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Harry Potter und die Totenrelikte - Die Hügel der Riesen

von Wizardpupil

Harry fühlte sich, als wäre er völlig allein in diesem Raum. Er wusste, dass Hermine darauf wartete, zu erfahren, was er gesehen hatte. Er wusste, dass es nicht richtig war, so wie jetzt einfach nur auf den Boden zu starren, verloren in seinen Gedanken, als hätte er nichts zu tun. Aber er konnte nicht anders. Was er gerade miterlebt hatte – was er erkannt hatte!
Er war sich in vielem nicht einmal sicher. Dumbledore würde ihm bestätigen müssen, was er vermutete. Aber dazu musste er sich erst einmal aufrappeln und etwas sagen … Er wollte nicht sprechen. Er wollte nicht erfahren, ob er Recht hatte. Sollte er tatsächlich richtig liegen – würde er damit zurechtkommen? Schon die Vermutung tat ihm weh. Was würde erst passieren, wenn Wahrheit daraus wurde?
Hermine sagte leise seinen Namen. Er dachte darüber nach zu antworten, ließ es dann aber.
Was er gesehen hatte!
„Harry“, sagte Hermine erneut, „was ist?“
„Ich gehe davon aus, dass Harry eben so einiges gelernt hat, Miss Granger“, drang Dumbledores Stimme an sein Ohr. „Geben Sie ihm kurz Zeit, all das zu verarbeiten –“
„Nein.“
Harry war sich nicht sicher, was ihn dazu bewegt hatte, nun doch zu sprechen. Vermutlich einfach nur, weil Dumbledore das Stichwort gesagt hatte. Zeit. Er hatte keine.
„Nein, ich muss es nicht verarbeiten.“ Er sah direkt in Dumbledores Augen. „Besteht die Möglichkeit, dass das, was ich gesehen habe, nicht genau so passiert ist?“
„Ich bin zuversichtlich, dass deine Erinnerung voll und ganz dem entspricht, was damals geschehen ist.“ Dumbledore zeigte keinerlei Anzeichen von Anspannung oder Neugier; er wusste, was Harry gesehen hatte.
„Und was ist geschehen?“, fragte Hermine. „Bitte, sag es mir.“
Noch konnte Harry nicht antworten – er fragte sich, ob er es selbst überhaupt wusste. War er sich wirklich im Klaren darüber, was sich ihm offenbart hatte? Konnte es sein, dass er etwas falsch verstanden hatte?
Das glaubte er nicht. Er hatte die Wahrheit erkannt. Jede Wahrheit. Alles, was ihm verschwiegen worden war.
„Miss Granger“, sagte Dumbledore, „vielleicht können Sie Harry helfen, darüber zu reden, wenn ich Ihnen sage, dass Sie mit Ihrer Vermutung richtig gelegen haben.“
Harry hob seinen Kopf. „Welche Vermutung?“
Aber Hermine starrte Dumbledore unverwandt an, schien Harrys Frage gar nicht gehört zu haben.
„Meine – Sie meinen doch nicht etwa …“
Dann keuchte sie auf und riss ihr überraschtes Gesicht zu Harry herum.
„Soll das heißen – Snape –“
Harry traute seinen Ohren nicht. „Du hast es gewusst?“
„Ich hab’s geahnt!“ Hermine schüttelte ungläubig ihren Kopf. „Weißt du nicht mehr, was Neville uns erzählt hat?“
Jetzt verstand Harry gar nichts mehr – was hatte Neville denn mit der Sache zu tun?
„Vorgestern! Über seinen Vater!“, sagte Hermine, während sie ihn eindringlich anblickte. „Was der vor seinem Tod gemurmelt hat! Etwas von Godric’s Hollow, einem Helm und –“
„– und Snake!“ Harry fühlte sich so dumm; wieso hatte er es nicht gleich verstanden!
„Damals habe ich gedacht, Neville könnte sich möglicherweise verhört haben – nicht Snake wie Schlange, sondern Snape! Daraus habe ich geschlossen, dass Voldemort mit deinem Tod einen Helm zu einem Horkrux machen wollte, dass Nevilles Vater dort gewesen ist, genauso wie Snape! Ich wollte mit Dum- Professor Dumbledore darüber sprechen, bevor ich mich an dich wende, aber er wollte mir nicht sagen, ob ich Recht habe!“
Es war so typisch. Einfach so typisch, dass Hermine es damals sofort verstanden hatte, alles verstanden hatte. Dass sie sicher gehen hatte wollen, bevor sie sich mit ihm und Ron darüber austauschte.
Und es war so typisch Dumbledore, dass er sich geweigert hatte, ihre Theorie zu bestätigen …
„Ich habe Miss Granger vor zwei Tagen nicht zugestimmt“, sagte Dumbledore, als ob er auf Harrys Gedanken antworten würde, „weil ich wusste, dass bald der Zeitpunkt kommen sollte, in dem du es selbst erfährst, Harry. Und ich glaubte, es durch die Erinnerung herauszufinden wäre dir lieber als es einfach erzählt zu bekommen. Vor allem, weil du in dieser Erinnerung viel mehr … Details einnehmen konntest.“
Dumbledores Augen funkelten bei diesen letzten Worten, und ein stilles Band des Verständnisses knüpfte sich zwischen den beiden. Ein Band, von dem Hermine nichts mitbekam.
„Aber, Professor!“, rief sie. „Dann müssen Sie es uns jetzt sagen! Was hat Snape in Godric’s Hollow getan? Wer hat ihn hingeschickt, Sie oder Lord Voldemort?“
Dumbledore antwortete ihr nicht. Stattdessen fragte er Harry: „Was meinst du?“
Harrys Hände begannen zu zittern. Irgendwie wäre es ihm lieber gewesen, hätte ihm die Erinnerung ein anderes Bild von Snape bestätigt. Aber Hermine hatte Recht – sie mussten es wissen. Wahrscheinlich würde Snape noch eine große Rolle im restlichen Verlauf der Nacht spielen …
Aber wie ist das möglich? Wie konnte es sein, dass Snape …
Er atmete tief durch. Dann sagte er:
„Er war auf Ihren Befehl hin in Godric’s Hollow, nicht wahr, Professor?“
Dumbledore seufzte. „Mehr oder weniger.“
„Aber wie kann das sein!“ Hermine machte einen Schritt auf Dumbledores Porträt zu. „Er hat Sie umgebracht!“
Das war nicht, was Harry so sehr beschäftigte. Für ihn war das kein großes Rätsel – Snape war für eine gewisse Zeit wohl tatsächlich mit einem Fuß auf Dumbledores Seite gewesen und hatte sich dann endgültig abgewandt. Anderes war für ihn mysteriöser; nein – anderes war unglaublich …
„Er hat Voldemort die Prophezeiung doch erst verraten!“, wandte Hermine dann ein.
Zwar war auch das nicht, was Harry nicht loslassen wollte, aber daran hatte er noch gar nicht gedacht. Das stimmte – Snape hatte Trelawney belauscht und Voldemort die Prophezeiung weitergegeben. Wie hatte er dann zu der Zeit, als Harrys Eltern gestorben waren, für Dumbledore arbeiten können?
Die Antwort kam ihm sofort.
„Snape war gar nicht auf Ihrer Seite, oder, Professor?“, sagte er. „Er hat Pettigrew immerhin gesagt, er solle Voldemorts Umhang und Zauberstab mitnehmen – das heißt, er hat schon damals für den Orden und die Todesser gearbeitet, nicht wahr?“
Dumbledore runzelte die Stirn. „Glaubst du das wirklich, Harry? Nachdem du gesehen hast, wie Snape mühevoll und stundenlang versucht hat, deine schweren Verletzungen zu heilen?“
„Einen Augenblick – stundenlang?“, warf Hermine ein. „Harry war doch nur wenige Minuten im Denkarium!“
„Nachdem er seine Erinnerung zurückgewonnen hat, konnte Harry zweifellos das Unwichtige überspringen“, sagte Dumbledore, wobei er Harry ansah, als wäre er sich nicht ganz sicher. Harry bestätigte diese Vermutung mit einem Nicken. Ja, im Nachhinein betrachtet war es ihm ganz klar: Er hatte fast einen ganzen Tag im Denkarium mit angesehen, war aber nur kurz weggewesen.
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte Dumbledore dann. „Du hast gesehen, wie Severus Snape lange Zeit damit zugebracht hat, deine Wunden zu heilen, und dich dann Hagrid übergeben hat. Kannst du dir wirklich vorstellen, dass dieser Mann zwischen zwei Seiten hin- und hergependelt hat?“
Harry schluckte; er konnte es nicht. „Aber er hat Pettigrew gehen lassen!“
„Severus war und ist nur ein Mensch. Und er hatte nicht all das Wissen, das auch für mich damals nur Theorie gewesen ist. Und so konnte er nicht im Geringsten ahnen, dass Voldemort noch einmal zurückkehren würde. Er hielt seinen alten Herren, von dem er sich schon lange abgewendet hatte, für endgültig besiegt, und glaubte nicht, etwas zu riskieren, wenn er Peter Pettigrew Voldemorts Zauberstab überlässt.“
„Aber er hat immer noch Voldemort die Prophezeiung verraten!“, warf Hermine ein. „Das kann doch nicht geleugnet werden!“
„Denke zurück“, sagte Dumbledore, seine Augen immer noch auf Harry gerichtet. „Denke zurück und überlege, was Professor Trelawney dir gesagt hat. Was sie dir erzählt hat über das Vorstellungsgespräch.“
Harry zögerte nicht, tat es sofort. Was hatte sie ihm gesagt? Sie hatte mit Dumbledore gesprochen, dann hatte sie sich seltsam gefühlt – und dann war plötzlich Snape aufgetaucht. Sie und Dumbledore hatten sich unterhalten; und dann hatte Snape sie unterbrochen …
Er spürte es augenblicklich. Etwas stimmte nicht! Trelawney hatte Dumbledore prophezeit, was mit Voldemort und ihm geschehen würde – und dann hatte Snape sie unterbrochen?
„Haben Sie nicht gesagt, der, der Sie und Trelawney belauscht hat, hat nur den ersten Teil der Prophezeiung gehört?“
„Das ist, was ich dir erzählt habe.“
Harry war entsetzt. „Also – also haben Sie gelogen?“
„Severus hat mich darum gebeten, die Wahrheit über ihn geheim zu halten, egal vor wem.“ Dumbledore sprach mit einem fast schon entschuldigenden Tonfall. „Ich habe es versprochen und wollte mein Versprechen halten.“
„Snape hat die gesamte Prophezeiung gehört?“, fragte Harry unnötigerweise; er konnte es immer noch nicht glauben. „Deswegen hat Trelawney bemerkt, wie er aufgetaucht ist? Er hat alles gehört und trotzdem –“
„Und hat trotzdem nur den ersten Teil an Voldemort verraten“, sagte Dumbledore. „So, wie wir es geplant hatten.“
„Wie – wie ihr es – es war geplant?“ Harry hätte geschworen, dass sein Herz nun wirklich zu schlagen aufgehört hatte. „Sie haben geplant, dass – dass Voldemort – dass er …“
„Harry, verstehe es bitte … aus unserer damaligen Sicht hast du in keinerlei Gefahr geschwebt! Die Prophezeiung hat uns verraten, dass Voldemort dich nicht töten könnte. Etwas würde dazu führen, dass du ihm ebenbürtig wirst. Das war unsere einzige Chance, Voldemort jemals zu besiegen! Aber nicht nur das – Severus hat dafür gesorgt, dass Voldemort sich für dich entscheidet, nicht für Neville. Wir waren uns sicher, dass Voldemort Severus verraten würde, wann er dich ermorden will. Der Plan sah vor, dass Snape dann nach Godric’s Hollow gehen und deine Eltern warnen würde. Severus hätte alles getan, um sie zu überreden, dass sie dich Voldemort überlassen müssen – weil dir ohnehin nichts geschehen könnte! Wir haben gedacht, dass Voldemorts Mordversuch dann scheitern würde, dass du ihn vielleicht sogar an Ort und Stelle besiegen könntest!“
„ABER SNAPE WAR DORT!“
Jetzt musste er wieder schreien. Erneut ertrug er es nicht, konnte er es nicht glauben, nicht verstehen – das durfte alles nicht wahr sein, nein, niemals …
„SNAPE WAR DORT UND MEINE ELTERN HABEN MICH NICHT VOLDEMORT ÜBERLASSEN!“
„Was im Nachhinein betrachtet auch gut so ist!“, sagte Dumbledore schnell. „Wenn deine Mutter sich nicht für dich geopfert hätte, wäre es nie zu der Zeichnung der Ebenbürtigkeit gekommen!“
„Das ist keine Entschuldigung!“, rief Hermine nun; sie trug einen angewiderten Gesichtsausdruck. „Ihr Plan war grausam! Ein Kind einfach so einem Verrückten hinzuschmeißen, weil irgendeine verrückte Frau gesagt hat, das Kind könne nicht sterben!“
„Das weiß ich heute auch.“ Es war Dumbledore anzusehen, dass er Schwierigkeiten hatte ruhig zu bleiben. „Bitte, seht das ein – das ist mir aus heutiger Sicht genauso bewusst wie euch! Aber damals kannte ich Lily und James kaum, ich kannte Harry nicht – ich hielt es für das Richtige, das Risiko einzugehen, dass Harry sterben könnte – denn wenn sich die Prophezeiung als richtig erweisen würde, dann wäre dadurch der Schlüssel zur Vernichtung Voldemorts geboren worden! Und das ist letztlich auch passiert!“
„JA, WEIL SNAPE MEINE ELTERN NICHT GEWARNT HAT!“
„Dafür kann Severus nichts, Harry! Ein Punkt in unserem Plan ist gescheitert, ausgerechnet der, mit dem wir uns am sichersten waren – Voldemort hat Severus nicht verraten, wann er dich angreifen wollte. Severus wusste nicht, dass Voldemort in dieser Nacht das Haus deiner Eltern überfallen würde.“
Harry starrte Dumbledore fassungslos an. Meinte er ernst, was er da sagte? Wusste er überhaupt noch, was er sagte?
