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Fanfiction

Harry Potter und die Totenrelikte - Lunas Lied

von Wizardpupil

Das war es jetzt. Es war aus. Harry hatte es geschafft, auf der Suche nach Ravenclaws Zepter den Todessern zu entkommen, war aus einem Hinterhalt, der sein Ende hätte sein können, gerettet worden. Aber nun war er in die Enge gedrängt worden von einem dummen, stinkenden Troll. In der ersten Klasse schon hatte er einen solchen bezwungen, mit Rons und Hermines Hilfe. Und sechs Jahre später, mit viel mehr Erfahrung, sollte ihn genauso eine Kreatur umbringen, nur, weil ihm sein Zauberstab aus der Hand gefallen war. Und weil er ganz allein war.
Harry sah, als säße er im Publikum bei einem Theaterstück, zu, wie der Troll langsam realisierte, was er da vor sich hatte: Einen lebenden, hilflosen Menschen. Der Ausdruck schwerer Kopfarbeit trat auf sein Gesicht, und in dem Moment wurde Harry klar, dass er nicht bloß im Theater war – in dem Fall hätte er bei diesem Anblick zu lachen begonnen. Aber nach Lachen war ihm überhaupt nicht zumute.
Schließlich verstand das meterhohe Ding, womit es es zu tun hatte. Der Troll begann begeistert zu grinsen, wie Dudley es immer getan hatte, kurz bevor er ihn verprügelt hatte, und gab den Blick auf etwa fünfzehn große, gelbe und schwarze Zähne frei. Als er den Arm hob, der die Keule trug, verschlug der Gestank Harry restlos den Atem. Schweiß brach aus seinem Körper aus, als er der Troll seine Keule immer höher und höher anhob. Langsam wurde ihm klar, dass er jeden Moment wirklich sterben würde. Dass er Voldemort nicht würde bezwingen können. Dass er Ron und Hermine nie wieder sehen würde, sich nicht mehr mit ihnen versöhnt hatte. Oder Ginny – auch mit ihr hatte er gestritten. Jetzt war es zu spät, irgendetwas wieder gutzumachen. Aber verabschiedet hätte er sich gerne noch.
All diese Dinge gingen ihm im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf. Nicht sein Leben lief an seinem inneren Auge vorbei, sondern nur die Gesichter seiner Freunde, unterbrochen von der ständigen Sicht auf das, was gerade tatsächlich passierte: Die Keule stieg höher und höher, der verrückte Blick des Trolls strahlender und glänzender vor dummer Begeisterung …
„Stupor!“
Als Harry die Stimme hörte, war es nicht die Erleichterung, dass er nicht sterben müsste, die durch ihn strömte – er hatte ohnehin nicht wirklich geglaubt, dass das sein Ende war. Nein, die Erleichterung war völlig anderer Natur: Sie kam daher, dass er die Stimme erkannte. Und dass es die einer Person war, die er herbeigesehnt hatte. Und dass jetzt alles wieder gut werden würde.
Ron stand in dem Loch, das der Troll in die Wand geschlagen hatte, den Zauberstab immer noch erhoben. Sein Fluch hatte natürlich nicht viel bewirkt. Der Troll hatte wohl nur ein leichtes Jucken gespürt; er drehte sich um, erblickte Ron und stieß ein irritiertes Grunzen aus. Als würde ihn die Situation, gleich zwei lebende Menschen für sich zu haben, völlig überfordern.
„Er ist hier!“, rief Ron jemandem außerhalb des Raumes zu. Eine Sekunde später erschien Hermine neben Ron; ihr Gesicht, eben noch eine entsetzte, leichenblasse Grimasse, verwandelte sich beim Anblick des Trolls in eine entschlossene und kampfbereite (und doch immer noch furchtbar weiße) Miene.
„Waddiwasi!“, schrie sie, deutete mit ihrem Zauberstab dabei erst auf ein Stück Holz, das der Troll mit seiner Keule aus der Wand gerissen hatte, und dann auf das Biest selbst. Das Holz wurde durch die Luft geschleudert und landete mit einem dumpfen Geräusch auf der Brust des Trolls, der ein fast schon beleidigt klingendes, grummelndes Raunen ausstieß. Sofort begann Ron, es ihr gleich zu tun. Und auch Harry wartete nicht lange. Er nützte die Verwirrtheit des Trolles aus, kroch auf allen Vieren zu seinem Zauberstab, hob ihn auf und richtete ihn lächelnd auf ein besonders großes und steiniges Stück Wand, brüllte „Waddiwasi!“ und zeigte auf den Hinterkopf mit den drei Haaren, den der Troll ihm nun zeigte.
Aber der Brocken war nicht hart genug: Wieder schien der Troll kaum etwas zu spürten. Er stöhnte zwar laut auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Harry, aber er brüllte ihn nicht einmal an, starrte nur wie ein kleines Kind, das etwas zum ersten Mal sah; bemerkte offenbar nicht einmal, dass Ron und Hermine ihn immer noch bewarfen.
Dann fletschte er seine Zähne, knurrte – warf seinen Kopf in den Nacken und stieß ein wutentbranntes, ohrenbetäubendes Brüllen aus. Er riss seine Keule so schnell in die Luft, dass es für einen Moment so aussah, als würde sie aus seiner warzigen Hand geschleudert werden, aber dem war nicht so. Der Troll schlug zu und mit einem peitschenden Geräusch raste die Keule direkt auf Harry zu – der gerade noch rechtzeitig zur Seite sprang.
„Ron“, hörte er Hermine rufen, „du weißt, was zu tun ist!“
„Aber die hier ist viel größer als die damals!“, antwortete Ron, als die Keule ein weiteres Mal auf Harry hinab fuhr; das Brüllen des Trolls wurde immer zorniger.
„Dann alle zusammen!“, mischte sich Harry ein, der sofort verstanden hatte, wovon die beiden sprachen.
Gleichzeitig richteten sie ihre Zauberstäbe auf die Keule, die der Troll nun besonders hoch über seinen Kopf erhoben hatte, um Schwung für den letzten Schlag zu holen, und sie schrieen wie aus einem Mund:
„Wingardium Leviosa!“
Die Keule wackelte einige Male in der Faust des Trolls hin und her, dann verließ sie sie, schwebte einen Meter über dem Kopf ihres Besitzers. Mit ihrer leicht rötlichen Farbe hatte sie Ähnlichkeiten mit einer Rübe; einer Rübe von der Größe eines neugeborenen Wales, die an der Decke hing. Mit einem erstaunten Grunzen blickte das Biest hoch – und in dem Moment ließen Harry, Ron und Hermine ihre Zauberstäbe sinken. Ein dumpfes Geräusch, als würde etwas Schweres auf hohlem Holz landen; ein schmerzerfülltes Aufkeuchen des Trolls, das beinahe wie „Aua“ klang – und mit einer fast anmutig langsamen Bewegung sank der Troll vornüber zu Boden. Harry wich zur Seite aus, um nicht von der Schulter erschlagen zu werden; dann prallte der riesige Körper krachend auf den Boden auf. Der ganze Raum wurde erschüttert wie von einem Erdbeben; alles, was der Troll aus der Wand gerissen hatte, flog hoch in die Luft und landete dann mit einem fast einheitlichen Geräusch wieder auf dem Boden, und weitere kleine Brocken rieselten von der Decke herab; Hermine fiel nur deshalb nicht um, weil Ron sie gerade noch rechtzeitig auffing. Harry sah Ron und Hermine über den Rücken des Trolls hinweg an, und sie sahen zu ihm herüber. Und nachdem sie einander eine halbe Minute lang nur angeblickt hatten – brachen sie in Gelächter aus. Und es war wunderbar: Schon lange hatte Harry kein so freies, herzhaftes Lachen mehr gehört, schon gar nicht aus seinem eigenen Mund. Es war eine unglaubliche Erleichterung, dieses Lachen loszuwerden. Weder der Gedanke an den Kampf, der unten noch toben musste, noch der Gestank des Trolls konnten Harrys Stimmung jetzt trüben. Er hatte sine Freunde bei sich, sah sie dort nebeneinander stehen, die Hand des jeweils anderen haltend wie ein richtiges Paar es tun sollte, und auch die beiden schienen nicht aufhören können zu lachen. Es war ein traumhafter Moment, so unpassend wie unerwartet in diesem Raum, der aussah wie ein einziger Trümmerhaufen, und verglichen mit dem Schlachtfeld des restlichen Schlosses wohl trotzdem noch halbwegs reparabel wirken musste. Es scherte sie nicht. Sie lachten und lachten und –
Und dann hörten sie doch noch auf zu lachen. Denn ein lautes Rumpeln und Krachen ließ sie hochschrecken. Harry wandte seinen Kopf nach links, Ron und Hermine nach rechts, in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Und sie alle drei sahen gerade noch, wie der letzte von vielen Ziegelsteinen, die den Treppenaufgang zum Gemeinschaftsraum der Ravenclaws überdacht hatten, auf den Stufen landete. Der Durchgang war komplett zugeschüttet.
„Helft mir bitte schnell!“, sagte Harry, der Gedanke ans Lachen nun vollkommen aus seinem Kopf gelöscht. „Wir müssen die Steine aus dem Weg räumen, da oben ist Ravenclaws Zepter!“
„Dazu ist jetzt aber keine Zeit“, erwiderte Hermine.
„Was? Wie- wieso nicht?“ Harry war plötzlich nervös; er schluckte, um sich zu wappnen. „Was ist unten passiert?“
„Nichts Schlimmes!“, sagte Ron hastig; offenbar hatte er Harrys Angst gespürt. „Im Gegenteil – wir konnte die Todesser vertreiben! Naja – vorübergehend zumindest. Die restlichen Schüler werden jetzt aus dem Schloss gebracht. Und wir dachten …“
Seine Augen wanderten hilfesuchend zu Hermine. Sie nickte und sagte: „Wir dachten, du möchtest dich vielleicht von Ginny und Luna verabschieden.“
Verabschieden. Verabschieden. Dieses Wort löste in Harry Ungeahntes aus. Er wusste nicht, ob Ron und Hermine es so gemeint hatten, aber er verstand, was es vermutlich zu bedeuten hatte. Es würde kein Verabschieden sein wie nach einem Besuch, oder am Ende eines Schuljahres. Harry war klar, dass dieser Abschied gut der allerletzte sein könnte; wahrscheinlich sogar der allerletzte sein würde …
„Ja“, sagte er, all diese Gedanken zur Seite schiebend. „Ja, ich will mich verabschieden. Wo sind sie?“
„Die Schüler, die noch da sind, warten schon am Ufer, aber Luna und Ginny sind in der Eingangshalle und wollen dort noch mit dir sprechen“, sagte Hermine.
Harry stutzte. „Am – am Ufer? Welches Ufer?“
„Die Schüler verlassen das Schloss über den letzten sicheren und unblockierten Weg.“ Hermine zeigte zum Fenster; durch dieses sah man, wie Harry wusste –
„Den See, meinst du?“ Harry runzelte die Stirn. „Warum können sie nicht einfach von hinter dem Tor aus disapparieren?“
„Durch das Tor kann man das Gebäude nicht mehr verlassen“, sagte Ron, und er rollte mit den Augen. „Das Notfallgitter oder was das ist, was erschienen ist, können die Lehrer nicht mehr verschwinden lassen.“
„Das dürfte ein uralter Selbstschutzmechanismus der Schule sein, von dem wir bisher einfach nicht mehr gewusst haben.“ Hermine seufzte. „Jedenfalls können die Schüler nur noch entweder durch den Wald, oder über den See fliehen, und da nehmen sie natürlich den See.“
Harry nickte; natürlich würden sie den See nehmen – abgesehen von den Biestern, die ohnehin im Wald lebten, warteten dort heute Nacht bestimmt noch einige Werwölfe, die sich vom Kampf zurückgezogen hatte. Und wer wusste schon, wo die anderen drei Trolle abgeblieben waren, die die Todesser hergebracht hatten?
„Los, wir müssen uns beeilen!“, drängte Ron.
Harry warf einen letzten Blick auf den bewusstlosen Troll – oder hatten sie es diesmal sogar geschafft, ihn zu töten? – wandte sich dann noch einmal dem verschütteten Treppenaufgang zu, und folgte dann den anderen beiden durch das Loch in der Wand. Aber nur widerwillig verließ er den Raum – war hier in der Nähe doch vermutlich Ravenclaws Zepter! Doch er musste ehrlich zu sich sein. Das war nicht der einzige Grund, warum er lieber nicht zu Ginny und Luna gehen wollte.
Abschied …
„Wahnsinn, dass wir alle überlebt haben!“ Ron schüttelte fassungslos den Kopf. „So viele Todesser! Und die Werwölfe? Sag, Harry –“ Er drehte sich zu ihm um. „– hast du noch gesehen, wie die Hauselfen gekommen sind, bewaffnet mit – Besteck?“ Er lachte. „Ich meine, das Besteck war aus Silber und damit natürlich eine Wahnsinnshilfe, aber – stell dir das mal vor, ein Haufen kleiner Wichte kommt mit Gabeln daher und riesige Wolfsbiester laufen flennend davon … Und wir haben diese Nacht alle überlebt. Ich meine – zwei Auroren sind gestorben … Aber der ganze Orden ist unverletzt. Und wir!“ Er lächelte Harry zu. „Wir leben alle noch. Wir drei, und Ginny, und Luna – und Neville! Obwohl die Schlacht hier schon ziemlich nervenaufreibend war, leben wir noch!“
Ja, noch, ganz genau, dachte Harry.
„Neville bleibt übrigens auch im Schloss“, sagte Hermine; sie warf ihm einen traurigen Blick zu. „Er hat gemeint, auch wenn die anderen volljährigen Schüler das Feld räumen müssen, hat er ein Recht darauf, wie wir drei den Kampf fortzuführen –“
„– und das stimmt auch“, fiel Harry ihr ins Wort. Neville hatte genug erlebt und oft bewiesen, dass er hier die Schule verteidigen konnte, wenn er wollte; zwar würde es in Hogwarts zu keinem Kampf mehr kommen, wie Harry wusste, aber es erschien ihm jetzt wichtiger, Neville zu verteidigen, als Ron und Hermine alles zu erzählen, was er im Kerker erfahren hatte.
„Ja, schon“, sagte Ron, „aber wir werden doch auch nicht kämpfen.“
Harry hielt an, fiel sogar einen Schritt zurück. Hatte er sich gerade verhört? Als Ron und Hermine bemerkten, dass Harry nicht mehr zwischen ihnen lief, blieben sie ebenfalls stehen und drehten sich zu ihm um. Ron erkannte wohl seinen fragenden Gesichtsausdruck, denn er sagte sofort: „Naja, wir müssen doch die Horkruxe finden!“ Harry erwiderte nichts, aber sein Schweigen schien Ron zu verunsichern. „Oder – oder etwa nicht?“
Harry antwortete immer noch nicht. Die Horkruxe – er musste zugeben, die hatte er plötzlich ziemlich vergessen. Inder Aufregung, das Zepter ganz in seiner Nähe zu wissen (auch, wenn er sich so sicher gar nicht war) und die Sache mit Umbridge, der Kampf mit den Werwölfen – und als Pettigrew sich zu erkennen gegeben hatte! All das hatte die Horkruxe aus seinen Gedanken verdrängt. Hatte er nicht vor dem noch einen standfesten Plan gehabt?
… Die Rüstung!
„Doch!“, rief Harry endlich zur Antwort auf Rons Frage. „Ja, natürlich! Und ich weiß auch schon, wo wir als nächstes hinmüssen!“
„Zurück nach Gringotts.“ Hermine nickte. „Klar, wir müssen die Rüstung holen.“
„Ja – ja, aber trotzdem …“ Harry ging weiter. „Vorher verabschieden wir uns.“

Durch das neue Hauptquartier des Dunklen Lords – trotz seiner engen Verbindung zum Ministerium immer noch unentdeckt – zog ein recht starker Wind. Aber der Dunkle Lord ließ sich davon nicht stören. Im Gegenteil – der Wind brachte frische Luft, die dem Lord schon ein wenig abgegangen war. Hier roch es in vielen Räumen nach den Toten, die neben dem Gefängnisturm auf dem Friedhof begraben waren.
Der Dunkle Lord lief durch die nun leeren Gänge von Askaban. Stunden zuvor waren in den Zellen an beiden Seiten noch Gefangene gesessen – Todesser, Mörder, Diebe, Unschuldige, alle in gleichen Mengen. Jetzt war dieser Bereich der Festung völlig verlassen und still. Totenstill. Ganz anders als dort, wo der Lord eben gewesen war. Er hatte nach dem Fortschritt des zweitgrößten seiner laufenden Projekte gesehen. Es war alles zu seiner Zufriedenheit.
Etwas anderes hätte er von Severus Snape auch nicht erwartet; für die Aufgabe, die der Dunkle Lord ihm zugeteilt hatte, war Severus ja auch prädestiniert. In Sachen Zaubertränke hatte er ein gutes Händchen geerbt.
Aber einiges anderes ist nicht im Geringsten gut verlaufen. Der Angriff auf Hogwarts, die größte Ablenkung in der Geschichte, war nicht nach Plan verlaufen. Gleich zwei seiner größten Anhänger hatte er verloren – Bellatrix würde er später wieder befreien können, aber Lucius … der hätte vorsichtiger sein müssen. Und dann war da noch Peter Pettigrew, der sich gegen ihn gewandt hatte. Oh, das würde er noch büßen müssen …
Und Trelawney hatte ihm auch niemand gebracht. Genauso wenig wie Harry Potter. Das wäre ein guter Ersatz gewesen. Aber nein – wieder einmal funktionierte nichts, solange nicht er selbst sich darum kümmerte. Er selbst – oder Severus. Hätte er Severus doch bloß auch in den Kampf ziehen lassen …
Im Vorbeigehen warf der Dunkle Lord Blicke aus den winzigen Fenstern des Gefängnisses. Sein Schutzwall, sein magischer Nebel, schien von Minute zu Minute stärker zu werden. In einem reinen Weiß, reiner noch als jede Wolke, erhellte er die ganze Festung, die ganze Insel; von der herrschenden Nacht, die zuvor noch ihre Schatten in die Gemäuer von Askaban geworfen hatte, war nun nichts mehr zu spüren. Der schützende magische Nebel schwebte um das Gebäude herum, machte jedem, der nicht vom Lord selbst erwartet wurde, das Eindringen unmöglich. Wie lang hatte er daran gearbeitet, diesen Zauber zu erschaffen … wie sehr hatte Severus ihm dabei geholfen. Der Gedanke, dass er an Severus‘ Loyalität gezweifelt hatte, bereitete ihm nun etwas, das man schon fast als unangenehmes Gefühl bezeichnen könnte.
Der Dunkle Lord erreichte sein Ziel. Hierhin hatte er gewollt: Zu der Zelle, in der die Gefangenen saßen. Die richtigen Gefangenen, seine Gefangene.
