
von S_ACD
Spielt? Irgendwann vor dem dritten Band.
~-~-~-~
Alles begann relativ harmlos.
Wenn man es ganz genau nahm, konnte man sogar sagen, die ganze Sache begann mit einem einzigen, für sich allein genommen recht ungefährlichen Satz. Sie begann in der Großen Halle von Hogwarts gegen zwölf Uhr Ortszeit mit folgenden Worten: „Hier, halt mal. Verdammte Scheiße, ich glaube, ich hab’s liegen gelassen.“
George Weasley warf sich die Tasche seines Zwillingsbruders über seine verbliebene Schulter und verdrehte die Augen.
„Nicht dein Ernst, oder?“
Fred verzog das Gesicht. „Doch, echt jetzt. Aaach, Mist.“
„Was liegengelassen?“, erkundigte sich Lee Jordan, der schon ein Stück weit vorausgewesen war und jetzt zurückkam, um zu sehen, wo seine beiden besten Freunde (besser gesagt, die Menschen, die er immer noch in seiner Nähe tolerierte, obwohl sie ihn dreimal täglich in Schwierigkeiten und gut einmal die Woche in Lebensgefahr brachten) abgeblieben waren, „Macht schon, Leute, ich hab Hunger.“
„Ich auch“, sagte George, „Komm schon, Fred, vergiss es. Du kannst meines haben.“
„Worum geht’s denn?“, hakte Lee nach, „Hast du was vergessen?“
„Ja“, sagte Fred missmutig und nahm seine Tasche wieder an sich, „Mein Buch. Im Verwandlungsklassenzimmer.“
„Ah“, sagte Lee und lauschte seinem knurrenden Magen, „Dumm gelaufen, aber George hat Recht. Nimm dir seins und wir gehen Mittag essen. Ich bin am Verhungern.“
„Wahre Worte“, sagte George grinsend, aber Fred starrte immer noch finster vor sich hin.
„Alter“, sagte er, „Ich kann mir dein Buch nicht nehmen. Du hast nämlich keines mehr, schon vergessen? Das hat doch dieses Ding zerfleischt…“
George sah sekundenlang verwirrt aus, dann dämmert so etwas wie Erkennen herauf.
„Schwachsinn“, sagte er, „Das war doch mein Kräuterkundebu- argh, verdammt. Stimmt ja.“
Lee sah beunruhigt zwischen den beiden hin und her.
„Zerfleischt?“, wiederholte er und ärgerte sich darüber, dass seine Stimme schon wieder um ein paar Primen höher klang als nötig, „Zerfleischt von was? Wovon ist hier die Rede?“
Er fragte nicht, weil er derartige Dinge nicht gewohnt war oder weil er es – Merlin behüte – nicht für möglich hielt, dass bücherzerfleischende Dinge im Alltag der Weasley-Zwillinge weit öfter vorkamen als bei anderen Menschen der Bibliotheksbesuch.
Ganz im Gegenteil.
Er konnte sich derartige Umstände nur allzu gut vorstellen und sein bisheriger Erfahrungsschatz hatte ihn gelehrt, dass Wissen praktisch Macht war.
Verhindern konnte man bei Fred und George sowieso nicht viel, aber wenn man sich nicht wenigstens ab und zu über den aktuellen Stand der Dinge informierte, war man selber schuld – und die Konsequenzen im Normalfall unangenehm.
Die Zwillinge wechselten einen raschen Blick und schwiegen dann.
„Gar nichts“, sagten sie.
Und dieses Schweigen allein war beunruhigender als alle potenziellen Antworten zusammen. Während Lee noch mit der Frage kämpfte, ob er ihren gemeinsamen Schlafsaal jemals wieder unbewaffnet betreten sollte oder ob die „zerfleischende Gefahr“ von der eben die Rede gewesen war, inzwischen gebannt war, hatte Fred eine Entscheidung getroffen.
„Wisst ihr was“, sagte er, „Ich gehe zurück und hol das Teil. Der Aufsatz ist Montag fällig und schön langsam müssen wir in diesem Fach auch mal was tun.“
George seufzte abgrundtief. „Was auch immer“, sagte er, „Warte, ich komme mit.“
So kam es, dass sie an einem Mittwochmittag, anstatt wie all die glücklichen Schüler, die in der Großen Halle sitzen und vollkommen sorglos ihr Essen vernichten konnten, zu zweit durch ausgestorbene Gänge Richtung Verwandlungsklassenzimmer trotteten.
„…jedenfalls“, sagte George gerade, „Sie kommen rein und – glaub’s oder nicht – dieser Zabini und… wie hieß der noch mal? Theodore? Theodore Nott oder so ähnlich.“
„Gibt’s ja nicht“, Fred schüttelte grinsend den Kopf, „Und die haben…?“
„Yep. Die haben rumgemacht. Volle Kanne.“
„Und dass wissen wir von wem, Alicia?“
„Katie. Hat’s mir gestern während dem Training erzählt.“
„Echt? Wo war ich da grade?“
„Das war, während Wood dich zusammengefaltet hat… weißt schon, weil du ihm um ein Haar den Klatscher reingeballert hast.“
„Ahh ja. Richtig. Hab mir schon gedacht, dass ihr da was Besseres zu tun habt als ihm zuzuhören“, Fred korrigierte den Sitz seiner Tasche, deren Lederriemen ihm unangenehm in die Schulter schnitt, „Nja, da sieht man’s mal wieder – Slytherin, das reinblütige Haus.“
Er schnaubte. „Ist doch klar, dass die sich da alle gegenseitig vögeln – bei der begrenzten Auswahl.“
George zog eine Grimasse.
„Urgh. Danke vielmals, mein lieber Sir, diese bildliche Ausführung habe ich jetzt gebraucht.“
Fred drehte sich grinsend zu ihm um. „Ich hab’s dir ja immer gesagt, Bruderherz, du hast eine viel zu lebhafte Fantasie. So, und jetzt hoffe ich mal sehr, die olle McGonagall hat nicht abgeschlossen.“
Die Befürchtung war unbegründet.
Das Tür war offen, das Klassenzimmer leer und das Buch… das Buch war weg.
„Tja“, sagte George und setzte sich auf das nächstbeste Pult, „Da war wohl jemand so gnädig und hat hinter dir hergeräumt. Ich wette, heute Nachmittag kriegst du’s von Angelina in die Hand gedrückt. Und dafür haben wir jetzt das Mittagessen versäumt.“
Fred hatte ins Leere gestarrt, nun sah er auf und zuckte mit den Schultern.
„Mach kein Drama draus“, sagte er, „Es könnte weitaus schlimmer sein.“
George zog grinsend eine Augenbraue hoch. „Ah ja?“, sagte er, „Wie viel schlimmer denn?“
„Na, überleg doch mal“, Fred machte eine ausholende Handbewegung, „Der Gerüchteküche zufolge hätten wir hier ja auch reinkommen und zwei halbnackte Slytherins vorfinden können, oder?“
„Männliche“, fügte er hinzu und lehnte sich gegenüber von George an den Lehrertisch.
Der rollte mit den Augen.
„Jaah… als ob das der wirklich schreckliche Teil an der ganzen Sache wäre.“
Fred musterte ihn amüsiert. „Ist er nicht?“
„Bei weitem nicht. Das einzig Ekelhafte daran ist, dass es um Slytherins geht. Die sind mir angezogen lieber – scheißegal, welches Geschlecht sie haben.“
„Welch wahrhaft wunderbar gleichberechtigte Einstellung.“
„Nicht wahr?“, George deutete eine Verbeugung an, senkte dann theatralisch seine Stimme, „Nur ein bekleideter Slytherin ist ein guter Slytherin.“
„Hm. Weißt du was?“, Fred verschränkte die Arme, „Ich bin mir sicher, dass in dieser Frage sogar Du-weißt-schon-wer persönlich mit dir einer Meinung wäre.“
Ein paar Sekunden lang herrschte Stille.
„Nur um das klarzustellen“, sagte Fred dann, „Du sagst also, prinzipiell spricht nichts dagegen, dass zwei Kerle miteinander rummachen… solange es keine Slytherins sind. Beziehungsweise, solange niemand dazu gezwungen ist, besagten Slytherins bei ihrer Tätigkeit zusehen zu müssen.“
George überlegte einen Augenblick.
„Yep“, sagte er schließlich, „Ich denke, genau das war der Kern meiner Aussage. Soweit ich weiß, bin ich nämlich nicht homophob.“
„Kann ich dir nur zustimmen. Also… wie wär’s mit ’ner Wette?“
George überlegte.
Objektiv betrachtet hatte er die Wahl – er konnte annehmen oder ablehnen. Allerdings war er George Weasley, was beinahe schon automatisch bedeutete, dass er nicht ablehnen konnte. Immerhin hatte er einen Ruf zu verlieren und außerdem… das hier war sein Zwillingsbruder. Sozusagen eine Frage der Ehre.
Wetten mit Fred waren heilig, sie waren (zusammen mit unpassenden Metaphern, nicht jungendfreien Witzen und dem vollkommenen Ignorieren jeglicher Autoritäten) mehr oder weniger der Grundpfeiler ihres täglichen Lebens.
Also hatte er, subjektiv betrachtet, sowieso nur eine Möglichkeit. „Jederzeit. Um was wetten wir?“
Die Frage war eigentlich überflüssig und das wussten sie beide.
„’Nen Gefallen“, sagte Fred.
Was auch sonst.
Es ging immer um Gefallen, vielseitig verwend- und jederzeit einlösbar. Wenn nun zum Beispiel Flitwick beschloss, die Zauberstabbewegungen der letzten paar Stunde zu wiederholen und zu diesem Zweck Fred Weasley aufrief, George seinem Zwillingsbruder aber noch einen Gefallen schuldete – nun ja, dann durfte er das zweifelhafte Vergnügen mit ihrem zu kurz geratenen Professor haben.
Eigentlich war es unwichtig. Sie hatten schon vor Urzeiten aufgehört zu zählen, wer wem wie viele Gefallen schuldete. Die Chancen standen sowieso mehr als gut, dass die Bilanz einigermaßen ausgeglichen war. Es ging nicht um die Gefallen.
Es ging einzig und allein um die Wette.
George grinste. „Klar. Gefallen, kein Problem. Worum geht’s?“
„Ich wette…“, Fred ließ sich eine Menge Zeit, „Ich wette… dass du dich nicht traust, ’nen Kerl zu küssen.“
Hm. Gut, das… war irgendwie klar gewesen. Er konnte es noch nicht mal als hinterhältig oder unfair abtun, denn das hätte er kommen sehen müssen. Verdammt. Und er war auch noch mitten rein gerannt ins Messer, wie der letzte blutige Anfänger.
Fred war offenbar derselben Meinung.
„Komm schon…“, er lehnte mit äußerst selbstzufriedener Miene an der Tischkante, „Das hättest du ahnen müssen, Bruderherz.“
„Ich weiß“, sagte George knurrig „Scheiße. Aber na gut, bitte, wie du willst. Das krieg ich schon-“
Und auf einmal – puff! Da war sie, die Erleuchtung.
Wunderschön und hell und funkelnd – und noch dazu lachhaft einfach.
Er grinste in sich hinein. „Gar kein Problem. Also… männlich und das war’s. Mehr nicht? Das ist das einzige Kriterium?“
„Das einzige Kriterium“, bestätigte Fred, während er seinem Zwillingsbruder einen misstrauischen Blick zuwarf. George war sich ziemlich sicher, dass der plötzliche Umschwung bemerkt worden war.
„Gut“, sagte er grinsend und schwang sich von seinem Pult, „Gilt.“
Mit zwei Schritten stand er vor Fred, der ihn immer noch argwöhnisch musterte.
„Okay“, sagte er unbeeindruckt, „Und was genau wird das jetzt wieder, wenn’s fert-“
Weiter kam er nicht.
Es war kein besonders spektakulärer Kuss.
Keine Zunge, keine suchenden Hände, keine leidenschaftlich aneinander gepressten Körper. Keine Musik, kein Kerzenlicht, kein gar nichts. Im Grunde waren es bloß zwei Menschen, deren Lippen sich berührten. Die ihre Lippen aufeinanderpressten, um genau zu sein, weil George ja immerhin sichergehen wollte, dass man die Wettbedingungen als erfüllt betrachten konnte.
Er war ziemlich überzeugt davon, dass Fred die Augen offen gelassen hatte, aber das war ihm egal, weil es unwichtig war. Wenn er ganz ehrlich war – es bestand absolut kein Unterschied dazu, ein Mädchen zu küssen. Rein vom technischen Standpunkt her.