„Sie haben vorhin behauptet, er wäre auf Ihren Befehl in Godric’s Hollow gewesen!“, entgegnete Hermine. „Wieso sollte das so sein, wenn er nichts von Voldemorts Vorhaben gewusst hat?“
„Ich habe gesagt, Severus ist mehr oder weniger auf meinen Befehl hin dort gewesen. Womit ich ausdrücken wollte, dass er zwar immer zugunsten unserer Seite gehandelt hat – dass er in dieser speziellen Nacht aber nicht dort gewesen ist, weil ich ihn darum gebeten habe, nicht, weil er Lily und James vor Voldemort warnen wollte. In dieser Nacht, wie in anderen auch, hat Severus deine Eltern aus freien Stücken besucht, Harry.“
Alles verkrampfte sich in Harry. Ob Dumbledore das absichtlich gesagt hatte, um ihn zu diesem anderen Thema, das ihn vorhin schon so sehr beschäftigt hatte, zu lenken? Um ihn von seiner Wut abzubringen, weiteren Fragen auszuweichen? Denn wieder wurden Harry all Folgen von dem klar, was er im Denkarium gesehen hatte, und wieder war er sprachlos …
Er schüttelte das ab, als ihm eine dringende Frage in den Sinn kam.
„Und wieso hatte Snape dann so klare Anweisungen für Frank?“
„Weil wir einen Notfallplan festgelegt haben, sollte etwas in unserem eigentlichen Plan schiefgehen. Ich habe Severus gesagt, dass Voldemort möglicherweise einen Gegenstand mitbringen würde – diesen solle er Frank mitgeben, ich würde ihn später von ihm holen.“
Harrys Augen weiteten sich. „Sie wussten schon damals von den Horkruxen? Sie wussten, dass Voldemort mit meinem Tod einen Horkrux erschaffen wollte? Sie haben doch gesagt, die Idee wäre Ihnen erst gekommen, als Sie von dem Tagebuch erfahren haben!“
„Da bin ich mir relativ sicher geworden.“ Dumbledore atmete tief durch. „Aber geahnt habe ich es schon viel, viel früher. Lord Voldemort ist nicht der erste Magier, der seine Seele gespalten hat, mit dem ich zu tun gehabt habe.“
Harry wollte fragen, was er meinte – aber dann verstand er von allein.
„Grindelwald?“
Dumbledore nickte. „Grindelwald, der meine Eltern auf dem Gewissen hatte, hatte selbst einen Horkrux erschaffen. Als ich das erfahren habe, bin ich losgezogen, um den Horkrux und dann Grindelwald selbst zu vernichten. Als Voldemort an die Macht kam, hat er mich so sehr an Grindelwald erinnert … Ich hielt es für gut möglich, dass er auf ähnliche Weise mit der schwarzen Magie experimentiert hat.“
Das leuchtete ein; Harry verstand sogar, warum Dumbledore nicht schon letztes Jahr mit ihm darüber gesprochen hatte. Sicher war es Dumbledore unangenehm, über seine eigene Geschichte zu sprechen … Wie Dumbledore wohl Grindelwalds Horkrux gefunden und zerstört hatte? Wie die finale Konfrontation der beiden wohl ausgesehen hatte?
„Aber woher wussten Sie immer so genau, dass Snape auf ihrer Seite steht?“, fragte Hermine, und Harry vergaß sofort alles über Grindelwald und Horkruxe – die Antwort auf diese Frage wollte er unbedingt endlich haben. Vielleicht wegen Snapes Geheimnis, das Harry im Denkarium gelernt hatte? …
„Es gibt mehrere Gründe dafür. Einen –“ (er sah zu Harry) „– kennst du bereits. Du hast ihn eben herausgefunden. Du wirst nachher Zeit haben, Miss Granger einzuweihen. Und ein zweiter, den ihr vielleicht verstehen könnt … ist der.“
Harry sah erstaunt zu, als Dumbledore seine Hände hob, die Augen schloss – und dann klatschte. Was würde nun passieren?
Ihm entfuhr ein Aufschrei, als vor ihm in der Luft plötzlich ein gleißend helles, rotes Licht erschien. Er richtete reflexartig seinen Zauberstab darauf, bereit, jeden Angriff eines Todessers abzuwehren – aber dann verstand er, dass das Licht kein Fluch war. Verblüfft sah er zu, wie das rote Licht – Feuer, es war Feuer – eine ihm nur allzu bekannte Form annahm – und wie schließlich Fawkes der Phönix vor ihm schwebte, seine Flügel weit ausgestreckt, und einen wunderschönen Ruf ausstieß.
„Ihr Phönix ist der Grund, warum Sie Snape vertraut haben?“, fragte Hermine verwirrt, ohne lange über Fawkes zu staunen. „Wie ist das möglich?“
„Erinnere dich, was ich dir über Fawkes gesagt habe, Harry!“ Es war schwer für Harry, sich von dem wunderschönen Vogel, der ihn mit seinen klugen Augen anfunkelte, loszureißen; aber er sah wieder hoch in Dumbledores Gesicht, das von Fawkes‘ Gefieder erhellt zu werden schien. „Erinnere dich, was ich zu dir gesagt habe, nachdem Fawkes dir in der Kammer des Schreckens erschienen ist! Dass er dir nicht erschienen wäre, wenn du mir –“
„– wenn ich Ihnen nicht wahre Treue bewiesen hätte …“ Harry begann erneut zu zittern, als er es realisierte. Es war so einfach, so logisch …
„Alle Zweifel, die ich zu Severus‘ Loyalität gehegt habe, waren wie weggefegt“, sagte Dumbledore, „als Fawkes sich eines Tages auf seine Schulter gesetzt und mich mit diesem Blick bedacht hat, den er nun auf dich richtet. Dass Fawkes Severus mag, das war der endgültige Beweis, dass er mir treu sein wollte, dass er auf meiner Seite steht – mehr noch als viele andere Ordensmitglieder. Dass er das Potential hat, mein wichtigster Helfer zu werden. Das ist der Grund, warum ich ihn in so vieles eingeweiht habe.“
Harry fand es bemerkenswert, wie Dumbledore versuchte, Frage nach Frage zu beantworten, sich zu rechtfertigen für alles, was er getan hatte. Die ganze Snape-Geschichte und auch Fawkes, der sich nun auf seine Stange gesetzt hatte, war plötzlich merkwürdig uninteressant vor Harry, denn durch alles, was Dumbledore bis jetzt gesagt hatte, war eines stark hervorgestochen: And dem Tod seiner Eltern war Dumbledore mindestens genauso schuldig wie Snape …
„Wusste Snape von den Horkruxen?“, fragte Hermine, scheinbar desinteressiert an Dumbledores Verbrechen und Lügen, nachdem sie ihm vorhin sogar angewidert begegnet war. „Haben Sie ihn in diese Sache auch eingeweiht?“
„Nein“, antwortete Dumbledore. „Dass Voldemort Horkruxe benutzt – das hat Severus ganz allein erkannt.“
„Er hat –“, begann Harry, aber Dumbledore fuhr ihm übers Wort.
„Vor zwanzig Jahren, als Severus Hogwarts verlassen hat, hat er sich auf schnellstem Wege Lord Voldemort angeschlossen. Schon zuvor ist er in engem Kontakt zu einigen Todessern, vermutlich sogar zu Voldemort selbst gestanden. Er hat schnell gelernt, seinen Lord zu hassen.“
„Warum hat er –“
„Lass mich bitte zu Ende erzählen, Harry. Severus hat sich also früh wieder gegen den Weg entschieden, den er eingeschlagen hat. Durch sein großes Wissen über schwarze Magie und seine enge Verbindung zu Voldemort ist er schnell auf die Idee gekommen, dass Voldemort möglicherweise einen Horkrux besitzt, um sich die Unsterblichkeit zu sichern, von der er so oft spricht. Zudem hat Voldemort schon einmal zu Severus über eines seiner wertvollsten Besitztümer gesprochen – das Medaillon, das er für Salazar Slytherins hielt. Severus ist gebeten worden, Horace Slughorn ein wenig bei dem Gift zu helfen, welches das Medaillon beschützen sollte – und so hat Severus, dem Lord Voldemort zutiefst vertraut hat, auch von der Höhle erfahren.
Zwei Jahre nach Severus hat einer der Schulkollegen, die er vielleicht einmal als Freund bezeichnet hat, Hogwarts verlassen. Das war Sirius’ Bruder, Regulus Black. Auch er ist schnell ein Anhänger Lord Voldemorts geworden – auch er hat sich nach einiger Zeit gegen ihn gewandt. Severus hat Regulus gut gekannt: Als ein Black, der ganz nach seinen Eltern kommt, ist er der festen Überzeugung gewesen, der reinste Zauberer überhaupt zu sein. Zudem hat die Familie Black seit langem Anspruch auf einen Gegenstand erhoben, der ihnen eigentlich nicht gehört.
Salazar Slytherins Medaillon. Die Blacks sind sich sicher gewesen, dass Slytherin sein wichtigstes Relikt der Familie vererben wollte, die am reinsten ist – und sie hielten sich für diese Familie.
Severus hat Regulus erzählt, dass Voldemort dieses Medaillon besitzt, wo er es versteckt hält. Und Regulus hat sich mit seinem Hauself Kreacher aufgemacht, um es aus der Höhle zu holen und es dann, wie als Gegenleistung für die Informationen, wie man an das Medaillon herankommen konnte, abgemacht worden ist, zu Severus zu bringen. So hat der Plan ausgesehen – aber Regulus hat das Medaillon nie zu Snape gebracht. Er hat es zuhause stolz präsentiert – aber seine Eltern sind alles andere als begeistert gewesen. Sie wollten das Medaillon nicht gestohlen haben, schon gar nicht aus den Fängen des Dunklen Lords! Sie wollten es besitzen, weil sie es verdienen! Regulus hat das Medaillon versteckt – leider wussten wir bis vor kurzem nicht, wo.
Aber Regulus hat schon am nächsten Tag erkannt, dass das nicht das echte Medaillon sein kann. Slytherins Medaillon ist silbern, das weiß die Black-Familie. Und nach Jahren, die er auf dem Schwarzmarkt gesucht hat, hat er zufällig kurz nach dem Finden des Horkruxes das richtige Medaillon Slytherins erwerben können. Dieses haben seine Eltern akzeptiert und es stolz in eine ihrer Vitrinen gestellt – wo der Hauself es später entdeckt hat. Mundungus Fletcher hat es ihm gestohlen, mein Bruder Aberforth hat es ihm abgekauft.
Nur etwa achtundvierzig Stunden, nachdem Regulus den Horkrux gefunden hat, ist er von Lord Voldemort aufgespürt worden. Bevor dieser ihn dazu bringen konnte, ihm das Versteck des Medaillons zu verraten – hat er sich selbst umgebracht, um genau das zu verhindern: Dass Voldemort wieder an das Medaillon herankommt.“
Es verging mindestens eine Minute, während Harry versuchte, diese Geschichte zu verstehen. Nachzuvollziehen und zu bedenken, was Dumbledore eben erzählt hatte. Zu erkennen, was Dumbledore damit bezweckte, ihm nun all das zu offenbaren, was er eigentlich – wie lange schon gewusst hatte? Wie lange waren Dumbledore all diese Details schon bekannt gewesen? Wenn Snape tatsächlich von der Höhle gewusst hatte …
„Wieso sind Sie mit mir in die Höhle gegangen?“
„Wie bitte?“
„Wieso sind wir in die Höhle gegangen?“, fragte Harry lauter. „Wenn Snape Regulus in die Höhle geschickt hat, um den Horkrux zu holen – wenn er wusste, dass das richtige Medaillon nicht mehr dort ist – warum wussten Sie es dann nicht?“
Dumbledore seufzte; als würde er sich auf etwas Schwieriges vorbereiten, das er gleich beichten müsste … „Ich wusste es.“
Harry hatte sich offensichtlich verhört. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
„Was haben Sie gesagt?“
„Ich wusste es.“ Dumbledore sah hoch und in Harrys Augen. „Severus hat mir alles erzählt. Ich weiß schon seit Jahren von der Höhle, weiß, dass Voldemort dort zwar einst einen Horkrux versteckt hat, dass Regulus Black ihn aber entwendet, Voldemort dahinter gekommen und eine Falle in der Höhle platziert hat für alle, die ihm später noch auf die Schliche kommen: Er hat das falsche Medaillon liegen lassen und neues Gift darüber gegossen. Als ich mit dir in die Höhle aufgebrochen bin, habe ich gewusst, was uns erwarten würde.“
Jetzt hatte Dumbledore den Verstand verloren. Ganz sicher. Nein – schon viel früher, vor einem Jahr, bevor er mit Harry zu der Höhle gegangen ist. Da hatte er den Verstand verloren.
