
von Lady_Selena
Der Kuss währte lange, länger, als Selena jemals geküsst wurde. Die Zeit stand still. Vollkommenes Glück umfing sie. Das wohl erste Mal, seit sie mit Tom liiert war, fühlte sie sich von ihm auch wirklich geliebt.
Sie wusste nun, dass sich alles würde zum Guten wenden.
Doch diese Illusion brach mit dem Kuss, den er beendete. Atemlos und immer noch umfangen von Glück schaute sie ihm in die rotglühenden Augen.
»Setz Dich. Es gibt noch mehr zu besprechen.«, sprach er kalt und leise.
Selena ließ sich in den nächsten Sessel fallen, ihr Gatte wählte einen ihr gegenüber, der gleichzeitig am Weitesten von ihr entfernt war.
»Ich entlasse Dich hiermit aus dem Dienst des Ministeriums. Du kannst mir nach dem Desaster keine Hilfe mehr sein, als Verbindung zwischen mir und den Werwölfen.«, damit überreichte er ihr eine Pergamentrolle, die eindeutig die Kündigung darstellte.
»Was mache ich stattdessen?«, fragte sie, nachdem ihre Vermutung nach dem Lesen bestätigt wurde.
»Nichts. Das heißt, Du wartest, bis ich eine Aufgabe für Dich finde und diesen führst Du dann zu meiner Zufriedenheit aus. Ansonsten bleibst Du einfach hier auf meinem Anwesen und machst, wonach es Dich gelüstet.«
»Wo bist Du dabei? Du sagtest vorhin, dass Du selten hier sein würdest.«
»Das ist richtig. Ich habe etliche Pflichten, die meine Anwesenheit im Hauptquartier unabdingbar machen.«
»Warum machst Du nicht diese Burg zu Deinem Hauptquartier?«
»Mach Dich nicht lächerlich, Selena. Auch wenn ich es bezweifle, könnte es Spione geben unter meinen Untergebenen und ich werde sie gewiss nicht direkt vor meine Haustür führen. Dieser Ort ist unaufspürbar. Du konntest diese Burg auch nur betreten, weil ich es so wollte und dich in den Schutz des Fideliuszaubers gebracht habe. Ich bin der Geheimniswahrer, wenn Du weißt, wie der Zauber funktioniert und ich bin nicht bestrebt dieses Geheimnis mit irgendwem zu teilen. Nicht einmal mit Dir. Also handelst Du klug, wenn Du die Grenzen des Anwesens nicht verlässt, da Du nicht zurückfinden würdest. Aber sei unbesorgt, ich nehme an, dass die Bibliothek Dir Beschäftigung genug bieten wird.«
Selena wurde mit einem Schlag ihre Einsamkeit bewusst. Sie würde lange Zeit hier allein sein, ohne menschliche Gesellschaft. Der Begriff goldener Käfig kam ihr wieder in den Sinn, sie war zwar frei zu gehen, wohin sie mochte, doch wäre ihr eine Rückkehr verwehrt. Trotz des prasselnden Feuers im Kamin wurde ihr schlagartig eiskalt.
»Darf ich denn Gäste empfangen, solange ich hier bin?«
Ein eiskaltes, mörderisches Glitzern trat in die Augen des Dunklen Lords.
»Nur zu, versuch es. Doch beantworte mir zuvor die Frage, wohin Du Deine Gäste einladen möchtest? Es steht Dir frei, zu tun, was Dir beliebt.«
Ihr Herz, das vor wenigen Minuten noch entflammt war, verwandelte sich zu Eis. Sie hasste ihren Mann von einer Sekunde zur Anderen abgrundtief. Er hatte sie wirklich gefangen. Verzweifelte Tränen traten in ihre Augen
»Warum tust Du mir das an? Glaubst Du, ich könnte bar jeder menschlichen Gesellschaft glücklich werden? Von Deinen gelegentlichen Besuchen einmal abgesehen. Immer soll ich Dir zu Willen sein, nicht gestört, von Außenstehenden, wenn ich Dich richtig verstehe.«
»Hüte Deine Zunge und denk auch nur einen Augenblick darüber nach. Große Macht isoliert. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, der von Angesicht zu Angesicht mit Dir sprechen könnte, ohne dem Bewusstsein, wie viel niedriger sie gestellt sind. Wenn Du glaubst, Du hättest auch nur einen Freund da draußen, so nenne mir seinen Namen und ich werde ihn hierherbringen lassen. Also, wem möchtest Du die Last Deiner Gesellschaft aufbürden?«
Selena schwieg und dachte nach.
Freund konnte sie niemanden nennen. Freundschaft war zu einem Luxus geworden, der in ihrer Situation einen Preis hatte, den sie nicht zahlen konnte. Sie war und würde immer höhergestellt bleiben, stand mit Niemandem mehr auf gleicher Stufe. Konnte sie noch wissen, wem sie vertrauen konnte und wem nicht? Konnte es nicht auch sein, dass sich Menschen nur bei ihr aufhielten, ihres Ranges wegen und nicht um ihrer selbst willen? Die Erkenntnis tat weh, doch ihr blieb nichts anderes übrig, als sich ihrem traurigen Schicksal zu fügen.
Mit großer Anstrengung vermochte es Selena gefasst zu bleiben.
»Tom. Mir fällt kein solcher Name ein, wie Du ihn verlangst. Dennoch werden die Umstände meiner Niederkunft die Anwesenheit Anderer unumgänglich machen. Ich hoffe, auch dies ist Dir bewusst.«
Offensichtlich nicht, denn er dachte lange darüber nach. Nach mehreren Minuten sagte er
»Wenn es soweit ist, werde ich die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Hast Du sonst noch einen Wunsch?«
»Ja, Tom. Den habe ich. Lange Zeit ist vergangen, seit ich das letzte Mal die Sonnenwende gebührend feiern konnte. Ich würde die Gelegenheit der Wintersonnenwende ungern ein weiteres Mal verstreichen lassen. In Durmstrang gehörten die verschiedenen Rituale fest zum Lehrplan, nicht nur in der Theorie, wenn Du verstehst und wie es vermutlich hier der Fall ist. Wenn Du es gestattest, wären die von Wäldern umstandenen Wiesen hier der ideale Ort. Dein Heim könnte somit auch geheim bleiben.«
Stirnrunzelnd dachte er einen Moment darüber nach.
»Welches der Rituale und wie viele aktive und passive Gäste?«
»Über passive Beobachter habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Zur Durchführung der Vergeltung werden sieben Magier benötigt. Drei Hexen und drei Zauberer und ein großer, mächtiger Schwarzmagier.«
»Vergeltung?«, wiederholte er lächelnd. »Ich habe nichts Anderes von Dir erwartet, kleine Selena. Sehr wohl. Ich gestatte es Dir, weil ich heute gute Laune habe. Nur aus Interesse, wen gedenkst Du zu laden?«
»Ich wäre hocherfreut, wenn Du die Rolle des Schwarzmagiers und somit auch die Leitung der Zeremonie übernehmen würdest, wenn es Dir beliebt.«
»Wenn es Dein Wunsch ist, werde ich Dir diesen Gefallen tun.«
Selena war zufrieden. Ein kleiner Sieg in ihren Augen.
»Elfen!«, befahl der Dunkle Lord eiskalt, offenbar hatte Selena ihm die einzige Information gegeben, die er wollte. Die anderen Gäste kümmerten ihn nicht. Mit einem leisen Geräusch tauchten die Hauselfen auf und verneigten sich zitternd.
Der Dunkle Lord trug ihnen auf, das Mittagsmahl anzurichten. Selena verspürte auch ein Hungergefühl, da sie seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen hatte.
Kaum, dass ihr Mann den Befehl ausgesprochen hatte, verschwanden die Elfen wieder.
»Wenn Du Deine Gäste lädst, schreib ihnen als Treffpunkt Malfoy Manor. Ich werde einen Portschlüssel hierher in Auftrag geben.«
Er erhob sich wieder und wies Selena an, ihm zu folgen.
Sie folgte ihm, wenngleich sie weiter mit ihm diskutiert hätte, es aber doch nicht wagte. Für ihn waren alle Themen beendet, oder zumindest hatte es den Anschein.
Sie stiegen die verborgene Wendeltreppe hianb und der Dunkle Lord führte sie zielgerichtet durch die Eingangshalle.
Im Speisesaal standen drei Tische. An Zweien davon je acht Stühle, am Dritten mindestens zwanzig, auf jeden Fall zu viele um sie mit einem Mal zu überblicken.
An einem der kleineren Tische war bereits gedeckt. An beiden Stirnseiten stand je ein Gedeck auf dem weißen Tischtuch. Ein Kerzenhalter, mit einer einzelnen schwarzen Kerze bestückt, befand sich in der Mitte. Die Stühle waren edel mit dunkelrotem Samt bespannt. Selena wartete, bis ihr Gatte sich für eine Seite entschieden hatte und nahm schließlich an der Anderen Platz.
Das Essen war ausgezeichnet und doch fühlte sich Selena, als nähme sie gerade ihre Henkersmahlzeit ein. Sie würde auf unbestimmte Zeit keinerlei Freiheit oder menschliche Gesellschaft haben und diese Gedanken schlugen ihr auf den Magen. Lustlos stocherte sie nur mit ihrer Gabel auf ihrem, gewiss kostbaren, Porzellanteller herum.
Immer wieder starrte sie in Richtung ihres Gatten, nicht fähig, ihre Gefühle ihm gegenüber einzuordnen. Hass, Liebe, Respekt, Verachtung, alles traf zu und wieder auch nicht.
Schließlich legte Selena ihr Besteck auf ihren beinahe unbenutzten Teller und gebot den Hauselfen es abzuräumen. Der Gedanke auch nur noch einen Augenblick länger auf das Essen zu schauen, bereitete ihr Übelkeit.
Sie suchte den Blick ihres Gatten, doch dieser ignorierte sie geflissentlich.
Nachdem auch er sein Mahl beendet hatte und sich mit der Serviette den Mund abwischte, schaute er sie doch über den Tisch hinweg an.
»Ich werde Dich nun verlassen, Selena. Die Geschäfte rufen mich. Ich wollte diese Macht nicht, dennoch ist sie unumgänglich, um meine Ziele zu verwirklichen. Es wäre eine Lüge, wenn ich sagte, es täte mir leid darum. Warte nicht auf mich, ich werde so bald nicht zurückkehren.«
Langsam erhob er sich und Selena starrte ihn nur hasserfüllt an. Er konnte sie doch nicht so mir nichts, dir nichts, zurücklassen. Seine Lippen kräuselten sich zu einem hämischen, boshaften Lächeln.
»Willst Du mich nicht verabschieden, kleine Selena? Schließlich ist es ungewiss, wann wir uns wiedersehen.«
»Viel Erfolg, Tom. Bis bald, wenn es Dir genehm ist, mich mit Deiner Anwesenheit zu beehren.«, antwortete Selena bissig.
Sein Gesichtsausdruck änderte sich kaum merklich, nur seine Augen wurden eine Spur kälter. Wortlos zog er von dannen, ließ Selena allein zurück.
Nachdem sie vernommen hatte, wie sich die Tore hinter ihm schlossen, sackte sie kraftlos auf ihrem Stuhl zusammen und legte ihren Kopf auf das nun nackte Tischtuch. Heiße Tränen flossen auf das Linnen. Sie wollte nicht allein sein und doch war sie eine isolierte Gefangene in ihrem goldenen Käfig.
Wieder fiel ihr ein, was ihr Mann über die beeindruckende Bibliothek gesagt hatte.
Sie erhob ihren Kopf und starrte mit tränenverschleierten Augen die beiden Hauselfen an.
Zornig zischte sie die beiden Wesen an
»Nennt mir eure Namen! Sofort!«
Verschüchtert knickste der linke Hauself, senkte demütig den Kopf und murmelte in einer piepsigen Stimme, die Selena sofort klarwerden ließ, dass es sich um eine Elfe handeln musste
»Lola«
Schmerzhaft durchzuckte die Erinnerung an den Tod ihrer getreuen Elfe das Herz, doch sie schloss nur kurz die Augen, nicht willig, sich von der Trauer überrollen zu lassen. Als sie die Augen wieder öffnete senkte der andere Elf demütig seine Nasenspitze bis zum Teppich. Dann wisperte er heiser
»Baku und Baku wird Euch immer zu Diensten sein, Mylady.«
»Lola auch«, mischte sich die kleine Elfe eifrig ein.
Selena konnte es nicht verhindern, dass sich ein leises Lächeln auf ihre noch tränenfeuchten Lippen stahl.
»Zeigt mir bitte die Bibliothek. Euer Herr hat in den höchsten Tönen davon gesprochen.«
Die Elfen tauschten einen kurzen Blick, dann entschieden sie, dass Baku führen durfte.
Er geleitete sie durch die niedrige Eingangshalle, bis zu einer Tür, die der Elf mit einer schwungvollen Geste öffnete.
Auch dies schien eines der Turmzimmer zu sein, wenngleich höher, als Selenas Gemach. Auf insgesamt drei Ebenen konnte man die schmalen Emporen sehen, die mit hübschen Geländern versehen in den Innenraum führten. Über schmale Treppen konnte man von Ebene zu Ebene gelangen. Der komplette Innenraum war mit einem dicken Teppich ausgelegt, der für eine herrliche Stille sorgte.
Direkt unter einem der großen Bleiglasfenster, befanden sich etliche bequeme anmutende Ledersessel, ein großes dunkles Schreibpult direkt unter einem anderen. Überall verstreut gab es Tische, die vorsorglich mit Federn und Pergamenten ausgestattet waren, ganz so, als würden sich ständig viele Menschen durch die Bibliothek bewegen, im Versuch ihren Wissensdurst zu stellen.
Auch, wenn diese Bibliothek solche Wissbegierigen wohl selten gesehen hatte, war der Umfang beeindruckend. Wohin sie schaute, entdeckte Selena fein säuberlich sortierte Bücher. Noch konnte sie sich keinen Eindruck über den Inhalt derselben machen, doch sie hatte ihre Vermutungen.
Langsam schlich sie an den Regalen vorbei, die der Tür am nächsten waren und schaute flüchtig auf die Buchrücken. Vor einem Niedrigen Aktenschrank hielt sie inne. Vorsichtig öffnete sie eines der Fächer, die tadellos geölt und entstaubt waren.
»Dies ist das Register, dass Master Irvine selbst gemacht hat. Lola und Baku sollen aufpassen, dass es nicht schmutzig wird und das machen wir. Jawohl.«, sagte der Hauself, den Selena unterdessen beinahe vergessen hatte, mit seiner heiseren Stimme.
Interessiert zog Selena nun eine der Karteikarten heraus und musterte sie. Entzückt erkannte sie, dass der Vorbesitzer anscheinend ein Ordnungssystem entwickelt hatte und es möglich war, seine filigran verschlungene Handschrift zu entziffern. Vorsichtig ordnete sie die Karte wieder ein.
Selena begann langsam zu verstehen, warum er keine Frau hatte. Seine Liebe galt seiner Bibliothek, anders konnte sie sich die Fülle und die Ordnung in diesem Raum nicht erklären.
Sie entließ Baku, mit dem Auftrag, sie zum Abendessen abzuholen und begann die Bibliothek zu erkunden. Hier und da zog sie ein Buch hervor und blätterte ein wenig darin.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel