
Musiktipp: Was it a dream von 30 seconds to mars
Zehn Minuten vor sieben. Lily seufzte und schaute mit vernebeltem Blick aus dem Küchenfenster. Es regnete immer noch und es wollte einfach kein Ende nehmen. Das Wetter schien sich ihrer Stimmung anzupassen. Das Thermometer sank immer tiefer und Lily fing an zu zweifeln, dass es wirklich August war.
„Von wegen globale Erwärmung“, murrte Lily und stieß sich vom Fensterbrett ab. „Eher globale Erkaltung.“
Sie zog eine Grimasse als ihre Füße über den kalten Küchenboden wanderten. Sie würde sich erkälten, aber das war ihr egal.
Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und als ihre Hände den heißen Becher berührten, seufzte sie wohlig auf.
Um nicht länger ihre Füße dieser Kälte auszusetzen, hopste sie auf die Küchentheke und ließ ihre Beine, die in ihrer Lieblingsjogginghose steckten, baumeln. Ihr Blick wanderte zur Küchenuhr. Fünf Minuten vor sieben. Spätestens in zehn Minuten würde ihre Mutter runter kommen und sie fragen warum sie so früh auf war, immerhin waren Ferien. Doch für Lily war es nicht früh, eher spät. Um genau zu sein, sie hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan. Nach dem Gespräch mit James, das sie letzte Nacht mit ihm hatte, wollte sie sich nur noch in den Schlaf weinen. Doch der Schlaf wollte nicht kommen und so hatte sie nur geweint. Zu übersehen war es nicht. Ihre Augen waren rot unterlaufen. Geschwollen waren sie zum Glück nicht mehr, aber nur, weil sie sich um fünf in der Früh eine Eismaske auf die Augen gelegt hatte.
Lily hatte nie gedacht, dass eine Nacht so lange sein konnte, wenn man Sehnsucht hatte. Doch hatte sie überhaupt Sehnsucht? Was sie im Moment empfand war mehr als verwirrend. Immer und immer wieder hatte sie sich die Frage gestellt, warum sie sich auf einmal so zu James hingezogen fühlte. Und in einer langen Nacht konnte man sich das tausendmal fragen, nein, millionen Mal, wenn nicht mehr. Es nervte sie schon selbst, dass sich ihre Gedanken wohl nur noch um diesen arroganten, selbstverliebten Schönling drehten. Es passte ihr nicht, doch was ihr noch viel weniger passte, war die Tatsache, dass sie sich tatsächlich von ihm angezogen fühlte.
Die leisen Schritte von ihrer Mutter hatte sie nicht gehört, so war es nicht verwunderlich, dass Lily erschrak, als Andy wie aus dem Nichts vor ihr stand.
„Lily? Schon so früh wach? Bist du krank?“
„Morgen Mum, nee ich konnte nicht mehr schlafen, der Regen hat mich geweckt. Kaffee?“, fragte die Rothaarige und hielt ihr eine Tasse hin, die sie aus dem Küchenschrank geholt hatte.
„Ja gerne, ich hatte keine Probleme zu schlafen, eher im Gegenteil, ich könnte weiter schlafen“, gähnte Andrea und wuschelte sich durch die ungekämmten Haare. „Wenn du möchtest kannst du ein paar Brötchen aufbacken, dann können wir zusammen frühstücken bevor ich auf die Arbeit muss“, bot sie ihrer Tochter an.
„Jaa okay“ Lily sprang von der Küchentheke runter.
„Aber als erstes gehst du dir ein Paar Socken anziehen, nicht dass du dich noch erkältest“ Andrea nahm einen großen Schluck ihres Kaffees, stellte die Tasse auf dem Küchentisch ab und wuselte Richtung Bad.
Herzhaft gähnend stieg Lily die Treppe hoch, um sich in ihrem Zimmer ein Paar Socken zu holen. Am Ende hatte sie wieder ihre Zehensocken an. Da es ihr ziemlich kalt war, wollte sie in ihre schwarze Weste schlüpfen, doch als Lily sie an hatte, stieg ihr James Duft in die Nase.
„So ein Mist aber auch“, grummelte sie und zog hastig die Weste aus. „Muss der sich überall verewigen? Das ist ja nicht zum aushalten. Verdammtes After Shave, verdammter Duft, verdammter Kerl, verdammtes, verwirrendes Gefühl, das nichts bei mir zu suchen hat“, keifte sie weiter, während sie sich eine andere Weste aus dem Schrank holte.
Bevor sie wieder runter ging, warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel. Sie sah fertig aus. Müde, abgespannt, traurig, einfach zum kotzen. Warum hatte ihre Mutter das nicht bemerkt? Oder hatte sie es, wollte aber nicht mit der Tür ins Haus fallen? Mit grimmiger Miene band sich Lily einen Pferdeschwanz, der mehr zerzaust als ordentlich war, aber es passte ja zu ihrem Gesamteindruck.
Leise schlurfte sie die Treppen nach unten und wühlte im Kühlschrank nach den Brötchen. Als sie sie hatte, stellte sie den Backofen an und wartete bis er fertig aufgeheizt war. Fast hätte sie sich die Finger verbrannt als sie die Brötchen auf das Blech legte und dieses zurück in den Backofen schob. Lily setzte sich auf einen Stuhl und warf einen Blick auf die Uhr. In 20 Minuten waren die Brötchen fertig, bis dahin wäre ihre Mum aus dem Bad und sie hatte genug Zeit in Ruhe den Tisch zu decken. Sie erhob sich langsam und goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein, vielleicht würde sie so etwas Energie bekommen um den Tag zu überstehen. Als sie das letzte Glas mit Himbeermarmelade auf den Tisch gestellt hatte, kam ihre Mutter aus dem Bad.
„Das hast du toll gemacht“, lobte diese ihre Tochter.
„Mum ich bin keine sechs mehr, einen Tisch kann ich grad noch so decken“, nuschelte Lily und versteckte sich hinter ihrer fünften Tasse Kaffee.
„Ich geh schnell auf die Toilette“, erklärte Lily und huschte ins Bad. Andrea holte die Brötchen aus dem Ofen und legte sie in einen Brotkorb.
„Morgen Mum zwei“, nuschelte James, als er die Küche betrat.
„Du bist auch schon so früh wach? Naja ich hab eine Bitte, ich glaub Lily wird krank, kannst du ein Auge auf sie haben?“, fragte Andrea stockte aber, als sie James sah. Dieser sah nicht viel besser aus als Lily.
„Oh man du siehst auch nicht gut aus, ihr werdet mir doch wohl nicht beide krank?“, fragte Andy besorgt.
„Nein, mir geht’s gut, wirklich. Hab nur nicht gut geschlafen“, gähnte James und ließ sich an den Küchentisch nieder.
„Das scheint wohl nur für Jugendliche zu gelten. Hab es Lily eben auch schon gesagt, ich könnte noch weiter schlafen.“
James zwinkerte seine Stiefmutter verschmitzt an. „Liegt wohl am Alter. Ich habe gehört dass der Körper, wenn er älter ist, längere Ruhepausen braucht.“
Andrea verwuschelte beim Vorbeigehen James Haare und lachte leise vor sich hin. „Nicht so frech junger Mann.“
Lässig warf James ihr einen Luftkuss zu. „Nicht aufregen Mum 2, du kennst mich doch.“
„Wie der Vater, so der Sohn“, stöhnte Andrea und schaute besorgt zur Badezimmertür. „Lily braucht aber lang.“
Ruckartig drehte James seinen Kopf ebenfalls zur Badezimmertür. „Sie ist schon wach?“, fragte er verunsichert.
„Natürlich, woher sollte ich denn sonst wissen, dass sie schlecht aussieht und auch nicht geschlafen hat?“, antworte Andrea und schaute James besorgt an. Er sah wirklich nicht gut aus. Wenn sie es ihm zutrauen würde, hätte sie fast geglaubt, er wäre unglücklich.
„James, ist wirklich alles mit dir in Ordnung?“, fragte sie ihn ruhig. Selbst wenn er nicht ihr leiblicher Sohn war, auch bei ihm versagten ihre Mutterinstinkte nicht. James blieb ihr eine Antwort schuldig, denn Lily platzte in die Küche.
„Oh Mann, fünf Tassen Kaffee treiben ganz schön“, lachte sie vergnügt, doch ihr Lachen erstarb als sie James am Tisch sitzen sah. Was wollte er denn schon so früh hier?
„Morgen“, nuschelte James in seinen Kaffee und wandte den Blick schnell von Lily. Das Glitzern in ihren Augen war verschwunden, als sie ihn gesehen hatte. Er wollte sie doch nicht unglücklich machen. Genügte es nicht, dass er unglücklich war?
„Morgen“, nuschelte Lily zurück und griff in den Brötchenkorb. Sie schnitt das Brötchen auf und schmierte sich Nussnugatcreme darauf. Ihr war der Appetit vergangen, aber wie sollte sie dass ihrer Mutter erklären?
„Ach Kinder, könnt ihr das mit euren Streitereien nicht endlich mal lassen? Es tut weh, euch so zu sehen, in meinen Augen seid ihr beide meine Kinder, ob es euch gefällt oder nicht“, Andy war nicht wütend, sie war enttäuscht.
