
von Lady_Selena
Unweigerlich erinnerte sie der Spaziergang über verschneite Wiesen bei bitterer Kälte an ihr erstes Weihnachtsfest mit Lord Voldemort. Viel war seitdem geschehen und sie hing ihren Gedanken nach, während sie sich von ihm führen ließ.
Ein eigentliches Ziel war ohnehin nicht zu erkennen bis sie vor einer Weggabelung ankamen, die sie schon einmal gesehen hatte.
Der Dunkle Lord blieb stehen und neigte sein Haupt im eisigen Wind, als ob er versuchte etwas zu hören. Plötzlich stahl sich ein Lächeln auf seine Züge und er murmelte
»Sie weiß, dass wir hier sind.«
»Wer?«, fragte Selena verwirrt.
Er bedachte sie mit einem Blick, der so etwas wie Verachtung und Zweifel an ihren geistigen Fähigkeiten ausdrückte und der ihr überhaupt nicht gefiel.
»Cashyra, Du Dummerchen.«
Natürlich!, schalt sie sich selbst. Eigentlich hätte sie selbst darauf kommen können. Sie zog eine Schnute und schwieg ertappt.
»Müsstest Du sie nicht ohnehin bald wieder aufsuchen?«
»Ja, Du hast recht. Ich hatte es ganz vergessen.«
Wieder funkelten seine Augen sie spöttisch an.
»Möchtest Du Dein Versäumnis jetzt nachholen, oder wollen wir unseren Weg fortsetzen und diesen Teil des Waldes meiden?«
Unbewusst suchten ihre Hände ihren Bauch. Sie spürte noch zu wenig, um abzuschätzen, wie es ihrem Ungeboren ging und da wäre die Meinung der Kräuterhexe eine willkommene Abwechslung.
»Lass sie uns besuchen.«, antwortete sie also.
Sich durch das verschneite Unterholz zu schlagen, war keineswegs einfacher, als damals, bevor der Schnee fiel und nur trügerisches Laub hinderlich war. Die nackten Äste und Zweige griffen auch dieses mal unbarmherzig nach Selenas Rocksaum und Umhang. Ständig musste sie stehen bleiben und sich befreien.
Langsam wurde ihr eiskalt und dass der Schnee an ihrer Kleidung geschmolzen und sie bereits bis zu den Knöcheln durchnässt war, machte die Sache nicht besser. Ihre Zehen fühlten sich bereits taub an. Den Dunklen Lord hingegen schien das alles jedoch nicht zu beeindrucken und er ging unbeirrt weiter, ohne sich um sie zu kümmern.
Bald darauf war er nicht mehr zu sehen und sie war allein inmitten des undurchdringlich scheinenden Waldes.
Der Himmel hatte sich unterdessen zugezogen und bedeckte die ohnehin blasse Sonne, sodass nur noch wenig Licht den Weg vor ihr erhellte. Jedes Knacken und jedes Geräusch in ihrer Umgebung ließ sie zusammenzucken.
Auch wenn sie davon überzeugt war, sich hoffnungslos zu verlaufen, schritt sie unbeirrt weiter. Irgendwann würde sie entweder die Lichtung oder aus dem Wald herausfinden. Wenn sie nicht vorher erfror.
Durch einen falschen Schritt, fiel sie hin und lachte hysterisch auf. Ihr Knöchel schmerzte. Es dauerte einen Moment, ehe sie sich wieder gefangen hatte. Sie zog nun endlich ihren Zauberstab aus dem Umhang und trocknete ihr nasses Gewand damit. Dann wisperte sie [i]»Lumos«[i], und versuchte sich zu orientieren.
Sie entdeckte die Spuren, die sie in die Schneedecke gegraben hatte und wusste somit wenigstens, aus welcher Richtung sie gekommen war.
Sie erinnerte sich wieder an die Worte, die ihr Mann damals gebraucht hatte. Der Wald sei von Magie durchdrungen und man könne sie fühlen. Doch sie spürte nichts als Eiseskälte. Nicht einmal Wind verfing sich im Unterholz, obgleich sich die Baumkronen sanft wiegten.
Selena schloss die Augen und versuchte sich nur auf ihre Empfindungen zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken wurden immer wieder abgelenkt, weil sie die Behauptung so absurd fand und sie sich allmählich albern vorkam.
Plötzlich fühlte sie sich beobachtet und schlug schnell die Augen auf. Sie entdeckte jedoch niemanden.
Da sie sich nicht auf ihre Augen verlassen wollte, murmelte sie
[i]»Homenum revelio.«[i]
Der Zauber enthüllte auch tatsächlich die Anwesenheit einer Person und wenn sie ihr Gefühl nicht täuschte, war es der Dunkle Lord.
[i]»Das sind unlautere Mittel!«[i], hörte sie auch bald darauf seine kalte Stimme zischen.
»Warum hast Du Dich unsichtbar gemacht?«, fragte sie ins Nichts.
»Weil ich sehen wollte, wie Du reagierst, wenn ich plötzlich verschwinde. Ich wollte, dass Du versuchst den Weg allein zu finden.«
Wenige Schritte von ihr entfernt tauchte er wieder auf und grinste sie boshaft an.
»Aber anscheinend habe ich mich in Dir getäuscht.«
»Woher willst Du denn wissen, dass ich es nicht geschafft hätte?«
»Ich bitte Dich, Selena. Du bewegst Dich seit einer Viertelstunde in die falsche Richtung.«
»Ich wollte Dich eben verwirren.«, verteidigte sie sich erfolglos.
»Komm. Es ist nicht mehr weit.«
Er griff nach ihrer Hand und führte sie einen Weg entlang, der keineswegs so beschwerlich war, wie der vorige.
Wenige Minuten später wurde die Luft wärmer und die Pflanzen wieder grüner. Sie hatten Cashyras Lichtung erreicht.
Die alte Hexe erwartete sie bereits vor dem Eingang ihrer Hütte.
»Siehst Du, Riddle. Selbst ich kann mich irren, als ich prophezeite wir würden uns in diesem Leben nicht noch einmal sehen.«
»Ich hatte es ebenso bezweifelt, Cashyra.«
Auf ihren Stock gestützt suchte sie mit den Händen den Eingang ihrer Behausung. Anscheinend hatte ihre Sehkraft noch mehr nachgelassen.
Selena und der Dunkle Lord folgten ihr in die wohlige Wärme hinein.
Mit zitternden Händen goss sie Tee aus einem Kessel in zwei Tonbecher und gab sie den beiden.
»Hier. Trinkt das. Dein Mädchen wirkt halb erfroren und Dir geht es sicher auch nicht besser.«
Dankbar nahm Selena den heißen Becher entgegen und nippte vorsichtig an der aromatischen Flüssigkeit. Sofort durchströmte sie eine angenehme Wärme und sie bekam langsam wieder etwas Gefühl in ihren Gliedern.
»Habt ihr mir etwas mitgebracht?«, fragte sie mit einem Funkeln in den trüben Augen.
»Nein, Cashyra. Wir hatten nicht geplant, Dich zu besuchen und Selena hätte Dich allein wohl auch nicht gefunden.«
»Aye.«, sagte die alte Hexe nur schlicht. »Von Dir hatte ich nichts anderes erwartet. Frohe Weihnachten, übrigens.«
Der Dunkle Lord blieb ihr eine Antwort schuldig und knurrte nur mürrisch.
Die alte Hexe zuckte kurz mit den Schultern und wechselte dann das Thema.
»Also was führt euch zu mir?«
»Ich möchte wissen, ob es meinem Sohn gut geht.«, antwortete Selena liebevoll.
»Natürlich. Das wollen sie alle.«
Nach einem Moment bat sie Selena sich auf ihr Bett zu legen und legte behutsam ihre Hände auf den Stoff ihres Kleides. Dann schloss die alte Hexe die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, bevor sich ein Lächeln auf ihre Züge stahl.
»Es ist alles in Ordnung.«, sagte sie dann schlicht und wand sich ab, während Selena sich wieder aufrichtete. Einmal mehr fragte sie sich, wie Cashyra es anstellte, mit solcher Gewissheit zu sagen, wie es um das Ungeborene stand. Verstehen würde sie es wahrscheinlich nie.
»Riddle! Nimm sofort Deine Finger da weg!«
Aufgebracht stapfte Cashyra einmal quer durch den Raum und hinderte den Dunklen Lord daran ein mit Schnitzereien verziertes Holzkästchen genauer zu betrachten.
»Was ist da drin, Cashyra? Mich dünkt, es möchte heraus.«
»Möchte es nicht.«, antwortete sie, während sie das Kästchen krampfhaft an ihren Busen presste. Ein gehetzter Ausdruck trat in ihre Augen und sie versuchte es so unauffällig wie möglich verschwinden zu lassen. Schließlich sah sie wohl ein, dass dies unmöglich war und das graue Wolltuch, welches sie um ihre Schultern geschlungen hatte, sackte mehrere Zentimeter herab.
»Vergiss, was Du gesehen hast. Vergiss, was Du gehört hast. Es gibt mehr Geheimnisse zwischen Himmel und Erde als Du lüften könntest und dies ist meines.«, sagte sie dann gefährlich leise. »Ihr solltet nun gehen.«
»Was glaubst Du, war in dem Kästchen?«, fragte Selena nachdem sie sich wieder auf Sichtweite Fort Irvines genähert hatten. Den Weg durch den Wald hatten sie schweigend zurückgelegt und Selena wusste, dass es ihn die ganze Zeit über beschäftigte, doch sie wagte erst jetzt danach zu fragen.
»Ich weiß es nicht, Selena, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war es am Leben und rief nach mir. Die alte Vettel war aber zu schnell.«
»Ich glaube nicht, dass sie eine Vettel ist, Tom. Sei nicht zu hart zu ihr, schließlich wird sie unseren Sohn auf die Welt geleiten.«
»Glaub mir, ihr trau ich alles zu. Wenn ich nur einen Moment… Ach. Das ist doch müßig. Das Kästchen wird bei unserem nächsten Besuch sicher meilenweit entfernt sein.«
Selena wurde klamm ums Herz und eine unbestimmte Angst beschlich sie.
»Bist Du wirklich der Meinung, sie würde sich an kleinen Kindern vergreifen?«
»Wer weiß das schon.«, antwortete der Dunkle Lord vielsagend. »Es muss einen Grund dafür geben, warum jedes Lebewesen ihren Teil des Waldes meiden und sie immer nach Fleisch fragt, sobald man sie besucht.«
»Warum nehmen wir dann ihre Dienste in Anspruch? Ich möchte unseren Sohn nicht auf die Welt bringen, nur damit er entführt und von einer alten Sabberhexe verspeist wird.«
Er blieb stehen und sah ihr tief in die Augen.
»Selena. Das würde sie nicht wagen. Ich bin davon überzeugt, dass sie außerhalb ihres Waldes keineswegs so souverän ist, wie sie tut. Sie hat Angst vor mir, das sehe ich in ihrem Blick, auch wenn sie das niemals zugeben würde. Deinem Kind wird nichts geschehen. Das verspreche ich Dir.«
»Ist das Dein Ernst?«
»Ja.«
»Danke, Liebster.«, sanft drückte sie ihm einen Kuss auf, dann setzten sie ihren Weg fort.
Zu Hause angekommen, ging Lord Voldemort in sein Arbeitszimmer und befahl Selena ihn nicht zu stören. Die nächsten zwei Tage bekam sie ihn nicht mehr zu Gesicht, nicht einmal bei den Mahlzeiten. Nur von den Hauselfen erfuhr sie, dass er immer noch in Fort Irvine weilte und kaum etwas zu sich nahm. Nur dem Wein sprach er wohl redlich zu, was Selena umso mehr verwirrte.
Sie vertrieb sich die Zeit damit, weiter in der Bibliothek zu stöbern und hier und da ein Buch anzulesen, welches sie für vielversprechend hielt. Doch wirklich konzentrieren konnte sie sich auf keines lang.
Am Abend des dritten Tages stand er plötzlich vor ihr. Sie hatte es sich auf dem Sofa vor dem Kamin bequem gemacht, die Füße unter einer Decke und die Nase tief in einem Buch vergraben.
»Ich möchte Dir etwas zeigen, Selena.«
Seine Stimme klang rau und seine Zunge war schwer vom Wein, auch sah er vollkommen übermüdet und abgespannt aus.
Er drückte ihr einen kleinen Stapel vergilbte, schwarzweiße Fotografien in die Hand, die allesamt einen blonden jungen Mann mit einem schelmischen Grinsen zeigten. Es dauerte einen Moment, ehe Selena begriff.
»Das ist doch der Dieb aus Gregorowitschs Erinnerung! Woher…?«
Sie war fassungslos.
»Genau das dachte ich mir auch. Schön, dass Du meine Erkenntnisse teilst.«
Fasziniert drehte sie eines der Bilder um und ignorierte das stumme Protestieren des Jünglings auf der Vorderseite.
[i]Mein Neffe Gellert Grindelwald im Juni 1899[i]
Ihr stockte der Atem. Gellert Grindelwald? [i]Der[i] Gellert Grindelwald? Der, dem ihre Vorfahren treue Anhänger waren, der ihre Ideale vertrat, sollte ein gemeiner Dieb sein? Der Elderstab sollte die Antwort sein, auf die nie gestellte Frage seiner Macht, weil er ihn gestohlen und verheimlicht hatte?
»Das… das ist unglaublich. Grindelwald! Er war der Dieb! Er hat den Elderstab benutzt!«
»Ja, auch das ist meine Schlussfolgerung.«
»Aber, wie konnte er dann geschlagen werden? Ich meine, der Elderstab! Er gilt doch als unbesiegbar. Oder nicht?«
»Ja und Nein. Der Elderstab hat den Ruf mächtig zu sein. Mächtiger, als alle anderen Zauberstäbe. Doch wechselte er in der Geschichte der Zauberei stetig seine Loyalität. Er ist sagenumwoben und keine lebende Kreatur vermag noch zu benennen, wer ihn fertigte, viele glauben ja, es sei der Tod höchst selbst gewesen, was ich allerdings bezweifle.«, er machte eine Pause und hielt sich an der Lehne des nächststehenden Sessels fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Anscheinend ist es Gregorowitsch jedoch gelungen zu identifizieren, dass er aus Holunder bestand und sein Kern das Schweifhaar eines Thestrals war. Jeder Versuch dieses Meisterwerk zu kopieren, schlug allerdings fehl, auch wenn er es zweifelsohne immer wieder versuchte.«
Selena blickte ihn bewundernd an, auch wenn er recht langsam sprach und die Worte ungewohnt gedehnt und gelallt aus seinem Mund kamen.
»Woher weißt Du das alles?«
»Glaubst Du wirklich, meine Schöne, ich hätte die letzten Stunden Däumchen gedreht? Natürlich habe ich nach Antworten gesucht. Ich hatte mir damals Aufzeichnungen von Gregorowitsch mitgenommen, doch hatte ich bislang nicht die Muße, sie mir genauer anzuschauen. Ich wollte und will den Stab finden, nicht herstellen. Außerdem schreibt er so langweilig.«
Er ließ sich in einen Sessel fallen und fing an zu kichern.
»Was hast Du nun vor, Liebster?«, fragte sie, weil sie mit der Situation nichts anzufangen wusste.
»Ich? Nüchtern werden. Ich bin so betrunken wie noch nie, meine Schöne.«, dann kicherte er wieder und rutschte noch tiefer in seinen Sessel.
»Das habe ich bemerkt.«, antwortete sie spitz.
»Sei doch nicht so ein Spielverderber.«, erwiderte er gekränkt und schloss die Augen. Es dauerte lang, ehe er sie wieder öffnete.
Mühsam stemmte er sich wieder aus seinem Sessel hoch und kam zu ihr hinüber. Sie machte Platz und er ließ sich in die Polster fallen. Mechanisch begann sie seinen Nacken zu kraulen und er fing an zu schnurren.
»Oh ja, das ist gut.«
Wieder schloss der Dunkle Lord die Augen und ließ sich die Streicheleinheiten gefallen.
»Wenn Dich Deine Todesser so sehen könnten.«, flüsterte Selena dicht an seinem Ohr, während sie sich an ihn kuschelte.
[i]»Hmm. Werden sie aber nicht, nicht wahr?«[i], antwortete er auf Parsel, offensichtlich ohne den Sprachwechsel zu bemerken. Nagini, die vor dem Kamin döste, hob unwillig den Kopf und zischte missbilligend.
Selena musste herzhaft über diese unschuldig naive Antwort lachen und bestätigte
»Nein, werden sie nicht.«
Danach dauerte es nicht mehr lang, bis sein Kopf an ihre Schulter sank und er leise schnarchend einschlief.
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