„Wie geht es dir?“
„Eigentlich schon wieder ganz gut. Ich würde liebend gern hier raus, aber Madam Pomfrey lässt mich nicht.“
Ron saß in einem Bett im Krankenflügel. Zwei Tage waren seit dem Unfall vergangen und die Heilerin bestand darauf ihn noch zur Beobachtung im Krankenflügel zu behalten.
„Dabei würde ich so gerne am Spiel gegen Hufflepuff teilnehmen“, sagte Ron mit bedrückter Miene zu seiner Schwester. „Ich habe schon versucht mich davon zu stehlen, aber ihre Augen sind überall.“
Wie aufs Stichwort rauschte Madam Pomfrey an ihnen vorbei, die einem Jungen, der einige Betten weiter lag, einen Becher gab. „Nun trinken Sie schon ihre Medizin, Mister Jeffery, ihre Pusteln verschwinden nicht von alleine.“
„Armer Kerl, dieser Jeffery.“ Ron und Ginny beobachteten die beiden. „Hat einen Fluch im Verteidigung gegen die dunklen Künste Unterricht abbekommen.“ Sie sahen zu, wie der Junge mit den blonden Haaren mit misstrauischem Gesicht das Heilmittel trank und daraufhin das Gesicht verzog.
„Ihhh, das schmeckt widerlich.“
„Stellen Sie sich nicht so an“, schimpfte Madam Pomfrey.
Ron wandte sich wieder seiner Schwester zu. „Vermutlich kann er heute Abend schon wieder gehen. Siehst du, die Pusteln werden schon kleiner. Alle die hier rein kommen bleiben ein paar Stunden und dann gehen sie wieder. Jeder verlässt den Krankenflügel schon vor mir. Ich sitze hier fest.“ Ron starrte zum Teil deprimiert, aber auch wütend auf seine Hände, die er zu Fäusten ballte.
„Es ist nur zu deinem Besten. Du sprichst, als würdest du im Gefängnis sitzen.“
„So fühle ich mich auch.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Bald ist schließlich das Spiel gegen Hufflepuff. Madam Pomfrey scheint überhaupt nicht zu verstehen wie wichtig dieses Spiel ist. Jetzt spielt McLaggen für mich!“ Ron schnaubte.
Beschämt senkte Ginny den Kopf.
Nach dem Frühstück hatte sie eine Freistunde und diese Zeit nutzte sie um ihren Bruder zu besuchen. Sie wollte einen Moment abpassen, in dem sie mit ihm allein sein konnte, denn sonst hatte er meist Besuch von seinen Freunden. Jetzt saß sie auf einem kleinen weißen Hocker neben seinem Bett, hatte die Arme auf die weiche Matratze gelegt und nahm seine Hand, die sie leicht drückte.
Die Gewissensbisse waren nicht verschwunden. Zuerst hatte sie sich Vorwürfe gemacht, sich die Schuld gegeben, die sie gewiss an seinem Unfall trug und verzweifelte beinahe daran, dass ihre dummen Taten das Leben ihres Bruders hätten kosten können. Nach der Begegnung mit Draco, der sie getröstet hatte, milderten seine Worte ihre Wut gegen sich selbst und ihre Angst. Sie versuchte nun alles zu verdrängen, sie wollte Ron gegenübertreten ohne im Hinterkopf die Wahrheit zu kennen. Seit diesem Ereignis hatte sie nicht einmal mehr ins Tagebuch geschrieben. Momentan wollte sie Tom einfach nicht schildern was vor sich ging. Vermutlich aus Angst vor seiner Antwort. Wie würde er wohl auf die gescheiterte Mission reagieren? Ganz zu schweigen von dem ungewollten Angriff auf den jüngsten Sohn der Weasleys. Hätte er Verständnis für ihren Kummer gehabt? Würde er sie trösten, so wie Draco es getan hatte? Ginny schien die Antwort zu erahnen und das Tagebuch blieb am Boden ihres Koffers vorerst ungeöffnet.
Ihren Bruder gesund und munter vor sich zu sehen war im Augenblick das Einzige was sie wollte.
„Es tut mir so leid“, hauchte sie leise und die Tränen stiegen ihr in die Augen.
Ron hob seine Augenbrauen. „Du brauchst doch nicht weinen. Du kannst ja nichts dafür.“ Er lächelte aufmunternd. „Ich werde ja wieder gesund.“
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ginny sank auf dem Bett zusammen und vergrub ihr Gesicht in der Bettdecke. Welch ein Glück das es ihm gut ging. Ginny hätte es sich nie verziehen, wenn Ron größeren Schaden genommen hätte. Ron tätschelte ihren Rücken als sie anfing zu weinen. Seine Nettigkeiten hatte sie gar nicht verdient! Wenn er nur wüsste! Dann würde er sie nicht mehr anfassen und sie nicht mehr in seiner Nähe haben wollen.
„Na ja, etwas Gutes hat es ja, dass ich hier fest sitze. Ich kann mich vor Lavender verstecken.“ Ginny sah ihn zwischen den tränenverschmierten Wimpern und einigen Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht fielen, an. Vergeblich versuchte Ron die Stimmung ein wenig aufzuheitern.
„Ich freue mich über deinen Besuch“, sagte er nach einer Weile. „In letzter Zeit sehe ich dich nicht mehr so oft. Eigentlich nur noch beim Quidditch-Training. In den Weihnachtsferien hast du dich auch nur die ganze Zeit in deinem Zimmer versteckt.“
Schuldbewusst senkte Ginny wieder den Blick. Es stimmte, dass sie sich zurückgezogen hatte. Aber wieso sollte sie sich einen Vorwurf machen? Ron hatte sich auch damals zurückgezogen, als er Harry kennen gelernt hatte und nachdem alle ihre Brüder nach Hogwarts gingen oder nicht mehr zu Hause wohnten, war Ginny auch allein gewesen. Ein Teil in ihr wollte widersprechen und es schien ihr lachhaft sich diesbezüglich zu rechtfertigen, doch ein anderer, stärkerer Teil von ihr kannte den Grund für ihre Verschlossenheit. Für diesen Grund konnte man sich nur schämen.
„Du hast dich verändert.“
„Ich weiß.“
Eine Weile sah Ron sie abschätzend an. Vermutlich zog er einige Schlüsse, was der Auslöser für diese Veränderung sein könnte. Nie im Leben würde er auf die richtige Antwort kommen.
„Mir gefällt das nicht.“
„Mir auch nicht“, antwortete sie und das meinte sie ehrlich. Sie setzte sich wieder aufrecht hin, wischte sich die Tränen weg und bewahrte wieder Fassung. Dieses Gespräch nahm eine Wendung die ihr unangenehm war, doch dem musste sie sich stellen.
„Tu mir einen Gefallen, vertrag dich wieder mit Harry. Ihr wart früher doch mal so gut befreundet.“ Ginny erstarrte. Sie traute sich nicht Ron anzusehen und blickte stur aus einem der hohen Fenster des Krankenflügels. Anscheinend hatte ihr Bruder ein Gespür für heikle Themen.
„Du hast ihn mal sehr gemocht, weißt du noch?“
Sein Blick war warm, doch Ginny fuhr es eiskalt den Rücken hinunter. Sie biss die Zähne zusammen und bemühte sich um einen gelassenen Gesichtsausdruck. Wenn Ron nur wüsste, dass er gerade dabei war eine bereits verheilte Wunde aufzureißen. Es war nie leicht, über seine erste große Liebe hinwegzukommen, doch Ginny hatte es geschafft. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das sich in den Helden Harry Potter verliebt hatte. Er hatte ihre Gefühle mit Füßen getreten und ihr das Herz gebrochen. In ihrem Herzen empfand sie keine Liebe mehr, auch keine Freundschaft oder Zuneigung. Sein Name brachte einen bitteren Beigeschmack mit sich. Sie wollte ihn büßen lassen, für das, was er ihr angetan hatte. Sie wollte, dass er so litt, wie sie es getan hatte.
„Gibt es nicht einen Weg, wie ihr euch wieder vertragen könnt?“, fragte er, doch der Hoffnungsschimmer in seinen Augen verschwand als Ginny den Kopf schüttelte.
„Ich glaube nicht, dass das so einfach geht.“ Schließlich hatte sie bereits versucht ihn umzubringen. „Misch dich bitte nicht ein, Ron. Das ist eine Sache zwischen ihm und mir.“
„Ach ja? Und was war das dann für eine Aktion in unserem Schlafzimmer? Das ging ein bisschen zu weit! Ihr hättet euch beinahe duelliert wenn ich nicht eingegriffen hätte! Du kannst dir gar nicht vorstellen was ich in diesem Moment für eine Panik hatte!“ Aufgebracht schüttelte er den Kopf. „Meine kleine Schwester und mein bester Freund“, murmelte er dann leise zu sich selbst, als könnte er es immer noch nicht glauben. „Was hast du nur in unserem Schlafraum gemacht?“
Da war sie wieder, die Frage auf die sie unmöglich eine Antwort geben konnte. Sie hatte Felix Felicis gesucht und war bei diesem Vorhaben erwischt worden. Das konnte sie unmöglich zugeben, also schwieg sie.
„Du brauchst nicht antworten wenn du nicht willst“, seufzte er, aber Ginny hörte die Enttäuschung in seiner Stimme. „Es geht mich ja nix an“, nuschelte er leise und verbittert, sodass Ginny sich jetzt noch schuldiger fühlte.
„Ich muss jetzt wieder gehen.“ Mit diesen Worten erhob sie sich und schulterte ihre Schultasche. Sie wusste nicht mehr was sie sagen sollte und bevor es noch zu einem Streit kam wollte sie lieber verschwinden. Noch dazu kam das die nächste Schulstunde bald beginnen würde. „Ich hoffe, dass du bald entlassen wirst.“
„Das hoffe ich auch“, sagte er und verschränkte bei der Vorstellung noch länger in diesem Gefängnis festzusitzen die Arme vor der Brust. Ginny wollte gerade gehen, als Ron sie noch einmal ansprach.
„Ginny?“ Ron bedeutete ihr mit einer Geste näher zu kommen und sah sich nach Madam Pomfrey um. Nachdem Ginny sich ihm einige Schritte genähert und zu ihm hinabgebeugt hatte, flüsterte er ihr etwas zu und es schien als wäre die kurze Auseinandersetzung nie gewesen. „Sei vorsichtig. Irgendjemand hier im Schloss führt nichts Gutes im Schilde. Zuerst Katie. Jetzt hat es mich erwischt. Ich will nur, dass du auf dich Acht gibst.“ Sein Blick war voller Sorge. „Ich habe Angst, dass dir etwas passiert.“
Die Worte brachten sie beinahe aus der Fassung. Entsetzen erfasste sie und betäubte ihren Körper. Mit vor Schreck geweiteten Augen konnte sie ihn nur wortlos anstarren. Er machte sich Sorgen. Um sie.
„Hier geht jemand über Leichen.“ Bei dem letzten Wort schauderte sie. Ron nahm ihre Hand und sah sie ermutigend an. Ihre Bestürzung schien er fälschlicherweise als Angst vor dem Attentäter zu interpretieren.
„Keine Angst. Irgendwann werden wir ihn kriegen.“
Stumm nickte sie. Niemand wusste, dass sie diejenige war, die bereit war zu morden, dass sie diejenige war, vor der sich die Schüler und Lehrer fürchteten.
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