„Besuch für euch, meine werten Insassen!“
Seine Stimme schreckte die beiden Gefangenen aus dem Schlaf. Aber beide begegneten ihm nicht mit Angst – ihre Augen brannten vor Hass.
„Ah, so mutig …“ Der Dunkle Lord öffnete die Zelle. „Wie man es sich von einem Ordensmitglied wie dir, Nymphadora, und einem Gryffindor wie dir, junger Weasley, erwartet.“
Als er auf die beiden zuschritt, rührten Nymphadora Tonks und Fred Weasley sich nicht von der Stelle, die sie sich auf dem Boden ausgesucht hatten, wo sie direkt nebeneinander an der Wand lehnten.
„Nymphadora, ich habe interessante Nachrichten!“, sagte er zu Tonks; ihre Haare nahmen eine stechend rote Farbe an. „Nein, du musst dich nicht aufregen – im Gegenteil, es sollte dich freuen zu hören, dass mein Freund Peter deinen Freunden aus dem Orden verraten hat, dass er in Wirklichkeit gar nicht du ist! Ist das nicht eine spannende Wendung?“
„Die einzige spannende Wendung wird die sein, wenn mein Mann kommt und dir dein verdammtes –“
„Schweig“, sagte der Dunkle Lord gelassen, und ein Schwenk seines Zauberstabs ließ sie vor Schmerzen aufschreien, bevor sie dann tatsächlich still war. „So kannst du mich nicht ärgern, Nymphadora. Über so etwas bin ich erhaben … Nun, ich stimme dir aber zu – so interessant ist Peters Verrat gar nicht. Er ändert nichts mehr an meinem Plan. Glücklicherweise hat sich Peter so spät dazu entschieden, sich gegen mich zu stellen, und hat dadurch nichts mehr bewirkt.
Aber bevor ich zu viel darüber rede …“ Der Dunkle Lord wandte sich an den Weasley-Jungen. „Eigentlich bin ich wegen dir gekommen!“
Nun spürte der Dunkle Lord, wie Angst in dem Knaben hochkam; wie einfach es war, die Liebenden zu beunruhigen …
„Ich bin zuversichtlich, dass bald einige deiner Verwandten hier auftauchen werden. Durch meinen Nebel schaffen sie es zwar bestimmt nicht, aber der wird ja bald aufgehoben. Sicher wirst du sie begrüßen wollen …“ Der Dunkle Lord grinste in sich hinein. „Nun, das sei dir gewährt.“
Er machte eine schnippende Bewegung mit seinem Zauberstab – Fred Weasley wurde mit einem erschrockenen Keuchen von der Wand und auf seine Füße gerissen; Ketten, die aus dem Nichts erschienen, banden sich um seine Hände und Beine und gleichzeitig um die Spitze des Zauberstabs des Dunklen Lords.
„Sag, kleiner Weasley … weißt du noch, was das ist?“
Der Dunkle Lord griff in den Kragen seines schwarzen Umhangs und zog etwas heraus, das um seinen Hals hing. Der Weasley starrte es an, aber antwortete nicht.
„Ich habe dir eine Frage gestellt!“
Der Weasley schrie, als die Ketten sich enger um seine Glieder zuzogen.
„Ja – ja!“, sagte er dann. „Ja, das ist das Ding, das mich hier her gebracht hat!“
Der Dunkle Lord lächelte. „Über Manieren wirst du noch einiges lernen müssen. Aber abgesehen davon – liegst du fast richtig. Von dem Wechsel der Hauptquartiere hast du natürlich nichts mitbekommen, daher kannst du es nicht wissen, aber wir sind erst seit kurzem hier. Aber ja –“ Der Dunkle Lord nahm das goldene Medaillon, einen Teil seiner Seele, von seinem Hals. „– das ist der Gegenstand, der dich zu mir gebracht hat. Ich habe das Medaillon lange gesucht, und bin dir dankbar, dass du es mir gebracht hast. Deshalb darfst du es auch Potter präsentieren, wenn er zusammen mit deiner Familie hier auftaucht.“
Der Dunkle Lord zog an seinem Zauberstab; der Ruck brachte den Weasley zum Stolpern. Er landete direkt vor den Füßen des Lords auf den Knien.
„Hier“, sagte der Dunkle Lord. „Du weißt gar nicht, welche Ehre dir damit zuteil wird.“
Und dann legte er die Kette des Medaillons um Freds Hals.
„Gut …“, murmelte er, als er sah, dass das Medaillon den Zauber bewirkte, den es auf Träger des Medaillons – alle außer den Lord selbst natürlich – ausüben sollte. Fred Weasley verlor die Kontrolle über seine Gedanken, und Voldemort fühlte, wie er der neue Herr über diese Gedanken wurde. „Und damit auf zu denen meiner Anhänger, die das Glück haben, heute ganz bestimmte Aufgaben zu erledigen … auf Wiedersehen, Nymphadora!“

„Dort sind sie.“
Harry sah sie im gleichen Augenblick wie Ron. Sie hatten die Eingangshalle erreicht, standen am Absatz der Marmortreppe. Ein großes Stück aus ihrem Mittelteil war weggerissen worden. Alle vier Punktestundengläser der Häuser waren zerstört, die Edelsteine, die sich darin befunden hatten, lagen am ganzen Boden verstreut. Ein Fenster war zersplittert und in dem Tor, das zur großen Halle führte, war ein riesiges Loch. Aber abgesehen davon, fand Harry, wirkte die Eingangshalle seltsam unbeschädigt dafür, dass sie der eigentliche Hauptstandort der Schlacht gewesen war.
Am unbeschädigten Eichentor zu den Ländereien standen sie. Luna und Ginny, zusammen mit McGonagall, die sich mit Sprout und Flitwick unterhielt, wobei sie alle drei aufgeregt gestikulierten; McGonagalls Gesicht, leichenblass, ihre Augenringe, tief, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen, ließen erahnen, zu welchem Wrack sie dieser Angriff auf Hogwarts innerlich gemacht hatte.
