von Lady_Selena
Tom Riddle wirkte den Rest des Tages recht schweigsam. In dieselben Gedanken versunken, wie in der vorangegangenen Stunde Verteidigung gegen die Dunklen Künste, überstand er auch noch die restlichen Stunden des Nachmittags. Professor Slughorn hatte ihn einmal mehr über die Maßen für seine Hausarbeit gelobt. Er tat bescheiden, wie immer, was Slughorn veranlasste ihm nur noch begeisterter zu bescheinigen, welch eine große Zukunft vor ihm lag. Eine große Zukunft. In der Tat.
Im Verwandlungsunterricht bei Professor Dumbledore wurde ihm dann aber ein wenig mulmig. Hatte er nur das Gefühl oder ruhten die stechend blauen Augen des Professors öfter als sonst auf ihm? Das undefinierbare Gefühl, von ihm beobachtet zu werden, hatte Tom schon oft gehabt. Auch wenn er es nicht erklären konnte.
Damals, als er elf Jahre alt war, waren ihm zu seinem Bedauern in seiner Aufregung, zu entdecken, was er war, viele wichtige Informationen entfahren. Zu viele für seinen Geschmack.
„Hey! Tom! Du bist so still heute. Stiller als sonst und das will was heißen. Hättest Du Lust mit zum See zu kommen?“ riss ihn die Stimme von einem Mitschüler aus seinen Gedanken. Er kehrte unfreiwillig in die Gegenwart zurück und sah, dass er im Slytheringemeinschaftsraum, in seinem gewohnten Sessel saß, seine Mitschüler zumeist auf dem Boden sitzend um ihn verteilt. Sie sahen ihn gleichsam als Führer an.
Entschieden und eiskalt antwortete er:
„Nein, Mulciber. Mich verlangt es nicht danach. Aber geht ruhig, wenn ihr wollt. Ich werde mich in die Bücherei begeben.“ In diesem Moment erhob er sich und lief aus den Kerkern, gefolgt von Kopfschütteln und Gemurmel seiner Mitschüler, über seinen unstillbaren Wissensdurst. Er lief die Korridore entlang bis zur Bibliothek im vierten Stock.
Scheinbar hatten seine Worte das bewirkt, was er beabsichtigte. Seine unterwürfigen Mitschüler schien es nicht danach zu verlangen, ihm ihre Gesellschaft aufzuzwingen.
Tom Riddle begann nun die Bibliothek zu durchstöbern, auf der Suche nach einem Buch, das ihm Anleitung sein konnte, die Flüche zu erlernen, denen er heute im Unterricht begegnet war. Doch seine Suche schien aussichtslos. Die Bibliothek, zumindest außerhalb der Verbotenen Abteilung, gab keinen Fetzen Pergament her, der die Flüche mehr als nur beschrieb.
Tom vermutete aber, dass die fehlenden Informationen in der Verbotenen Abteilung zu finden waren, doch um dort nach einem Buch zu suchen, bedurfte es der schriftlichen Erlaubnis eines Lehrers.
Er legte das Buch auf den Tisch, an dem er gelesen hatte und starrte auf seine langen Finger. Dann überlegte er.
Wenige Minuten später hatte er einen Plan. Professor Merrythought würde ein Referat von ihm, Tom Riddle, sicherlich begrüßen. Sie würde es nur als einen Versuch ansehen, seine ohnehin schon sehr guten Noten zu verbessern, doch für Tom war es weitaus mehr. Vielleicht, ja, mit ein bisschen Glück, würde er auch ein Buch finden, das seinen Herzenswunsch erfüllte.
Sorgsam darauf bedacht, den Unmut der schrulligen Bibliothekarin Madam Pince nicht zu wecken, die anscheinend nur für Bücher lebte, stellte er alles zurück in die Regale, was er zuvor entnommen hatte. Die scharfen Augen der relativ jungen Hexe, die bereits jetzt schon eine Haut hatte, wie vergilbtes Pergament, fanden die Bücher wieder an ihre Plätze.
