
von Lady_Selena
Selena war angespannt. Sie erwartete Satans Rückkehr, doch der Dunkle Lord ließ sie warten.
Pausenlos huschte ihr Blick zum Fenster und wieder zurück, beinahe bereute sie den Brief abgeschickt zu haben.
Am frühen Abend kehrte der Rabe zurück. Selena erkannte ihn schon von Weitem als kleinen schwarzen Punkt am Horizont. Schnell warf sie sich ihren Umhang über die Schultern und lief in den Innenhof.
Satan glitt auf ihren Arm hinab und schmiegte seinen Kopf an ihre Schulter. Mit der freien Hand nestelte Selena dann an dem Pergamentröllchen herum, das an das Bein ihres Boten gebunden war. Scharlachrotes Satinband, stellte sie schmunzelnd fest. Vorsichtig streife sie es ab und verstaute das Band in ihrem Umhang.
Ein wenig erstaunt stellte sie fest, dass der Dunkle Lord die Rolle versiegelt hatte. Es war unmöglich festzustellen, wo die sie geöffnet werden konnte.
Sie schnalzte mit der Zunge und Satan flog auf. Nun hatte sie beide Hände frei und konnte ihren Zauberstab ziehen, um die Botschaft zu öffnen.
Kein persönliches Wort stand darin, nur eine Adresse.
Dann wurde ihr plötzlich die Tragweite dieser Zeilen bewusst. Es war die Adresse Fort Irvines. Sie konnte zurückkehren, ohne vom Dunklen Lord abhängig zu sein. Diesen Gunstbeweis hatte sie nicht erwartet, doch er hatte sich offenbar dafür entschieden, sie in den Fideliuszauber einzuweihen.
Dankbarkeit stieg in ihr auf und mit zum Himmel gewandtem Gesicht, murmelte sie den Dank leise vor sich hin.
Sie ging wieder zurück in ihr Zimmer, um Walden Macnair eine Antwort zukommen zu lassen. Doch sie stockte, da sie sich nicht sicher war, welcher Ort geeignet wäre. London und die Winkelgasse kamen nicht in Frage, auch in der Nähe des Ministeriums erschien ihr ungeeignet. Bristol, Waldens Wohnort wollte sie ebenso wenig, schon allein, um etwaigen Gerüchten vorzubeugen. Malfoy Manor war ausgeschlossen und Fort Irvine ebenso. Mit dem Ende ihrer Feder fuhr sie sich übers Gesicht, im Versuch nachzudenken.
Sie kannte sich eindeutig zu wenig aus in Großbritannien.
Doch dann fiel ihr ein, wo sie auf den Dunklen Lord getroffen war. Der Friedhof in Little Hangleton und das Herrenhaus müssten noch genauso verlassen daliegen, wie zwei Jahre zuvor und Walden müsste wissen, wo sich dieser Ort befindet. Schnell kritzelte sie auf ihr Pergament, dass sie sich am nächsten Morgen dort mit ihm zu treffen wünsche.
Ein lauter Pfiff aus dem offenen Fenster rief Satan herbei, dem sie die Botschaft übergab und der sich sogleich auf den Weg machte.
Nachdem er weg war, ging sie zu Bett.
Sie erwachte früh am nächsten Morgen, voller Vorfreude sich mit einem anderen Menschen zu unterhalten, als den Dunklen Lord.
Nach dem Frühstück und immer noch viel zu früh apparierte sie, warm angezogen, auf den Friedhof von Little Hangleton. Kalter Dunst bedeckte die Gräber und die schwache Sonne schien nicht kraftvoll genug, ihn an diesem Tag noch zu vertreiben.
Es wehte kaum ein Lüftchen und Selena war dies nur recht. Somit spürte man die klamme Kälte nicht noch stärker.
Langsam schritt sie an den vielen, zum Teil stark verwitterten, Grabsteinen vorbei und las gelegentlich die Inschriften, um die Zeit totzuschlagen.
Gerade, als sie am zerstörten Grab von Tom Riddle Sr. Und seinen Eltern angekommen war, hörte sie hinter sich das leise Plopp eines apparierenden Zauberers.
Blitzschnell wirbelte sie herum, den Zauberstab gezückt, falls es nicht Walden war.
Erst wirkte er ein wenig erschrocken, was sein plötzliches Auftauchen bei ihr verursacht hatte, doch dann lächelte er sie liebevoll tadelnd an.
Eine galante Verbeugung vollführend, sagte er
»Guten Morgen, Mylady. Es ist mir eine Freude Euch wiederzusehen, auch wenn ihr Euch anscheinend angegriffen fühlt.«
Betreten senkte sie den Zauberstab und verstaute ihn in ihrem Umhang.
»Guten Morgen, Walden. Sicher ist sicher, meinst Du nicht auch?«
»Durchaus.«
»Ich glaube, ich weiß, warum Du Dich an mich gewandt hast. Meine Antwort lautet: Nein. Lucinda wird kommen, es sei denn, Du bringst triftige Gründe hervor, die dagegen sprechen.«
Er blickte zum zerstörten Grab von Lord Voldemorts Vater und schwieg eine Weile.
Resigniert sagte er dann
»Ich habe gewusst, dass es nicht einfach wird, Euch zu überzeugen, aber dass Ihr es von vornherein kategorisch ablehnt, damit habe ich nicht gerechnet. Sind meine Wort vergebens, oder soll ich trotzdem sprechen?«
»Lass uns ein Stück zusammen spazieren gehen.«
Macnair nickte und setzte sich in Bewegung.
»Ich habe Lucinda eingeladen, weil ich sie irgendwie mochte, als ich bei euch war. Außerdem hatte ich das Gefühl, sie würde sich für diese Zeremonie interessieren, sodass ich ihr diese Gelegenheit nicht nehmen wollte. Was sind Deine Gründe?«, fragend schaute sie ihn von der Seite an.
»Ich habe einfach das Gefühl, dass wir sie nicht mit dem Dunklen Lord konfrontieren sollten. Natürlich weiß sie, dass ich zu seinen Reihen gehöre, aber sie selbst ist aus einem anderen Stoff gemacht. Ich glaube, es wäre zuviel für sie.«
»Was sagt sie dazu. Eben hast Du nur von Deiner Meinung gesprochen.«
»Ach. Ihre Meinung zu der Angelegenheit ändert sich minütlich. Einerseits ist sie ganz aus dem Häuschen deswegen, andererseits hat sie arge Bedenken. Viele, die es nicht gewohnt sind, fühlen sich unwohl in der Gesellschaft des Dunklen Lords. Er ist für seine Grausamkeit und seine Gewissenlosigkeit bekannt. Daneben ist er ein ausgesprochen fähiger Legilimentiker. Wir haben Bedenken, dass dadurch auffliegen würde, das ich wortbrüchig geworden bin. Ich konnte Eure Eheschließung nicht geheim halten, wie Ihr wisst, Mylady.«
»Oh. Daran habe ich nicht gedacht.«
Walden schwieg und blickte angespannt drein, bis Selena emotionslos weitersprach.
»Sie muss nicht kommen, wenn sie nicht möchte. Falls sie doch will, ich würde sie an Deiner Stelle nicht davon abhalten und zudem noch in Okklumentik unterweisen. Ich vergesse leider allzu oft, dass es nicht jeder gewohnt ist, mit dem Dunklen Lord Umgang zu haben.«
»Er ist eben sehr respekteinflößend. Selbst, wenn man ihm nicht das erste Mal begegnet.«
»Womit Du vollkommen recht hast.«
Er schaute sie mit einem Seitenblick an.
»Fürchtet Ihr ihn?«
Verwirrt blickte Selena in sein Gesicht.
»Wie meinst Du das?«
»Es klang eben so.«
Selena überlegte, was sie darauf antworten sollte. In ihr stritt eine zornige Erwiderung, dass es ihn nichts anginge, mit der Wahrheit. Sie entschied sich schließlich für einen Teil von Beidem.
»Von Zeit zu Zeit, ja. Aber es ist kein Thema, das ich weiter diskutieren möchte.«
»Sehr wohl, Mylady.«, murmelte er unterwürfig und senkte den Blick.
Sie hatte nicht erwartet, ihn so schnell zur Aufgabe bewegen zu können. Sie genoss seine Gesellschaft und wollte ihn nicht jetzt schon wieder verlassen.
»Was machst Du sonst zurzeit, Walden?«
»Nach den desaströsen Ereignissen bei den Werwölfen wurde ich allen Ämtern und Aufgaben enthoben. Ich verbringe die meiste Zeit zu Hause oder mit Handlangerarbeit.«
Er wirkte bitter, während er dies sagte.
»Das tut mir Leid, Walden. Das habe ich nicht gewollt.«
»Ihr könnt nichts dafür und Euch ergeht es wohl kaum besser.«
»Mich stört es nicht, mich nicht mehr mit Werwölfen herumschlagen zu müssen. Da bevorzuge ich das ruhige Leben zurzeit deutlich.«
»Ruhig? Bei Euch? Verzeiht, aber das kann ich mir kaum vorstellen.«
»Doch, doch. Ich lese viel, verbringe die meiste Zeit im Haus. Nein, ich mache wirklich nicht viel.«
»Was ist mit Eurer Planung? Schreitet sie voran?«
»Ja, ich bin so gut, wie fertig. In den nächsten Tagen werde ich meine Hauselfen anweisen den Rest vorzubereiten. Den Ehrengast habe ich auch schon ausgewählt, er weiß nur noch nichts von seinem Glück.«, meinte sie augenzwinkernd.
Wissend nickte er.
»Ich werde mich nun von Euch verabschieden, Mylady. Es war mir eine Ehre.«, mit einer kleinen Verbeugung verlieh er seinen Worten Nachdruck.
»Wie schade.«, entfuhr es Selena. »Ich finde Deine Gegenwart als äußerst angenehm. Darf ich Dich einladen, mit mir ein zweites Frühstück einzunehmen?«
»Verzeiht, aber ich halte das für keine gute Idee. Ich bevorzuge es, Euch nicht zu kompromittieren. Stellt Euch nur den Klatsch vor, würden wir miteinander gesehen. Dem Dunklen Lord entginge das mit Sicherheit nicht.«
»Du hast recht. Nun denn, auf bald.«, sagte sie dann resigniert.
»Es war mir eine Ehre. Bis zur Sonnenwende.«
Er verbeugte sich erneut vor ihr, ehe er disapparierte.
Achselzuckend ging sie darüber hinweg und apparierte ebenfalls.
Sie landete vor der Burgruine, im verdorrten, harten Gras und ging einige Schritte darauf zu. Die Ruine reparierte sich von selbst und sie blickte direkt auf ihr Zuhause, Fort Irvine. Es war ein beeindruckendes Beispiel, wie aus der scheinbar unbewohnten Ruine ein einladendes Gebäude entstand, schließlich die Schornsteine auf dem Dach erschienen, aus denen Rauch strömte.
Glücklich, heimkehren zu können, wann immer sie wollte, schritt sie durch das Tor, über den Hof, hinein in die Burg.
Sie begab sich in ihr Zimmer, holte das Pergament mit der Gästeliste hervor und fuhr mehrfach mit der Feder über Lucindas Namen. Sie war sich sicher, dass diese nicht auftauchen würde.
Als nächstes besuchte Selena das erste Mal seit sie die Burg bewohnte, das Kellergeschoss.
Ihr Gatte hatte ihr ja bereits gesagt, dass sich dort nur die Küche befände. Eine Untertreibung, wie Selena feststellte, als sie das von Fackeln erhellte Gewölbe durchschritt. Sie entdeckte mehrere gut gefüllt Vorratskammern und ein ausgesuchtes Getränkelager. Wahrscheinlich wurden die Lebensmittel magisch vor dem Verschimmeln geschützt, da alles so frisch wirkte, als wäre es gerade erst eingelagert wurden.
Hinter der Küche, aus der schon köstliche Düfte strömten, die Selena das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen, befanden sich noch zwei gegenüberliegende Kammern. Beide waren nur mit schweren Eisengittern abgetrennt und bildeten so einen starken Kontrast zu den hölzernen Türen der anderen Räume.
Die Gitter waren mit massiven Vorhängeschlössern gesichert und in der Kammer zur rechten, direkt neben der Küche, sah sie einen wirren Haufen ungepflegter Waffen. Sie hatten teilweise dermaßen viel Rost angesetzt, dass sie mit Sicherheit bei der leisesten Berührung bersten würden. Doch darunter sah Selena auch einige blankpolierte Schwerter und Dolche. Die Vermutung lag nahe, dass diese mindestens genauso lange dort lagen, wie die anderen, nur eben koboldgefertigt und deshalb noch in einem guten Zustand waren.
Am liebsten hätte Selena sich darum gekümmert, dass die Waffen nicht mehr wahllos übereinander lagen, doch es gab dringlichere Dinge.
Die andere Kammer war vielmehr eine Zelle. Etliche Ketten und eine steinerne Bank waren die einzigen Gegenstände in dem Raum. Ein kleines vergittertes Fenster, hoch oben in der Mauer, ließ ein wenig Tageslicht hinein. Für einen Gefangenen musste der allgegenwärtige Geruch nach Essen aus der schräg gegenüberliegenden Küche, unerträglich grausam sein, schoss es Selena durch den Kopf. Im nächsten Moment hoffte sie inständig, dass sie nie selbst in diese Lage käme.
»Lola!«, rief sie aus und die kleine Hauselfe kam sofort aus der Küche gestürmt.
»Ja, Herrin?«, fragte sie und schaute demütig aus ihren großen Augen zu Selena hinauf.
»Ich möchte, dass diese Zelle gesäubert wird. Schafft auch einige Decken hier hinunter und sorgt dafür, dass alles in einwandfreiem Zustand ist. Außerdem möchte ich, dass ihr die Waffenkammer dort drüben aufräumt.«
»Sehr wohl, Herrin.«, murmelte die Elfe mit gesenktem Kopf und wuselte los.
Selena stieg wieder aus dem Keller hinauf in ihren Raum. Damit waren ihre Vorbereitungen fast abgeschlossen.
Über die Verköstigung ihrer Gäste machte sie sich keine Gedanken. Die Burg war hervorragend versorgt und ihre Hauselfen würden ein Buffet auftafeln können, das seinesgleichen sucht.
Die Programmpunkte waren in ihren Augen auch klar. Erst die Begrüßung des Ehrengastes, dann die Durchführung der Zeremonie, im Anschluss die Eröffnung des Buffets und danach eventuell einen Tanz. Wenn sie den Dunklen Lord bei Laune halten konnte, so würde es ein gelungener Abend werden.
»Selena?«, riss sie die kalte Stimme Lord Voldemorts aus ihren Gedanken.
Erschrocken blickte sie sich um und entdeckte ihn in der Tür zu ihrem Zimmer.
»In einer Stunde hast Du einen Termin. Ich werde Dich unsichtbar begleiten.«
»Was für einen Termin?«, fragte Selena ängstlich.
Ein beinahe verschmitztes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er antwortete
»Das ist meine Überraschung, kleine Selena.«
Selena war sich unschlüssig, was sie davon halten sollte. Ihr Mann schien sich diebisch zu freuen und das verhieß für gewöhnlich nichts Gutes.
»Verrätst Du mir trotzdem etwas?«, frage sie, auch wenn sie genau wusste, dass nichts dabei herauskommen würde.
»Ich nehme an, Du wirst Dich freuen.«
»Tolle Antwort, wirklich.«
»In einer Stunde wirst Du mehr wissen.«, sagte er, immer noch geheimnisvoll lächelnd.
»Wann brechen wir auf?«
»In einer halben Stunde. Mach Dich in aller Ruhe fertig, danach bringe ich Dich zu dem Termin. Du kannst auf Parsel mit mir reden, während wir unterwegs sind und nun beeil Dich.«
Selena nickte und suchte sich das beste Kleid heraus, in das sie noch passte. Dann kramte sie einen warmen, pelzgefütterten Winterumhang hervor und machte sich auf den Weg die Wendeltreppe hinunter. Der Dunkle Lord erwartete sie bereits, mit einem ebenso dicken Umhang um seine Schultern. Bevor sie das Haus verließen legte er einen Desillusionierungszauber auf sich und Selena konnte nur noch am Rascheln seiner Kleidung erahnen, das er noch immer neben ihr war. Auf Parsel sagte sie, während sie das Haus verließen
»Ich hasse es, wenn ich mit Dir reden muss, während Du unsichtbar bist. Ich weiß doch nie, ob ich Dich gerade anschaue, oder nicht!«
»Mach Dir darüber keine Gedanken, Selena. Du musst im Moment keinen Wert auf Etikette legen.«
»Das beruhigt mich jetzt aber!«, antwortete sie bissig. Doch der Dunkle Lord schien guter Dinge zu sein und gluckste nur leise.
Gleich nachdem sie die unsichtbare Grenze des Apparierschutzes passiert hatten, spürte Selena eine sanfte Berührung an ihrem Arm und sofort danach das vertraute Gefühl der Kompression, wie es sich beim Apparieren einstellte.
Schnell ließ der Druck nach und Selena war ein wenig atemlos, ob des unerwarteten Ereignisses.
»Könntest Du mich das nächste Mal vorwarnen, Tom?«, japste sie auf Parsel.
»Ich werde darüber nachdenken.«[i], zischte er gedehnt, was Selena so deutete, dass er es nicht tun würde.
Dann schaute sie sich um. Sie befand sich direkt auf einem Feldweg, der durch sanfte Hügel verlief. Karge Felder lagen zu beiden Seiten, offenbar abgeerntet nach dem Sommer. Am Himmel hing eine schwere, graue Wolke und drohte damit ihren Inhalt auf die triste Landschaft zu ergießen. Darunter flogen einige schwarze Vögel vorüber. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihr Mann hier in dieser Ödnis wollte.
[i]»Wo sind wir?«, fragte sie dann.
»Ganz in der Nähe, hinter dem Hügel zu Deiner Rechten befindet sich ein kleiner Ort. Dort gibt es einen Zauberer, den ich Dir vorstellen möchte.«
»Und was sage ich ihm, wenn wir dort sind?«
»Er weiß bereits, um was es geht.«
»Sehr schön.«, knurrte Selena daraufhin »und wann erfahre ich es?«
Doch der Dunkle Lord reagierte nicht darauf.
Er zog sie an ihrem Arm in die angegebene Richtung und bald erblickte Selena die Ortschaft. Sie bestand nur aus wenigen Häusern und wirkte eigentlich recht unbewohnt. Mit einem Schaudern bemerkte sie die Ähnlichkeit zum Rückzugsort der Werwölfe, doch bei näherem Betrachten stellte sie fest, dass es doch anders aussah. Daraufhin entspannte sie sich.
Sie nahm an, dass dies ihrem Gatten, der sie immer noch am Arm hielt, keineswegs verborgen geblieben, war, doch er zeigte es nicht.
Noch einmal wagte sie einen Vorstoß und fragte, wo sie den hingeführt wurde, doch er antwortete nur, dass sie dies früh genug erführe und es eine Überraschung sei.
Daraufhin schwieg Selena und wurde von ihrem unsichtbaren Begleiter weiter in das Innere des Ortes geführt.
Selena sah sich um, als er langsamer wurde. Die Mauer, die sie gerade entlangschritten, war in keinem guten Zustand, an einigen Stellen sah man die Ziegel durch den abgeblätterten Putz. Schmierereien bedeckten die Wand vollständig. Oben auf dem Sims der Mauer sah sie scharfe Metallstifte, wahrscheinlich zur Abwehr von Einbrechern.
Vor einem Tor, das nur eine solide Metallplatte war, hielt der Dunkle Lord sie am Arm fest und bedeutete ihr stehenzubleiben. Unzählige, großflächige Rostflecken zierten das einst graugestrichene Metall. Das Gebäude wirkte auf Selena verlassen und trostlos und sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was sie hier wollten.
Plötzlich erklang ein quietschendes Geräusch, gefolgt von einem Brummen aus dem Innenhof. Selena versuchte es zu identifizieren, doch es gelang ihr nicht.
Dann hörte sie ein dumpfes Poltern und sah sachte Bewegungen am Tor. Sie vermutete, dass ihr unsichtbarer Mann gerade angeklopft hatte.
Hinter dem Tor erstarb das Geräusch nach einem Krachen, als wenn etwas Schweres zu Boden fällt, dann näherten sich Schritte.
Ein mechanisches Klicken ertönte und die Tür schwang leiser auf, als Selena erwartet hatte. Offenbar wurden die Scharniere gut geölt.
Ein kleiner, grauhaariger, untersetzter Mann öffnete und blinzelte sie aus scharfblickenden Augen an. Trotz der Witterung, war er kurzärmlig und darüber hatte er eine blaue Latzhose.
Muggel, schoss es Selena durch den Kopf und sie funkelte finster in die Richtung, wo sie ihren Mann vermutete. Doch hatte er nicht vorhin gesagt, er wolle ihr einen Zauberer vorstellen?
»Sie wünschen, Ma’am?«, fragte er mit einer unerwartet tiefen Stimme.
»Sag ihm, Du hast einen Termin.«, bekam sie eine Anweisung auf Parsel.
»Ich werde erwartet.«, brachte sie mit einiger Überzeugung und Autorität heraus.
»Mrs. Riddle?«
Selena nickte. Das Tor öffnete sich noch ein Stück weiter und er gebot ihr, hindurchzutreten. Kaum, dass sie das Tor durchschritten hatte, warf der Mann es scheppernd ins Schloss. Dann griff er in eine Seitentasche seiner Hose und zog einen Zauberstab hervor, mit dem er das Tor verriegelte.
»Sie sind ein Zauberer?«, fragte Selena, bevor sie darüber nachdachte, ehrlich überrascht.
Er zuckte die Achseln und meinte
»Nicht der Rede wert.«
Sie nickte und begann sich neugierig umzusehen. Zur Rechten war offenbar ein Wohnhaus, Gardinen hingen in den Fenstern und die Blumenkästen waren im Sommer sicherlich hübsch anzusehen. Doch niemand hatte sich bislang die Mühe gemacht, die verdorrten Pflanzen zu entfernen und winterfest zu machen.
Direkt hinter der Mauer, die sie vorhin entlanggeschritten waren, türmten sich Bretter und Stangen verschiedener Hölzer auf. Zum Teil befanden sie sich unter einem Wellblechdach, zum Teil waren sie mit Planen abgedeckt.
Zu Selenas Linken befand sich ein Schuppen, auf den der Mann nun zusteuerte. Merkwürdige Gerätschaften, die Selena nicht benennen konnte, lagen oder standen überall herum. Der Boden war dünn mit Holzspänen bedeckt.
Im Inneren des Schuppens war es angenehm warm, obwohl Selena keinen Kamin und kein Feuer entdeckte.
»Folgen Sie mir bitte, Ma’am.«, sagte der Mann, dessen Namen sie immer noch nicht in Erfahrung bringen konnte.
In der Mitte des Raumes stand ein Gegenstand, der mit einer Plane abgedeckt war. An den Wänden sah Selena überall Werkzeuge und es roch stark nach Holz.
»Sie ist beinahe fertig, nur ihr Mann war sich nicht sicher, welche Insignien ich hineinschnitzen solle, welche Farbe auftragen und welche Zauber darüber sprechen.«
Selena blickte verwirrt drein, was dem Mann nicht entging.
»Hat er ihnen nichts darüber erzählt?«
»Nein. Es sollte eine Überraschung werden, hat er gesagt.«
Wissend nickte er und meinte dann
»Sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit, ehe sie sich mit der Anschaffung befassen müssen.«
Dabei blieb sein Blick an ihrem Bauch haften, was Selena nur noch mehr verwirrte.
Mit einer dramatischen Geste zog er die Plane weg und strahlte übers ganze Gesicht.
»Tadaa.«, sagte er und streichelte liebevoll über das Holz.
Selena erspähte eine Wiege. Heiß durchströmte es sie und ein strahlendes Lächeln stahl sich auf ihre Züge. Sie versuchte den Dunklen Lord auszumachen, um ihm ein Lächeln zu schenken, doch er machte sich nicht bemerkbar.
Vorsichtig trat sie auf die Wiege zu und strich mit der Hand darüber.
Das mittelbraune Holz war glatt poliert und Selena konnte nicht umhin, die feine Arbeit der Seitengitter zu bewundern. Jede einzelne Stange war mit einer sich emporwindenden Schlange verziert. Es musste eine Ewigkeit gedauert haben, auch nur eine davon anzufertigen und ein Vermögen gekostet.
»Sie ist wunderschön.«, hauchte Selena, während ihr Tränen in die Augen stiegen. Wenn sie mit allem gerechnet hatte, damit nicht.
»Nicht wahr? Ist lange her, seit ich die letzte gemacht habe. Scheint aus der Mode gekommen zu sein, Möbel schreinern zu lassen.«
»Schreinern zu lassen?«, wiederholte Selena erstaunt. »Sie ist nicht mit Magie gefertigt?«
»Meine Möbel sind meist Beides. Magie und Handwerk. Mein Vater hat mich das Schreinern gelehrt, nachdem ich Hogwarts verlassen hatte. Er wollte, dass ich die Schreinerei übernehme, sobald er nicht mehr dazu in der Lage ist. Ich habe dann schnell gelernt, dass mit Zauberei zwar alles schneller geht, aber es besser für die Materialien ist, sie ganz gewöhnlich zu verarbeiten und sie anschließend mit Zaubern zu belegen.«
Jetzt, da er über seine Arbeit sprach, wurde der wortkarge Mann plötzlich redselig, doch Selena hörte weiterhin aufmerksam zu, während er ihr erklärte, wie er welches Teil gefertigt hatte. Zum Schluss erklärte er ihr noch die Runenschnitzereien, die am Kopf- und Fußteil angebracht waren und das Kind schützen sollten. Anschließend trug er ihr eine ganze Palette an Zaubern vor, die er noch einarbeiten könne. Zum Beispiel, dass die Wiege nicht umkippen würde, oder von allein schaukelte, sobald das Kind darin lag.
»Keine Sorge, Ma’am. Egal, für was sie sich entscheiden, es wurde im Voraus bezahlt.«
Selena entschied sich für die genannten und noch einige Schutz- und Warnzauber. Dann lenkte der Schreiner das Gespräch auf die Insignien die anzubringen waren.
Dies stellte Selena vor ein ernstzunehmendes Problem. Ihr Mann hatte ein Wappen, zwar selbstgewählt, doch dennoch war das Dunkle Mal sein Zeichen und daneben hatte sie ihr Familienwappen, seit vielen Generationen bewahrt.
Auch auf die Gefahr hin, dass es den Schreiner verwirrte, sagte sie ihm, sie wolle kurz nach draußen, um Luft zu schnappen, während sie darüber nachdachte.
»Folge mir bitte, Tom.«, zischte sie auf Parsel und verließ die Werkstatt. Der Schreiner schaute so verwirrt drein, wie sie erwartet hatte, als er das merkwürdige Zischen vernahm, welches sie ohne den Mund groß zu bewegen, erzeugte. Hektisch blickte er zu seinen Maschinen, um sich davon zu überzeugen, dass es kein mechanisches Problem war. Selena lächelte.
»Oh, Tom! Du weißt gar nicht, wie glücklich Du mich gerade machst! Du schenkst mir eine Wiege für unser Kind. Ich wünschte, ich könnte Dich sehen und Dich umarmen!«
»Ich wusste, Du würdest Dich freuen, kleine Selena. Das ist das Mindeste, was ich für Dich tun konnte.«
Wieder füllten sich ihre Augen mit Freudentränen und allmählich begann sie ihre Empfindsamkeit als lästig zu empfinden.
»Nun denn. Welches Wappen soll ich wählen? Deines oder meines?«
»Ich habe Dir die Entscheidung überlassen. Das Dunkle Mal ist mein Zeichen, doch für gewöhnlich bedeutet es Tod und Zerstörung, was Du gewiss nicht für Dein Kind wünschst. Dein Zeichen ist allerdings durch unsere Eheschließung erloschen. Es hat seine Bedeutung verloren, als Du Deinen Namen hergabst. Die Entscheidung liegt bei Dir.«
»Wie, meinst Du, wird er auf das Dunkle Mal reagieren? Es muss Verdacht erregen, oder?«
»Möglich, aber unwahrscheinlich. Warum, glaubst Du, beklagt er sich über mangelnde Kundschaft? Meine Informanten bestätigten mir, dass er sich von der Zaubererwelt fernhält, da er nur wenig magisches Potential besitzt. Er hat kein Abonnement auf eine der magischen Zeitungen oder Magazine. Ich glaube, er weiß nicht einmal, dass ein Krieg im Gange ist.«
»Bist Du Dir sicher?«
»Nein. Nicht einhundertprozentig, aber ich nehme es stark an. Dein Fortbleiben wird bald Verdacht erregen. Entscheide Dich. Schnell.«
Einen Augenblick dachte sie nach. Dann nickte sie und ging wieder hinein.
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