
von Lady_Selena
»Warte noch« zischte sie so leise, dass nur Macnair es hören konnte. Mit lauter Stimme sprach sie weiter
»Wer schickt euch und wer ist euer Anführer?«
Scheinbar unbehaglich bewegten sich die Werwölfe, Blicke schossen kreuz und quer durch den Kreis, bis ein älterer Mann, noch zerlumpter als alle anderen, antwortete
»Niemand schickt uns, Hexe!«
Vorsichtig zog Selena ihren Dolch, der bedeutend länger war, als die Messer ihrer Angreifer und legte sich die Spitze nachdenklich an die Lippe. Macnair warf einen schiefen Blick auf die Waffe und schmunzelte.
»Hmm… Dann verratet mir eines. Man erzählt sich, Werwölfe hätten mehr Respekt vor der Obrigkeit.«
Mit dem Wort »Obrigkeit?« schnellte ein jüngerer Werwolf mit gezücktem Messer auf Selena zu, die ihm die Hand verdrehte und das Messer klirrend zu Boden fiel. Kampferfahrung hatte dieser also nicht. Direkt vor ihr fügte der Werwolf hinzu
»Damit meinst Du doch nicht etwa dich, Hexe?« Selena verdrehte das Handgelenk noch ein wenig mehr, der Werwolf stöhnte vor Schmerz kurz auf, dann entließ sie ihn und er taumelte zurück zu seinen Artgenossen.
»Nein. Ausnahmsweise meinte ich mich nicht, mit Obrigkeit. Ich sprach von Fenrir Greyback, eurem Alpha.« Beim Namen des Anführers ging ein Rascheln durch den Kreis, wie ein Windhauch durch junge Bäume fährt.
»Worauf willst du hinaus, Weib?« fragte der Alte wieder. Wieder legte Selena den Dolch an ihre Lippen und antwortete bedacht
»Ich frage mich nur, wie es kommt, dass euer Anführer uns freiwillig ziehen lässt, wie es sich schickt, ihr aber der Meinung seid, uns aufzuhalten.«
»Was sich schickt für Menschen gilt nicht für uns.«
»Wisst ihr denn, was wir mit Fenrir besprochen haben? Vielleicht könnte es in eurem Interesse liegen, dass wir dem Dunklen Lord Bericht erstatten? Wer weiß, wer weiß.«
»Du sprichst mit der Zunge einer Schlange, Hexe!« Wieder gingen die Werwölfe in Angriffsstellung.
Diesmal ließ Selena sich nicht weiter bitten. Aus dem Augenwinkel heraus nickte sie Macnair zu, der ebenfalls in Verteidigungsstellung ging.
Die Werwölfe griffen mit gezückten Messern und gebleckten Zähnen an. Da Selena auf Grund dieser Übermacht nichts Besseres einfiel, schrie sie
»Protego!« woraufhin einige Werwölfe, die an diesem Schutzzauber abprallten, zurücktaumelten. Selena drehte sich um und Macnair nickte ihr anerkennden zu. Wieder stürmten die Werwölfe, zum Teil auf allen Vieren, auf sie zu. Selena sah kurz in die Ferne, sie mussten die Grenze des Apparierschutzes erreichen, möglichst ohne zu großes Blutvergießen.
Noch immer waren die beiden Magier von den Werwölfen eingekreist.
Macnair bemerkte beiläufig
»Verzeiht, aber ich glaube, Ihr habt uns mit dem Schutzzauber gefangen. Zwar können uns die Werwölfe nicht mehr erreichen, aber auch für uns ist ein Fortkommen unmöglich.«
Probehalber ertastete Selena die Barriere. Ihre Finger trafen auf festgewordene Luft. Macnair hatte Recht. Selbst, wenn sie sich bewegen würde, so bliebe die Barriere an Ort und Stelle. Ihr Gehirn arbeitete in rasender Geschwindigkeit: der Protego war nicht zu überwinden, von innen und von außen, aber sich darauf zu verlassen, dass die Werwölfe das Interesse verlören war töricht. Den Schutzzauber zu senken, würde den Angreifern, die immer noch dagegen anrannten sofort auffallen. Was sie brauchten war ein Ablenkungsmanöver.