Und wenn er ganz, ganz, ganz ehrlich war – er hatte eigentlich so was wie Widerstand erwartet. Abwehrmechanismen, Reflexe, Protest… in irgendeiner Form. (Sei es auch nur, um ihn daran zu hindern, den Sieg so mühelos und ohne jede Anstrengung einzusacken.) Deshalb brauchte er ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass keiner kam… und dass vermutlich auch in nächster Zukunft keiner kommen würde.
Das war dann auch der Zeitpunkt, ab dem die ganze Sache irgendwie Spaß zu machen begann – auf seltsam verdrehte Art und Weise. Er lehnte sich stärker gegen Fred, der daraufhin kurz Gleichgewichtsprobleme mit der Tischkante zu bekommen schien – immer noch war der Kuss rein sachlich gesehen eine vollkommen harmlose Sache, keine Zunge, kein gar nichts – und irgendwann musste er grinsen.
Das schien Fred dann doch mitzubekommen, weil er ihm plötzlich einen Stoß gegen die Schulter verpasste.
„Heeey!“, beschwerte sich George lauthals, „Du machst die ganze Romantik kaputt.“
Sein Zwillingsbruder grinste, schob ihn ein Stück weit von sich weg (dann gab es diesen winzigen Moment, in dem George sich fragte, ob Freds Lippen … irgendwie röter als sonst… nur jetzt so aussahen oder jedes Mal, nachdem er geküsst worden war) und dann war eigentlich alles wieder so wie immer.
„Hat sich was mit Romantik. Ich hab grad ’ne Wette verloren!“
„Tjaah“, machte George triumphierend, „Kannst du laut sagen, Bruderherz. Sieht so aus, als schuldest du mir ’nen Gefallen.“
Und mehr gab es zu diesem Thema fürs Erste auch nicht zu sagen.
~-~-~-~
Es dauerte zweieinhalb Wochen, bis besagtes Thema wieder zur Sprache kam… oder besser gesagt zurück an die Oberfläche.
Es war Samstag, man war nach Hogsmeade gegangen, man hatte Spaß gehabt, man hatte sich in den Drei Besen niedergelassen und dort war man – in Ermangelung eines Fluchtweges – keine drei Minuten später von einem übereifrigen Quidditch-Mannschaftskapitän gestellt worden, der sich uneingeladen niederließ, seinen Strategieordner hervorkramte und damit begann, verschiedene Flugtechniken zu besprechen.
Wobei man selbst bei aller Fairness sagen musste, das besprechen das falsche Wort für diese Art von Unterhaltung war. Wood redete, während der Rest mit mehr oder weniger großem Erfolg so tat, als würde er zuhören.
Sicher, Quidditch war wichtig.
Und sicher, nächstes Wochenende war ein Spiel angesetzt… aber zum Teufel noch mal, man hatte schon den ganzen Vormittag trainiert, man war die ganze Woche über auch in den Pausen, auf den Fluren und abends im Gemeinschaftsraum mit Ratschlägen, Kommentaren und Kritik genervt worden und jetzt wollte man endlich mal Ruhe haben.
Nach einer halben Stunde waren die Mädels geschlossen „kurz auf die Toilette“ marschiert und seitdem nicht wieder aufgetaucht, was zur Folge hatte, dass Fred, George und Lee (Der eigentlich nicht das Geringste mit der Mannschaft zu tun hatte, aber wie hieß es doch so schön? Mitgehangen, mitgefangen.) auf einem mit Feuereifer planenden Oliver Wood sitzen blieben.
Dementsprechend war die allgemeine Stimmung auch im Eimer und schließlich blieb ihnen nichts anderes mehr übrig, als schlicht und einfach das zu tun, was Männer in aussichtlosen Situationen eben zu tun pflegten – sie ergaben sich dem Alkohol.
Diese Lösung erwies sich überraschenderweise als passabler als erwartet, weil Wood großzügig mittrank und nach einer weiteren halben Stunde sogar einigermaßen auszuhalten war.
Als man sich endlich auf den Heimweg machte, war es bereits dabei, stockdunkel zu werden.
Lee, der aus irgendeinem Grund der einzige von ihnen war, dem man den Alkoholkonsum deutlich anmerken konnte, wurde Oliver aufs Auge gedrückt, der ihm mäßig begeistert dabei half, auf dem dunklen Weg hoch zum Schloss nicht hinzufallen. Fred und George folgten ihnen mit angemessenem Abstand. (Was in etwa so viel bedeutete wie: Nahe genug, um nicht als vermisst, verloren oder verschollen gelten zu können, aber doch weit genug entfernt, um im Zweifelsfall nicht in eine weitere Diskussion über Quidditch-Taktiken verwickelt zu werden.)
„Klasse“, motzte Fred, „Und Angelina war wieder weg. Verdammt noch mal, immer kommt mir irgendwas in die Quere.“
George warf den wankenden Gestalten ein gutes Stück weiter vorne einen prüfenden Blick zu. „Irgendwas oder viel mehr irgendwer“, bemerkte er altklug.
„Großartig. Und der Preis für die überflüssigste Bemerkung dieses Tages, meine Damen und Herren, geht aaaaaan~“
„Danke, danke, zuviel der Ehre.“
„Ernsthaft“, Fred blieb stehen, „So wird das doch nie was!“
George hielt ebenfalls inne. „Du darfst das nicht so eng sehen. Sie ist ja schließlich nich’ vor dir weggerannt – wenn Wood so drauf ist, würde jeder halbwegs vernünftige Mensch das Weite suchen.“
Sein Zwillingsbruder grinste zurück. „Tja und wir haben grade ’nen vollen Nachmittag mit ihm verbracht. Was denkst du, Bruderherz, sagt das irgendwas über unseren Geisteszustand aus?“
„Heh. Nichts, was wir nicht vorher schon gewusst hätten.“
Sie setzten sich wieder in Bewegung, diesmal allerdings etwas langsamer als zuvor.
Die Silhouetten, die Lee und Oliver darstellen sollten, waren mittlerweile in der Dunkelheit auf halbe Größe zusammengeschrumpft. Fred brütete immer noch vor sich hin. „Wenn das so weitergeht“, murmelte er missmutig, „…dann komme ich doch nie zum Zug.“
George warf ihm einen belustigten Blick zu. „Welch elegante Ausdrucksweise.“
„Kein Grund, neidisch zu werden. Dann komme ich eben nie, ähm… zum Schuss, die Formulierung besser?“
Gnädiges Nicken.