„Warum hätten Sie das tun sollen?“, stieß Hermine fassungslos aus.
„Vor einem Jahr“, sagte Dumbledore, „wusste ich, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, Harry in der Praxis zu zeigen, wie die Horkrux-Suche aussehen würde. Sicher nicht genug Zeit, einen Horkrux zu finden, wenn ich bisher schon so erfolglos gewesen bin. Also habe ich beschlossen, Voldemorts Falle zu nutzen: Harry sollte hautnah erleben, was es hieß, sich durch die Schutzmechanismen zu kämpfen, die Voldemort für seine Horkruxe erzaubert hat.“
„SIE WÄREN BEINAHE GESTORBEN!“, platzte es aus Harry heraus, bevor er selbst beschlossen hatte, wieder zu schreien. „SIE HABEN IHR LEBEN RISKIERT!“
„Und Harrys dazu!“, fügte Hermine an.
„Es war wichtig, dass Harry mit den lebensbedrohlichen Situationen der Horkrux-Suche umzugehen lernt!“ Dumbledore hob seine Arme, als würde er sie anflehen, seinen Standpunkt zu begreifen, zu teilen. „Und mein Leben war schon so gut wie vorbei!“
„Ja, weil Snape Sie getötet hat!“ Hermine schüttelte ihren Kopf. „Wie können Sie behaupten, Snape sei auf Ihrer Seite, wenn er Sie umgebracht hat!“
„Genau!“, rief Harry. „Das ergibt doch überhaupt keinen –“
In dem Moment war es endlich soweit. In dem Moment kam ihm die Erklärung für etwas, was ihn im letzten Jahr öfters verwirrt hatte … Er wusste es. Er hat es tatsächlich gewusst …
Eigentlich war Harry das schon lange klar gewesen; er hatte es nur vergessen, verdrängt oder was auch immer. Schon als Tante Petunia ihm die Briefe gegeben hatte, hatte er es erfahren. Sie hatte gesagt, Dumbledore habe ihr aufgetragen, ihm die Briefe auszuhändigen, sobald er tot war. Da war es schon offensichtlich gewesen, dass Dumbledore Bescheid gewusst hatte, dass er sterben würde … Und jetzt wusste Harry auch, wieso.
„Sie haben Snape gebeten, Sie zu töten, nicht wahr?“
Die Worte klangen so unreal, so unsinnig, wenn er sie aussprach. Aber Dumbledores Antwort war klar und deutlich.
„Ja. Severus hat mich auf meinen Befehl hin getötet.“
Die Stille, die diesen Worten folgte, war erfüllt von einer so eisigen Kälte, dass Harry sich an Dementoren erinnert fühlte. Auf seinen Befehl hin … Dumbledore hatte Snape befohlen, ihn zu töten? Nein – solcher Schwachsinn! Das war nicht Dumbledore, der da gesprochen hatte. Dieses Porträt – nur ein Bild! Eine Zeichnung, Farbe auf einer Leinwand, zum Bewegen gebracht von Magie. Aber was dieses Bild erzählte, war nichts als irgendwelches Geplapper. Snape hatte Regulus Black geholfen, den Horkrux zu stehlen, und Dumbledore auf dessen Wunsch hin umgebracht? Lachhafte Gedanken, lachhaft …
„Ich habe mit Severus meinen Tod genau geplant“, durchbrach Dumbledore das Schweigen, „nachdem ich den Ring aus dem Haus der Gaunts geholt habe.“
„Wieso hätten Sie das tun sollen?“
„Das möchte ich gerade erklären, Miss Granger. Den Ring aus dem Haus zu holen, hat mich einiges an Kraft gekostet – verschiedene Banne haben es mir beinahe unmöglich gemacht, mich allein bis zu seinem Versteck durchzukämpfen. Und als ich ihn dann endlich gefunden habe, habe ich auch versucht, ihn zu vernichten – auf eine Art und Weise, die ich niemals hätte wagen sollen. Um nicht den Todesfluch sprechen zu müssen, habe ich einen anderen Zauber benutzt, der auch das Zerstören des Gegenstandes von Hand forderte. Im Falle des Ringes war das ein großer Fehler: Voldemort muss einen Fluch über seine Horkruxe gesprochen haben, der das Zerstören von Hand zu einer nahezu tödlichen Angelegenheit macht.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Und fast all meiner Kräfte beraubt durch das Finden des Ringes … war es eine ganz und gar tödliche Angelegenheit.“
„Sie meinen – Sie waren bereits tot?“ Hermine hob ihre Augenbrauen. „Das ist unmöglich!“
„Ich war nicht wirklich tot. Aber der Fluch ist durch meinen Körper gekrochen wie eine Krankheit, versuchte, von mir Besitz zu ergreifen und mich zu töten. Dank Severus ist das nicht geschehen. Stattdessen hat er –“
„– Ihren Tod verkorkt!“ Hermine blickte von Dumbledore zu Harry. „Er hat uns erzählt, dass man das mit Zaubertränken kann, weißt du noch?“
Nein, Harry wusste es nicht mehr. Und es war ihm auch egal. Zu viel anderes ging ihm durch den Kopf. Snape war auf Dumbledores Seite … Dumbledore war in dem ganzen Jahr, in dem er Harry über Voldemorts Vergangenheit unterrichtet hatte, so gut wie tot gewesen … Dumbledore war absichtlich in eine Falle Voldemorts getappt, um ihm zu zeigen, was von der Horkrux-Suche zu erwarten war …
„Severus hat den Fluch mit einem Heiltrank und einigen Heilzaubern gehemmt“, fuhr Dumbledore fort, „und auf meine Hand beschränkt. Das war der Grund, warum diese so schwarz gewesen ist – sie war tatsächlich tot. Und uns beiden ist klar gewesen: Der Rest von mir müsse bald folgen. Länger als ein Jahr kann man in dem Zustand, in den Severus mich gebracht hat, nicht überleben. Um Draco Malfoy die Ausführung seines Auftrages zu ersparen, um Severus‘ Einfluss auf Voldemort weiterhin zu sichern und um meinen Tod weniger mysteriös zu gestalten, habe ich Severus den Auftrag gegeben, mich umzubringen. Er wollte es nicht – hat hin und wieder mit mir gestritten wegen meines Befehls – aber ihm ist immer klar gewesen, dass es sein muss, nicht zuletzt für Draco. Und dann ist der Tag gekommen, an dem Draco seinen Auftrag von Voldemort ausführen sollte. Ich habe alles ganz genau mit Severus abgesprochen, dich zur Höhle gebracht – und nach meiner Rückkehr hat Severus mich, wie abgemacht, getötet.“
Sogar Hermine schien zu erstaunt zu sein, um darauf noch etwas zu erwidern. Dumbledores letzte Worte hallten in Harrys Kopf, als würde jemand die Abspieltaste wieder und wieder drücken. Was er gesagt hatte, konnte einfach nicht stimmen … alles, was er gesagt hatte.
Aber es war wahr, und Harry wusste es. Seine Erinnerung an die Nacht, in der seine Eltern gestorben waren, hatte ihm eines mit Sicherheit gezeigt: Severus Snape stand auf der guten Seite. Selbst wenn seine Bemühungen, Harry zu heilen, nicht als Beweis ausreichten, selbst wenn Dumbledores Geschichte bloß ein Märchen war, das das Abbild eines exzentrischen alten Mannes auf einem Porträt erfunden hatte – was Harry Snape hatte tun sehen, kurz, bevor er das Haus der Potters verlassen hatte, nahm ihm jeden Zweifel.
Dumbledore hatte offenbar noch nicht alles gesagt, was er ihnen mitzuteilen hatte. Er räusperte sich, Harry sah hoch – aber in dem Porträt an der Wand war sein Bildnis nicht mehr. Er drehte sich zu Hermine um; sie hielt wieder die Schokofroschkarte, von der aus Dumbledore die beiden anlächelte, ihr Gesicht in Konzentration verkrampft, als würde sie immer noch über das nachdenken müssen, was sie erfahren hatte.
„Jetzt haben wir es wirklich eilig“, sagte Dumbledore. „Harry, bitte verkleinere die Totenrelikte wieder und steck sie in deine Tasche. Severus wird in Kürze das Schloss betreten.“
Hermine erschrak so sehr, dass sie beinahe die Karte fallen ließ. „Snape kommt hier her?“
„Er muss. Er hat mir früher am heutigen Tag berichtet, dass er vermutlich das Versteck eines Horkruxes herausgefunden hat.“
„Das haben wir auch! Stimmt’s, Harry? In Gringotts, dort ist der Helm!“
„Tatsächlich? Nun, es ist möglich, dass der Helm der Horkrux ist, den auch Severus entdeckt hat. In jedem Fall müssen wir uns mit ihm treffen – er rechnet mit uns, und wenn er auftaucht, bevor wir allen im Schloss Bescheid sagen, wie es wirklich um ihn steht – dann ist Severus einmal auf meiner Seite gestanden, wenn der Orden des Phönix mit ihm fertig ist.“
Harry fragte sich, ob Dumbledore einen Scherz gemacht hatte.
„Er wird den Eingang benutzen, durch den die anderen Todesser ebenfalls hereingekommen sind. Ich weiß noch nicht, wo das ist, aber wenn ich Professor McGonagall richtig verstanden habe, hat Peter Pettigrew es uns bereits verraten. Los, wir haben nicht viel Zeit!“
Harry und Hermine erhoben sich.
„Fawkes“, sagte Dumbledore, „du kehrst wohl besser zurück in dein neues Nest.“
Der Phönix stieß einen weiteren, klingenden Ruf aus, dann ging er in Flammen auf und verschwand.
„Und wir müssen uns beeilen.“

Severus Snape gelangte früher an sein Ziel, als er erwartet hatte. Der Dunkle Lord hatte ihn auch äußerst schnell entlassen – das hatte ihn etwas aus dem Konzept gebracht, aber nur für einen kurzen Moment. Dann war er sofort aufgebrochen. Die Zeit drängte.
Die Hütte, die er nun betrat, war sogar noch baufälliger als das Haus der Riddles es gewesen war, als er es zum ersten Mal betreten hatte. Er hatte nie verstanden, warum der Dunkle Lord sein Hauptquartier nicht gleich hier eingerichtet hatte, anstatt drüben in der alten Wohnung seines Vaters – war das hier doch das Haus seiner Mutter, deren Blut ihn zum Nachfahren Salazar Slytherins machte! Aber als der Dunkle Lord ihnen an diesem Abend verraten hatte, wo sich der geheime Eingang zu Hogwarts befand, von dem er ihnen so lange erzählt hatte, war es ihm sofort klar geworden. Der Dunkle Lord hätte nicht gewollt, dass seine Todesser hier ein- und ausgingen, wenn er Meilen unterhalb dieses Hauses in einem Geheimgang den Weg nach Hogwarts freizumachen versuchte.
„Schutzzauber haben den Durchgang versperrt“, hatte der Lord ihnen erklärt, „Schutzzauber, deren Durchdringen meine ganze Macht erforderten. Wenigstens waren es Zauber ganz in der Manier meines ehrenwerten Vorfahren – große grüne Wände, die sich bewegt haben, als bestünden sie aus Schlangen.“
Severus war äußerst überrascht gewesen, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen Hogwarts und diesem Haus hier, das einmal Salazar Slytherin selbst gehört hatte, gab. Es war nur ein Gerücht gewesen – ein Gerücht, genauso wie die Kammer des Schreckens. Legenden, die mit Slytherin zu tun hatten, schienen sich alle zu bewahrheiten.
