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Fanfiction

Harry Potter und die Totenrelikte - Der zerbrochene Zauberstab

von Wizardpupil

Das Licht in der kleinen Zelle war dämmrig, die Temperatur kühl. Kein Ton war zu hören. Narzissa war sehr dankbar dafür. Es wäre natürlich noch besser, wenn es ihnen erlaubt gewesen wäre, das St. Mungos aufzusuchen, aber sie wollte einmal nicht zu viel verlangen. Sie war immerhin doch eine gesuchte Verbrecherin, auch wenn sie nie etwas getan hatte. Im Gegensatz zu ihrem Sohn …
Aber Draco ging es gut, das war der Hauptsache. Hier lag er auf diesem kleinen, unbequem wirkenden Bett, das ihnen das Zaubereiministerium zur Verfügung gestellt hatte. Sein Gesicht war nicht mehr so furchtbar blass, und seine Stirn fühlte sich nicht mehr so heiß an. Als das Fieber nachgelassen und Draco erste Anzeichen von sich gegeben hatte, dass er langsam das Bewusstsein wieder erlangte, hatte die Erleichterung ihr für kurze Zeit das Gefühl gegeben, sie würde schweben.
Ihr armer Sohn … Lange hatten sie es geschafft, sich erfolgreich vor den Todessern zu verbergen. Waren auf Bergen, in Wäldern, in leerstehenden Häusern untergetaucht, hatten für fast eine Woche sogar als Muggel verkleidet gelebt, bevor sie es nicht mehr ausgehalten hatten. Sie hatten kaum Magie benutzt, um nicht aufgespürt zu werden. Und es hatte alles im Endeffekt doch nichts genützt. Es war eben doch ein Fehler gewesen, in die Nähe von Spinner’s End zu flüchten. Klar, dass nicht nur der Orden des Phönix, sondern auch der Dunkle Lord dieses Gebiet beobachten ließ …
Es war Bellatrix gewesen, die Draco mit diesem schrecklichen Fluch getroffen hatte. Ihre eigene Schwester … unglaublich, zu welchen Taten Menschen in diesem Todesser-Verein getrieben wurden. Gottseidank hatte sie ihren Sohn da herausziehen können. Nein, für ihn war es noch nicht zu spät. Am allerwenigsten jetzt, wo sie sich im Gewahrsam des Ministeriums befanden.
Narzissa fragte sich, ob sie sich und ihren Sohn nicht vielleicht sogar unbewusst aus genau diesem Grund in ihr Herrenhaus gebracht hatte: Um gefunden zu werden. Narzissa könnte nun alles erklären, dass sie gar keine Todesserin war, dass Lucius sie zu den Treffen geschleppt hatte, zu dem Dunklen Lord. Dass Draco einfach nur einen Fehler gemacht hatte, dass er in Wirklichkeit auf ihrem Pfad wanderte, nicht auf dem seines Vaters … Dass er sie gerettet hatte, als ihr eigener Mann sie hätte umbringen sollen! Draco und sie könnten ein neues Leben beginnen, sie könnten eine nette Frau für Draco finden, den Namen Malfoy in den Dreck werfen und unter dem noblen und ehrenwarten Namen der Blacks ihr weiteres Dasein verbringen!
Ja, endlich lief alles, wie es sollte …
Sie fühlte nur ein kurzes Ziehen in ihrem ganzen Körper, bevor sie bewusstlos von ihrem Stuhl fiel und auf dem Boden zusammensackte. Dass die Tür geöffnet worden war, hatte sie nicht mitbekommen.

Harry war tief in Gedanken versunken, während er McGonagall zum Krankenflügel folgte. In seinem Kopf war ein regelrechtes Durcheinander: Gesichter und Wörter jagten einander, und er versuchte, sich ein klares Bild von allem zu machen. Ollivander wollte mit ihm sprechen … Florean Fortescue, Narzissa Malfoy und jetzt Ollivander … seltsame Zufälle. So lange hatte niemand ihm helfen können, und dann das?
„Ein kurzes Wort der Warnung noch.“
Harry sah hoch. Sie hatten den Krankenflügel schnell erreicht. McGonagalls Miene hatte etwas Ernstes, etwas Missmutiges an sich, das Harry ganz und gar nicht angenehm war.
„Mr Ollivander war lange fort. Er hat sicherlich – viel durchgemacht. Sehr viel.“ Sie räusperte sich. „Das ist wohl auch der Grund, warum er jetzt – nun – etwas verstört wirkt.“
Harry stutzte. „Verstört?“
„Er zittert die ganze Zeit, spricht nicht in ganzen Sätzen.“ McGonagall schloss die Augen, als könne sie das Bild, das ihr durch den Kopf gegangen war, nicht ertragen. „Ich habe mich nur eine Viertelstunde mit ihm unterhalten, aber die hat gereicht, um mir zu zeigen, dass man mit Ollivander irgendetwas angestellt haben muss. Ich bitte dich daher, vorsichtig mit ihm umzugehen, Harry.“ Dann hob sie eine Hand und legte sie, zu seiner Überraschung, auf seine Schulter. „Ollivander scheint etwas zu wissen, Harry. Und er könnte hilfreicher sein als Florean Fortescue oder Narzissa Malfoy, so, wie ich ihn einschätze. Ich wünsche dir viel Glück.“
Sie nahm die Hand wieder weg, schenkte ihm ein letztes, aufmunterndes Lächeln und ging dann mit schnellen Schritten an ihm vorbei, den Korridor entlang und verschwand um die Ecke.
Harry stand noch eine ganze Weile außerhalb des Krankenflügels, vor der großen Tür. Er war unentschlossen, fühlte sich ein bisschen unsicher. Ollivander war verstört, aber McGonagall nahm an, dass er ihm mehr helfen könnte als Florean und Dracos Mutter es geschafft hatten … in so kurzer Zeit kamen ihm drei Personen zu Hilfe … Konnte da alles mit rechten Dingen zugehen?
Ach, komm schon, sagte eine Stimme in seinem Kopf, sei doch nicht so paranoid.
War er das wirklich? Paranoid? Vermutlich. Aber er hatte kein gutes Gefühl, als er die Tür öffnete und den Krankenflügel betrat.
Schon oft war Harry hier gewesen, aber meistens selbst als Patient. Immer wieder hatte er sich verletzt, wenn nicht beim Quidditch, dann beim Kampf gegen Voldemort, oder beim Verscheuchen hunderter Dementoren. Aber was ihm nun hier begegnete, waren keine Schüler, denen bei derartigen Dingen etwas passiert war. Stattdessen fand er etwas vor, das erklärte, warum McGonagall sich vorhin so seltsam benommen hatte.
Abgesehen von einem Bett, deren Vorhänge vorgezogen waren, war nur ein weiteres besetzt. Und das von einer Gestalt, die Harry nie erkannt hätte, hätte er nicht um ihre Identität bescheid gewusst. Zusammengekauert wie ein kleines Kind, mit den Armen um die aufgestellten Knie geschlungen, und mit Fingernägeln so lang wie Voldemorts Finger und dreckiger als Professor Sprouts, saß der Mann da. Offensichtlich hatte Madam Pomfrey ihm noch nicht in neue Kleidung helfen können, denn das schwarze Gewand, das er trug, war zerrissen und schmutzig, voller Schweißflecken und mit völlig ausgefransten Ärmeln. Die grauen Haare, beinahe so lang wie Dumbledores, hingen an allen Seiten um den Kopf herab, verdeckten aber nicht genug, um dem Betrachter den größten Schreck zu ersparen: Die weit aufgerissenen, erschreckend vernebelten Augen, und die Ringe darunter, so tief und schwarz, dass sie Harry an die Schlucht erinnerten, in die Dobby gefallen war.
Harry konnte Ollivander zittern sehen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ob er überhaupt etwas sagen sollte. Vielleicht wäre es besser, einfach zu gehen. Madam Pomfrey war nicht hier, er könnte unbemerkt verschwinden. Er hatte nicht unbedingt Angst vor Ollivander, Angst würde er das nicht nennen – aber er war mehr als entsetzt. Und er glaubte nicht, dass er mit Ollivander vernünftig reden könnte. Nicht, wenn er so aussah.
Aber er hatte einen Moment zu viel damit verschwendet, unentschlossen herumzustehen.
„Harry.“
Durch die Tür am anderen Ende des Krankenflügels, mit weit aufgerichtetem Oberkörper und selbstsicheren, schnellen Schritten, trat Percy. Er bedachte Harry mit einem gefassten und eisernen Blick, wies auf Ollivander und nickte bedeutungsschwer. Als wolle er Harry mitteilen, dass er nun mit Ollivander sprechen könnte. Percy schien den Ernst der Lage verstanden zu haben, aber Harry hatte das Gefühl, dass er sich selbst immer noch für mindestens genauso wichtig wie diese Situation hielt.
Während Percy wieder durch die Tür verschwand, wandte sich Harry an Ollivander zurück – und stellte erschrocken fest, dass Percys Stimme ihn aufgeweckt zu haben schien. Aufgeweckt war vielleicht das falsche Wort, immerhin hatte der Zauberstabmacher nicht geschlafen; aber es war offensichtlich, dass er Harry erst jetzt wahrnahm. Sein Gesicht war auf ihn gerichtet, er starrte ihn mit seinen übergroßen Augen an. Langsam nahm er die Hände hinunter. Harry musste schlucken und sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuatmen. Ollivanders Wangen waren so tief eingesunken, dass sein Gesicht wirkte, als wäre es nichts als ein besonders dünner Schädel, über den weißes Leder straff gespannt war. Denn seine Haut war fast weiß: Schon früher war er blass gewesen, doch nun schien nicht mehr viel zu fehlen, bis er genauso glänzend und durchsichtig war wie ein Geist.
„Mr Potter“, flüsterte Ollivander. Seine trockenen Lippen bewegten sich kaum. „Mr … Potter?“
Harry nickte, und als Ollivander daraufhin lange schwieg, sagte er: „Ja, der bin ich.“ Er wagte es nicht, irgendetwas anderes zu tun, also wartete er ab.
Aber Ollivander wartete offenbar auch auf etwas. Sein Körper zitterte nun deutlicher; seine Augen wanderten zwischen dem Bett mit dem vorgezogenen Vorhang (hinter welchem vermutlich Cornelius Fudge lag), der Tür, durch die Percy gekommen und gegangen war, und Harry hin und her. Als würde er es nicht gut finden, dass sich noch andere in ihrer Nähe befanden, und würde deshalb nichts sagen.
Dann endlich blieben die riesigen Augen auf Harry ruhen.
„Ich – ich – ich –“, begann Ollivander zu stottern. Harry rührte sich nicht, konnte sich gar nicht bewegen. „Ich – ich muss Ihnen etwas erzählen!“
Harry nickte erneut. „Das – weiß ich bereits.“
Dann herrschte wiederum Stille. Keiner der beiden sagte etwas. Sie starrten einander an, und Harry war es unmöglich, sich abzuwenden. Dieses Gesicht … was hatten sie bloß mit Ollivander angestellt?
Harry befürchtete schon, Ollivander würde gar nicht mehr reden – als er sich plötzlich bewegte. Mehr noch, er warf seine Füße über den Rand seines Bettes – und stand auf! Harry sah entsetzt zu, wie Ollivanders lange, dürre Beine hastige Schritte auf ihn zu taten. Er wollte nicht, dass dieser Mann ihm zu nahe kam – er hob schon den Fuß, um zurückzuweichen – da hörte Ollivander selbst auf, zu laufen. Er ging sogar zurück; nein, er fiel zurück, als wäre er an etwas abgeprallt, und stieß ein leises, entsetztes Krächzen aus.
„Mr Ollivander!“, rief Harry, als der Zauberstabmacher zu Boden ging. Jetzt war es ihm egal, wie Ollivander aussah, oder wie er sich verhielt. Jetzt sah er nur einen verletzten Mann, der seine Hilfe brauchte, und eilte nach vor.
„Nein!“
Harry blieb sofort wieder stehen.
„Nein!“, wiederholte Ollivander, und seine Stimme klang auf einmal wieder seltsam normal und geistesgegenwärtig. „Nein, kommen Sie nicht näher, bitte!“
Harry wusste nicht, was er sagen sollte.
„Ich kann es Ihnen auch einfach so sagen.“ Ollivander richtete sich auf stand langsam und zitternd auf. Schließlich stand er wieder fest auf beiden Beinen und fixierte Harry mit seinem Blick. Seine Augen hatten sich wie seine Stimme verändert – sie waren nun kleiner und weniger vernebelt, gefasst und klar.
„In Ordnung“, sagte Harry, erstaunt, aber glücklich über die plötzliche Veränderung. „Erzählen Sie es mir.“
Ollivander schwieg für einige Sekunden. Wieder musste Harry befürchten, er würde nichts verraten – aber dann begann er endlich, zu sprechen.
„Vor über einem Jahr“, sagte er mit rauer Stimme, „bin ich von dem Dunklen Lord entführt worden. Ich habe seit damals in seiner Gefangenschaft gelebt. Es ist mir nicht gut ergangen, wie man mir ansieht.“
Harry hörte mit steigender Neugier zu. Irgendwie klangen diese Worte, als hätte Ollivander sie auswendig gelernt.
„Allerdings habe ich zwei Dinge herausfinden können, die für Sie wichtig sind, Mr Potter. Können Sie sich vorstellen, warum der Dunkle Lord mich entführt hat?“
Harry zog die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht – vielleicht wegen Ihres Wissens über Zauberstäbe?“
„Ganz recht“, sagte Ollivander. „Aber der genaue Grund ist noch spezieller, Mr Potter – ich sollte dem Dunklen Lord einen zweiten Zauberstab anfertigen. Sein erster ist zerbrochen.“
„Sein erster ist –“ Harry wollte die Worte eigentlich nur wiederholen – aber dabei wurde ihm ihre Bedeutung klar.
„– zerbrochen, exakt“, beendete Ollivander den Satz.
Aber Harry hörte das schon kaum noch. In seinem Kopf wurde etwas deutlich: Jetzt, wo Voldemort einen neuen Zauberstab hatte, benutzten sie keine Geschwisterstäbe mehr. Es war ihnen nun möglich, gegeneinander zu kämpfen!
„Das ist noch nicht alles, Mr Potter.“
„Ich – was?“ Harry kam aus seinen Gedanken zurück. „Verzeihen Sie, ich – ich war kurz geistig nicht anwesend.“ Ja, das konnte man so sagen. „Es – es gibt also noch etwas, das Sie mir sagen wollen?“
„Ja“, sagte Ollivander. „Etwas beinahe noch Wichtigeres.“ Ollivander atmete tief ein und aus, als müsse er sich auf das vorbereiten, was er gleich preisgeben würde. „Mr Potter … ich weiß, wo das Geheimversteck des Dunklen Lords sich befindet.“
Harry wagte es nicht, seinen Ohren zu glauben. „Wie bitte?“
„Ich kenne den genauen Ort, wo das Geheimversteck des Dunklen Lords zu finden ist.“
Harry konnte nicht glauben, was er hörte. Aber er hörte zu, ohne irgendetwas zu sagen.

Als er den Krankenflügel verließ, stand sein Mund immer noch offen. In seinem Kopf herrschte komplettes Chaos. Er wusste es jetzt. Wusste, wo Voldemort war … Was sollte er tun? Er hatte noch nicht einmal einen einzigen Horkrux zerstört, und nur einen gefunden. Sollte er das Versteck trotzdem stürmen? Vielleicht war ja dort ein Horkrux. Wenn Voldemort dort war, dann konnten sie in dem Versteck sogar ganz sicher zumindest ein Horkrux finden … Und, vielleicht, wenn er mit dem ganzen Orden kam … vielleicht könnten sie einige Todesser fangen. Voldemort dazu zwingen, sich ein anderes Versteck zu suchen. Aber war das gescheit? War es nicht besser, das Haus einfach nur bewachen zu lassen, zu warten, bis alle Horkruxe gefunden und zerstört waren, und dann dort an Ort und Stelle Voldemort zu töten? Er wusste es einfach nicht …
„Harry.“
Harry sah hoch. McGonagall stand neben ihm.
„Ich habe hier auf dich gewartet“, sagte sie. „Ich bin vor einigen Minuten hier her zurückgekehrt, ich muss einfach wissen, was Ollivander dir erzählt hat.“
In diesem Moment fasste Harry einen Entschluss. „Ollivander hat mir gesagt, wo Voldemort sich versteckt hält.“
Daraufhin wurde Harry Zeuge einer der wohl erstaunlichsten Verwandlungen, die McGonagall jemals vollzogen hatte: Ihre sonst so ernste und strenge Miene wurde zu einer fast komisch fassungslosen Grimasse.