Er verabschiedete sich freundlich, mit dem Versprechen, wiederzukommen und einer leichten Verbeugung, wie er es immer zu tun pflegte, und verließ dann die Bibliothek.
Zielgerichtet lief er die Korridore entlang bis zum Büro der Professorin für Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Ohne zu zögern klopften seine hageren Knöchel gegen die Tür.
„Herein“, ertönte ihre Stimme von innen.
Sacht öffnete Tom die Tür und trat leise ein. Mit einer knappen Verbeugung und einem gemurmelten „Professor Merrythought“ begrüßte er die Lehrerin.
„Ah. Mr. Riddle. Was führt sie denn an einem so schönen Tag, den sie draußen mit ihren Freunden verbringen sollten, hierher? Setzen sie sich doch.“, damit wies sie auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch und nahm dahinter Platz. Tom setzte sich auf den angebotenen Stuhl, ehe er charmant lächelte und dann antwortete
„Ihr Unterricht, Professor. Sie gestalten jedes Thema so fabelhaft, dass mich ihr Unterricht niemals ganz loslässt. Ich vermute auch stark, dass es meinen Klassenkameraden ähnlich ergeht, kein Wunder, bei einer so fähigen, vorzüglichen Lehrerin.“
„Sie schmeicheln mir, Mr. Riddle, doch, was kann ich für sie tun?“
„Nun ja. Mich hat schon immer verwundert, auch bei den minderen Flüchen, was sich Zauberer und Hexen gegenseitig antun können. Diese Unverzeihlichen Flüche, zum Glück werden sie so hart bestraft, sind besonders abscheulich. Ich würde trotzdem gerne mehr darüber erfahren, da meine Klassenkameraden womöglich nicht die Gefahren und die Ernsthaftigkeit dieser besonderen Drei erkennen. Daher schlage ich vor, selbst einen Vortrag dazu auszuarbeiten und abzuhalten, natürlich nur mit ihrer Erlaubnis und Unterstützung, Professor Merrythought.“
Die Lehrerin schwieg einen Augenblick und sah ihn nachdenklich an. Dann lächelte sie und meinte
„Hat sie die Abhandlung im Lehrbuch noch nicht befriedigt, Mr. Riddle?“
„Offengestanden nein.“
„Was wäre ich für eine Lehrerin, wenn ich ihrem Wissensdurst Einhalt gebieten würde? Doch ich befürchte, dass die Bibliothek auch nicht mehr hergeben würde, als sie bereits wissen. Unter welchem Aspekt würden sie ihr Referat denn gestalten, Mr. Riddle?“
Mit dieser Frage hatte Tom nicht gerechnet und schwieg daher einen Augenblick, ehe er antwortete
„Ich interessiere mich vor allem dafür, was einen Magier dazu bringen kann einen solchen Fluch gegen einen Mitmenschen zu richten. Dafür muss ich natürlich zuallererst den Mechanismus der Flüche verstehen lernen. Ich finde die Vorstellung einfach schrecklich, zu was für Taten manche Magier in der Lage sind.“
„Um den Mechanismus zu verstehen, müssen sie sehr tief in die schwarze Magie eindringen, Mr. Riddle, ist ihnen das bewusst?“
Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die Abscheu bekunden sollte, doch in seinem Inneren brodelte es. Er war seinem Ziel so nahe!
„Ja, leider lässt sich diese Erfahrung nicht vermeiden. Ich selbst könnte mir auch nicht vorstellen, diese Flüche je zu erlernen oder gar anzuwenden. Welch furchtbarer Gedanke! Und trotzdem reizt mich das Thema. Selbstverständlich würde ich mein Wissen, welches ich womöglich erhalte, niemals teilen. Schon gar nicht mit meinen Mitschülern. Ich glaube zu wissen, dass ich mit diesem sensiblen Thema umgehen kann. Es wäre mir deshalb eine Ehre, gewisse Aspekte näher zu beleuchten.“
Professor Merrythought nickte bedächtig.