Severus lief durch das ganze Haus, bis er die Wand erreichte, die der Dunkle Lord beschrieben hatte: Der Umriss einer großen Schlange war darauf zu sehen, als hätte er sich in das Holz gefressen. Severus zog seinen Zauberstab, berührte den Kopf der Schlange – und ein großes Stück in der Wand verschwand einfach, machte die Sicht auf einen Korridor frei, der von der Dunkelheit verschlungen war. Severus ließ die Spitze seines Zauberstabs sanft kreisen; sofort entzündeten sich Fackeln, die an beiden Seiten des Korridors an der Wand hingen, und offenbarten, wohin der Gang führte: Zu einer Treppe, die unendlich weit in die Tiefe zu führen schien. Aber Severus wusste, dass die Stufen ein Ende nehmen würden. Er versuchte, hinunter zu apparieren – es überrascht ihn nicht, dass es nicht funktionierte. Also nahm er die Stufen im Laufschritt, bewusst, wie sehr die Zeit drängte. Wenn er nicht bald in Hogwarts ankommen würde – nur noch eine Stunde, dann würde das Herz, das der Dunkle Lord dem Trank beigefügt hatte, seine endgültige Wirkung zeigen …
Er erreichte die letzte Stufe, öffnete die Tür, und fand sich in einem weiteren finsteren Gang wieder – oder war es ein Raum? Eine weitere Bewegung seines Zauberstabs entflammte auch hier die Fackeln an den Wänden – er hob die Augenbrauen angesichts seiner Umgebung.
Er war sich immer noch nicht sicher, ob es ein Korridor oder doch eine Halle war. Er schien auf einem Gang zu stehen, über dem sich ein Torbogen aus Marmor nach dem anderen spannte, der aber abrupt zu enden schien. Dahinter – in tieferer Lage – sah Severus einen Raum mit gewölbter Decke.
Und durch das offene Tor am anderen Ende dieses Raumes, da war er sich sicher, gelangte man nach Hogwarts.
Er machte hastige und große Schritte unter den Marmorbögen hindurch, sein langer Umhang schlug um seine Knöchel. Es war derselbe Umhang wie jener, den er damals getragen hatte …
Als er die großen Stufen, die in den Raum mit dem gewölbten Dach hinunterführten, hinabstieg, fiel ihm etwas auf, das er zuvor nicht bemerkt hatte: Schlangenförmige Statuen wanden sich bis an die Decke hoch, verschmolzen farblich mit der Wand hinter ihnen. Und zwischen ihnen hingen Porträts – Porträts, die sogar ihm unheimlich waren, trotz allem, was er schon gesehen und erlebt hatte als der Liebling des Dunklen Lords. Obwohl es außer Frage stand, dass es sich um magische Porträts handelte, bewegten sich die abgebildeten Personen kaum. Nur eines verriet ohne Zweifel, dass sie sich bewegen könnten, wenn sie wollten: Ihre Augen strahlten allesamt mit einer so abschreckenden Macht, dass sie lebendiger wirkten als so manche Augen von echten Menschen. Severus wusste nicht, welche Zauberei dieses Leuchten hervorrief. Er wollte es gar nicht wissen, wollte nur fort von den Porträts, die Augen zurücklassen, die ihn anstarrten, als wüssten sie ganz genau, was er dachte und fühlte.
Da hatte er die Chance, die Vorfahren des Dunklen Lords, vermutlich sogar Slytherin selbst zu sehen, und verzichtete so ohne Weiteres darauf; das entsprach ihm eigentlich überhaupt nicht.
Aber anstatt weiter darüber nachzudenken, passierte Severus das Tor, das aus der Halle führte, lief durch einen schmalen, rabenschwarzen Korridor. Dann erschien in nicht allzu weiter Ferne ein Licht – eher ein merkwürdiges, grünes Schimmern. Es wurde größer und größer – es war eine Öffnung, durch die das Licht drang. Schließlich erreichte er sie.
Und blickte hinunter auf – wie er ganz genau wusste – die Kammer des Schreckens.

Harry folgte Hermine nur langsam. Er war immer noch tief in Gedanken, war sich immer noch nicht ganz im Klaren über alles, was er in den letzten Minuten – waren es wirklich nur Minuten gewesen? – erfahren hatte. Was er im Denkarium gesehen hatte … und vielleicht auch, was er nicht gesehen hatte. Ob es ein Fehler gewesen war, anfangs Frank Longbottom zu folgen, anstatt den Mord an seiner Mutter zu beobachten?
Nein, schoss es ihm sofort durch den Kopf. Das war nicht notwendig …
Am Rande seines Geistes bemerkte Harry, dass sie die Eingangshalle erreicht hatten, dass sie voller Personen war. Jemand löste sich von der Menge und kam direkt auf sie zu. Er sah hoch – es war McGonagall.
„Da seid ihr ja!“, rief sie. „Ich muss euch dringend sprechen –“
„Miss Granger und Harry haben Ihnen vorher etwas Wichtiges zu berichten, Minerva“, sagte Dumbledore, und McGonagall erschrak, als sie seine Stimme hörte. Hermine hob die Schokofroschkarte auf McGonagalls Augenhöhe. „Bitte hören Sie sie bis zum Schluss an – und glauben Sie ihnen, es ist die Wahrheit. Vorher möchte ich Sie aber fragen: War Neville schon bei Ihnen?“
McGonagall nickte. „Der Kröte geht es gut. Sie ist sofort eingeschlafen, als ich den Zauber vollzogen habe. Augusta ist übrigens vor kurzem aufgetaucht – sie und Neville unterhalten sich in meinem Büro.“
Dann stand Harry schweigend daneben, während Hermine McGonagall erzählte, auf wessen Seite Snape wirklich stand. Sie keuchte an mehreren Stellen laut auf, machte Anstalten, Hermine zu unterbrechen, aber jedesmal schien sie sich rechtzeitig an Dumbledores Bitte zu erinnern und blieb still. Als Hermine zu Ende gesprochen hatte (komplizierte Einzelheiten wie den geplanten Mord und alles, was Horkruxe betraf, ließ sie aus), ergriff Dumbledore wieder das Wort.
„Severus wird jeden Augenblick hier auftauchen. Ich muss Sie bitten, die Halle zu räumen und mit dem Orden, allen Schülern und Ministeriumsangestellten, die noch hier sind, in einen anderen Teil des Schlosses zu wechseln –“
„Das wird nicht nötig sein“, sagte McGonagall. „Wir verlassen Hogwarts. Der Krieg wird in Askaban fortgesetzt.“
„Askaban?“, rief Hermine überrascht. „Wieso dort?“
„Peter Pettigrew hat uns verraten, dass sich dort das neue Hauptquartier von Lord Voldemort befindet.“ McGonagall rümpfte ihre Nase. „Er hat es irgendwie geschafft, seit heute Vormittag die Festung zu besetzen, ohne dass dem Ministerium etwas aufgefallen ist. In dieser Zeit hat er einen magischen Schutzwall um das Gefängnis errichtet – wir sind noch damit beschäftigt, ihn niederzureißen, aber da er sich langsam aufzulösen scheint, wollen wir nun anrücken. Hagrid bleibt hier und bewacht das Schloss, bis Neville und Augusta ihr Gespräch beendet haben, dann bringt er die beiden nach Hause und kommt nach. Ihr Freund –“, sagte sie an Harry und Hermine gewandt, „– Ron Weasley wird ebenfalls mit uns kommen.“
„Ron?“ Hermine sah sich um. „Ist er – ja, dort – Harry, nimmst du bitte –“
Sie drückte Harry Dumbledores Karte in die Hand, dann lief sie los. Ron stand an dem Tor zur großen Halle, sah Harry – und er trug jetzt schon eine grimmige Miene. Wie er wohl aussehen würde, wenn Hermine ihm von ihrer Spionage für Dumbledore gebeichtet hatte …
„Peter Pettigrew“, sagte McGonagall, und Harry wandte sich wieder ihr zu, „hat uns übrigens auch verraten, dass Tonks noch lebt. Vor zwei Jahren haben Todesser sie entführt, weil Voldemort sie unter den Ordensmitgliedern für ein leichtes Ziel hält – Pettigrew hat sich dann mithilfe des Metamorph-Medaillons in Tonks verwandelt, um im Orden zu spionieren.“
Vor zwei Jahren schon? Harry war ein bisschen überrascht (er war immer noch zu gedankenverloren, um richtig überrascht zu sein), dass Tonks auch letztes Jahr nicht sie selbst gewesen war. Er hatte bemerkt, dass sie sich verändert hatte – aber war das nicht wegen ihrer Liebe zu Lupin gewesen? … Und –
„Haben Tonks und Lupin sich nicht wie ein richtiges Paar verhalten bei Dumbledores Begräbnis?“, fragte Harry sofort, als ihm dieser merkwürdige Gedanke durch den Kopf schoss.
„Von Zeit zu Zeit, wenn Pettigrew anderen Aufgaben nachzugehen hatte, hat Voldemort das Gedächtnis der echten Tonks verändert und sie freigelassen. Sie sitzt nun in einer Zelle in Askaban, hat Pettigrew uns verraten – zusammen mit … mit Fred Weasley.“
Harry erstarrte. „Weiß Ron das schon?“
Sie schüttelte ihren Kopf. „Niemand konnte sich dazu durchringen, es ihm zu –“
„Die Zeit drängt!“, ertönte Dumbledores Stimme.
„Ja, natürlich – wir müssen ohnehin los. Das Ministerium hat uns zwei Portschlüssel zur Verfügung gestellt. Es war so dumm von uns, die Schüler nicht gleich mithilfe eines Portschlüssels aus der Schule zu bringen … Aber es hätte bedeutet, die Schutzzauber um Hogwarts aufzuheben, und ich wusste einfach nicht, ob das das Richtige ist … Hätten wir es nur getan – es wäre nie soweit gekommen, dass …“
Sie brach ab, warf einen kurzen Blick auf Harry und wandte sich dann ab.
„Warten Sie, Minerva!“, rief Dumbledore ihr hinterher. „Pettigrew hat Ihnen auch verraten, wie die Todesser nach Hogwarts gelangen konnten?“
„Ja – durch die Kammer des Schreckens. Offenbar gibt es dort einen Geheimgang, der zu einem Ort führt, der für Voldemort zugänglich war.“
An einem anderen Tag wäre Harry vermutlich sehr verwundert über diese Information gewesen – aber irgendwie ließ sie ihn völlig kalt. Er schaute zu, wie McGonagall zu Moody hinüberging, der sie offensichtlich die ganze Zeit beobachtet hatte. Nach einem kurzen Wortwechsel der beiden rief sie in die Halle hinein:
„Jeder, der mit nach Askaban möchte, folgt Alastor Moody auf die Ländereien. Wer nach Hause will, kommt mit mir in die große Halle.“
Harry sah zu, während die Anwesenden in der Eingangshalle sich aufteilten: Die meisten verließen sie zusammen mit Moody durch das Eichenportal, aber einige wenige gingen mit McGonagall. Harry versuchte nicht einmal, Ron und Hermine aufzuhalten, als sie mit den anderen auf die Ländereien strömte. Hermine redete mit verzweifelter Miene auf Ron ein, aber der schien sie zu ignorieren.
„Möchtest du nicht, dass deine Freunde dich begleiten, wenn ihr den Horkrux holt?“, fragte Dumbledore.
Harry wartete, bis die beiden in der Nacht verschwunden waren, bevor er antwortete. „Sie haben eigene Probleme.“
„Und wir werden bald sehr große Probleme haben, wenn Severus nicht auftaucht. In Anbetracht der Tatsache, dass Severus durch die Kammer des Schreckens kommen wird, dürfen wir ihn wohl im zweiten Stock – oh. Vielleicht irre ich mich auch.“
Harry verstand zuerst nicht, was Dumbledore meinte. Dann hob er seinen Blick –
Und dort war er.
Harry wusste, dass er eines Tages wieder auf ihn treffen würde. Er hätte ihn sogar gesucht. Aber nur, um sich für Dumbledore rächen zu können, um ihn zu bestrafen. Nie hätte er erwartet, ihn wiederzusehen – und dann zu wissen, dass sie auf derselben Seite standen. Dieses Wissen machte die Sache nicht gerade einfacher. Im Gegenteil. Egal, auf wessen Befehl dieser Mann, der dort auf dem Treppenabsatz hinter dem Eichenportal stand, hörte – selbst wenn er Dumbledores treuester Untergebener sein mochte, wie Dumbledore ihn hingestellt hatte – Harry würde ihn immer hassen.
Und Severus Snape hasste ihn ebenso sehr.
Ein scheußliches, unbehagliches Gefühl in Harry brachte ihn dazu, sich nicht zu bewegen. Er vermutete, dass Snape etwas Ähnliches fühlte. Jeder stand an einem Ende der Eingangshalle, blickte durch den gesamten Raum hindurch zum anderen. Aber Harry wagte es nicht, Snape direkt in die Augen zu sehen. Etwas hinderte ihn daran.
Und als Snape dann endlich den ersten Schritt zu wagen schien – blitzte ein rotes Licht neben ihm auf. Mit unglaublicher Geschwindigkeit zog er seinen Zauberstab und wehrte den Fluch ab, den ihm jemand auf den Hals hatte jagen wollen. Harry lief los – er musste einschreiten, bevor derjenige, der Snape angriff, einen schweren Fehler beging … oder bevor Snape seine Beherrschung verlor.
„MÖRDER!“, hörte Harry jemanden schreien, als er dem Tor langsam näher kam. Es war Ginny. „SIE DRECKIGER MÖRDER!“
„Nein – nein, Ginny!“ Er erreichte das Tor, stellte sich vor Snape und blickte der näherkommenden Ginny entgegen; sie blieb stehen, als sie ihn erkannte, starrte ihn verständnislos an. „Er ist kein Mörder! Er – er ist auf unserer Seite.“
Er hatte gehofft, dass es einfacher wäre, das auszusprechen. Aber obwohl er wusste, dass er Recht hatte, hatte er ein seltsames Gefühl dabei, mit dem Rücken zu Snape direkt vor ihm zu stehen …
„Wovon redest du?“, rief Ginny, ihr Blick fassungslos und entsetzt, als sei er verrückt geworden. „Er hat Dumbledore getötet!“
Harry schluckte. „Es ist sehr kompliziert, aber – aber bitte glaub es einfach. Er ist gut.“
Ginny ließ ihren Zauberstab sinken; wenn auch vielleicht nicht, weil er sie überzeugt hatte, sondern vielmehr, weil sie wohl dachte, den Verstand verloren zu haben. Und weil sie dachte, dass er den Verstand verloren hatte. Egal. Es war nun Zeit, mit Snape zu sprechen.
Und doch wollte er sich nicht umdrehen. Harry hatte eine schreckliche Befürchtung. Wenn er vor Snape stand, ihm in die Augen sah – würde er dann alles vergessen, was er nun über ihn wusste? Würde er ihn plötzlich wieder für einen kaltblütigen Mörder, für Voldemorts größten Anhänger halten?
„Ihre Argumentation ist wie immer wasserdicht und überzeugend, Mr Potter.“ Die kalte, klare Stimme schnitt durch die Luft wie ein Messer. „Um genau zu sein, könnte ich es Ihrer kleinen Freundin keineswegs verübeln, wenn Sie mich nun trotzdem weiterhin mit Flüchen attackiert – und Sie gleich mit dazu.“
Snape war eindeutig bereit dazu, mit Harry zu sprechen: Wie eine Fledermaus glitt er plötzlich aus der Dunkelheit in sein Sichtfeld. Er war nicht viel größer als Harry, ihre Augen waren fast auf der gleichen Höhe – und nun schaffte er es, diesem Blick standzuhalten. Snapes kühle schwarze Augen schienen sich regelrecht in seine zu bohren.
„Severus, reißen Sie sich zusammen“, sagte Dumbledore. „Wir stehen alle auf derselben Seite. Und wir dürfen keine Zeit verlieren. Haben Sie ihn dabei?“
Snape hob eine Augenbraue. „Wenn Sie dachten, ich würde ihn nicht mitbringen, dann halten Sie mich wohl immer noch für dumm und unfähig.“
„Das habe ich niemals getan, Severus. Und nun werden Sie bitte ernster. Wo ist er?“
Snape griff in seine Umhangtasche. Für einen Moment befürchtete Harry, er würde eine Waffe herausziehen, ihn angreifen – aber der Gegenstand, den er aus seiner Tasche holte, war keine Waffe. Sondern etwas, mit dem Harry hier und jetzt absolut nicht gerechnet hatte. Verflucht, er hätte gar nicht mehr erwartet, dieses Objekt noch zu finden!
Helga Hufflepuffs Becher glänzte golden in Snapes langen Fingern.
„Wo haben Sie den her?“, hauchte Harry; er konnte nicht lauter sprechen.
„Ich habe ihn vor einiger Zeit Borgin abgekauft. Sie haben die anderen drei Relikte, wenn ich alles richtig verstanden habe?“
Immer noch auf den Becher starrend, griff Harry in seine eigene Tasche, zog die drei verkleinerten Gegenstände heraus, legte sie auf den Boden vor sich und vergrößerte sie.
Gryffindors Schwert, Ravenclaws Zepter und Slytherins Medaillon lagen nebeneinander auf dem Treppenabsatz vor dem Eingang zum Schloss.
„Severus“, sagte Dumbledore, die Erregung in seiner Stimme deutlich zu hören, „geben Sie den Gral hinzu!“
Auch in Harry stieg die Aufregung, während sich Snape bückte, den Becher neben die anderen Objekte stellte. Was würde passieren? Welche Magie würden die vier Totenrelikte der Gründer freilassen, sobald sie vereint waren? Für einige Sekunden standen Snape und Harry da, warteten –
Aber nichts geschah.
„Ich bin begeistert“, raunte Snape.
So schnell wollte Harry nicht aufgeben. „Gibt – gibt es vielleicht einen Zauber, den wir sprechen müssen?“
Harry blickte auf die Schokofroschkarte, als Dumbledore eine Zeit lang nicht antwortete. Er glaubte zu ahnen, was nun kommen würde. Dumbledore hielt seine Augen geschlossen, trug ein schwaches, tristes Lächeln, und schüttelte sanft seinen Kopf.
„Kein Zauber ist überliefert, Harry.“ Er seufzte, öffnete seine Augen. „Genau das habe ich befürchtet. Genau das – dass die Totenrelikte der Gründer doch nur Totenrelikte sind, und sonst nichts. Vielleicht nicht einmal das – vielleicht sind es nur vier wertvolle Erbstücke. Aber es ist offensichtlich, dass es keine vereinten Kräfte gibt, die den Drachen von Hogwarts zähmen. Außer …“
Dumbledore verfiel wieder in Schweigen. „Außer was?“, drängte Harry. „Außer was?“
„Außer, diese Zähmung ist einfach nicht mehr notwendig!“ Dumbledores Lächeln wurde breiter, verlor seine Traurigkeit. „Heute Nacht, als Hogwarts einem Angriff standhalten musste, haben die Häuser gemeinsam gekämpft. Ich glaube, nur deswegen konnten solche Dinge wie der Schutzmechanismus des Geländetors überhaupt einsetzen, Harry! Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherin kämpften Seite an Seite – sogar zusammen mit dem Ministerium und dem Orden, und den Hauselfen von Hogwarts! Eine Einheit hat heute Nacht agiert und die Todesser aus Hogwarts vertrieben. Das, was die Vereinigung der Relikte erreichen sollte, ist schon längst geschehen.“
Harry betrachtete die Karte noch einige weitere Augenblicke lang. Sah Dumbledore an, der erwartungsvoll zurückblickte, und fragte sich, ob Dumbledore ernst gemeint hatte, was er gesagt hatte. Ob er wirklich meinte, dass das die einzige Funktion der Relikte sein konnte. Und ob Harry wirklich deshalb nach den Totenrelikten gesucht hatte, ob er wirklich deswegen so stolz darauf gewesen war, das Zepter zu finden, weil diese Objekte den Häusern dabei helfen konnte, sich zu vereinigen – wenn dies ohnehin schon längst geschehen war?
Aber ein anderer Teil in ihm wusste, dass es nicht nur so war – sondern dass das auch gut war. Etwas in ihm – und es hatte, wieder einmal, Hermines Stimme, und schien eine Reife zu besitzen, die er von sich nicht kannte – sagte ihm, dass es wichtig gewesen war, dass Gryffindor, Ravenclaw, Hufflepuff und Slytherin, der Orden und das Ministerium, Zauberer und Zauberwesen zusammen gearbeitet hatten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Und diese Stimme wusste auch, dass das Zusammentragen der Totenrelikte – hätte es denn wirklich bei der Zusammenarbeit helfen können – ein nobles Ziel gewesen war, dass es richtig gewesen war, sich um das Finden der Relikte zu bemühen.
Diese Stimme schien lauter zu sein als früher.
„So faszinierend dieses Thema auch sein mag“, sagte Snape, seine Lippen kräuselnd, „schlage ich doch vor, dass wir uns nun um dringendere Aufgaben kümmern.“
Er machte eine flotte Bewegung mit dem Zauberstab; eine große Truhe erschien aus dem Nichts, öffnete sich, und die vier Totenrelikte schwebten hinein. Die Truhe verschloss sich mit einem lauten Klicken selbst, dann verschwand sie.
„Sie sind nun in Ihrem Büro. Ist das in Ordnung?“
„Es ist zwar nicht mehr mein Büro“, antwortete Dumbledore, „aber ja, dort sind sie gut aufgehoben. Nun – Sie sagten, Sie kennen den Aufenthaltsort eines Horkruxes?“
„Gringotts!“, sagte Harry, noch bevor Snape den Mund öffnen konnte. „In Gringotts ist Gryffindors Helm!“
Snape sah ihn auf eine Weise an, deren Emotionen Harry nicht eindeutig festlegen konnte. „Das“, sagte er dann, „entspricht nicht meinem Wissensstand. Der Horkrux, von dem ich spreche, könnte alles sein – befindet sich aber in jedem Fall irgendwo in den Bergen hoch oben im Norden. Vermutlich in Gewahrsam der Riesen.“
„Bei den Riesen?“ Harry runzelte die Stirn – wieso ausgerechnet dort? Er hatte gedacht, Voldemort würde Horkruxe an Orten verstecken, die ihm wichtig waren!
„Es ist bekannt, dass Rowena Ravenclaw sich gerne in das Berggebiet dort zurückzog, um zu entspannen, bevor sie die Berge rund um Hogwarts hatte. Daher nehme ich auch an, dass der Ravenclaw-Horkrux des Dunklen Lords sich dort finden lässt.“
„Es wird aber nicht einfach, in den Bergen einen Horkrux zu entdecken“, sagte Dumbledore. „Wir können die Seelenpyramide nicht mehr benutzen.“
„Wieso? Hat mein Zauber nicht gehalten?“
Harry stutzte. „Ihr Zauber? Sie haben die Pyramide aktiviert?“
Snape nickte knapp. „Ich habe Professor Dumbledore nicht sofort etwas davon erzählt, weil ich nicht wusste, ob mein Zauber funktioniert hat. Offensichtlich hat er das.“
„Ja, aber dennoch können wir die Pyramide nicht mehr nutzen“, erwiderte Dumbledore. „Leider ist sie in Gringotts zerstört worden.“
„In Gringotts?“ Snape schmunzelte. „Sieh an, sieh an – der Auserwählte war also bereits in Gringotts, wo der Dunkle Lord einen seiner Horkruxe versteckt hält, und es ist ihm nicht gelungen, diesen sicherzustellen?“
Harry musste sich zusammenreißen, um nichts zu entgegnen. Es war unglaublich: Auf ihrer Seite mochte er sein, aber er verhielt sich trotzdem wie der größte Mistkerl. Es fiel Harry schwer, zu akzeptieren, dass diese Bosheiten Snapes nicht darauf zurückzuführen waren, dass er tatsächlich böse war.
Aber Harry hatte ja nun eine gewisse Ahnung, woher dieser Groll kam …
„Das tut jetzt nichts zur Sache“, sagte Dumbledore in bestimmtem Ton. „Es wird Zeit, dass wir in die Berge aufbrechen. Wissen Sie ungefähr, wo sich das Versteck des Horkruxes befinden könnte?“
„Ich kann schätzen. Und ich würde darauf tippen, dass es in der Nähe des Tales ist, in dem der Dunkle Lord sein vorübergehendes Hauptquartier aufgeschlagen hat, nachdem wir das Haus der Riddles verlassen haben.“
„Das muss reichen. Nun, ich schlage vor, wir beschaffen uns einen Portschlüssel –“
„Nicht so schnell, bitte“, fiel Snape ihm ins Wort. „Wenn wir schon keine Seelenpyramide besitzen, sollten wir vielleicht für einen guten Ersatz sorgen.“
Harry zog seine Augenbrauen zusammen. „Was meinen Sie?“
Snape sah über seine Schulter, und Harry folgte seinem Blick. Ginny – er hatte sie ganz vergessen – saß auf der untersten Stufe der Marmortreppe, ihr Kopf gen Himmel gerichtet.
„Die junge Miss Weasley“, sagte Snape, „hat – so sehr mich das auch erstaunt – doch gelernt, sich in eine Katze zu verwandeln. Das haben Sie mir erzählt, nicht wahr, Professor?“
Dumbledore seufzte. „Severus, Harry wird nicht damit einverstanden sein.“
„Womit einverstanden?“, fragte Harry. „Worauf wollen Sie hinaus?“
„Vielleicht haben Sie es schon einmal gehört – vermutlich aber nicht –“ (Snape setzte ein Grinsen auf, so selbstgefällig, so stechend gemein, dass Harry ihm an Ort und Stelle hätte ins Gesicht schlagen können) „– jedenfalls gelten Katzen allgemein hin als die Hüter der Seelen. Sprich, sie haben eine besondere Beziehung zur menschlichen Seele.“
Harry war überrascht; er hatte das Gefühl, dass er das wirklich bereits irgendwann gehört hatte …
„Jeder Mitarbeiter der Mysteriumsabteilung würde uns raten, eine Katze mit auf die Suche nach einem Horkrux zu nehmen“, sagte Snape – und da fiel es Harry wieder ein: Professor Viridian hatte ihm von den Kräften der Katze erzählt.