»Macnair? Kann man Werwölfe schocken? Als ehemaliger Henker müsstest Du Dich damit doch auskennen.« er überlegte kurz, ehe er einräumte
»Natürlich, Mylady. Alle Zauber wirken genauso, wie auf normale Menschen.«
Die Werwölfe wurden immer noch nicht müde, gegen die Barriere anzurennen.
So leise, dass nur Macnair es hören konnte, flüsterte Selena
»Wir schocken die Werwölfe, die uns den Weg versperren, ich löse den Schutzzauber auf und dann laufen wir bis über die Grenze.«
Macnair schüttelte den Kopf.
»Die Zauber werden von innen an der Barriere abprallen und womöglich uns treffen.«
Das hatte Selena nicht bedacht und ein unverzeihlicher Fluch würde den Schutzschild in Sekundenbruchteilen zerschmettern und sie wären den wütenden Werwölfen schutzlos ausgeliefert.
Sorgsam musterte sie aus ihrer sicheren Zelle heraus die umstehenden Werwölfe. Kein Einziger hatte einen Zauberstab gezogen. Entweder waren es alles nichtmagische Werwölfe oder die Gesetze hatten sie ihnen abgenommen. Oder aber, die Zauberstäbe warteten noch versteckt in den zerschlissenen Kleidern.
Selena wurde, ob dieser Situation, immer frustrierter. Gereizt fuhr sie die Werwölfe an, die bei ihren Worten sofort innehielten
»Was wollt ihr von uns? Was bringt es euch, uns zu attackieren oder gefangenzunehmen? Wenn ihr uns hier als Geiseln nehmt, so werden wir, zur Not mit Gewalt, befreit werden. Tötet ihr uns, so werdet ihr angegriffen und ein Kampf bricht aus, den ihr wohl nicht überleben werdet. Haltet ihr uns fest, um uns bei Vollmond zu verwandeln, werden wir euch das nicht verzeihen und uns euch keinesfalls anschließen. Was bringt es euch also den, ohnehin wackligen, Frieden unserer Koexistenz zu gefährden? Ihr würdet nur alles zerstören, was ihr über Jahrzehnte hinweg aufgebaut habt! Kommt endlich zur Besinnung und lasst uns ziehen!«
Mit ihren Worten konnte sie wohl einige der Angreifer überzeugen. Schuldzuweisungen wurden laut und eine Handvoll der Werwölfe verschwand. Der Großteil aber blieb.
»Schweig still, Hexe!« knurrte der alte Mann, mit dem sie vorhin schon gesprochen hatte und der mitten in ihrer Fluchtbahn stand. »Politik interessiert uns nicht. Sie hat uns in der Vergangenheit nichts eingebracht, als Elend und Hunger und wird uns wohl auch in der Zukunft nicht voranbringen.
Was wir von euch wollen? Wir haben Hunger und wenn wir nicht zwingend alle Ansichten Greybacks teilen, so teilen wir zumindest seine Leidenschaft für Menschenfleisch. Der Großteil von uns, die hier leben, sind damit aufgewachsen, nur der Nachschub ist schwierig.«
Selena begann zu frösteln. Ihr Rang und ihre Aufgabe waren den Angreifern egal. Sie sahen nur Futter vor sich, doch Selena hatte nicht das geringste Verlangen, als Werwolf-Fraß zu enden.
Diplomatie war Selena ab diesem Moment egal. Wenn es Tote geben musste, um zu entkommen, dann würde es diese geben. Es zählte für sie nur noch das nackte Überleben.
Entschlossen und grimmig blickte sie Macnair an, der ihre Mimik sofort richtig als Angriffssignal deutete.