Luna und Ginny sprachen ebenfalls miteinander, aber als Luna Harry, Ron und Hermine erblickte, brach sie mitten im Satz ab und machte Ginny auf sie aufmerksam. Als ihre und Harrys Augen einander trafen, musste Harry den Drang bekämpfen, wegzusehen; Abschied, ging es ihm wieder durch den Kopf …
„Gottseidank, da seid ihr ja endlich!“ McGonagall war die mit diesen Worten die erste, die Harry, Ron und Hermine begrüßte, als sie das Eichenportal erreichten. Während Flitwick und Sprout hinaus auf die Ländereien eilten, kam sie ihm entgegen. „Harry, möchtest du gleich darüber unterrichtet werden, was Peter Pettigrew ausgesagt hat?“
„Nein“, antwortete Harry, und er ignorierte die fragenden Blicke von Ron und Hermine. „Wir werden das Schloss in Kürze verlassen.“
McGonagalls Augen weiteten sich. „Ver- verlassen? Ach so – nun, ich hätte erwartet, dass ihr hier bleibt und kämpft, wenn die Todesser zurückkommen –“
„Sie wissen es also auch noch nicht?“ Harry verschwendete keine Zeit damit, Ginny zu verurteilen, weil sie nicht daran gedacht hatte, McGonagall solche wichtigen Informationen zu geben. „Die Schlacht hier war nur eine Ablenkung, die Todesser werden nicht zurückkommen.“
McGonagall nickte. „Doch, es war uns bekannt, dass dies der Plan der Todesser war – eines der Details, das Pettigrew den Auroren verraten hat. Aber der Orden und das Ministerium haben beschlossen, nicht zu Lord Voldemort zu laufen wie dressierte Hunde, sobald er den letzten Kampf offiziell für begonnen erklärt. Wenn er einen direkten Krieg möchte, dann überlassen wir ihm nicht den Vorteil, den er daraus ziehen könnte, sein neues Hauptquartier als Schlachtfeld zu nutzen.“
Harry verstand, was sie meinte. „Das ist eine gute Idee. Wenn Sie uns nun bitte entschuldigen würden, wir würden uns gerne noch verabschieden von –“
„Nur zu, Harry – aber beeilt euch!“, wies McGonagall sie an, bevor sie die Halle verließ.
Harry hatte ein flaues Gefühl im Magen, als er sich an Ginny und Luna wandte. Er wusste nicht, ob er die Worte finden würde, um sich von ihnen zu verabschieden; wusste nicht, was er sagen könnte, solange er den Hintergedanken im Kopf hatte, dass es möglicherweise – und, er musste ehrlich sein – nicht unwahrscheinlicher Weise das letzte war, was er zu ihnen sagen würde. Denn selbst wenn er es schaffen sollte, die Horkruxe zu finden und zu zerstören, danach würde er Voldemort selbst begegnen …
„Nun – viel Glück.“
Mit diesen Worten eröffnete Ginny dieses mögliche letzte Gespräch. Und (wie Harry erschrocken erkannte, als er hochblickte) sie schien es damit auch gleich beenden zu wollen – sie drehte sich schon weg von ihm, Ron und Hermine.
„Warte!“ Harry streckte seine Hand aus, als wolle er sie zurückhalten. Sie blieb tatsächlich stehen, sah ihn einen Moment fragend an; aber er schwieg. Wieder drehte sie sich um.
„Nein, Ginny – bitte, warte!“ Diesmal hielt Harry sie wirklich zurück: Er machte einen Schritt nach vorne und packte ihre Hand. Als er sicher war, dass sie stehen bleiben würde, ließ er sie los. „Hör zu – ich weiß, dass du wütend bist, weil du nicht mit uns gehen darfst.“ Harry wusste nicht, woher die Worte plötzlich kamen, aber sie waren da. „Aber du musst es verstehen, Ginny, du musst. Es ist nicht, weil ich dir nichts zutraue – verdammt nein, ich traue dir, Luna und Neville alles zu! Aber die Sache ist die – wenn sich nicht jemand um die Aufgabe, die Ron, Hermine und ich erfüllen werden, kümmern müsste, wenn es auch irgendwie anders ginge, dann würde doch nicht einmal ich gehen!“ Hoffentlich würde sie es verstehen, hoffentlich! Wenn nicht – sie zu verlassen, solange sie wütend war, solange nicht alles zwischen ihnen geklärt war, und dann in seinen möglichen Tod zu ziehen … Er würde es nicht tun können! „Aber jemand muss diese Aufgabe erledigen. Und ich – ich eigne mich aufgrund bestimmter Umstände nun einmal am besten dafür, Ginny.“
„Warum?“
Harry stockte. „W-was?“
„Warum denkst du das?“, fragte Ginny, ihre Stimme ruhig, emotionslos. „Warum denkst du, du wärst am besten dafür geeignet, diese Aufgabe, von der du sprichst, zu erfüllen? Kannst du etwas, was andere nicht können? Hältst du dich für einen übermächtigen Zauberer? Oder ist es, weil du der Auserwählte bist?“
Harry konnte deutlich ihren scherzhaften Unterton hören; aber sie schien etwas ebenso deutlich in seinem Gesicht lesen zu können. Ihr Mund öffnete sich ein Stuck, vor Verwunderung, wie es schien.
„Du – du bist wirklich der Auserwählte? Wie die Zeitungen behauptet haben? Harry, du – du musst ihn töten?“
Plötzlich fand Harry es wieder unmöglich, zu sprechen. Er konnte nur nicken.
Das schien es Ginny die Sprache zu verschlagen. Sie starrte ihn an, ihr Mund immer noch ein kleines Stück weit offen. Ihre Augen schimmerten so stark, dass es verdächtig nach Tränen aussah. Glücklicherweise blieb es Harry erspart, zu sehen, wie diese kamen: Jemand legte eine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich sofort um; Luna stand vor ihm, ein ungewohnt trauriges Lächeln auf ihrem Gesicht. Harry hoffte, dass er es sich nur einbildete, aber die Geschehnisse dieser Nacht schienen Lunas Augen ihren verträumten Glanz, ihre neblig wirkende Tiefe genommen zu haben …
„Es tut mir alles so Leid“, sagte sie; auch ihre Stimme passte nicht zu ihr, war nüchtern und klar.
„Ich hab dir schon gesagt, du musst dich nicht –“
„Doch“, fiel Luna ihm ins Wort. „Doch, ich muss mich entschuldigen. Es hätte mir klar sein müssen, dass meine Mutter nicht mehr lebt. Ich habe doch selbst gesehen, wie sie gestorben ist.“ Sie schüttelte ihren Kopf, als könne sie nicht fassen, was sie getan hatte. „Ich war so dumm, Harry, und hab damit dein Leben riskiert …“
Um ein Haar hätte Harry erwidert, dass sie und ihr Fehler nicht notwendig gewesen waren, um sein Leben zu einem Risiko zu machen; um ein Haar, aber glücklicherweise sprach Luna da schon weiter.
