von Dr. S
Einen Moment lang hörte Louisâ Herz auf zu schlagen. Einen unendlich lang erscheinenden Moment blieb ihm jeder Zug neue Luft verwehrt und stattdessen fĂŒllte sein Brustkorb sich mit Schmerzen, zog sich immer wieder unter qualvoller Tortur zusammen, wenn er einen hoffnungslosen Versuch unternahm an die lebenserhaltende Substanz zu kommen, die Jamesâ Satz gerade mit voller Wucht aus seinen Lungen gepresst hatte.
Ein Teil von ihm wollte schreien: âHeiraten? Seid ihr wahnsinnig? Mit siebzehn Jahren heiraten, um eine Beziehung zu retten, die noch nicht einmal ein halbes Jahr alt geworden ist, ist purer Wahnsinn!â Aber seinem Mund entwich nur ein schweres Keuchen, das von den gekachelten WĂ€nden des kleinen Badezimmers widerzuhallen schien.
Louis ballte die HĂ€nde zu FĂ€usten und wollte dem Teil von ihm das Wort lassen, der sich geschlagen zurĂŒckziehen wollte. Mit einem schwachen âFreut mich fĂŒr euchâ und einem geheuchelten âaber zumindest Trauzeuge mĂŒsst ihr mich sein lassen.â Aber auch keines dieser Worte kam ĂŒber seine Lippen, die zu beben begonnen hĂ€tten, wĂŒrde er sie nicht zu einem breiten Grinsen ziehen.
âDas ist nicht dein Ernst, Jamesâ, presste er hervor, bevor er bei dem verdutzten Blick seines Cousins in schallendes Lachen ausbrach, das jetzt wirklich von den WĂ€nden widerhallte und dabei eine sehr offensichtliche Spur VerrĂŒcktheit dazu mischte. âIhr solltet euch mal sehen!â Louis hielt sich den Bauch vor Lachen, obwohl seine Brust viel mehr schmerzte.
NatĂŒrlich sah es irgendwie nur peinlich und lĂ€cherlich aus, wie James vor Scorpius hockte, dessen Hand fest umklammerte und dabei gar nicht bemerkte, in was fĂŒr ein FettnĂ€pfchen er getreten war, andererseits war es aber vielleicht gar kein FettnĂ€pfchen. Scorpius sah vielleicht schockiert aus und starrte komplett abwesend an James vorbei, aber er war eben immer noch Scorpius. Es brauchte schon einen Blinden um zu ĂŒbersehen, dass Scorpiusâ Traum von purer Romantik nur mit einer extrem kitschigen Hochzeit erfĂŒllt werden konnte. Und Jamesâ Neigung sich immer Hals ĂŒber Kopf in Dinge zu stĂŒrzen, die viel zu groĂ fĂŒr ihn waren, kam da doch gerade richtig.
Louis wollte lieber nicht daran denken, wie schnell er ĂŒberflĂŒssig sein wĂŒrde. Stattdessen lachte er lieber, als wĂ€re das hier seine letzte Chance. Und irgendwie fĂŒhlte es sich auch so anâŠ
âWas soll das?!â, schnauzte James ihn geradeso an, als hĂ€tte er nicht bemerkt, wie wenige Meter seinen Cousin noch von der Schwelle zum Wahnsinn trennten. Und dass dieses in der Mitte durchlöcherte Tagebuch dazu auch noch beitrug, schien James genauso zu denken, wie alle anderen, die Louis Weasleys magische FĂ€higkeiten schwer unterschĂ€tzten.
âHast du ĂŒberhaupt mal daran gedacht, wie albern und kopflos es ist, diese Frage mit siebzehn Jahren zu stellen?â Das Brennen in Louisâ Augen waren LachtrĂ€nen und die brachten James dazu wutentbrannt hochzufahren, das Tagebuch vom Boden hochreiĂend. Ob er ihn aber wirklich gehört hatte, lieĂ James offen, als er Louis das in schwarzes Leder gebundene Buch vor die Nase hielt, und das mit einem Blick, als wolle er ihn eigenhĂ€ndig aus dem Fenster werfen.
âWas fĂ€llt dir ein meine Sachen zu durchwĂŒhlen?â, zischte James jetzt eher, als dass er schrie, aber wenn Louis ignoriert wurde, dann strafte er das mit gleichen Mitteln.
âHast du zumindest an einen Ring gedacht?â, gluckste Louis. âVergiss nicht, dass du hier Scorpius Malfoy den Hof machst. Da kannst du nicht mit einem SchlĂŒsselring ankommen und darauf hoffen, dass ââ
James strafte Louisâ betontes Ignorieren mit roher Gewalt, packte ihn so plötzlich am Kragen, dass Louis nach Luft schnappte, obwohl es nur eine Hand war, die es ihm erneut erschwerte gleichmĂ€Ăig zu atmen. Ein letztes heiseres Lachen stolperte ĂŒber Louisâ Lippen, bevor er immer noch mit TrĂ€nen in den Augen den Kopf abwandte. Nur war er sich jetzt nicht mehr so sicher, ob das noch LachtrĂ€nen waren.
âWarum schnĂŒffelst du in meinen Sachen herum?â, knurrte James ihn regelrecht an, hatte dabei widerlich groĂe Ăhnlichkeit mit Louisâ Vater. Diese tiefen Kratzer auf Jamesâ RĂŒcken hatten nicht gerade dazu beigetragen, dass seine Persönlichkeit sanfter werden wĂŒrde. DafĂŒr musste Louis jetzt verdĂ€chtig oft einem fast wölfischen Knurren lauschen, und er mochte es nicht, wenn James sich neue Dinge angewöhnte. Er mochte es James bis auf jede Hautzelle genau zu kennen und dementsprechend wusste er auch, wie viel Wut es in seinem Cousin anheizen musste, dass Louis sich ĂŒber ihn in dieser Situation lustig gemacht hatte.
James mochte nicht darĂŒber nachgedacht haben, Scorpius heute so eine Frage zu stellen, aber selbst wenn er sie bereuen wĂŒrde â was er jetzt noch nicht tat â dann könnte er sie gar nicht zurĂŒcknehmen, weil er so nur seinen Stolz verletzte. Und James Potters Stolz war ein nur Ă€uĂerst schwer zu ĂŒberwindendes Hindernis. Selbst fĂŒr seinen besten FreundâŠ
âIch könnte dich dasselbe fragen.â Wieder versuchte Louis Gleiches mit Gleichem zu bekĂ€mpfen, hob die Hand und packte mit aller Entschlossenheit Jamesâ Kragen. Der Ruck, mit dem er James nĂ€her riss, brachte ihre Lippen so verfĂŒhrerisch nahe, dass Louis fĂŒr einen Moment hoffte, der Ărger könnte vielleicht in Leidenschaft umspringen. âDas war in meinen Sachen. Es gehört mir.â
âTut es nicht. Draco hat es mir gegebenâ, erwiderte James und bekam ebenfalls ein ungewöhnlich wildes Knurren gegen die Lippen, das Louis aber nicht zurĂŒckhalten konnte, als er schon wieder erfahren musste, dass stĂ€ndig irgendetwas oder irgendjemand versuchte, ihm diesen kleinen Schatz wegzunehmen, bevor er genĂŒgend Zeit damit verbringen konnte. âUnd ich werde es dir nicht wiedergeben.â
âOh, haben wir einen kleinen Pakt mit demjenigen geschlossen, der deinen RĂŒcken vollkommen verunstaltet hat? Soll ich das jetzt wĂŒrdigen oder doch Ă€uĂerst dĂ€mlich finden?â Louis schnaubte auf, als James ihn dafĂŒr kurzerhand nach hinten schubste, eine Distanz zwischen sie brachte, die erschreckend groĂ wirkte. Der Drang sie wieder zu schlieĂen war zu groĂ, als dass Louis lange stehenbleiben konnte, aber sobald er sich James nĂ€herte, bekam er dessen Faust gegen die Brust, dort, wo sein Herz alleine bereits genug schmerzte.
âFind doch, was du willst, aber ich lass dich nicht mal mehr deine Finger durch dieses Loch steckenâ, blaffte James, bevor er Louis schmerzhaft zischen lieĂ, und das nicht mit einem Schlag, sondern dadurch, dass er das Tagebuch einfach auf den Boden warf.
Louis war kurz davor seine Faust auch mal wieder in Jamesâ Gesicht zu rammen. âIch will gar nicht wissen, was du durch dieses Loch gesteckt hast, als du alleine damit warst, du notgeiler Bastard!â
James fing seine Faust leider ab, bevor Louis auch nur in die NĂ€he von Körper oder Gesicht kam. âDas sagt gerade der Richtige.â Jamesâ Finger schlossen sich fest um Louisâ Faust. âAuf solche perversen Ideen kannst ja wiedermal nur du kommen.â
âAnscheinend nicht pervers genug, damit dein Traum zu einem Alptraum wĂŒrde!â Louis kniff die Augen zusammen, damit er den glĂŒhenden Zorn in Jamesâ Augen nicht mehr sehen musste und wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. âWerden wĂŒrde⊠geworden istâŠâ Funktionieren schien das allerdings nicht. âScheiĂeâŠâ
Vor Scham ĂŒber so eine Blamage wĂ€re Louis am liebsten im Boden versunken oder einfach weggerannt, aber einen unertrĂ€glich langen Moment musste er noch dem lauten Pochen seines Herzens lauschen.
Dann spĂŒrte er einen Luftzug und ein leises âEntschuldigungâ lieĂ ihn die Augen wieder öffnen, nur damit er Scorpiusâ weiĂblonden Haarschopf wie einen nicht zu fassen kriegenden Traum an sich vorbeifliegen sah. Harte RealitĂ€t war dagegen das Bild des leeren FuĂbodens.
Kein Tagebuch.
Louis machte sich von James los und fuhr herum. Nicht schon wieder⊠Mit hastigen Schritten eilte er aus dem Raum und fand Scorpius am Boden kniend, das Tagebuch in seinem SchoĂ zog er eine untere Schublade seines Schreibtisches auf. Aber so einfach lieĂ Louis sich nicht noch einmal das Einzige wegnehmen, das wirklich immer wieder zu ihm zurĂŒckkam. Als wollte es bei ihm sein. Und niemand auĂer ihm konnte mehr darin sehen, als einen wertlosen, fast hundert Jahre alten Haufen Pergament.
âScorpiusâ, sagte er scharf und war sich nicht ganz sicher, ob diese SchĂ€rfe, die Scorpiusâ schmale Schultern so leicht erzittern lieĂ, nicht auch von etwas anderem herrĂŒhrte. Von der Gewissheit, dass Scorpius das Einzige bekommen hatte, fĂŒr das Louis jemals sein Leben geben wĂŒrde.
Rotunterlaufene Augen richteten sich auf ihn, als Scorpius fast Ă€ngstlich ĂŒber die Schulter schaute und sich dabei an eine hölzerne Schatulle klammerte, die er eben aus der Schublade gezogen hatte. Louis betrachtete einen Moment die kunstvoll ineinander verschlungenen Linien und bemerkte deswegen sofort die TrĂ€ne, die auf das glĂ€nzende Holz fiel. Wann Scorpius zu weinen angefangen hatte, das musste dem Anblick der nassen Wangen nach schon eine ganze Weile her sein.
Aber weder Louis noch James hatten ihm in letzter Zeit ja auch nur den Hauch von Aufmerksamkeit geschenktâŠ
Das schlechte Gewissen lieĂ Louis zumindest an Ort und Stelle verharren, aber er streckte auffordernd die Hand aus, wollte seine Worte gerade wiederholen, als James neben ihn trat.
âScorpius?â Im Gegensatz zu Louisâ Stimme klang die von James sanft, brachte Scorpius so aber auch nicht dazu, sich selbstbewusst aufzurichten. âScorpius, fass das bitte nicht. Gib es mir.â
âGib es mirâ, sagte Louis fast im selben Moment, schenkte James dafĂŒr einen warnenden Blick. Er wĂŒrde sich dieses Buch besorgen, auch wenn er seinen Zauberstab dafĂŒr gegen James richten musste. Vor allem im Moment schien der Gedanke daran gar nicht so absurd. James konnte doch nichts richtig schĂ€tzen. Freundschaft genauso wenig wie Liebe und erst recht nicht einen Schatz an magischem Wissen. Trotzdem fiel ihm all das zu, ohne dass er sich die HĂ€nde dafĂŒr schmutzig machen musste.
âWarum streitet ihr darum?â Scorpiusâ Stimme zitterte und seine Augen waren voller UnverstĂ€ndnis, schweiften hilflos zwischen James und Louis umher. âEs ist ein dĂ€mliches Buch. Nichts Besonderes! Selbst⊠Selbst wenn es das mal gewesen ist, jetzt ist es doch nicht mehr, als die HĂŒlle einer lĂ€ngst gestorbenen Erinnerung! Und die löst immer nur⊠schlechte GefĂŒhle ausâŠâ
Louis wollte sein immer schwerer werdendes Gewissen am liebsten wegschieben, aber das fiel ihm auch dann schon schwer genug, wenn er nicht mit Scorpiusâ TrĂ€nen konfrontiert wurde. Und fĂŒr die hatte er so oft schon nicht mehr der Grund sein wollen.
âIhr sollt nicht streitenâ, wisperte Scorpius. âNicht um eine HĂŒlleâŠâ
âWas soll das heiĂen?â Jamesâ Frage lieĂ Louis verwirrt die Stirn runzeln. Konnte es wirklich sein, dass irgendeine subtile Botschaft gerade komplett an ihm vorbeigegangen war, nur, weil er sich so von seinen Emotionen hatte leiten lassen â wie so oft in letzter Zeit?
âScorpius, was ist das?â James deutete auf die Schatulle, die Scorpius daraufhin öffnete. Er hielt sie so, dass James und Louis einen ausgiebigen Blick in alles verschluckende SchwĂ€rze werfen konnten. Kein Boden, keine WĂ€nde, nur Nichts.
âIch hab es im Keller gefundenâ, sagte Scorpius mit heiserer Stimme. âAlles, was man hineinwirft, kommt nie wieder raus. Es verschwindet fĂŒr immer⊠Ich habâs als MĂŒlleimer benutzt.â Seine vom Weinen geröteten Wangen wurden noch ein wenig dunkler, als er diese Zweckentfremdung eines uralten, extrem wertvollen, faszinierenden schwarzmagischen Gegenstandes zugab.
âDuâŠâ Louis machte hastig ein paar Schritte auf Scorpius zu, blieb aber wie erstarrt stehen, als der das Tagebuch in die Hand nahm. âDu willst das da reinwerfenâ, stellte er entsetzt fest.
âWunderbarâ, kam es von James, der wieder neben Louis trat. âMach schon, Scorpius. Dann kann das Ding keinen Schaden mehr anrichten.â
âHabt ihr sie noch alle?â Louis schĂŒttelte vehement den Kopf, fast schon verzweifelt. âScorpius, du hast keine Ahnung, was du da tun willst! Du hĂ€ltst den SchlĂŒssel zu lĂ€ngst verloren geglaubten Geheimnissen in den HĂ€nden!â
âUnd was hast du davon?â, gab Scorpius mit bemĂŒht fester Stimme zurĂŒck. âWas, auĂer Streit mit einem Freund? Was kann dir ein Ding denn geben? Ein Spielzeug macht nicht glĂŒcklich⊠Man streitet sich immer nur darumâŠâ Er umklammerte das Buch fest, sodass seine schmalen Finger in dem groĂen Loch verschwanden. Seinen Griff so um einiges verstĂ€rkend lieĂ Scorpius das Tagebuch langsam in das Nichts der Schatulle sinken.
âNein!â, rief Louis, den Rand der Verzweiflung lange hinter sich gelassen stĂŒrzte er auf Scorpius zu.
James tat es ihm gleich, allerdings aus anderen GrĂŒnden. âScorpiusâŠâ Er konnte Scorpiusâ Handgelenk mit seinen Fingern komplett umschlieĂen und riss ihn von dem Tagebuch weg. âNimm die Hand da bloĂ weg.â
Louis war zu spĂ€t neben James auf die Knie gefallen, hĂ€tte aber ganz sicher die Ecke des Tagebuchs, das sich von der Dunkelheit im Inneren der Schatulle kaum noch abhob, zu fassen bekommen, wenn Jamesâ freie Hand seine nicht weggeschlagen hĂ€tte.
âDu auchâ, warnte James, wĂ€hrend Louis zusah, wie das letzte Zeichen der welligen Pergamente von der SchwĂ€rze verschluckt wurden. Die ZĂ€hne fest aufeinanderbeiĂend fragte Louis sich, ob er aufhören sollte, gegen das GefĂŒhl anzukĂ€mpfen, sein Inneres wĂŒrde von einer Ă€hnlichen SchwĂ€rze aufgesaugt werden. Vielleicht war das hier ja ein Zeichen⊠Ein Zeichen, wie er es ertragbarer machen konnte, erneut alles zu verlieren, das ihm wichtig warâŠ
âUnd jetzt erklĂ€rst du mir, warum du dich fĂŒr eine wertlose HĂŒlle⊠ein Spielzeug hĂ€ltstâ, verlangte James, aber auch wenn seine Stimme Louis aus dieser kurzzeitig allumfassenden Dunkelheit zog, war sie doch letzten Endes nicht fĂŒr ihn bestimmt gewesen. James schaute Scorpius an, der seine immer noch blutende und mit Scherben durchbohrte Hand zwar nicht mehr in ein KĂ€stchen voll mit Nichts stecken wollte, sie aber auch nicht von James festhalten lassen wollte und wegzog.
Louis zog fragend die Augenbrauen zusammen, wĂ€hrend Scorpius sich in Schweigen hĂŒllte. Jamesâ erwartungsvoller Blick in seine Richtung lieĂ Louis sich aber nur vollkommen idiotisch vorkommen, weil er viel zu sehr an sich selbst gedacht hatte, um Scorpius folgen zu können. Dass ausgerechnet James ihm in dieser Hinsicht etwas voraushaben sollteâŠ
âWeil wir ihn so behandelt habenâ, sagte Louis schlieĂlich und stieĂ einen schweren Seufzer aus. âVor allem ichâŠâ Louis zĂŒckte endlich den Zauberstab, den er vorhin nur kurz hatte holen wollen, und griff nach Scorpiusâ Hand.
Die zuckte augenblicklich zurĂŒck. Louis seufzte erneut und schenkte James ein schiefes LĂ€cheln, als der Scorpiusâ Hand zu fassen bekam. Ohne weiteres Zögern heilte er die Schnittwunden nachdem er die Glassplitter aus den kleinen Wunden entfernt hatte. Schmerzhaft schien es trotzdem zu sein, so tief, wie Scorpius die ZĂ€hne in der Unterlippe vergraben hatte.
âIch dachte, du hĂ€ttest verstanden, dass das kein Experiment fĂŒr mich warâ, sagte Louis, suchte aber vergeblich nach Scorpiusâ Blick. Vielleicht hatte Scorpius Angst, dass man nichts in den grauen Augen sehen können wĂŒrde, aber eine Seele spiegelte sich dort auf jeden Fall und Louis wĂŒrde sie niemals freiwillig verschwinden lassen.
âIhr sollt nur⊠nicht mehr streitenâ, sagte Scorpius leise und mit immer noch gesenktem Blick. âBesonders nicht um mich⊠Vielleicht pass ich ja doch nicht in irgendeine Ecke⊠Vielleicht seid ihr glĂŒcklicher ohne mich⊠Vielleicht hĂ€tte ich einfach tot bleiben sollen⊠dann wĂ€re ich jetzt auch bei VaterâŠâ
Louis konnte nicht anders, als bei diesen Worten zu James zu schauen, nur damit er sich von den ĂŒberdeutlichen TrĂ€nen in dessen Augen wieder vor VerblĂŒffung erstarren sah.
âWie kannst du sowas sagen?â James lehnte sich vor und schlang ohne Vorwarnung die Arme um Scorpius, der daraufhin ĂŒberrascht die Augen aufriss. âWie kannst du sowas nur sagen, Scorpius? Wir brauchen dich doch⊠Hast du gerade nicht gesehen⊠wie sehr wir dich brauchen?â
SchwerfĂ€llig blinzelnd schien Scorpius wirklich einen lĂ€ngeren Moment zu brauchen, um diese Worte zu verstehen. âEhrlich?â Scorpius klammerte sich an Jamesâ Oberarm und sah Louis aus seinen groĂen Augen an. âIch bin⊠nicht nur Ballast?â
âNa jaâŠâ Louis versuchte sich an einem LĂ€cheln, aber er selbst wusste nicht, ob er das momentan wirklich gut hinbekam. Er hatte gerade Geschichte verloren. Alles, auf das er jemals hingearbeitet hatte, war Geschichte gewesen. Vielleicht war das hier auch ein Hinweis darauf, dass er etwas anderes mit seinem ĂŒberdurchschnittlich guten Abschluss anfangen sollte, als die Vergangenheit zu analysieren. âNur Ballast fĂŒr Jamesâ Schultern, wenn er dich wieder einmal herumtragen muss.â
James schnaubte auf. âUnser Klöpschen kann niemals schwer genug fĂŒr meine starken Schultern werden.â
âK-Klöpschen?â Scorpius schwankte irgendwann zwischen EntrĂŒstung und Verlegenheit, was Louisâ LĂ€cheln aber nur vergröĂerte.
Unser⊠James hatte âunserâ gesagtâŠ
âLouis darf dich Dummerchen nennen, dann will ich auch einen Spitznamen fĂŒr dich, Klöpschenâ, sagte James und genoss den qualvollen Gesichtsausdruck genauso wie Scorpiusâ verzweifelten Versuche sich aus der festen Umklammerung zu befreien.
âNein⊠Ich bin nicht fettâŠâ Scorpius kniff die Augen zusammen, als Louis ihm in die Wange kniff.
âNatĂŒrlich nicht, Dummerchenâ, schmunzelte er. âWillst du wieder extra Sahne in deinen Kakao?â
Scorpius schob die Unterlippe vor und hörte endlich auf sich gegen James zu wehren, der sich daraufhin freudig daran machte, Scorpius in die Seiten zu pieken. Das Quietschen und die LachtrÀnen, die James so aus Scorpius kitzelte, waren Louis dann doch zu viel.
âAufhörenâ, mischte er sich ein und umklammerte Scorpius von hinten, zog ihn aber nicht von James weg, der ihm ĂŒber weiĂblonde Haare einen warnenden Blick schenkte.
Schwer atmend lehnte Scorpius sich gegen Louisâ Brust und fasste sein Handgelenk, wĂ€hrend er versuchte seine Atmung zu regulieren. âDu hasst mich nicht?â, fragte er nach einer Weile in der sie ungewöhnlich friedlich und ruhig alle drei eng beieinander saĂen. âWeil ich das Ding kaputt gemacht habe?â
Louis wich Jamesâ skeptischem Blick bei diesen Worten lieber aus. âNeinâ, sagte er einfach, war sich aber nicht ganz sicher, ob er da die Wahrheit sprach. âIch finde was Neues zum Spielen.â Das hĂ€tte er aber vielleicht nicht sagen sollen, so wie Scorpius den Kopf hob, um ihm einen ganz traurigen Blick zu schenken. âMit dir nicht. Du gehörst ja jetzt JamesâŠâ
Scorpius senkte das Kinn ganz schnell wieder und schaute auf den Boden, machte aber keine Anstalten aus seinem Platz zwischen Louis und James zu verschwinden, obwohl besonders Letzterer ihm jetzt einen ĂŒberaus erwartungsvollen Blick zuwarf.
âĂh⊠Ich⊠James hat das doch nicht ernst gemeintâ, sagte Scorpius so leise, dass man ihn kaum verstehen konnte. James hörte ihn aber sehr gut und ĂŒbertönte dafĂŒr alles, was Scorpius noch hinzufĂŒgte, mit einem empörten Schnauben.
âNein. Sicher doch. Ich frag ja auch alle zehn Minuten irgendjemanden, ob er den Rest seines Lebens mit mir verbringen will.â Die HĂ€nde auf Scorpiusâ Oberschenkeln abstĂŒtzend suchte James anscheinend vergeblich den Blick aus den grauen Augen. âWillst ââ
âSagâs nicht nochmalâ, fiepte Scorpius, bevor er das Gesicht in den HĂ€nden vergrub, so aber nicht verbergen konnte, dass sogar Kopfhaut und Ohren hochrot anliefen.
âJames, ernsthaft. Wenn schon, dann macht man sowas mit wenigstens einer Spur Romantik.â Louis hĂ€tte am liebsten auch sein Gesicht irgendwo versteckt oder zumindest seine Klappe gestopft. Wieso gab er James denn jetzt sowas wie einen Tipp? Das war aber auch selten dĂ€mlich. So konnte er ja jeden Versuch das hier wieder hinzubiegen knicken.
âRed Klöpschen nicht dazwischenâ, murrte James, schien sich ĂŒber das Glucksen, das er Louis so entlockte, aber nicht zu freuen. Stattdessen knetete er nervös Scorpiusâ Oberschenkel. âDu bist doch nur eifersĂŒchtig, weil du nicht auf die Idee gekommen bist.â
âJa, weil ich Scorpius doch nicht freiwillig in so eine ZwickmĂŒhle bringeâ, erwiderte Louis kĂŒhl. âJa zu dir heiĂt Nein zu mir und umgekehrt. Tolle LösungâŠâ
James öffnete gerade den Mund, als Scorpius die HÀnde sinken lieà und kurzerhand die Arme vor der Brust verschrÀnkte.
âNicht mehr streitenâ, sagte er und nickte entschlossen, als wĂŒrde das reichen, um den Weltfrieden zu sichern. âWir mĂŒssen nicht streiten, wenn wir einfach so tun, als hĂ€tte niemand etwas in der Richtung gesagt. Immerhin⊠lief es doch eigentlich ganz gut. Mit uns dreien⊠Wenn ihr nur aufhört zu streiten.â
Louis konnte sich ein triumphierendes LĂ€cheln bei Jamesâ Blick nicht verkneifen. âTja, von wegen pervers. Meine Lösung scheint doch ganz gut anzukommen.â Und wenn er jetzt nicht ĂŒberschwĂ€nglich wurde, dann hĂ€tte er am Ende des Tages gar nichts verloren, sondern alles gewonnen, wonach er sich schon so lange sehnte. Diese Aussicht lieĂ ihn jeden Schmerz vergessen.
Scorpius nickte und stieĂ Louis leicht mit den Ellenbogen an, damit der ihn loslieĂ. âFreunde sein ist doch auch viel besser, als irgendein Beziehungsmistâ, sagte er, wĂ€hrend er sich aufrichtete und den Pyjama glatt strich. âKommt irgendwie doch auf dasselbe hinaus.â Mit geschlossenen Augen lĂ€chelte er James und Louis an und bekam dadurch die verdutzten Gesichter nicht mit. Als er eine Weile auch nicht sowas wie eine Antwort bekam, rĂ€usperte er sich, schlug die Augen auf und blickte verwirrt hin und her.
âF-FrĂŒhstĂŒck?â, presste er unsicher hervor, hockte sich auf den Boden und nahm das KĂ€stchen mit Nichts, um es wieder wegzuschlieĂen. Dabei murmelte er wieder ungewohnt entschlossen: âFrĂŒhstĂŒck, ja⊠FrĂŒhstĂŒck.â
âTja, Louisâ, sagte James und konnte sich jetzt seinerseits ein triumphierendes LĂ€cheln nicht verkneifen. âZu schade, dass Scorpius deinen Lösungsvorschlag nicht verstanden hat.â
âDas lĂ€sst sich ganz leicht Ă€ndernâ, sagte Louis, wĂ€hrend Scorpius ganz wuschig durch sein Zimmer wuselte und nach dem Zauberstab seines Vaters suchte, der irgendwo in der Unordnung, ĂŒber die er sich leise beschwerte, versteckt war. âImmerhin kann ich mir ja jetzt auch sehr sicher sein, dass du mitmachen wĂŒrdest, nachdem du eben die sanfteste Abfuhr der Welt geliefert bekommen hast.â
James lieĂ die Schultern hĂ€ngen. âSanft?â Er schĂŒttelte den Kopf, riss sich aber selbst aus was fĂŒr Gedanken auch immer ihn geplagt hatten. âDas heiĂt nicht, dass ich bei so einem Unsinn mitmache. Schlag dir das aus dem Kopf. Es hat nicht funktioniert. Es soll also auch nicht funktionieren. Geben wir Scorpius doch Zeit, dann wird er sich schon fĂŒr mich⊠Àh, den Richtigen entscheiden.â
âDu bist aber genauso sprunghaft wie Scorpius, James.â Louis seufzte auf. âDabei mache ich es dir so leicht. Ich raste nicht einmal aus, weil du gerade meinem Freund einen Heiratsantrag gemacht hast.â
âMein Freund, Louisâ, korrigierte James. âWir sollten den Stand der Dinge wirklich noch einmal besprechen.â
âWir mĂŒssen gar nichts besprechen, sondern handeln, bevor Scorpius sich deinetwegen noch in sein Nichts wirftâ, schnappte Louis genervt zurĂŒck.
âOh⊠Klar, wieder meine Schuld.â James verdrehte ebenfalls genervt die Augen. âDu willst doch nur verstecken, dass du ein neues Spielzeug gefunden hast. Kaum nimmt man dir dieses widerwĂ€rtige Tagebuch weg, dann willst du mit dem Nichts spielen. Und genauso schnell, wie das wieder in der Ecke liegen wird, geht das auch mit Scorpius.â
Louis hob die Augenbrauen. âUnd du wĂŒrdest also ganz plötzlich jede Sprunghaftigkeit ablegen und deine Beziehung nicht mit eigenen HĂ€nden im Rekordtempo zerstören?â Er lachte spöttisch auf, als James es sich nicht nehmen lassen wollte, darauf mit einem Nicken zu antworten.
âKönntet ihrâŠâ Scorpius rauschte hinter James und legte ihm die HĂ€nde auf die Schultern, schenkte Louis einen bettelnden Blick. ââŠaufhören zu streiten? Danke.â Damit wuselte er wieder davon und schnippte mit dem Zauberstab seinen Kleiderschrank auf, der sich hinter einer Wand auĂer Hörweite von ihnen befand.
Louis wandte sich wieder seinem Cousin zu. âGibâs doch zu, James. Du brauchst mich. Ohne mich kriegst du nicht, was du willst. Und nur weil du Angst hattest, allein die Aussicht darauf, wĂŒrde dir schon zu gut gefallen, hast du Scorpius diesen erbĂ€rmlichen Antrag gemacht.â
James lieĂ erneut die Schultern hĂ€ngen, diesmal sogar ein StĂŒck tiefer. âMusste das âerbĂ€rmlichâ sein?â
âJa.â Louis nickte, zufrieden mit der Richtung, die das hier nahm. âWeil es erbĂ€rmlich war. Du machst so einen ScheiĂ immer nur, wenn du Angst hast. Und ich versteh einfach nicht wovorâŠâ
âVielleicht davor euch beide zu verlieren?â James setzte sich wieder gerade hin und setzte auch eine kaum ertragbar ernste Miene auf. âDu siehst doch, wie fertig er gerade ist. Und du bist auch öfter mal kurz davor die Weltherrschaft an dich zu reiĂen.â
Louis konnte darĂŒber nur den Kopf schĂŒtteln. Das Tagebuch war doch jetzt weg. Louis wĂŒrde ihm nicht hinterher trauern oder versuchen es zurĂŒckzuholen. In dieser Hinsicht hatte er verloren und Niederlagen konnte er akzeptieren. Aber bei Scorpius war das etwas anderesâŠ
âEr braucht doch jetzt Halt und Sicherheitâ, fĂŒgte James hinzu.
Louis nickte jetzt. âUnd was lĂ€sst dich glauben, die könnte er nicht von uns beiden bekommen? Doppelt hĂ€lt besser, Jamesâ, sagte er und gluckste, als James ihm einen eisigen Blick fĂŒr dieses Sprichwort schenkte. âWir mĂŒssen nur zusammenhalten. Dann wird alles gut.â
Die Stirn in tiefe Falten legend blieb James fĂŒr einen Moment still. Louis glaubte schon, dass er gar nichts mehr sagen wĂŒrde und wollte aufstehen, aber genau dann hielt das schiefe LĂ€cheln auf Jamesâ Gesicht ihn zurĂŒck.
âDas heiĂt, keine spontanen HeiratsantrĂ€ge mehr?â James schaute ihm in die Augen, so lange und fest wie er es seit Wochen nicht mehr getan hatte. Louis rutschte daraufhin nĂ€her, bis seine Knie die von James berĂŒhrten.
âNur extrem lang geplante und ausdiskutierteâ, sagte Louis und hob langsam die Hand.
James verzog das Gesicht. âIch steh nicht auf diese ewig gleichen Diskussionen, die zu gar nichts fĂŒhren. Wir sollten endlich Taten folgen lassenâ, sagte er, lieĂ Louis aber nicht zu Wort kommen, als der ihm an den Kopf werfen wollte, dass sie nicht so viel reden mĂŒssten, wenn er nicht stĂ€ndig Mist bauen wĂŒrde. âOkay, versuchen wirâs.â Er griff Louisâ ausgestreckte Hand und schĂŒttelte sie etwas ĂŒbermotoviert und mit viel zu festem Griff.
Louis wĂŒrde sich gerade aber nicht einmal ĂŒber den Verlust seines kleinen Schatzes beschweren. Immerhin hatte James ihm gerade etwas viel Wertvolleres geschenkt. Am liebsten hĂ€tte Louis sich ihm daraufhin in die Arme geworfen, aber er wollte ja nichts ĂŒberstĂŒrzen und James gleich wieder vertreiben. Deswegen schĂŒttelte er nur strahlend die Hand, die er vielleicht bald auch einmal auf diese ganz besondere Weise halten können wĂŒrde.
âOh, ihr habt euch wieder vertragen.â Scorpius hockte sich mit einem kleinen Stapel Kleidung zu ihnen und lĂ€chelte Ă€uĂerst gezwungen. Louis mochte es nicht, wenn Scorpius so lĂ€chelte und leider tat er das besonders in letzter Zeit wieder sehr hĂ€ufig. Aber das wĂŒrden sie ja bald Ă€ndern können. Gemeinsam. Mit James zusammen. Und allein in diese Richtung zu denken lieĂ Louis sich glĂŒcklicher als jemals in seinem Leben zuvor fĂŒhlen. Fast wollte er gar nicht glauben, dass das noch besser werden wĂŒrde.
âDann können wir ja gleich zum FrĂŒhstĂŒck runtergehen. Und dann erzĂ€hl ich euch, was wir mit der Asche von meinem Vater machen werdenâ, fuhr Scorpius fort und richtete sich wieder auf, war weg, bevor Louis wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. GlĂŒcklich sein minderte seine EffektivitĂ€t scheinbar gewaltig, aber Louis wĂŒrde fĂŒr dieses GefĂŒhl seinen klaren Verstand furchtbar gerne riskieren.
âĂhmâŠâ James riss sich erst mit der zufallenden BadezimmertĂŒr notgedrungen von Scorpiusâ Anblick los. âJetzt musst du ihm nur noch genau erlĂ€utern, was deine perversen GedankengĂ€nge sind.â
âDu meinst, du erlĂ€uterst ihm deine perversen TrĂ€umeâ, sagte Louis und schĂŒttelte den Kopf, als James versuchte seinen Hundeblick einzusetzen. Leider konnte er dem nicht lange widerstehen, selbst wenn er im Moment todunglĂŒcklich gewesen wĂ€re, so aber hĂ€tte er ohnehin alles getan, damit James weiterhin einverstanden blieb. âGut, okay. Ich versuchâs⊠Aber wehe du fragst ihn bei nĂ€chstbester Gelegenheit wieder, ob er dein Klöpschen werden will.â
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