„Auf jeden Fall ehrlicher. Wenn du sie nicht vorher schon vergraulst, versteht sich.“
„Vergraulen? Wieso sollte ich?“, Fred warf sich in Pose, „Ich bin witzig, charmant, sehe gut aus und kann begnadet küssen.“
George ging rasch seine Optionen durch. Gegen die meisten Punkte konnte er nicht viel einwenden, weil das schlicht und einfach bedeutet hätte, sich ein Eigentor zu schießen, aber an einer Behauptung konnte er ansetzen und das war immer noch besser als nichts.
„Begnadet küssen?“, er zog eine Augenbraue hoch, „Versteh das jetzt nicht falsch, aber das behauptet jeder Vollidiot.“
„Fred machte ein gespielt überraschtes Gesicht. „Was? Jeder Vollidiot behauptet, ich könnte gut küssen? Aber abgesehen von dir kenne ich doch gar nicht so viele.“
George musste lachen. „Ahh… schöner Konter.“
„Danke.“
Die nächsten zwanzig Meter herrschte Schweigen. Lee und Oliver waren mittlerweile von der Dunkelheit geschluckt worden, die sich vor dem Lichtermeer des Schlosses ausbreitete wie ein undurchdringlicher Teppich.
„Und nur fürs Protokoll“, sagte Fred schließlich, „Ich kann ausgezeichnet küssen.“
„Was auch immer du sagst, Bruderherz.“
„Glaubst mir wohl nicht, was?“
„Hab ich nie behauptet. Alles was ich sage ist, dass auch noch der letzte Depp glaubt, gut küssen zu können, Wahrheitsgehalt hin oder her.“
„Und das schließt mich mit ein, ja?“
„Weiß ich doch nicht. Ist n’bisschen schwer, das festzustellen, oder?“
Fred blieb stehen. In seinen Augen blitze es gefährlich.
„Weißt du“, sagte er in demonstrativ sachlichem Tonfall, „Finde ich eigentlich gar nicht.“
„Ach nein?“
„Nein.“
Zugegeben… es war voraussehbar gewesen. Schon wieder. Hinterher war sich George nicht mehr ganz sicher, ob er bloß um eine Sekunde zu spät geschaltet hatte oder ob er es überhaupt gleich von Anfang darauf hatte ankommen lassen, weil ihm klar gewesen war, worauf Fred abzielte. (Was ihn betraf, so waren beide Möglichkeiten auf ihre Art und Weise mehr als beunruhigend.)
Tatsache war jedenfalls, dass sie plötzlich auf halbem Weg zum Schloss im Finstern auf den Ländereien herumstanden und sich küssten. Und diesmal schien die ganze Sache schon von Anfang nicht so harmlos zu sein wie gut zwei Wochen zuvor im Verwandlungsklassenzimmer.
Allzu viel Körperkontakt war zwar noch immer nicht vorhanden – Fred hatte die Finger seiner rechten Hand im Stoff von Georges Umhang vergraben, aber gut, das war auch nötig gewesen, um ihn nach vorne zu zerren (solche Dinge funktionierten ganz ohne Körperkontakt eben nicht besonders gut), aber das war auch schon alles.
Vielleicht lag es auch nur daran, dass Fred beweisen wollte, kein x-beliebiger dahergelaufener Vollidiot zu sein und die Wahrheit zu sagen, wenn er behauptete, gut küssen zu können, aber das war als Begründung ziemlich schwach, weil sich hinterher nicht mehr eindeutig feststellen ließ, wer denn nun wirklich damit angefangen hatte, besagten Kuss ein wenig mehr auszuweiten als nötig.
Was sich allerdings eindeutig feststellen ließ war, dass es – rein vom technischen Standpunkt her – doch Unterschiede zu Mädchen gab, weil die bei einem richtigen Zungenkuss nicht halb so oft versuchten, die Oberhand zu bekommen.
Und dass Fred nicht gelogen hatte mit seiner ursprünglichen Behauptung, begnadet küssen zu können.
Zeit wurde ja so was von überbewertet…
Wer als erster aufhörte, ließ sich genauso wenig feststellen, aber irgendwann (…und George war sich ziemlich sicher, dass es nicht halb so lang gedauert haben konnte wie es sich angefühlt hatte, weil dann eigentlich schon der Morgen hätte heraufdämmern müssen, mindestens…), standen sie sich gegenüber und waren außer Atem.
Freds Finger waren immer noch in den Stoff über seiner rechten Schulter vergraben und wirkten auch nicht so, als hätten sie vor, irgendwann wieder loszulassen – beinahe konnte man das Gefühl bekommen, ihr Besitzer nutzte die Gelegenheit, um sich irgendwo festhalten zu können. (Auch wenn George alles andere als überzeugt davon war, dass sich seine Schulter im Moment für diesen Zweck besonders eignete, weil er seiner eigenen Standfestigkeit schon einmal mehr getraut hatte.)
Noch dazu war er sich ziemlich sicher, dass sich sein Gesicht nur deshalb so heiß anfühlte, weil es gerade dabei war, rot anzulaufen und das war ja wohl absolut erbärmlich. (Kuss hin, Zungenkuss her, das hier war immer noch Fred – und vor dem hatte ihm nichts peinlich zu sein, verdammt noch mal!)
Wenigstens war es finster.
Was aber rein gar nichts an dem Umstand änderte, dass einer von ihnen irgendwann demnächst etwas sagen sollte, weil man sonst womöglich noch auf den Gedanken kommen konnte, dass hier gerade eben irgendwas Gravierendes passiert war.
„Äh“, Freds Finger zuckten, aber er machte immer noch keine Anstalten, wieder loszulassen, „Also… huh.“
Und wenn das mal keine Bemerkung war, auf die man tausend schlagfertige Antworten geben konnte. George schluckte – ein Geräusch, das sich in seinen Ohren unnatürlich laut anhörte. Jetzt war er an der Reihe, irgendetwas Erhellendes zu sagen. Alles andere wäre unfair gewesen und gewisse Dinge änderten sich einfach nicht. Punktum.
„Uhm“, er räusperte sich, „Ähm, das… n-na schön, vielleicht… vielleicht vergraulst du sie doch nicht.“
Gut, das war lahm. Und das sogar in mehr als einer Hinsicht.
Aber es war immerhin ein Ansatz. Fred sah ihn etwas verwirrt an, dann dämmerte ihm anscheinend, dass von Angelina die Rede gewesen war.
„Jaah“, sagte er und klang dabei ungewohnt heiser, „Ja, das… ja. Hab ich dir doch gesagt.“
Dann herrschte wieder Schweigen und George wusste nicht wirklich, wo er hinsehen sollte. Rundherum war es dunkel, was die Auswahl ziemlich einschränkte, noch dazu stand sein Zwillingsbruder direkt vor seiner Nase – bei näherem Hinsehen war der Abstand zwischen ihnen nicht halb so groß wie er eigentlich hätte sein sollen und bei weitem zu klein, um auch nur im Entferntesten hilfreich zu sein.
Niemand rührte sich.
Vielleicht war das auch ganz gut so, überlegte George, vielleicht würden sie-
„Leute?! Verdammt noch mal, wo steckt ihr? Ich bin hier nicht der Babysitter!“
Kurz war er sich nicht sicher, ob das Gefühl, dass sich bei Olivers Stimme in seinem Magen breitmachte, Enttäuschung oder Erleichterung war. Fred zog seine Finger zurück als hätte er sich verbrannt – was den Entscheidungsprozess um einiges beschleunigte. Auch, wenn Enttäuschung als gefühlsmäßige Reaktion alles andere als angebracht war.
Beruhigend war sie auf jeden Fall schon mal nicht.
George räusperte sich erneut. „HIER!“, brüllte er dann, „Was gibt’s?“
Weiter vorne tauchte Oliver Wood aus der Dunkelheit auf. „Wo zum Teufel bleibt ihr denn?“
„Sorry“, murmelte Fred eine Spur defensiver als sonst, „Hatten noch was zu besprechen.“
Ihr Mannschaftskapitän verschränkte die Arme. „Ah ja“, sagte er trocken, „Was auch sonst. Kommt schon, Jungs, Abmarsch. Ich will euren herzallerliebsten Kumpel da vorne nicht zu lange alleine in der Gegend rumstehen lassen… der ist so hinüber, der ist glatt imstande und rennt in den Verbotenen Wald.“
„Tse“, machte George in dem Versuch, auszutesten, ob die Dinge zwischen ihm und Fred in Ordnung waren und gleichzeitig so zu tun, als wäre alles vollkommen normal, „Hör dir das an. Wie er sich plötzlich um unser Wohlergehen sorgt…!“
„Jahh“, sagte Fred und grinste sogar, „Mal ehrlich, Oliver, du hättest uns hier draußen doch versauern lassen, wenn du uns nich’ als Treiber brauchen würdest.“
Der Stein, der George vom Herzen fiel, war ohne weiteres groß genug, um Hagrids Hütte unter sich begraben zu können. Na schön, dann war eben irgendwas nicht hundertprozentig in der Spur, aber Weltuntergang war es auch keiner. Und das war für den ersten Moment mehr als genug.
Wood grinste ebenfalls. „Schön, dass meine Absichten nicht missverstanden werden“, er klopfte George auf die Schulter, „Und jetzt kommt endlich, bevor wir alle Punkteabzug kriegen.“
~-~-~-~
Die darauffolgenden Tage waren… anders.
Auf gewisse Art und Weise zumindest. Und dann auch wieder doch nicht.
Im Grunde genommen war alles so wie immer. Der tägliche Ablauf war gleich, die Gespräche auch, genau wie die Regelverstöße und die Scharmützel mit Filch… und der ganze Mist, der nebenher noch gebaut wurde, war auch nicht anders als sonst.
Alles ganz normal und kein bisschen anders.
Alles wie immer.
Bis auf die unbedeutende Kleinigkeit, dass die Sache mit der Sache auf den Hogwarts-Ländereien von letztem Samstag noch ausständig war. Keiner von ihnen hatte mehr ein Wort darüber verloren, aber das Stillschweigen bedeutete nicht, dass alles ausgestanden war. Ganz im Gegenteil – es war, als würden sie alle beide nur darauf warten, dass der jeweils andere sie ansprach… diese Sache mit der Sache und so weiter.
Es war also kein vereinbartes Schweigen, sondern viel mehr unfreiwilliges Warten.
Eine Art Waffenstillstand.
George war sich nicht mal sicher, ob er überhaupt darüber reden wollte. Eigentlich wollte er nicht. Was vor allem daran lag, dass er in einem möglichen Gespräch absolut keine Ahnung gehabt hätte, was er hätte sagen sollte. Und das war an und für sich schon ärgerlich genug (…beziehungsweise beängstigend genug – aber das ging einfach zu weit, denn wenn man optimistisch an den ganzen Schlamassel herangehen wollte, war man mit ärgerlich immer noch um Welten besser dran…), weil es um Fred ging, Merlin noch mal.
Wo kamen sie denn da hin, wenn er nicht einmal mehr wusste, was er zu seinem eigenen Zwillingsbruder sagen sollte? Das war in etwa so unnatürlich, als hätten sich alle Slytherins mit einem Mal freiwillig dazu entschlossen, sozialen Dienst in einem Muggelkrankenhaus zu leisten. Vollkommen abartig.
Fred schien es ziemlich ähnlich zu gehen. Das war einerseits schon beruhigend, weil es bewies, dass zumindest noch ein paar Dinge gab, die so waren wie sie sein sollten, aber andererseits auch irgendwie ungut, weil es eigentlich doch ganz nett gewesen wäre, wenn wenigstens einer von ihnen die Übersicht behalten hätte.
Wenn sie nämlich alle beide keinen Plan hatten, dann… was dann? Anarchie?
Grundsätzlich hatte er ja nichts gegen Chaos, aber welches zu verbreiten war bei weitem witziger als selber mittendrin zu stecken.
Was ihm aber am allermeisten gegen den Strich ging war, dass es niemandem gab, mit der er darüber hätte reden können. Keinen einzigen Menschen.
Das war insofern wirklich irritierend, weil er es einfach nicht gewohnt war. Aber dagegen konnte man wohl einfach nichts machen, denn Fred (und da half alles nichts, denn George würde ganz sicher nicht so blöd sein und die heikle Balance, in die sie sich gerade noch gerettet hatten, freiwillig zunichte machen) kam nicht in Frage. Basta.
Und irgendjemand anderen um Rat zu fragen ging auch nicht, erstens aus ziemlich naheliegenden Gründen und zweitens – und das hatte beinahe noch mehr Gewicht – weil es schlicht und einfach Verrat bedeutet hätte.
Hochverrat, um genau zu sein. Er würde ganz sicher nicht seine Gefühlswelt hinter Freds Rücken mit jemand anderem diskutieren.
