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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Ein schwarzer Tag

von Muggelchen

Sechs Wachen waren es, die mit erhobenen Zauberstäben den Zellentrakt betraten, in welchem man viele der Todesser untergebracht hatte. Der Leiter der Wachen, der ehemaliger Auror Philbin, blickte durch das kleine Fenster der Zellentür in den Raum hinein, aus dem man vor kurzem noch Schreie hörte, die durch Mark und Bein gingen. Walden Macnair lag bewegungslos auf dem Boden.

„Und?“, fragte einer seiner Mitarbeiter.
Philbin ging von der Tür weg, damit seine Kollegen hineinsehen konnten. „Sieht genauso aus wie bei den anderen. Mach auf!“

Drinnen richteten vier der Wärter ihre Stäbe auf den leblosen Körper, der zusammengekauert auf dem feuchten Steinboden lag. Ein Zauberspruch auf Macnair gerichtet brachte keine Ergebnisse. Er rührte sich nicht, so dass Philbin zu dem Mann hinüberging und ihn berührte. Er fühlte nach einem Puls.

„Das war's für ihn. Ist auch mausetot.“
„Und sein Arm?“, wollte Ken, der jüngste von ihnen, wissen. Die anderen Todesser, die sie bisher gefunden hatten, verband das gleiche scheußliche Merkmal.

Unsanft drehte Philbin den Toten auf den Rücken. Der bedeckte Arm lag in einer fauligen Lache aus zersetztem Fleisch und geronnenem Blut. Es stank bestialisch nach Verwesung, obwohl die noch gar nicht eingesetzt haben dürfte.

„Reicht das?“
„Zieh den Ärmel hoch!“, forderte einer seiner Freunde. Seine Finger wollte sich der ehemalige Auror nicht schmutzig machen und so entfernte er mit Hilfe seines Zauberstabes den Ärmel der schwarzweiß gestreiften Gefängnisbekleidung, um das Loch im Arm des Toten freizulegen. „Jetzt genug? Bei den anderen sieht's genauso aus.“

Vom Gang her hörte man Schritte. Ein Wärter mittleren Alters, einer vom anderen Wächtertrupp, suchte Philbin und seine Männer auf. Von dem Schrecken, den er heute erleben musste, hatte Nuncius ein ganz fahles Gesicht.

„Ich soll ausrichten, dass es Überlebende gibt, Sir. Sie alle ...“ Nuncius war völlig schockiert. „Sie alle schreien, sind gar nicht zu beruhigen. Die Erste Hilfe schlägt nicht an.“
Der ehemalige Auror seufzte. „Informiert das Mungos!“

Im Mungos war die Hölle los. Mike hatte die Schreie aus dem Raum, in dem sich seine Kollegin Marie mit dem ehemaligen Patienten aufhielt, als Erster gehört und war sofort zu Hilfe geeilt. Kaum hatte er das Zimmer betreten, wies sie ihn an, dieses und jenes heranzuzaubern: Mittel zur Desinfektion, Tupfer, Mullbinden, Tränke. Nicht alles konnte er sofort verstehen, denn Malfoy, der sich am Boden wandte, schrie vor Schmerzen. Mittendrin wimmerte er immerzu „Er kann nicht zurück sein! Er kann nicht zurück sein!“. Marie hielt Lucius fest und sprach einen Zauberspruch nach dem anderen, um – und da wurde Mike ganz übel, als er das sah – die riesige offene Wunde am Unterarm des Patienten zu säubern. Der sonst so pfleglich behandelte Boden war voll mit frischem Blut und einer schwarzen Flüssigkeit. Beides lief aus der Wunde heraus, die Marie säuberte – wieder und wieder säuberte, denn diese schwarze Flüssigkeit war schwer zu entfernen; sie höhlte den Arm immer weiter aus, fraß sich durch das Fleisch hindurch.

„Nichts hilft!“ Marie war außer sich. „Die Wunde wird immer größer!“ Ein Schwelbrand im Gewebe. „Wenn sie nicht endlich ...“ Sie hielt inne. Ein Geistesblitz schoss ihr durch den Kopf. „Murtlap-Essenz!“ Maries Anweisungen an Mike waren knapp, aber sie schien zu wissen, was sie tat und so assistierte er ihr. Er reichte ihr die Heillösung, die bei allen schmerzhaften magischen Verletzungen Wunder wirkte. Die schwarze Brühe wurde endlich aus dem offenen Arm herausgespült und zwar komplett. Marie begann zu zittern. Sie fürchtete um das Leben des Patienten, um das Leben eines neuen Freundes. „Hol den Trunk des Friedens.“ Wenigstens sollte Lucius keine Schmerzen mehr haben.

Dieses starke Beruhigungsmittel verfehlte seine Wirkung. Lucius bäumte sich vor Schmerzen auf, murmelte dabei immer wieder mit bebender Stimme, dass „es nicht sein darf“. Er befürchtete, weil es nahe lag, Voldemort hätte ihm diese Qual beschert. Mehr von dem starken Beruhigungsmittel durfte sie ihm nicht geben. Eine weitere Dosis wäre tödlich.

Dank der Murtlap-Essenz war zumindest die schwarze Masse aus dem Arm gespült. Nur deshalb wurde die Wunde nicht mehr größer. Sie war bereits tödlich und würde nicht gleich etwas geschehen, müsste Lucius sterben. Er verlor zu viel Blut. Marie erinnerte sich an all das, was sie aus Büchern über die Heilkunst gelernt hatte. Wieder ein Geistesblitz. Mit einem Wutsch ihres Stabes öffnete sie eine der verschlossenen Schranktüren und ließ einen Ein-Liter-Behälter auf sich zufliegen.

„Marie, das darfst du nicht! Dafür wird man dich rausschmeißen!“, mahnte Mike, doch Marie hatte längst den Korken entfernt, um die teure Essenz großzügig über die Wunde fließen zu lassen. Der Schmerz blieb, aber der Brand war endgültig gelöscht. Einen Augenaufschlag später hörte es auf zu bluten. Die seltene Essenz hatte den Heilprozess eingeleitet, der bei der Größe der Wunde dauern würde.

Marie fühlte den leichten Druck der bleichen Finger an ihrer Hand. Mit seiner rechten hatte Lucius nach ihr gegriffen. Er wollte die Wärme eines anderen Menschen spüren. Sie drückte einmal seine Hand, blickte ihn dabei an und lächelte das Lächeln, das einem Sonnenaufgang ähnelte. Der Schmerz hatte sämtliche Adern in dem Weiß seiner Augen platzen lassen. Lucius atmete nur noch flach, aber regelmäßig und biss die Zähne zusammen, um weitere Schreie zu unterdrücken. Jede noch so kleine Bewegung war unerträglich.

„Ist die 14 noch frei?“
Voller Entsetzen blickte Mike auf den offenen Unterarm, auf die Knochen und das ganze Fleisch. Das war beinahe wie der Unterricht bei Professor Junot, ging es ihm durch den Kopf, nur dass dieser Mann hier noch lebte. „Was?“
„Zimmer 14, noch frei?“
„Ja“, bestätigte Mike.
„Dann hilf mir.“

Die Tür wurde aufgeschlagen. Ein aufgebrachter Professor Puddle stürmte herein. Es war offensichtlich, dass er etwas ganz anderes wollte, denn beim Anblick von Malfoy und seiner Wunde verschlug es ihm die Sprache. Es benötigte nur ein Räuspern, um die Stimme wiederzufinden.

„Was zum Teufel ist denn hier los?“ Sofort stürmte der Heiler auf Marie zu, widmete sich aber nicht ihr, sondern dem Patienten, neben dem er kniete. „Wie ist das passiert?“ Mit seinem Stab sprach er einige Diagnosezauber. Puddle mochte ein Mann mit unerträglichem Charakter sein, aber er war ein guter Heiler.
Lucius war nicht in der Lage, auf die Frage des Heilers zu antworten, also übernahm Marie es. „Es fing ganz plötzlich an, ohne Vorwarnung.“ Puddle schob sie beiseite und während sie ihm die Situation erklärte, betrachtete er die tiefe Wunde.
„Die Schmerzen müssen unerträglich sein. Geben Sie ihm etwas vom Trunk des Friedens.“
„Das habe ich schon, Sir“, gab sie zu.
„Auf wessen Anweisung?“, fragte der Heiler provokant nach, betrachtete dabei die ganzen Dinge, die am Boden neben Marie lagen. Tränke, Binden und ... „Phönixtränen?“
„Erst mit denen gab es eine Reaktion, Professor. Vorher hat nichts geholfen. Erst jetzt hat die Wunde aufgehört zu bluten.“

Puddle schnaufte wütend, kümmerte sich jedoch um Lucius und sprach ein paar Zauber, die allesamt ohne Wirkung verpufften. Weder nahmen sie den Schmerz noch konnten sie die Wunde schneller heilen. Einzig die Phönixtränen, die wie in einer Schale aus Fleisch schwammen, vermochten die Wunde zu heilen.

„Mike?“
„Ja, Professor Puddle?“
„Bringen Sie Mr. Malfoy so vorsichtig wie nur möglich in Zimmer 14. Achten Sie darauf, dass die Tränen in der Wunde bleiben. Fixieren Sie den Arm und ...“

Wieder wurde die Tür aufgerissen. Eine andere Schwester stürmte hinein und – wie schon Puddle vor ihr –erstarrte beim Anblick von Lucius' Arm zur Salzsäule.

„Ellen“, begann Puddle reserviert, „Sie haben Schlimmeres erlebt, also fangen Sie sich wieder. Was ist?“
„Der Patient ...“ Sie überschlug sich. „Der Komapatient ist wach! Sein Arm ... Sein linker Arm ...“ Ellen deutete auf Malfoy. „Genau das Gleiche!“
„Was?“ Wie von der Tarantel gestochen erhob sich Puddle. „Warum muss das ausgerechnet samstags passieren, wo wir so schlecht besetzt sind?“ Er stöhnte, bevor er sich an Marie und Mike wandte. „Bringen Sie Mr. Malfoy sofort ins Zimmer. Tun Sie alles, was ihm Erleichterung verschafft.“ Er blickte Marie an. „Vielleicht könnten Sie seine Familie kontaktieren, wenn Sie einen Moment Zeit finden?“ Marie nickte. „Gut, danach möchte ich, dass immer jemand bei ihm ist.“ Jetzt gab der Heiler seine Anweisungen an Schwester Ellen. „Professor Junot ist unten. Flohen Sie sie an und wenn Sie nicht erreichbar ist, dann gehen Sie persönlich runter und zerren sie her!“ Schwester Ellen rannte sofort los. Puddle warf noch einen Blick auf Malfoy. „Ich bin bei unserem Dornröschen und sehe nach, was mit ihm ist.“ Vorsichtshalber griff er sich den Behälter mit Phönixtränen, falls das auch bei dem jungen Mann das Einzige sein sollte, das helfen würde. „Ich werde gleich nochmal zu Ihnen kommen, Mr. Malfoy.“

Mike und Marie transportierten Lucius sorgsam mit einer schwebenden Trage in Zimmer 14. Er stöhnte bei der kleinsten Erschütterung. Sein Gesicht war die ganze Zeit über schmerzverzerrt, aber was Marie viel mehr Sorgen machte, war der große Blutverlust.

„Haben die Tränke wenigstens ein bisschen geholfen?“, wollte Marie von ihm wissen, während sie ihn auf das Bett legten. Lucius schüttelte benommen den Kopf. Noch immer biss er die Zähne zusammen. Tränen rannen ihm an den Schläfen hinab und verschwanden in den blonden Haaren. Das Brennen war unerträglich.
„Warum wird er nicht ohnmächtig?“, fragte Mike nebenher. „Bei solchen Wunden“, er warf einen Blick auf den ausgekratzten Arm, „müsste man umfallen, schon wegen des ganzen Blutverlusts.“

Marie achtete nicht auf das, was Mike sagte, sondern blickte Lucius in die Augen, damit er wusste, er wäre nicht allein in seiner Qual. Draußen im Flur hörte man plötzlich jemanden rufen, was unüblich war. In einem Krankenhaus, selbst in einem magischen, herrschte Ruhe auf den Gängen.

„Mike, sieh mal nach, was draußen los ist.“

Der Pfleger mittleren Alters ging vor die Tür. Man hörte, wie er mit jemandem sprach, bevor er völlig aufgelöst zurück ins Zimmer kam.

„Es kam ein Notruf aus Askaban. Offenbar sind alle ...“ Weder wollte er das Wort Todesser in den Mund nehmen noch die Bezeichnung „dunkles Mal“ verwenden. Er nickte einfach zu Lucius' Arm. „Anderen ging es genauso.“ Maries Unterlippe begann zu zittern, weshalb sie sie einfach zwischen die Zähne nahm. „Ich muss draußen helfen, Marie. Wir müssen ein paar Heiler herholen, die eigentlich heute frei haben. Schaffst du es allein mit ihm?“
„Ja“, bestätigte sie mit dünnem Stimmchen. Falls er sie nicht gehört haben sollte, nickte sie.
„Okay, ich bin dann im Schwesternzimmer und flohe die Leute an. Wenn irgendwas ist, dann ruf nach mir, in Ordnung?“ Nochmals nickte sie.
Nachdem Mike gegangen war, beugte sie sich zu Lucius und flüsterte: „Was ist nur geschehen?“
Auf ihre Frage ging er nicht ein. Sie hörte ihn immer wieder sagen: „Mein Sohn, was ist mit meinem Sohn?“
„Ich werde mich erkundigen, aber erst einmal muss ich mich um Sie küm...“
„Mein Sohn!“ Lucius hatte Angst, dass es Draco ebenso erwischt haben könnte wie ihn.
„Beruhigen Sie sich. Ich werde sehen, was ich herausbekommen kann.“

Im Mungos suchte man im Moment alle Heiler zusammen, die sich von ihrer Station entfernen konnten. Ein paar von ihnen sollten nach Askaban geschickt werden.

Helfende Hände waren gerade auch in den Kerkern in Hogwarts dabei, sich um Severus zu kümmern, was nicht so einfach war. Die riesige Wunde reichte von der Armbeuge bis kurz unter den Puls und sah aus, als hätte jemand eine Vertiefung eingeschnitzt. Ein Relief des Grauens. Severus hatte bereits eine Menge Blut verloren. Wofür Hermine in ihrer Ausbildung beim Mungos immer dankbar gewesen war, waren die vielen verschiedenen Tränke, mit denen sie den Menschen wenigstens den Schmerz nehmen konnte. Bei Severus schlug nichts von alledem an. Es schien fast so, als musste er diese Pein durchleiden.