Selena ließ ihren Schutzzauber fallen, rote Lichtblitze folgten, als Macnair und sie gleichzeitig mehrere Werwölfe schockten. Bewusstlos sackten diese zusammen, doch die anderen schrien Zeter und Mordio. Aus den umstehenden Häuserruinen kamen Gestalten gelaufen, die sofort falsche Schlüsse aus den vermeintlich leblosen Köpern am Boden zogen. Selena und Macnair rannten um ihr Leben.
Menschen, die sich auf allen Vieren bewegten, folgten ihnen dicht auf den Fersen. Ohne zurückzublicken schossen die beiden Magier Schockzauber nach hinten. Selten hörten sie, dass sie getroffen hatten.
Selena spürte, wie ein Verfolger immer näher kam und blickte kurz über die Schulter. Mit einem hungrigen Ausdruck in den Augen und gebleckten Zähnen, sprang der Werwolf in langen Sätzen auf allen Vieren auf sie zu und erwischte mit seinen dreckigen Fingern den Saum ihres Umhangs.
Selena spürte den Ruck an ihrem Hals, der sie beinahe strangulierte. Unbeabsichtigt ließ sie ihren Dolch und ihren Zauberstab fallen und versuchte hektisch den Verschluss zu öffnen, doch schnell schnitt die Schnalle in ihre Haut. Der am Boden hockende Feind zog unerbittlich den Stoff zu sich, was Selena dazu veranlasste in die Knie zu gehen. Verzweifelt und erstickt rief sie nach Macnair. Zwei weitere Werwölfe hatten sie bereits erreicht und schlugen unerbittlich ihre Zähne in Selenas Oberarm und in ihr Bein. Schmerzerfüllt schrie sie auf.
Sie spürte, wie sie am Kinn gepackt wurde, ein furchtbarer Gestank nach Dreck, Schweiß und Blut stieg ihr in die Nase, dann wurde ihr Kopf nach hinten gedrückt und somit ihre Kehle entblöst. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Alte von vorhin seinen Mund aufriss und sich sein Kopf langsam ihrem Hals näherte.
Selena schloss die Augen, in Erwartung nun bald ihren letzten Atemzug zu tun, doch durch ihre geschlossenen Lider zeigte sich ein grünes Aufflackern, ein Surren war zu vernehmen, dann ließ der Druck an ihrem Hals nach.
Auch das Gewicht an ihrem Arm und Bein ließ nach. Sie öffnete die Augen und sah Macnair vor sich stehen, der einen Werwolf nach dem anderen schockte oder tötete. Er sah sie eindringlich an, also raffte sie sich ihren Zauberstab und ihren Dolch auf und erhob sich.
Dann rannten sie weiter in Richtung der Apparierschutzgrenze. Immer wieder schauten beide zurück, um diesmal auch kein Ziel zu verfehlen.
In höchster Konzentration versuchte Selena immer wieder zu apparieren, doch immer noch war es unmöglich gegen die plötzlich zähwerdende Luft anzukommen.
Irgendwann hatten sie die unsichtbare Linie übertreten und sie traten ein in die bekannte und zugleich erlösende Kompression der Apparation.
Erschöpft trafen sie auf der Landstrasse vor Malfoy Manor ein. Selena wies Macnair stumm an, das Haus ebenfalls zu betreten, schließlich hatte er sie gerettet, doch zum Sprechen war sie zu sehr ausser Atem.
Gemächlich liefen sie gemächlich über den Kiesweg, Selenas Oberarm brannte, ihr Bein ebenso. Sie wollte unbedingt wissen, was die Werwölfe mit ihr angestellt hatten.
Im Haus angekommen, trafen sie vorerst niemanden. Macnair bog auf dem oberen Treppenabsatz schon in Richtung der Gemächer des Dunklen Lords ab, doch Selena hielt ihn zurück.
