von LittleElventhing
Lily stand im Schlafsaal der Mädchen vorm Spiegel und band sich die roten Haare eilig zu einem Zopf. Sie war wie immer spät dran. Alice wartete sicher schon. Aber wer hätte ahnen können, dass eine Stunde in der Bibliothek so schnell umgeht. Und jetzt war auch noch das Haargummi zu weit. Anscheinend wollte die Welt einfach nicht, dass sie pünktlich kommt. Entnervt zog sie sich das Band wieder aus den Haaren, zog es über ihr linkes Handgelenk und fuhr sich mit der anderen Hand durch ihre roten Haare. Offen trug sie sie im Endeffekt doch sowieso immer am liebsten. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, wobei sie ihren Augen besondere Beachtung schenkte…Ja, das könnte gehen. Der Kühl-Zauber hatte gewirkt und das Abdeck-Puder, was sie aus einem Muggel-Laden hatte, erledigte den Rest. Lily war sich sicher, dass nicht einmal Alice etwas merken würde. Und das war auch gut so. Was hätte sie auf Fragen schon antworten können?
Aber jetzt musste sie los. Schnell griff sie ihren Mantel und ihre Tasche, hastete aus dem Schlafsaal in den Gemeinschaftsraum und stieg durch das Porträtloch auf den Flur. Als sie an der Treppe ankam, die zur Eingangshalle führte, rannte sie förmlich. Sie sollte sich dringend so etwas wie einen Wecker zu legen. Sie würde es bei ihren Eltern in ihrem nächsten Brief als Weihnachtsgeschenk anmelden. Sie sprintete die Treppe in großen Sätzen hinunter und nahm die letzten paar Stufen auf einmal. Das hätte sie besser nicht tun sollen. Lily strauchelte, verlor das Gleichgewicht und taumelte direkt in eine schwarzhaarige Gestalt, die gerade auf dem Weg zur Treppe war. Eine Gestalt die ganz bestimmt nichts im Gryffindor-Turm zu suchen hatte.
I'm seein red
Don't think you'll have to see my face again
„Was machst du denn hier?“, fuhr sie ihn barsch an.
Severus zuckte beim Klang ihrer harten Worte unwillkürlich zusammen.
Dann wurde er rot.
„Ich dachte… ich könnte… du könntest vielleicht… wir….” Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und stierte auf den glänzenden Marmorfußboden.
“Achso… du hast gedacht…” Lilys Stimme war nun kalt wie Eis.
„Schön, dass du mal damit angefangen hast! Vielleicht tust du’s in Zukunft mal BEVOR du irgendetwas sagst!!!! Und jetzt geh mir aus dem Weg!”
Sie schob sich an ihm vorbei und ging, ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen weiter.
Dont have much time for sympathy
Cause it never happened to me
“Lily!!” In Severus Stimme lag so etwas wie Verzweiflung.
Sie drehte sich um. Er war ihr mit großen Schritten gefolgt und blickte sie nun mit schmerzerfüllten Augen an.
„..Lily…?...“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, eine Frage, eine Bitte.
Sie reagierte nicht. Starrte ihn nur mit regungslosem Gesicht an.
Er senkte den Blick.
„Lily… ich hatte gehofft… ich…“
Lily hörte den Schmerz in seiner Stimme.
Und sie wusste, dass sie Schuld an diesem Schmerz war.
Unter normalen Umständen hätte sie sich jetzt schlecht gefühlt. Sie ertrug es nicht anderen Menschen weh zu tun und erst recht nicht ihrem besten Freund, ihrem
ehemals besten Freund.
Unter normalen Umständen, ja, doch nicht unter diesen Umständen.
Vielmehr erlebte sie ein, ihr bisher unbekanntes Gefühl der Genugtuung.
Ja, er sollte ruhig auch leiden. Sich so fühlen wie sie sich gefühlt hatte.
„…ich hatte gehofft du würdest vielleicht noch einmal mit mir reden.“, fuhr Severus fort.
„Ich wüsste nicht, dass wir uns noch etwas zu sagen hätten.“
Lily war überrascht von sich selbst, wie kühl ihre Stimme war, wie ruhig sie war.
Severus senkte den Kopf.
Er würde nicht noch einmal erneut ansetzten.
Sie hatte gewonnen.
Sie konnte gehen.
Doch Lily blieb stehen.
Blieb stehen und guckte Severus unentwegt weiter aus ihren grünen Augen an, die nun katzenhaft zu Schlitzen verengt waren.
Sie wusste selbst nicht genau was sie hielt, doch sie verspürte den nicht zu unterdrückenden Drang zu bleiben. Immer noch da zu sein, wenn er hochguckte. Seinen Blick zu erwidern.
Sie würde das hier zu Ende bringen.
You're feelin blue now
I think you bit off more than you could chew
Sie merkte, wie Severus langsam nervös wurde.
Er wartete.
Genauso wie sie.
Er wartete darauf, dass sie etwas sagen würde, der vermeintliche Grund, weshalb sie noch so lange hier stand.
Wartete darauf, dass sie ihm den nächsten Schritt abnehmen würde. Doch den Gefallen würde sie ihm nicht tun.
Es war still in der Eingangshalle.
Kein Wunder, es war Samstagnachmittag und die meisten Schüler waren in Hogsmeade oder lungerten in den Gemeinschaftsräumen rum. Lily hörte, wie irgendwo im Schloss eine Tür zu knallte. Dann war wieder Totenstille.
Sie hatte den Blick immer noch nicht von Severus gewand.
Er trug wie immer einen schäbigen, schwarzen Mantel und eine, für seine zierliche Statur viel zu weite, schwarze Hose. Er hatte den Kopf gesenkt, so dass ihm seine Haare ins Gesicht fielen.
Lily mochte seine Haare.
Für einen Moment durchzuckte sie der Impuls einfach drei Schritte vor zu gehen und ihm über den Kopf zu streicheln. So wie in der Nacht, als seine Eule gestorben war. So wie damals – damals, als sie noch auf ihn zugegangen wäre.
Lily schüttelte sich unwillkürlich. Typisch für sie, jetzt nostalgisch zu werden.
Severus war ihre Bewegung natürlich nicht verborgen geblieben.
Erwartungsvoll blickte er nun auf.
Sie hatte ihn noch nie so traurig gesehen.
Seine dunklen Augen ruhten auf ihr. Der Ausdruck in ihnen war fast schon flehend.
Das war der Moment, in dem sie beschloss ihn Anzuhören, ihm eine Chance zu geben. Vielleicht war ja alles nur ein Missverständnis. Vielleicht konnte er alles erklären. Vielleicht sollte sie ihm verzeihen. Ihm, wie er da stand, in seinem schäbigen Mantel und seiner viel zu großen schwarzen Hose.
Doch es ging nicht. Sie konnte nicht, selbst jetzt, als sie es vorhatte. Ihr Körper wollte ihr einfach nicht gehorchen. Anstatt auf Severus zu zugehen, stand sie nur weiter da und blickte ihn kalt an. Ruhig, gefasst.
Viel ruhiger, als sie sich eigentlich fühlte.
Es war, als wäre mitten in der Einganshalle auf einmal ein magischer Schild gespannt. Eine unsichtbare Wand, welche es ihr unmöglich machte auf Severus zu zugehen. Geschweige denn etwas zu ihm zu sagen.
Sie konnte nur dastehen.
Dastehen und mit ansehen, wie Severus Trauer sich immer mehr in Wut wandelte.
Sie konnte es verstehen.
Nicht einmal er hatte so eine Behandlung verdient.
Doch sie konnte nicht durch die Wand.
„Sieht so aus als wär’s das gewesen.“, hörte sie sich sagen.
Bitte nicht.
Mach was!
And now it's time to make a choice
And all I wanna hear is your...
„Ja, sieht so aus.“ Severus Stimme war nun ebenso hart wie ihre.
Lily schluckte.
Er wirkte nun ernst und gefasst. Wahrscheinlich bereute er es überhaupt gekommen zu sein.
Das geschah ihr recht.
„Also hattest du mir wirklich nichts mehr zu sagen.“ Ihr provozierender Unterton war das Ergebnis reinen Selbstschutzes.
„Anscheinend nicht.“
And foolish lies
Well can't you see I tried to compromise
“DU VERDAMMTER ARSCH!!!” Lily verlor die Beherrschung. Das war so nicht geplant. Das mit der kühlen Schulter war ihre Nummer. Darauf war sie nicht vorbereitet. Vor allem war sie nicht darauf vorbereitet, dass es sie so treffen würde. Sie kochte vor Wut.
„Dann hau doch endlich ab, wenn du mir nichts mehr zu sagen hast. Oder nein, bleib lieber noch 30 Sekunden, bis du alles weißt, was ich dir zu sagen habe. Zum Beispiel, dass ich mich frage, wie ich mich so viele Jahre so sehr in dir täuschen konnte. Wie ich nie merken konnte, was für ein ignorantes Arsch du eigentlich bist. Und wie ich ernsthaft glauben konnte, dass du anders bist als deine…. Haus-kameraden.“ Lily sprach die 5 Silben mit so viel Verachtung wie nur irgendwie möglich aus.
Cause what you say ain't always true
And I can see the tears in your eyes
Sie sah ihn an. Sie wollte sehn, was ihre Worte für eine Wirkung gehabt hatten.
Er hielt ihrem Blick nur kurz stand, blickte dann weg. Doch dieser kurze Moment reichte, damit sie sich wieder besser fühlte.
Sie hatte wieder die Oberhand, sie hatte die Situation wieder im Griff. Sie wusste, jetzt wäre der Moment um einzulenken. Der Feind war am Boden, sie hätte ehrlich gewonnen.
Wenn sie noch vorhatte irgendetwas zu retten, dann jetzt.
Doch sie konnte nicht.
Sie wollte noch einmal rein treten.
Sie wollte das letzte bisschen Glück in seinen Augen zerbrechen sehen.
„Ich kann die Rumtreiber inzwischen echt verstehen. Du bist einfach ein Niemand. Jemand ohne Rückgrat wie du verdient es nicht respektiert zu werden. Ich glaube ich hab den Fehler meines Lebens begangen, als ich mich entschloss dich gegen James Potter zu verteidigen. Im Gegensatz zu dir ist er vielleicht etwas nervig, aber er ist wenigstens aufrichtig und loyal.“
Severus lachte leise.
„Wurde auch langsam Zeit, dass du zu diesem Pack überläufst. Gibt in diesen Tagen nicht mehr viele, die noch ehrenamtlich für „Ein Herz für Schlammblüter“ arbeiten.“
And what you said now
Can't stop the words from running through my head
Schlammblut.
Schlammblut.
Schlammblut!!!!!!!
Auch nachdem längst wieder Stille eingekehrt war, hörte Lily das Wort immer noch. Es schwang förmlich noch im Raum. Lag in der Luft. Es war, als könnte man die Hand ausstrecken und es greifen.
Schlammblut!!!
Sie hörte immer noch die Verachtung in seiner Stimme.
And what I'd do to get through to you
But you'd only do it again
“Gut, dass wir das geklärt hätten.”
Lily bemühte sich ihre Stimme fest klingen zu lassen. Doch sie konnte nicht verhindern, dass sie sich abwenden musste. Er sollte ihre Tränen nicht sehen. Diese Blöße würde sie sich nicht geben. Ihr Gefühl, hatte sie richtig geleitet. Es hätte keinen Sinn gehabt zu ihm durchzudringen. Früher oder später hätte er es eh wieder getan. Dann lieber früher. Das war wohl das Beste. Sie hatte recht gehabt. Er war wirklich ein ignoranter Arsch und es nicht wert sich wegen ihm schlecht zu fühlen.
Doch sie konnte den Schmerz in ihrer Brust nicht ignorieren.
Er hatte es wieder getan.
Spätestens jetzt wäre der richtige Zeitpunkt zum Gehen gewesen. Doch Lily konnte immer noch nicht. Irgendetwas hielt sie davon ab sich umzudrehen und endlich Alice zu suchen, die sicher schon krank vor Sorge war, und was sie zwang zu bleiben. Sie wusste selbst nicht worauf sie wartete. Alles was sie wusste war, dass sie so nicht gehen konnte.
Nicht so.
Nicht jetzt.
Aber sie wusste auch, dass alles, was sie jetzt in ihrer Rage sagen würde, die ganze Situation nur noch schlimmer machte. Trotzdem konnte sie einfach nicht aufhören.
Aufhören den Kerl anzugiften, der ihr so wehgetan hatte und welcher sich nicht einmal wehrte.
Warum wehrte er sich nicht?
Warum bestritt er nicht alles was sie sagte?
Warum ließ ihn alles, was sie sagte so kalt?
Severus augenscheinliche Gelassenheit, und dass er sich überhaupt nicht zu ihren Vorwürfen äußerte, schaffte es, dass Lily immer aufgebrachter wurde.
Sie wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als das er sie endlich anschreien würde.
Sie würden sich beide anschreien, Dinge an den Kopf werfen, alles erklären und….
Lilys Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Irgendwie musste sie es ja schaffen ihn aus seiner Reserve zu locken und zum heißersehnten Wutausbruch zu bringen, in dem er ihre Anschuldigungen allesamt von sich weisen würde.
Hoffentlich.
„Deine Slytherin-Freunde sind bestimmt stolz auf dich, wenn du ihnen erzählst, dass du endlich aufhörst dich mit dieser Muggel-Hexe zu treffen. Passt so auch viel besser in das Idealbild eines vorbildlichen Slytherin-Schülers. Vielleicht hast du ja auch Lust dir so ein schickes Unterarm-Tattoo stechen zu lassen. Ich bin mir sicher du würdest viele Gleichgesinnte finden.“, fuhr sie ihn weiter an.