„Zu Poppy!“, wies Hermine ihre beiden Freunde an. Sirius bückte sich und umfasste Severus' Oberkörper von hinten, während Remus einen Zauberspruch anwandte, damit sein Kollege so leicht wie eine Feder wurde.
„Durch den Kamin?“ Sirius war unsicher, was zu tun war, aber er war bereit, jede Anweisung entgegenzunehmen.
„Ja, das geht schneller“, bestätigte Hermine, deren Herz so schnell das Blut durch ihren Körper jagte, dass ihr Gesicht schon ganz heiß war. Severus hingegen hatte so viel von dem Lebenssaft verloren, dass seine eh schon blasse Hautfarbe nun an die eines blutleeren Vampirs erinnerte. Er hatte sich die Kehle rau geschrien, jetzt stöhnte er nur noch kraftlos und kniff die Augen fest zusammen, um den Schmerz wegzuwünschen.

Der Transport über den Kamin war kurz und alles andere als komfortabel. Sirius hatte sich an einem der anderen Kamine, die sie während der kurzen Reise passiert hatte, den Hinterkopf aufgeschlagen. Die Landung war so unsanft gewesen, dass Severus mit heiserer Stimme schrie. Sein durchgeschüttelter Arm quälte ihn. Hinter Sirius kamen die beiden anderen durch den Kamin. Remus war so geistesgegenwärtig und entfernte den Ruß auf Sirius und Severus. Noch immer schrie Severus, wenn auch nicht mehr aus voller Kehle. Dazu fehlte es ihm an Kraft. Seine linke Hand schlackerte unkoordiniert hin und her. Die Sehnen und Nerven, mit denen man normalerweise die Finger bewegen konnte, waren bei ihm weggebrannt.

Ein Zweitklässler mit einem Armverband – ein Souvenir vom letzten Quidditchspiel –, sprang vom Bett auf und blickte mit Horror in den Augen auf seinen schreienden Tränkelehrer, der von einem ihm nicht bekannten Mann in ein Bett gehievt wurde. Der Junge verließ sein Bett und rannte aus dem Krankenzimmer hinaus. Gerade als Hermine zu Poppy eilen wollte, sah sie die schon an der Tür zum Krankenzimmer. Der Schüler hatte sie geholt und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den Notfall. Sofort rannte Poppy zu Severus hinüber.

„Bei Merlin!“ Trotz des Schreckens, mit so einer Wunde konfrontiert zu werden, behielt sie die Ruhe und zog ihren Stab.
Hermine atmete genauso flach wie Severus, doch ihr Puls raste. „Ich hab ihm den Trunk des Friedens gegeben. Es hat nichts gebracht!“ Poppy nickte und hörte weiter zu, wie bisher schon bei diesem Patienten vorgegangen wurde. Während Hermine erklärte, sprach Poppy einen Diagnosezauber, der ein Stück Pergament in der Luft erscheinen ließ. Sirius und Remus hatten sich einige Schritte vom Bett entfernt, blieben aber hier, falls man ihre Hilfe benötigen würde.

Weil kein heilender Zauberspruch half, steckte Poppy ihren Stab weg. Vorsichtig legte sie ihre Finger neben die Wunde und erschrak, als der schwarze Sud darin ein Eigenleben zeigte und sich am Fleisch festklammerte.

„Das muss sofort raus aus der Wunde“, murmelte sie zu sich selbst. „Remus, informieren Sie bitte eine meiner Schwestern, danach Albus.“ Remus nickte und sprintete los. „Hermine, was ist geschehen? War das ein Brauunfall? Oder ein Fluch?“
„Nein Poppy, es fing aus heiterem Himmel an. Es ist die Stelle, an der das dunkle Mal ...“
Poppy streckte den Rücken und blickte Hermine mit großen Augen an. „Mr. Black?“ Sirius trat ans Bett heran. Sein Blick war starr auf die große Wunde gerichtet, doch er hörte Poppys Anweisung. „Wären Sie so nett, den Schüler in seinen Gemeinschaftsraum zu schicken?“
„Ja“, hauchte er verstört, bevor er zu dem Jungen hinüberging, der ohne Murren gehorchte und das Krankenzimmer im Pyjama verließ.

Für den Jungen war die Aufregung groß. Endlich hätte er etwas, das er brühwarm den Mitgliedern seines Hauses erzählten könnte, um einmal in seinem Leben etwas Bewunderung zu erhaschen. Eilig rannte er die Treppen hinauf, um ganz oben vom siebten Stockwerk aus in den Turm zu gelangen, in welchem Ravenclaw untergebracht war. Schon im zweiten Stock hielt er inne und presse sich ans Treppengeländer, weil eine aufgebrachte Meute Erwachsener ihm entgegenkam. Zu seinem Entsetzen schrie einer von ihnen wie am Spieß. Die beiden Männer, die ihn stützten, versuchten den Verletzten zu beruhigen. Als die drei an dem Jungen vorbeigegangen waren, folgte ein Mann, der einen anderen im Arm trug. Der Schüler erkannte seinen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste.

Um sich herum hörte Harry viele Stimmen. Als er blinzelte, bemerkte er die Bilder an sich vorbeihuschen, die im großen Treppenhaus hingen. Die Menschen in den Gemälden schienen durchweg erschrocken zu sein. Harrys Kopf brummte. Er war sich sicher, dass seine Beine sich nicht bewegten und doch schien er durchs Treppenhaus zu gleiten. Er blinzelte noch ein paar Mal und sah Rons Gesicht ganz dicht neben sich.

Mit schwacher Stimme fragte Harry: „Ron? Warum trägst du mich?“
„Du blutest, Harry.“ Ron klang besorgt und war außer Atem. Seine Worte waren zittrig und leise gewesen.
'Tatsächlich?', fragte sich Harry still, bevor er sich nochmals an Ron wandte. „Ich fühle mich gut.“
„Du siehst nicht gut aus. Wir sind gleich da.“
Harry schloss die Augen und genoss ein Gefühl, das er bis dato nie gespürt hatte. Man konnte es mit absoluter Freiheit bezeichnen. Harry lächelte. Ohne die Augen zu öffnen fragte er: „Wo blute ich?“
„Am Kopf.“
Der Weg war wackelig, aber es störte Harry nicht. Was ihm nicht gefiel waren die Geräusche um ihn herum. „Wer schreit denn da?“, wollte er wissen.
„Draco.“ Ein paar Schritte weiter hörte er Ron sagen. „Wir sind endlich da!“

Dean und Luna hielten die Flügeltür zum Krankenzimmer auf, damit zuerst Fred und Neville eintreten konnten. Sie hatten Draco in ihre Mitte genommen, dessen Füße am Boden entlangschleiften. Sein Blick war glasig, die Haut aschfahl und das Gesicht durch Schmerzen verzerrt.

„Was ist denn jetzt ...?“ Poppys Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie Dracos Arm sah. Es zeigte sich die gleiche Wunde wie bei Severus, nur nicht so groß. „Auf das Bett mit ihm!“ Fred und Neville kamen der Aufforderung auf der Stelle nach. Als die gesamte DA sich ins Krankenzimmer drängte, sprach Poppy ein Machtwort. „Hinaus! Alle! Und zwar ...“

Wieder verschlug ihr etwas die Sprache. Es sah so aus, als würde Ron wie Moses das Wasser teilen, denn die DA-Mitglieder bildeten eine Schneise für ihn, um ihn passieren zu lassen. Mit einem bewegungslosen Harry im Arm eilte Ron so schnell wie möglich an den anderen vorbei und schnaufte dabei wie ein Stier. Immerhin hatte er Harry vom siebten Stock in den ersten getragen.

Von hinten hörte man Remus' Stimme, der die jungen Menschen anwies, den Krankenflügel schleunigst zu verlassen. Nur widerwillig drehten sie sich um und gingen. Die meisten warfen noch einen Blick auf Severus. Niemand musste es sagen, denn es schien eindeutig, dass das Unheil nicht nur Draco heimgesucht hatte, sondern alle, die auf diese Weise gerufen wurden. Gleich zwei Schwestern hatte Remus geholt und über deren Kamin Albus Bescheid gegeben.

Sirius drückte sich ein Tuch an den Hinterkopf, um die Blutung durch den Kaminunfall zu stoppen. Als sein Blick auf Harry fiel, wurde er von Angst erfüllt. Er warf das Tuch weg und hastete zu dem Bett hinüber, in welchem Ron gerade Harry abgelegt hatte.

Er nahm die Hand seines Patensohns. „Harry? Harry?“ Sein Patensohn öffnete die Augen nicht, atmete aber einmal kräftig ein und aus.
„Mmmh?“, hörte man Harry summen. Offenbar verspürte er keine Schmerzen, sondern schien nur furchtbar müde.
„Wie geht es dir?“
Harry fühlte eine Hand an seiner Wange. „Ich möcht' schlafen“, gestand er. Die Augen hatte er nicht ein einziges Mal geöffnet.

Von all der Aufregung zitterte Hermine am ganzen Leib. Sie blickte auf Severus, der die Augen fest zusammenpresse, genauso wie die Zähne. Sein Gesicht hatte beinahe die gleiche Farbe wie die frische Krankenbettwäsche. Gegenüber lag Draco, mit einer klaffenden Wunde am Arm, die wie der kleine Bruder von Severus' Verletzung aussah. 'Aber warum Harry?', fragte sie sich selbst. Fred und Neville befanden sich noch an Dracos Bett. Neville hatte sich setzen müssen. Fred hingegen blickte mit großen Augen auf seinen ehemaligen Zaubertränkelehrer, dann auf Harry, der in Dracos Nachbarbett lag und von einer der Schwestern umsorgt wurde. Auch er machte sich Gedanken, die sich ums dunkle Mal und um Todesser drehten.

„Esther?“
„Ja, Madam Pomfrey?“
„Kontaktieren Sie sofort unsere Anlaufstelle im Mungos. Ich möchte unverzüglich einen weiteren Heiler hier haben!“ Esther nickte und verschwand in Poppys Büro.
„Harry?“ Hermine stürmte zu seinem Bett. Sie schob sich an Sirius und Ron vorbei. „Harry?“ Sie berührte seine Wange. Er seufzte erleichtert.
„Lasst mich schlafen“, bat er flüsternd. „Nur ein Stündchen.“ Die Worte waren kaum geflüstert, da wurden sie durch ein leichtes Schnarchen abgelöst.
„Harry, verdammt“, Ron ergriff seine Schulter, „du kannst doch jetzt nicht schlafen!“
„Lassen Sie ihn in Ruhe, Mr. Weasley“, maßregelte Poppy in mit scharfer Stimme. Sirius untermalte ihre Worte, indem er Ron am Oberarm griff und von Harry weg zog.

Hermine strich das wirre schwarze Haar von der Stirn ihres schlafenden Freundes. Die Wunde an Harrys Kopf musste stark geblutet haben. Sein Ohr war ganz rot und die Haare verklebt. Nachdem die Stirn von einer der Schwestern gereinigt worden war, konnte man seine blitzartige Narbe sehen. Anscheinend war sie aufgeplatzt. Ein Blick von Poppy reichte aus, um die Situation bei Harry nicht als lebensbedrohlich einzustufen.

„Ein Pflaster wird genügen“, wies sie die Schwester an, bevor Poppy sich Draco widmete. Am liebsten würde sie sich zweiteilen, denn Severus benötigte ebenfalls ihre Aufmerksamkeit. „Hermine, Sie sind Heilerin.“ Hermine nickte, auch wenn sie im Moment nicht einmal mehr wusste, wie ihr Name war. „Gehen Sie zu Severus und spülen Sie die Wunde aus.“ Sie reichte ihr eine metallene Schale, womit sie die Suppe aus Blut, gelöstem Fleisch und schwarzer Brühe auffangen sollte.
„In Ordnung“, murmelte sie abwesend.

Esther hatte von Poppys Kamin aus das Mungos kontaktiert.

Ihre Nachricht wurde von einer Schwester namens Ellen an Professor Puddle weitergegeben.

„Sir, Hogwarts beruft sich auf die Notfallklausel. Wir müssen zwei Heiler hinschicken“, sagte sie hastig.
Puddle entgleisten die Gesichtszüge. „Ja Merlin, ist denn heute die ganze Welt verrückt geworden? Sagen Sie Dumbledore, dass er einen Heiler und eine Schwester bekommt. Wir haben hier selbst Probleme. Mit ihren Quidditchunfällen kann ich mich heute nicht befassen.“
„Nein Sir, keine Unfälle.“ Ellen atmtete aufgeregt. „Zwei Fälle, wie wir sie haben.“
„Was? In Hogwarts?“ Aufgebracht blickte er sich um. Er erspähte Professor Junot, die gerade die Station betreten hatte. Sogleich rief er sie zu sich.
„Professor Puddle“, grüßte sie unsicher, „was ist denn hier nur passiert?“
„Hören Sie, nehmen Sie sich Schwester Marie und flohen Sie nach Hogwarts. Lassen Sie sich von Marie erklären, was geschehen ist. Sie hat bereits Mr. Malfoys Zustand stabilisieren können. Das Gleiche soll sie auch in Hogwarts tun.“
„Aber ...“

Junot wurde arg unterbrochen, aber nicht von Puddle, sondern Gwen, die sich eigentlich um den Eingangsbereich kümmerte.

