von Lady Black
Kapitel 5 – Der reinste Wahnsinn
Für einen kurzen Moment vergaß ich, wieso ich eigentlich hier war. Die Freude darüber, meine beste Freundin wieder zu sehen, war einfach zu groß.
Also ließ ich meinen Besen fallen und rannte auf sie zu.
„Niiiiii“, kreischte ich, während Niamh meine Hände nahm und wir beide – wie Kleinkinder – begannen auf und ab zu hüpfen.
„Hi“, kreischte sie zurück und imitierte meinen Tonfall perfekt. Lag das auch daran, dass sie ein Metamorphmagus war?
„Niamh, ich bin Lehrerin, was sagst du dazu?“, quiekte ich.
Niamh, die sich dieser Tatsache plötzlich bewusst zu werden schien, hörte auf zu hüpfen und ließ meine Hände los.
„Ja, das sind Sie, Professor O’Brien“, grinste sie dann.
Peinlich. Und das auf so vielen Ebenen.
Etwas zaghaft und ein wenig steif sah ich jetzt also die anderen Schüler, die um mich herum standen und mich ansahen, als ob sie ernsthaft an meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifeln würden, an. Alle, außer Josh – natürlich. Er grinste. Und Ginny sah so aus, als ob sie ja schon immer gewusst hätte, dass ich nicht zurechnungsfähig, sondern vollkommen irre war.
Ich räusperte mich.
„Hallo“, sagte ich.
Ich drehte den Kopf zurück zu Niamh. Diese bemühte sich, ernst zu gucken, musste aber dann doch lachen, was mein Unbehagen ein wenig minderte.
Ich zwang mich zu einem lächeln und wandte mich wieder zur Klasse.
„Ich bin Professor O’Brien“, fuhr ich fort.
„Hallo, Professor O’Brien“, sagten Josh und Niamh im Chor.
Die Gesichtsausdrücke der restlichen Schüler in diesem Moment brachten mich tatsächlich zum Lachen und lockerten diese ganze peinliche Situation auf.
„Verdammt, Schmidt, passen Sie auf, wo Sie hin fliegen“, schrie ich Josh zum wiederholten Mal an.
Klar, er konnte fliegen. Und das zeigte er auch. Vermutlich wollte er eine der anwesenden – vermutlich weiblichen – Personen beeindrucken. Und ich wurde den Verdacht einfach nicht los, dass es sich bei dieser Person um mich handelte. Das erste, was er mir gesagt hatte, war, dass ich ihn jetzt doch nicht „Mister Schmidt“ nennen brauchte, wir seien doch Freunde – natürlich nannte ich ihn jetzt erste Recht so. Und dass er der neue Kapitän der Quidditchmannschaft von Gryffindor war, konnte er mir natürlich auch nicht verschweigen.
Aber mit seinen verdammt gefährlichen Manövern gefährdete er noch einen der anderen!
„Sorry, Professor“, rief Josh und grinste mich an – wobei er einen Looping flog.
Der Unterricht verlief entspannter, als ich gedacht hatte. Einerseits war der Kurs sehr klein – nur die Gryffindors des siebten Jahres, was nur 11 Leute waren, andererseits konnten die meisten von ihnen bereits gut oder sogar sehr gut fliegen.
Also übten wir einige neue Flugmanöver – eine Schleife – und spielten schließlich eine Runde Quidditch, 6 gegen 6. Mein Team gewann haushoch.
Josh und Ginny hatten die Teams gewählt. Wundert es irgend wen, dass es nicht Ginny, sondern Josh war, der mich wählte? Niamh wurde auch noch in unser Team gewählt und so hatten die anderen leider keine Chance mehr.
Zudem war dieser Colin Creevey der Einzige, der wirklich nicht fliegen konnte. Und den hatte Ginny als erstes gewählt.
Jedenfalls war die Stunde unglaublich schnell wieder vorbei und ich ging die restlichen Stunden des Tages mit einem unglaublichen Hochgefühl an.
Was jedoch nicht lang anhalten sollte.
Erstens Mal konnte ich mir keine Namen merken. Das fiel mir jetzt auf, irgendwie sahen alle Schüler gleich aus. Wieso hatten die denn neuerdings wirklich alle die gleiche Frisur?
Und die Umhänge, die bei allen gleich waren, unterstützten diesen Eindruck ungemein.
Zweitens waren sie nicht lustig. Sie verstanden meinen Humor einfach nicht.
Ein verdammter Erstklässler – Billy Boyd, den ich schon von seinem Namen her einfach unglaublich komisch fand! - kam wohl nicht mit dem Witz klar, den ich über seinen Namen machte und fing direkt an zu heulen. Was konnte ich denn bitte dafür, wenn dieser Junge einen so bescheuerten Namen hatte? Darüber musste man sich doch lustig machen!
Die Feinfühligste war ich ja noch nie gewesen, deswegen hatte ich diesem Jungen nur gesagt, er solle sich nicht so anstellen und dass er ja heiraten konnte, dann war der Name weg, aber anstatt sich für diesen Tipp zu bedanken, streckte mir dieses scheiß Kind die Zunge heraus. Hufflepuff hatte daraufhin 20 Punkte weniger.
Mein Tag war daraufhin gelaufen, die restlichen Schüler würden mich wohl nicht in einer positiven Erinnerung behalten. Freundlich war anders, das war mir bewusst.
Ziemlich schnell merkte ich, dass ich mein Büro und den darin enthaltenen Platz zum Nachsitzen doch noch gebrauchen würde. Doch unglaublicher Weise kamen die Schüler an diesem Tag noch einmal so davon.
„Ich bin tot“, stöhnte ich, als ich mich Stunden später vor meinem warmen Kamin auf mein Sofa fallen ließ.
„Jetzt übertreibst du aber! Die meisten Schülerinnen und Schüler sind doch sehr nett“, sagte Jack Hardy, der neben mir auf dem Sofa saß.
Ungläubig sah ich ihn an und verdrehte die Augen.
Wäre Severus jetzt hier gewesen, wäre der Kommentar zu dieser Äußerung ein anderer gewesen. Ganz sicher.
Aber der feine Herr Snape hatte natürlich keine Zeit für mich. Immerhin war der erste Schultag des Schuljahres und er musste das erste Nachsitzen des Jahres genießen. Den Schüler, dem diese Ehre zuteil wurde, kannte ich bis dato nicht. William Anderson, hieß er. Er war in Gryffindor, im fünften Jahr, und scheinbar Severus' neuer Hass-Schüler. Jedenfalls hatte es so geklungen, als Severus beim Abendessen von ihm berichtet hatte.
Dieser Schüler hatte scheinbar die Dreistigkeit gehabt seinen Unterricht zu stören.
Und jetzt verbrachten die beiden den Abend allein, in Snapes Büro.
Wäre dieser William Anderson eine junge, blonde Schülerin gewesen, hätte ich mir eventuell Gedanken gemacht.
So aber saß ich nun hier, in meinen Räumen, meinem neuen zu Hause. Mit Jack Hardy, der vor etwa zehn Minuten vorbei gekommen war. Er hatte mir stumm dabei zugesehen, wie ich den Unterricht für morgen vorbereitet hatte – beziehungsweise vorbereiten wollte. Was sollte man für Flugunterricht schon großartig vorbereiten? Ich ordnete also meine Kurslisten und polierte meinen Besen. Nach zehn Minuten war ich allerdings fertig und beschloss so, mich ein wenig zu entspannen. Wenigstens kam ich mir so vor, als hätte ich etwas Lehrer-artiges getan.
„Also... Jack“, noch immer fand ich es merkwürdig, seinen Vornamen zu benutzen, wo ich doch auch als „Hardy“ von ihm dachte, „Wieso bist du hier?“
„Soll ich wieder gehen?“, fragte er und legte erst ein linkes Bein auf den Couch-Tisch, danach sein rechtes darüber. Seine Frage war also offensichtlich rhetorisch.
„Nein, mach es dir bequem“, seufzte ich und zog meine Beine an.
„Hab ich schon“, grinste er.
Ich schnaubte. Ja, nicht nur das. Er hatte auch gekonnt von meiner Frage, wieso er überhaupt da war, abgelenkt.
Irgendwie wollte ich aber auch nicht, dass er wieder ging. Ich wollte einfach nicht allein sein. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass es ihm ähnlich ging.
„Also, wie war dein erster Tag?“, fragte er nach fünf stillen Minuten.
Ich schreckte hoch – bis dahin hatte ich ins Feuer gestarrt und war mit meinen Gedanken ganz woanders gewesen.
Ich sah ihn an und bemerkte ein merkwürdiges Glitzern in seinen Augen. Hatte er mich beobachtet, wie ich ins Feuer gestarrt hatte?
„Es ging so“, sagte ich.
„Machen dich die Schüler schon wahnsinnig?“, fragte er, wobei er seine Füße vom Tisch nahm, sich die Schuhe abstreifte und sich im Schneidersitz mit dem Gesicht zu mir auf das Sofa setzte.
„Schon ein bisschen“, grinste ich.
„Sehr wahnsinnig?“, flüsterte er und neigte sich näher zu mir. Mir lief ein Schauer über den Rücken.
„Viel zu sehr. Viel mehr, als du dir je vorstellen könntest“, erwiderte ich und streckte ihm die Zunge heraus.
„Oh, das glaube ich nicht“, murmelte er so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ich das hören sollte. Er lehnte sich wieder zurück und wandte den Blick ins Feuer.
„Was meinst du damit?“, fragte ich.
Er reagierte nicht.
„Jack, was meinst du damit?“, fragte ich noch einmal und streckte meine Hand aus, um sein Gesicht zu drehen.
Noch bevor ich sein Gesicht erreicht hatte, stand er auf und ging zwei Schritte. Mit dem Gesicht zum Kamin blieb er stehen und sagte weiterhin nichts.
„Glaubst du vielleicht, dass du mich im letzten Jahr nicht wahnsinnig gemacht hast?“, sagte er nach einigen Minuten des Schweigens mit einer sehr klaren, durchdringenden Stimme.
Jetzt drehte er sich um und sah mich an.
„Glaubst du eigentlich, dass es ein schönes Gefühl ist, eine Schülerin so sehr zu mögen? Glaubst du, dass es einem nur schlecht geht, wenn die Schüler nerven und man sie eben nicht mag?“
Theatralische Pause.
„Dir geht es nicht schlecht, denk doch mal etwas positiver, Jules“, zischte er schließlich und setzte sich wieder schwungvoll auf das Sofa.
„Das tut mir... Leid“, murmelte ich, nachdem ich meine Gedanken endlich gesammelt hatte.
„ich wollte das nicht... du weißt, dass ich das niemals wollte, oder? Und... du hast gesagt, dass es gut ist, dass du mir nicht böse bist und-“ „Bin ich auch nicht“, unterbrach er mich.
Er atmete einmal tief durch und drehte sich dann wieder zu mir.
„Glaub mir, ich versuche dir nicht mehr böse zu sein“, murmelte er und strich mit seiner Hand über meine Wange.
Der Abend wurde immer später und die Stimmung zwischen uns immer besser. Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass dieser Abend so gut werden könnte, nachdem Severus mir verboten hatte, ihn zu besuchen.
Zehn Uhr, klar, das war zu spät. Der feine Herr brauchte schließlich seinen Schlaf.
Mittlerweile hatten Jack und ich zwei Flaschen Rotwein geleert. Zur Feier meines ersten Arbeitstages, sozusagen.
„Was hältst du eigentlich von diesem Crewdson?“, fragte ich Jack, an dessen Schulter mein Kopf inzwischen lehnte. Dafür, dass ich keinen Alkohol vertrug, war ich noch ziemlich klar im Kopf.
„Marian? Ich weiß nicht. Ich finde ihn irgendwie unsympathisch. Aber gut aussehen tut er“, murmelte er und spielte ein wenig mit meiner Hand, die auf seinem Schoß lag.
So, wie wir da saßen, schienen wir ziemlich vertraut miteinander. Aber irgendwie war mir das nicht unangenehm.
„Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie kommt er mir bekannt vor“, sprach ich aus, was ich seit gestern schon dachte.
„Mhm“, machte Jack nur.
„Er ist so... still“, fuhr ich fort.
„Und kalt. Oder kommt mir das nur so vor?“
„Wer weiß, wenn du ihn besser kennen lernen würdest“, murmelte Jack.
„Ich will ihn gar nicht besser kennen lernen“, erwiderte ich.
„Ich will auch nicht, dass du ihn besser kennen lernst...“
Er klang so, als würde er gleich einschlafen. Wenn nicht bald etwas Überraschendes passieren würde, würde er sicher auch heute Nacht wieder hier schlafen.
Und dieses Überraschende kam auch, als die Tür auf flog und jemand meinen Namen auf eine Art und Weise sagte, die mehr wie ein anklagendes Fluchen klang.
TBC
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