von Lady Black
Kapitel 2 – Männer und Bars
Unseren letzten Abend in Freiheit verbrachten wir also in unserer Bar.
Ja, es war definitiv unsere Bar. Und bei dem Gedanken daran, dass wir uns vor fast genau einem Jahr hier zum ersten Mal getroffen hatten, wurde ich ganz sentimental.
Ich nippte an meinem Whisky. Mittlerweile vertrug ich etwas mehr von dem Zeug. Trotzdem – man sollte sein Glück nicht zu weit auf die Spitze treiben, und so nippte ich noch an meinem ersten Glas, während Severus bereits sein drittes leerte.
„Ich sags dir lieber jetzt: wenn du später nach Alkohol stinkst, kannst du woanders schlafen“, murmelte ich. Er lachte bloß.
Natürlich – mal wieder – nahm er mich nicht ernst. Warum auch? Gut, er wusste, dass ich ihn nicht raus schmeißen würde... aber hey, das war kein Grund sich so über meine Drohung lustig zu machen!
Ich gähnte. Severus sah mich ungläubig an.
„Bist du schon müde?“, fragte er entsetzt. Okay, es war gerade mal neun Uhr. Aber ich war die letzten Nächte so unglaublich aufgeregt gewesen, dass ich schlecht geschlafen hatte. Ich, als Lehrerin. Ich und Kinder – ich und Unterrichten! Das alles war einfach so verdammt surreal.
„Sollen wir gehen?“, fragte er weiter.
„Nein“, sagte ich und rutschte von meinem Hocker.
„Ich geh mich nur kurz frisch machen.“ Voller Enthusiasmus drehte ich mich auf dem Absatz um und krachte natürlich sofort in jemanden hinein.
Dieser jemand verschüttete prompt sein gesamtes Getränk über mein Shirt.
„Verdammte Scheiße“, fluchte ich. Das war nicht das erste Mal, das jemand sein Getränk über mich schüttelte – doch es wurde mit der Zeit auch nicht weniger nervig.
„Können Sie nicht aufpassen?“, fuhr ich fort, den Mann, der mich an gerempelt hatte, an zu schreien.
„Entschuldigung“, sagte dieser schlicht. Bis jetzt gerade eben hatte ich noch nicht aufgesehen. Doch beim Klang seiner Stimme sah ich von meinem völlig durchnässten Shirt auf, in sein Gesicht. Vor mir stand wohl der am besten gekleidete Mann in dieser Bar, der zusätzlich auch noch unheimlich gut aussah. Blue Jeans, ein Hemd, bei dem die obersten Knöpfe offen waren und ein rot-brauner Ledermantel. Er hatte einen Drei-Tage-Bart und braune Haare – hängen blieb mein Blick allerdings an seinen Augen, die ein ungewöhnliches blau hatten.
Doch der Umstand, dass dieser Kerl unheimlich gut aussah, hielt mich nicht davon ab, ihn weiter an zu schreien.
„Entschuldigung können sie alle sagen! Anstatt dass Sie mal aufpassen!“
Jetzt wurde er auch unfreundlich.
„Sie hätten ja selbst aufpassen können. Anstatt dass sie sich hier so dämlich im Kreis drehen-“
„Im Kreis drehen? Ich bin von meinem verdammten Stuhl aufgestanden!“ Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf – allerdings war er noch immer ein ganzes Stück größer als ich.
„Gut, aber dann brauchen Sie mich doch nicht direkt so an brüllen!“, brüllte er zurück. Mittlerweile war es unglaublich still in der Bar, alle anderen Gäste sahen uns jetzt an. Severus, der mein Temperament inzwischen kannte, zahlte unsere Getränke, in weiser Voraussicht eines baldigen Aufbruchs.
„Hören Sie mal, Mister“, fauchte ich nun und bohrte meinen Zeigefinger in seine Brust – das heißt, ich versuchte es. Denn seine Brust war viel zu hart für meinen Finger, sie gab kein bisschen nach. Von dieser Tatsache etwas irritiert, vergaß ich, was ich sagen wollte. Also stotterte ich irgend einen Blödsinn.