„Ich weiß, dass das nichts wieder gutmachen kann“, sagte sie, „aber ich möchte dir etwas mitgeben auf deine weitere Reise, Harry. Meine Mutter … sie hat mir früher, als sie noch da war, jeden Abend vor dem Einschlafen ein Lied vorgesungen, weißt du? Und mein Vater singt mir dasselbe Lied heute noch manchmal vor. Und wann immer ich es höre …“ Sie atmete tief ein und aus. „… fühle ich mich stärker als zuvor, als könnte ich alles tun. Ich möchte dir das Lied vorsingen, Harry.“
Harry blinzelte; hatte er sie richtig verstanden? Noch bevor er einen Blick mit Ron und Hermine über diesen seltsamen, aber für Luna typischen Vorschlag tauschen konnte, begann sie schon, zu singen.
Und bereits bei den ersten Tönen war Harry froh, dass er ihr nicht gesagt hatte, für so etwas wäre keine Zeit; dass er nicht sofort seine voreilige Meinung Ron und Hermine per Blickkontakt mitgeteilt hatte; als Lunas Stimme seine Ohren erreichte, war Harry froh, dass er gekommen war, um sich zu verabschieden – dass er das noch hören konnte …

Verzage nicht, hab keine Angst, oh du mit blau-bronzener Kron‘
Sie alle schlafen in innigster Ruh, dein Drache, dein Adler, dein Patron
Und der Rabe wird kommen, den Stab in der Klaue, berührt damit dann deine Augen
Und verschwinden werden all die Gedanken, die die Ruhe stören und gar nichts taugen
In der Rabenklaue das Stäblein dann, das Stäblein, das Klarheit und Ruhe beschert
Das der Rabe am höchsten Turme fand, dorthin gebracht wird, wo es hingehört
So wenn du geplagt wirst von allerlei Unruh’n, quälenden Gefühlen und Mahren
Hol dir das Stäblein am höchsten Turme, und es wird deinen klaren Blick bewahren


Wie ein magischer Ton, wie das Lied eines Phönix hing Lunas Stimme in der ganzen Eingangshalle, selbst nachdem sie aufgehört hatte zu singen. Harry fühlte sich wie betört, ein bisschen betrunken, und als würde er schlafen, träumen von Dingen, die so wunderschön waren, dass es sie gar nicht geben konnte. Harry glaubte – nein, er war sich sicher, dass Lunas Stimme tatsächlich magisch war, denn anders ließ es sich nicht erklären, dieses Gefühl …
Aber es war nicht das einzige, was Harry empfand. Während Ginny, Ron und Hermine vermutlich nur diesen sonderbaren Emotionen nachhingen, die Lunas Stimme ausgelöst hatte, hing Harry noch etwas anderes im Ohr, etwas, das sich nach und nach gegen die Musik auflehnte, als würde es immer lauter brüllend auf sich aufmerksam machen wollen. Was Harry so sehr beschäftigte – war der Text.
„Hat es euch gefallen?“, fragte Luna; an der Art, wie sie das sagte, und an ihrem Gesichtsausdruck war zu erkennen, dass sie nicht nach einer Beurteilung ihres Gesanges fragte; sie wusste von den Gefühlen, die sie ausgelöst hatte, das war offensichtlich.
„Es – es war unglaublich“, gab Ron zur Antwort.
„Und was ist mit dir, Harry?“
„Ja, Luna – es war großartig.“ Und zur Überraschung aller – wahrscheinlich am allermeisten zu seiner eigenen – zog er Luna an sich und umarmte sie. „Großartiger als du vermutlich weißt. Ich danke dir – du hast mir sehr geholfen.“
Luna lächelte ihn an, als er sie losließ. Und was noch wichtiger war: Ihre Augen waren wieder die, die er von früher kannte. „Dir zu helfen war meine Absicht“, sagte sie.
Harry nickte nur; natürlich wusste sie nicht, wie sehr sie ihm tatsächlich geholfen hatte. Er wandte sich an Ginny, wollte auch sie umarmen – aber sie breitete nicht ihre Arme aus, als sie sah, dass er auf sie zukam.
„Können wir uns unterhalten?“, fragte Ginny ihn leise, sodass die anderen sie nicht hören konnten.
Harry nickte wieder, diesmal aber etwas zögerlich. Auf ein zweites langes Abschiedsgespräch hatte er überhaupt keine Lust. Vielleicht würden ihre Worte ihn sogar dazu bringen, mit ihr zu gehen … Sie führte ihn weg von den anderen, zu der Tür, die in die Kerker hinunter führte. Er dachte schon darüber nach, wie er worauf reagieren würde – sie könnte beispielsweise erneut verlangen, mit ihm, Ron und Hermine gehen zu dürfen, obwohl er vorher erklärt hatte, warum er das nicht wollte, hatte vielleicht die Sache mit dem Auserwählten noch einmal überdacht und rechnete dem jetzt weniger Bedeutung an, oder sie könnte ihn dazu bringen wollen, wieder mit ihr zusammen zu sein und das offiziell zu entscheiden, bevor er verschwand, oder –
„Lassen wir dieses blöde Spiel.“
Harry hörte sofort auf zu denken. Er merkte, dass er Ginny regelrecht anglotzte; er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
„Also bitte“, sagte Ginny, und sie stieß ein leises, humorloses Lachen aus. „Ich bin nicht blöd, weißt du? Ich sehe es doch. Ich weißes doch.“
„W- was weißt –?“
„Du liebst mich nicht.“ Ginny schüttelte kaum merklich ihren Kopf; Harry hingegen fiel der Mund auf. „Du hast mich nie wirklich geliebt. Du hast jemanden wie mich gebraucht, um ein bisschen aufgeheitert zu werden, klar – aber du liebst mich nicht.“ Sie seufzte. „Harry, was du mit Hermine teilst – es ist unglaublich! Eure Bindung konkurriert locker mit der von Fred und George, und ihr seid nicht nur keine Zwillinge, sondern nicht einmal Geschwister!“
„Ginny“, unterbrach Harry sie, „nein, du –“
„Sogar deine Verbindung mit Luna ist tiefer als die zu mir! Ihr habt eine so ähnliche Vergangenheit – und sie ist so unglaublich stark, weißt du? Wie sie Dingen wie dem Tod begegnet, wie sie darüber redet … sie ist genauso wie du, nur gleichzeitig auf eine ganz andere Weise. Ich weiß, es ergibt keinen Sinn – wichtig ist nur, dass es eindeutig ist, dass mit den beiden Mädchen viel mehr teilst als mit mir, und –“
Der Rest ihrer Worte verließ nie ihren Mund. Dafür sorgte Harry: Er küsste sie einfach. Küsste sie, ohne sie vorzuwarnen. Er küsste sie, und sie wehrte sich nicht, und endlich war sie still. Und als Harry den Kuss abbrach, schwieg sie immer noch. Also konnte endlich Harry etwas sagen.
„Hör zu …“, begann er, nicht sicher, wie er es formulieren sollte. „Es kann sein, dass Hermine und ich etwas Besonderes teilen, dass unsere Freundschaft sehr tief geht. Ich weiß es nicht, ich kenne mich mit solchen Dingen nicht aus, wie dir ganz klar ist. Und mag auch sein, dass Luna und ich uns ähnlich sind, dass wir vielleicht bis zum Rest unseres Lebens über den Tod quatschen und Kinder machen könnten, die mit Blitznarben und Radieschenohrringen durch die Gegend laufen.“
Ginny gab kein Anzeichen dafür, dass sie das lustig gefunden hatte – aber Harry wusste, dass es so war.
„Möglicherweise habe ich zu den beiden eine – ich weiß nicht – tiefere oder – sagen wir kompliziertere natürliche Beziehung als zu dir. Das ist ja möglich. Aber, Ginny – ich hab dich ausgewählt. Weil ich mich in dich verliebt habe!“
Ginny sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
„Vielleicht will ich nur mit dir zusammen sein, weil du mich aufheiterst – weil du mich ablenken kannst von all dem, was mir passiert ist, einfach, weil du da bist – weil ich mit dir über so unwichtige Dinge wie Quidditch reden kann und keine Themen brauche wie den Tod oder Lord Voldemort. Vielleicht liebe ich dich nur deswegen – aber Ginny, ich liebe dich!“
Ginny schien seinem Blick nicht mehr standhalten zu können; ihre Augen wanderten an einen Punkt im Nichts über seinen Schultern, während er weiterredete. Die Worte sprudelten aus seinem Mund wie ein Wasserfall; als hätte er all das schon immer gewusst, sich das schon zurechtgelegt für den Tag, an dem er sein Liebesgeständnis für Ginny brauchte. Und heute schien dieser Tag zu sein.
„Selbst wenn unsere Beziehung nichts Ernstes ist – und glaub mir, Ginny, der Ansicht bin ich nicht – wer sagt denn, dass das etwas Schlechtes ist? Vielleicht brauchen wir beide das, sonst hätte es nie funktioniert! Und Ginny, vergiss auch nicht –“ (er nahm ihr Kinn, drehte ihr Gesicht wieder ihm zu) „– dass wir uns Ende letzten Jahres getrennt haben – und dass ich trotzdem seitdem nur darauf warte, wieder mit dir zusammen zu sein!“
„Ich doch auch“, murmelte Ginny.
„Na eben! Siehst du?“ Harry grinste. „Wenn wir uns mit siebzehn und sechzehn Jahren schon so sehr lieben, dass wir ein ganzes Jahr aufeinander warten, dann müssen wir ja etwas Ernstes haben.“
Damit aber brachte er sie nun zum Lachen.
„Es wird langsam Zeit.“
Die beiden wandten sich an Luna, die eben erschienen war.
„McGonagall war gerade hier“, sagte sie. „Sie können nicht länger warten.“
„Okay, ich komme.“ Ginny drehte sich noch einmal zu Harry um; für einen Moment schien es so, als wollte sie noch etwas sagen – aber dann beugte sie sich einfach nach vor – in Harrys Bauch begann es zu kribbeln, als ihr Mund sich seinem näherte – aber dann führte sie ihn nicht an seine Lippen, sondern an sein Ohr. „Ich werde weiterhin warten.“
Sie nahm ihren Kopf weg, lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Und dann folgte sie Luna durch die Halle zurück zu dem Portal. Harry sah den beiden hinterher; ihre Gestalten wurden immer kleiner, trotz des Mondlichts immer schattenhafter – und dann sah er sie nicht mehr. Sie waren weg; sie hatten sich verabschiedet …
„Also?“
Harry riss seine Augen von dem Tor, sah zu Ron und Hermine, die nun neben ihm standen.
„Was jetzt?“, fragte Ron.
Zwar antwortete Harry nicht sofort, aber er merkte, dass sich augenblicklich ein Grinsen auf seine Lippen stahl. Er schluckte hinunter, was das Gespräch mit Ginny an Gefühlen in ihm hinterlassen hatte. Dann sagte er:
„Wir holen uns Ravenclaws Zepter.“
Er hatte erwartet, dass beide überrascht reagieren würden; aber dass sogar Hermine ihn ansah, als wäre er verrückt geworden, gefiel ihm auf eine gemeine Art und Weise: Ausgerechnet sie hatte sich von Lunas Stimme so hinreißen lassen, dass sie die Bedeutung von Lunas Lied nicht wahrgenommen hatte, ausgerechnet die kluge, logische Hermine!
„Aber niemand weiß, wo es ist!“, wandte Hermine auch sogleich ein. „Sollten wir nicht besser die Rüstung aus Gringotts holen?“
„Doch, Hermine, ich weiß jetzt, wo das Zepter ist! Kommt mit!“
Ohne sich weiter zu erklären, lief er los. Was in dieser Nacht bisher schon passiert war, war plötzlich vergessen, und seine Beine waren mit neuer Kraft gefüllt – als hätte Lunas Lied ihn wirklich bestärkt, ihn sogar beflügelt, sprang er fast die Marmortreppe hoch, wieder all die Korridore entlang, durch die er heute schon gerannt war. Ron und Hermine hatten offenbar Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten. Er lief ein bisschen langsamer, damit sie ihn einholen konnten.
„Bitte sag uns doch, wie du das meinst!“, rief Hermine keuchend, sobald sie und Ron mit ihm gleichauf waren. „Woher willst du auf einmal wissen, wo das Zepter ist?“
„Ist das nicht klar?“, gab Harry zurück, und er musste den Drang zu lachen unterdrücken; zum Teufel, was hatte Lunas Lied in ihm bewirkt? Oder war es das Gespräch mit Ginny gewesen? …
„Um ehrlich zu sein – nein“, sagte Ron. „Also, woher weißt du –“
Ron stellte seine Frage nicht zu Ende. Er brach mitten im Satz ab – so, wie Harry ohne Vorwarnung, mitten in einem Schritt abbremste und stehen blieb. Beides, Rons plötzliches Schweigen und Harrys Anhalten, passierte aus dem gleichen Grund. Aus dem gleichen fürchterlichen Grund …
„Oh nein“, stieß Hermine aus, als auch sie und Ron stehen geblieben waren, aber sie war zu kaum mehr als einem Flüstern fähig. Ihre Augen, geweitet vor Angst, sahen direkt in Harrys. „Sie sind zurück!“
Entsetzte Rufe und etwas, das wie furchtsames Weinen klang, hatte keinen Raum für Zweifel gelassen: Die Todesser waren wieder da, waren tatsächlich zurückgekehrt. Als wäre das noch nicht offensichtlich genug, schoss ein grüner Lichtblitz an einem der Fenster vorbei.
„Die Schüler!“, platzte Ron hervor, und mit einem Satz stürzte er zu dem Fenster, Hermine direkt auf seinen Fersen. Aber Harry wollte nicht hinaussehen – konnte nicht hinaussehen … Er hatte so viel Angst davor, was er sehen könnte …
Aber die Schreie einiger Schüler und das laute Kommando „SCHOCKFLÜCHE, ALLE ZUSAMMEN!“, das eindeutig von Professor McGonagall kam, brachten Harry dann doch dazu, zum Fenster zu laufen. Vielleicht konnte er von hier oben helfen, vielleicht konnte er die Todesser einen nach dem anderen verfluchen, so lange sie nicht erkannten, woher diese Hilfe für die über den See flüchtenden Schüler kam …
„Stupor!“, rief Ron bereits, als Harry ein Fenster erreichte, während Hermine ihre Flüche ganz ohne Zauberformel abschoss. Aber es schien nichts zu nutzen: Die Todesser, die auf Besen flogen, waren viel zu weit weg, bewegten sich mit hoher Geschwindigkeit hoch über dem See, auf dem Harry in der Ferne kleine Boote schwimmen sah. Harry versuchte selbst einen Schockfluch, aber auch seiner erreichte die schwarzen Figuren der Todesser nicht. Die grünen Blitze aber, die sie aus ihren Zauberstäben schleuderten, trafen beinahe ihre Ziele: Immer wieder schlugen sie auf der Wasseroberfläche auf, nur kleine Stücke entfernt von den Booten …
Und dann hörte Harry es wieder, schon wieder, und diesmal war es noch schockierender … Sie war doch bewegungsunfähig gewesen, Kingsley hatte sie doch weggebracht …
Wieso erklang Bellatrix Lestranges Lachen dann jetzt über dem See von Hogwarts, als wolle das Schicksal Harry das genaue Gegenstück zu Lunas wundersamer Stimme noch einmal darlegen?
Als wäre das noch nicht genug, blieb ein Todesser in dem Augenblick direkt in einem Lichtstrahl des Mondes in der Luft stehen, sodass Harry ihn genau sehen konnte. Der Todesser nahm seine Maske ab – und es war Bellatrix, deren wahnhaft glühende Augen auf eine ganz bestimmte Stelle fixiert zu sein schienen. Harry blickte hinunter – und war sich sicher, diese Stelle erkannt zu haben.
In einem der Boote war ein besonders heller, orangeroter Haarschopf zu sehen, direkt neben einem blonden. Ginny und Luna hatten ihre Zauberstäbe gezogen, feuerten Flüche in Richtung der Todesser ab – aber in Richtung derer, die auf der entgegengesetzten Seite von Bellatrix über den See flogen. Sie sahen nicht, dass Bellatrix ihren Zauberstab hob, sahen nicht das teuflische Grinsen auf ihrem Gesicht, das nur eines bedeuten konnte …
„GINNY, LUNA, VORSICHT!“
Es war unglaublich – unglaublich, dass sie ihn hörten! Zumindest Luna schien seinen Ruf wahrgenommen zu haben. Sie drehte sich nämlich genau in dem Moment um, als Bellatrix der grüne Fluch mit einer kleinen Explosion aus Bellatrix‘ Zauberstab abgefeuert wurde. Wenn Luna jetzt mit Ginny in den See sprang, würde nichts passieren. Erleichterung durchströmte Harry …
„WAS MACHT SIE DENN DA?“
Harrys Inneres verkrampfte, erkaltete – nein, vereiste. Sein Herz zersprang, obwohl es noch gar nicht passiert war – aber sein Herz fühlte, dass es passieren würde, hatte verstanden, was Rons entsetzter Schrei zu bedeuten gehabt hatte …
Harry starrte hinunter zu dem Boot, starrte auf den kleinen Fleck, der Ginny war, und auf den noch kleineren Fleck namens Luna. Und dieser zweite Fleck packte nicht etwa den ersten bei den Schultern und sprang mit ihm in den See, wie Harry erwartet hatte. Nein – Luna vertraute den falschen Instinkten. Wie in Zeitlupe beobachtete Harry, wie Luna sich Rücken an Rücken vor Ginny stellte und den Zauberstab hob. Obwohl das für Harrys Augen ewig dauerte, war weder sein Kopf noch sein Mund fähig, etwas dagegen zu unternehmen. Er wollte Luna zurufen, dass sie mit Ginny in den See springen sollte – aber der Fluch erreichte sie nun einmal in tatsächlicher Geschwindigkeit, und nicht in der verlangsamten Version, die Harry leidvoll mit ansehen musste. Zu schnell für Luna, um logisch denken zu können, zu schnell für Harry, Ron und Hermine, um ihr beim Denken helfen zu können.
Der Fluch traf Luna, nach allem, was Harry von hier oben sehen konnte, direkt in die Brust – direkt ins Herz.
Und so fiel Luna doch noch in den See – wenn auch ohne Ginny, wenn auch nicht, um sich vor dem Tod zu retten.
Denn dazu war es jetzt zu spät …


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All unsere Freunde fanden es unheimlich, so nahe am Friedhof zu wohnen, doch wir mochten das. Ich habe noch immer viel für Friedhöfe übrig - sie sind eine großartige Fundgrube für Namen.
Joanne K. Rowling