„Wir sollen Ginny mitnehmen? Nein“, sagte Harry, fest entschlossen. „Als ich beschlossen habe, mit Ron und Hermine nach den Horkruxen zu suchen, habe ich festgelegt, dass es auch wirklich nur die beiden sind.“
„Und jetzt gehen Sie mit mir, ausgerechnet, und einer Schokofroschkarte auf die Suche. Sie müssen ja wirklich sehr gewissenhaft darüber entschieden haben, dass nur Ihre beiden Freunde Sie begleiten dürfen.“
„Das ist etwas anderes! Ginny ist – sie – ich will sie nicht in Gefahr bringen.“
Das Lächeln verschwand sofort von Snapes Gesicht. Nach kurzem Zögern sagte er: „Nun gut – es ist Ihre Entscheidung. Aber im Fall einer anderen Person bestehe ich darauf, sie mitzunehmen.“
„Und wer soll das sein?“
Snape hob die Hand und zeigte auf eine Stelle hinter Harry. „Ihr anderer Freund. Der dort gerade aus dem verbotenen Wald kommt.“
Harry wandte sich um; mit hängenden Schultern trat die riesenhafte Gestalt von Hagrid zwischen den Bäumen hervor.
„Hagrid? Aber – wieso?“
„Also wirklich, Potter!“, sagte Snape empört, gefolgt von einem „Tss“. „So dumm können ja noch nicht einmal Sie sein. Hagrid ist ein Halbriese – und er hat einen Bruder, der ist ein ganzer Riese. Wenn die beiden uns nicht helfen können bei der Orientation in den Bergen, wer denn sonst?“
Harry dachte darüber nach, während Hagrid langsam näher kam (er hatte sie wohl nicht einmal bemerkt). Ja, Snape hatte Recht – Hagrid und Grawp wären bestimmt hilfreich, wenn sie sich auf den Bergen der Riesen bewegen müssten. Aber auch Hagrid war einer seiner besten Freunde; würde er sein Leben nicht genauso riskieren wie Ginnys, wenn er ihn mitnahm? Und hatte Dumbledore nicht selbst gesagt, nur Ron und Hermine sollten ihn begleiten?
Dumbledore!
„Was meinen Sie?“, fragte er, an die Schokofroschkarte gerichtet.
Dumbledore nickte. „Ich finde die Idee gut. Ich glaube, es kann nicht schaden, zusätzliche Unterstützung mitzubringen, wenn man in die Hügel der Riesen wandert.“
Und außerdem, dachte Harry, ist Hagrid schon einmal dort gewesen. Solange er und Grawp sie nur anführten, dürfte es kein Problem geben – sobald sie das Versteck des Horkruxes gefunden hatten, würden Harry und Snape allein weitermachen.
„SIE!“
Harry machte einen kleinen Sprung vor Schreck, als er dieses Brüllen direkt hinter sich hörte. Dann wurde er zur Seite gestoßen, als Hagrid an ihm vorbeiraste –
Hagrids massiger Körper landete rücklings auf der Treppe, als Snape ihn an einem Schildzauber abprallen ließ. Harry erhaschte einen Blick in sein Gesicht – hinter den vielen Haaren war Hagrids Miene wild wie nie zuvor – mörderisch wild …
Er wollte schon den Mund öffnen, um auch Hagrid zu sagen, dass Snape auf ihrer Seite stand – aber Dumbledore kam ihm zuvor.
„Tu Severus nichts, Hagrid.“
Hagrid hielt mitten im Prozess des Aufstehens inne, als wäre er versteinert worden. Dann war er schneller auf seinen Beinen, als Harry es ihm jemals zugetraut hätte.
„DUMBLEDORE!“, rief er. „Dumbledore, Sie leb’n! Sie – wo sind Sie? Professor Dumbledore!“
„Ich bin hier, Hagrid – und ich fürchte, ich lebe nicht.“
Hagrids Blick landete endlich auf der Karte in Harrys Hand – und wieder schien er zu erstarren.
„Hör mir zu, Hagrid“, sagte Dumbledore mit ruhiger, langsamer Stimme. „Severus ist auf unserer Seite. Er hat mich nicht wirklich ermordet – ich bin zwar tot, aber er ist nicht mein Mörder. Severus versucht, uns zu helfen. Und du kannst ihn dabei unterstützen.“
Hagrid starrte die Karte an, als hätte er kein Wort verstanden. Aber langsam schien der Lebensgeist in ihn zurückzukehren – er blinzelte, schüttelte seinen Kopf leicht hin und her – und dann schreckte er hoch, so, als wäre er bei etwas Peinlichem erwischt worden, und er rief:
„Ich wusste es! Irg’ndwie wusst‘ ich es die ganze Zeit – Snape soll Dumbledore töt’n, klar!“
„Du bist bereit, Severus und Harry zu helfen?“
„Klar doch!“ Hagrid streckte stolz seine Brust heraus. „Was soll ich mach’n?“
„Hol deinen Halbbruder aus seinem Versteck“, sagte Snape (und er bat nicht, sondern er befahl), „und bring ihn so schnell her, wie du kannst.“
Hagrid glotzte Snape an. „Grawpy? Was woll’n Sie denn von dem?“
„Wir müssen zu den Riesen, Hagrid“, sagte Harry. „Bitte mach, worum Sn – Professor Snape dich gebeten hat und hol Grawp schnell.“
Hagrid zögerte eine Sekunde – dann sagte er: „A-also gut …“ Und mit großen Schritten stampfte er davon, lief Richtung Wald – und verschwand darin.
„Severus“, sagte Dumbledore, „wie viel Zeit bleibt uns noch?“
„Höchstens eine Stunde.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wahrscheinlich nicht einmal eine ganze.“
„Es eilt also wirklich – schnell, mach irgendetwas zu einem Portschlüssel. Etwas Großes, damit Hagrid und Grawp es auch berühren können.“
Snape lief die Treppe hinunter – vorbei an Ginny, die immer noch da saß, als wäre Hagrid nicht gerade beinahe auf sie drauf gefallen – griff nach einem Kieselstein und vergrößerte ihn um, was Harry schätzte, das Zwanzigfache. Den entstandenen Brocken bearbeitete er etwa eine halbe Minute – und dann erstrahlte er für ein paar Sekunden in einem hellen Blau. Er war nun ein Portschlüssel.
Und damit mussten sie nur noch auf Hagrid warten.

Niemals zuvor war Hermine an einem Ort gewesen, der ihr so unangenehm war wie diese Insel. Eiskaltes Wasser schlug gegen die Felsen, die die Insel vom Meer trennten, und spritze in kleinen Tropfen auf sie, egal, wie weit entfernt vom Ufer sie sich hinstellte. Über allem hing ein merkwürdiger Nebel, der aber nur zum Teil von den Dementoren kam; die Festung von Askaban selbst war von einem Nebel umgeben, der eindeutig die Schutzmauer Voldemorts darstellte. Ein übler Geruch drang an ihre Nase – das mussten die seelenlosen Leichen der Gefangenen sein, die hier irgendwo begraben waren …
Aber all das bekam sie nur am Rande mit. Ihre wahre Sorge stand direkt vor ihr, und sie war so groß, dass sie sogar Harry und Snape darüber vergessen hatte.
Wie sie es vorausgesagt hatte, war Ron überhaupt nicht einverstanden damit, wie Hermine über all die Jahre hinweg Dumbledore berichtet hatte, was in Harrys Leben vor sich ging. Nachdem er sie einige Zeit einfach ignoriert hatte, während sie verzweifelt versucht hatte, sich zu erklären, war er nun dazu übergegangen, sogar vor ihr wegzulaufen. Sie folgte ihm auf Schritt und Tritt, aber er wollte einfach nicht stehen bleiben. Hin und wieder drehte er sich zu ihr um, schrie sie an und lief dann weiter. Es war so schrecklich … Ron durfte einfach nicht so böse auf sie sein …
„Harry ist es doch auch nicht!“
„Ja, Harry ist nicht angefressen, natürlich nicht!“ Zum ersten Mal seit vielen Minuten blieb Ron sogar stehen. „Das glaubst du doch nicht im Ernst!“
„Er hat gesagt, es wäre –“
„Ja, er hat gesagt, toll! Du hast ihn betrogen! Das ist schrecklich! Du bist genauso schrecklich wie Voldemort!“
Und während Ron wieder davon ging, blieb Hermine nun stehen. Sie war nicht fähig, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Alles in ihr war erfroren, in nur einem kurzen Augenblick. Ihr Herz schlug nicht mehr, sie hatte aufgehört zu atmen – alles in ihr war tot.
Du bist genauso schrecklich wie Voldemort!
Dann wachte alles in ihr wieder auf – aber nur, weil eine Panik sie ergriff. Eine Panik, wie sie sie zuvor nicht gekannt hatte. Sie wusste plötzlich nicht mehr, wo sie war, was sie hier tat. Und sie hatte Angst … eine so unbeschreibliche, unerklärliche Angst …
Du bist genauso schrecklich wie Voldemort …
Sie rannte los. Und sie wollte nur noch laufen, immer weiter laufen. Wusste, dass sie irgendwann das Meer erreichen würde.
Nur weg von hier …

Das Warten zog sich in die Länge. Hagrid schien einfach nicht mehr aufzutauchen. Der Vollmond kam wieder hinter den Wolken hervor, leuchtete auf sie hinab und ließ den Stein wieder blau glänzen, als würde er die Magie, die den Stein umgab, zu erkennen geben. Snapes Gesichtszüge schienen sich seltsam zu verformen – er wirkte nun älter. Und traurig …
„Ich nehme an …“, sagte er, seine Stimme leise und offenbar darauf bedacht, vorsichtig zu sein, „… Sie haben mittlerweile herausgefunden, was in der Nacht passiert ist, in der Ihre Eltern –“
„Ja“, sagte Harry nur, wobei er Snape neugierig ansah. Es war seltsam, so neben ihm zu stehen und mit ihm zu reden. Seine Hand zuckte immer wieder, und er wusste, dass sie danach verlangte, einen Zauberstab zu halten, Snape einen Fluch nach dem anderen auf den Hals zu hetzen …
Snape nickte, schluckte. Er senkte seinen Blick, starrte auf den Boden. Harry glaubte zu wissen, was in ihm vorging, oder es zumindest ahnen zu können.
„Nun –“ Snape drehte sich zu ihm um, griff dabei erneut in seine Umhangtasche. „Ich denke, dann ist es Zeit, Ihnen das hier zurückzugeben.“
Er streckte seine Hand aus – und hielt Harry das Foto hin, das er damals aus dem Haus seiner Eltern entwendet hatte.
Harry nahm es ihm ab. Nicht, um sein Eigentum zurück zu ergattern. Nein; er wollte es nur ansehen. Wollte sich vergewissern, dass er sich im Denkarium nicht getäuscht hatte. Es war so – so ungewohnt, so unglaublich … Allein der Gedanke war absurd … Und doch war es da, in seinen eigenen Händen:
Eine junge Lily, vielleicht vierzehn Jahre alt, lachte aus vollem Hals auf diesem Foto. Ihr rotes Haar fiel ihr in Wellen über die Schultern. Sie hatte ein schönes, ansteckendes Lachen, das war sogar auf dem Schwarzweißbild zu erkennen.
Aber sie war nicht allein. Ihren Arm hatte sie um die Schulter eines Jungen gelegt, der ebenfalls lachte. Aber zurückhaltender – schüchtern blickte der Junge immer wieder direkt in die Kamera, während Lily ihre Augen zugekniffen hatte vor Lachen. Ihm fiel das schwarze Haar in einzelnen Strähnen ins blasse Gesicht.
Es war das Bild zweier bester Freunde, so viel stand fest. Lily Evans und Severus Snape auf dem Bild zweier bester Freunde …
„Ihre Mutter und ich“, sagte Snape, und es fiel ihm eindeutig schwer, darüber zu sprechen; er wandte seinen Blick ab, redete leise, ganz leise, „wir waren in unserer Schulzeit gut befreundet. Bis ich angefangen habe, mich mit den falschen Leuten abzugeben. Ich meine – ich hatte schon immer viel mit den anderen Slytherins zu tun. Aber erst in meinem fünften Jahr habe ich begonnen, mich auf sie einzulassen. Von da an hat sich alles geändert …“
Harry wartete kurz, ob Snape noch mehr erzählen würde. Einerseits wollte er mehr hören – und andererseits wäre es ihm am liebsten gewesen, wenn er nie das Foto gesehen hätte, nie von dieser Freundschaft erfahren hätte. Es passte überhaupt nicht in das Bild, das er sich von seinen Eltern gemacht hatte – doch im Grunde hatte er gar kein Bild von ihnen, denn dazu war sein Wissen über sie viel zu lückenhaft.