»Hilf mir noch kurz. Bitte.« hauchte sie.
»Mylady.« nickte er und überließ ihr mit einer Handbewegung den Vortritt.
Sie führte Macnair in ihr ehemaliges Schlafzimmer, in der Hoffnung, dass es mittlerweile keinen anderen Bewohner hatte. Zum ersten Mal an diesem Tag hatte sie Glück, der Raum war unbelegt.
Ächzend ließ sich Selena auf dem Stuhl vor dem Waschtisch nieder und begann unumwunden ihren Rock nach oben zu schieben, um die Sicht auf die Wunde am Oberschenkel freizumachen. Es war ihr egal, dass Macnair ihr dabei zusah, schließlich würde er genauso viel zu sehen bekommen, würde sie einen kurzen Rock tragen. Er hielt sich jedoch weiter dezent neben der Tür auf, die er unterdessen geschlossen hatte.
»Mylady? Sollte ich nicht vielleicht besser gehen?«
Selena hatte den riesigen Bluterguss, der um die Zahnabdrücke entstanden war, mittlerweile entblöst. Genervt brauste sie auf
»Und wer soll mir das heilen? Ich bin verletzt worden, von diesen Monstern, falls Du es vergessen hast!«
»Nein, Mylady. Dies ist mir nicht entgangen. Soll ich…?«
»Natürlich sollst Du! Schau es Dir an und sag, wie schlimm es ist! Oder heil es!« fuhr sie ihn an.
Langsam und ehrfürchtig ging er auf sie zu und kniete sich neben ihren Stuhl. Mit sanften Fingern betastete er den Bluterguss, Selena zog dabei scharf die Luft durch die Zähne, dann meinte er fachmännisch
»Ihr hattet Glück, Mylady. Die Zähne haben den Stoff nicht durchdrungen und somit ist das Gewebe nur gequetscht. Den Bluterguss kann ich heilen, die Abdrücke werden allerdings bleiben. Wenigstens seid Ihr dann von den Schmerzen befreit.«
Selena lehnte sich zurück und Macnair ließ den hässlichen blaulila Fleck verschwinden. Der Schmerz ließ binnen Sekunden nach und die Haut schien, bis auf die punktartigen, in zwei Halbmonden angeordneten Vertiefungen, unversehrt.
»Die Biester haben Euch doch auch noch am Arm erwischt, richtig? Soll ich?«
»Natürlich sollst Du.«
Vorsichtig betastete Macnair den zerfetzen Stoff. Selena schaute ihm angespannt zu, da sie schon vorhin das Blut bemerkt hatte. Schließlich atmete sie tief durch und schweigend schälte sie ihren Arm aus dem Ärmel. Sie trug zum Glück ein Unterkleid, so dass sie nicht völlig entblöst vor dem Todesser saß.
Mit einem Reinigungszauber entfernte Macnair das Blut.
»Ihr habt Glück, Mylady. Die Haut ist nur oberflächlich angekratzt. Ich habe zwar keine Ahnung, was bei einem richtigen Biss passiert wäre, da der Werwolf nicht verwandelt war, aber es könnte schon sein, dass Ihr infiziert worden seid.«
Ein panischer Ausdruck trat in Selenas Augen. So schlimm konnte es doch unmöglich sein!
Wieder betastete er den Bluterguss und entfernte ihn, doch die Wunden vermochte er nicht zu heilen. Lag es daran, dass Selena wirklich angesteckt wurde? Sie wollte es sich nicht ausmalen.
Dann holte Macnair saubere Tücher und verband die Wunde, damit sie nicht wieder anfing zu Bluten.
Nachdem sie sich bei ihm bedankt hatte, forderte sie ihn auf, ebenfalls mit zum Dunklen Lord zu gehen, damit sie gemeinsam Bericht erstatten konnten. Macnair half Selena dabei, wieder in ihr Kleid zu kommen, dann verließen sie das Zimmer.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel