von LittleElventhing
„Mister Black, Ihre Eltern lassen ausrichten, dass sie Sie in einer Viertelstunde zum Tee erwarten.
„Danke, Kreacher.“
Und mit einem „Plopp“ verschwand der Hauself eben so schnell wie er appariert war.
Regulus seufzte. Er war kaum seit einer halbe Stunde aus Hogwarts zurückgekehrt und schon fühlte er sich, als hätte er ein komplett anderes Leben betreten. Es würde wieder ein Weilchen dauern, bis er sich an den förmlichen Umgangston im Haus gewöhnt hatte.
Und doch tat es gut wieder zu Hause zu sein. Das alte Gebäude mit seinen Geräuschen und Gerüchen hatte etwas Vertrautes. Auch sein Zimmer, hatte sich in all den Jahren, in denen es ihm nur als Ferienunterkunft diente, kaum verändert, ebenso wie die restlichen Räume mit ihren antiken Möbeln und schweren Teppichen. Sie alle erinnerten Regulus an Tage seiner Kindheit. Gerade jetzt zu Weihnachtszeit, wo das ganze Haus wie immer festlich von Kreacher geschmückt worden war, wirkte es so, als währe die Zeit vor zehn Jahren stehen geblieben. Auch wenn Regulus inzwischen 16 war.
Regulus blickte auf den Kalender, der an der Wand über seinem schweren Holzschreibtisch hang.
21. Dezember.
Der Tag drei Nächte vor Heilig Abend.
Der erste Tag der Weihnachtsferien.
Der erste Tag wieder zu Hause.
Sirius Geburtstag.
Ja, ich denke oft zurück,
als wir gute Freunde waren.
Doch die Zeiten ändern sich -
man wird älter mit den Jahren.
17.
Regulus hatte sich nie vorstellen könne, dass sein großer Bruder jemals erwachsen werden sollte. Daran hatte sich bis heute nichts geändert.
Und doch war es ab heute nur noch ein Jahr, bis besagter Bruder volljährig werden würde.
Unglaublich alt.
Älter, als man aus kindlichen Augen jemals werden will.
Die Erfahrung lehrt einen, dass der Spaß des Lebens vorbei ist, sobald man nicht mehr nur von den Hauselfen gesiezt wird.
Früher hatten er und Sirius beschlossen, niemals erwachsen zu werden.
Niemals so eine unglaubliche Spaßbremse wie Onkel Cygnus zu werden.
Er und Sirius.
Einige Dinge ändern sich wohl doch mit der Zeit.
Die alten Tage gibt's nicht mehr,
Nur diesen Gruß von mir.
Müssen Helden einsam sterben -
oder worum geht es hier?
Seine Eltern hatten Sirius Geburtstag mit keinem Wort erwähnt.
Nicht am Bahnsteig, wo ihn sein Vater abgeholt hatte.
Nicht bei der Ankunft im Elternhaus, wo sich seine Mutter nach seinen schulischen Leistungen erkundigte.
Und auch nicht beim gemeinsamen Mittagessen, wo die Stimmung fast schon, annähernd so etwas wie gelöst war.
Generell mieden seine Eltern es über Sirius zu sprechen, seitdem dieser frühzeitig ausgezogen war.
Wobei das Verb „ausziehen“, wahrscheinlich noch zu beschönigend wäre.
Regulus fragte sich manchmal, wie lange es noch dauern würde, bis sie ihn als ihren „einzigen Sohn, Regulus“ vorstellten.
Auch im Haus erinnerte nichts mehr an Sirius, geschweige denn an seinen heutigen Geburtstag.
Was nicht weiter besonders war, da dieses Haus eh niemals eine wirklich persönliche Note durch die beiden Kinder der Familie erhalten hatte.
Wo in andern Häusern Fotos der Kinder hängen, hing bei den Blacks die Ölbild-Ahnengalerie. Und anstelle selbstgemalter Bilder zierten Wappen die Wände.
Das einzige was Regulus auffiel war, dass den überdimensionalen Stammbaum der Familie Black ein weiteres Brandloch zierte.
Wahrscheinlich wäre Sirius darauf auch noch stolz, wenn er es erfahren würde.
Von seiner reinblütigen Familie verstoßen und geächtet. Solche Geschichten machten sich sicher gut bei seinen Gryffindor-Freunden. Was war er doch für ein Held.
Regulus schnaubte verachtend.
Er verstand es einfach nicht.
Wie hatte sich das alles über die Jahre so hochschaukeln können.
Es war doch nicht immer so gewesen, oder etwa doch?
Das sind alles Fragen,
auf die wir keine Antwort haben.
Wenn wir die Stunden zählen,
uns mit Fragen quälen.
Sirius konnte sagen, was er wollte, aber Reg wusste, dass das Fundament für Sirius Muggelfreundschaften nicht durch eine bewusste gesellschaftliche Entscheidung entstanden war. Sie waren schlicht und einfach das Resultat des prepubertären Wunsches, eines kleinen rebellischen Jungen, ums Verrecken alles anders zu machen als seine Eltern.
Der sprechende Hut hatte ihn nach Griffindor gesteckt.
Ein falsches Spiel zur falschen Zeit -
ja, so schnell kann's passieren,
dass sich die besten Freunde aus den Augen verlieren.
Reg hatte nie verstanden, was so schlimm daran sein sollte, zu tun, was von einem erwartet wurde. Etwas zu tun, was seinen Vater stolz machen würde. Und mit zehn Jahren schon einmal gar nicht.
Aber bei Sirius ging es einfach nur ums Prinzip.
Einfach immer dagegen.
Einfach immer Kontra.
Er hätte wahrscheinlich auch Qudditch dämlich gefunden, hätte ihr Vater sie beide nur jemals versucht dafür zu begeistern.
Doch so war Sirius nun mal Sirius.
Und seine Griffindorfreunde, die er in seinem ersten Schuljahr in Hogwarts kennen gelernt hatte, hatten alles nur noch schlimmer gemacht.
Hogwarts.
Reg musste unwillkürlich lächeln, als er daran zurückdachte, wie schwer es für ihn als Elfjähriger gewesen war mit den zwiegespaltenen Gefühlen um zu gehen, die dieser Ort in ihm auslöste.
Er hatte sich fest vorgenommen, es nicht zu mögen.
Zu offensichtlich war das abweisende Verhalten, das sein großer Bruder nach einem halben Jahr, beim gemeinsamen Weihnachtsfest auch Reg gegenüber zeigte.
Doch schon bald musste er einsehen, dass auch er sich dem Bann, der von Hogwarts ausging nicht entziehen konnte. Auch er fing an sein Haus bald als sein wirklich zu Hause an zu sehen.
Sein Haus Slytherin.
Die alten Tage gibt's nicht mehr,
nur diesen letzten Gruß von mir.
Müssen Brüder einsam sterben -
oder worum geht es hier?
Reg setzte sich an seinen Schreibtisch und zog ein Pergamentblatt aus dem Stapel.
Er griff automatisch nach seiner Schönschreibfeder, hielt dann aber in der Bewegung inne und nahm eine seiner Schulfedern zur Hand. Er zögerte kurz und fing an zu schreiben.
Lieber Sirius,
Nein, das klang zu förmlich. Ein Schlenker seines Zauberstabes und das Pergament war wieder blütenweiß.
Hi Sirius,
Schon besser. Ja, das konnte man so stehen lassen. Weiter. Jetzt kam das Schwerste. Wie erklärte er, dass er sich nach so langer Zeit wieder meldete? Er entschied sich für die einfachste Version.
Ich wünsche dir alles Gute zu deinem 17. Geburtstag.
Dein Bruder Regulus
Nein…. Auch nicht.
Zauberstabschlenkern.
Neuer Versuch.
Happy Birthday. Feier schön.
Reg
Feiern.
Regs Gedanken drifteten ab.
Wie mochte sein großer Bruder seinen Ehrentag wohl feiern.
Wahrscheinlich mit seinen 3 Blutsverräterfreunden und viel Feuerwhiskey und Mädchen.
Ein spöttisches Grinsen umspielte Regulus Lippen, als er daran dachte, wie sein Bruder wohl gerade neben einer wildfremden Hexe aufwachte, nachdem er in seinen Geburtstag reingefeiert hatte.
Es würde zu ihm passen.
Zu ihm und seinen tollen Freunden.
Würde er wohl auch Weihnachten mit ihnen feiern?
Und Silvester?
Das sind alles Fragen,
auf die wir keine Antwort haben.
Wenn wir die Stunden zählen,
uns mit Fragen quälen.
Wehnachten.
Das Fest der Familie.
Regulus lachte bitter.
Wann war das letzte Mal sein Weihnachtsfest diesem Anspruch gerecht geworden?
Weihnachten war das Fest des sauberen Hauses, des guten Essens, der gestressten Hauselfen und der Fragen seiner entfernten Verwandten über seinen zukünftigen Werdegang.
Immerhin würde er ihnen dieses Jahr zufriedenstellend antworten können.
Regulus überlegte. Genaugenommen hatte er erst einmal so etwas wie den Geist von Weihnachten zu spüren bekommen.
Er war sechs und sein Bruder sieben.
Es war Heilig Abend und ihr Vater machte mal wieder Überstunden.
Ihre Mutter ließ ihren Festtagsstress in der Küche an den Hauselfen aus, die anscheinend die Weihnachtsgags hatten verbrennen lassen.
Wahrscheinlich war das der Punkt an dem er und sein Bruder beschlossen hatten, dass alle erwachsenen dumm sind, wenn sie nicht mal in der Lage waren, den in Kinderaugen schönsten Tag im Jahr richtig zu genießen.
Sie klauten eine riesige Dose Weihnachtsplätzchen aus der Vorratskammer und versteckten sich auf dem Dachboden.
Regulus erinnerte sich noch gut an die Bauchschmerzen die er nach dem Abend gehabt hatte. Und an Sirius, wie er ihm zeigen wollte, was er schon alles zaubern kann. Und an die nicht zerplatzenden Seifenblasen, die auf einmal aus Tante Belvinias alter Vase geflogen sind.
Und an sein schönstes Weihnachtsgeschenk.
Reg wusste genau, wo die Schokofroschkarte lag. Doch er wusste nicht mehr, wann er sich es das letzte Mal gestattet hatte sie heraus zu nehmen.
Wir wollten die Welt verändern,
für immer Freunde sein!
Wir wollten die Welt verändern,
alles geben und verzeihen!
Wir wollten gemeinsam durch das Feuer gehen.
Wir waren Helden,
die vom Heldsein nichts verstehen!
Was war nur aus ihnen geworden.
Sie hatten sich versprochen sich nie zu streiten so wie Pollux und Marius.
Sie waren immer einer Meinung, in den Fragen die Kinder als wichtig ansehen.
Sie wollten, wenn sie erwachsen sind einführen, dass kein Vater mehr lange arbeiten darf.
Sie wollten immer Weihnachten zusammen feiern.
Sie wollten alle Schokofroschsammelkarten teilen.
Regulus lächelte wehmütig. Wahrscheinlich war er der einzige von ihnen beiden, der daran überhaupt noch zurück dachte.
Wie kindisch von ihm.
Wie naiv.
Er blickte erneut auf das Pergament vor ihm.
Wie würde Sirius reagieren, wenn er die Eule bekommen würde.
Würde er sich freuen?
Würde er den Brief überhaupt öffnen, nachdem er den Absender gelesen hatte.
Das sind alles Fragen,
auf die wir keine Antwort haben.
Wenn wir die Stunden zählen,
uns mit Fragen quälen.
Plopp.
„Mister Black, Ihre Eltern erwarten sie bereits.“
„Sag ihnen, ich komme sofort, Kreacher.“ Der Hauself verbeugte sich tief und disapparierte wieder.
Reg stand auf und ging zur Tür. Im Haus zu apparieren machen nur Hauselfen oder Kindsköpfe.
Er warf einen letzten Blick zum Schreibtisch, hielt kurz inne und mit einer einzigen Bewegung seines Zauberstabes rieselten viele kleine, weiße Pergamentschnipsel in seinen Papierkorb.
Er steckte den Zauberstab weg und ging die Treppe hinunter, wo es schon angenehm nach Tee und Zimtplätzchen roch.
Das sind alles Fragen,
auf die wir keine Antwort haben.
Wenn wir die Stunden zählen,
uns mit Fragen quälen,
auf die wir keine Antwort haben,
Doch sind das nicht die Fragen,
die wir bis zum Ende -
mit zu Grabe tragen?
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