Besagte Gefühlswelt war im Übrigen nicht einmal besonders durcheinander. Sie schwankte ziemlich konstant zwischen Ratlosigkeit, periodisch wiederkehrendem Genervt-sein und dem Gedanken Eigentlich… hätte ich rein gar nicht gegen ’ne Wiederholung einzuwenden. der sich einfach nicht verscheuchen ließ.
Das war der ungefähre Stand der Dinge, als sie am Donnerstag der darauffolgenden Woche mitten in stockdunkler Nacht unerlaubterweise durch die Flure des dritten Stocks huschten.
„Mrs. Norris?“, flüsterte George gerade.
Fred hielt seinen Zauberstab ein Stück höher und starrte prüfend auf die Karte des Rumtreibers. „Zweiter Stock“, gab er zurück, „Und Filch treibt sich grade im Vierten vor der Bibliothek rum… wahrscheinlich wegen Peeves, sieh mal…“
„Na, ist doch perfekt. Absolut freie Bahn, besser geht’s fast gar ni-“
„Scheiße.“
George sah alarmiert auf. „Was?“ Fred warf ihm nur einen raschen Blick zu.
„Nox“, fauchte er und dann, noch eine Spur leiser, „Snape.“
„Was? Wo?“
Die Frage war im Prinzip mehr als überflüssig, denn just in dieser Sekunde ließen sich auch schon gedämpfte Schritte vernehmen. Fred hatte ganz recht gehabt – scheiße.
Das war gar nicht gut.
„Was macht der hier?“, zischte George aufgebracht, „Und was noch viel wichtiger ist – warum merkst du das erst jetzt?“
„Ich… keine Ahnung, hab nicht aufgepasst“, zischte Fred genauso aufgebracht zurück, „Tut mir ja leid.“
Die Schritte wurden langsamer, hielten dann inne.
George bewegte sich so leise wie möglich rückwärts, wollte Fred mit sich ziehen und stellte fest, dass das nicht mehr nötig war, weil der längst genau dasselbe tat. Sie befanden sich im wahrsten Sinne des Wortes allein auf weiter Flur. Wenn ihr allseits geschätzter Zaubertränkeprofessor jetzt um die Ecke bog, würde er sie sehen, Dunkelheit hin oder her. So blind konnte ein einzelner Mensch nämlich gar nicht sein.
„Der dreht doch nur seine Frustrationsrunden“, bemerkte Fred fast tonlos, „Hat uns wahrscheinlich nicht mal bemerkt…“
George wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als sich die Schritte wieder in Bewegung setzten.
„Heilige…!“
Jetzt war es egal, ob Snape von vornherein gewusste hatte, dass sie da waren oder ob er einfach aus reinem Glück genau auf sie zuhielt – sollte er sie sehen, würde das nämlich absolut keinen Unterschied machen. Unterm Strich kam genau dasselbe heraus: Hämisches Grinsen, spektakulärer Punkteabzug und Nachsitzen.
Und das waren ernstzunehmende Schwierigkeiten.
Grundsätzlich hatten sie mit all diesen Dingen ja überhaupt kein Problem. Wirklich nicht. Wäre das hier ein stinknormaler nächtlicher Streifzug gewesen und Snape (oder irgendjemand anderes, der nicht ganz so erbärmlich war wie Filch) wäre ihnen auf die Schliche gekommen, hätten sie sich notfalls sogar stellen können.
Ein gelassenes „N’Abend, Professor. Um diese Uhrzeit noch unterwegs?“ war schließlich immer noch um einiges stilvoller als beim Davonrennen rücklings von einem Beinklammerfluch erwischt zu werden.
Aber hier und heute kam das nicht infrage, denn in zwei Tagen war das Quidditchspiel. Wenn sie jetzt erwischt wurden – noch dazu von Snape, der das Haus Gryffindor ohnehin so heiß und innig liebte wie besonders hartnäckigen Fußpilz – dann konnten sie sich die Teilnahme abschminken, das war so sicher wie das Amen im Gebet.
Unnötig zu erwähnen, dass Oliver sie in diesem Fall höchstpersönlich ausweiden, anzünden und danach im See ertränken würde. (Wenn auch nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge.) Ganz zu schweigen davon, dass die Reaktion des restlichen Hauses sicher auch alles andere als begeistert ausfallen würde.
Die Schritte kamen unerbittlich näher. George warf einen Blick zurück, aber da war weit und breit nichts, hinter dem man auch nur annähernd hätte in Deckung gehen können. Zwar stand ein Stück weiter hinten eine alte, für Hogwarts-Verhältnisse recht verbeulte Ritterrüstung, aber sich hinter der zu verstecken war nicht nur unmöglich, es war geradezu lächerlich.
„George“, zischte Fred, „Klassenzimmer!“
Er deutet auf eine schmale, unscheinbare Tür auf der rechten Seite. George machte zwei, drei hastige Schritte, drückte die Klinke nach unten und… abgeschlossen. Na großartig. Wo war sein verdammter Zauberstab?
Fred drängte ihn zur Seite. „Lass mich- Alohomora.“
Das Klicken des aufschnappenden Schlosses war laut, viel zu laut. Musste die blöde Akustik in diesen Gängen so toll sein? Mal ehrlich, wozu war das gut? George biss sich auf die Lippe. Täuschte er sich oder hatten die Schritte gerade an Tempo zugelegt?
Fred zog die Tür auf und schien, als leises Knarren ertönte, genau denselben Gedanken zum Thema überflüssige Akustik zu haben.
„Gottverdammtes…!“
Inzwischen war es allerhöchste Eisenbahn. George schob seinen fluchenden Bruder ins Klassenzimmer und zog die Tür so schnell und leise wie möglich hinter sich zu.
Dann standen sie beide wie erstarrt und lauschten angestrengt.
Die Schritte bogen in ihren Flur ein, kamen näher, wurden langsamer und– marschierten vollkommen unbeeindruckt vorbei. Die nächsten beiden Minuten wurden sicherheitshalber trotzdem in vollkommener Stille verbracht.
„Woah“, sagte Fred schließlich, „Der Mann braucht mehr Privatleben, wenn du mich fragst.“
„Naah“, George sah sich interessiert um, „Kann ja nicht jeder unsere gesellschaftlichen Verpflichtungen haben, oder?“
Das Klassenzimmer war klein, staubig und unspektakulär. Er betrachtete den zerkratzten Lehrertisch.
