
von Lady_Selena
Selena erwachte im Morgengrauen und streckte vorsichtig ihre schmerzenden Glieder. Ihr Mann war nicht gerade sanft mit ihr umgegangen, als er ihr letzte Nacht zeigte, wie hoch der Preis für seine Gefälligkeiten war.
Wie sie erwartet hatte, war sie allein. Vom Dunklen Lord war keine Spur zu entdecken und sie erwartete, dass er bereits früh aufgestanden war und das Haus bereits verlassen hatte.
Eine kleine Weile noch lag sie vollkommen still unter ihrer Decke, starrte an die Unterseite des Dunklen Baldachins und streichelte fuhr sich geistesabwesend über den Bauch, als es plötzlich passierte. Sie spürte ein sanftes Prickeln in ihrem Bauch, eine erahnte Berührung, ein Streicheln von Innen. Instinktiv wusste sie, dass dies kein Gefühl war, dass sie bereits schon einmal gespürt hatte und dass es bedeutete, dass sich ihr Kind nun endlich bemerkbar machte.
Versonnen lächelnd strich sie noch einmal sanft über ihren Bauch und beschloss dann, den Tag zu beginnen.
Mühsam schwang sie die schmerzenden Beine aus dem Bett und entdeckte dabei dunkelblaue Flecken an ihren Schenkeln. Eilig lief sie ins Ankleidezimmer und machte sich fertig.
Dann stieg sie hinab ins Speisezimmer und ließ sich ihr einsames Frühstück servieren. Während sie aß, dachte sie daran, dass in zwei Tagen Heiligabend war und sie das Fest gebührend feiern wolle. Sie dachte dann weiter an das Geschenk des Dunklen Lords, welches sie bereits gesehen hatte und sah sich genötigt ihm ebenfalls eine Kleinigkeit zu besorgen. Auch wenn es ihr Gatte wohl nicht zu schätzen wusste, beschloss sie ein wenig Weihnachten nach Fort Irvine zu bringen. Nachdem sie ihr Mahl beendet hatte rief sie:
»Lola, Baku, ich habe eine Aufgabe für euch. Ich werde nachher für einige Stunden fortgehen und möchte, dass ihr die Burg weihnachtlich dekoriert.«
Sie verneigten sich bis zum Boden und versprachen sich sofort an die Arbeit zu machen.
Selena indes ging zurück auf ihr Zimmer, schlang sich ihren Winterumhang um die Schultern und suchte in einer Tasche nach den Pergamentstreifen aus dem Ministerium, die sie nun endlich einmal einlösen wollte.
Dann verließ sie das Anwesen und apparierte in die Winkelgasse.
Die Einkaufstrasse der Zauberer veränderte sich immer mehr, dachte Selena, als sie dort auftauchte und sich umsah. Immer mehr Geschäfte waren dunkel und verbarrikadiert, andere waren mit Fahndungsplakaten derart beklebt, dass man nicht mehr erkannte, was sich in den Schaufenstern befand.
Bettler in zerschlissenen Umhängen lungerten überall herum und es schien unmöglich unbehelligt dort entlangzugehen. Doch in diesem Punkt hatte sie sie sich geirrt, als sie die Gasse in Richtung Zaubererbank entlang schritt. Sie wurde zwar aus bittenden, trüben Augen, zum Teil auch misstrauisch, beobachtet, doch niemand sprach oder rührte sie an.
Am Eingang zum windschiefen, weißen Gebäude von Gringotts ließ sie die Sicherheitsmaßnahmen geduldig über sich ergehen, bis sie schließlich eintreten durfte.
Selena stockte der Atem, nachdem sie das Foyer betreten hatte.
Schon zu dieser frühen Stunde des Tages war der Innenraum derart mit Menschen überfüllt, dass sie erwartete Stunden auf ihre Bedienung warten zu müssen.
Sie entdeckte an einem Schalter, auf einem langbeinigen Schemel sitzend, einen Kobold in der goldbestickten, roten Livree der Bankangestellten, der zwar beschäftigt schien, aber gerade keine Kundschaft bediente.
Sie drängelte sich zu ihm durch und lautes Gemurre über ihr Verhalten wurde hinter ihr laut, welches sie geflissentlich ignorierte.
»Guten Morgen. Man hat mir kürzlich mitgeteilt, dass ich eine Vorzugsbehandlung in ihrer Bank erwarten dürfe. Hätten Sie einen Moment Zeit?«, fragte sie freundlich.
»Das gibt’s doch nicht! Wir verdienen alle eine Vorzugsbehandlung hier, Lady.«, hörte sie einen Mann hinter sich zetern.
»Guten Morgen. Zeigen sie mir bitte ihren Schlüssel.«, sagte der Kobold, ohne von seinen Unterlagen aufzublicken.
»Genau da ist mein Problem. Ich habe noch keinen, doch habe ich einen Transfer einer großen Menge Goldes beantragt, der nun abgeschlossen sein dürfte.«
»Dann hätten Sie einen Schlüssel, Miss. Zur Verlieseröffnung müssen Sie warten, wie alle anderen auch.«
»Aber…«, weiter kam sie nicht, da der Kobold nun doch aufschaute und sie finster anfunkelte.
Sie wand sich ab und fügte sich gedanklich dem Unvermeidlichen.
»Seh’n se, Lady, schickes Aussehen reicht nich hier. Jetzt müssen‘se warten, wie jeder andre auch.«, baute sich ein ungepflegt wirkender Mann mit schiefen Zähnen vor ihr auf und begann laut zu lachen, was Selena seinen fauligen Atem entgegentrug.
Sie war schon drauf und dran ihren Zauberstab zu zücken, um ihn sich nötigenfalls vom Leib zu hexen, doch dann sah sie das bekannte Gesicht eines Kobolds vorbeieilen.
»Gaddrock, Sir!«, rief sie ihm hinterher, worauf der Kobold sich umwandte und sie musterte. Nach kurzem Nachdenken schien ihm einzufallen, wer die Frau war, die ihn gerufen hatte und sein Gesicht hellte sich ein wenig auf.
Er lief auf sie zu und streckte ihr die Hand mit den unnatürlich langen Fingern entgegen.
»Miss d’Esmerald. Welch Freude sie hier zu sehen. Was kann ich für Sie tun?«
Er kam also gleich zur Sache, was Selena sehr gefiel.
»Wir sprachen kürzlich über den Transfer meines Goldes.«
»Ja, das ist richtig. Folgen Sie mir bitte in mein Büro.«
»Ey, das gibt’s doch nicht! Wir sollen uns hier die Beine in den Bauch stehen, um unser sauer verdientes Gold abzuheben und jedes dahergelaufene Flittchen wird hier zuvorkommend bedient! Ich fordere Gerechtigkeit.«, rief der Mann von eben laut aus und ein kleiner Tumult brach los, als auch andere sich ungerecht behandelt fühlten.
Gaddrock schien das nicht zu beeindrucken. Er pfiff einmal durch die Finger und sofort kehrte Ruhe ein.
»Ich empfehle ihnen allen sich an die Beschwerdestelle zu wenden, wenn ihnen etwas nicht passt, ansonsten bleiben sie ruhig, da sie andernfalls der Bank verwiesen werden.«
Wieder wurde gemurrt und gezetert, doch Gaddrock bahnte sich seinen Weg durch die Menge zu seinem Büro, Selena dicht hinter sich.
Sie ignorierte die wütenden Blicke der anderen Bankkunden so gut es ging, doch bemerken tat sie diese dennoch. Sie hörte noch eine Stimme flüstern:
»Reich müsste man sein...«, doch das interessierte sie nicht mehr.
»Nehmen Sie doch bitte Platz.«, sagte der Kobold, nachdem sie das Büro betreten hatten.
Er setzte sich ihr gegenüber hinter seinen Schreibtisch.
»Nun denn. Sie haben recht, Miss d’Esmerald, wir hatten über einen Transfer gesprochen. Doch leider haben sie damals die Bank so schnell verlassen, dass wir die nötigen Formalitäten nicht erledigt haben.«
Selena erbleichte. Er hatte natürlich recht. Sie war damals so begierig gewesen ihren Lohn zu holen, dass sie nicht weiter nachgedacht hatte und einfach davon gerauscht war.
»Können wir das jetzt nachholen?«, fragte sie ein wenig kleinlaut.
»Selbstverständlich. Doch muss ich Sie darauf hinweisen, dass die gegenwärtige Dauer einer solchen internationalen Überweisung sechs bis acht Wochen beträgt. Ich kann Ihnen jedoch für die Überbrückung dieser Zeit einen günstigen Kredit mit einem nicht allzu hohen Zinssatz anbieten, damit Sie über die Runden kommen. Sobald ihr Gold eintrifft würde er natürlich sofort getilgt werden.«
Selena dachte kurz darüber nach und ihr fiel ein Ausspruch ihres Vaters ein, den sie als Kind nie verstanden hatte: Die Gringottskobolde verdienen nur an den Schätzen, welche die Zauberer nicht haben.
»Ich glaube, das ist vorerst nicht nötig.«
Er griff, anscheinend ein wenig enttäuscht, unter seinen Schreibtisch und zog zwei Formblätter hervor, die er Selena mit der Bitte übergab, sie auszufüllen. Selena griff nach Feder und Tinte und tat wie ihr geheißen.
Nachdem sie das erste Blatt halb ausgefüllt hatte, sah sie auf und sagte:
»Sie könnten noch etwas anderes für mich tun, während ich hier beschäftigt bin. Ich habe hier drei Schecks, die ich ausgezahlt haben möchte.«
Sie zog die Pergamentstreifen hervor und übergab sie ihm.
»Gewiss, ich werde mich sofort darum kümmern.«
Er eilte davon und ließ sie allein. Sie füllte in aller Ruhe die Anträge aus und setzte gerade ihre Unterschrift darunter, als Gaddrock mit einem anscheinend recht schweren Geldbeutel zurückkehrte.
»Unterschreiben Sie bitte die Quittung, dass ich Ihnen das Geld ausbezahlt habe, Miss.«
Sie unterschrieb die Quittung und zog ihren Zauberstab heraus.
»Accio Geld.«, murmelte sie dann und öffnete ihren kleinen Geldbeutel. Unter den misstrauischen Augen des Kobolds schwebten die goldenen, silbernen und kupfernen Münzen in das offenbar viel zu kleine Behältnis und Selena war einmal mehr froh darüber, sich einst einen gekauft zu haben, der derart magisch vergrößert war, dass er unendlich viel Platz bot, man das Gewicht aber kaum spürte.
Gaddrock unterdessen widmete sich den Formblättern und schien damit zufrieden. Er griff in seine Uniform und übergab Selena einen kleinen goldenen Schlüssel.
»Dies ist der Zugang zu Ihrem hiesigen Verlies Nummer 628. Er besitzt eine Gravur, die jedem meiner Kollegen zeigt, dass Sie zuvorkommend zu behandeln sind.«
Selena betrachtete den kleinen Gegenstand eingehend und entdeckte die Ziffern sogleich, daneben ein kantig anmutendes Muster, das sie für die besagte Gravur hielt. Sie stellte auch schnell fest, dass der Schlüssel qualitativ Koboldarbeit entsprach, Menschen konnten Metall keinesfalls so vollkommen bearbeiten. In Deutschland hatte sie keinen solchen Schlüssel, da die Familienschätze in einem Hochsicherheitsverlies aufbewahrt wurden, die ein Gringottskobold von Hand öffnen musste.
Sie wog den kleinen Schlüssel in der Hand und fragte dann:
»Was passiert, wenn ich ihn verliere?«
»Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Passen Sie besser gut darauf auf.«
Der eiskalte Ton, in dem er dies sagte, war Grund genug für Selena nicht weiter nachzuhaken.
Sie verabschiedete sich schließlich und ging ihrer Wege.
Auf dem Weg nach draußen entdeckte sie den penetranten Zeitgenossen von vorhin wieder, der noch immer an fast derselben Stelle stand, doch diesmal ignorierte man sie.
Nachdem sie wieder auf der Strasse stand, begann Selena zu überlegen, was sie dem Dunklen Lord schenken könnte. Ihr fiel nichts ein und so schlenderte sie gedankenverloren in die Nokturngasse.
Entgegen ihrer Erwartung waren auch hier zahlreiche Bettler vertreten, die in den düsteren Eingängen und Hausfluren herumlungerten. Sie hätte erwartet, dass diese Gestalten sich von diesem Ort, der eindeutig mit schwarzer Magie in Verbindung gebracht wurde, fernhielten.
Auch entdeckte sie zahlreiche Hexen und Zauberer, die augenscheinlich sonst das eher Tageslicht mieden, oder es meiden sollten.
Selena steckte eine Hand in ihren Umhang und umschloss ihren Zauberstab. Geheuer war ihr diese Ansammlung zwielichtiger Gestalten nicht und so bereitete sie sich lieber auf einen eventuellen Angriff vor.
Langsam ging sie die Gasse entlang, entdeckte in den Schaufenstern, die ebenfalls mit Fahndungsplakaten zugeklebt waren, nichts, was sie interessierte. Nach einer Weile sinnlosen Umherirrens kehrte sie zurück in die Winkelgasse, um dort ihr Glück zu versuchen.
Sie erwartete aber auch dort nicht fündig zu werden. Nichts schien ihr angemessen genug, um als Geschenk für ihren Mann zu dienen.
Vor einem Buchladen blieb sie stehen und dachte nach. Sie wusste, dass ein Buch nicht das Richtige sein würde, da sie zwei riesige Bibliotheken ihr Eigen nannten und es somit unnötig war, sie weiter zu füllen. Zudem besaß er auch nicht die Zeit, um Romane und dergleichen zu lesen. Ihre Gedanken wurden dann allerdings von einem der Plakate abgelenkt.
Es war mit Unerwünschter Nr. 1 überschrieben und zeigte einen schwarzhaarigen, jungen Mann, mit smaragdgrünen Augen und einer charakteristischen Blitznarbe auf der Stirn.
Nie zuvor hatte Selena die Gelegenheit und die Muße gehabt, sich eingehender mit dem Jungen zu beschäftigen, der gleichzeitig der erklärte Erzfeind Lord Voldemorts war.
Wieder einmal konnte Selena die Beweggründe für die Besessenheit ihres Mannes nicht erkennen, zu harmlos und ungefährlich wirkte dieser Junge. Was hatte er, der Dunkle Lord, denn von diesem Bengel zu befürchten? Selena konnte sich keinen Reim darauf machen.
Angestrengt blickte sie in seine Augen auf dem Plakat und versuchte das Geheimnis zu ergründen, welches ihn umhüllte. Wie konnte er den Todesfluch überleben, den der größte Schwarzmagier aller Zeiten auf ihn gerichtet hatte, kaum das er älter war als ein Jahr?
Natürlich traf sie keine neue Erkenntnis nur von der Betrachtung dieser Fotografie.
In ihren Augen war der Junge keine Gefahr und würde es auch nie sein.
Auf dem Plakat war angegeben, dass Harry Potter wegen des Mordes an Albus Dumbledore gesucht wurde. Ein schlauer Schachzug, gestand sich Selena ein. Dieser Verdacht allein würde ihm die Hilfe eines Großteils der Zauberergemeinschaft verwehren und zudem möglicherweise zu einer rascheren Ergreifung führen. Sie wusste zwar besser, dass der Junge den Mord nicht begangen hatte, dennoch war der Text überzeugend geschrieben.
Bevor sie noch mehr Aufmerksamkeit erregte, wandte sie sich ab und lief weiter in Richtung Tropfender Kessel. Sie wollte eine kleine Stärkung zu sich nehmen und überlegen, was als Geschenk in Frage kam.
Doch auf dem Weg die Winkelgasse entlang entdeckte sie ein kleines Geschäft, welches ihr bislang anscheinend entgangen war. Es lag ein wenig versteckt zwischen anderen, besser dekorierten Läden und zog so weniger Aufmerksamkeit auf sich.
Sie betrat den Laden und eine melodische Türglocke ertönte.
Das Schaufenster war derart zugepflastert, dass kaum ein Sonnenstrahl hereinfiel und Selena froh war um die vielen Kerzenleuchter, die dem Innenraum ein anheimelndes Licht schenkten. Ein leises arrhytmisches Ticken erklang aus allen Ecken des Uhrenladens.
Ein Mann im mittleren Alter und schütterem grauen Haar kam aus einem Hinterzimmer geeilt und stellte sich hinter seinen Tresen.
»Guten Tag. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ja, bitte. Ich suche ein Weihnachtsgeschenk für meinen Mann.«
»Eine Uhr ist immer wieder eine gute Wahl, Madam. Eine treffliche Wahl, in der Tat. Kaum ein Mann freut sich nicht darüber.«, strahlte der Uhrmacher sie an. Er schien ernsthaft erfreut über die unverhoffte Kundin.
»Haben Sie etwas Bestimmtes im Sinn, wollen Sie sich erst umschauen, oder soll ich Ihnen bei der Auswahl behilflich sein?«
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir helfen könnten.«
»Nun denn. Da ich ihren Mann nicht kenne, so hätte ich gern ein paar Informationen von Ihnen. Wie alt ist er? Was arbeitet er? Ist er mehr der sportliche Typ, oder eher ruhig? Beschreiben Sie ihn mir ein wenig, dann kann ich eine bessere Auswahl treffen.«
»Oh. Sie stellen Fragen. Zum Alter, einen Moment bitte, da muss ich kurz nachrechnen.«
Ein wenig skeptisch schaute der Uhrmacher sie an. Ihr war die Situation ein wenig unangenehm, wenn nicht gar peinlich.
»Sie mögen das ungewöhnlich finden, dass ich das genaue Alter nicht weiß.«
»Durchaus. Es verwundert mich in der Tat.«
»Wissen Sie, es ist so, dass wir Geburtstage nicht feiern. Wir messen der Zahl der Jahre keinen Wert bei.«
»Ungewöhnlich, aber durchaus berechtigt.«
Selena überschlug dennoch schnell im Kopf, dass Tom Riddle am 31.Dezember 1926 geboren wurde und demzufolge heute am 22.Dezember 1997 siebzig Jahre alt war, kurz vor seinem einundsiebzigsten Geburtstag. Sie schluckte schwer. Sie hatte nie darüber nachgedacht, wie alt Lord Voldemort in Wahrheit war. Dann überlegte sie, dass dies ja nicht sein wahres Alter wiederspiegeln konnte, da er einige Jahre mehr oder weniger am Rande des Todes verbracht hatte, ohne eigenen Körper. Wenn sie dann noch überlegte, wann er schätzungsweise mit der Veränderung seines Körpers begonnen hatte, so war das sicher auch nicht zu verachten. Sie kam auf kein Ergebnis und beschloss ihn bei Gelegenheit danach zu fragen.
»Mir fällt gerade das Alter nicht ein. Die anderen Fragen kann ich Ihnen allerdings beantworten. Er leitet ein recht erfolgreiches Unternehmen mit sehr vielen Angestellten und treibt durch die aufreibende Arbeit eher keinen Sport. Er ist sehr belesen und intelligent, ein hervorragender Stratege, sehr bewandert in Politik und ein ausnehmend begabter Zauberer. Er hat die Schule mit Bestnoten abgeschlossen. Er reist sehr gern und mag es Rätsel zu lösen. Daneben ist er ein impulsiver Mann, manchmal ein wenig cholerisch, doch meist eher bedacht und diszipliniert. Reicht Ihnen das als Einschätzung.«
Selena war von sich selbst beeindruckt, wie harmlos sich ihre Beschreibung anhörte.
Der Uhrmacher nickte und dachte einen Moment nach. Dann wuselte er durch den Laden und zog hier und da eine Schachtel hervor, die er auf der Ladentheke stapelte.
Dann schien er zufrieden und begann mit seiner Präsentation.
»Laut Ihrer Beschreibung würde ich eine Taschenuhr empfehlen. Eine Armbanduhr erscheint mir für Ihren Gatten wenig passend.«
Selena gab ihm insgeheim recht. Nein, das passte wirklich nicht zu Lord Voldemort.
»Womit ich mir allerdings nicht sicher bin, ist das Material. Trägt er gelegentlich Schmuck?«
»Nein, nur seinen Ehering.«
»Oh. Sehr gut. Ist dieser Ring ähnlich, wie Ihrer?«
»Ja, der Ehering ist genau, wie meiner. Über was Sie sich Gedanken machen.«, fügte sie beeindruckt hinzu.
»Es ist mein Beruf für jeden Zauberer und jede Hexe immer die passende Uhr zu finden. Meist gelingt mir das auch. Zeigen Sie mir bitte den Ring.«
Selena streckte ihm ihre rechte Hand entgegen und entschied sich dagegen, den Ring zum Leben zu erwecken. Das schien ihr in dieser Situation wenig angebracht.
»Silber und Smaragde. Sehr schön. Eine Schlange, wie ungewöhnlich, wie symbolisch!«, rief der Uhrmacher dann aus.
»Symbolisch?«, hakte Selena nach.
»Nun, eine Schlange kann für viele Dinge stehen, oft steht sie für Erneuerung oder Wiedergeburt. Meist auch für den Kreislauf des Lebens. Ja, Schlangen sind sehr interessant, was ihre Symbolik angeht. Aber was rede ich? –Ich sollte mich lieber um die Uhr kümmern. Mal sehen.«
Er zog seinen Zauberstab hervor und schickte einzelne Kästchen nach und nach wieder zurück in ihre Regale. Entweder passten sie farblich nicht oder der Uhrmacher entschied sich aus anderen Gründen gegen sie, die Selena in diesem Moment nicht erkennen konnte.
Nach kurzer Zeit waren nur noch drei Stück verblieben, die der Uhrmacher versonnen betrachtete.
»Sehen Sie sich diese bitte an.«, sagte er dann und präsentierte ihr die geöffneten Kästchen.
Alle drei Taschenuhren waren silbern und mit Schlangensymbolen versehen. Eine mit Rubinen besetzt, eine andere lediglich mit einer graviert und die in der Mitte war mit zwei herausgearbeiteten Schlangen verziert, die aus smaragdenen Augen aufschauten und sich gegenseitig in die Schwänze bissen.
Selena hatte das starke Gefühl, dass der Uhrmacher von vornherein wusste, für welche davon sie sich entscheiden würde, aber um ihr die letzte Entscheidung zu überlassen, diese drei zur Auswahl ließ.
Seine Augen funkelten belustigt, als sie die Mittlere Uhr mit den beiden Schlangen in die Hand nahm, aufklappte und schließlich zufrieden verkündete, dass sie sich für diese entschieden hatte.
Sie bezahlte die Uhr und ließ sie einpacken. Dabei bemerkte sie, dass sie gerade mehr als ein Monatsgehalt ausgegeben hatte. Schließlich zuckte sie bei diesem Gedanken nur mit den Schultern, nahm ihr Päckchen an sich und verließ den Laden.
Sobald sie draußen angekommen war, apparierte sie nach Hause zurück und war gespannt, was die beiden Hauselfen unterdessen geschafft hatten.
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