In wenigen Tagen würde auch dieses Jahr sich dem Ende neigen. Heute war der letzte Tag vor der Abreise der Schüler, die über die Weihnachtsferien nach Hause fahren würden. Im gesamten Schloss herrschte Weihnachtsstimmung und Vorfreude auf das Jahr 1997.
Die großen Fenster in den Gängen gaben den Blick auf eine schneebedeckte Landschaft frei. Weiße Flocken zogen in der frühen Dunkelheit des Winters an dem Glas vorbei, welches an seinen Ecken und Rändern von Eisblumen verziert wurde. Die festlich geschmückte Halle und die singenden Geister konnten Ginny nicht in Weihnachtsstimmung versetzen. So langsam merkte sie, dass auch sie erwachsen wurde, denn das weihnachtliche Feeling blieb bei ihr aus.
Am Abend des letzten Schultages des Jahres fand die Weihnachtsparty von Professor Slughorn statt, organisiert für den Slug-Club, dem Ginny bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Doch heute würde sie sich dort blicken lassen müssen. Ihre Mission nötigte sie dazu und momentan war ihre Aufgabe ihr alles wert. Heute Abend würde es einen neuen Versuch geben, Dumbledore zu stürzen.
Mit Malfoy war sie hier verabredet. Wie genau ihr Plan aussah wusste sie nicht, denn bisher hatte er alle Details für sich behalten. Einzig und allein die Tatsache, dass der Plan etwas mit der Weihnachtsfeier am heutigen Abend zu tun hatte, hatte Malfoy Preis gegeben. An der Gryffindor gingen immer wieder fein gemachte Schüler vorbei, auf dem Weg zur Party von Slughorn. Ginny hatte sich ebenfalls gut gekleidet, auch wenn sie sich auf der Feier nicht lange aufhalten würde. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, ihre roten langen Haare fielen ihr über die Schultern, einige Strähnen wurden von einer Spange aus der Stirn gehalten.
Mit ihrem Blick suchte sie die Gegend ab, Ausschau haltend nach dem Slytherin, von dem bisher noch jede Spur fehlte. Mit ihrer Hand spielte sie unbewusst an dem Anhänger ihrer Kette herum. Ihr Blick fiel auf einen Mistelzweig, von denen es unzählige zur Weihnachtszeit in Hogwarts gab, unter dem sich gerade ein Pärchen befand. Der Junge küsste das Mädchen, woraufhin sich ihre Wangen rot färbten. Verlegen, aber deutlich glücklich, gingen die beiden Schüler Arm in Arm ihren Weg weiter. Nachdenklich sah Ginny ihnen nach und fragte sich in diesem Moment, wie es wäre, mit Tom unter einem Mistelzweig zu stehen...
„Wie rührend. Weasley träumt wohl von ihrem Märchenprinz.“
Die schnarrende Stimme hatte Ginny aus ihren Gedanken gerissen und als sie aufsah, erkannte sie das blasse Gesicht von Draco Malfoy. Spöttisch grinsend sah er auf sie hinab, doch Ginny überging seine Stichelei einfach.
„Wird auch Zeit das du endlich auftauchst“, beschwerte sie sich. „Ich dachte schon du würdest kneifen.“
„Ein Malfoy kneift nicht, merk dir das“, sagte er und gab ihr ein Zeichen ihm hinter die kleine Nische zu folgen. Hier war zwar wenig Platz, dennoch waren sie ungestört und das war das Wichtigste. Niemand sollte sie sehen oder etwas von ihrem Gespräch belauschen. Nun, in voller Zweisamkeit, schien es ihm unausweichlich sie zu mustern.
„Das ich das noch erleben darf.“ Seine Augen fuhren einmal an ihrem Körper herunter und wieder hinauf. „Du kannst ja tatsächlich weiblich aussehen.“
Nur eine Sekunde später hatte er ihren Zauberstab direkt vor seiner Nase, dessen Spitze bereits gefährlich aufleuchtete.
„Malfoy, zügle deine Zunge, ansonsten hast du bald keine mehr. Mach nur so weiter und du kannst zu sehen von wem du Hilfe erhältst. Oder willst du das ich Tom davon berichte?“
Dies war wohl das Stichwort. Seine Augen weiteten sich angsterfüllt und seine Lippen pressten sich zu einer Linie zusammen, wie um ein weiteres Wort, welches ihn in Schwierigkeiten bringen könnte, zurück zu halten.
„Und wenn ich mir dich so ansehe, würde ich dir dringend eine Mütze Schlaf empfehlen. Augenringe stehen niemandem.“
Reflexartig hob er die rechte Hand und rieb sich über das Gesicht. Er sah wirklich nicht gerade gesund aus. Erst jetzt bemerkte sie, dass er etwas in seiner andere Hand hielt. Es hatte in etwa die Größe einer Armlänge und war in Papier eingewickelt. Sie richtete ihren Zauberstab darauf und fragte: „Was ist das?“
„Das“, sagte er und hielt ihr das verpackte Etwas vor ihre Nase, „ist vergifteter Met.“
Skeptisch beäugte sie das Päckchen, aus dem sie nun die ungefähre Form einer Flasche ausmachen konnte. Sie hatte eine runde Gestalt, die nach oben schmaler wurde.
„Wie hast du ihn ins Schloss bekommen?“ Ginny war immer noch nicht überzeugt.
„Madam Rosmerta“, antwortete er. „Sie hat ihn geschickt. Filch würde niemals auf die Idee kommen von der liebenswerten Madam Rosmerta etwas anzweifeln.“
Da musste sie ihm Recht geben. Wer würde schon annehmen, dass die reizende Wirtin jemandem etwas Böses wollen würde? Madam Rosmerta stand anscheinend immer noch unter Malfoys Imperius-Fluch. Nach dem Missgeschick in Hogsmeade und dem gescheiterten Attentat auf Katie Bell, hätte sie nicht erwartet, dass Malfoy weiterhin die Hilfe der alten Wirtsfrau in Anspruch nehmen würde.
„Willst du den Met in Dumbledores Büro schmuggeln?“, fragte sie und war in Gedanken schon bei der Vorstellung wie sie Malfoy erwischten und er von den Dementoren nach Askaban abgeführt wurde.
„Bist du wahnsinnig? Das ist viel zu gefährlich!“ Empört starrte er sie an und schien wohl die gleiche Vorstellung gehabt zu haben wie sie.
Man bräuchte wohl eine äußerst gute Ausrede, um sich herausreden zu können, wenn man mit einer vergifteten Substanz erwischt wurde. Vielleicht könnte man behaupten auch unter dem Einfluss des Imperius-Fluchs zustehen – so wie Katie Bell. Da man dies nicht nachweisen konnte, hatten das schon viele Leute behauptet.
„Letzte Woche habe ich zufällig ein Gespräch belauscht, in dem Slughorn erzählt hat, dass er Dumbledore Met zu Weihnachten schenken will. Diese Flasche wird er unserem Schulleiter überreichen, nicht ahnend, dass sie vergiftet ist.“
Verstehend nickte sie. Professor Slughorn war dafür wirklich bestens geeignet. Bei ihm drehte sich alles um Beziehungen und nützliche Bekanntschaften, Feierlichkeiten und gegenseitigen Nutzen. Ein Geschenk von ihm war wohl von der Lehrerschaft am Ehesten zu erwarten und Dumbledore würde einem Kollegen natürlich vertrauen und den Met nicht anzweifeln.
Auf der anderen Seite war dies eine gewagte Aktion! Würde Slughorn den Met überhaupt überreichen oder gar selbst trinken? Was wenn etwas schief gehen würde? Wenn jemand anderes ihn tränke oder irgendwer erkennen könnte, dass es sich um Gift handelte?
„Findest du nicht, dass dein Einfall sehr gewagt ist?“
Malfoy schnaubte, wie zu erwarten, empört auf. „Der Plan ist brillant!“
„Der Plan ist löchrig, wie Schweizer Käse! Was ist wenn jemand etwas bemerkt? Wenn der Met jemand anderem in die Hände fällt? Hast du daran schon einmal gedacht? Willst du das?“
„Es wird schon nichts passieren.“
Ginny sog die Luft geräuschvoll ein und atmete sie wieder aus um sich zu beruhigen. Über so viel Naivität konnte man nur den Kopf schütteln. „Und was ist mit Katie Bell?“
Das brachte ihn aus der Fassung. Sichtlich verunsichert schien er zu überlegen, ehe er losplärrte. „Komm mir nicht wieder mit Bell! Sie ist selbst schuld, wenn sie die Kette berührt! Es ist nicht meine Schuld! Wenn sie besser aufgepasst hätte...“
Dann brach seine Stimme und dieser Satz blieb unbeendet. Frustriert raufte er sich sein weißblondes Haar und brachte sie somit ganz durcheinander. So einen Aussetzer hatte sie bei Draco Malfoy nicht erwartet. Sonst verbarg er stets seine Emotionen. Ginny hatte aus seiner Stimme die Selbstvorwürfe heraus hören können. Malfoy war es nicht egal, was Katie zugestoßen war. Ganz bestimmt nicht.
Nicht zum ersten Mal verspürte sie das Bedürfnis, ihn zu trösten.
„Ähm...“ Unsicher beäugte sie den Slytherin vor sich, der langsam aber sicher seine Fassung zurück gewann. In ihren Gedanken häuften sich allerhand Aufmunterungen, eine klang idiotischer als die andere. Alles halb so schlimm. Kopf hoch. Augen zu und durch. Ich glaub an dich. Alles wird gut. Wenn du heiratest ist alles wieder vergessen... Oh mann.
„Das wird schon wieder.“ Diese Ermutigung hätte sowohl auf Katie, als auch auf ihn zutreffen können. Doch leider waren ihre Worte wirkungslos.
„Spar dir deine plumpen Sprüche“, fauchte Draco in seinem verletzten Stolz. Also keine gute Wahl. Vielleicht wäre ‚Kopf hoch’ doch angebrachter gewesen.
„Also dann, Malfoy. Viel Erfolg mit deinem Gebräu“, verabschiedete Ginny sich und wollte bereits die Nische verlassen, als der Slytherin ihr mit seinem Arm den Weg versperrte.
„Eigentlich...“, fing er an.
Ginny sah auf in die grauen Augen.
„Ich dachte, du machst es.“
Wovon redete der Kerl?
„Was?“
„Du wirst diese Flasche bei Slughorn mit einer normalen Flasche Met austauschen“, sagte er und drückte sie ihr auch prompt in die Hände. Dabei zeigte er ein Lächeln, welches er wahrscheinlich sonst nur aufsetzte, wenn er sich bei einem Lehrer einschleimte oder jemandem Honig um den Mund schmierte.
Genervt seufzte sie auf. Als ob sie es geahnt hätte! Aus welchem Grund sollte er sie sonst hier her bestellen und von seinem bescheidenen Plan erzählen? Natürlich damit sie es für ihn erledigte.
„Wieso machst du das nicht selber?“ Empört verschränkte sie ihre Arme vor der Brust
„Weil du, Weaslette, auf dieser Feier eingeladen bist. Du wirst kinderleicht eine Gelegenheit finden ungesehen in Slughorns privates Zimmer zu kommen, da die Räumlichkeiten direkt nebeneinander liegen. Außerdem scheint er etwas an dir zu mögen, sonst wärst du nicht in seinem albernen Club.“
Ginny versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Malfoy gehörte nicht zu Sluggys Lieblingen und ganz sicher machte ihm das etwas aus, schließlich war er es gewohnt eine Sonderbehandlung zu bekommen, vor allem bei seinem Hauslehrer. Nicht zum Slug-Club zu gehören, musste eine Kränkung für ihn sein. „Ist da etwas wer neidisch?“, neckte sie ihn.
„Tz, wovon träumst du nachts?“ Doch Ginny konnte an seinem ausweichendem Blick erkennen, dass es sich um eine klare Lüge handelte. Das war doch wirklich mal eine Genugtuung...
„In der Zwischenzeit habe ich noch etwas an einem anderen Ort zu erledigen.“
„Aha“, kommentierte sie uninteressiert, während sie die eingepackte Flasche in ihrer Handtasche verstaute, die gerade mal so Platz darin fand.
Ein wenig beleidigt von ihren nicht vorhandenen Interesse fuhr er patzig fort: „Schaffst du das den vergifteten Met hinein zu schmuggeln?“
Belustigt schüttelte sie den Kopf. Erst drückt er sich vor seinem eigenen Plan, um es ihr aufzuhalsen und dann zweifelt er auch noch ihre Kompetenz an. „Wenn ich es schaffe einen Unverzeihlichen anzuwenden, wird mir wohl auch das gelingen.“
Malfoys Augen fielen ihm beinahe aus den Höhlen und er öffnete bereits seinen Mund um zu einer Frage anzusetzen, allerdings war jetzt keine Zeit mehr für Plaudereien.
„Werde ich dir bei Gelegenheit vielleicht sogar mal erzählen.“
Sein verwirrter Blick war das Letzte was sie sah, bevor sie seine Unachtsamkeit ausnutzte, sich an ihm vorbeiquetschte und aus der Nische hervortrat.
Sie musste sich beeilen, sonst würde sie zu spät zu der Weihnachtsparty kommen und an diesem Abend wollte sie nicht für zu großes Aufsehen sorgen. Es wäre nicht vorteilhaft, wenn man sie mit einer vergifteten Flasche Met antreffen würde.
Und sie hatte wirklich gedacht, Malfoy hätte einen Plan entwickelt, mit dem sie auch Harry miteinbeziehen könnte, aber wieder einmal dachte der Blonde nur an sich und seine Aufgabe. Unverschämter Weise nahm er auch noch an, dass sie ihm bereitwillig half. Sie sollte ein Auge auf ihn haben, ja, aber doch nicht alles für ihn erledigen und ihm aus der Patsche helfen!
Draco Malfoy war wirklich anstrengend!
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel