest du dich dann? Zaubertränke? Stellst du auch Material für deine Schüler zusammen?“
„Wie kann man nur so viele Fragen hintereinander stellen?“, spöttelte Severus freundlich.
„Was ist so interessant, dass du zu so später Stunde hier anzutreffen bist?“
„Ich, ähm …“

Um Worte war er normalerweise nie verlegen. Umso härter traf es Severus, dass er keine Antwort fand, mit der er zwar die Wahrheit sagen, aber dennoch nicht den tatsächlichen Grund nennen würde. Remus sollte nichts erfahren. Zu spät bemerkte er, dass sein Kollege sich mit weit aufgerissenen Augen nach vorn gebeugt hatte, um den Titel eines der Bücher zu erhaschen.

„Sie geben dem Begriff ‘Stielaugen‘ eine wahrlich lebhafte Bedeutung, Lupin.“
„Ich wollte doch nur sehen …“ Er hatte einen der Titel gelesen und wiederholte den ein wenig irritiert. „‘Der große Vogelführer‘? Suchst du nach neuen Trankzutaten oder hast du eine neue Vorliebe entdeckt?“
„Wie wäre es, wenn Sie einfach nur Ihre Aufgaben erledigen und ich die meinen?“
„Ich treibe nur Konversation …“
„An der ich nicht interessiert bin! Bitte …“ Severus seufzte. „Es war ein anstrengender Tag für mich. Ich sitze hier nur noch, weil auch ich mit Sicherheit wach im Bett liegen würde, sollte ich nicht einige Auskünfte erhalten.“
„Vielleicht kann ich dir ja helfen?“, bot Remus unbefangen an. „Ich kenne mich mit Tieren aus, hast du selbst einmal gesagt.“
Severus seufzte ein weiteres Mal, doch nicht mehr so genervt. „Also gut: Sagittarius serpentarius.“

Mit diesen beiden Worten war Remus einen Moment beschäftigt. Man konnte beinahe hören, wie sein Gehirn arbeitete. Während Severus längst mit dem Lesen begonnen hatte, weil es endlich ruhig war, übersetzte Remus die Worte nicht nur, sondern ergründete auch ihre Bedeutung.

„Ah“, machte Remus plötzlich. „Sagittarius ist der Bogenschütze! Ein Sternbild.“ Von Severus konfusem Gesichtsausdruck ließ er sich nicht ablenken. „Der Schütze liegt zwischen Skorpion und dem Steinbock! Und Serpentarius … Lass mich kurz überlegen.“ Gerade wollte Severus erwähnen, dass Remus falsch liegen würde, da sagte der: „Ja richtig, Serpentarius ist die alte Bezeichnung für ‘Ophiuchus‘, heißt aber das Gleiche und zwar ‘Schlangenträger‘. Das ist auch ein Sternbild und liegt zwischen Herkules und dem Skorpion.“ Ein selbstzufriedenes Lächeln zierte seine Lippen, während er überlegen nickte. „Ich habe ich Astronomie immer sehr gut aufgepasst!“
„Von was in Merlins Namen reden Sie da?“
„Ich bin mir sicher, dass ich es noch richtig in Erinnerung habe“, beteuerte Remus.
„Es geht aber nicht um Astronomie, sondern um …“ Wieder stoppte sich Severus.
„Um …?“ Plötzlich runzelte Remus die Stirn, als er sich an den Buchtitel erinnerte. „Es geht um Vögel, richtig“, rief er sich ins Gedächtnis.

Beide waren verwirrt. Severus wegen der Informationen über die Sternbilder und Remus darüber, dass er falsch gelegen haben sollte. Um nichts erklären zu müssen, schob Severus das aufgeschlagene Buch hinüber zu Remus und tippte auf die Kapitelüberschrift, die Remus leise vorlas.

„‘Der Sekretär (lat.: Sagittarius serpentarius)‘. Meine Güte, da lag ich ja Lichtjahre daneben“, nahm Remus sich mit seinen astrologischen Kenntnissen selbst auf den Arm. Interessiert betrachtete er das sich bewegende Bild von dem Vogel. „Er kommt im Wappen Südafrikas vor.“
„Tatsächlich?“ Severus hatte gar nicht vor nachzufragen. Es war einfach aus ihm herausgesprudelt.
Remus nickte. „Mit seinen ausgebreiteten Flügeln steht er symbolisch als Beschützer der Nation, über dessen Haupt eine goldene Sonne aufgeht.“

‘Eine goldene Sonne‘, wiederholte Severus in Gedanken, als er sich unerwartet an seinen Traum erinnerte, den Hermine damals für ihn entschlüsselt hatte.

„Der Vogel steht außerdem für die Überlegenheit gegenüber den Feinden.“ Endlich blickte Remus von dem Buch auf, weil er eine Feder kratzen hörte. Er konnte, wenn auch nur über Kopf, lesen, dass Severus die Information mit dem Wappen notierte wie auch die astrologischen Bedeutungen, die er vorhin genannt hatte. „Warum schreibst du das auf, wenn ich damit falsch gelegen habe?“
„Weil es …“ Er zuckte mit den Schultern. „Falls es wichtig sein sollte. Ich arbeite mit jemandem an …“
Severus schrieb und schrieb, vergaß dabei ganz, was er sagen wollte.
„Du arbeitest mit jemandem an was? An einem Trank, der Sirius zum Vollidioten werden lässt?“
Erstaunt blickte Severus auf, erwiderte dann trocken: „Dazu bedarf es keinerlei Tränke mehr.“

Remus musste laut auflachen, auch wenn dieser Scherz auf Kosten seines besten Freundes ging. Sirius würde es nie erfahren.

„Wenn ich dir irgendwie helfen kann, Severus, dann frag ruhig. Ich kenne mich in der Tierwelt aus – in der magischen wie auch der nicht magischen.“
„Und offensichtlich in Astrologie.“
„Astrologie hat viel mit Mythologie zu tun und das ist ein Thema, das mich schon immer interessiert hat.“
„Warum?“, wollte Severus wissen. Aus einer Vermutung heraus fragte er: „Weil in der Mythologie auch Werwölfe ihren festen Platz haben?“
Remus nickte. „Ich glaube, jeder Werwolf beschäftigt sich irgendwann einmal damit, in der Hoffnung, die Ursache für diesen Fluch zu begreifen.“
„Die Ursache lässt sich bestimmt nicht in der Mythologie finden.“
„Warum denn aber nicht? In jeder Überlieferung steckt ein Körnchen Wahrheit. Ich habe mir oft überlegt, ob der Fluch nicht auch gebrochen werden könnte.“
„Wenn es sich um einen Fluch handeln sollte.“
„Laut Mythologie ist es einer. Zeus hat König Lykaon zur Strafe verwandelt, weil der ihm Menschenfleisch vorgesetzt hatte.“
Severus verzog angewiderte das Gesicht. „Eine gerechte Strafe, wie ich finde.“
Von dieser Bemerkung fühlte sich Remus persönlich angegriffen. „Du findest es eine gerechte Strafe, einen Mörder in eine Bestie zu verwandeln, die ebenfalls Menschen tötet? Das war für Lykaon genauso wenig eine Strafe wie für Greyback! Beide haben es doch genossen!“
„Sie müssen deswegen nicht laut werden, Lupin. Ich meinte damit keinesfalls, dass Sie es in irgendeiner Weise verdient hätten, an diesem Fluch zu leiden. Das würde ich nicht einmal meinem ärgsten Feind wünschen.“
„Oh“, machte Remus, der sich schnell wieder beruhig hatte, „da wird sich Sirius aber freuen.“
„Seine flohverseuchte Animagusgestalt reicht vollkommen aus, da muss er nicht noch zu einem Wolf werden.“ Severus blickte Remus direkt in die Augen, bevor er fragte: „Haben Sie eigentlich eine Animagusgestalt?“
„Nein, mir genügt meine monatliche Zwangsverwandlung. Warum fragst du?“

Mit seinen Blicken weichte Severus ihm aus und mit einem Male fügte sich das Puzzle für Remus zusammen. Er machte ganze große Augen, als ihm eine Idee kam. Könnte es sein, fragte sich Remus selbst, dass Severus ein Animagus war?