So follow the leader down
And swallow your pride and drown
“Vielleicht.”
Er klang nicht so als würde er diese Vorstellung sonderlich absurd finden. Vielmehr, als würde er gerade ernsthaft das Für und Wieder abwägen. Er verstand es sie zu provozieren. Lily schnaubte verächtlich. Er sollte bekommen was er wollte.
When there's no place left to go
Maybe that's when you will know
Lily blickte auf ihre Armbanduhr.
Verdammt. Sie war schon weit über einer halben Stunde zu spät dran. Das sprengte selbst den bei ihr sonst üblichen Rahmen. Sie wusste, sie könnte nun genauso gut gehen.
Worauf auch immer sie insgeheim wartete, es würde nicht eintreten. Und langsam wusste sie auch nicht mehr, was sie ihm noch zu ihrer seelischen Befreiung an den Kopf werfen sollte. Die ganze Sache fing langsam wieder an einfach nur noch weh zu tun.
Dieser ganze Scherbenhaufen.
Well I can confess,
I don't know what to make from all this mess
Lily hatte noch nie eine feste Beziehung gehabt. Folglich hatte sie auch noch nie eine Trennung erlebt, aber genauso hatte sie es sich immer vorgestellt.
Sie beide - hilflos und am Ende. Zu verletzt um einzulenken, zu stolz um ihre Verletzungen zu zeigen.
Severus sah sie an. Für einen Moment glaubte sie er öffne den Mund, um etwas zu sagen. Doch dann presste er abrupt seine schmalen Lippen aufeinander, so dass sie blass wurden und blickte sie aus seinen dunkelgrauen Augen stumm an.
Worte hätten nicht mehr sagen können, als dieser zugleich schmerz- und hasserfüllte Blick.
Don't have much time for sympathy
But it never happened to me,
„Ich muss dann jetzt los.“ Lily versuchte entschlossen zu klingen.
„Okay.“ Er blieb stehn. Warum ging er nicht einfach?
„Ich bin spät dran…“ Sie verlieh ihrer Stimme mehr Nachdruck.
„Ich weiß.“, er grinste. In dieser Situation hatte sein Lächeln fast schon etwas Arrogantes.
Lily holte empört Luft und setzte an, um etwas zu sagen. Dann hielt sie inne. Sie konnte ihn vielleicht anschreien, aber verhindern konnte sie dadurch auch nicht, dass er sie nach wie vor besser kannte, als jeder andere.
Sie senkte resigniert den Kopf.
Auch Severus hatte aufgehört zu grinsen und stierte wieder auf den blanken Fußboden der Eingangshalle.
you're feelin down now
I don't know where I'll be when you come around
„Okay, dann bis….“ Severus stockte. Anscheinend war er mit der Situation genauso überfordert wie sie. „Man sieht sich!“, beendete er den Satz und nickte knapp.
„Oder auch nicht.“ Lily hatte wieder zu ihrem schnippischen Ton zurück gefunden.
Glaubte dieser arrogante Dreckskerl etwas, sie würde ihn Übermorgen in der Zaubertrankstunde mit einem strahlenden Lächeln begrüßen, oder anderweitig Notiz von ihm nehmen. Glaubte er, es würde einfach alles ganz normal weiter gehen, bis auf das er jetzt ihr gegenüber nicht mehr zu dem Respekt verpflichtet war, der für beste Freunde reserviert ist. Wenn er jetzt ging, ohne noch etwas zu sagen, war die Sache für sie ein für alle mal gegessen. Wenn er jetzt ging.
And now it's time to make a choice
Lily brodelte schon wieder. Sie wusste nur selbst nicht genau auf wen sich diese Wut richtete. Auf Severus, weil er es wagte ihr so unter die Augen zu treten und er sie ein weiteres Mal aufs Heftigste beleidigt hatte, oder auf sich selbst, weil sie merkte, dass sie schon wieder zögerte, anstelle einfach selbst als Erste zu gehen.
Ihr Stolz meldete sich zu Wort. Sie schwor sich, wirklich endgültig mit dem Thema Severus abzuschließen, wenn er jetzt nicht….
„Bis Montag in Zaubertrank.“
Es war still im Schloss. Niemand rannte durch die Gänge, keine Uhr tickte und niemand knallte Türen zu. Es war wirklich ausgesprochen ruhig. Nichts Ungewöhnliches für einen Samstag. Und doch kam es Lily Evans an diesem Nachmittag ungewöhnlich, nahe zu unpassend still vor.
And all I wanna hear is your voice...
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