„Sie benötigen eine Erlaubnis für die Verbotene Abteilung, nehme ich an, da ich mir sicher bin, dass kein Buch frei zugänglich ist, welches genug Informationen erhält.“
Sie nahm ein Pergament zur Hand und tauchte eine schöne Feder in Tinte. Mit ihrer zierlichen Schrift stellte sie für Tom die Erlaubnis aus, die er so sehr begehrte. Wieder huschte das rote Glühen in seine Augen, doch diesmal registrierte dies die Lehrerin nicht. Nachdem sie zu Ende geschrieben hatte, trocknete sie die Tinte mit einem kleinen Zauber, faltete das Pergament ordentlich zusammen und übergab es an ihren wissbegierigsten Schüler.
„Ich hoffe inständig, dass sie das Wissen, welches sie erwerben niemals missbrauchen werden, Mr. Riddle.“
Mit einem entsetzten Gesichtsausdruck antwortete er schnell
„Wo denken sie hin, Professor? Nichts ist für mich schrecklicher, als dieser Gedanke!“
„Nun gut. Ich gebe ihnen drei Wochen zur Vorbereitung. In achtzehn Tagen möchte ich das Konzept sehen, damit sie ihren Mitschülern nicht zuviel zumuten. Danach haben sie Zeit für die Feinarbeiten. Ich freue mich bereits jetzt auf ihre Ausarbeitung.“
Tom nickte bedächtig und drehte das Pergament immer wieder in seinen Händen.
„Danke, Professor. Ich denke, ich werde mich sogleich an die Arbeit machen und ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Auf Wiedersehen.“
Er erhob sich langsam und reichte der Professorin die Hand. Langsamer, als es sein aufgewühlter Gemütszustand eigentlich zuließ, verließ er das Zimmer.
Nachdem er seine Schritte und seine Neugier bis zum nächsten Stockwerk gebremst hatte, zog er sich nun in eine Nische zurück und faltete das Pergament auseinander. Was er jetzt las, erfreute ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
Verehrte Madam Pince,
dem Schüler Tom Riddle ist es für den Zeitraum der nächsten drei Wochen, ab heute, erlaubt für seine Recherchen die Verbotene Abteilung zu besuchen.
Ich habe ihm gestattet, die schwarze Magie für ein Referat zu studieren, mit speziellem Augenmerk auf die Unverzeihlichen Flüche.
Mit freundlichen Grüßen,
Galatea Merrythought
Tom wähnte sich am Ziel seiner Träume. Er durfte jedes Buch lesen, welches sich in der Verbotenen Abteilung der Schulbibliothek befand. Er durfte herausfinden, wie die Unverzeihlichen Flüche funktionierten und wie man sie benutzte. Natürlich hatte er vorhin gelogen. Nichts konnte ihn jetzt noch hindern, sie auszuprobieren, zu erlernen, zu benutzen. Seine nichtsnutzige Mutter war nach seiner Geburt gestorben, so hatte man ihm zumindest erzählt. Ihm würde dieser Fehler jedoch ganz bestimmt nicht unterlaufen, er würde herausfinden, wie man unsterblich werden konnte. Er würde jeden eliminieren, der sich seinem Ziel in den Weg stellte. Er würde eine Legende werden.
Er würde sich an seinem unwürdigen Erzeuger rächen können, der es nicht verdiente, als sein Vater in die Geschichte einzugehen, der es nicht einmal verdiente, Vater genannt, oder gar mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Er hatte herausfinden können, indem er unzählige Ahnentafeln studierte und alte Zeitungsberichte durchsuchte, wo seine Mutter einst gelebt hatte und vermutete, dort eventuell auch auf seinen Großvater zu treffen, der ihm gewiss Informationen über den Verbleib dieses wertlosen Muggels geben konnte.
Noch immer schmerzte ihn die Erkenntnis, die er im Jahr zuvor machen musste, dass sein Vater niemals auch nur einen Fuß über die Schwelle Hogwarts’ oder in die Zaubererwelt gesetzt hatte. Über drei Jahre hinweg hatte er nach einem Hinweis gesucht, die ihm seiner Abstammung näherbrachte. Vergebens.
Er wusste nicht viel über seine Ahnen, doch was er wusste, setzte er bedacht ein.
Im Waisenhaus hatte er erfahren, dass er nach seinem Vater und seinem Großvater mütterlicherseits benannt war. Tom und Marvolo.
Vergebens hatte er nach einem Tom Riddle gesucht, also blieb nur noch der einzelne Name Marvolo übrig.
Den einzigen Marvolo, den er finden konnte und der vom Alter her sein Großvater hätte sein können, war ein Gaunt. Dieser hatte auch eine Tochter und einen Sohn. Da er sich vom Gedanken verabschiedet hatte, sein Vater wäre ein Zauberer, kam nur die Tochter, eine Merope in Frage.
Recherchen zu ihr verliefen jedoch weitestgehend im Sande. Er wusste, dass sie einst Hogwarts besuchte, jedoch eine untalentierte, miserable Schülerin war, die mit Ach und Krach die Prüfungen bestand. Erst wollte er sich nicht eingestehen, dass er von solch einer Hexe abstammen konnte, doch schließlich akzeptierte er auch dies. Er hasste seine Mutter von ganzem Herzen, das sie nicht für ihn, ihren einzigen Sohn, weiterleben wollte und ihn in dieses Waisenheim abgeschoben hatte, kaum, dass er geboren war. Er hasste sie für ihre Schwäche, ihre Feigheit und nicht zuletzt dafür, dass sie ihn im Stich gelassen hatte, als er sie noch brauchte.
Seinen Vater hasste er ebenso glühend, wenn nicht gar noch mehr. Tom gab ihm für alles die Schuld. Er hatte ihn im Stich gelassen, den Allerweltsnamen gegeben und, so sagte man ihm, auch das Aussehen. Wäre er nicht gewesen, so wäre seine Mutter nicht gestorben.
Tom vermutete stark, dass er noch irgendwo lebte. Vielleicht mit Frau und Kindern, Halbgeschwistern, wie Tom sich angewidert eingestand, wahrscheinlich wertlose Muggel, genau wie ihr gemeinsamer Erzeuger.
Er wollte ihn vernichtet sehen, für sechzehn lange Jahre, die er sich nicht für seinen Sohn interessiert hatte. Er hatte es nicht verdient zu leben, für das schändliche Verbrechen an ihm, Tom Marvolo Riddle, der insgeheim diesen Namen schon lange abgelegt und durch das Anagramm Lord Voldemort ersetzt hatte.
Ja, die Stunde der Erkenntnis, war auch die Stunde seiner Wiedergeburt, seiner Auferstehung. Er, einer der fähigsten Schüler, die diese Schule je gesehen hatte, würde Geschichte schreiben, ganz in seinem Sinne. Er würde derjenige sein, der die bekannten Grenzen ausweitete, auf dem Weg zur Unsterblichkeit. Niemals würde er die Schwäche besitzen zu sterben. Egal, was es kostete, er würde sein Ziel mit allen Mitteln verfolgen.
Schritte im Korridor holten Tom in die Gegenwart zurück. Noch immer starrte er auf das Pergament, auch wenn seine Gedanken ein wenig abgeschweift waren.
Schnell faltete er es zusammen und machte sich auf den Weg in die Bibliothek.
Madam Pince las den Brief, der an sie gerichtet war, mehrfach, ehe sie ihn misstrauisch beäugte.
„Schwarze Magie, hm? Du bist nicht der Erste, der darüber etwas wissen will, aber nur wenige bekommen so eine umfassende Erlaubnis. Ich bin zwar auch erst seit zwei Schuljahren hier, aber so habe ich es noch nicht erlebt und ich war schon auch als Schülerin Aushilfe in der Bibliothek. Nun ja, ich wünsche Dir viel Erfolg, bei Deiner Ausarbeitung.“
Sie öffnete die Kordel, die die Verbotene Abteilung abgrenzte und ließ ihn passieren.
Tom stürzte sich auch sogleich auf diverse Bücher, die ihm vielversprechend erschienen und begann an einem Tisch zu arbeiten.
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