„Nein, ist das wahr? Du?“ Remus blickte nochmals auf das Bild mit dem Vogel und tippte aufgeregt auf den Sekretär. „Du?“
„Hören Sie schon auf damit!“ Severus entriss ihm das Buch und widmete sich dem Kapitel.
„Severus?“ Der Angesprochene blickte nicht auf. „Severus, du machst das doch nicht allein, oder?“
„Was meinen Sie?“
„Ich meine die Tatsache, dass jedes Buch dazu ermahnt, bei der Verwandlung in einen Animagus nicht allein zu sein. Ich weiß das von James. Er hat mir erklärt, warum sie immer zu dritt waren, als sie geübt haben.“
Endlich blickte Severus auf. „Ich habe mich jemandem anvertraut, falls Sie das beruhigt.“
Remus atmete erleichtert aus. „Ja, das beruhigt mich.“

Einen Moment lang beobachtete Remus sein Gegenüber, als der wieder zu lesen begann.

„Wer?“
Wieder blickte Severus auf. „Was?“
„Ich meine, wer hilft dir? Hermine bestimmt nicht, sie kennt sich damit auch nicht aus.“
Tief durchatmend sammelte Severus alle Ruhe, die nötig war, um Remus eine Antwort zu geben, die jedoch anders ausfiel, als der gehofft hatte. „Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich doch an einen anderen Tisch gesetzt, Lupin.“
„Tut mir leid, ich werde nicht mehr stören.“ Einen Augenblick später fragte er: „Kann ich dir bei den Büchern irgendwie helfen?“

Severus hätte nie gedacht, dass Remus so hartnäckig sein könnte. Wütend sah er seinem Kollegen ins Gesicht und wurde von dessen weichen Zügen gleich wieder milde gestimmt.

„Sie schauen genauso treudoof drein wie mein Hund, wenn der irgendwas will“, zog Severus als Vergleich.
„Ich möchte nur helfen …“
„Mein Hund!“ Severus sprang besorgt vom Stuhl auf. „Wie spät ist es?“
„Wieso?“ Remus blickte auf seine Taschenuhr. „Es ist zwanzig vor drei. Was ist passiert?“
„Ich habe meinen Hund bei Hermine gelassen. Es ist wohl ein wenig spät, ihn jetzt zu holen.“
„Ach, das wird ihr schon nichts ausmachen“, beruhigte Remus ihn, so dass Severus wieder Platz nahm.

Es machte Hermine tatsächlich nichts aus. Auch sie schlief noch nicht, sondern hatte es sich am Tisch in der Küche gemütlich gemacht und sich erneut den Berechnungen mit den Hundehaaren gewidmet. Natürlich war es eine Berechnung, mit deren Ergebnis sie nichts anfangen können würde, doch sie sah es als eine Art Testlauf. Eine Übung für die Rechnung mit der Zutat, die sie hoffentlich demnächst von Severus erhalten würde.

Plötzlich hörte sie ein fiependes Geräusch neben sich. Der Hund hatte sich bemerkbar gemacht und blickte sie mit treuen Augen an.

„Er hat dich nicht vergessen“, sprach sie leise und mit warmer Stimme. „Er hat dich bei mir gelassen, damit er einen Grund hat, wieder herzukommen.“ Über ihre eigenen Worte musste sie grinsen. Harry winselte nochmals und ging daraufhin demonstrativ zu Fellinis Fressnapf hinüber. „Ich habe nur Katzenfutter im Haus“, entschuldigte sie sich bei dem hungrigen Vierbeiner.

Trotzdem stand sie auf, um in den Schränken nach etwas zu suchen, dass sie ihm geben könnte. In der gekühlten Vorratskammer stieß sie auf das bereits gebratene Hähnchen, das sie von ihrer Mutter bekommen hatte und sich morgen warmmachen wollte. Mit einem Seufzer verabschiedete sie sich von dem Gedanken, morgen nicht selbst kochen zu müssen. Das Fleisch war per Zauber im Nu von den Knochen getrennt und in ein Schälchen gefüllt, dass sie Harry vor die Nase stellte. Fellini, der die Geräusche aus der Küche gehört hatte, kam übermütig angepest und stahl sich einige Happen von dem Geflügel, die Harry abzugeben bereit war.

Mit zwei schmatzenden Tieren in der Küche widmete sich Hermine wieder ihren Berechnungen, die sie durchging, nur um festzustellen, dass sie fertig waren. Das Problem war nur, dass Sirius nicht das Gleiche fehlte wie Severus und der Rechenweg vermutlich wesentlich einfacher war, als er bei Severus werden würde. Trotzdem wusste sie zumindest, wie sie rechnen musste und was es für Möglichkeiten gab. Um später korrekt errechnen zu können, wie man Severus‘ Seele retten könnte, müsste sie erst noch den Wert für die Seele bestimmen. Eine Seele war in der Zaubererwelt natürlich nichts Unbekanntes, aber man war sich in Arithmantik-Kreisen uneinig, was der richtige Wert wäre. Da gab es einen Wert, den man auch mit Horkruxen in Verbindung brachte, dann einen für die fehlende Seele bei den Opfern von Dementoren und auch einen Zahlenwert für den Thymus. Hermine wollte sich später auf den letzteren Wert konzentrieren, denn sie war der Überzeugung, dass Harrys Magie auf diese hinter dem Brustbein sitzende Drüse eingewirkt haben musste und dass das genau die Stelle war, die Severus manchmal wehtat: Die Drüse, die laut antiker Überlieferungen als Sitz der Seele bezeichnet wurde. Die Berechnung mit Severus‘ Zutat würde ihr nicht so leicht von der Hand gehen. Sie müsste alle Fakten als Zahlen verarbeiten und die Ergebnisse den Zutaten zuordnen, die höchstwahrscheinlich für einen Heiltrank infrage kommen würden. Es war ähnlich wie Dreisatz, nur wesentlich komplizierter. Sie hätte Zahlen und müsste errechnen, was sie benötigen würde, um auf das vorbestimmte Ergebnis zu kommen und dieses vorbestimmte Ergebnis war das Wachstum seiner Seele. Sie fragte sich, ob sie ihn irgendwie auf nette Weise dazu überreden könnte, sich seinem Animagus zu widmen.

Gegen vier ging Hermine ins Bett, gefolgt von den Haustieren, die sich im Schlafzimmer auf den Boden legten. Sie hoffte, dass Severus spätestens zum Mittag kommen würde und schlief mit dem Gedanken an ein gemeinsames Essen ein.

Trotz des wenigen Schlafs war sie bereits um neun Uhr wieder hellwach. Voller Freude, mit Severus den Tag verbringen zu können, kleidete sie sich an. Sie musste sowieso zu Severus, denn auf einen Sonntag würde sie kein Hundefutter besorgen können. Fellini wollte sie mit nach Hogwarts nehmen, damit der ein wenig Abwechslung bekam. Von einer Reise durch den Kamin nahm sie Abstand. Hätte sie nur Fellini, könnte sie mit ihm auf dem Arm durchs Flohnetzwerk reisen, doch zusätzlich mit dem Hund war das ein schwieriges Unterfangen, weshalb sie sich dazu entschloss, vor die Tore Hogwarts‘ zu apparieren.

Der Druck, als würde sie durch einen Schlauch gepresst werden, machte den Tieren nichts aus, denn sobald sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, erkundeten sie neugierig die Landschaft. Hermine trat an das Tor heran, das ihr gleich darauf geöffnet wurde. Ob Albus die Kontrolle darüber hatte, wer hier ein- und ausgehen konnte oder ob das Schloss mit all seinen unergründlichen magischen Fähigkeiten dafür verantwortlich war, war ihr ein Rätsel.

Hund und Kater folgten ihr über die große Wiese, die zum Schloss führte. Fellini hüpfte einem zitronengelben Falter hinterher, während Harry sein Geschäft an einem Gebüsch verrichtete.

In den Kerkern traf Hermine den Gesuchten nicht an. Sie versorgte zunächst Harry mit etwas Futter und frischem Wasser, bevor sie beide Tiere zurückließ, um zur großen Halle zu gehen. Vielleicht war Severus schon dort. Auf ihrem Weg traf sie auf Harry und Ginny, die die gleiche Richtung eingeschlagen hatten.

„Hermine, schön dich zu sehen.“ Ginny umarmte ihre Freundin und auch Harry ließ es sich nicht nehmen, sie innig zu begrüßen.
„Ich suche Severus.“
„Wenn er nicht in seinen Räumen ist, ist er bestimmt schon beim Frühstück. Sonntags ist er immer sehr früh dort, damit er fertig ist, bevor die Schüler kommen“, erklärte Harry auf dem Weg in die Halle.

Weit und breit war Severus nicht zu sehen. Remus winkte Harry und Hermine zu sich heran, während Ginny bei ihren Mitschülern am Gryffindortisch Platz nahm. Remus sah müde aus, was Harry gleich ansprach.

„Schlecht geschlafen?“
„Nein, Harry. Ich habe gut geschlafen, nur zu wenig. Ich war bis spät in die Nacht mit Severus in der Bibliothek.“
„Mit Severus? Wo ist er jetzt?“, wollte Hermine wissen, die von Remus dazu aufgefordert wurde, den Stuhl zwischen ihren beiden Freunden einzunehmen.
„Ist er nicht in den Kerkern?“ Weil Hermine verneinte, vermutete Remus: „Dann könnte er bei Minerva sein.“
Harry setzte sich neben Hermine. „Wieso bei Minerva?“
„Vielleicht, weil sie …“ Gerade noch rechtzeitig biss er sich auf die Zunge. „Ich weiß es nicht.“

Zwar hatte Remus nicht versprochen, den Mund zu halten, aber er hielt es für selbstverständlich. Es sollte Severus überlassen sein, die anderen über seine Animagusform zu unterrichten. Er bemerkte jedoch, dass Hermine einen glücklichen Eindruck machte. Sie freute sich, denn sie schien zu ahnen, mit was sich Severus beschäftigte.

Severus hielt sich nicht, wie man vermutete, bei Minerva auf, sondern in der Bibliothek, um das zu tun, wovon ihn Remus gestern die meiste Zeit abgehalten hatte. Auf einen Sonntag betrat kaum ein Schüler freiwillig den Wirkungsbereich von Madam Pince. Wenn sich doch ein Streber hierher verirrte und seinen Lehrer für Zaubertränke bemerkte, setzte er sich entweder ganz weit weg oder verließ den Raum auf der Stelle. So kam es, dass Severus sich die Bibliothek nur mit Gordian Foster teilte, der an der entgegengesetzten Ecke des Raumes an einem Tisch saß und vorbildlich für die ZAGs lernte. Von ihm wurde am meisten verlangt. Er hatte immerhin zwei Klassen übersprungen und wäre der jüngste Schulabgänger Hogwarts, sollte er die Prüfungen bestehen.

Mit den Büchern vom Vortag hatte Severus sich wieder auf seine Recherche über den Sekretär eingelassen und was er las gefiel ihm. Die Eigenschaften des Vogels entsprachen seinen eigenen, was kein Wunder war, denn darauf baute das ganze Konzept des Animagus-Zaubers auf. Es war dennoch interessant zu erfahren, welchen Instinkten das Tier in ihm nachging.

Am liebsten fraßen diese Vögel Schlangen, wie Severus es bereits in seinem Geiste gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte er als Kind im Fernsehen oder im Zoo gesehen, wie so ein Sekretär auf Schlangen losging, um sie erst mit flotten Zickzackbewegungen zu verwirren, bevor er sie mit kräftigen Tritten tötete. Sekretäre hielten sich überwiegend am Boden auf, weil sie dort jagten. Mit ihren langen Stelzbeinen waren sie flink und gewandt, konnte am Tag bis zu dreißig Kilometer zurücklegen. Diese Vögel steckten sich kein Territorium ab, sondern zogen von Ort zu Ort durch die Savannenlandschaft. Nur zur Brutzeit ließen sie sich nieder und verteidigten ihr Nest, das sie in dem Wipfel eines kleinen Baumes oder auf einem dornigen Busch erbaut hatten, gegen Konkurrenten und Feinde. Die Vögel waren mutig und brachten sich auch vor Flächenbränden nicht in Sicherheit, warteten stattdessen am Rande des Feuers auf die fliehenden Tiere, die sie verspeisen oder ihren Jungen bringen wollten. Nur in tatsächlichen Notsituationen erhoben sie sich mit ihren großen Flügeln in die Lüfte oder aber auch, um während der Brutzeit über dem eigenen Nest zu kreisen, um den Nachwuchs vor Angreifern zu schützen.

„Sir, darf ich Ihnen eine Frage stellen?“
Severus schreckte von seinem Text hoch und blickte Gordian durch zusammengekniffene Augen an. „An einem Sonntag?“
„Ich entschuldige mich dafür, Ihre Erholungsphase zu stören.“
„Machen Sie sich über mich lustig?“, giftete Severus zurück, obwohl er wusste, dass er wegen des Schlafmangels wie ein lebender Toter aussehen musste.
„Keinesfalls, Professor Snape. Jeder muss mal ausspannen.“ Bevor er es schlimmer machte, als es war, fragte der Schüler einfach drauf los: „Der Unterschied der Wirkung zwischen Salamanderblut und Greifenklauenpulver ist mir nicht ganz klar. Beides sind Substanzen mit vitalisierenden Eigenschaften. Warum werden nicht beide Zutaten in einem Trank benutzt? Das würde einen Stärkungstrank doch um einiges aufbessern oder nicht?“
„Würde es nicht, Mr. Foster. Das Pulver würde durch die ergogenen Stoffe des Salamanderblutes verklumpen. Beide Zutaten heben sich gegenseitig in ihrer Wirkung auf. Heraus käme ein ineffizientes Gebräu, das nur noch scheußlich schmeckt.“
„Aber …“ Gordian hielt inne, weil er ahnte, dass jetzt nicht der richtige Augenblick war, seinen Lehrer mit Fragen zu löchern. Sein Blick fiel auf die aufgeklappten Bücher und das Tier, das auf zwei der Seiten abgebildet war, was Severus nicht entging.
„Ich rate Ihnen“, zischte Severus, „halten Sie sich aus Dingen heraus, die Sie nichts angehen!“ Es fehlte noch, dass Gordian sich etwas Haarsträubendes zusammenreimen und herumerzählen würde.
„Verzeihen Sie, ich störe Sie nicht weiter, Sir.“

Um von dem Schüler nicht ein weiteres Mal behelligt zu werden, verließ Severus die Bibliothek, nachdem er die Bücher wieder weggestellt hatte. Er hatte genug gelesen.

Minerva war sein nächstes Ziel. Sie war gerade fertig mit dem Frühstück und erwartete ihn.

„Warum überrascht es mich nicht, dass du dich jetzt schon bei mir einfindest? Hast du genügend Informationen gesammelt?“
„Ich wäre sonst nicht hier.“
„Deine Stimmung steht wie üblich mal wieder im Gegensatz zum strahlenden Sonnenschein draußen. Ich hätte gut Lust, ein wenig spazieren zu gehen.“

Sie hielt ihm vor Augen, dass sie freiwillig ihre Zeit opferte, obwohl sie diese sehr gut anders verbringen könnte. Weil er nicht antwortete, zeigte sie auf den Boden und erwartete offenbar, dass er dort Platz nehmen sollte.

„Muss ich zur Strafe jetzt neben dem Stuhl sitzen?“
„Es ist sicherer. Du könntest nach einer erfolgreichen Verwandlung für einen Moment verwirrt sein und fallen. Das möchte ich nicht riskieren, also setz dich bitte auf den Boden.“ Minerva nahm ihm gegenüber auf dem Stuhl Platz, der ihm verwehrt blieb. „Da du das Tier nun kennst, wirst es in deinem klaren Bewusstsein finden, wahrscheinlich sogar gleich, nachdem du dein Innerstes betreten hast. Die Verwandlung findet auf geistiger Ebene statt, also drück das arme Tier nicht verzweifelt an dich.“ Den bösen Blick, den er ihr zuwarf, ignorierte sie. „Es ist anfangs leichter, wenn man den Animagus berührt, um dann die Verwandlung herbeizurufen. Später reicht der pure Gedanke an die tierische Gestalt, ohne sich vorher darauf konzentrieren zu müssen. Es ist ähnlich wie beim Apparieren: Ziel, Wille, Bedacht. Das Ziel ist klar, der Wille ist die Bereitschaft zur Verwandlung. Es bedarf allerdings nicht allzu viel Bedacht, um das bewerkstelligen zu können. Du wirst dich in Zukunft selbst in stressvollen Situationen mit Leichtigkeit verwandeln können, wenn du es erst einmal beherrschst.“

Sie hob einen Zeigefinger. Das war der Moment, in dem sich Severus tatsächlich wieder wie ein Erstklässler fühlte und er verabscheute es.

„Die Rückverwandlung! Das läuft genauso ab; mit dem Ziel, ein Mensch werden zu wollen und dem Willen, die Gestalt erneut zu wechseln. Es wird dir beim ersten Mal eventuell schwerfallen, weil so viele neue Empfindungen auf deine tierische Gestalt einwirken werden.“
„Aber ich werde doch meinen menschlichen Verstand behalten?“, fragte Severus ungewohnt befangen.
„Natürlich, aber es kommen die animalischen Instinkte hinzu, die du verarbeiten musst. Ein Hund ist beispielsweise vor seinem Jagdtrieb nicht sicher, weshalb viele Animagi gern noch das Stöckchen holen.“ Severus glaubte für einen Moment, sie würde ein Grinsen unterdrücken. „Du wirst durch andere Augen sehen, Severus, anders fühlen und die Umgebung vollkommen verändert wahrnehmen, was Gerüche oder Geräusche betrifft. Anfangs wirst du mit deinen Flügeln nichts anzufangen wissen. Sei darauf vorbereitet, dass dir selbst bekannte Orte fremd vorkommen werden.“

Mit einem Kopfnicken zeigte er seine Bereitschaft zur Verwandlung, bevor er die Augen schloss und sich konzentrierte. Diesmal baute er keine Mauer um seinen Geist herum auf, denn er musste später unbeschwert nach draußen gelangen. Es dauerte eine Viertelstunde, bis er endlich die Muße hatte, ungeschützt von seiner Umgebung loszulassen und sich in seinen Geist zu begeben. Er vertraute, dass Minerva ihn beschützen würde, sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen.

Wie seine Kollegin es vorhergesagt hatte, musste er nicht lange suchen. Severus hatte nicht einmal eine der vielen Türen öffnen müssen, denn der Sekretär hielt sich in dem langen Korridor auf und schien auf etwas zu warten – oder sogar auf ihn. Als der Vogel ihn bemerkte, schnellte der Kopf hoch, der noch einige Male schräg gelegt wurde, als es den schwarz gekleideten Mann neugierig durch die rötlich umrandeten Augen betrachtete. Einen Moment später stakste es furchtlos auf ihn zu. Der Kopf wurde jedem Schritt nachgezogen, jedoch weniger ruckartig, wie man es von den meisten Vögeln kannte. Die Laufbewegung wirkte geradezu erhaben und edel. Als der Vogel vor ihm stand, ging Severus in die Knie.

„Schaffen wir es auch ohne Berührung?“, fragte Severus herausfordernd. Er wollte Minerva beweisen, dass er ein sehr gelehriger Schüler war. Ohne den Sekretär anzufassen, konzentrierte er sich auf die Verwandlung. Einige Versuche später war der Vogel plötzlich so dicht bei ihm, dass sich Severus eingeengt fühlte und zurückweichen wollte. Zu spät bemerkte er, dass die Animagusgestalt nicht einfach nur nahe bei ihm war, sondern in ihn übergegangen war. Mit nur einem Schritt hatte Severus seine Gedankenwelt verlassen – diesmal in tierischer Gestalt.

Aufgescheucht schaute er sich um. Alles wirkte so groß, selbst die Sessel und – er schluckte – Minerva, die ihn aufmerksam beobachtete. Aus reinem Instinkt trat er zurück und stolperte über die eigenen langen Beine. Um das Gleichgewicht zu halten, streckte er die Arme aus, doch es waren keine Arme, sondern Flügel mit einer Spannweite von 2,20 Meter, die auch gleich den Tisch leerfegten. Von dem Geräusch des auf den Boden fallenden Teeservices erschrak er, so dass er einen Satz machte und dabei kräftig mit den Flügeln schlug, was wiederum den Quidditchpokal im Regal zum Wackeln brachte.

„Severus“, hörte er die vertraute Stimme seiner Kollegin, „bleib ruhig! Setz dich hin.“

Sein kleines Vogelherz schlug so schnell, dass ihm ganz schwindelig wurde. Es war nicht ihre Bitte, sondern sein Unwohlsein, das ihn in die Knie zwang. Sein nach unten gebogener Schnabel war leicht geöffnet, damit er genügend Luft bekommen würde. Der lange Hals schwang hin und her. Ihm wurde ganz schwummerig. Irgendwie hatte er es geschafft, sich auf den Allerwertesten zu setzen, der sich so exotisch anfühlte. Er wusste gar nicht, wohin mit seinen langen Beinen. Die Flügel hatte er weit ausgestreckt und sie fächerten sich über dem Boden auf, um wenigstens etwas Halt vorzugaukeln.

„Werd‘ mir bloß nicht ohnmächtig, hörst du?“ Er hatte gehört, aber er konnte natürlich nicht antworten, denn als er es versuchte, brachte er nur ein leises Krächzen hervor. Minerva war die Ruhe in Person. Gemächlich und ohne plötzliche Bewegungen stand sie auf und zog ihren Stab, den sie nicht, wie er befürchtete, auf ihn richtete, sondern auf das Teeservice am Boden. Aus der silbernen Kanne zauberte sie eine große Schale, die sie mit Hilfe eines Aguamenti mit Wasser füllte. Diese Schale brachte sie zu dem Vogel hinüber, der noch immer so am Boden saß wie eine in sich zusammengesackte Marionette, deren Fäden man gekappt hatte. Das Wasser sah für ihn verführerisch aus, doch aus der jetzigen Position heraus konnte er nichts trinken, weswegen er langsam und vorsichtig versuchte, seine Beine und Flügel zu ordnen, um aufstehen zu können.

Leicht taumelnd stand er auf seinen Beinen und betrachtete mit gesenktem Haupt die kräftigen Füße, die durch Hornplättchen vor Schlangenbissen schützen konnten. Vor ihm stand die Schale mit Wasser. Es war wegen der langen Beine ein schier unmögliches Unterfangen, den Kopf zu senken, um seinen Durst zu stillen. Kaum hatte er sich gebeugt, drohte er wegen der ungewohnten Gewichtsverlagerung vornüber zu kippen, und damit er nicht fallen würde, spreizte er abermals seine Flügel. Unkoordiniert trat er kräftig in die Wasserschale, die laut scheppernd gegen eines der Tischbeine stieß. Severus war von oben bis unten durchnässt, fühlte aber sogleich einen angenehmen Trocknungszauber, den Minerva aus Mitleid in seine Richtung abgegeben hatte.

Severus verbrachte unter Minervas wachen Augen ein wenig Zeit damit, ihre Räume zu erkunden. Mit dem Schnabel versuchte er, nach einem Teelöffel zu greifen, der jedoch zu schwer war. Als ihm kein Sinn einfallen wollte, was er als Vogel mit einem Teelöffel anstellen könnte, ließ er von seinem Vorhaben ab und widmete sich den Fransen an einem der Couchkissen, an denen er ausgelassen zupfte und zerrte. Nachdem er sich genügend mit seinem Schnabel vertraut gemacht hatte, wurde ihm auch diese Beschäftigung zu langweilig und er suchte nach etwas Neuem. Er wollte unbedingt die Kraft seiner Beine austesten, doch er war froh, mittlerweile erst einmal laufen zu können, ohne ungelenk hin und her zu schlenkern. Jetzt schon im Zickzack zu rennen oder gar auf einen Feind einzutreten traute er sich noch nicht zu.

Seltsame Gerüche lagen in der Luft, deren Ursache er nach und nach ausfindig machte. Da war zum einen der Kamin, dessen verbrannte Wände nach Ruß stanken. Auf dem Tisch in einer Büchse konnte er Ingwer wahrnehmen. Neben all diesen Gerüchen war einer am stärksten und der zog ihn direkt zum Fenster. Die weißen Wolken, die langsam vom Wind getrieben wurden, weckten die Lust nach Freiheit. Minervas Büro war kaum ein geeigneter Ort für einen Vogel. Vorsichtig stieß er mit seinem Schnabel gegen die Scheibe.

„Nein, Severus. Dazu ist es noch zu früh. Geh die Sache langsam an. Gewöhn dich erst an deine Gestalt.“

Ihre Worte wehten wie ein sanftes Lüftchen durch sein Gehör, so dass er sie nicht einmal wahrnehmen konnte. Zu groß war die Sehnsucht, die Luft da draußen zu atmen, das Rascheln der Nager im Gras zu vernehmen und am Himmel seine Runden zu drehen. Als er all diese Eindrücke auf sich wirken ließ, wurde er sich über eine Sache bewusst. All die Liebe zu den natürlichen Dingen war für ihn der Beweis, dass sein Animagus über eine Seele verfügte. Severus empfand Freude und Aufregung. Unruhe machte sich in ihm breit, als er begriff, dass Minerva ihm seinen Wunsch nicht gestatten wollte. Flehend blickte er zu ihr hinüber, damit sie das Fenster öffnen würde. Nicht einmal im Traum fiel ihm ein, sich selbst zurückzuverwandeln und die Balkontür zu öffnen. Der Drang, wie die Wolken am Himmel zu schweben, war momentan stärker als sein klarer Verstand, denn Freiheit, das spürte er am eigenen Leib, zählte zu den erhabensten aller Gefühle. Er wollte nach draußen. Er wollte noch mehr fühlen.

Es klopfte. Erschrocken machte er einen Satz zur Seite, stieß dabei mit seinem Körper einen Beistelltisch um. Minerva war derweil zur Tür gegangen. Die Tür, registrierte Severus‘ berauschter Geist, führte ebenfalls nach draußen.

„Grüß dich, meine Liebe“, hörte man Albus‘ Stimme durch den Spalt sagen. Minerva öffnete die Tür nicht weiter.
„Albus, du kommst in einem wahrlich ungelegenen Moment.“
„Hast du Besuch? Ist Severus bei dir?“ Minerva kämpfte um eine Antwort, denn sie wollte ihren Gatten weder schroff abwimmeln noch anlügen. „Ich frage nur“, fuhr Albus fort, „weil er gesucht wird.“

Immer näher stakste Severus an den Türspalt heran, der ihm die Freiheit versprach. Es war, als würden die Bande der Natur ihn umschlingen und nach draußen zerren.

„Albus, ich bitte dich, komm später wieder. Ein, ähm, Schüler ist bei mir.“
„Ah, ich verstehe. Dann werde ich nicht länger …“

Albus verstummte, als sich in Windeseile ein großes gefiedertes Tier durch den Türspalt an ihm vorbei in den Flur drängte. Aufgescheucht riss Minerva die Tür auf und eilte dem Vogel hinterher, rief dabei, er solle stehenbleiben. Severus war zu schnell für sie. Endlich war er nicht mehr auf engem Raum eingesperrt und konnte eine Kostprobe seiner Schnelligkeit nehmen. Er begann, den Flur im ersten Stock entlangzurennen. Sein Körper war leicht, brachte gerade mal drei Kilo auf die Waage. Es gab Katzen, die mehr wogen als er, doch er war weitaus größer und vor allem schneller. Temporeich passierte er das Klassenzimmer für Geschichte der Zauberei, später die Toilettenräume der Maulenden Myrte, bis er zur Treppe kam, die ins Erdgeschoss führte.

Im Erdgeschoss stürmte er an dem Büro von Filch und dessen Haustier Mrs. Norris vorbei, die vor verschlossener Tür saß. Die Katze des Hausmeisters versuchte, dem riesigen Vogel zu folgen, aber er ließ sie schnell hinter sich, wie auch das Lehrerbüro, aus dem gerade Filius heraustrat und den er beinahe umgerannt hätte.

Severus bog erneut in einen Gang ein, der zur Eingangshalle führte. Der Weg nach draußen war nicht mehr fern; er konnte es riechen. Die Blumen, die Erde, die Tiere. Schüler tauchten im nächsten Gang vor ihm auf und für nur einen kurzen Moment überlegte er, kehrt zu machen und zu Minerva zurückzugehen. Der Gedanke schien jedoch von dem schnell durch seinen Körper gepumpten Blut augenblicklich fortgewischt. Er steuerte weiterhin auf die Gruppe von Schülern zu, die an einem Sonntag erst spät ihr Frühstück einnehmen wollten. Es waren eine Menge Schüler. Er durfte nicht riskieren, von ihnen getreten oder gefangen zu werden, doch es gab einen anderen Weg, dieses Hindernis zu nehmen; einen viel besseren.

In dem Moment, als eine der Schülerin auf den sich schnell der Gruppe nähernden Vogel zeigte und mit ihren Worten die anderen auf ihn aufmerksam machte, spreizte er auch schon die Flügel und stieß sich kräftig vom Boden ab. Über die Köpfe der erschrockenen Schüler hinweg, die sich vorsichtshalber duckten und ihr Haupt mit den Armen schützten, flog der große Vogel in die Eingangshalle und weiter in Richtung Freiheit. Er konnte von Glück sagen, dass der Ausgang zum Pausenhof gerade offen stand.

„Harry“, Ginny zerrte wie ein aufgeregtes Kind an seinem Umhang. „Harry, sieht doch mal!“

Harry und Remus, die gerade ihr Frühstück beendet hatten, folgten Ginnys Zeigefinger, sahen aber gerade noch für vielleicht zwei Sekunden, wie etwas Großes durch die Tür auf den Pausenhof geflogen war.

Severus hatte es geschafft. Der Wind sammelte sich unter seinen Schwingen und trug ihn hinauf, höher und höher. Behutsam legte die Sonne ihre Arme um ihn und wärmte sein Gefieder. Der Duft der feuchten Erde berauschte ihn mehr als das Morphium der Träume. Übermächtig war das Gefühl, so nahe an der Grenze zur himmlischen Seligkeit zu schweben. Bald musste er nicht einmal mehr mit den Flügeln schlagen, sondern durfte sich von den Brisen treiben lassen.

Allmählich gewann Severus‘ menschlicher Verstand wieder die Oberhand. Während er sich das Schloss und die dazugehörigen Ländereien aus der Vogelperspektive betrachtete, resümierte er, wie es dazu gekommen war, dass er sich überhaupt hier oben befand. Da waren Schüler gewesen, erinnerte er sich dunkel. Menschen, die den Vogel gesehen hatten. Albus.

Wenn Vögel stöhnen könnten, würde der Sekretär es jetzt tun. Hätte er geahnt, wie enthemmend sich eine Animagusgestalt auf die immer so gut bewahrte Disziplin auswirken könnte, hätte er Minerva das Versprechen abgerungen, ihn um nichts in der Welt frei herumlaufen zu lassen.

Die Sorge um die möglichen Konsequenzen für sein Handeln war augenblicklich wieder verflogen, als er ein paar verliebte Eulen bemerkte, die am Himmel ihre eigene Freiheit genossen.

Über dem Verbotenen Wald zog er ein paar Kreise, bevor er davon überzeugt war, das Fliegen mit all den Tücken, die aus heftigen Windstößen und unsichtbaren Strudeln bestanden, zu beherrschen. Severus setzte in der Nähe des Waldes zur Landung an, die ihm sogar einigermaßen graziös gelang. Zumindest war die Landung anmutiger anzusehen als Harrys Ausstieg aus einem Kamin, was dem Retter der Welt noch heute holprige Schwierigkeiten bereitete.

Schon dieses kleine Stückchen Natur um Severus herum war das reinste Paradies. Zwischen den langen Gräsern hörte er Frösche leise quaken und das fröhliche Gezwitscher der Vögel hoch oben in den Bäumen drang an seine Ohren. Beides zusammen mit dem leisen Summen und Zirpen verschiedener Insekten glich einem festlichen Begrüßungschor, mit dem man ihn in der Ordnung der Natur willkommen heißen wollte. Severus fühlte sich wohl.

„Nein, was bist du denn für ein Hübscher?“, sprach eine tiefe Stimme mit hörbarer Bewunderung.
‘Hagrid!‘ Severus war der Panik nahe, als er den tierlieben Halbriesen nur wenige Meter von sich entfernt bemerkte. Wie hatte er ihn bei der Körpergröße übersehen können? Er hoffte nicht, dass Hagrid mit dem Gedanken spielte, sich seiner annehmen zu wollen, um ihn totzupflegen, obwohl ihm gar nichts fehlte. Offenbar schätze er Hagrid jedoch falsch ein. Der Wildhüter näherte sich ihm nicht einmal, betrachtete ihn aber von oben bis unten.
„Du bist nich‘ von hier“, stellte Hagrid ganz richtig fest, wenn er damit nur die Animagusform meinte. „Bist wohl aus ‘nem Zoo ausgebüxt.“

Von all den beeindruckenden Gerüchen und Geräuschen des Waldes ganz benebelt hätte Severus beinahe wieder seinen klaren Verstand eingebüßt, doch das Knacken von Ästen hinter ihm ließ ihn herumfahren. Thestrale! Der Instinkt zur Flucht war groß, aber in der Luft hätten die geflügelten pferdeähnlichen Kreaturen leichtes Spiel mit ihm, weshalb er sich lieber für den Schutz durch den Wildhüter entschied. Severus wusste, dass Hagrid die Herde so dressiert hatte, dass die Vierbeiner nicht einmal Posteulen angreifen würden, aber er war keine Eule. Er war für die schwarzen dürren Tiere, die ihn durch geisterhaft weiße Augen anstarrten, nur ein Vogel, den sie nie zuvor gesehen hatten. Severus prägte sich den Geruch der Tiere ein, damit er ihnen in Zukunft aus dem Weg gehen könnte, als plötzlich ein ganz anderer Duft präsent war. Er war intensiv und hing so schwer in der Luft wie der Duft von Zuckerwatte auf einem Rummel. Der Geruch weckte einen der Urinstinkte. Es war Blut.

Severus rügte sich dafür, nicht gefrühstückt zu haben, denn jetzt bekam er Hunger. Wie spät war es überhaupt? Die Sonne stand noch hoch am Himmel, aber sein Zeitgefühl war ihm vollkommen abhanden gekommen. Er wollte zurück zum Schloss gehen, doch vor den Thestralen und ihren spitzen Zähne hatte er Respekt. Es kam auch nicht in Frage, sich hier und jetzt vor Hagrid zurückzuverwandeln. Der Wildhüter war ein Quasselkopf. Innerhalb weniger Stunden würde ganz Hogwarts wissen, dass sich hinter dem fremden Vogel der Zaubertränkelehrer verbarg. Damit würde er wahrscheinlich vor der ganzen Schule sein Gesicht verlieren. Hätte er sich nur nicht von der Sehnsucht nach Freiheit übermannen lassen, mit der ihn seine Animagusform am Ende bezwungen hatte. Andererseits war er froh gewesen, loslassen zu können; all die Pflichten hinter sich zu lassen und sich den niederen Trieben zu ergeben.

Ein Stückchen Fleisch kullerte unverhofft an ihn heran. Irritiert blickte Severus auf. Hagrid fütterte die Thestrale und hatte ihm, dem unbekannten Vogel, uneigennützig etwas abgegeben. Neugierig roch er an dem Stück. Es war frisch. Severus wusste intuitiv, dass er es auch noch fressen würde, selbst wenn es schon einen Tag hier liegen würde. Offenbar machte ein Sekretär auch vor Aas nicht Halt. Mit einem seiner kräftigen Füße fixierte er das Fleisch am Boden, beugte sich hinunter und riss mit seinem Schnabel ein faseriges Stück heraus, das er gierig hinunterschlang. Sein Hunger war mit einigen Happen schnell gestillt.

Die Thestrale waren noch mit der eigenen Fütterung beschäftigt. Severus nutzte die Gelegenheit, um sich ungesehen aus dem Staub zu machen.

Zu Fuß erkundete er das Ufer des Sees und genoss es, mit den Füßen im Wasser zu waten. Auch wenn Sekretäre in der Regel selten flogen, war das die Beschäftigung, die ihm bisher am meisten Freude bereitet hatte. Mit etwas Anlauf erhob er sich ein zweites Mal in die Lüfte und zog seine Kreise.

Er machte einen Abstecher zur Eulerei, wurde aber von einigen mutigen Posteulen dazu genötigt, den Kurs wieder zu ändern. Nur vage erinnerte er sich, dass Eulen ab März bereits brüteten; Waldkäuze sogar schon ab Februar. Als Greifvogel war er eine Gefahr für die Jungtiere. Mit seinem großen Körper würde er sowieso nicht durch die Öffnungen des Turms passen, durch die die Vögel in die Eulerei gelangen konnten, also ignorierte er die aufgeregten Schuhu-Laute der gefiederten Freunde und flog zurück in die Nähe des Schlosses.

Ein paar Flügelschläge später sah er plötzlich etwas auf sich zukommen. Im ersten Moment glaubte Severus, sich einem anderen Greifvogel zu nähern, bis sich das Objekt langsam schärfer zeichnete. Es war jemand auf einem Besen.

Sofort flog Severus ein Ausweichmanöver, machte dabei eine Drehung um neunzig Grad und steuerte auf den Wald zu, doch die Person auf dem Besen war schneller als er. So schnell er konnte schlug Severus mit den großen Flügeln, was mit der Zeit sehr anstrengend für ihn wurde. Gegen den Verfolger hatte er keine Chance.

„Halt!“, rief die Person auf dem Besen, doch die Stimme konnte er bei dem Rauschen des Windes nicht erkennen. Als der Besenflieger sich um wenige Meter genähert hatte, hörte er nochmals die Aufforderung, langsamer zu fliegen. Das Herz rutschte ihm in die außergewöhnlich langen Schwanzfedern, als er neben sich Harry bemerkte, der sich Mühe gab, mit ihm auf gleicher Höhe zu fliegen, aber dabei so viel Abstand hielt, dass die Flügelschläge nicht beeinträchtigt werden würden.

„Professor McGonagall lässt ausrichten, dass Sie zurück ‘zum Stützpunkt‘ kommen sollen, wo auch immer das sein soll!“, rief Harry laut, damit seine Stimme nicht einfach ungehört vom Wind weggetragen werden würde.

Mit einer Bitte in Befehlston hatte Minerva ihn auf den Besen gescheucht und hinterhergeschickt, um dem durchgebrannten Tier ihre Nachricht zu übermitteln. Es war für Harry eine seltsame Situation, einem Vogel zu folgen und mit ihm zu sprechen. Natürlich ahnte er, dass es sich um einen Animagus handeln könnte, aber er wusste nicht, wer es sein könnte.

„Sie schien sehr besorgt“, fügte Harry hinzu, der sich zu fragen schien, was er tun könnte, um den Vogel zum Rückflug zu bewegen.

Es war Severus nicht entgangen, dass Harry ihn siezte und auch nicht mit Vornamen ansprach. Minerva hatte offenbar ihr Versprechen gehalten und niemandem die Identität des Sekretärs preisgegeben. Severus gab auf und steuerte die Brücke an, über die man zum Schloss zur Hütte des Wildhüters gelangte. Harry folgte ihm.

Unter einer der hölzernen Streben flog Severus mit Leichtigkeit hindurch, bevor er sicher auf der Brücke landete. Harry hingegen hatte arge Schwierigkeiten, denn er passte mit dem Besen nicht durch die schrägen Balken. Er musste, während er schwebte, erst vorsichtig vom Besen auf das Geländer der Brücke klettern. Er war etwas außer Atem, als er endlich festen Boden unter den Füßen hatte. Seinen Besen zog er noch durch die Pfeiler, bevor er seine ganze Aufmerksamkeit dem Tier widmen konnte, dem er gefolgt war. Harry musterte den Vogel skeptisch, der ruhig vor ihm stand und auf etwas zu warten schien.

„Soll ich gehen?“, fragte Harry unsicher, weil er nicht wusste, ob die Person – wenn es tatsächlich ein Animagus sein sollte, denn Minerva hatte keinerlei Informationen gegeben – bei der Rückverwandlung lieber allein sein wollte. „Ich gehe besser.“

Harry blieb höflich und wandte sich um, damit er den Rückweg über die Brücke ansteuern konnte. Mit einem Male hörte er es hinter sich rascheln. Ganz automatisch blickte er wegen des seltsamen Geräuschs über seine Schulter und kam ins Wanken, als er Severus genau dort stehen sah, wo eben noch der prächtige Vogel gewesen war.

„Ich glaub’s ja nicht!“ Mit diesen Worten zeugte ein breit grinsender Harry all seinen Respekt. Severus‘ Herz, auch wenn es nicht mehr so klein war, schlug trotzdem noch sehr schnell. „Wie war’s?“, hauchte Harry ehrfürchtig und mit glänzenden Augen.
„Es war …“

Die zauberhaften Lehren seiner Animagusgestalt waren für Severus nicht in irdische Worte zu fassen. Der Vogel hatte den kleinen Teil seiner Seele berührt und ein Wunder verrichtet, indem er ihn für ein paar Stunden in so unschuldiger Art und Weise an den kleinen Freuden teilhaben ließ. Das Erlebnis hatte Severus die Sprache verschlagen. Eines wusste er mit Sicherheit, denn wenn er sich in Zukunft seinem Innersten zukehren sollte, würde er keine trostlose Stille mehr vorfinden, sondern feurige Lebendigkeit. Severus wollte, aber er konnte nicht antworten, was er mit einer hilflosen Geste seiner Hände und einem entschuldigendem Blick untermalte, der einen Augenblick später sehnsüchtig gen Himmel wanderte, als sich dort ein Schwarm Vögel formatierte.

„Ja …“, stimmte Harry dem Gefühl langsam nickend zu, denn er schien zu verstehen und Severus glaubte ihm das sogar. Auch Harry liebte das Fliegen.

Auf dem hölzernen Boden, halb unter seinem Umhang, lag eine schwarze lange Feder, nach der sich Severus bückte. Ein Überbleibsel seines eindrucksvollen Ausflugs in die Natur, die er nun nicht mehr als selbstverständlich hinnehmen konnte. Harry sah dabei zu, wie Severus die Feder behutsam in die Innentasche seines Umhangs steckte; genau dorthin, wo er auch seinen Zauberstab aufbewahrte.

„Lass uns zurück zum Schloss gehen“, schlug Severus mit verklärtem Blick vor, als er sich bereits in Bewegung setzte. Harry ging gleich neben ihm, in einer Hand den Besen haltend.
„Was sagen wir?“
„Wie bitte?“
Harry zuckte mit den Schultern. „Wir sollten die gleiche Geschichte erzählen. Einige Schüler haben den Vogel gesehen. Ein paar haben geglaubt, das wäre ein Angriff gewesen.“ Weil Severus ihm einen ungläubigen Blick schenkte, nickte Harry bestätigend. „Wirklich! Sie dachten, das wäre vielleicht ein Todesser.“
„Damit hätten sie ja nicht ganz Unrecht“, scherzte Severus.
„Wir sagen einfach, der Vogel wäre uns entwischt.“
„Weiß denn niemand …?“
Harry unterbrach. „Nein, nicht einmal ich wusste es. Minerva hat einfach meinen Twister herbeigerufen und mich nach draußen gedrängt. Sie kann übrigens ganz schön kräftig schubsen. Aber wem ich folgen soll, hat sie nicht gesagt, nur dass es ein großer grauschwarzer Vogel mit roten Augen wäre.“
„Es wäre nett, wenn es niemand erfahren würde, solange ich noch hier beschäftigt bin“, verlangte Severus gelassen. „Danach ist es mir gleich.“
„Darf ich fragen, warum? Ich meine, warum eine Animagusform und warum jetzt?“
„Warum jetzt?“, wiederholte Severus murmelnd. „Die Form wäre mir bei meiner damaligen Lebensaufgabe nicht von Nutzen gewesen.“
„Und warum jetzt?“
„Hermine wollte. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich keinen Gedanken daran verschwendet.“
Harry runzelte die Stirn. „Und warum wollte Hermine …?“ Er stoppte sich selbst. „Ach, schon gut. Ich bin sicher, es hat einen Sinn.“

Beide näherten sich dem Schulhof, über den sie ins Schloss gelangten. In der Halle warteten schon einige, unter anderem auch Minerva, deren bierernste Miene nur ein kleines bisschen weicher wurde, als sie Severus unbeschadet sah. Nicht gerade wenige Schüler hielten sich hier auf und wollten von Professor Potter wissen, ob er den Vogel fangen konnte.

„Er muss entwischt sein“, gab Harry genauso wieder, wie er es vorhin geplant hatte.

Etliche Augenpaare ruhten auf Severus. Die nicht ausgesprochene Vermutung, er könnte etwas mit dem Tier zu tun haben, war sehr präsent. Minerva näherte sich den beiden und blickte Severus streng an, doch bevor sie etwas sagen konnte, kam Hagrid durch die Tür.

„Ihr glaubt nich‘, was ich eben gesehen habe!“, sagte der Riese mit kindlichem Staunen.
„Was denn, Hagrid?“, fragte Albus mit ruhiger Stimme.
„‘n riesiger Vogel war eben bei mir! Ich hab ihn sogar gefüttert.“

Ein Raunen ging durch die Menge. Die Schüler schienen sich zu überlegen, ob sie draußen nach dem Tier suchen sollten. Severus sollte das Recht sein, solange er nur nicht mehr verdächtigt wurde. Die Schar löste sich auf. Ein paar Kinder gingen tatsächlich nach draußen, einige aber zurück in ihre Gemeinschaftsräume oder dorthin, wo sie ihre Freizeit verbringen wollten. Auch Severus wollte sich auf den Weg machen. Er hatte ein Geschenk für Hermine.

„Severus!“ Minervas Stimme hielt ihn auf. Schnellen Schrittes kam sie auf ihn zu. „Severus“, fauchte sie ganz in Manier ihrer eigenen Animagusform, „was hast du dir dabei gedacht? Es hätte sonst etwas passieren können!“
„Wie du siehst, ist nichts passiert.“
„Aber es hätte!“ Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Und ich wäre zur Verantwortung gezogen worden!“
Auf ihre Sorge ging er nicht ein. „Ich danke dir für die Unterweisung, Minerva.“
Mit einem Male war sie milde gestimmt, denn ein Dankeschön von Severus war selten. „Ich … Gern geschehen. Ich werde dir demnächst das Formular für die Anmeldung beim Ministerium zukommen lassen. Du solltest das nicht aufschieben, sonst könnte man dir noch eine Strafe aufbrummen.“
„Das wäre sehr freundlich.“

Irritiert durch seine netten Worte blickte sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, bevor sie einmal nickte und sich verabschiedete. Von seiner anderen Seite näherte sich Harry.

„Hermine war übrigens vorhin hier und hat dich gesucht. Hast deinen Hund wohl bei ihr vergessen. Sie ist aber schon gegangen und hat Harry wieder mitgenommen.“
„Danke für die Information. Ich werde mich bei ihr melden.“

In seinen Kerkern angekommen meldete er sich nicht bei ihr, sondern besuchte sie unangekündigt. Er fand Hermine sofort im Wohnzimmer vor. Hund und Kater hatten sie von der Couch vertrieben, denn die beiden lagen dort und dösten, während Hermine auf einem Kissen am Boden saß, um am nicht sehr hohen Couchtisch schreiben zu können. Dort war sie über ihrer Arbeit eingeschlafen – die Schreibfeder lag noch locker zwischen den mit Tinte verschmierten Fingern. Vorsichtig näherte er sich ihr und betrachtete die Pergamente. Severus war ein wenig verstimmt, dass Hermine wiederholt mit den Hundehaaren gerechnet hatte, was sie ganz offensichtlich viel Kraft kostete. Abermals fiel sein Blick auf ihre mit Tinte benetzten Finger und eine kleine Neckerei ging ihm durch den Kopf.

Behutsam entnahm er seiner Innentasche die Feder, die er sich kurz vor der Rückverwandlung in einen Menschen ausgerupft hatte. Die lange schwarze Feder betrachtete er einen Moment, bevor sein teuflischer Plan Gestalt annahm. Er kniete sich neben sie und brachte die Feder an ihre Nase, die sich daraufhin wie die eines der Kaninchen, die sie gestern gehalten hatte, rümpfte. Ein zweites Mal streichelte er mit der Feder über ihre Nase, aber erst beim dritten Mal gelang sein Vorhaben, denn sie ließ die eigene Feder fallen und rieb sich mit den tintenverschmierten Fingern die Nase, so dass sie ganz schwarz wurde. Endlich öffnete Hermine die Augen und blinzelte ein paar Male.

„Severus?“
„In voller Lebensgröße!“

Sie freute sich über ihn und am meisten begrüßte er, dass er das sehen konnte. Lustig anzusehen war der schwarze Fleck an ihrer Nase.

„Ich habe schon befürchtet“, langsam hob sie ihren Kopf, „dass der Besuch bei meinen Eltern dich vergrault haben könnte.“
„Weshalb denn das? Es war doch ein interessantes Zusammentreffen, begleitet von einem aufschlussreichen Gespräch mit deinem Herrn Vater“, wiegelte er ab. „Er hat einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt, wie ich finde.“
„Hat den nicht jeder Vater?“

Eigentlich wollte Severus verneinen, aber die Erinnerung daran, wie sein Vater ihm nach der Beerdigung seiner Mutter Beistand leisten wollte, ließ jedes Wiederwort irgendwo zwischen Adamsapfel und Zungenbein ersterben. Hermine erwartete jedoch gar keine Antwort, denn die stand für sie längst fest. Ihr Blick fiel auf die Feder in seiner Hand.

„Eine neue Schreibfeder?“ Ohne Kommentar überreichte er ihr die Feder, die sie gleich begutachtete. „Die ist gar nicht bearbeitet. Das Mark ist noch enthalten.“
„Das mag daran liegen, dass sie nicht zum Schreiben gedacht ist.“
„Aber wozu dann?“
Severus legte den Kopf schräg. „Um mit spitzer Feder zu rechnen?“

‘Mit spitzer Feder rechnen‘, wiederholte Hermine in Gedanken. Diese Redewendung hatte Professor Vektor gern benutzt, um den Schülern einzubläuen, dass man viel Wert auf genaues Rechnen legen sollte, auch wenn man bei der Arithmantik die Wahrsagekunst einbezog. Hermines Stirn schlug Falten und sie fragte sich, ob Severus ihr diese schwarze Feder nur symbolisch überreicht hatte, so wie sie ihm damals zum Geburtstag den Schokofrosch und das Hühnerei geschenkt hatte. Plötzlich deutete Severus auf die Pergamente.

„Warum hast du wieder mit den Hundehaaren gerechnet?“
„Ich habe geübt!“, verkündete sie stolz. „Damit ich sicherer bin, wenn ich etwas von deiner Animagusform …“

Ihre Gedanken rotierten plötzlich so schnell wie ein kosmischer Pulsar, was kurzeitig ihr Sprachzentrum lähmte. Erneut blickte sie die Feder an. Konnte es sein?

„Was für eine Feder ist das?“
„Ich würde meinen, es handelt sich um eine Schwungfeder.“ Er musste grinsen, weil sie sich des Tintenflecks an ihrer Nase noch immer nicht bewusst war.
„Ist das …?“ Vor lauter Aufregung verhaspelte sie sich. „Severus, ist die von dir?“
„Mit den Hundehaaren hast du lange genug deine Zeit vergeudet. Wenden wir uns lieber den wichtigen Dingen zu.“

Am Ende zitterte seine Stimme ebenso wie ihre Lippen. Hermine hielt das in der Hand, wovon sie sich eine Heilung für Severus versprach und auch er war sich dessen bewusst. So viel Hoffnung steckte in dieser einen Feder. Hermine rang sich ein Lächeln ab, denn es war nicht auszuschließen, dass ihr Versuch trotz all der Mühe fehlschlagen könnte. Mit bebender Stimme richtete sie das Wort an ihn.

„Darf ich es sehen?“
„Was?“ Der Fleck an ihrer Nase, so drollig er ihn anfangs auch fand, störte im Moment und er griff nach einem Taschentuch, das auf dem Tisch lag.
„Dein Tier, deine Animagusgestalt.“
Mit seinem Zauberstab hatte er das Tuch mit einer magischen Tinktur befeuchtet, die jeden Schmutz beseitigen konnte, egal wie tief der in die Haut gedrungen war. „Warum?“ Seine andere Hand führte er an ihr Kinn, damit sie ihren Kopf ein wenig hob. Sie ließ ihn gewähren, auch wenn sie nicht wusste, was er vorhatte.
„Ich möchte …“ Sie stoppte sich selbst, als er mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Kinn die Position ihres Kopfes ein wenig änderte und mit dem Tuch vorsichtig an der Seite ihrer Nase entlangtupfte. Das Ergebnis zeigte er ihr in Form eines dunklen Flecks auf dem weißen Tuch.
„Tinte“, hauchte er. Nachdem er von ihr abgelassen hatte, blickte Hermine automatisch auf ihre rechte Hand und die schwarzen Stellen. Ihr Herz schlug schneller, als er ihre Hand behutsam in seine nahm und mit dem Tuch über die Finger strich, um auch dort den Schmutz zu entfernen.
„Danke.“

Von dem großen Schritt in Richtung Heilung oder aber auch wegen seiner sanften Art ganz ergriffen forderte ihr Körper einen unkontrollierten Atemzug, der sich als Schluchzer entpuppte. Was das Wort Hoffnung bedeutete, wusste sie aus Zeiten des Krieges nur zu gut. Das Schlimmste war immer die begleitende Angst, dass der eine Lichtblick, an den man sich in einer sonst ausweglosen Situation klammerte, sich in Nichts auflösen würde.

„Hermine?“, hörte sie seine besorgte Stimme, so dass sie aufblickte. Ihre Augen erinnerten an die eines erschrockenen Rehs, das von einem immer größer werdenden Lichtkegel paralysiert war.
„Ich hab Angst“, brachte sie flüsternd heraus. Wieder zitterten ihre Lippen, und um ihre Schwäche zu verbergen, presse sie sie fest zusammen. Ihre Furcht, mit dieser Lösung zu versagen, konnte er nachvollziehen, auch wenn es ihn weniger berührte als sie.
„Wir versuche es einfach und wenn es nicht funktioniert …“
„Nein“, unterbrach sie trotzig. „Es muss funktionieren! Es muss …“
„Es bleibt eine Wahrscheinlichkeit, die uns nicht gefallen könnte, aber sie ist da.“
„Nein, du verstehst nicht.“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. Betreten schaute sie zu Boden. Sie war so angespannt, dass ihr ganzer Körper zitterte. „Es bedeutet mir so viel.“ Als sie ihn anblickte, offenbarte allein ihre Mimik all die Hoffnung, die sie auf die Feder setzte. „Wenn es helfen würde, würde ich in jeden einzelnen Brunnen dieser Welt einen Knut werfen und …“

In seinen Augen ähnelte sie einem großen Gemälde, in welchem alles Schöne, aber auch alles Schattige und Unangenehme dargestellt wurde. Ein Kunstwerk, bei dem sich immer wieder etwas Neues entdecken ließ, je öfter man es betrachtete. In diesem Augenblick sah er die Verzweiflung, die einen Kontrast zu ihrer herzlichen Hingabe bilden wollte und dagegen wollte er etwas tun.

„Der Vogel hat eine Seele“, flüsterte er, ohne es selbst bemerkt zu haben. Seine Worte beleuchteten das Gemälde neu und die Schatten verschwanden, zauberten stattdessen schmeichelnde Sinnlichkeit in ihr Gesicht.
„Ich möchte ihn so gern sehen“, bat sie sehnlich.

Er sträubte sich. Es war schon eine Überwindung gewesen, sich Minerva mit einem so intimen Erscheinungsbild zu offenbaren, denn die Animagusgestalt verriet sehr viel über die Persönlichkeit, die man als Mensch gut verbergen konnte. Andererseits hielt Hermine die Feder in der Hand. Sie würde sicherlich keine zwei Tage benötigen, um mit Hilfe von Büchern das dazugehörige Tier zu bestimmen.

„Also gut“, willigte er mit etwas Unbehagen ein. Er hoffte, sich nicht zu blamieren, obwohl Minerva versichert hatte, dass die Verwandlung leicht fallen würde, wenn man sie schon ein Mal hinter sich gebracht hatte.

Severus entfernte sich einen Schritt von Hermine und schloss die Augen. Tief musste er nicht in sich gehen. Den Vogel sah er in seiner Vorstellung und er griff nach ihm, fühlte ihn. Die Verwandlung war nicht schmerzhaft und ging schnell vonstatten. Als er die Augen wieder öffnete, war Hermine viel größer als er. Sie lächelte. Von der Couch aus starrten ihn Harry und Fellini neugierig an, rührten sich aber nicht vom Fleck. Beiden war der große Vogel nicht geheuer.

„Beeindruckend, Severus“, lobte sie seine Gestalt mit warmer Stimme. Hermine kam auf ihn zu und ging in die Knie, hob kurz darauf eine Hand, zögerte aber. „Darf ich?“ Sie wollte sein Federkleid berühren, was er ihr nicht abschlagen konnte. Sein Nicken schien auch für sie verständlich, so dass sie eine Hand an seinen Hals führte und bis hinunter zu einem der starken Flügel strich. Ohne es zu bemerken stellten sich die schwarzen Federn an Kopf und Nacken auf, als sie ihn streichelte. Da war es wieder, das Gefühl, das Harry schon für einen Abend wiedererweckt hatte. Die Wärme in seiner Brust breitete sich aus und er fühlte das aufgeregte Vogelherz bis hinauf in seine Kehle pochen.


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