„Er hat – er hat dir …“ McGonagall blinzelte ein paar Mal. „Aber – Harry, sag mir sofort, wo das ist!“ So schnell, wie sie verschwunden waren, kamen der strenge Gesichtsausdruck, die unglaublich dünnen Lippen zurück. Sie hob die rechte Hand und stellte ihren Finger in einer drohenden Geste auf. „Ich warne dich, Harry, wenn du wieder mit deiner Geheimniskrämerei anfängst –“
„Ich will es Ihnen doch erzählen“, unterbrach sie Harry, ohne auf McGonagalls Haltung einzugehen. „Ich möchte, dass der gesamte Orden Hermine, Ron und mich dorthin begleitet. Ich hoffe, dass der Orden so viele Todesser wie möglich einsperren kann und es meinen Freunden und mir ermöglicht, das Haus zu durchsuchen.“
McGonagall war so überrascht, dass sie nicht nur nicht antwortete, sondern nicht einmal die Hand sinken ließ. Sie starrte Harry ungläubig an, bis sie endlich die Fassung zurückgewann.
„Oh“, sagte sie da nur. „Nun – das ist gut.“ Sie runzelte die Stirn. „Um ehrlich zu sein, hätte ich damit gerechnet, dass du wieder allein dort hin willst. Diesmal hättest du meine Erlaubnis aber definitiv nicht bekommen.“
„Kein Problem“, sagte Harry grinsend, „diesmal möchte ich den Orden mit Sicherheit dabei haben.“
„Gut. Also; wo ist das Versteck?“
Harry antwortete nicht sofort; er wusste, dass McGonagall nicht unbedingt gefallen würde, was er jetzt sagen musste. Aber schließlich sagte er es ihr: „Im Haus der Familie Riddle.“
McGonagall nickte, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. „Im Haus der –“ Dann hörte sie auf zu nicken. „Im Haus der Familie Riddle?“ Sie verschränkte ihre Arme. „Aber Harry, Tonks hat sich damals in diesem Haus umgesehen. Dort ist nichts!“
„Ich habe das Haus der Riddles bisher auch aufgrund Tonks‘ Aussage einfach vergessen“, sagte Harry, der mit dieser Reaktion von McGonagall gerechnet hatte. „Aber offensichtlich hat sie sich geirrt. Nicht, dass sie eine schwache Hexe ist, aber – Sie müssen doch zugeben, dass Voldemort Wege kennen muss, sein Hauptquartier vor einer einzelnen Hexe zu verbergen!“
McGonagall schien verblüfft über Harrys Logik zu sein. Er musste ehrlich zugeben, dass er genauso verblüfft war. Diese Idee war ihm gerade erst gekommen.
„Nun gut“, sagte McGonagall. „Du hast Recht. Wir sollten dem in jedem Fall nachgehen. Dann – aber Moment einmal!“ Sie war schon dabei gewesen, sich umzudrehen, wandte sich nun aber wieder mit starrem Blick an Harry. „Wenn du sagst, dass ihr das Haus durchsuchen wollt – dann meinst du damit doch nicht, dass ihr nach ihm – nach – nach Voldemort selbst sucht, oder?“
„Nein. Wir suchen etwas anderes.“ Eigentlich, dachte Harry, konnte er es ihr sogar erzählen – der Orden könnte ihm da wohl auch helfen. „Voldemorts Schlange, Nagini. Können Sie den Mitgliedern des Ordens bitte sagen, sie sollen Nagini töten, wenn sie ihnen begegnet? Das wäre sehr wichtig.“
„Die Schlange?“, fragte McGonagall. „Nun – wieso nicht. Wollen Sie mir erklären, warum – warten Sie …“ McGonagall sah Harry eindringlich an. „Ist diese Schlange etwa – ist sie Voldemorts Horkrux? Oder einer von seinen Horkruxen?“
Harry seufzte. Jetzt war es ja doch egal – es hatte keinen Sinn mehr, es zu leugnen. Eigentlich hatte es nie Sinn gemacht, solche Informationen McGonagall vorzuenthalten. Warum er solche Dinge immer erst spät erkennen musste, wusste er auch nicht …
„Also gut“, sagte McGonagall, die Harrys Seufzen als eine Bestätigung verstanden zu haben schien. „Ich werde den Orden zusammenrufen und alle Mitglieder in Gruppen einteilen – der größte Teil wird sich natürlich um die Todesser kümmern, während ein paar von uns direkt nach Voldemort suchen werden, und einige weitere werden euch bei der Jagd nach der Schlange unterstützen. Das Ministerium werden wir nicht einschalten. Wenn sie sich im Nachhinein einmischen und sich beschweren, dass wir ihnen nichts gesagt haben – dann sind wir eben nur einem unbegründeten Verdacht nachgegangen und hielten es nicht für angebracht, den Minister wegen einer möglichen Nichtigkeit zu stören.“ McGonagall zwinkerte ihm zu; etwas, das man selten von ihr zu sehen bekam.
„In Ordnung“, sagte Harry. Ihm gefiel McGonagalls Plan tatsächlich äußerst gut.
„Ich schlage vor, du holst inzwischen Hermine und Ron. Ich schlage vor, wir treffen uns in –“ McGonagall machte eine kurze Pause „– einer Viertelstunde in der Eingangshalle.“
„Einverstanden.“
„Gut.“ McGonagall drehte sich um, blieb aber kurz stehen. Über ihre Schulter sagte sie zu Harry: „Heute Nacht werden wir erfolgreich sein, Harry. Ich denke, heute Nacht wird es endlich einmal soweit sein.“
Dann ging sie los. Harry wartete keine Sekunde länger und lief in die entgegengesetzte Richtung. Er wollte nicht zurück in den Raum der Wünsche, sondern in die Bibliothek, wo Hermine sich höchstwahrscheinlich noch befand.
Er behielt Recht: Er fand Hermine an einem der hintersten Tische des Lesebereiches in der Bibliothek. Noch während er auf sie zulief, rief er ihren Namen, und sie sah hoch.
„Was ist denn?“, fragte sie, und als er näher kam und sie ihn genau sehen konnte, fügte sie erschrocken hinzu: „Ist etwas passiert?“
Harry warf sich auf den Stuhl neben ihr. „Ollivander!“, flüsterte er ihr zu. „Er ist wieder aufgetaucht und hat mir verraten, dass Voldemorts Zauberstab zerbrochen ist! Und wo Voldemorts Geheimversteck ist!“
Hermines Augen weiteten sich; die unangenehme Erinnerung an Ollivanders Augen kam dabei wieder zurück. „Was?“
„Geh bitte zu Ron“, flüsterte Harry weiter, ohne Genaueres zu erklären, „und nimm ihn mit in die Eingangshalle, wir treffen uns dort mit McGonagall. Zusammen mit dem Orden gehen wir zu Voldemorts Versteck. Keine Fragen jetzt!“, zischte er, als Hermine den Mund öffnete. „Hol bitte einfach Ron!“
Hermine zögerte – dann aber sagte sie, „Okay. Was machst du in der Zwischenzeit? Oder gehst du direkt in die Eingangshalle?“
„Ich laufe hoch in den Raum der Wünsche und hole meinen Tarnumhang. Nur für den Fall.“ Welchen Fall auch immer er damit meinte; einen bestimmten hatte er zumindest nicht im Kopf.
Sie gingen gemeinsam zurück zu dem Flur vor der Bibliothek, mussten sich dann aber trennen, da sie durch unterschiedliche Geheimgänge am schnellsten zu ihren Zielen kommen konnten. Harry verließ die versteckte Treppe ganz in der Nähe des Raums der Wünsche, stürmte hin und in sein Zimmer und öffnete seinen Koffer. Als Passwort dafür hatten sie sich Great Hangleton ausgedacht, weil es der echte Name des Dorfes war, in dem Harrys Eltern gestorben waren, und die meisten wussten nicht einmal von dem falschen Namen Godric’s Hollow, geschweige denn von dem echten. Sehr witziger Zufall, dass sie nun in das Gegenstück von Great Hangleton zurückkehren würden.
Den Tarnumhang in der Umhangtasche, machte sich Harry auf den Weg in die Eingangshalle. Er erreichte gerade den zweiten Stock, als jemand nach ihm rief. Er drehte sich um und sah Hermine, die auf ihn zugerannt kam.
„Was machst du denn hier?“, fragte er sie. „Du solltest doch Ron holen!“
„Hab ich getan“, erwiderte sie, „und er hat gesagt, dass er noch seinen Zauberstab aus dem Raum der Wünsche holen muss. Ich hätte gedacht, ihr trefft euch dort, aber das war ja scheinbar nicht so.“
„Nein. Egal – komm jetzt, er wird schon noch zu uns stoßen.“
„Ja“, sagte sie, während sie gemeinsam die Stufen hinunter liefen, „aber Harry –“
„Was denn?“
„Ich denke – wir sollten reden.“
„Worüber denn?“
„Bleib doch mal stehen!“
„Sicher nicht“, entgegnete Harry. „Wir haben es eilig.“
Hermine stöhnte. „Na gut. Aber dann antworte mir trotzdem, ja?“
Harry zögerte. „Ja.“
„Gut. Also –“ Sie hielt ihn an der Hand, um ihn zu bremsen, und ging um einiges langsamer weiter. „Kommt dir das nicht komisch vor?“
„Was denn?“, fragte Harry, bemüht, sie nicht anzuschreien. Warum hielt sie ihn und sich selbst auf?
„Ständig tauchen Vermisste auf!“, sagte Hermine. Sie sah ihn dabei so eindringlich an, als wolle sie ihm etwas per Gedankenübertragung klar machen, und wäre beinahe über eine Stufe gestolpert. „Und drei davon wollen dringend mit dir reden – und alle drei geben dir wichtige Hinweise, wie Voldemort zu besiegen ist! Denkst du nicht, dass das eine Falle sein könnte?“
„Eine Falle?“ Harry stieß einen leisen Lacher aus. „Voldemort schickt mir Boten, die mir sagen, wie ich ihn bezwingen kann? Das ist seine ausgeklügelte Falle?“
„Vielleicht! Vielleicht füttert er dich mit falschen Informationen!“
„Was? Aber –“ Harry schluckte; war er vielleicht doch nicht so paranoid gewesen? Hatte er Recht gehabt, an der plötzlichen Hilfe zu zweifeln? … Nein. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn! „Fortescue konnte mir doch nicht mal sagen, wo die Rüstung ist, also kann ich auch auf keine Falle reinfallen!“, meinte er. „Narzissa hat uns etwas verraten, was richtig ist – nur leider wussten wir es schon. Warum sollte Voldemort Narzissa schicken, um uns mitzuteilen, was eines seiner Horkruxe war? Und wenn er Ollivander mit einer Lüge geschickt hat, dann ist das eine sehr schlechte Lüge; ihm müsste klar sein, dass ich mit dem ganzen Orden ins Riddle-Haus einfallen werde, und da würden wir doch sofort sehen, dass dort nicht sein Hauptquartier ist. Was sollte ihm das denn bringen?“
„Ich hab keine Ahnung, Harry!“ Hermine schüttelte den Kopf, offensichtlich verzweifelt; als hätte sie ganz genau erklärt, worauf sie hinaus wollte, und er würde es einfach nicht verstehen. „Ich kann nicht wie Voldemort denken. Glücklicherweise.“
„Und denk doch mal dran – sein Zauberstab, zerbrochen!“ Hermines letzten Kommentar ignorierte er einfach. „Das heißt, er und ich könnten uns nun duellieren!“
„Und das ist so toll, ja?“
Harry runzelte die Stirn. „Du denkst, ich habe keine Chance.“
„Nein, so meine ich das nicht“, erwiderte Hermine, unbeeindruckt davon, dass Harry ein verletztes Ego vorgespielt hatte. „Andererseits hast du wirklich keine Chance, das muss dir ja klar sein. Voldemort war im Duell sogar Dumbledore fast ebenbürtig.“
„Aber nur, weil Dumbledore Voldemort nicht töten wollte!“
„Ja, schon …“
„Ich will jetzt nicht mehr diskutieren. Wir sind hier.“ Sie standen nun in der Eingangshalle; vom Orden war noch niemand zu sehen, und auch von Ron war weit und breit keine Spur. „Du hast Ron doch gesagt, dass wir uns hier treffen –?“
„Ja, hab ich!“, rief Hermine, ihr Gesicht wutverzerrt. Harry schreckte zurück; er hatte nicht damit gerechnet, dass Hermine so – laut reagieren würde. Offensichtlich hatte er etwas Falsches gesagt. „Denkst du etwa, ich würde mit Ron nicht sprechen können? Natürlich kann ich mit Ron sprechen!“
„Äh, schon klar – Entschuldigung“, sagte er, auch wenn er nicht wusste, wofür er sich entschuldigen sollte.
Hermines Miene veränderte sich. Plötzlich sah auch sie schockiert aus, als hätte sie nun erkannt, dass sie übertrieben auf Harrys Worte reagiert hatte.
„Harry, es tut mir Leid“, sagte sie; dann seufzte sie. „Es tut mir wirklich Leid.“
„Schon gut.“ Harry konnte nicht anders – er musste grinsen. „Ich schätze, deine Probleme verlangen nach einem sensibleren Verstand als meinem?“
Hermine lächelte ebenfalls, wenn auch nur halbherzig. „Passender hätte ich es nicht ausdrücken können. Vor allem nicht höflicher.“
„Da seid ihr ja!“
Harry und Hermine drehten sich zu der großen Treppe um. Ron lief auf sie zu, keuchend und schnaufend.
„Ich dachte, du wärst auch im Raum der Wünsche, Harry!“, sagte er, nachdem er erst einmal tief eingeatmet hatte.
„Ich war eben sehr schnell“, erwiderte Harry, „aber das ist jetzt ganz egal. Wo bleibt denn – ah, da ist sie ja!“
McGonagall kam nun ebenfalls die Treppe herab gerannt. Im Gegensatz zu Ron hatte sie aber überhaupt keine Atemprobleme: Als sie bei den drein ankam, war sie konzentriert und gefasst, scheinbar zu allem bereit.
„Ich habe mit dem Orden gesprochen“, sagte sie leise, obwohl außer ihnen niemand in der Eingangshalle zu sehen war. „Es ist alles vorbereitet. Wir werden das Schulgelände verlassen und von Hogsmeade aus disapparieren. Professor Flitwick und Professor Sprout bleiben hier, um die Lage in der Schule zu sichern und für die Schüler da zu sein. Hagrid wartet bereits mit den anderen Ordensmitgliedern in Little Hangleton – er und seine Frau sind unterwegs gewesen, und ich habe leider seinen Ausflug verkürzen müssen.“
„Ist das wirklich nötig?“, fragte Hermine.
„Wir werden uns nun direkt in Voldemorts Hauptquartier begeben, Hermine“, sagte McGonagall zu ihr. „Hagrid könnte sehr nützlich werden, wenn die Todesser alle gemeinsam angreifen.“
Hermine nickte und Harry verstand McGonagalls Standpunkt ebenfalls: Als Halbriese hatte Hagrid eine zähe Haut und seine unglaubliche Kraft, wenn auch nichtmagisch, konnte sicher eine große Hilfe dabei sein, wenn es darum ging, ein paar Todesser zu fangen.
„Folgt mir“, sagte McGonagall, bevor sie den drein voraus durch das Flügeltor auf die Ländereien trat. Sie eilten ihr hinterher den Pfad entlang, der zu dem Eingang des Schlossgeländes führten. Harry blickte hinüber zum See; Dumbledores Grab und Dobbys Denkmal waren deutlich zu sehen. Er musste sich schnell wieder abwenden. Jetzt durfte er nicht sentimental werden, er musste bei der Sache bleiben.
McGonagall entriegelte das Eingangstor mit ihrem Zauberstab. Etwas in Harry regte sich, als er über die Schwelle hinaus auf die andere Seite trat, das Gelände verließ. Nun tat er wieder etwas, etwas Großes und Wichtiges … Es fühlte sich großartig an.
„Weiter müssen wir nicht gehen“, sagte McGonagall, als sie Hogsmeade beinahe erreicht hatten. Sie standen noch außerhalb des Dorfes, neben einem kleinen Wald. „Wir disapparieren hinter den Bäumen.“
Sie stellten sich hinter die Bäume.
„Jeder von euch weiß genau, wo Little Hangleton ist?“, fragte McGonagall.
„Ich werde mich sicherheitshalber an Hermine halten“, sagte Ron, und ergriff mit einem Lächeln Hermines Hand. Sie errötete kaum merklich; aber als sie über ihre Scham hinaus besonders versuchte, sich auf McGonagall zu konzentrieren, und diese so entschlossen anstarrte, dass sie etwas erschrocken zurückblickte, musste Harry kichern.
„Wir sollten direkt auf der Spitze des Hügels zwischen Great Hangleton und Little Hangleton landen“, sagte McGonagall nach einigen Sekunden, wobei ihre Augen hin und wieder zu der immer mehr verkrampfenden Hermine hinüber wanderten. „Gleich neben dem Friedhof, so ist es abgemacht. Dort werden uns alle erwarten. Seid ihr bereit? Gut, auf drei … Eins – zwei – drei!“
Nur einen kurzen Moment später öffnete Harry schon wieder seine Augen und blickte auf eine völlig andere Umgebung. Vor ihm erstreckten sich ein langer Gitterzaun, dahinter die blattlosen Bäume. Er hatte sein Ziel erreicht, stand auf dem Berg zwischen Little Hangleton und Great Hangleton. Aber wo waren die anderen? Er drehte sich um – und konnte seinen Augen nicht glauben.
Er konnte nur schätzen, aber es sah so aus, als wären an die fünfzig Zauberer und Hexen vor ihm versammelt. Ron und Hermine standen neben ihm, mit Gesichtsausdrucken, die so verwundert wirkten, wie er sich fühlte. McGonagall hingegen hatte sich schon zu den anderen Ordensmitgliedern begeben. Sie schüttelte die Hand von Moody, der zwischen Lupin und Bill stand. Neben Bill waren Mr und Mrs Weasley, und dahinter erkannte Harry Daedalus Diggle und Hestia Jones. Da waren Charlie und Kingsley Shacklebolt, Hagrid, der über allen anderen türmte, und sogar Arabella Figg. Die anderen kannte Harry nicht, aber er glaubte, einige von ihnen schon einmal gesehen zu haben.
„Proudfoot und Lamish sind schon unten postiert?“, fragte McGonagall gerade Moody, als Harry, Ron und Hermine näher herantraten.
„Jawohl“, murrte Moody. „Wo Tonks ist, weiß ich allerdings nicht. Remus ebenso wenig.“
Harry wandte sich an Lupin; er hatte ihn schon in vielen Verfassungen gesehen, aber so niedergeschlagen, wie er jetzt aussah, war er noch nie gewesen.
„Da können wir jetzt nichts machen“, sagte McGonagall. „Es wird Zeit. Das Riddle-Haus befindet sich fast noch auf diesem Berg hier, wir müssen also nicht direkt ins Dorf, daher werden wir auch nicht so auffallen. Außerdem – wenn Professor Trelawney hier leben kann und den Dorfbewohnern nicht auffällt, dann könnten wir noch hundert Leute mehr zu der Stürmung einladen, zusätzlich noch zwanzig Elefanten herholen und die Hymne von Hogwarts singen, während wir den Berg hinunter spazieren.“
Sie und Moody führten die anderen den Weg entlang. Harry war immer noch erstaunt, wie viele Zauberer und Hexen gekommen waren. Während Ron von seinen Eltern begrüßt wurde und Hermine vorsichtig ein Gespräch mit Lupin begann, ließ sich Harry einfach nur von seinen Füßen den Berg hinab leiten, wieder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigen. Denn in einem war er sich überhaupt nicht sicher: Reichten all diese Leute hier wirklich? Denn Voldemort hatte mindestens genauso viele Todesser auf seiner Seite – und er selbst war ein fähigerer Magier als jeder einzelne von denen, die sich nun auf dem Weg zum Geheimversteck Voldemorts machten …
Schon nach einer kurzen Weile kam das Haus in Sicht. Über den Bäumen erschien die Spitze des hohen Gebäudes wie ein großer schwarzer Finger, der ihnen den Weg wies. Moody drehte sich um und sagte zu den Ordensmitgliedern: „Begebt euch auf eure Position.“
Harry sah zu, als mehr als die Hälfte der Zauberer und Hexen entweder über den Zaun kletterten und in dem Dickicht aus Bäumen verschwanden, oder den Weg weiter hinunter liefen, bis sie bei dem Haus ankamen und sich näher an es heranschlichen. Zurück blieben, abgesehen von Harry, Ron und Hermine, nur Lupin, Moody, Hagrid, Mrs Weasley, Bill, Hestia Jones und vierzehn andere, die Harry nicht kannte.
„Wir sind eure Leibgarde“, sagte Moody zu Harry. „Wir helfen euch dabei, die Schlange zu finden. Lupin wird mit euch nach dem Vieh Ausschau halten und den Weg bestimmen, während wir anderen euch mit unseren Zauberstäben – oder mit unseren Körpern verteidigen und den Weg freimachen. Habt ihr das verstanden?“
Harry, Ron und Hermine nickten.
„Wir nehmen an, dass sich die Schlange höchstwahrscheinlich bei ihrem Herrchen aufhalten wird“, sprach Moody weiter. „Wenn wir also tatsächlich bis zu dem Tier vordringen, dann sind wir von allen hier in der größten Gefahr. Ist euch das bewusst?“
Wieder nickten Ron und Hermine, und Harry sagte: „Ja, ist es.“
„Es ist nicht unwahrscheinlich, dass heute jemand verletzt wird oder sogar stirbt, und –“
„Es reicht jetzt, Alastor!“, warf Mrs Weasley ein.
„Die Kinder müssen wissen, was auf sie zukommt!“
„Wenn du immer noch glaubst, dass sie das nicht ohnehin schon tun, dann kennst du die drei hier überhaupt nicht“, sagte Lupin. Harry stellte besorgt fest, dass er genauso am Boden zerstört klang, wie er aussah.
„Also gut.“ Moody drehte sich um. „Wir betreten das Haus durch den Vordereingang. Folgt mir.“
Das taten sie. Und wie sie ihm folgten: So entschlossen hatte Harry Ron, Hermine, Mrs Weasley, Hagrid und Bill noch nie gesehen. Vor allem Mrs Weasley überraschte ihn; nicht einmal äußerste sie Unbehagen darüber, dass ihre Söhne in die Sache verwickelt waren. Lupin aber schien mit den Gedanken anderswo zu sein, weit, weit weg.
Sie erreichten nun das Haus. Groß und kalt stand es da, mit seinen zerschlagenen Fenstern und den Efeuverwachsenen Wänden. Es wirkte verlassen. Aber das täuschte … Ob Tonks sich auch von der Erscheinung des Hauses hatte täuschen lassen? Wo war sie eigentlich?
Sie gingen nun durch den Vordergarten. Moody nickte zwei Zauberern zu, die hinter einem hohen Busch warteten. Die beiden rannten zu der Eingangstür, gefolgt von einem weiteren Zauberer und einer Hexe, die wie aus dem Nichts von beiden Seiten auftauchten. Angeführt von Moody lief die kleine Gruppe ebenfalls zur Eingangstür. Fast eine halbe Minute standen sie nur da und warteten, und Harry wusste nicht, worauf. Auf ein Geräusch? Auf ein Zeichen?
„JETZT!“, brüllte Moody dann plötzlich. Und dann brach die Hölle aus.
Einer der Zauberer, denen Moody zugenickt hatte, hob die Tür mit einem Zauber aus den Angeln. Er und seine drei Kollegen stürmten hinein, gefolgt von der Suchtruppe. Als hätten sie es schon oft geprobt, positionierten sich die neunzehn Beschützer um Harry, Ron, Hermine und Lupin so, dass die vier vor jedem Angriff sicher waren, die einen mit dem Blick zur Decke gerichtet, die anderen zu Boden oder aber gerade aus. Der Nachteil war, dass Harry genauso wenig sehen konnte, wie die Todesser ihn.
In dem Haus roch es merkwürdig, es stank nach … etwas Totem. Nach verwesendem Fleisch.
„Hier ist niemand!“, rief ein Ordensmitglied aus von irgendwo her.
„Hier ist niemand!“, echote es aus einer anderen Richtung.
Mehrmals wurden diese Worte wiederholt, bis schließlich nur noch „Niemand!“, „Niemand!“, „Niemand!“ gerufen wurde. Harry stand nur da und wartete ungeduldig, bis endlich etwas geschah. Dann –
„Hier ist jemand! Eine – eine alte Frau!“
„Es könnte eine Verkleidung sein!“, bellte Moody zurück.
„Sie – sie scheint tot zu sein!“
Es war verblüffend, dass immer noch keines der Ordensmitglieder, die Harry sehen konnte, seinen Zauberstab sinken ließ.
„Niemand!“, hallte es dann wieder aus einem anderen Raum; das war Mr Weasley Stimme. „Wir haben jetzt alles durchsucht. Elf Geheimgänge, drei versteckte Kerkerräume, aber alles hier leer. Da ist nur noch ein Tunnel, den wir nicht durchsucht haben, aber unsere Aufspürungszauber haben niemanden entdeckt.“
„Nein!“
Harry hörte sich selbst schreien. Dann merkte er, wie er zu rennen begann. Er brach aus dem Kreis aus und lief, lief weiter und weiter, an Mr Weasley vorbei in den Raum dahinter. Das Haus durfte nicht leer sein – hier musste etwas sein!
„Harry!“, rief Hermine hinter ihm. Andere brüllten ebenfalls seinen Namen, und Zauber schossen an ihm vorbei, aber keiner traf ihn. Er rannte einfach weiter. Er musste etwas finden, etwas – oder jemanden!
Das Haus schien ziemlich groß zu sein. Er lief einen Gang entlang und gelangte in eine Küche, zum Fuße einer Treppe, an ihr vorbei in einen kleinen Nebenraum, der wiederum zu einer Art Wohnzimmer führte. Er traf auf vereinzelte Ordensmitglieder, die aber zu überrascht waren, ihn anzutreffen, als dass sie etwas tun konnten. Schließlich lief Harry einfach zu der Treppe zurück, an der er vorhin vorbeigekommen war, und an ihr vorbei durch eine Tür. Nun stand er wieder vor einer Treppe – diese führte aber nach unten. Er rannte sie hinab und erreichte eine weitere Tür, die offen stand, und die einen weiten dunklen Gang entlang führte. Das musste der Tunnel sein, von dem Mr Weasley gesprochen hatte.
Harry begann wieder, zu sprinten. Wieder schrie jemand seinen Namen. Er achtete nicht darauf, lief einfach weiter. Hier musste doch jemand sein … irgendwo, irgendjemand; Voldemort, oder die Todesser! Oder … oder etwas, ein Horkrux! Die Schlange!
Noch lange hörte, wie jemand hinter ihm nach ihm rief, doch er drehte sich nicht um. Er lief den steinigen, engen Gang entlang. Er ignorierte, dass seine Beine begannen, wehzutun, als der Weg steiler wurde, ignorierte, dass er fast außer Atem war; dass es immer dunkler wurde in dem höhlenartigen Korridor. Oder – war das sogar eine Höhle?
Die anderen schienen die Verfolgung aufgegeben zu haben, denn sein Name hallte nicht mehr durch den Gang. Er hörte nur seine Schritte auf dem harten Boden, sein Keuchen, sein wild schlagendes Herz. Harry war sicher, dass nur noch aufgrund irgendeines Zaubers hier sehen konnte; trotz der eindeutigen Finsternis lag eine Art heller Schimmer über allem, wie Funken, die nicht als solche zu erkennen waren. Und obwohl er den Weg vor sich sehen konnte – wäre er beinahe gegen die Wand am Ende gerannt.
Er bremste gerade noch rechtzeitig ab, als der magische Schimmer sein Licht auf eine felsige Mauer warf. Es war eine Sackgasse. Ganz plötzlich war sie erschienen, diese Wand, wie ein großer Stein, der einfach vor den Ausgang geschoben worden war. Es wuchs sogar Gras aus ein paar Spalten.
Harry zögerte nicht. Er hob die Hände und legte sie auf den Stein. Er schob und drückte, zog an dem Gras, das aber nur ausriss. Nichts. Er fand nichts. Aber vielleicht – vielleicht konnte er magische Spuren finden, wie Dumbledore damals in der –
Die Höhle!
Harry erstarrte. Dieser Gang, der hier her geführt hatte … und die felsige Wand … das alles war eine Höhle. Eine Höhle wie die, wo Dumbledore und er das falsche Medaillon gefunden hatten. Nur nicht in der Umgebung von Wasser, aber … aber vielleicht wollte Voldemort einfach nicht, dass sie an zu ähnlichen Orten versteckt waren.
Sie, seine Horkruxe.
Das war durchaus möglich. Für Harry klang das sogar wahrscheinlich. Hatte Voldemort hier einen Horkrux versteckt? Hier, in seinem Hauptquartier, aber weit genug weg, um nicht in zu unmittelbarer Nähe zu sein, und weit genug, dass die Todesser nicht zufällig über ihn stolpern würden? Hinter dieser Wand?
Harry zog seinen Zauberstab. Was musste er tun? Was hatte Dumbledore getan? Sich einfach nur konzentriert? Oder gab es eine Zauberformel dafür, angewandte Magie aufzuspüren?
Ruhig, dachte Harry. Sei einfach einmal ruhig … Er durfte nicht so viel nachdenken, vermutlich. So, wie er das bei Dumbledore erlebt hatte, glaubte er, dass das einfach eine Sache des Gefühls war. Man musste fühlen, spüren, wo Zauberei benutzt worden war, und welche … Hermine könnte das sicher besser als er …
Er schloss die Augen, hielt seinen Zauberstab vor sich ausgestreckt. Ob er es empfangen würde? Wie eine Fernsehantenne die Programme empfing? Wie eine Wünschelrute Untergrundquellen fand? Würde auch so sein Zauberstab reagieren, wenn er die Magie aufspürte? Er kam sich seltsam vor, irgendwie dumm. Es musste auch dumm aussehen, wie er mit ausgestreckten Zauberstab da stand, die Augen geschlossen und die Miene sicher verzerrt vor Anstrengung, irgendetwas zu spüren. Er spürte überhaupt nichts. Aber er wollte auch nicht aufgeben, kniff die Augen noch fester zusammen, konzentrierte sich noch mehr – hatte er nicht vorher erst gedacht, er solle sich nicht konzentrieren? Er hatte überhaupt keine Ahnung, was er da tat, und das war ihm auch noch bewusst … An anderen Tagen hätte er diese Situation wohl für lustig gehalten. Er versank tiefer in der Konzentration … Er war angespannt, bereit, dass etwas geschah. Was auch immer.
Und erschrak dann trotzdem, denn mit dem, was tatsächlich passierte, hätte er nicht gerechnet: Ein Geräusch riss ihn aus seiner Konzentration, ein so lautes Geräusch, dass Harry erst glaubte, es handle sich um ein Erdbeben. Erschrocken öffnete er die Augen und fiel beinahe hin – der Boden unter seinen Füßen bebte wirklich! Und kleine Steine rieselten von der Decke! Wenn dieser Tunnel jetzt einstürzte …
Aber dann bemerkte er, was geschah. Es war kein Erdbeben. Etwas Großes wurde bewegt, und das erschütterte die Umgebung: Der große Stein, der den Ausgang blockierte, wurde zur Seite geschoben. Oder schob sich zur Seite, Harry konnte es nicht sagen.
Erst war es nur ein kleiner Spalt, durch den schales Sonnenlicht drang, das das magische Schimmern zu verjagen schien. Harry wartete mit angehaltenem Atem ab, was sich hinter der Wand befinden würde. Sie bewegte sich nur langsam; Harry wurde schnell klar, dass es kein richtiger Stein war, wie er angenommen hatte, sondern tatsächlich eine Art Mauer, die sich wie der Eingang zu einem Geheimgang in die Mauer daneben hineinschob. Als ein halbwegs breiter Spalt entstanden war, wollte Harry nicht länger warten – er schlüpfte hindurch, den Zauberstab immer noch in der Hand.
Und augenblicklich wusste er, wo er war. Noch in der Bewegung hielt er an, stand mit einem Fuß in der Luft und offenem Mund da. Das war doch unfassbar …
Er stand in der Höhle, in welche ihn der Werwolf damals in den Ferien entführt hatte!
Mit vielem hätte er rechnen können, aber nicht damit. Es war unfassbar. Ja, das war eindeutig genau dieselbe Höhle. Harry erinnerte sich noch an die schwarzen Fackeln, die an der Wand der runden Höhle hingen. Diesmal waren sie allerdings nicht entzündet. Das Sonnenlicht reichte völlig aus, um den Raum zu erhellen. Durch den Eingang konnte Harry eine erstaunlich weite Berglandschaft erkennen, die ihm das letzte Mal entgangen war, weil es Nacht gewesen war. Und jetzt verstand Harry auch, warum der Werwolf ihn damals hier her gebracht hatte. Auch wenn er nicht glaubte, dass der Werwolf selbst das so genau gewusst hatte.
Diese Höhle war ein zweiter versteckter Eingang zu Voldemorts Hauptquartier!
Harry wollte sich umdrehen, um zurückzulaufen und Ron, Hermine und Lupin zu holen – als ihm noch etwas auffiel. Da lag etwas am Boden. Erst erkannte er nicht, was es war; aus den Augenwinkeln sah es aus wie ein rosa Haufen merkwürdigen Etwas. Aber dann sah er genauer hin – und ihn traf beinahe der Schlag.
Er betrachtete die Frau auf dem Boden, und sie starrte entsetzt zurück. Sein Auftreten musste sie so sehr überrascht haben, dass sie gestürzt war. Immerhin hatte ihre Anwesenheit bei ihm beinahe zu dem gleichen Ergebnis geführt. Bewegungslos und mit weit offenem Mund lag sie nun da.
Dolores Umbridge.
„SIE!“, rief Harry, als er seine Stimme zurückgefunden hatte. Das schien sie wachzurütteln. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit stand sie auf, und noch bevor Harry seinen Zauberstab ziehen konnte, drehte sie sich, ihren eigenen Stab in der Hand – und war verschwunden.
„Harry!“
Jemand legte eine Hand auf seine Schulter; Harry erschrak, aber als er sich umdrehte, war es nur Lupin.
„Remus!“, rief Harry. „Remus, das hier ist die Höhle, in die der Werwolf mich damals gebracht hat!“ Er dachte jetzt nicht einmal daran, dass es unangebracht sein könnte, vor Lupin von Werwölfen zu reden. „Und – und Umbridge war hier!“
Lupin runzelte die Stirn. „Umbridge hat dich damals von hier abgeholt?“
„Nein! Sie war gerade eben hier! Und sie ist disappariert! Remus, ich glaube, sie wollte in das Versteck – ich glaube, sie ist eine Todesserin!“
„Umbridge, eine Todesserin? Die ist doch viel zu sehr ins Ministerium vernarrt, meinst du nicht auch?“
„Ich habe sie gesehen! Hier! Gerade eben! Was soll sie denn sonst hier gemacht haben?“
Lupin überlegte kurz, dann sagte er: „Vielleicht hast du ja Recht. Aber besprechen wir das nachher, wenn wir wieder bei den anderen sind. Komm jetzt bitte.“
Harry wollte sich weigern, wollte erwidern, dass sie Umbridge verfolgen müssten – dass sie sofort allen mitteilen mussten, dass sich Verräter im Ministerium befanden! Wenn Umbridge eine Verräterin war, dann sicher auch noch viele andere!
Aber er sagte überhaupt nichts. Ließ sich von Lupin langsam den Tunnel entlang zurück führen, als wäre nichts geschehen, als hätten sie keinen Grund zur Eile. Das hier war eine so wichtige Chance gewesen … das Hauptquartier Lord Voldemorts … und was hatten sie gefunden? Eine tote alte Frau, ein leerstehendes Haus und einen Geheimgang, der zu einer Höhle führte.
„Wir haben übrigens einen zerbrochenen Zauberstab entdeckt“, sagte Lupin, als sie die Treppe erreichten, die zurück ins Haus führte. „Er ist zu Staub zerfallen, als wir ihn berührt haben.“
Harry sagte nichts dazu.

Nach dem Fehlschlag in dem Haus der Riddles ermittelte der Orden, so viel er konnte. Sie fanden auch einiges heraus: Aufgrund der Kerker, der magischen Schutzzauber, die bis vor kurzem noch im ganzen Haus verteilt gewesen waren, und der Essensvorräte in der Küche konnte man davon ausgehen, dass Voldemort und die Todesser tatsächlich dort gelebt hatten, aber geflüchtet waren, bevor der Orden es erreichte. Ob sie verschwunden waren, weil sie wussten, dass der Orden auf dem Weg war, oder weil sie nur zufällig rechtzeitig geflohen waren, darüber konnte man nur spekulieren.
Bei der toten alten Frau, die man gefunden hatte – und die gänzlich gekleidet und mit Nähzeug auf dem Schoß in einem Schaukelstuhl gesessen war –, handelte es sich um Cecile, die ehemalige Freundin von Tom Riddle Senior. Offensichtlich hatte Voldemort die Leiche gut erhalten und als Inferius benützt: Im Dorf hielt jeder Cecile für die Besitzerin des Riddle-Hauses. Cecile war wohl die Tarnung, die es Voldemort ermöglicht hatte, mitten unter Muggeln zu leben.
Umbridge war wirklich aus dem Zaubereiministerium verschwunden und nun eine gesuchte Verbrecherin. Abgesehen von ihr war auch Narzissa Malfoy wie vom Erdboden verschluckt. Man nahm an, dass die beiden gemeinsam geflohen waren, um zu Voldemort zurückzukehren.
Harry war das alles relativ egal. Sie hatten wieder nichts geschafft, das war alles, was ihm wichtig erschien. Deprimierend, aber wahr. Und was nützte es schon, es zu leugnen?
So schnell, wie der Mai gekommen war, ging der Mai nun auch wieder seinem Ende zu. Und immer noch hatten sie nur einen Horkrux gefunden, und den nicht einmal zerstört. Jede Nacht legte sich Harry spät in sein Bett, mit Kopfschmerzen, die nichts mit einer Krankheit oder mit zu viel Anstrengung zu tun hatten. Die Schmerzen kamen einzig von seiner Frustration. Sie machten einfach keinen Fortschritt. So konnte es doch nicht immer weiter gehen!
Tag für Tag saßen sie zu dritt im Raum der Wünsche. Während Hermine alle möglichen Bücher durchstöberte, auf der Suche nach wonach auch immer (niemand wusste es), saßen Harry und Ron da, gingen immer die gleichen Theorien und Ideen durch, oder starrten einfach nur den Kessel, das Schwert und das silberne Medaillon an. Nicht einmal mehr zum Essen verließen sie den Raum. Hauselfen, geschickt von McGonagall, daran bestand kein Zweifel, brachten ihnen morgens, mittags und abends Teller und Becher, die sich immer wieder selbst auffüllten, und die nachts wieder von den Hauselfen geholt wurden. Einer von ihnen drein war zu diesem Zeitpunkt meistens wach (sie schliefen fast nie die ganze Nacht durch), was den Hauselfen unangenehm zu sein schien.
Aber an diesem Abend Ende Mai sollte endlich einmal Abwechslung ins Spiel kommen. Die drei saßen nun schon eine volle Stunde schweigend da, als es an der Tür klopfte. Hermine blickte von ihrem Buch auf, Ron hörte auf, mit der Spitze seines Zauberstabs leuchtende Kreise zu ziehen, und Harry erwachte aus seinen Gedanken. Sie sahen alle zur Tür, dann einander an, als wollten sie fragen, ob einer von ihnen Besuch erwartete. Es wäre wohl witzig anzusehen gewesen, denn tatsächlich schüttelten alle drei den Kopf, um zu sagen, „ich rechne mit niemandem“.
Schließlich stand Harry auf, ging zur Tür und öffnete sie.
„Neville!“
Harry trat erstaunt zurück, als Neville den Raum der Wünsche betrat. Sein Gesicht war um einiges dünner, als Harry es in Erinnerung hatte, und seine Haare länger. Er wirkte auch etwas blasser, aber ansonsten schien es ihm gut zu gehen. Harry dachte nach, wie lang der Tod seiner Eltern schon zurücklag … Es war ihm peinlich, dass er es nicht genau wusste.
„Neville, wie geht es dir?“, erkundigte Hermine sich sofort; sie stand sogar auf, um ihm einen vierten Sessel herbei zu hexen. Er bedankte sich und nahm Platz – er hatte noch kein einziges Mal gelächelt, seit Harry ihm die Tür geöffnet hatte. Und er antwortete auch nicht auf Hermines Frage.
Harry setzte sich ebenfalls wieder hin; Neville wandte seine Aufmerksamkeit sofort an ihn. Er bedachte ihn mit einem Blick, so teilnahmslos, so desinteressiert, dass Harry es mit der Angst zu tun bekam; Neville ging es ganz offensichtlich fürchterlich.
„Ich möchte nur ganz kurz mit dir reden, Harry.“ Nur Nevilles Stimme verriet, was wirklich in ihm los war: Er klang, als würde er gleich zu weinen beginnen.
„Schieß los“, sagte Harry, nicht fähig, etwas Geistreicheres von sich zu geben.
„Es ist wahrscheinlich nicht wichtig“, sagte Neville; er nahm die Augen nicht von Harry. „Aber ich hab nun mal das Gefühl, du solltest es wissen … Du hast ja wohl gehört, dass meine Eltern gestorben sind?“
Harry nickte nur, denn jetzt konnte er gar nicht mehr sprechen. Wusste Neville gar nicht, dass er, Ron und Hermine im Krankenhaus gewesen waren?