„Sie hätten sich ja wenigstens mal entschuldigen können!“
Jetzt sah er mich völlig entgeistert an.
„Ich habe mich doch entschuldigt, und jeder andere Mensch, der nur halb so hysterisch ist, wie sie-“ Ich trat ihm vor sein Schienbein. Gut, kindisch. Ich weiß. Sehr kindisch. Und sehr Mädchen. Aber was solls? Es hatte den gewünschten Effekt.
„Autsch“, fluchte er und hielt sich sein Schienbein.
Ich wollte gerade etwas sagen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.
„Komm, wir gehen“, murmelte Severus und zog mich mit sanfter Gewalt aus den „Drei Besen“.
„So ein Arsch“, fluchte ich, als wir vor der Tür standen. „Arschloch.“
Ich fluchte den ganzen Weg nach Hause über den Mann, den ich an diesem Abend in jener Bar zum ersten Mal traf – nicht wissend, dass es nicht das letzte Mal sein sollte...
„Sei einfach du selbst“, sagte Severus, mittlerweile sichtlich genervt.
„Wirklich?“, fragte ich und sah ihn skeptisch an. Er zögerte.
„Naja... nicht ganz so du selbst wie gestern Abend, vielleicht“, fügte er dann hinzu.
Wir standen vor dem Portal von Hogwarts, hinter uns einige große Koffer, vor uns ein Jahr als Lehrer an dieser Schule. Und Gott, war ich nervös!
Ich wusste ja nicht, was auf mich zu kam. Genau genommen war dies mein zweites Jahr an dieser Schule, einige Schüler – fast alle – waren also schon länger hier als ich. Und jetzt sollte ich diese Schüler – meine ehemaligen Mitschüler – unterrichten. Okay, ich machte mir eindeutig zu viele Gedanken. Immerhin hatte ich nur die Flugstunden, kein besonders wichtiges Fach. Aber – erwähnte ich schon, dass ich Angst hatte?
Sowohl vor den Schülern – Kinder waren schrecklich, besonders zu Lehrern – als auch vor meinen neuen Kollegen. Was, wenn sie mich nicht mochten? Ich war einfach viel zu jung, um Lehrerin zu sein, gerade mal ein Jahr aus der Schule. Wenn ich also versagte, dann würden sich meine neuen Kollegen sicher über mich lustig machen, anstatt mich zu unterstützen. Es sei denn, sie mochten mich. Und darüber machte ich mir momentan die meisten Sorgen.
Es waren noch keine Schüler im Schloss, also warteten hinter diesem Portal nur meine neuen Kollegen, die teilweise meine alten Lehrer waren. Ich wusste nicht, wer geblieben war, wer neu war oder wer gegangen war. Aber das würde ich gleich erfahren.
„Bereit?“, fragte Severus, der genau wusste, wie nervös ich war. Logisch, ich hatte ihn ja auch die letzten Tage genug damit genervt. Teilweise bewunderte ich ihn für seine Geduld. Andererseits wusste ich, wie viel Kraft es ihn kostete, mich nicht einfach an zu brüllen, ich solle mir nicht in die Hose machen, mich würde schon keiner beißen. Diese Reaktion hätte vermutlich besser zu seinem Charakter gepasst, aber er gab sich – wie schon gesagt - Mühe, nett zu mir zu sein.
Ich atmete tief durch.
„Bereit.“
Severus öffnete die Tür und betrat die Eingangshalle. Noch einmal atmete ich tief durch, dann betrat ich hinter ihm das Schloss.
Unsere Koffer schwebten brav hinter uns her, als wir auf dem Weg in die Große Halle die Eingangshalle durchschritten, unterwegs zur ersten Lehrerkonferenz des Jahres.
Ich hatte keine Ahnung, wo mein Büro war oder wo ich leben würde, aber das würde mir sicher gleich mitgeteilt werden.
Severus stieß die Türen zur Großen Halle auf. Ich sah ein paar Leute am Lehrertisch stehen, in einem kleinen Grüppchen. Einige von ihnen erkannte ich. Da war zum Beispiel Professor McGonagall, klar. Aber auch Professor Sinistra, die Lehrerin für Astronomie, Professor Trelawney, die etwas irre Lehrerin für Wahrsagen und Professor Sprout, meine liebste Lehrerin im letzten Jahr, die Kräuterkunde unterrichtete. Und...
Abrupt blieb ich stehen.
Jack Hardy. Scheiße. Verdammt. Klar, vermutlich hätte ich damit rechnen müssen ihn hier anzutreffen. Aber scheinbar hatte ich diese Tatsache ziemlich erfolgreich verdrängt.
Und jetzt stand er da. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit jenem Abend, an dem ich mich gegen ihn entschieden hatte...
Und – Scheiße, er sah gut aus! Nein, eigentlich nicht gut – besser als gut, perfekt.
Er trug ein enges, graues T-Shirt, dunkelblaue Jeans und darüber seinen schwarzen Reiseumhang. Ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihm wenden, so sehr ich es auch versuchte. Es ging nicht. Ich wollte, wirklich. Aber es ging nicht.
„Jules, ist alles in Ordnung?“, fragte Severus nun, der bemerkt hatte, dass ich stehen geblieben war und zu mir zurück gekommen war. Liebevoll strich er über meine Wange, was mich sofort in die Realität zurück holte.
Klar, seine Frage war rhetorisch gewesen. Er wusste, was mich beschäftigte. Er sah ja auch, wie ich zu Hardy starrte.
Natürlich hatte er mit Absicht über meine Wange gestrichen - mit böser Absicht. Denn mittlerweile sah Hardy mich auch an. Und er sah, wie Severus mein Gesicht streichelte.
Beschämt senkte ich meinen Blick.
Das musste nicht sein. Ich hatte ihn schon genug verletzt. Indem ich Severus gewählt hatte, hatte ich ihm genug weh getan. Dann musste ich ihm jetzt diese Beziehung nicht auch noch unter die Nase reiben.
Aber Severus musste es natürlich. Sicher. Er mochte Hardy nicht und hatte keinerlei Mitleid. Und offensichtlich würde er sich bei ihm nicht bemühen, nett zu sein.
Ich atmete tief durch, dann sah ich wieder auf und ging weiter. Severus mit mir. Schüchtern – ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Wort einmal in einem Satz mit mir sagen würde, aber ja, schüchtern – sah ich zu Hardy.
Zu meinem großen Erstaunen sah er kein bisschen so aus, wie ich erwartet hatte, dass er aussehen würde. Nicht total verletzt. Seine Augen sahen ein wenig traurig aus, aber ansonsten wirkte er so, als ob ich sein Herz nicht gebrochen hätte.
Vielleicht hatte ich mir einfach zu viele Gedanken gemacht, vielleicht machte ihm die Tatsache, dass ich ihn nicht gewählt hatte, nichts aus.
Nein, ich hatte mich nicht geirrt. Als er von mir zu Severus blickte und als ich den Hass in seinen Augen aufblitzen sah, wusste ich, dass ich mich nicht geirrt hatte. Jack Hardy war kein Mann, der einen Anderen einfach so hasste.
„Julia, schön Sie zu sehen!“, begrüßte mich McGonagall, als wir das Grüppchen meiner neuen Kollegen erreicht hatten, und schüttelte stürmisch meine Hand.
„Severus“, fügte sie hinzu und nickte ihm kurz zu. Ja, er wurde halt auch nicht beliebter.
„Es ist auch schön Sie zu sehen, Professor“, erwiderte ich.
„Ach, lassen Sie doch das „Professor“ sein! Sie sind jetzt ja selbst „Professor O’Brien“, nennen sie mich einfach Minerva!“ Minerva. Gruselig. Diese Fröhlichkeit, meine ich.
„Okay, Minerva“, murmelte ich.
„Ich bin Ihnen ja so dankbar, dass Sie den Job übernommen haben! Ich meine, der Flugunterricht macht den Schülern doch immer so viel Spaß, da wäre es doch schade gewesen, wenn dieser nicht mehr möglich wäre!“, fuhr McGonagall stürmisch fort.
Woher diese gute Laune? Sie strahlte förmlich. Das war nicht die Lehrerin, die ich aus dem letzten Jahr kannte. Vielleicht... ja, der Krieg verändert viele Menschen. Aber so stark...? Vielleicht war sie nervös. Vielleicht wollte sie auch einfach nur einen guten Eindruck bei den neuen Kollegen hinterlassen.
Aber bis jetzt hatte ich noch kein neues Gesicht entdeckt...
„Julia!“, sagte Professor Sprout nun auch, um mich zu begrüßen, und schüttelte meine Hand.
Ich schüttelte weiter brav die Hände meiner neuen Kollegen – ehemaligen Lehrer – bis ich schließlich alle begrüßt hatte. Okay, fast alle.
Ja, ich hatte Hardy ausgelassen. Ja, ich war feige, verdammt. Jetzt blieb mir allerdings nichts Anderes übrig...
„Jules“, flüsterte er, als ich vor ihm stand. Die anderen, um uns herum, redeten schon wieder munter miteinander und verpassten so diese Szene. Severus sprach mit McGonagall. Auch von ihm hatte ich keine Hilfe zu erwarten.
Ich errötete.
„Jack“, flüsterte ich, schrecklich peinlich berührt.
Er zögerte kurz, beugte sich dann aber vor und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Ich errötete nur noch mehr.
Doch damit nicht genug, zum Abschluss drückte er mich noch kurz, aber fest, an sich.
Ich glaube nicht, dass ich durch irgendwelche Superlative dem Grade des Rotes meines Gesichts gerecht werden kann. Deswegen drücke ich es einmal so aus: ich wäre am liebsten im Erdboden verschwunden.
Sofort.
„Hattest du schöne Ferien?“, fragte er mich, sobald wir uns wieder voneinander gelöst hatten.
„Ja, schon“, stotterte ich.
Ich wusste nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Deswegen schwieg ich danach. Eine Minute schwiegen wir uns an, bis er wieder das Wort ergriff.
„Wie war dein Geburtstag? Hast du dich über mein Geschenk gefreut?“, fragte er. Ja, das war so eine Sache gewesen. In den Ferien war mein 18. Geburtstag gewesen. Volljährig – nach Muggle-Gesetz. Und natürlich hatte er daran gedacht. Und natürlich hatte er mir auch etwas geschenkt.
Feige, wie ich war, hatte ich das Geschenk vor Severus versteckt. Trotzdem war es in meinem Koffer – die wohl schönste Schreibfeder, die ich je gesehen hatte. Und ja, ich hatte mich gefreut!
„Danke, ja. Die Feder ist wunderschön. Und die Feier war...“ Ja, wie war die Feier? Peinlich. Severus war da gewesen, natürlich. Und meine Mutter, natürlich. Muss ich noch viel mehr sagen?
„Das freut mich“, murmelte er und lächelte.
Gott, dieses Lächeln! Scheiße, verdammt! Ich zwang mich selbst mir nicht vor zu stellen, wie es wäre, dieses Lächeln mit meinen Lippen zum Verschwinden zu bringen... Ich hatte mich verdammt noch mal für Severus entschieden!
Und diese Entscheidung wollte ich auch nicht ändern, nur weil dieser Kerl hier gut aussah...
Ich liebte Severus.
Bevor die Stille peinlich wurde, und ich gezwungen war, etwas zu sagen, hörte ich eine Stimme hinter mir, die mir den Magen umdrehte.
Wie war noch gleich die Sache mit dem Erdboden?
„Na, wen haben wir denn da? Die hysterische Frau aus der Bar arbeitet also auch hier.“
Langsam drehte ich mich um.
Und wäre am liebsten sofort weg gerannt.
Hier vor mir, in der Großen Halle von Hogwarts, meinem neuen Arbeitsplatz, mit einigen großen Koffern hinter sich, stand der Mann, den ich von gestern Abend aus jener Bar kannte.
TBC
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