„Sehr gemütlich, muss ich schon sagen. Was wird denn hier unterrichtet? Innenausstattung, wie man’s nicht macht?“
Fred grinste. „Ich glaube, die haben hier drin Muggelkunde.“
„Beeindruckend. Jetzt ist mir auch klar, warum das Fach so gut wie niemand belegt. Bei dem Ambiente…“
„Bruderherz, ich weiß nicht, was du hast. So schlimm ist es gar nicht. Hagrid zum Beispiel könnte sich hiervon ruhig mal ’ne Scheibe abschneiden.“
„Jahh“, George grinste ebenfalls, „Weil Hagrid ja das Maß aller Dinge ist, was?“
„Natürlich.“
„Apropos Maß aller Dinge“, George verschränkte die Arme im Nacken, „Kannst du mal nachsehen was unser Mann ohne Privatleben grade macht?“
Fred zog die Karte hervor. „Mist“, sagte er ein paar Sekunden später, „Immer noch im Zweiten. Sieht so aus, als würde das ’ne Weile dauern.“
„Wer weiß, möglicherweise hat er ein Date?“
Fred zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Sicher. Vermutlich auch noch mit ’ner Fledermaus?“
George musste lachen. „Klar. Was hast du denn gedacht?“
Und dann – wusste der Teufel aus welchem Grund auch immer – hielt er es plötzlich für angebracht, die Sache mit der Sache auf den Hogwarts-Ländereien von letztem Samstag anzusprechen. Wobei… angebracht war das falsche Wort.
Vollkommen-bescheuertes-Aussprechen-von-Gedanke-ohne-vorher-darüber-nachgedacht-zu-haben traf es wohl eher.
Und eine besonders gute Idee war es definitiv nicht.
Was mitunter auch daran lag, dass er keine allzu elegante Einleitung schaffte.
Wenn man es genau nahm, schaffte er überhaupt keine Einleitung, sondern fiel gleich direkt mit der Tür ins Haus.
„Äh. Sag mal, Fred?“ Schön, das ging ja noch. Das war harmlos…
„Hm?“
„Also… mal ehrlich, tut’s dir leid?“
Fehler. FehlerFehlerFehlerFehler. Die Erklärung konnte er sich sparen und irgendeine bescheuerte Ausflucht, die die ganze Situation vielleicht gerettet hätte, weil er um die Sache (mit der Sache) dann vielleicht doch noch einen Bogen hätte schlagen können, auch. An Freds Gesicht ließ sich nämlich überdeutlich ablesen, dass er bereits kapiert hatte, worum es ging.
Manchmal war das Zwillingsdasein einfach nur anstrengend.
Deshalb war die nachfolgende Frage auch nicht „Häh?“ oder „Was meinst du?“, denn das wäre ja zu einfach gewesen. Leichte, problemlos zu beantwortende Fragen waren ihm offenbar nicht vergönnt – wie es aussah, nicht einmal von seinem eigenen Fleisch und Blut.
Stattdessen legte Fred den Kopf schief und fragte: „Warum?“
Aber gut, bitte, das Spiel konnten auch zwei spielen. Und was tat man mit bescheuerten Fragen? Man stellte eine bescheuerte Gegenfrage.
„Was, warum?“
„Na ja, warum- ich meine… tut’s dir leid?“
Also, wenn DAS mal nicht richtig feige war. „Was soll der Scheiß? Ich hab zuerst gefragt!“
„Und? Deswegen hast du automatisch das Vorrecht auf ’ne Antwort oder was?“
„Äh… ja?“
„Wer sagt das?“
„Gesellschaftliche Normen sagen das. Die pure Höflichkeit sagt das. Ich sage das!“
Fred sah ihn unbeeindruckt an. „Gehen mir alle drei ziemlich am Arsch vorbei“, stellte er fest. George musste gegen seinen Willen grinsen.
Wenn sich diese Unterhaltung auch in ihrem üblichen Dialogschema führen ließ, dann würde sie vielleicht gar nicht so unangenehm werden wie ursprünglich angenommen.
„Ach?“, sagte er, „Küsst du seit neuestem immer Leuten, die dir am Arsch vorbeigehen? Hab ich irgendwas verpasst? Ist das jetzt wieder in?“
Kurz dachte er, möglicherweise doch zu weit gegangen zu sein, aber Fred verzog keine Miene und das war unglaublich beruhigend. „Yep“, sagte er, „Also würde ich mich an deiner Stelle beeilen… mit ein bisschen Glück erwischt du unseren Hausmeister noch.“
George wusste nicht, ob es die Erleichterung war, das ganze Adrenalin ihrer Flucht vor Snape, das jetzt nicht mehr gebraucht wurde oder eventuell doch irgendetwas völlig anderes – jedenfalls schnellte seine Hand plötzlich vor und zerrte seinen Zwillingsbruder am Kragen zu sich her.
Vielleicht tat er es auch nur, um Freds Reaktion zu sehen.
Die, und das musste der Neid ihm lassen, so souverän ausfiel wie nur irgend möglich.
„Huh“, machte er, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, „Willst du Filch das wirklich antun?“
George starrte genauso ungerührt zurück.
„Weißt du“, sagte er grinsend, „Der ist doch im vierten Stock und bis da rauf, also das ist wahnsinnig weit.“
Fred grinste zurück – auf diese Entfernung sah es noch viel durchgeknallter aus als sonst. „Mh-hm…“, sagte er, „Und die Mühe außerdem nicht wert.“
Dann lehnte er sich nach vorne.
Es war anders als die ersten beiden Male.
Diesmal wussten sie beide, was sie da taten… mehr oder weniger zumindest.
Dass sie sich bewegt hatten, fiel George erst auf, als er gegen irgendetwas stieß, das ein dumpfes, hölzernes Ächzen von sich gab – der Lehrertisch.
„Mann“, murmelte Fred zwischen zwei Atemzügen, „Dass in diesem bescheuerten Schloss aber auch alles Geräusche machen muss…!“
„Jaah“, murmelte George und ließ sich gegen die Holzkante drücken (auch hier bestand definitiv ein Unterschied zu Mädchen, stellte er fest – Fred war angenehm schwer), „Also wie wär’s, wenn du im Ausgleich dazu die Klappe halten würdest, hm?“
In den T-Shirt-Stoff weit unterhalb seiner Schulterblätter gruben sich Finger.
„Immer dieser Kommandoton…“
„Sorry“, sagte er spöttisch und leistet Widerstand, als Fred sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn lehnte – wenn hier jemand flach auf dem Tisch endete, dann ganz sicher nicht er, „Zu unhöflich…?“
„Aaach“, machte Fred, „Nichts, woran ich mich nicht schon seit Ewigkeiten gewöhnt hätte.“
Dann gab er ein äußerst faszinierendes Geräusch von sich, als George ihre Becken aneinanderpresste.
„Weißt du was?“, George zog ihn sanft an den Haaren zurück, „Ist vielleicht nicht der allerbeste Zeitpunkt, Bruderherz, aber ich möchte doch die Gelegenheit nutzen und dich daran erinnern, dass du mir noch ’nen Gefallen schuldest.“
„Ach ja?“, Freds Finger schoben das T-Shirt nach oben und verschwanden ganz darunter (Georges Gesicht fühlte sich schon wieder verdächtig heiß an, aber es war keine allzu große Tragödie, weil diesmal kein Unterschied zu seinem restlichen Körper bestand), „Weißt du was, du kannst mich mal.“
George grinste in sich hinein, drückte den Kopf seines Zwillingsbruders nach vorne und küsste ihn richtig – und zwar so lange, dass Fred, als er endlich wieder losgelassen wurde, zwei, drei Sekunden benommen blinzeln musste.
„Woah…“, krächzte er dann.
„Exakt“, sagte George triumphierend, „Und ich hoffe doch, das eben war nicht als Herausforderung gemeint…?“
„Heh“, machte Fred und schob das T-Shirt noch weiter hoch, zerrte daran und keine fünf Sekunden später war das Teil irgendwo auf dem Fußboden gelandet, „Subtext war noch nie deine Stärke, was?“
~-~-~-~
Es war kurz nach halb zwei, als sie sich so still und heimlich wie möglich auf den Weg zurück in den Gemeinschaftsraum machten. Mittlerweile patrouillierte Filch zusammen mit Mrs. Norris im ersten Stock, ihr Zaubertränkeprofessor war wieder tief in seinen ursprünglichen Lebensraum abgetaucht (den Kerkern von Hogwarts) und Peeves, der von allen infrage kommenden Individuen noch das kleinste Übel darstellte, trieb sich im Astronomieturm herum.
„Weißt du was…?“, fragte Fred gedämpft.
Zum Flüstern bestand eigentlich kein Anlass, aber sicher war sicher… und außerdem hatten sie in der vergangenen Dreiviertelstunde mehr als genug Atemluft verschwendet.
George warf der Karte des Rumtreibers einen letzten, prüfenden Blick zu – Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste – und sah auf.
„Was?“, gab er zurück und fragte sich dann kurz, ob er wohl genau so aussah wie Fred – zerzaust, alles andere als blass und mit einem lächerlich breiten Grinsen im Gesicht.
„Ich finde, irgendwie schulden wir Snape ein Dankeschön. Was meinst du?“
„Doch… da ist was Wahres dran. Viel wird er damit zwar nicht anfangen könne, aber… tja. Gute Kinderstube bleibt gute Kinderstube, oder?“
Das Grinsen auf Freds Gesicht wurde, sofern das überhaupt möglich war, noch eine Spur breiter.
„Gute Kinderstube?“, fragte er, „Wo bist du die letzten dreißig Minuten denn bitteschön gewesen? Wenn das gute Kinderstube gewesen sein soll, na dann gute Nacht.“
George schüttelte nur bedauernd den Kopf. „Keine Manieren“, sagte er theatralisch, „Unsere Gesellschaft geht vor die Hunde.“
Und er klang dabei kein bisschen so, als würde es ihm auch nur im Entferntesten leidtun.
~-~-~-~
„Ähm… Verzeihung, Professor?“
Snape hielt langsam inne, dann drehte er sich ebenso langsam um. Das war ungewöhnlich, um nicht zu sagen unerhört. Einer von diesem Weasley-Pack war schon mehr als genug, aber gleich zwei von dieser unerträglichen Sippe….
Die Zwillinge, natürlich. Wer wäre auch sonst so dreist gewesen und hätte dabei gleichzeitig ein so unbekümmertes Gesicht gemacht?
Diese Beiden waren beinahe noch schlimmer als der strohdumme Bengel, der Potter auf Schritt und Tritt folgte wie das reinste Haustier. Seine Antwort klang so ablehnend wie nur irgend möglich – und das war eine ganze Menge Ablehnung, denn wenn es etwas gab, das er im Lauf der Jahre perfektioniert hatte, dann war es der Tonfall, der den Leuten schon von vornherein klarmachte, dass sie unerwünscht und lästig waren.
„Ja?“
Sie ließen sich weder von seinem hasserfüllten Blick, noch von seinem Tonfall beeindrucken. Das war unerfreulich, vor allem, weil sie sich alle mitten in der Eingangshalle befanden und die ersten Schaulustigen bereits damit begonnen hatten, neugierig stehenzubleiben.
Einer der beiden räusperte sich, der andere setzte ein feierliches Gesicht auf.
„Professor, Sir, das kommt jetzt vielleicht etwas überraschend-“
„-oh, ganz sicher tut es das-“
„-aber Fred und ich sind der Meinung-“
„-dass wir Ihnen, Sir, zu tiefem-“
„-äußerst tiefem-“
„-und aufrechtem Dank verpflichtet sind.“
Einen Augenblick lang entgleisten ihm die Gesichtszüge. Was in Dreiteufelsnamen…??
Doch er hatte sich rasch wieder gefasst – und reagierte, wie er in neun von zehn Fällen reagierte, wenn irgendein Schüler aus diesem verlausten, angeberischen Haus es wagte, unaufgefordert das Wort an ihn zu richten.
„Zehn Punkte Abzug für Gryffindor!“
Die Zwillinge hatten sich bereits mit einer vollkommen synchronen Bewegung umgedreht und waren an ihm vorbei in die Große Halle geschlendert, aber er konnte hören, wie sie auf diesen Satz hin in schallendes Gelächter ausbrachen.
Die Umstehenden warfen ihm seltsame Blicke zu und kurz überlegte er, noch fünf Punkte draufzusetzen… einfach deshalb, weil es zwei gottverdammte Balgen waren, die er nie auseinanderhalten konnte (nicht, dass er großen Wert darauf gelegt hätte) und die ganz offensichtlich so eingebildet waren, zu glauben, dass sie mit jeder Dummheit, die ihnen einfiel, irgendwie davonkommen würden.
Dann ließ er es bleiben. Lächerlich war das, völlig lächerlich.
Das war die Sache einfach nicht wert.
End.
~-~-~-~
Irgendwie ist Oliver ein Opfer. =D
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.