Snape. Das war der Punkt, der die Lücken fühlte. Snape, von James gehasst, mit Lily befreundet …
„Das gehört Ihnen“, sagte Harry, und hielt Snape das Bild wieder hin. „Ich möchte, dass Sie es behalten.“
Snape sah Harry überrascht an; dann nahm er ihm das Foto ab, steckte es wieder ein.
„Warum Sie haben meine Mutter trotzdem noch besucht, als Sie erwachsen waren, wenn sie zwei sich auseinander gelebt haben?“, fragte Harry, unsicher, warum er überhaupt so genau nachhakte.
„Ja. Dank Professor Dumbledore hat sie langsam wieder gelernt, mir zu vertrauen. Und so habe ich sie dann regelmäßig in ihrem neuen Zuhause besucht.“ Ein verschmitztes Grinsen trat auf sein Gesicht. „Ihr Vater war gar nicht begeistert.“
Harry lachte natürlich nicht, aber er ärgerte sich auch nicht über diesen Kommentar. Etwas anderes beschäftigte ihn … sollte er fragen? Ja, dachte er, er musste fragen …
„Sie …“ Er machte einen Schritt auf Snape zu. „Sie waren in sie verliebt, nicht wahr?“
Snape drehte sich zu ihm um; sein Mund stand leicht offen, und seine Augen waren weit aufgerissen. „I-ich …“
„Wir sin‘ hier!“
Harry war froh, die Antwort nicht hören zu müssen; es war ihm peinlich, gefragt zu haben. Stattdessen sah er zu, wie Hagrid wieder aus dem Wald kam, gefolgt von einer Gestalt, die noch viel größer war als er: Grawp der Riese trottete hinter Hagrid her, sein hässliches Gesicht erfüllt von Freude und Tatendrang. Vermutlich war er ganz begeistert, sein Versteck verlassen zu dürfen, und seinen Bruder in so fröhlich erleben zu können. Denn Hagrid strahlte bis über beide Ohren.
„Grawp will unbedingt helf‘n!“, sagte Hagrid, als er sie erreichte. „Er is‘ schon ganz aufgeregt –“
„Grawp – helfen!“, stieß der Riese aus. „Grawp – Dobbeldo – helfen!“
Snape hob seine Augenbrauen. „Ganz entzückend.“ Dann berührte er den Stein erneut mit seinem Zauberstab. „In zwanzig Sekunden wird uns dieser Portschlüssel an unser Ziel bringen. Hagrid, sag deinem Bruder, er soll ihn auch berühren.“
Aber als Harry, Snape und Hagrid es vormachten, verstand es Grawp schnell von allein: Er streckte zwei seiner Finger aus und legte sie auf den Stein.
Und plötzlich stand noch jemand dort, gegenüber Harry, presste eine Hand ganz fest auf den Portschlüssel –
„Ginny, nein!“
„Doch, Harry!“, erwiderte sie, sah ihm direkt ins Gesicht. „Ich werde mit euch kommen und ich werde euch als Katze helfen, zu finden, was immer ihr sucht!“
Harry wollte noch etwas sagen, aber er wusste, dass die einzige Möglichkeit, sie jetzt noch von dem Portschlüssel wegzubringen, ein Zauber gewesen wäre, und sie könnte sich sicher wehren. Verzweifelt fiel sein Blick auf Snape, der nicht einmal hämisch grinste bei dieser Situation – in seinen Augen war ein merkwürdiges Schimmern, das Harry verriet, wo er mit seinen Gedanken war … Und in der Sekunde, bevor der Portschlüssel sie fortbrachte, schoss Harry noch einmal durch den Kopf, was er sich schon die ganze Zeit gedacht hatte.
Snapes Loyalität und Liebe waren nicht die einzigen Dinge, die er durch das Denkarium über die Nacht in Godric’s Hollow gelernt hatte …

Sie hörte, dass jemand ihren Namen rief, aber sie reagierte nicht. Wollte nicht, konnte nicht. Sie saß auf einem Felsen, das eisige Wasser durchnässte ihren Umhang und ihre Haare. Ihr Gesicht hatte sie in ihren Händen verborgen. Alles war jetzt egal.
Genauso schrecklich wie Voldemort … genauso wie Voldemort …
War sie das wirklich?
„Hermine? Hermine!“
Jemand umfasste ihre Schulter mit einem festen Griff. Wer hatte einen so festen Griff? Moody vielleicht?
„Hermine!“
Sie nahm die Hände von ihren Augen; und blickte in das Gesicht von –
„Viktor!“
Viktor Krum, von dem sie so lange nichts gehört hatte, stand vor ihr, nicht in seinen Durmstrang-Gewändern oder in seinem Quidditch-Trikot, sondern in einem gewöhnlichen, schwarzen Umhang.
„Ja, ich bin es“, sagte er mit seiner ruppigen Stimme, lächelte sie an. „Ich habe deine Namen geübt. Gutt, nicht?“
„Ich – ja – du – wo bist du gewesen?“ Hermine war so dankbar, Ron für eine Minute vergessen zu können, dass sie Viktor beinahe in die Arme gesprungen wäre. „Du hast dich so lange nicht gemeldet!“
„War beschäftigt. Ich habe einen Job gesucht, war nicht einfach.“
„Das – das glaub ich dir. Was machst du denn?“
„Wollen wirr nicht später darüber reden?“ Viktor legte eine Hand auf ihre Wange. „Ich wollte eigentlich mit dirr über deine Freund sprecke. Er warr nicht nett zu dirr.“
„Du – du meinst Ron … Ja, ich – ich war aber auch nicht nett zu ihm –“
„Das kann ich mirr nicht vorstelle“, sagte Viktor; er klang überrascht, wirklich überrascht …
„Du bist so süß.“ Sie gluckste.
„Ich mack es nicht, wenn jemand meine Freunde nicht gutt behandelt.“ Viktor setzte sich neben sie auf den Felsen. „Und du bist meine beste Freund.“
Hermine atmete tief durch, lächelte Viktor an. „Danke, Viktor. Vielen, vielen Dank.“
Viktor lächelte ebenfalls; dann sagte er: „Möchtest du nicht vielleicht in die Festung hinein?“
Hermine runzelte die Stirn. „Was?“
„Meine Truppe hatt schon Weg gefunden.“ Er zeigte auf eine kleine Gruppe von Leuten, die ziemlich abgesondert auf einem eigenen Platz neben dem Nebel stand.
„Dann sollten wir das den anderen sagen!“
„Sie wissen schon“, erwiderte Viktor. „Es ist so, dass wirr erst haben kleine Stück von Schutzwall durchbrochen. Wirr können nur ein parr Schritte in das Gefängnis machen. Möchtest du es dirr ansehen?“
Hermine zögerte – irgendetwas kam ihr komisch vor. Warum sollte sie es sich ansehen dürfen? Warum waren nur so wenige Leute an der Stelle, an der der Nebel bereits durchbrochen war? Warum standen McGonagall, Moody und all die anderen immer noch auf der gegenüberliegenden Seite des noch unsichtbaren Turms?
Du bist genauso schrecklich wie Voldemort … Voldemort, der niemandem vertraute, der nicht lieben konnte …
„Ja“, sagte sie. „Ja, zeig es mir.“

Als der Haken, der Harry an seinem Bauchnabel gezogen zu haben schien, endlich losließ, und Harry nicht mehr schwindelig war, öffnete er seine Augen. Egal, wohin er sah – er war umgeben von kahlen Bergen, die hoch über seinen Kopf ragten. Er stand in einem großen, rundförmigen Tal, durch das sich einige kleine Hügel zogen. Ins Mondlicht getaucht, leuchteten die Bergspitzen in der Ferne fast so bläulich wie der Portschlüssel, mit dem sie gekommen waren.
Snape stand direkt neben ihm. Die anderen drei fand Harry nach kurzer Suche in einigem Abstand: Hagrid schien dem eingeschüchterten Grawp zu erklären, wie sie hier her gekommen waren und dass sie nicht vorhatten, ihn hier wieder zurückzulassen; während Ginny einfach nur Snape anstarrte. Es war deutlich zu sehen, dass sie ihm immer noch nicht traute.
Und Harry würde ihm vermutlich auch nicht vertrauen; wüsste er nicht von Snape und seiner Mutter …
„Hier war ich schon mal!“ Hagrid klang erstaunt. „Hier bin ich damals mit Olympe vorbeigekomm’n, als wir die Riesen besucht haben – das heißt ja – das heißt ja, Grawps Stamm lebt hier!“
„Kann Ihr Bruder uns zu seinem Stamm führen?“, fragte Snape, ohne sich zu Hagrid umzudrehen.
„Wa- ja!“, rief Hagrid. „Ja, ich denk, das schafft er. Grawpy – Grawpy, du musst jetzt deine alten Freunde find‘n! Die versteck‘n sich hier irgendwo! Deine Freunde, die Riesen, Grawpy! Flagomath und –“
„Flagomath!“ Grawp hörte auf zu zittern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Grawp – Flagomath – sehen!“
„Ja! Ja, Falgomath, den hast du so gern gemocht –“
Da lief Grawp auch schon los – zielstrebig, als wüsste er, wohin er gehen müsste, auf den Fuß eines Berges zu. Sie hetzten ihm hinterher, aber es war schwierig, mit ihm Schritt zu halten. Hagrid rannte voraus, um Grawp ein bisschen zu verlangsamen.
„Wo sind wir hier?“, fragte Ginny im Laufen.
„In einem Tat“, antwortete Snape, „in dem der Dunkle Lord sich ein paar Tage lang mit seinen Todessern versteckt hat, nachdem ihr sein Hauptquartier entdeckt habt.“
„Ach ja?“ Nachdem sie kurz still war, fügte sie hinzu: „Sie haben sich dann bestimmt auch hier versteckt, nicht wahr?“
„Ginny, lass es sein!“, rief Harry, aber bevor er ein weiteres Wort von sich geben konnte, sagte Snape: „Nein, Potter – Ihre Freundin hat ein Recht darauf, mir zu misstrauen.“ Ein verschmitztes Grinsen umspielte seine Lippen. „Und ja, auch ich habe mich hier versteckt gehalten.“
„Ja, weil Sie ein dreckiger Mörder –“
Ginny unterbrach sich selbst, als sie beinahe gegen etwas Großes gelaufen wäre – Hagrid und Grawp standen vor ihnen.
„Grawpy macht jetzt ‘n bisschen langsamer!“, sagte Hagrid. „Er hat aber die Spur schon aufgenomm’n – kommt!“
„Und wir schweigen, während wir ihm folgen“, sagte Harry zu Ginny. „Okay?“
Sie schien kurz davor zu sein, ihm zu widersprechen; aber dann nickte sie, ein trotziger Ausdruck auf ihrem Gesicht. Und nach einem finsteren Blick auf Snape war sie die erste, die Grawp und Hagrid hinterherlief.
„Ein sehr reifes Mädchen haben Sie da, Potter“,
Harry fand es nicht notwendig, zu antworten.
Das Vorhaben, Grawp zu folgen, erwies sich als schwieriger als geplant. Als er den Fuß des Berges erreichte, begann er auch sofort, diesen zu besteigen. Anfangs konnten Harry, Snape und Ginny wie Hagrid noch den Hang erklimmen – dann wurde es langsam steiler und immer steiler, und während Grawp und Hagrid sich trotz ihrer Größe darauf verstanden, solche Flächen empor zu klettern, wusste Harry schon kaum noch, wo er Halt finden sollte. Ginny verwandelte sich kurzerhand in eine Katze, sprang leichtfüßig den Berg hinauf und war fast gleichauf mit dem Riesen.
„Zu dumm, dass Sie keinen Besen mitgebracht haben, Potter“, hörte Harry Snape hinter sich mit gedehnter Stimme sagen. „Aber darf ich Ihnen eine Frage stellen – warum mühen Sie sich so ab?“
Harry verstand nicht, was Snape meinte, und drehte sich um. Und als er sah, dass Snape sich Stufen in den Berg zauberte, errötete er. Er kam sich dumm vor, weil er nicht selbst auf die Idee gekommen war; andererseits – hätte er überhaupt gewusst, wie man Stufen zauberte? Nicht wirklich.
Er ließ den kleinen Felsen los, an dem er sich mühevoll festgeklammert hatte, und sprang hinter Snape auf die magische Treppe.
Bald erreichten sie die relativ flache Spitze des Berges. Es gab hier nichts – keine Pflanzen, kein Gewässer, keine Tiere. Die Luft war spürbar anders als die in Hogwarts, und Harry verzog sein Gesicht, versuchte, tief durchzuatmen, aber es wollte nicht so richtig funktionieren.
„Hier isses nich‘ mehr so gefährlich“, sagte Hagrid, der mit Grawp stehen geblieben war, um auf sie zu warten. „Ihr könnt euch jetz‘ auf seine Schultern setzen, wenn ihr wollt.“
Als Grawp sich hinunter beugte, kletterte Harry sofort hoch, und auch Ginny, immer noch in Katzengestalt, sprang neben ihm auf die Schulter des Riesen. Snape aber ließ auf sich warten; Harry erkannte einen leicht entsetzten Ausdruck auf seinem Gesicht. Nun war er an der Reihe, zu grinsen.
„Danke, ich verzichte“, sagte Snape, nachdem er sich gefasst hatte. „Ich denke, ich bin auch so schnell genug, um euch zu folgen –“
„Aber wenn wir auf Grawps Schultern sitzen, kann er so schnell laufen, wie es ihm möglich ist, und wir sind auch viel schneller hier fertig!“, erwiderte Harry. „Sie wissen doch selbst, wie wenig Zeit wir nur noch haben!“
„Harry hat Recht“, kam Dumbledores Stimme von der Schokofroschkarte, die Harry immer noch hielt. „Kommen Sie hoch, Severus.“
Snape zögerte nur für einen kurzen weiteren Moment, dann kletterte er – etwas unbeholfen, auf Grawps andere Schulter, so weit weg wie möglich von Harry und Ginny. Grawp richtete sich auf – und dann lief er los. Der erste Ruck kam so überraschend und schnell, dass Harry beinahe von der Schulter gefallen wäre, aber er hielt sich noch rechtzeitig fest. Es war nicht anders, als einen Besen zu fliegen, wurde Harry schnell klar – außer, dass er nicht lenken musste.
Während Grawp der Spur der Riesen folgte, die er wahrzunehmen schien, fiel Harry wieder in seine Gedanken. Er war hier mit Snape, ausgerechnet Snape, auf der Suche nach einem Horkrux … Dass hier einer war, bezweifelte Harry nicht, aber er wusste, was das bedeutete: Dass Voldemort tatsächlich sein Tagebuch ersetzt hatte. Nach dem Buch, dem Ring, dem Medaillon und dem Kessel hatte er seine Schlange Nagini und entweder den Gegenstand, den sie hier finden würden, oder aber Gryffindors Helm zu einem Horkrux gemacht – und dann noch das andere Objekt dieser beiden. Hatte Voldemort seine Seele damit in acht Teile gespalten? Er wollte Dumbledore diese Frage stellen – als Grawp ihn zum zweiten Mal fast abgeworfen hätte. Diesmal, weil er wild auf und ab sprang, mit den Armen wedelte und etwas wiederholt rief, das Harry erst nach dem dritten Mal verstand –
„Funde! Funde! Grawp – hat- funde!“
„Gut gemacht, Grawpy!“, flüsterte Hagrid von Grawps Füßen aus. „Aber du musst leise sein –deine Freunde dürf’n uns noch nich‘ hör’n, das soll ‘ne Überraschung werden – also psst!“
„Psst wird nicht nötig sein.“ Snape war von Grawps Schulter geklettert, stand nun am Rand der Bergspitze. „Seht hinunter.“
Harry sprang ebenfalls auf den Boden zurück, beugte sich über den Rand – und blickte hinunter in einen tiefen, tiefen Abgrund. Und dort, ganz unten, lagen dutzende riesige Gestalten. Zwar war es schwierig, in dem spärlichen Licht Details auszumachen, aber eines konnte Harry ganz genau erkennen: Diese Riesen dort bewegten sich nicht. Und alles um sie herum, sogar sie selbst, schien rot zu sein.
Ein einziges Blutbad.
„Oh nein!“ Hagrid schlug sich die Hände vor den Mund. „Oh nein, oh nein, oh nein! Sie müssen sich gegenseitig totgeschlag’n hab’n!“
„Was – passiert?“, fragte Grawp, als er Hagrids Aufregung bemerkte. „WAS – PASSIERT?“
„Wir müssen trotzdem hinunter“, sagte Harry; so schrecklich das, was er vor Augen hatte, auch war, schwebte ihm doch ein Hintergedanke im Kopf herum – wenn die Riesen bereits außer Gefecht waren, war es umso einfacher, den Horkrux zu finden und zu stehlen …
„FLAGOMATH!“, brüllte Grawp – und für einen kurzen, schrecklichen Augenblick hatte Harry geglaubt, er wäre über den Abgrund gesprungen. Aber Grawp fiel nicht – er lief. Harry beugte sich erneut über den Rand und sah einen Pfad, der am Berg entlang bis hinunter zu dem Tal führte.
„Wir müssen auch diesen Weg nehmen“, sagte Snape. „Ich habe versucht, hinunter zu apparieren – der Dunkle Lord hat offenbar einen Zauber dagegen über das Tal gesprochen.“
Das wunderte Harry nicht. Im Gegenteil, irgendwie bestätigte es ihm, dass hier ein Horkrux war. Er wartete nicht länger, sondern lief Grawp hinterher, den Pfad entlang, hinab zu den Riesen; hinab zum Horkrux. Ginny raste in Katzengestalt an ihm vorbei, Snape, sein Zauberstab auf sich selbst gerichtet, kam plötzlich neben Harry wie aus dem Nichts von oben und schwebte langsam direkt hinunter in das Tal. Harry aber konnte nicht auf den Pfad verzichten, ließ sich nicht ablenken und lief weiter, weiter, immer weiter. Die Zeit drängte.
Die letzten Meter stolperte er den Pfad nur noch hinunter, aber endlich erreichte er das Tal. Er gab sich große Mühe, nicht das getrocknete Blut zu beachten, in dem er stand; nicht auf die entsetzt wirkenden, hässlichen Gesichter der Riesen zu starren, einfach nicht daran zu denken, dass das, was er hier vor sich hatte, möglicherweise die letzten noch lebenden Riesen in ganz Großbritannien gewesen waren, von Grawp abgesehen; dass er hier in einem Schlachtfeld stand, das dem von Hogwarts jede Konkurrenz gemacht hätte.
Grawp lief zwischen den Körpern umher, warf sein Gesicht nach allen Seiten, schien nach etwas zu suchen. Nach jemandem.
„Dort hinten liegt sogar Golgomath!“
Hagrid keuchte schwer, als er hinter Harry das Tal erreichte.
„Dort“, sagte er, und zeigte mit seiner großen Hand auf einen der Riesen; den, der dem See, der sich durch einen großen Teil des Tals streckte, am nächsten lag. „Das ist Golgomath – weißt du noch, Harry? Der Gurg des Stammes!“
„Und zufälligerweise scheint sich Ihre Freundin für den Gurg besonders zu interessieren“, sagte Snape.
Harry trat ein paar Schritte nach vorne, um zu sehen, was Snape meinte: Die kleine rote Katze krabbelte über den Körper des Riesen, erst langsam – dann schneller, und noch schneller, als sie in der Nähe seines Kopfes war. Sie sprang auf etwas, das Golgomath auf seinen Kopf trug – es sah ein bisschen wie eine Krone aus, aber Harry konnte nur erahnen, aus welchem Material sie bestand (und wollte es gar nicht so genau wissen) – und eine Sekunde später war Ginny wieder ein Mensch. Sie hob ihren Arm; das Mondlicht fiel auf etwas, das sie in ihrer Hand hielt. Es sah aus wie ein kleines Schwert.
„GINNY, PASS AUF!“
Harry hörte Hagrids Ruf, bevor er selbst erkennen konnte, was los war. Und so, gepackt von der Panik, die er nun schon allzu gut kannte, zog er seinen Zauberstab – nur, um gleich darauf zu erkennen, dass der ihm nichts bringen würde gegen das, wovor Ginny sich in Acht nehmen sollte.
Scheinbar war doch nicht der ganze Riesenstamm groß.
Fast sechs Meter war er groß, und trotzdem hatte er es geschafft, sich vor ihnen zu verbergen. Nun war der Riese aus seinem Versteck gekommen, seine Zähne gefletscht, seine Augen weit aufgerissen – und lief direkt auf Ginny zu.
Nein – nicht Ginny – nicht auch noch Ginny –
Der Riese hob seine Füße mit jedem Schritt höher, als wolle er sein Opfer mit der größtmöglichen Wucht treffen – er war nur noch wenige Meter von Ginny entfernt – Harry hob seinen Zauberstab, obwohl er wusste, dass keiner seiner Flüche dem Riesen etwas antun könnte – aber dann –
Ein lautes Klatschen; und der Riese stand still.
Aber nicht, weil er sein Ziel erreicht hatte, nicht, weil er auf Ginny getreten war. Grawp hatte sich dem anderen Riesen in den Weg gestellt, an den Schultern gepackt, und hielt ihn nun fest. Beide Riesen zitterten in ihrem Bemühen, den anderen zu besiegen.
„FLAGOMATH!“, brüllte Grawp erneut. Der Speichel sprühte aus seinem unförmigen Mund. „FLAGOMATH – NICHT!“
Flagomath hörte auf, sich gegen Grawp zu wehren, als er verstand, wen er da vor sich hatte. Er starrte seinen alten Freund an – dann sagte er etwas. Harry war sich sicher, dass er sprach, aber er konnte nichts verstehen. Der Riese grunzte und raunte, bewegte seinen Mund auf seltsame Weise. Aber Grawp schien zu begreifen, wovon Flagomath redete. Er antwortete in derselben Sprache, ließ ihn los. Harry sah erstaunt zu – und sicher auch die anderen – wie die beiden sich unterhielten, mit ihren Händen gestikulierten, sich mit den abartigsten Geräuschen verständigten. Schließlich gab Flagomath ein letztes, entschiedenes Grunzen von sich, drehte sich um – legte die Hände um seinen Mund stieß einen einzelnen tiefen Ruf aus, der von den Bergen widerhallte, vom Echo durch das ganze Tal getragen wurde. In dem Schatten, den ein Hügel über einen Teil des Tals warf, regte sich etwas – und Riesen, langsam und unsicher, die Blicke über ihre toten Artgenossen schweifen lassend, traten aus der Dunkelheit hervor. Zwei von ihnen waren viel kleiner als die anderen; Kinder …
Weder Harry, noch Snape oder Hagrid, und auch nicht Ginny, die dem Spektakel am nächsten war, wagte es, sich zu rühren. Sie blieben stumme Zuschauer, während Grawp und Flagomath in ihrer Sprache auf die anderen Riesen einredeten, ihnen etwas zu erklären schienen. Einer der Riesen brüllte sein Missbehagen aus, woraufhin Flagomath seine Faust hob – und Grawp griff danach und drückte sie hinunter. Er grunzte – dann drehte er sich um und ging los, trat über Golgomath hinweg. Flagomath folgte ihm, und hinter ihm kamen einige der anderen Riesen – sogar eines der Kinder ließ sich nicht von seiner Mutter zurückhalten, nahm die Hand einer anderen Riesin und ging mit dieser mit. Und während die eine Gruppe, geführt von Grawp, in einem Passgang zwischen zwei Bergen verschwand, zog sich die andere – ohne die anwesenden Menschen zu beachten – in ihren Schatten zurück.
„Sie woll‘n kämpf‘n …“, murmelte Hagrid. „Sie sin‘ losgezog’n, um zu kämpf’n – Grawp hat sie überredet, gegen Ihr-wisst-schon-wen zu kämpf’n!“ Und dann brach er in Tränen aus. „Grawp ist ein Held! Der Held der Riesen!“
Während Hagrid noch den Riesen hinterher blickte, die sich aufgemacht hatten, Voldemort zu suchen, hatten sich Harry und Snape in Bewegung gesetzt. Entschlossen bahnten sie sich ihren Weg zwischen den toten Riesen, bis sie neben dem größten Körper standen, dem vom Golgomath. Am Seeufer wartete Ginny auf sie, ein Fuß immer noch auf der Krone des ehemaligen Gurgs. Sie hielt ihnen entgegen, was sie aus der Krone genommen hatte. Harry nahm es in seine Hände.
Es war ein Zauberstab.
Und bei näherem Betrachten wurde Harry klar, warum er ihn für ein kleines Schwert gehalten hatte. Der Griff des Stabes war gesäumt von zwei hölzernen Vogelflügeln. Das untere Ende war sogar die Nachbildung eines Vogelschweifes, und der Kopf eines Vogels, mitsamt Schnabel, bezeichnete die Stelle, an der der Griff endete. Als Lord Voldemort Rowena Ravenclaws Zepter nicht finden konnte, hatte er also ihren Zauberstab als Ersatz herangezogen.
Und damit hatte Harry endlich einen zweiten Horkrux gefunden.


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Am schwierigsten fand ich, das Tauchen technisch zu bewältigen und dabei auch noch zu spielen. Ich durfte nie vergessen, dass Harry Kiemen hat, also gar nicht atmet. Also hatte ich sorgsam darauf zu achten, dass ich keine Luftblasen ausatmete. Um mich herum konnte ich überhaupt nichts erkennen, ich hörte nur Jamies völlig unwirkliche Stimme. Ein absolut bizarres Erlebnis, aber ich fand es echt toll.
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