„Professor! Die Notaufnahme platzt aus allen Nähten. Wir haben unzählige Neuzugänge. Alle haben eine große Verletzung am linken Unterarm. Die sterben da unten wie die Fliegen!“, rief Gwen verzweifelt.
„Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Puddle fuhr sich durch die schütteren Haare und hielt bei dem Stress gleich ein Büschel zwischen den Fingern. Junot wies er an, mit Marie auf der Stelle nach Hogwarts zu flohen. An Gwen gerichtet befahl er: „Kontaktieren Sie das Gunhilda! Die sollen uns alle Heiler schicken, die zur Verfügung stehen. Selbst die, die sie normalerweise nicht entbehren können.“ Gwen nickte und verschwand. „Ellen!“
„Ja, Sir?“
„Haben Sie die Heiler zusammen, die nach Askaban gehen sollen?“
„Die sind schon weg. Ich habe alle geschickt, die ich finden konnte.“
Puddle nickte. „Gut so, gut!“ Er atmete einmal tief ein und aus, um seine professionelle Ruhe wiederzuerlangen, was unter diesen Umständen nicht leicht war. „Ellen, verlegen Sie Malfoy in das Zimmer des Patienten, der aus dem Koma erwacht ist und bleiben Sie bei den beiden! Ich bin unten in der Notaufnahme. Bei der geringsten Verschlechterung ihres Zustandes rufen Sie mich!“
„Ja, Sir.“

Von der Aufregung im Mungos war ein paar Blocks weiter im Ministerium nichts zu spüren. Kingsley und Tonks waren mit Kevin und Tracey gerade auf dem Weg nach unten, da kam ihnen Dawlish entgegen, der meistens samstags arbeitete, um sich bei seinen Vorgesetzten lieb Kind zu machen. Dawlish war im Stress. Das konnte man an seiner Mimik und der verspannten Körperhaltung erkennen.

„Shacklebolt! Ich bin so froh, dass ich Sie antreffe. Wissen Sie, wo der Minister ist?“
Kingsley nickte. „Der ist in Hogwarts und möchte nicht gestört werden. Um was geht es denn.“
„Irgendetwas ganz Furchtbares ist geschehen. Erst ist Mr. Abrahams zusammengebrochen, Sir. Auch einer seiner Kollegen.“ Mr. Abrahams war der Leiter der Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen. Er hatte den Muggel Geoffreys und seinen Trupp nach der Sicherstellung der Muggelwaffen mit einem Vergissmich belegt.
„Was ist mit Abrahams?“, fragte Kingsley nach.
„Sein Arm ist“, er suchte nach Worten, „verbrannt? Er hat ein Loch im Arm! Ich habe sowas noch nie gesehen! Ich habe erst gedacht, er ist angegriffen worden, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Ich habe ihn und seinen Kollegen ins Mungos bringen lassen.“
„Na, dann ist doch alles geklärt.“
„Nein!“, widersprach Dawlish. „Drei Mitarbeitern der Magische Strafverfolgungspatrouille erging es eben genauso, außerdem auch welchen vom Büro gegen den Missbrauch von Muggelartefakten. Das Phänomen zieht sich durch alle Abteilungen, Shacklebolt! Überall gibt es Mitarbeiter mit einer großen Wunde am linken Arm! Wir müssen den Minister darüber unterrichten, denn das Merkwürdigste ist, dass wir gerade auch eine Meldung aus Askaban erhalten haben. Die haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen. Die Todesser sterben!“
„WAS?“
„Ich vermute“, erklärte Dawlish weiter, „dass es sich bei denen mit dieser Verletzung durchweg um Todesser handelt. Minister Weasley hatte Recht! Es gab noch eine Menge versteckter Anhänger im Dienste des Zaubereiministeriums!“

Für einen kurzen Augenblick stand Kingsley unter Schock. Er war weder fähig, ein Wort herauszubringen noch zu handeln, doch Tonks' Hand an seinem Rücken ließ ihn die Ruhe wiederfinden.

„Dawlish, wenn Sie alle Verletzten ins Krankenhaus gebracht haben, erwarte ich unverzüglich einen vollständigen Bericht. Wir vier machen einen kurzen Abstecher nach Hogwarts, damit ich Minister Weasley unterrichten kann.“
„Gut!“ Dawlish drehte sich und rannte den gleichen Weg zurück.

Die vier Auroren versuchten, über das Flohnetzwerk zu Albus zu gelangen, doch sie kamen nicht durch. Albus war nicht in seinem Büro.

„Versuchen wir's bei einem der Lehrer!“ Wie selbstverständlich schlug sie ihre alte Hauslehrerin vor: „Sprout vielleicht?“
„Ja, machen wir. Immer zwei auf einmal!“

Außer Tonks, Kingsley, Kevin und Tracey flohten gleichzeitig noch Professor Junot und Schwester Marie nach Hogwarts. Die beiden Frauen kamen durch den Kamin in Poppys Büro und stürmten ohne einen Empfang abzuwarten ins große Krankenzimmer. Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ beiden das Blut in den Adern gefrieren.

Auf der einen Seite stand eine junge Hexe, die Marie schon einmal flüchtig im Krankenhaus gesehen hatte, als Miss Parkinson erwachte. Auch den Mann, dessen Arm die junge Frau mit keimfreien Wasser spülen wollte, kannte sie vom Sehen. Marie ging sofort zu ihr hinüber.

„Ich bin Marie“, stellte sie sich kurz vor. „Spülen Sie die Wunde nicht mit Wasser aus, sondern mit Murtlap-Essenz. Das bindet die schwarze Substanz und sie lässt sich auswaschen. Danach reichlich Phönixtränen in die Wunde geben.“
An dem Häubchen erkannte Hermine, dass es sich um eine Schwester aus dem Mungos handelte. Ohne sich in ihrem Stolz verletzt zu fühlen, dass eine Krankenschwester ihr sagte, was sie zu tun hatte, folgte sie dem Ratschlag. „Poppy, wir brauchen Murtlap-Essenz. Damit spülen wir die Wunde aus“, gab Hermine an die Heilerin von Hogwarts weiter, die sich um Draco kümmerte.
Als Marie nochmals lauter sprach, damit alle es hörten, horchte Poppy auf. „Danach den Arm fixieren und die hohle Stelle mit Phönixtränen füllen. Das stoppt sofort die Ausbreitung der Wunde und läutet den Heilprozess ein.“

Auch Poppy nahm die Anweisung der Schwester ernst. Murtlap-Essenz hatte sie zur Genüge. Severus war so freundlich gewesen, dieses Mittel für sie zu brauen, als sie mit ihrem Zeitplan ein wenig hinterherhinkte. Von Esther ließ sie sich die Behälter bringen. Einer wurde gleich an Hermine weitergegeben.

Professor Junot erkannte Hermine als eine ehemalige Auszubildende wieder und schenkte ihr ein kurzes Lächeln, um sie unter diesen Umständen so knapp wie nur möglich zu grüßen. Gemeinsam behandelten sie den Arm von Severus, der bei jeder Bewegung Luft durch die Zähne einsog. Junot hielt ihn am Ellenbogen und an der Hand fest, während Hermine vorsichtig die Murtlap-Essenz in die Wunde goss, um sie zu reinigen. Sofort fuhr Severus zusammen, wehrte sich sogar, weil man ihm so einen Schmerz zufügte.

„Es ist gleich vorbei, Severus“, wollte Hermine beruhigen, doch mit der rechten Hand ergriff er Junots Handgelenk und drückte mit aller Kraft zu. „Severus, nicht! Du tust dir nur noch noch mehr weh!“ Ihre Worte kamen zu spät, denn weil er mit seiner rechten Hand über den eigenen Körper griff, drehte er sich dabei leicht. Unzählige Nerven und Muskeln wurden bei dieser kleinen Bewegung aktiv, leider auch die, deren toten Enden in dem ausgebrannten Loch zum Erliegen gekommen waren. Ein Schmerz von unermesslichem Ausmaß durchfuhr ihn und er schrie.
„Hilft gegen die Schmerzen denn gar nichts?“, wollte Junot wissen, die sich von seinem Griff an ihrem Handgelenk nicht gestört fühlte.
Hermine schüttelte den Kopf. „Die höchste Dosis vom Trunk des Friedens habe sich ihm verabreicht und noch immer ist er hellwach.“ Schwächlich wehrte sich Severus, so dass Hermine einen Moment innehielt und sich zu ihm beugte. Mit feuchten Augen blickte er in die ihren, als sie leise sprach: „Das Schwarze muss aus dem Arm heraus. Du musst stillhalten, auch wenn es wehtut! Erst danach kann es heilen.“ Sein Blick flimmerte unruhig hin und her. „Severus, hast du verstanden?“ Ein kurzes Nicken, dann ließ er Junots Hand los. Im gleichen Moment spannten sich die Muskeln seines Kiefers an. Er bereitete sich darauf vor, alles zu ertragen. Hermine blickte die Professorin an, bei der sie damals das Fach 'Inaugenscheinnahme' hatte und nickte ihr zu. „Noch einmal.“

Der faulig süße Geruch der öligen Masse, dem letzten Überbleibsel des Dunklen Lords, stieg Hermine in die Nase, als Junot Severus' Arm in Position drehte. Festklammern wollte es sich, das finstere Unheil, wollte sich an seinem Fleisch nähren, um nicht zu vergehen. Mit seinen kleinen Armen, gleich den Tentakeln einer umhertastenden Magie, suchte es halt an Knochen und Gewebe und verdarb dabei alles, was es berührte. Nochmals setzte Hermine die Flasche Murtlap-Essenz an. Mit großzügigen Mengen spülte sie die Wunde rein; wusch das Kainsmal ein für allemal aus seinem Körper.

Wie von einem kräftigen Bergwind geöffnet schlug die Tür zum Krankenflügel auf. Es war Albus, gefolgt von Arthur und Molly, die das Chaos für einen Moment betrachteten.

„Poppy?“
„Nicht jetzt, Albus.“ Selten verweigerte ihm jemand das Gehör, doch dass es diesmal vonnöten war, konnte er mit eigenen Augen sehen. Poppy reinigte Dracos Wunde. Der junge Mann konnte sich nicht so sehr beherrschen wie sein Patenonkel, hatte er doch zuvor noch nie so eine Qual erdulden müssen. Das dunkle Mal anzunehmen war schon schmerzhaft gewesen, aber sich dessen zu entledigen war fast unerträglich.
„Oh Merlin“, schluchzte Molly. „Was ist nur los?“ Ihr Blick fiel auf Ron, der bewegungslos neben Sirius stand und auf Harrys schlafenden Körper starrte. Furcht übermannte sie. „Was ist mit Harry?“ Ohne dass Arthur sie aufhalten konnte, war sie bereits am Bett des Schlafenden und führte die Hand an das Pflaster, unter der sich seine Narbe verbarg. Sie wagte nicht, die Stelle zu berühren. Stattdessen schwebten ihre zitternden Finger über dem Pflaster, als wollte sie Harry durch übermächtige Kräfte erwecken. Als sie den Blick von der Stirn abwenden konnte, beruhigte sie sein seliger Gesichtsausdruck auf der Stelle.
„Er schläft nur, Mom.“
„Ron? Oh Ron.“ Sie stürmte auf ihren Sohn zu und drückte ihn stärker denn je an sich, was er über sich ergehen ließ. Er war momentan nicht sehr aufnahmefähig.

Marie half Poppy und erwies sich als ausgezeichnete Schwester mit den Fähigkeit einer Heilerin.

„Haben Sie Phönixtränen hier?“, fragte Marie. Poppy nickte und schickte eine ihrer Schwestern, um die Flaschen zu holen. Eine war schon angebrochen und stand seit über zwanzig Jahren im Schrank, was der Wirkung jedoch keinen Abbruch tat. Die andere war ganz frisch. Die Schwester reichte eine der kleinen Flaschen an Poppy.
„Danke, Esther.“ Voller Zuversicht gab Poppy die Flasche an Marie weiter, die erstaunt darüber war, dass man sie freiwillig mit so einer kostbaren Essenz arbeiten ließ. Von Professor Puddle – da war sie sich sicher – müsste sie sich, wenn alles vorüber war, wegen der unerlaubten Anwendung von Heilmitteln noch eine Standpauke anhören. Vorsichtig träufelte sie die Tränen mit der heilenden Wirkung in das klaffende Loch im Arm des Patienten, der dabei kraftlos wimmerte.
„Die Wunde wird nicht mehr größer!“, stellte Poppy erstaunt fest. „Und die Tränen beginnen schon zu wirken. Wie es aussieht, dauert es bei einer so komplexen Verletzung sehr viel länger.“
„Ja“, stimmte Marie zu. „Das Gleiche habe ich im Mungos bei einem Patienten gemacht.“ Sie blickte zu Draco hinüber. Die Ähnlichkeit war unverkennbar, aber dennoch wollte sie sichergehen. „Wie ist Ihr Name, Sir?“ Seine Lippen bebten, aber antworten konnte er nicht. Das übernahm Poppy.
„Draco Malfoy.“
„Malfoy“, wiederholte Marie leise. „Darf ich einen Moment mit Mr. Malfoy allein sprechen?“ Poppy schaute skeptisch drein. „Nur einen kurzen Moment“, versprach Marie. Die Heilerin von Hogwarts nickte und verließ das Bett, um bei Severus nach dem Rechten zu sehen. Marie beugte sich zu Draco vor, legte eine Hand auf seine Schulter und lächelte milde. „Ihrem Vater erging es genauso.“ Bevor er das Gefühl der Sorge entwickeln konnte, gab sie Entwarnung. „Die Wunde heilt – langsam, aber sie heilt. Ich habe mich um ihn gekümmert. Er hatte Glück, dass er im Krankenhaus war, als es passierte.“
„... meine Schuld ...“, murmelte er.
„Was?“
„Es ist alles ... meine Schuld.“
„Nicht doch“, sie tätschelte seine Schulter, „das kann nicht sein.“

Erleichterung machte sich bei den Heilern und Schwestern breit, als die gröbste Arbeit getan war. Die großen Wunden waren mit Tränenflüssigkeit gefüllt und ließen in Zeitlupe das Gewebe, die Nerven, die Muskeln und Sehnen wieder wachsen. Eine schmerzhafte Prozedur, wie man an den Gesichtern der beiden Patienten erkennen konnte. Dracos Brustkorb und senkte sich aufgeregt. Mit jedem Atemzug brannte sein Arm mehr und mehr, aber er wollte es durchstehen. Severus hingegen machte Professor Junot Sorgen. Er atmete noch immer flach, hatte kaum einen Puls. Sein Blick ging ins Leere. Sie richtete ihren Stab auf ihn sprach einen Diagnosezauber, der gleich darauf auf einem Stück Pergament geschrieben in ihre Hand flog, was Hermine beobachtete. Die Professorin überflog die Daten des Patienten.

„Er hat zu viel Blut verloren. Seine Lage ist kritisch. Wir sollten seine Familienangehörigen verständigen. Nur vorsichtshalber ...“ Mit diesen Worten verließ Professor Junot sein Bett, um zu Poppy hinüberzugehen. Die beiden Heilerinnen betrachteten die Diagnose und die Werte, während Hermine bei ihm blieb.

'Die Familie verständigen', wiederholte sie in Gedanken. Hermine schüttelte den Kopf. Severus hatte einen Vater, von dem er nichts wissen wollte, was auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Er hatte keine Familie, nur die Malfoys, für die er durch die Patenschaft von Draco ein Mitglied geworden war. In diesem Sinne war er also nicht allein. Draco lag gegenüber. Sie bemerkte, wie Severus blinzelte, doch Schlaf wollte ihn nicht übermannen. Schon der Vorabend war für Hermine anstrengend gewesen, doch der war nichts im Vergleich zu heute Morgen. Erschöpft zog sie sich einen Stuhl an Severus' Bett, um ihn im Auge zu behalten. Sie saß zu seiner Rechten.

So viel Besuch hatte der Krankenflügel seit langer Zeit nicht mehr gehabt. Als auch noch Kingsley, gefolgt von Tonks und zwei jungen Auroren hereintrat, schien das kaum jemanden zu verwundern.

Ganz hinten hatte er den Minister erspäht. „Arthur!“ Kingsley winkte ihn zu sich heran. Die Zeit, die Arthur dazu benötigte, sich ihm zu nähern, nutzte Kingsley, um das herrschende Szenario zu betrachten. Severus und Draco waren ganz offensichtlich vom gleichen Schicksal heimgesucht worden wie die vielen Insassen in Askaban und die im Ministerium untergetauchten Todesser. Dawlish hatte mit seiner Vermutung sehr wahrscheinlich Recht. Kingsleys Blick fiel kurz auf Harry, doch da war Arthur schon bei ihm. „Was ist mit Harry?“, fragte Kingsley verwirrt, denn es war ihm nicht klar, wie er in dieses Bild passte.
„Harry schläft nur. Seine Narbe hat geblutet.“
Diese Erklärung genügte Kingsley, so dass er Arthur in Hörweite von Hermine über die Gesamtsituation aufklärte. „Arthur, wir haben Meldungen aus Askaban. Die Todesser sterben. Dort ist das Gleiche passiert wie hier.“

Hermine schloss die Augen und kämpfte mit den Tränen. Die winzige Möglichkeit, dass auch Severus sterben könnte, drückte ihr aufs Gemüt.

„Severus?“ Er reagierte nicht auf ihre Stimme. Vielleicht ein wenig lauter, dachte sie. „Severus?“ Keine Regung seinerseits, also lauschte sie weiterhin den Worten Kingsleys.

„Es gab auch Fälle, bei denen Mitarbeiter des Zaubereiministeriums involviert sind!“
„Wie bitte?“ Arthur fasste sich ans Herz.
„Dawlish hat mich unterrichtet. Abrahams war unter denen, die diese Wunde am linken Unterarm aufwiesen! Ich konnte den Typen nie ausstehen.“ Kingsley verzog das Gesicht, als er sich an den arroganten Mann erinnerte.
Arthur fasste sich an die Stirn. „Der Leiter der Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen war ein Todesser? Merlin ...“
Unerwartet hatte sich Professor Junot den beiden genähert. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Minister, dass ich mitgehört habe. Das ist normalerweise nicht meine Art, aber die Situation ist so außergewöhnlich ... Ich war vorhin noch im Mungos, als dieser Unglückstag begann. Es gab erst zwei Fälle auf einer unserer Stationen. Und kurz, bevor ich hergekommen bin, habe ich von der Empfangsdame gehört, dass die Notaufnahme regen Ansturm hat. Alle haben die gleiche Wunde und viele sind daran bereits zugrunde gegangen. Ich dachte mir, Sie sollten das wissen.“

Als Hermine diese Worte vernahm, zog sie die Nase hoch. Sie schaute zur Seite und sah, weil sich Tränen in ihren Augen bildeten, Draco nur verschwommen, aber trotzdem konnte sie gut erkennen, dass er wach war und sich bewegte. Ihr Blick wanderte zu Severus, an dessen Seite sie saß. Er wirkte leblos, wie zur letzten Ruhe gebettet.

Wie es in Severus aussah konnte niemand ahnen, nur er selbst musste es erfahren. Nyktophobisch irrte er durch die Finsternis der eigenen Sinne; fühlte so viel und gleichzeitig nichts. Der Arm glühte, hatte alles andere in ihm entflammt. Sein ganzer Körper brannte lichterloh und doch umhüllte ihn die Dunkelheit. Sein Geist war in einem trüben Morast versunken. War er allein? Träumte er? Möge ihn jemand aus diesem Albtraum erwecken, er wäre ewig dankbar! Schlaf. Er sehnte sich nach Schlaf. Oder wenigstens sollte ihn die Ohnmacht umarmen, damit er das Dunkel um sich herum nicht mehr bewusst wahrnehmen musste. Mit dem Schmerz hatte Severus längst Freundschaft geschlossen, denn man reichte denen die Hand, die einen Tag für Tag begleiteten. An seiner Wirbelsäule entlang züngelte ein Feuer, und es fraß sich wie ein Nimmersatt durch all die anderen Gefühle hindurch. Es gab nichts mehr außer dem Schmerz und der Finsternis.

Da, ganz plötzlich, fühlte er etwas anderes als den alles verzehrenden Brand. Etwas, das er schon einmal fühlen durfte. Eines morgens war er davon sogar erwacht. Damals hatte er geglaubt, er wäre nicht allein in seinem Schlafzimmer, aber die Sonne hatte ihm nur einen Streich gespielt, denn es waren ihre Strahlen gewesen, die seine Wange streichelte. Diese Wärme fühlte er auch jetzt. Die Sonne musste durch die Fenster scheinen, schlussfolgerte Severus, und er wollte sie willkommen heißen. Sie nahm den Schmerz und brachte Licht. Severus seufzte erleichtert.

Als Hermine seinen Seufzer hörte, nahm sie erschrocken ihre Hand von seiner Wange, doch als sein Gesicht sich wieder verzog, strich sie erneut zaghaft mit der Handfläche über die Bartstoppeln, um die er sich heute früh nicht gekümmert hatte. Wieder schenkte er ihr einen Ausdruck der Erleichterung; atmete tief ein und stieß einen Seufzer aus.

„Stirb mir ja nicht unter den Händen weg“, flüsterte sie, halb als Drohung, halb als Bitte. Seine Lider mit ihren dunklen dichten Wimpern flatterten so schnell wie die Flügel eines Spatzes, der sich vom Boden erheben wollte. Unscharf konnte er sie an den Konturen ihres buschigen Haares erkennen. Mit der Zeit wurde sein Blick klarer. Hermine. Sein Mund öffnete sich, seine Lippen bebten, doch nicht ihren Namen sagte er, sondern einen anderen.
„Albus ...“ Schwach, kaum hörbar. Hermine drehte sich um und sah den Direktor hinter sich. Mitleidig schaute er auf Severus hinab.
„Ja, ich bin hier, mein Freund.“

Mit einem einzigen Blick gab der alte Zauberer Hermine zu verstehen, sie möge den beiden einen Augenblick allein schenken. Natürlich ließ sie Albus gewähren. Auch er sollte noch einen Moment mit Severus haben, falls der diesen Tag nicht überleben sollte.

Ziellos ging Hermine in dem Krankenzimmer auf und ab, bis Neville sich erhob und ihr seinen Stuhl neben Dracos Bett anbot.

„Danke“, hauchte sie kraftlos. Es gingen ihr so viele Gedanken durch den Kopf, dass sie keinen einzigen von ihnen greifen konnte. Nur deswegen konzentrierte sie sich auf das Jetzt und Hier und sah zu Draco hinüber. Der schaute mit wachem Blick zurück, wenngleich auch seine Augen sich manchmal verdrehten, wenn er den Schmerz verdrängen wollte. „Wie fühlst du dich?“ Eine dumme Frage, dachte sie, aber sie wollte es hören.
„Kannst du ... Susan ...?“ Jedes Wort war eine Qual. „Sag ihr Bescheid.“
Gerade wollte Hermine aufstehen, da kam die nette Schwester aus dem Mungos, die von allen Anwesenden die härtesten Nerven zu haben schien. Ihr Lächeln war Balsam für Draco. Sie führte ihr Gesicht nahe an seines. „Ich habe Ihre Mutter und Ihre Frau benachrichtigt. Ihre Frau kommt so schnell wie möglich her. Ihre Mutter sucht erst Ihren Vater auf.“
So, wie auch das Gähnen ansteckend war, schien das Lächeln von Marie auf ihn überzuspringen, denn es formte sich wie von selbst auf Dracos Lippen. „Danke.“

Neville hatte das Gespräch beobachtet und war froh, dass die Gefahr gebannt schien. Er fuhr jedoch heftig zusammen, als jemand laut seinen Namen sagte. „Neville!“ Unerwartet kam Poppy forschen Schrittes auf ihn zu. In ihren Händen hielt sie einige Akten, von denen sie aufblickte. „Sind Sie bereit für eine Blutspende?“
Voller Mitleid blickte Neville zu Draco hinüber, dann wieder zu Poppy: „Ja, bin ich.“
„Gut, dann halten Sie sich bereit. Ich komme gleich.“

Alle drei – Draco, Hermine und Neville – betrachteten das Bett gegenüber, an dem Albus noch immer mit seinem Freund sprach und das so leise, dass niemand ihre Worte verstehen konnte.

„Albus ... Ich wusste immer ...“, auch Severus fiel jedes Wort, jeder Atemzug schwer, „dass ich eines Tages ... für meine Fehler einstehen muss.“
Der Direktor ergriff die unverletzte Hand seines Freundes und drückte zu. Das fröhliche Funkeln seiner Augen war zurückgekehrt, als er zustimmte: „Du wirst eines Tages büßen, mein Guter, genau wie ich und jeder andere auch, aber weder heute noch hier.“
„Ich spüre“, Severus presste die Augen zusammen, „den Hauch des Todes an meinem Nacken.“
„Nein, Severus.“ Albus umfasste Severus' Hand mit seiner anderen. „Nicht der Hauch des Todes ist es, den du spürst. Verwechsle ihn nicht mit einer leichten Sommerbrise.“ Man hatte wegen des Gestanks der Wunden alle Fenster im Krankenzimmer geöffnet. „Ein Wind, der frisches Leben bringt, Severus.“
„Ich sterbe ... und du machst Späße.“
Mit väterlicher Güte lächelte Albus ihn an. „Ich spaße nicht, mein Freund. Du hast die Chance, frei vom Zeichen der Schuld ganz neu zu beginnen. Halt dich am Leben fest und lass auf keinen Fall los, ganz gleich, wie viel Leid du erdulden musst!“
„Albus?“ Poppy war ans Bett herangetreten. „Ich unterbreche nur ungern, aber Severus benötigt dringend etwas frisches Blut.“
„Ah, habt ihr einen Spender gefunden?“, fragte der Direktor, der sich bereits erhob und Platz machte.
„Dank der Schulakten war es einfach.“ Hinter sich blickend gab Poppy dem Spender ein Zeichen. Zögerlich kam Neville ans Bett heran. Er hatte damit gerechnet, Draco sein Blut zu spenden, aber für Severus würde er es natürlich auch tun – für jeden hier im Raum.
„Darf ich dabei bitte liegen? Mir wird sonst schlecht.“
Poppy war erstaunt, wo sie doch wusste, dass Neville als Mitglied der DA in einigen Schlachten an Harrys Seite gekämpft hatte. „Können Sie etwa kein Blut sehen?“
„Doch, nur nicht mein eigenes“, gab Neville beschämt zu.
„Dann ab aufs Nebenbett.“

Arthur hatte derweil die Auroren wieder entlassen, die sich nun auf zum Verbotenen Birkenwald machen sollten. Besorgt blickte Ron zu Harry herab, bevor er Fred am Ärmel zupfte und mit ihm den Weg nach draußen ansteuerte.

„Wo geht ihr hin?“, fragte Hermine ihn, als sie an ihr vorbeigingen.
„Die anderen warten draußen. Wir werden weiterplanen, bis Harry dazustößt.“ Nochmals schaute er zu dem Schlafenden hinüber. „Ich hoffe, es bleibt bei dem einen 'Stündchen'.“
„Wartet ...“
Hermine wollte mitgehen, doch Ron hielt sie auf. „Du bist völlig fertig, Hermine. Keine besonders große Hilfe für uns. Nimm's mir nicht krumm, aber du bleibst hier. Wenn Harry aufwacht und das Gegenteil sagt, dann bitteschön.“
„Aber ...“
„Denk an Nicholas“, rief er ihr ins Gedächtnis zurück. „Das war es auch, was Harry dir gesagt hat, bevor er uns einsperrte. Deswegen wirst du nicht mitkommen. Klär es mit ihm, wenn er aufwacht.“

Erst jetzt hatte Schwester Marie die Zeit gefunden, sich um Sirius' Hinterkopf zu kümmern, den Remus bereits gründlich gereinigt hatte.

„Wir müssen die Haare nicht abschneiden, oder?“, fragte Sirius vorsichtig, griff sich dabei in die schwarze Mähne, die er über alle Maßen vermissen würde.
Marie lächelte beruhigend und tätschelte ihm wie einem Kind den Kopf. „Aber nicht doch, das ist nicht notwendig. Ich werde die Wunde nochmal mit einem Zauber desinfizieren und danach mit einer Tinktur besprühen.“

Gedankenverloren blickte Hermine geradeaus und beobachtete Poppy dabei, wie sie langsam etwas von Nevilles Lebenssaft mit einem Schlauch aus Magie in Severus' blutleeren Körper pumpte.

„Meine Schuld ...“, hörte Hermine plötzlich neben sich, so dass sie Draco anblickte.
„Was ist deine Schuld?“
„Das dunkle Mal ... Ich hab das getan!“
Vor lauter Unverständnis schüttelte sie den Kopf. „Wie soll das deine Schuld sein?“
„Ich habe Harrys Hand genommen“, Draco holte tief Luft, „und seinen Stab auf meinen Arm gedrückt.“
Erschrocken blickte sie zu Harry hinüber, der mit einem seligen Lächeln auf den Lippen fest schlief. „Ja natürlich!“, sagte sie eher zu sich selbst. „Es war egal, welches Mal berührt werden würde. Es war immer egal. Wie ein Steppenfeuer breitet es sich aus, ist nicht aufzuhalten.“
„Wie meinst du das?“
„Draco“, sie nahm seine gute Hand in ihre, „du erinnerst dich an die Prophezeiung, die Trelawney gemacht hat?“ Er nickte. „Das ist der Beginn, Draco!“
Mit glänzenden Augen blickte er sie an. „Und ich hab's ausgelöst?“
Trotz ihrer Furcht, dass alles anders kommen könnte als erhofft, schenkte sie ihm ein Lächeln. „Ja, du hast die erste Hälfte wahr werden lassen.“
„Ich hab es geahnt“, er musste kräftig schlucken. Jedes Wort strengte ihn an. „Mir war bei der Prophezeiung nicht wohl. Ich habe vermutet, dass es mit dem dunklen Mal zu tun hat.“
„Ich auch“, stimmte sie zu, „aber dass es so kommen würde ...?“

In seinem Traum hatte Severus nur die Andeutung gesehen, nicht aber, wie Harry sein Mal berührte.

„Danke“, hauchte Draco.
„Wofür?“
„Dass ich nicht allein bin.“ Kraftlos drückte er ihre Hand, was ihr Mut gab, die Sache durchzustehen und es gab ihr Hoffnung, dass Severus' Zeit noch lange nicht gekommen war.

Ein paar Schritte weiter sprach Arthur mit Albus.

„Ich werde ins Ministerium gehen. Wie es aussieht, werde ich gebraucht.“ Mit einer zittrigen Hand fuhr sich Arthur durchs Haar. „Ich lege all meine Hoffnung in Harry und Kingsley und will zuversichtlich sein, dass meine Tochter bald zurück ist. Unversehrt.“
Albus nickte. „Dort liegt die Hoffnung gut, Arthur.“
„Ich denke, unter diesen Umständen wird Molly hierbleiben wollen.“ Arthur blickte zu Harrys Bett hinüber, wo Molly bereits Wache hielt.
„Sie ist willkommen“, versicherte Albus.
„Dann danke ich dir für deinen Trost. Ich melde mich, sobald ich etwas erfahren habe.“

Die Männer verabschiedeten sich voneinander, was Hermine nur nebenher hören konnte. Es erschrak sie, dass Albus unerwartet bei ihr auftauchte.

„Hermine, auf ein Wort. Unter vier Augen.“ Sie warf Draco einen letzten Blick zu, bevor sie sich vom Stuhl erhob und gleich darauf zu wanken begann. „Sie haben noch nichts zu sich genommen?“, fragte Albus fürsorglich. Hermine schüttelte den Kopf. „Dann darf ich Sie zu einem Frühstück einladen?“
„Ich weiß nicht, ob ich etwas herunterbekomme.“
„Wir werden sehen, Hermine.“

Albus war so galant und hielt ihr seinen Arm hin, den sie dankend ergriff. Das war genau das, was Hermine jetzt benötigte: Halt von einem großen starken Mann.

Es war von Vorteil, intern durch den Kamin von einem Stock zum anderen zu gelangen. So sparte Hermine sich die vielen Treppen vom ersten Stock hinauf bis in den hohen Turm, in dem das Direktorenbüro lag. Noch einmal hätte sie diese Strecke heute nicht zurücklegen können.

Die vielen Gemälde der ehemaligen Direktoren täuschten im Gegensatz zu sonst diesmal keine Müdigkeit vor. Hellwach beobachten Albus und seinen Gast.

„Setzen Sie sich doch, Hermine.“

Ganz in der Nähe von Albus' Büro – im Raum der Wünsche – hatte sich die DA versammelt. Kein Thron aus Perlmutt war mehr zu sehen, keine goldene Sonne. Stattdessen hatte der Raum den Forderungen nachgegeben und einen Ort geschaffen, an dem sich ein Angriff planen ließ. Es gab Tische, auf denen verschiedene Pergamente verteilt lagen. Einige von ihnen waren groß und zusammengerollt. Colin nahm sich so ein großes Pergament und rollte es auf.

„Hey Leute, seht mal: Das ist ein Lageplan von einer Festung!“, rief der junge Mann. Die anderen DA-Mitglieder versammelten sich um den runden Tisch herum und griffen nach den Rollen. Jeder für sich öffnete eine, um eine Kopie von dem Plan betrachten zu können, den schon Colin inspizierte.
„Das“, Ron zeigte stolz auf die ganzen Unterlagen, „ist genau das, was wir jetzt brauchen!“
„Da soll Ginny gefangen gehalten werden?“, wollte Alicia wissen.
„Ganz offensichtlich, sonst würde der Raum uns die Pläne nicht zeigen.“
„Hier!“ George hatte sich ein anderes Pergament zur Brust genommen. „Ein Grundriss des Gebäudes, mit allen Räumen, Türen und Fenstern.“
Fred schaute seinem Zwillingsbruder über die Schulter. „Na, besser geht’s nicht!“
Auf dem Tisch entdeckte Parvati eine lange Liste, die sie in die Hand nahm und verwirrt betrachtete. „Hier stehen lauter Namen drauf!“
„Lass mal sehen.“
Sie reichte Ron die Liste, der damit nichts weiter anfangen konnte. Nur ein Name stieß ihm übel auf. „Pablo!“
Fred und George blickte auf. „'Unser' Pablo? Der Mistkerl steckt dahinter?“
„Er ist offenbar einer von ihnen“, Ron nickte, „aber hier stehen noch eine Menge anderer Namen, die mir alle nichts sagen. Es sind eine ganze Menge. Wenn das hier unsere Gegner sein sollen, dann muss ich euch leider mitteilen, dass sie in der Überzahl sind.“
„Wenigstens wissen wir das und können uns drauf einstellen“, warf Dennis furchtlos in die Runde.
„Wie gehen wir vor?“, fragte Hannah mit großen Augen. „Desillusionierungszauber und dann ab durch die Mitte? Oder lieber ...“

Die Tür zum Raum der Wünsche öffnete sich erneut und alle blickte auf. Vier Gestalten traten ein, mit denen sie nicht gerechnet hatten, aber sie waren willkommen. Bill mit Fleur an der Hand, Charlie und Percy.

„Dann sind die Weasley-Brüder jetzt alle vollzählig!“ Ron begrüßte seine älteren Brüder kumpelhaft mit einem Schlag auf den Rücken, doch bei Percy musste er ein Wort verlieren. „Wenn Dad rauskriegt, dass du dich uns angeschlossen hast, wird er dich feuern müssen.“
„Das ist mir gleich“, erwiderte Percy zum Erstaunen aller.
Fred blickte ihn eindringlich an. „Bist du wirklich Percy oder hat da jemand mit Vielsafttrank gespielt?“ Er zwinkerte ihm zu. Niemand hätte erwartet, dass er seine Karriere im Ministerium auf Spiel setzen würde, denn es würde nicht nur eine Kündigung bedeuten, sondern auch eine Gefängnisstrafe, wenn man sich als Ministeriumsangestellter einer solch bedenklichen Aktion anschließt, die nicht im Sinne des Ministers sein konnte.
Percy blickte kurz zu Boden, dann zu Fred, bevor er mit erschreckender Ernsthaftigkeit sagte: „Für unsere kleine Schwester ist mir kein Preis zu hoch.“
„Und du, Charlie“, Fred schlug ihm auf die Schulter, „dass du den weiten Weg von ...“
Charlie unterbrach ihn. „Ich war bereits in der Nähe bei einer Konferenz über Drachenreservate. Ron hat mir Bescheid gegeben und da bin ich sofort hergekommen.“ Wie er hergekommen war, verriet er nicht. Über das Flohnetzwerk jedenfalls nicht, denn sonst wäre er viel früher eingetroffen.
„Dann lasst uns beginnen, Leute. Lasst und planen, wie wir den Muggeln den Wind aus den Segeln nehmen und Ginny unverletzt dort rausholen!“

Unverletzt.

Dieses Wort ging Narzissa durch den Kopf, als sie sich in Windeseile ankleidete. Sie verzichtete auf prunkvoll zurechtgemachtes Haar, auf repräsentative Kleidung und auf ihr rosafarbenes Rouge, das ihren blassen Wangen sonst immer etwas Leben einhauchte. Unverletzt war ihr Gatte nicht, dass hatte eine Schwester namens Marie ihr mitgeteilt. Es musste die Krankenschwester gewesen sein, das hatte Narzissa erst während des Ankleidens überdacht, von der ihr Mann immer in den höchsten Tönen sprach. Endlich war Narzissa bereit, das Haus zu verlassen.

„Susan?“, rief sie vom Eingangsbereich hinauf. Ihre Schwiegertochter kam mit roten Wangen und feuchten Augen die große Treppe hinuntergerannt. In ihren Armen hielt sie Charles. Ihn musste sie mitnehmen, denn ein Hauself gehörte der Familie nicht. „Susan.“ Narzissa hielt ihre Arme auf, um die Frau ihres Sohnes zu trösten. „Es wird schon alles gut werden.“
Susan wollte diesen Worten Glauben schenken, aber es fiel ihr schwer. „Wünsch ihm von uns“, sie umfasste Charles, „eine gute Besserung aus. Ich hoffe so sehr ...“

Dass nichts Schlimmes geschehen war, das die Familie auseinander reißen würde, doch sie wollte die Worte nicht laut sagen.

„Grüß Draco und gib ihm einen Kuss von mir.“

Susan nickte ihrer Schwiegermutter zu, bevor sie nacheinander in den grünen Salon gingen, um von dort aus zu ihren Männern zu flohen.

Narzissa erreichte den Eingangsbereich des Mungos und musste sich sofort an die Wand neben den Kamin pressen, weil die Menschen hier in Aufruhr waren. Viele Männer und einige Frauen schrien sich die Seele aus dem Leib. Als Narzissa ihren angsterfüllten Blick schweifen ließ, bemerkte sie leblose Körper am Boden. Der gesamte Eingangsbereich war voller Verletzter, deren verzweifelter Verwandter und ratloser Freunde – und auch voller Toter. Unzählige Heiler und Pfleger rannten herum, kümmerten sich um die Bedürftigen oder bedeckten die Leichname derjenigen, die diese Qualen nicht überlebt hatten. Die Personen mit den stechend gelben Umhängen waren aus dem Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium, wie Narzissa bemerkte. Einige Heiler trugen zivile Kleidung. Offenbar waren sie zum Noteinsatz gerufen worden. Irgendwo blitzte es. Narzissas Kopf fuhr herum. Ein Mann hatte ein Foto geschossen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen konnte er selbst nicht glauben, was sich ihm hier für ein Anblick bot.

Vor lauter Schrecken hielt sich Narzissa eine Hand vor den Mund, als sie das Ausmaß dieser Situation begriff. Die am Boden liegenden Verletzten wimmerten. Ein älterer Mann starb in den Armen seiner Tochter, die bitterlich um ihn weinte. Als Begleiter des Todes lag der widerliche Geruch süßer Fäulnis in der Luft. Narzissa würgte, hielt sich weiterhin die Hand vor den Mund. Mit der anderen fuchtelte sie nach ihrem parfümierten Taschentuch, das sie sich, nachdem sie es gefunden hatte, vor die Nase hielt. An der Wand entlangtastend ging sie Schritt für Schritt, um die Fahrstühle zu erreichen. Dabei beobachtete sie mit Herzklopfen das Chaos im Anmeldebereich des Krankenhauses. Pfleger rannten an ihr vorbei. Ihnen folgten schwebend sämtliche Utensilien, mit denen man sich um die Wunden kümmern wollte. Ein Hindernis gab es für Narzissa, denn an der Wand, an der sie entlangging, lehnte ein sterbender Mann. Was mit all den Leuten hier geschah, konnte sie jetzt aus der Nähe bestens an seinem linken Arm sehen. Schwächlich drückte er ein Stück Stoff in die offene Wunde, aus der er stark blutete. Für jeden Atemzug musste er viel Kraft aufwenden. Langsam sank er zu Boden. Narzissa kniete sich neben ihn.

„Es ist vorbei“, hauchte er. „Das ist der Preis für ...“

Sie legte eine Hand auf seine Schulter und sah zu, wie die Augen des Mannes unkontrolliert blinzelten, bis die Lider plötzlich still waren. Langsam kippte sein Kopf nach vorn. Ein letztes Mal holte er tief Luft, die ohne sein Zutun wieder aus dem Körper entwich, nachdem ihn der Tod geholt hatte. Bevor Narzissa irgendetwas tun konnte, kam ein Pfleger auf sie zu.

„Madam, war das ein Verwandter von Ihnen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Einer von den anderen hier?“ Er deutete auf die Eingangshalle. Nochmals verneinte sie, so dass er ihr nahelegte: „Dann sollten Sie gehen. Das ist heute nicht der richtige Ort für Sie.“
„Mein Mann ...“ Der Pfleger war schon auf dem Sprung gewesen, blieb aber nochmals stehen, um sie anzuhören. „Mein Mann war wegen seiner Augenuntersuchung hier. Eine Schwester hat mich gerufen.“
„Ah, dann wissen Sie, welche Station?“
„Ja.“
„Seien Sie darauf gefasst, dass es in jedem Teil des Krankenhauses so aussieht wie hier. Die, die wir stabilisieren konnten, wurden bereits auf die freien Zimmer verteilt.“
„Danke.“

Der Pfleger nickte und ließ sie mit all ihrer Sorge um Lucius allein.

Die Fahrstühle konnte sie nicht nehmen, da sie ständig dafür benötigt wurden, Patienten nach oben zu transportieren. Für Narzissa blieb nur das Treppenhaus. Hier war es ruhig. Es war unheimlich zu wissen, dass außerhalb dieses Treppenhauses so viel Aufregung herrschte. Als sie im richtigen Stockwerk angekommen war, öffnete sie vorsichtig die Tür. Sofort schlugen ihr die Schreie der Verletzten entgegen und die noch lauteren Anweisungen der Heiler an das Pflegepersonal. Der Pfleger im Eingangsbereich hatte Recht behalten. Auch hier oben war die Hölle los. Der faule Gestank der Wunden hatte sich im gesamten Gebäude ausgebreitet. Die Schwestern und Pfleger waren damit beschäftigt, die Verletzten in freie Zimmer zu bringen.

Sie nahm all ihren Mut zusammen und hielt einen der Pfleger auf, der gerade an ihr vorbeirannte. Auf seinem Schild stand „Mike“.

„Bitte, wo finde ich Mr. Malfoy?“
„Malfoy? Zimmer 14, soweit ich weiß. Ich muss gehen, Madam.“ Schon war er in der Menschenmenge verschwunden.

Zimmer 14. Das Ziel.

Narzissa behielt so gut es ging die Ruhe. Auch dieses Mal presste sie sich dicht an die Wand, um niemandem im Wege zu sein. Ständig verdeckte jemand die Schilder neben den Türen, weswegen sie warten musste, um einen Blick darauf zu erhaschen. Zimmer 08 stand gegenüber. Sie selbst befand sich gerade an Zimmer 07. So schnell sie konnte und ohne jemanden anzustoßen führte sie ihren Weg fort.

Zimmer 10, Zimmer 12 und endlich – sie atmete erleichtert aus – Zimmer 14, direkt gegenüber. Voller Freude auf ein Wiedersehen mit ihrem Mann rannte sie hinüber und stürmte das Zimmer. Die Tür schloss sie sofort wieder, um das Grauen aus diesem Raum zu verbannen. Das Aufatmen brachte Ekel mit sich, denn es stank bestialisch nach Tod. Vorsichtig ging sie den kleinen Flur entlang, der zum Badezimmer führte, bis sie endlich das Bett sehen konnte. Jemand lag darauf. Jemand, der sich nicht rührte und dessen Körper man mit einem weißen Laken bedeckt hatte. Sie presste beide Hände über ihren Mund, um nicht zu schreien. Ihr Herz zersprang vor Schmerz.

Ihr Mann ...

Auch Susan dachte nur an ihren Mann. Mit dem Jungen dicht an sich gepresst, den kleinen Kopf mit ihrer Hand geschützt, flohte sie zu Poppy ins Büro und rannte ins Krankenzimmer. Ihr ehemaliger Tränkelehrer war der Erste, den sie sehen konnte. Im Nebenbett lag Neville, der mit einem magischen Schlauch aus der Vene seiner Ellenbogengrube Blut spendete. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte Draco sein Bett. Ihr Draco.

„Draco!“ Er schrecke auf. Geschlafen hatte er nicht. Er befand sich jedoch in einem Dämmerzustand zwischen Schmerz und Leben und im Moment war beides schwer zu ertragen. Der Schmerz sorgte dafür, dass er wach blieb und alles bewusst erleben musste. „Draco!“ Susan war bei ihm, an seiner Seite. Ihr verweintes Gesicht glich dem seinen. Das Brennen hatte ihm die Tränen in die Augen getrieben. Die nun aufkommenden Freudentränen waren von den anderen nicht zu unterscheiden.
„Susan, komm her“, hauchte er sehnsüchtig. Unter großen Schmerzen strecke er seine unverletzte Hand nach ihr aus, die sie sofort umfasste. Sie bedeckte seine Stirn mit küssen, schluchzte dabei und küsste sich den Weg hinunter zu seinem Gesicht.
„Eine Schwester hat uns gerufen. Was ist passiert?“

Mit aufgeweckten Augen musterte sie ihn. Sofort fiel ihr der linke Arm auf. Kein Verband war zu sehen, aber ein Tuch schwebte schützend darüber. Man hatte den Arm mit der Innenseite nach oben fixiert, so dass er ihn nicht einmal aus Versehen bewegen konnte. Unter dem Arm befand sich eine metallene Schale. Tropfen für Tropfen fing die Schale eine Mischung aus Blut und Gewebe auf. Der Schrecken saß tief.

„Was ist nur geschehen?“, wiederholte Susan.
„Das dunkle Mal ...“ Er schloss die Augen. Kaum dachte er an die Wunde, begann sie noch heftiger zu schmerzen. „Es hat gebrannt.“ Sie verstand es falsch, dachte sofort an Voldemort und eine mögliche Rückkehr, weshalb sie ihn schockiert anblickte. „Das Mal ist fort“, beruhigte Draco sie.
„Fort?“
„Es hat sich aufgelöst“, stöhnte er. „Und alles, was damit in Berührung kam.“

Noch immer mit Charles im Arm erhob sie sich vorsichtig, um zur anderen Seite des Bettes zu gehen. Sie wollte einen Blick unter den Stoff riskieren. Der Gestank hatte sie längst auf etwas Schreckliches vorbereitet. Vorsichtig hob sie das Tuch. Gegen den Schrei, der ihr entwich, konnte sie nichts tun. Neville zuckte erschrocken zusammen. Severus ebenfalls, was ihm wiederum große Schmerzen bereitete.

„Miss Bones!“ Poppy kam zu Susan hinüber. „Setzen Sie sich auf die andere Seite und lassen Sie den Arm in Ruhe!“ Sie nickte und ging gehorsam zurück zur rechten Seite. Tränen liefen an ihrem Gesicht hinunter. Charles begann zu quengeln. Er hatte sich ebenfalls erschrocken.
„Das muss furchtbar wehtun“, schluchzte sie. Charles stimmte mit ein, weil er die Trauer seiner Mutter spürte.
„Nicht doch, Susan. Komm, setze dich neben mich.“ Draco hielt ihr die Hand entgegen. Sein Unwohlsein überspielte er mit einem Lächeln. „Setz dich.“ Seine Finger umfassten ihre Hand. „Nicht weinen, Susan.“
„Das ist so grauenvoll“, jammerte sie. „Wie konnte das nur geschehen?“
„Ist doch egal.“
„Kann ich irgendetwas tun, damit es dir besser geht?“
Mit seinem Daumen strich er über ihren Handrücken. Es tat gut, sie bei sich zu haben. Schon diese kleine Berührung gab ihm Kraft, den Schmerz zu ertragen. „Es geht mir schon besser, seit du hier bist.“ Er log nicht einmal, als er das sagte. Ihre Anwesenheit und die seines Sohnes wirkte wie ein schmerzstillendes Mittel. Mit seiner Familie an der Seite würde er alles durchstehen. Als er seinen Sohn schluchzen hörte, wischte er ihm eine Träne von der rosigen Wange. „Leg ihn mir in den Arm.“
„Meinst du nicht, dass das ...?“
Draco hatte bereits mit seinem rechten Arm eine Kuhle geformt, in die sie Charles legen sollte. „Mach schon, ich will ihn bei mir haben. Er sieht sowieso müde aus.“
„Ist er auch. Ich hab ihn aus dem Schlaf gerissen, bevor ich hergekommen bin.“ Vorsichtig legte sie den Jungen seitlich an Dracos Brustkorb. „Ich konnte ihn doch nicht allein lassen.“

Mit der Krankenhauswäsche deckte sie den Jungen zu. Es dauerte nicht lange, da schloss Charles die Augen, um in der warmen Höhle, die sein Vater für ihn gebaut hatte, ein Schläfchen zu halten. Draco war so auf Susan und den Jungen konzentriert, dass er die linke Seite seines Körpers ignorierte. Zu seiner Rechten lag das Leben, das er umfasste und an sich drückte. Um nichts in der Welt wollte er loslassen.

Loslassen wollte auch Hermine nicht. Noch immer hielt sie sich an Albus' Arm fest. Er störte sich nicht daran und tätschelte liebevoll ihre Hand.

„Setzen Sie sich doch, Hermine.“
„Danke.“

Ein Elf brachte Frühstück, das normalerweise wunderbar duften müsste, doch noch immer hatte sie den Geruch von verdorbenem Fleisch in der Nase. Der Anblick des gebratenen Specks, der im eigenen Saft schwamm, war alles andere als verlockend.

„Ich glaube, ich krieg' nichts runter, Sir.“
„Nehmen Sie eine Scheibe Toast. Dazu etwas Orangenmarmelade.“ Albus griff selbst zu den Dingen, die er ihr ans Herz legte. „Und ein Schluck Tee oder Kürbissaft, Hermine.“ Die Kanne schenkte ihr von ganz allein ein. Es musste ein wort- und stabloser Zauber von Albus gewesen sein. Den Toast, den er vermeintlich für sich selbst zubereitet hatte, reichte er auf einem Teller an Hermine weiter. Lustlos biss sie hinein. Kaum hatten Zunge und Gaumen das Fruchtfleisch berührt, schmeckte sie die Sonne. Den Toast aß sie in Windeseile. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr Hunger so groß war. Beim dritten Toast, diesmal mit Himbeermarmelade, musste sie plötzlich an Severus denken. Das angebissene Stück Brot legte sie zurück auf den Teller.

„Wie ich sehe, fanden Sie Gefallen an den Sorten. Sie gehören zu meinen Lieblingen.“
„Albus?“ Hilfe suchend blickte sie ihn an. Sie suchte Rat, Trost oder wenigstens einen Hinweis, was sie nun tun sollte.
„In jeder anderen Situation“, begann er leise, „und bei jedem anderen Menschen würde ich den Rat geben, auf das Herz zu hören, aber nicht dieses Mal, Hermine.“ Verwundert runzelte sie die Stirn, blinzelte dabei voller Unverständnis. „Es ist der Verstand, der nun weiterhelfen wird. Halten Sie ihn beisammen.“
„Das ist leicht gesagt“, schnaufte sie, was ihr ein Schulterklopfen seinerseits einbrachte.
„Hermine, wenn ich Sie fragen dürfte, was mit Draco und Severus geschehen ist?“
„Ich habe nicht gesehen, was es ausgelöst hat, Albus. Draco hat mir aber gesagt, er hätte Harrys Hand genommen und seinen Stab aufs dunkle Mal gepresst.“
„Ah“, machte Albus, als sei er nun erleuchtet.
„Was ist da passiert? Warum konnte Harry etwas tun, wozu sonst nur Voldemort in der Lage war?“ Es lag auf der Hand, dass Albus keine Erklärung für die Geschehnisse hatte, aber Vermutungen.
„Draco hat nicht Harrys Stab genommen, sondern Harrys Hand, die den Stab noch hielt?“, fragte er nach. Hermine nickte und wartete geduldig auf seine Theorie. „Ich kann nur alle Ereignisse als Tatsachen betrachten und damit spekulieren. Harry hatte schon als Kind viel mit Voldemort gemeinsam, was den Tod der Eltern betrifft oder dass beide Parsel beherrschten. Gewisse Übereinstimmungen haben Harry eines Tages große Angst bereitet.“
„Ich erinnere mich“, stimmte sie zu.
„Dabei hat Harry so viel mehr als Voldemort.“ Der Sternenhimmel in Albus' Augen funkelte gütig. „Sie waren sich zwar ähnlich und ihre Magie glich sich, nur war es für Harry von Vorteil, noch eine andere Macht zu besitzen. Wahrscheinlich wäre nichts geschehen, hätte Draco ihm den Stab nur abgenommen und sich damit selbst berührt. Das, was heute geschehen ist, konnte nur durch Harrys Hand ausgelöst werden.“ Aufmerksam hörte Hermine zu, als Albus seine Gedanken preisgab, die halb auf Vermutung basierten, halb auf fundierten Schlussfolgerungen. „Nicht nur aufgrund seines gewaltigen Magiepotenzials war es Harry möglich gewesen, auf das dunkle Mal einen so uneingeschränkten Einfluss nehmen zu können wie Voldemort es konnte. Es war noch etwas anderes mit im Spiel.“
„Was?“, stieß Hermine neugierig hervor.
„Eine Besonderheit, eine exklusive Gemeinsamkeit war dafür verantwortlich, dass die letzten Überreste Voldemorts endgültig ausgelöscht werden konnten. Ein einziger Gegenstand besaß diese Macht.“

Hermine war kurz davor, vor Neugierde zu platzen. Albus gab seine Vermutung einfach nicht preis. Stattdessen wartete er darauf, bis ihr Verstand wieder normal arbeitete. 'Eine Besonderheit', wiederholte sie in Gedanken. 'Ein Gegenstand.'

„Ja natürlich, Harrys Zauberstab!“
„Richtig, Hermine.“ Er tätschelte ihr Knie, was sie ihm gestattete. „Ihre Stäbe waren verschwistert. Diese Zwillingsstäbe trugen einen Kern in sich, der von demselben Wesen stammte.“
„Eine Schwanzfeder von Fawkes!“

Albus war erfreut, dass Hermine selbst drauf gekommen war. Ohne seine Hilfe hätte sie viel länger benötigt, um zu diesem Schluss zu kommen, denn am heutigen Tage stand das Denken an zweiter Stelle. Ihr Handeln war gefragt gewesen. Wo ihre Hilfe vonnöten war, hatte sie geholfen. All die Informationen hatten Hermine vollkommen überwältigt. So war es also doch indirekt der Phönix gewesen, der das dunkle Mal entflammt hatte, wenn auch nur mit einer seiner Federn und Harrys einzigartiger Magie.

„Wie geht es weiter, Hermine?“
Seine Frage ließ sie stutzen. „Wie meinen Sie das?“
„Die gute Sibyll hat mich in ihre letzte Prophezeiung eingeweiht. Ich habe ihr das Versprechen abgenommen, nicht damit hausieren zu gehen.“
Hermine begriff, auf was Albus anspielte. „Ich würde meinen“, begann sie zögerlich, „dass sich die Prophezeiung nun erfüllt. Die erste Hälfte ist eingetroffen. 'Feuer verzehrt, ein Brand erneuert.' - das ist heute passiert.“
„Und wie war noch das Ende der Prophezeiung?“, fragte er scheinheilig, obwohl Hermine sich sicher war, dass er solche wichtigen Dinge nicht vergaß.
„Jetzt muss 'seine Flamme es finden' und ...“ Sie hielt inne und fragte sich selbst, ob sie sich so sicher sein durfte, wer seine Flamme war. Vielleicht handelte es sich nicht einmal um eine Person, sondern um einen Gegenstand oder etwas völlig anderes. Das müsste geklärt werden, nahm sie sich vor, bevor sie weitermachen konnte. Es wäre anmaßend, die Prophezeiung nach ihren eigenen Wünschen zu interpretieren.
„Hermine?“
„Ich ...“ Verlegen blickte sie auf ihre Hände. „Ich bin mir nicht sicher.“
„Womöglich hilft es Ihnen, über den zweiten Teil ein wenig nachzudenken“, empfahl er. „Die Meinung Dritter darf man auch nicht außen vorlassen.“
„Wen sollte ich schon fragen können?“, hielt sie ihm vor Augen.
Über seine Halbmondbrille hinweg schaute er sie eindringlich an. „Diejenigen, die davon wissen.“

Mit Harry und Ginny konnte sie momentan nicht reden. Weil sie an Ginny denken musste, übermannte sie erneut das Schuldgefühl, aber auch etwas anderes fiel ihr ein.

„Herrje, ich habe ja noch ...“ Bevor ihr etwas herausrutschte, stoppte sie sich und überdachte ihren Satz. „Ich habe noch Gäste in der Apotheke.“ Stringer und Fogg, über deren Schicksal sie sich noch keine Gedanken gemacht hatte. Sollte sie die beiden anzeigen, würde sie selbst eine Menge Ärger am Hals haben und ihre Tränkemeister-Lizenz gleich an den Nagel hängen können. Auf jeden Fall müsste sie handeln, sonst hätte sie im schlimmsten Fall Leichen im Keller – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Entsprechende Herren waren bereits fest davon überzeugt, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen.

Im Keller der Apotheke ging Stringer aufgebracht hin und her. „Ich habe Hunger!“, schimpfte er aufgewühlt.
Fogg schien resigniert zu haben. „Was, wenn sie uns vergessen haben? Wie spät ist es überhaupt?“
Ein Blick auf seine gestohlene Taschenuhr verriet die Uhrzeit. Nervös fuhr Stringer eine Hand übers Gesicht. „Es ist schon Mittag durch. Wollen die uns mürbe machen? Das haben sie geschafft! Ich schwöre, ich gebe alle kriminellen Machenschaften auf und werde ein guter Mensch, wenn sie uns nur etwas zu essen bringen.“ In der Hoffnung, jemand hätte ihn gehört, blickte Stringer erwartungsvoll zur Tür, doch sie öffnete sich nicht. „Ich werde sämtliche gestohlene Gegenstände zurückbringen.“ Noch immer nichts. „Verdammt!“ Hoffnungslos nahm er neben seinem Freund auf dem schmutzigen Boden Platz. Fogg hatte ein Notizblock aus seinem Umhang genommen und schrieb etwas hinein. „Was tust du da?“, wollte Stringer wissen.
Fogg grinste verstohlen, als er antwortete: „Ich schreibe mir in den Kalender ein, dass du heute all den kriminellen Machenschaften abgeschworen hast.“

Normalerweise würde Stringer ihn anbrüllen und das Notizbuch aus seinen Händen schlagen. Desto mehr erstaunte es Fogg, dass sein Freund vollkommen ruhig blieb, nicht einmal eine spitze Bemerkung machte. Stattdessen hielt sich Stringer den Bauch. Man konnte Geräusche vernehmen, die der leere Magen von sich gab.

Fogg stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Dort in den Regalen steht Eingemachtes.“
Sein Freund hielt dagegen: „Der Todesser hat gesagt, wir sollten lieber nichts anfassen.“
„Meinst du, sie haben die Pfirsiche und Birnen mit einem schwarzen Fluch belegt? Das glaub ich nicht.“ Um sich die Schilder auf den Gläsern anzusehen, erhob sich Fogg und ging zu den Regalen. „Sogar Gewürzgurken gibt es hier!“
„Fass es nicht an!“, fuhr Stringer ihn harsch an.
„Maiskolben und hier“, mit einem Zeigefinger deutete er auf das Glas, „Hering! Erbsen und Bohnen, Kartoffeln, Kohl. Also, verhungern werden wir hier nicht!“
„Mag sein, aber vielleicht sterben wir an einem gemeinen Fluch, sobald wir auch nur wagen, eines der Gläser zu berühren.“ Stringer stand ebenfalls auf und näherte sich seinem Freund, dem sichtlich das Wasser im Mund zusammenlief. Als Fogg seine Hand nach den Pfirsichen ausstreckte, hielt Stringer ihn an den Handgelenken fest. „Bist du denn wahnsinnig geworden?“
„Du hast doch selbst gesagt, du hast Hunger. Ich glaube nicht, dass sie sich die Mühe machen, so viel Lebensmittel zu konservieren, nur um sie dann zu verfluchen. Was für einen Sinn macht das?“
Stringer ließ die Hände seines Freundes nicht los. „Und ich kann mich schwerlich mit dem Gedanken anfreunden, dass ein Todesser das Konservieren von Lebensmitteln zum Hobby hat. Was bringt es ihm, wenn er dabei nicht ein paar Gemeinheiten ausheckt? Der Mann ist nicht umsonst Todesser!“
„Der Mann hat einen Merlin bekommen“, winkte Fogg ab.
„Ich hab auch Zeitung gelesen. Gut, dann ist er eben ein Ex-Todesser und trotzdem: Ich trau ihm nicht.“
Fogg schnaufte belustigt. „Du traust doch niemandem.“
„Doch, ich traue dir, aber ich traue dir auch zu, so naiv zu sein und einfach was anzufassen, wovor man uns gewarnt ...“

In Windeseile befreite Fogg seine Hände und griff so schnell zu dem Glas, dass Stringer die Worte im Hals stecken blieben. Er rechnete mit einem Fluch, der Foggs Hände zusammenschrumpfen lassen würde oder ihn wahnsinnig machte, aber nichts geschah. Trotzdem war der Schrecken groß.

„Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“, meckerte Stringer aufgebracht. „Da hätte sonst was passieren können.“
„Es ist aber nichts passiert.“ Mit einem leisen Geräusch, das die luftdichte Versiegelung beim Öffnen des Glases machte, hielt Fogg ihm die Pfirsiche unter die Nase. „Auch welche?“
Zögernd griff Stringer in die Flüssigkeit und fischte eine halbe Frucht heraus. Erst roch er dran, dann biss er ab. Das zarte Fruchtfleisch zerging auf der Zunge. „Mmmh, ist gut.“
„Wenn die Gläser nicht verflucht sind“, überlegte Fogg laut, „und der Tisch auch nicht, an den den du vorhin gestoßen bist – außerdem die Werkzeuge nicht, über die du gestolpert bist ...“
„Willst du mir Tollpatschigkeit vorwerfen?“, fragte Stringer schmatzend.
„Nein, ich will damit nur sagen, dass sie vielleicht gelogen haben. Bisher war hier gar nichts verflucht.“ Langsam drehte sich Fogg in dem kleinen Kellergewölbe, bis er ein Oberlicht ausgemacht hatte. „Vielleicht hätten wir die ganze Zeit schon fliehen können?“
Stringer folgte erst dem Blick seines Freundes, der das Kellerfenster anvisiert hatte. Gleich darauf schaute er auf das Regal mit den ganzen eingemachten Lebensmitteln, bevor er kurz innehielt und nachdachte. Nach wenigen Sekunden hatte er eine Entscheidung getroffen und teilte diese auch Fogg mit. „Ich ess jetzt erstmal was!“

Dunkel konnte sich Hermine daran erinnern, dass der Keller voll mit Lebensmitteln war, die Mrs. Cara, die Vorbesitzerin, zurückgelassen hatte. Verhungern würden die beiden nicht, wenn sie ihre Angst erst überwunden hätten, womöglich einem Fluch zu erliegen.

Das Gespräch mit Albus war kurz gewesen, aber aufschlussreich. Vor allem – und das war das Wichtigste – hatte sie ihren klaren Verstand zurückerlangt. Schuldgefühle wegen des Vielsafttrankes drängte sie beiseite, auch wenn es ihr sehr schwerfiel. Sie wollte Severus glauben, dass es nur eine Verkettung unglücklicher Zufälle gewesen war und ihr Vielsafttrank am Ende gar keine Rolle gespielt hatte. Letztendlich war es wie in Severus' Leben, denn auch er hatte mit Schuldgefühlen zu kämpfen, obwohl er nicht den Stab gehalten hatte, mit dem der Avada Kedavra gesprochen wurde. Sollte Harry sie später mitgehen lassen, wäre sie bereit dazu, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Ginny zu retten. Sie könnte es aber auch verstehen, wenn er ihr die Teilnahme an der Rettungsaktion verbieten würde.

Über das Flohnetzwerk war Hermine zurück zu Poppy gefloht. Ihr Ziel war Severus, doch ein Abstecher zur Toilette war nach dem vielen Tee bei Albus unumgänglich.

Was im Krankenzimmer geschah, registrierte Severus nur nebenher. Da war Poppy, die immer wieder in seinem Blickfeld auftauchte und wie ein Geist von links nach rechts huschte, dann wieder zurück. Er konnte Remus und Sirius flüstern hören. Schräg gegenüber hatte sich Molly damit die Zeit vertrieben, ihr Taschentuch zu malträtieren. Jedes Mal, wenn sie ihre Nase schnäuzte, kam in Severus der Drang auf, sie verhexen zu wollen. Gegenüber hörte er, wie sein Patensohn zärtliche Worte mit seiner Frau austauschte. Von allem tat das am meisten weh.

„Poppy“, hauchte er ungehört. Dreimal musste er tief Luft holen, bevor er ein weiteres Mal ihren Namen sagen konnte, doch auch diesmal sprach er so leise, dass sie ihn nicht hörte. Vielleicht lag es an den klappernden Geräuschen der metallenen Schüsseln, die sie an Dracos Bett stellte oder aber Severus war wirklich nicht zu hören. „Poppy!“ Sie wurde einfach nicht auf ihn aufmerksam. Das Geflüster von Draco und Susan ließ Wut in ihm aufkommen. Womöglich verwechselte er es Neid, aber mit der Klärung dieser Frage beschäftigte sich Severus nicht lange. „Poppy!“

Nicht die Heilerin hatte seine Stimme vernommen, dafür jemand anderes. Vorsichtig näherte sich Remus dem Bett seines Kollegen. Ihm war aufgefallen, dass sich Severus' Lippen bewegten. Eine unerklärliche Befangenheit überkam ihn, als er Severus betrachtete. Noch nie, nicht einmal damals in der Schule, hatte er ihn so kränklich und bleich erlebt. Es war, als würde er eine andere Seite von Severus sehen – die verletzliche Seite. Und weil Remus ahnte, dass es Severus zuwider sein musste, in diesem Zustand von anderen gesehen zu werden, wollte er ihm so normal wie nur möglich gegenübertreten.

„Hast du einen Wunsch, Severus?“, fragte er seinen Kollegen und Freund zuvorkommend.
Die Stimme von Remus ließ den Kranken aufblicken. Wenn schon nicht Poppy, dann sollte er ihm behilflich sein. „Wandschirme“, brachte Severus knapp hervor.
Um ihn besser zu verstehen, beugte sich Remus hinunter. „Was bitte?“
Von gegenüber hörte man ein geflüstertes Liebesgeständnis, gefolgt von dezenten Kussgeräuschen, die auch, das konnte Severus an dem peinlich berührten Gesichtsausdruck erkennen, bis an Remus' Ohren drangen. Severus wollte nicht aus der Ferne sehen, auf was er selbst verzichten musste. „Wandschirme“, wiederholte er entkräftet und dennoch wütend. Die Sicht auf Draco und dessen Frau und Kind quälte ihn mehr als sein linker Arm.
„Ah, die Paravane. Moment ...“

Mit Hilfe seines Zauberstabes faltete Remus die Wandschirme auseinander und ordnete sie so um das Bett herum an, dass Severus vollständig von den anderen abgeschottet war. Unerwartet schoss Remus ein Gedanke durch den Kopf. Wäre es möglich, fragte er sich selbst, dass er sich zum Sterben zurückziehen wollte? Remus konnte nicht anders, als bei Severus zu bleiben. Ohne zu fragen setzte er sich auf den Stuhl zu Severus' Rechten. Beide ignorierten sich, und beide waren froh, dass der andere da war.

Vorhin hatte Poppy den drei Patienten die üblichen Krankenhausnachthemden übergestreift, die man tragen musste, wenn man sich länger in ihrer Obhut aufhalten würde. Remus überwand seine Scheu und betrachtete Severus. Er konnte erkennen, dass Severus sich seiner Anwesenheit bewusst war. Umso positiver fand Remus es, dass er nicht fortgejagt wurde. Severus fühlte sich sogar behaglich genug, um die Augen zu schließen, auch wenn er nicht schlafen konnte. Die vorhin so flache Atmung war bereits wieder kräftiger geworden, aber durch den Schmerz stockend. Der schmale Brustkorb des Tränkemeisters bebte beim Einatmen. Die gesunde Hand krallte sich in die weiße Bettwäsche. Was Remus bei anderen Freunden sofort tun würde, unterließ er bei Severus. Er würde es nicht begrüßen, freundschaftlich und Mut machend berührt zu werden, darüber war sich Remus bewusst.

Hermine hatte die Waschräume hinter sich gelassen und das Krankenzimmer betreten. Sie ließ ihren Blick schweifen.

Ganz hinten saß noch immer Molly an Harrys Bett. Sie ließ ihren Schwiegersohn in spe nicht aus den Augen. Hermines Blick fiel auf Draco, der Besuch von Susan hatte. Was Hermine ganz herzerfrischend fand war der kleine Junge, der im Bett an Vaters Seite schlief. Weil es Draco besser zu gehen schien, ging sie erst zu ihm hinüber.

„Hallo Susan.“ In ihrer Stimme hatte sich die Erschöpfung des gesamten Tages niedergeschlagen, dabei hatte der erst angefangen.
Ausgelaugt blickte Susan auf. „Hallo.“
Hermine erhaschte einen guten Blick auf Charles, der sein Köpfchen auf Dracos Arm gelegt hatte. Der Anblick schenkte ihr ein wenig seelisches Gleichgewicht und Zufriedenheit. Es war nicht auszuschließen, dass Draco davon noch viel mehr profitierte, denn als sie ihn sich aus der Nähe ansah, wirkte er trotz der Verletzung viel ruhiger und entspannter als vorhin. „Hast du noch sehr große Schmerzen, Draco? Oder helfen endlich die Mittel?“, wollte sie von ihm wissen.
„Die Tränen … Die Phönixtränen nehmen ein wenig von dem Schmerz. Trotzdem fühle ich mich, als hätte eine Horde Hippogreife mich niedergetrampelt.“
Er sah auch so aus, was sie natürlich nicht sagte. Nur gequält kam ein Lächeln über Hermines Lippen. „Ich werde mal ...“ Ungenau deutete sie auf das Bett gegenüber, das von drei Seiten mit Raumteilern abgeschirmt war.
Draco nickte und gab ihr die Worte mit auf den Weg: „Sag ihm, dass es mir leidtut.“

An den türkisfarbenen Wandschirmen blieb Hermine stehen, bevor sie ihre Anwesenheit preisgab.

„Severus?“
„Hermine!“, antwortete eine Stimme, aber nicht die von Severus. Der Wandschirm schob sich zur Seite. „Hermine“, wiederholte Remus erleichtert. Ihr Blick wurde magisch von Severus bleicher Erscheinung angezogen. Remus bot ihr seinen Stuhl an. „Ich wollte sowieso gerade gehen“, log er. Ihre Augen ruhten weiterhin auf Severus' Gesicht, als sie nickte und Platz nahm. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als seine ganze Erscheinung ihr weismachen wollte, dass seine Zeit gekommen war. Blass, schwach, kaum ansprechbar.
„Severus?“ Seine Augen öffneten sich wie in Zeitlupe, doch nur bis zur Hälfte. „Helfen die Phönixtränen?“ Er seufzte und schloss die Augen wieder, was sie als Verneinung deutete. „Draco sagt, sie helfen bei ihm ein bisschen.“ Severus erwiderte nicht, dass es nicht die Tränen waren, die seinem Patensohn die Schmerzen nahmen, sondern die Nähe seine Familie. „Albus wollte mit mir sprechen“, unterbrach sie die Stille, „sonst wäre ich hier bei dir geblieben.“ Er vernahm Bedauern in ihrer Stimme. Sie sollte ihn nicht bedauern.

Sein verzerrtes Gesicht, die zusammengezogenen Augenbrauen und die allgemein sichtbare Anspannung seines Körpers sprach Bände. Er litt Höllenqualen. Eine qualifizierte Heilerin zu sein und doch nicht helfen zu können war für Hermine nicht leicht zu ertragen. So sehr wünschte sie, dass er wenigstens Schlaf finden würde, so wie Harry, den man bis hierher schnarchen hörte.

Unbewusst fühlte ihre Hand nach seiner. Mit einer Berührung hatte er nicht gerechnet, weswegen er zusammenfuhr. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück, doch da griff er schwächlich zu, tastete auf dem Laken nach ihr. Seiner blinden Suche bereitete sie ein Ende, als sie ihre Hand in seine schob. So saßen sie eine ganze Weile. Abwechselnd betrachtete Hermine durchs Fenster die Vögel am Himmel oder sein blasses Gesicht, an deren Wangen sich zwei purpurne Flecken gebildet hatten. Die Blutübertragung hatte ihn stabilisiert.

Wie schon so oft hielten sie sich einfach an der Hand, auch wenn diese Situation sich so sehr von all den anderen unterschied. Bisher hatte sie seine Hand gehalten, wenn sie aufgeregt war, wie bei der Vorstellung ihres Farbtrankes oder wenn sie fröhlich war, wie bei dem Besuch bei Takeda. Oder auch nur, weil ihr danach war, wie beim Spazierengehen mit dem Hund. Die heutige Situation war eine völlig andere. Heute hatte sie Angst um ihn. Beide klammerten sich aneinander, weil sie befürchteten, von einer höheren Macht auseinander gerissen zu werden. Gedankenverloren betrachtete Hermine seine Finger. Die verfärbten Fingerspitzen gaukelten vor, der gelbe Blütenstaub eines Krokus hätte sich an ihnen festgesetzt. Safrangelb. Unüberlegt strich sie so leicht über seine Finger, als würde sie Blütenblatt befühlen.

„Die Prophezeiung“, begann sie leise, um zu sehen, ob er die Augen öffnen würde. Er enttäuschte sie nicht und blickte sie durch halb geöffnete Lider an. „Die Prophezeiung ist eingetreten.“ Zaghaft nickte er. Ihm war der gleiche Gedanke gekommen. „Du weißt noch, wie sie weitergeht?“

Wieder nickte er. Hermine riss sich zusammen. Sie müsste fragen, ob sie mit der Vermutung richtig lag, dass sie es sein würde, die die letzte Zutat finden sollte. All ihren Mut zusammennehmend schaute sie ihm in die Augen, doch anstatt zu fragen, war sie von dem Anblick ganz verzaubert. Das dunkle Braun seiner Augen schien das Licht der Umgebung nicht zu absorbieren, sondern nach außen abzugeben. Sie waren noch viel wärmer als zu dem Zeitpunkt, als Hermine die ersten Veränderungen an ihrer Farbe bemerkt hatte. Langsam, damit er nicht erschrecken würde, beugte sie sich zu ihm, so dass sie ihm tief in die Augen schauen konnte.

Severus' Herz machte einen Satz in die Kehle, als sie so dicht bei ihm war. Alles deutete darauf hin, dass sie ihn ...

„Deine Augen“, unterbracht sie seine Gedanken, „sie sind ...“ Ratlos schüttelte sie den Kopf, lächelte jedoch dabei. „Sie sind anders. Es hat sich etwas getan, Severus!“ Einen kurzen Augenblick später lag die Sonne heiß und willkommen auf seiner klammen Wange. Das Gefühl ihrer Hand war so einnehmend, dass er den Schmerz an seinem Arm kaum noch spürte. Genüsslich schloss er die Augen.
„Du wirst“, seine Stimme war rau, „es finden.“ Sein Brustkorb hob sich, als hätte das Leben ihn wach geschüttelt. „Du findest es!“, wiederholte er viel kraftvoller.

Er hatte ihr die Frage beantwortete, die sie sich nicht zu stellen getraut hatte. Zuversichtlich drückte sie seine Hand und blieb noch bei ihm, selbst als er die Augen schloss und Erholung fand.

Das Erfreulichste im Leben eines Menschen, der Schmerzen litt, war der Besuch von lieben Menschen. Die Nähe von Verwandten und Freunden konnte, das war wissenschaftlich bewiesen, sich positiv auf die Psyche auswirken und eine genesende Wirkung mit sich bringen. Auch in anderen unerträglichen Situationen konnte es helfen, nicht allein zu sein.

Ginny war allein.

Als sie langsam erwachte, erinnerte sie sich an Pablo. Ohne sich mit ihr zu unterhalten war er sofort los gerannt und hatte Bescheid gegeben, dass sie nicht mehr betäubt war. Dem Arzt, dem Tyler beim nächsten Besuch genau auf die Finger geschaut hatte, war nichts anderes übrig geblieben, als ihr tatsächlich das Mittel zu spritzen, von dem sie schlafen würde. Es war viel weniger gewesen, das hatte Ginny noch sehen können, bevor ein bleierner Mantel aus nicht erholsamer Ohnmacht ihr die Augen geschlossen hatte.

Blinzelnd schaute sie umher. Draußen war es hell. Der Tag. Wo war Harry? Wo war die DA? Panik gewann die Oberhand. Sie hätten längst hier sein müssen! So schnell sie konnte regte sie ihren Kreislauf an, indem sie ihre Beine bewegte, auch den rechten Arm, doch der linke war noch immer mit der Schelle an der Wand festgemacht. Sie musste unbedingt raus. Fliehen. Mühsam versuchte sie aufzustehen, doch gerade in diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Der Mann namens Tyler trat ein.

„Ah, unser Prinzesschen ist wach.“ Er winkte mit der bereits aufgezogenen Spritze. „Diesmal musst du mit mir Vorlieb nehmen. Ich werde die Vene schon irgendwie treffen.“

Rapide reduzierten sich Ginnys Gedanken auf das Wesentliche. Nicht mehr Harry und Nicholas standen im Vordergrund, sondern nur die Absicht ihrer Flucht. Sie war bereit zu töten, um zu leben. Aufmerksam beobachtete sie, wie Tyler näher kam und die Hülle von der Spritze zog. Sie stellte sich orientierungslos und schwach, als er nach ihrem Arm griff. Dort waren die letzten beiden Einstiche noch zu sehen. Tyler konzentrierte sich, um einen davon zu treffen. Tyler war zu sehr auf ihre Armbeuge fixiert. Ginnys Moment war gekommen.

Ihr rechtes Bein zog sie so schnell an, dass Tyler keine Zeit zum Reagieren fand. Vor Schmerzen wimmerte er, als ihre harte Kniescheibe mit den weichen Körperteilen in seinem Schritt kollidierte. Er fiel vornüber, halb auf sie drauf. Ihre freie Hand vergrub sie sofort in seinen Nackenhaaren, um dort Halt zu finden. Mit aller Wucht zog sie an seinen Haaren, holte aus und schlug seine Stirn auf den Steinboden, dabei entwich ihr vor lauter Anstrengung selbst ein Stöhnen. Benommen versuchte Tyler wegzukrauchen, doch Ginny ließ ihn nicht gehen. Sie packte ihn an der Jacke und zog ihn zu sich; umfasste seinen Oberkörper mit den Beinen und drückte mit all ihrer Kraft zu. Sämtliche Luft entwich ihm aus den Lungen. Er durfte auf keinen Fall schreien, durfte keine Hilfe holen. Seine Hände fuchtelten unkontrolliert herum. Tyler wollte sie zu fassen kriegen, doch sie war schneller, schlug seinen Kopf nochmals auf den Steinboden. Sein Körper zuckte, auch seine Finger, die nicht mehr greifen konnten. Noch ein drittes Mal griff sie nach seinem Schopf, doch diesmal wehrt er sich. So kurz vor der Besinnungslosigkeit bäumte er sich auf, wollte ihr unbedingt entkommen, aber ihre Beine hielten ihn fest. Er oder sie. Keine Alternative. Ginny fletschte die Zähne und packte ihn an den Haaren. Sein Schädel prallte so stark auf den Boden auf, dass es ihn diesmal das Bewusstsein kostete.

Vorsichtshalber fühlte sie seinen Puls. Tot war er nicht, aber vorerst außer Gefecht. Mit der freien Hand durchsuchte sie ihn. Sie fand eine Waffe, mit der sie nicht umzugehen wusste. In hohem Bogen warf sie die Pistole in den Wäschehaufen, der sich rechts von ihr befand. Mit einer Hand befühlte sie seine Taschen, seine Hose, aber er trug keinen Schlüssel bei sich.

„Verdammt!“

Anstatt Blut floss nun Adrenalin durch ihre Adern. Sie war kräftig genug, um aufzustehen, doch die Handfessel hielt sie an Ort und Stelle. Wie wahnsinnig zerrte Ginny an der Kette. Der Mörtel war alt, aber gut verarbeitet. Die Befestigung der Kette an der Wand war beständig und bewegte sich keinen Millimeter. Das Eisen war ebenso widerstandsfähig. Ginny presste den Daumen der linken Hand in die Handinnenfläche und zog, bis es schmerzte – und dann noch ein Stück mehr. Nichts. Sie kam nicht aus der Fessel heraus. Der Daumen störte.

Panik.

Es war seltsam, am eigenen Leib zu spüren, wie sich dieses Gefühl in einem ausbreitete. Jeden Moment könnte die Tür aufgehen. Man würde mit ihr kurzen Prozess machen. Eine Kugel und aus war das Leben. Flucht, Kampf oder Starre. Mehr Auswahl gab es nicht. Ginny entschied sich zur Flucht, aber ihr Daumen – ein eigener Teil ihres Körpers – vereitelte ihren Plan.

„Ich muss weg, ich muss weg“, flüsterte sie immerzu. Schweiß stand ihr auf der Stirn und auch ihre Hände schwitzten, aber es reichte nicht aus, um die Fessel schlüpfrig zu machen. In der Nähe befand sich gar nichts, was sie nehmen könnte. Keine Butter, kein Öl, mit dem sie ihr Handgelenk einschmieren könnte.

Die Angst bescherte Ginny den Vorteil, dass ihr Sinne geschärft wurden und ihr logischen Denken von ganz allein nach einer Lösung suchte.

Der Daumen störte.

Sie atmete heftig, als sie sich die Fessel betrachtete. Mit der rechten Hand befühlte sie ihre linke, betastete den Mittelhandknochen ihres Daumens, der zur Handwurzel führte. Genau dieser Knochen war es, der sie an der Flucht hinderte. Ohne darüber nachzudenken umfasste Ginny mit ihrer rechten Hand die äußere Seite der linken und verhakte ihre beiden kleinen Finger miteinander. Kein Zögern. Vorhin war es Tylers Kopf gewesen, den sie gegen den Stein geschlagen hatte, jetzt war es ein Teil von ihr. Die gefesselte Hand traf auf die Wand. Es knackte. Ihr Daumen war schief. Durch das Adrenalin war der Schmerz erträglich. Nochmals versuchte sie, die Hand durch die Schelle zu ziehen. Wie zuvor scheiterte sie.

„Verdammter Daumen!“

Ein letztes Mal umfasste Ginny ihre Hand. Sie schlug sie gegen die Steinwand als wäre sie ein Feind. Diesmal war das Knacken lauter, der Schmerz größer. Ginny hielt die Luft an und presste die Augen fest zusammen. Das Große Vieleckbein war über das kleine gesprungen. Der Daumen war gebrochen, die Hand nun genauso schmal wie das Gelenk. Mit Leichtigkeit rutschte sie aus der Fessel.

Wie einen verletzten Vogel liebkoste sie ihre verletzte Hand und gab dem malträtierten Daumen einen Kuss.

„Nichts, was Poppy nicht heilen könnte“, beruhigte sie sich selbst, bevor sie zur Tür rannte und gleich darauf in die Knie ging. Ihr Körper war zu großen Belastungen noch nicht bereit, auch nicht zur Apparation. Hinter der Tür konnte sie Stimmen vernehmen, die immer lauter wurden. Jemand kam.

In Windeseile stand sie auf, schwankte. Heftig atmend blickte sie sich um. Keine Waffen, kein Zauberstab. Die Treppe! Sie wankte hinüber und betrat die erste Stufe, dann die zweite, bevor sie wieder zu Boden sackte. Auf Ellenbogen und Knien kroch sie, stand wieder auf und rannte, fiel erneut. Spiralförmig bewegte sie sich immer weiter nach oben, sah Tylers bewusstlosen Körper aus verschiedenen Blickwinkeln.

Es überraschte sie selbst, dass sie ein gutes Stück zurückgelegt hatte. Hier oben gab es Nischen; in die Wand eingearbeitete Schießscharten. Als Ginny die Tür hörte, robbte sie in eine dieser Nischen und presste sich wie ein verängstigtes Rehkitz an die Wand.

Stimmen. Man hatte Tyler entdeckt. Aufruhr.

Nicht bewegen, keinen Mucks von sich geben.


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