„Vielleicht hat dir ja auch schon jemand erzählt, dass mein Vater – dass er –“ Harry fühlte sich unbehaglich, als er sah, wie Nevilles Hand auf seinem Knie verkrampfte und sich zur Faust ballte. „– dass er nach dir verlangt hat, bevor er gestorben ist. Zumindest hat er andauernd deinen Namen gerufen.“
Harry nickte erneut.
„Aha, gut, du weißt es.“ Neville seufzte. „Naja, jedenfalls hat er nicht nur deinen Namen gesagt. Sondern auch andere Dinge. Wörter, eigentlich, einzelne Wörter, die auch eigentlich keinen Sinn ergeben.“
Harry erstarrte. War es das jetzt? War das, nachdem er die Hoffnung wieder und wieder aufgeben musste, endlich die erste wahre Hilfe? Hatte Frank Longbottom etwas gewusst, das er kurz vor seinem Tod preisgeben wollte, als der Verstand langsam zu ihm zurückgekommen war? Und hatte er das seinem Sohn verraten, ihm einzelne Wörter gegeben, die für ihn nichts, für Harry Potter aber umso mehr bedeuteten?
„Ich hätte dir ja schon früher davon erzählt“, fuhr Neville fort, „aber ich bin erst heute nach Hogwarts zurückgekommen. Ich war eine Weile weg, mit meiner Großmutter.“
„Geht es dir jetzt bess-?“
„Ich möchte nicht darüber reden“, fiel Neville Hermine ins Wort. „Bitte.“
Hermine wirkte erstaunt, aber sie sagte nichts mehr.
„Gut …“ Neville sah wieder zu Harry. „Also, abgesehen von deinem Namen hat Dad noch folgende Dinge gesagt: Godric’s Hollow, irgendetwas von snake oder so und der Helm.“
Harry starrte Neville für einen Moment ungläubig an, aber als er Nevilles verdutzte Miene sah, nahm er sich zurück. „Ein Helm?“, fragte er dann. „Bist du dir ganz sicher?“
Neville nickte.
Während Harry einen bedeutungsvollen Blick mit Ron tauschte, war Hermine schon bei der nächsten Frage angelangt: „Und was soll das mit snake? Snake wie Schlange, oder was?“
„Ja, das hat er hundertprozentig gesagt“, meinte Neville. „Ich weiß auch nicht sicher, welche Schlange er meinte – aber Voldemort ist ja wohl Schlange genug, also brauchen wir nicht lange überlegen, oder?“
Hermine antwortete nicht; sie schien irgendetwas zu beschäftigen. Als es eine ziemliche Weile lang völlig still gewesen war, beschloss Harry, selbst etwas zu sagen.
„Vielen Dank, dass du uns das gesagt hast, Neville“, sagte er. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass uns das weiterhelfen wird.“
„Ach echt?“ Neville zuckte mit den Schultern. „Hätt ich nicht erwartet, aber ich hatte das Gefühl, du solltest es erfahren. Also dann – ich wünsche euch eine gute Nacht, Leute.“
Damit stand Neville auf und verließ den Raum hastig, ohne ihnen eine Chance zu lassen, sich von ihm zu verabschieden, und ohne sich noch einmal umzudrehen.
„Wow“, sagte Ron.
„Jaah“, sagte Harry; mehr fiel ihm dazu nicht ein.
„Sehr interessant“, murmelte Hermine. „Sehr, sehr interessant …“
„Ja, das mit dem Helm, nicht?“ Ron schüttelte seinen Kopf. „Das muss etwas bedeuten, oder? Und es hat doch bestimmt mit Gryffindors Rüstung zu tun!“
„Denke ich auch“, sagte Harry. „Aber für mich ergibt das alles nicht wirklich Sinn.“
„Für mich auch nicht“, pflichtete Ron bei. Und sie beide wandten sich an Hermine. Natürlich würde sie ihnen sofort alles erklären.
Da hatten sie etwas Falsches angenommen.
Hermine saß nur da, auf ihrer Oberlippe kauend, den Kopf auf ihre verschränkten Finger gestützt. Ihr Blick war aus dem Fenster gerichtet, wo nun langsam die Sonne unterging. Aber sie sagte kein Wort.
„Hermine?“ Als sie nicht reagierte, stupste Ron sie an der Schulter an. „Hermine!“
„Au! Was – was ist denn?“
„Das würde ich gerne von dir wissen“, erwiderte Ron. „Worüber denkst du denn nach?“
„Über das, was Neville gesagt hat, natürlich!“
„Würdest du dann bitte deine Gedanken mit uns teilen?“, sagte Harry. „Wir sind nämlich ratlos.“
„Heute nicht mehr.“ Hermine stand auf. „Ich bin ziemlich müde und möchte schlafen gehen. Ein bisschen in Ruhe nachdenken, versteht ihr?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und lief in ihr Zimmer. Harry und Ron hörten das Klicken eines Schlüssels. Sie wandten sich einander zu.
„Was zum Teufel war das denn schon wieder?“, fragte Ron fassungslos.
„Keine Ahnung.“ Harry stand ebenfalls auf. „Aber ohne Hermine hat das hier sowieso keinen Sinn. Wir sollten auch schlafen gehen.“
Die beiden verabschiedeten sich und Harry ging auch wirklich direkt zu Bett, aber er konnte nicht sofort einschlafen. Bilder von Nevilles Vater schwammen vor seinen Augen umher, wann immer er sie schloss. Er hatte Frank Longbottom auf einem Foto gesehen, aber der Frank, der ihm nun im Kopf herum spukte, war alt und hatte ein furchtbar krankes Gesicht, keine Haare und ganz verrückte Augen … Er rief seinen Namen immer und immer wieder, und als dieses Bild langsam in einen Traum überging, begann eine Schlange, sich um Franks Kopf zu wickeln …
Harry träumte in dieser Nacht noch andere, viel merkwürdigere Dinge. Es kamen Ritter in goldenen Rüstungen vor, die sich duellierten, die einen mit Bechern als Waffen, die anderen mit Kesseln. Dann waren da noch Krankenbetten, magische Krankenbetten, die fliegen konnten, und die den Rittern als Transportmittel dienten. Eine Kröte, die Schlangen hinterher hüpfte, sah er auch … Und dann war da noch etwas anderes … Der Traum wechselte plötzlich in einen dunklen Raum, ein keines düsteres Zimmer … und da war jemand … da war …
… „Hast du sie gefunden?“
Die Gestalt zu seinen Füßen rührte sich. Sie zuckte kurz, als wäre etwas mit ihr nicht in Ordnung. Sie hob ihren Kopf und Harry erkannte das Gesicht hinter dem schwarzen Haar.
„Nein, leider noch nicht, mein Lord“, sagte Snape.
Und dann stieß Harry – Voldemort – einen so lauten Schrei aus, dass Harry das Gefühl hatte, der Boden würde zu beben beginnen.
„Du weiß, wie wichtig sie sind, Severus!“, zischte Voldemort, in einer Stimme, die fast wie Parsel klang.
„Ja, mein Lord.“ Snape fühlte sich sichtlich unbehaglich; er zitterte leicht, merkte Harry nun. „Aber sie sind einfach unauffindbar!“
„Das werden wir ja noch sehen.“ Voldemort drehte sich um – und Harry blickte in einen Spiegel. Zurück starrten diese zwei grausam roten Augen in dem hässlichen, weißen Gesicht, die Mundwinkel wütend verzogen; Harry schreckte im Schlaf zurück und er befürchtete, dass Voldemort das gespürt hatte. Aber er schien nichts bemerkt zu haben. „Du weißt“, sagte er ruhig, wie zu sich selbst, „dass wir die Totenrelikte dringend brauchen.“

Harry fuhr in seinem Bett hoch, verschwitzt, zitternd und kurz vorm Erbrechen.


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Solche Menschen gibt es viele: Äußerlich sind sie ausgesprochen charmant, aber unter der Oberfläche brodelt es. Für mich als Schauspielerin eine schöne Herausforderung. Ich bin überzeugt, dass Dolores ihr Vorgehen für absolut korrekt hält. Sie tut, was sein muss, und das sind die Schlimmsten, denn sie haben kein Verständnis für die andere Seite. Kompromisse gibt es nicht.
Imelda Staunton über Umbridge