Lily blickte ihre Mutter traurig an, bevor sie auf sprang und weinend aus dem Zimmer lief. ‚In meinen Augen seid ihr beide meine Kinder‘ hallte es in ihrem Kopf nach. Ihre Mutter würde das Geturtel zwischen ihren beiden „Kindern“ niemals akzeptieren. Es tat ihr verdammt weh einzusehen, dass ihre Entscheidung doch richtig gewesen war. Das mit ihr und James wäre niemals gut gegangen.
James ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Ihm hallten ebenfalls die Worte seiner Stiefmutter im Kopf.
„Kinder, was ist nur mit euch beiden los?“
„Nichts“, knurrte James und stand auf. Ihm war der Appetit vergangen. „Bye Andy, viel Spaß bei der Arbeit.“ Mit gesenktem Kopf verließ er die Küche und wenig später hörte Andrea das laute Knallen seiner Zimmertür.
Seufzend räumte sie den Küchentisch ab und machte sich dann auf den Weg zur Arbeit.
***
Lily lag auf ihrem Bett und konnte die Tränen nicht aufhalten. Leise weinte sie vor sich hin. Als es an ihrem Fenster klapperte richtete sie sich auf. Eine der Schuleulen klackerte mit ihrem Schnabel an die Glasscheibe. Sie öffnete voller Hoffnung das Fenster und ließ das braune Tier hereinfliegen. Die Eule flog auf Lilys Schreibtisch und streckte ihr das rechte Bein entgegen. Mit zittrigen Fingern fummelte Lily den Umschlag von dem Beinchen der Waldkauzdame ab und öffnete ihn. Würde sie dieses Jahr Schulsprecherin werden? Dafür hatte sie als Vertrauensschülerin hart gearbeitet. Verdient hätte sie es, das wusste sie. Doch die Enttäuschung war groß, als sie feststellen musste, dass der Brief nicht anders war, als all die anderen, die sie in den letzten Jahren bekommen hatte.
„So ein Mist“, schrie sie und trat gegen die Schranktür. Hatte sich denn jetzt die ganze Welt gegen sie verschworen? Wenn sie sowieso schon die ganze Zeit am Heulen war, konnte sie ja weiter machen. Ob sie jetzt wegen James heulte oder wegen der Schulsprechersache, war egal. Lily ließ sich auf den Boden sinken und zerknüllte den Brief. „Scheiße, scheiße, scheiße“, schrie sie aus voller Brust und ließ den Kopf auf die Bettkante sinken.
„Lily? Alles klar bei dir? Kann ich reinkommen?“ James war erschrocken aufgesprungen, als er Lily hatte schreien hören und stand jetzt ratlos vor der Tür. Da sie ihm keine Antwort gab, drückte er leise die Türklinke nach unten und schob die Tür vorsichtig auf. Er sah Lilys Rücken, sie saß auf dem Boden und sah geknickt aus. In ihrer rechten Hand hatte sie ein zerknülltes Pergament. James schluckte schwer, als er sah, dass Lilys Schultern vom leisen Weinen bebten. Er kniete sich neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Hey Lily, was ist denn passiert? Bitte beruhig dich erst mal.“ James war noch nie ein guter Tröster gewesen. Dafür hatte er zu wenig Übung. Unschlüssig sah er auf die Rothaarige hinunter.
Lily war leicht zusammen gezuckt, als sie James Hand auf ihre Schulter gespürt hatte. Langsam schaute sie zu ihm auf. Ihre Augen waren voller Tränen und ihre Lippen bebten stumm. James schluckte schwer. Langsam kniete er sich vor sie hin und nahm vorsichtig ihre Hand in seine. „Lily, gib mir das Pergament“, bat er sie leise.
„Nein“, schluchzte sie und schüttelte hastig den Kopf. James Griff um ihre Hand wurde fester. „Lily, sag nicht nein, wenn du eigentlich ja meinst“, flüsterte er sanft.
Lily lies das Pergament fallen und zog James an seinem T-Shirt zu sich. Sie weinte gegen seine Schulter und sog seinen Geruch tief in sich auf. Warum war auf einmal alles so blöd? Vor wenigen Wochen war doch alles super gewesen. Kaum war sie aus Hogwarts wieder zu Hause passierte das. James löste sich von ihr und strich das Pergament glatt, er überflog es schnell und schaute dann zu Lily.
„Lily, ich verstehe nicht, was ist denn los? Es ist doch nichts passiert“, sagte James und versuchte ihr in die Augen zu blicken.
Ich bin keine Schulsprecherin geworden“, schluchzte sie.
James schaute sie verwirrt an. Deswegen machte sie so einen Aufstand? „Ja und? Was ist daran so schlimm? Es gibt bei weitem schlimmere Dinge auf der Welt als das.“
„Dass du das nicht verstehst wundert mich nicht. Wahrscheinlich ist es dir sogar entgangen, dass ich letztes Jahr Vertrauensschülerin war und es war immer mein Wunsch Schulsprecherin zu werden. Aber wahrscheinlich ist mein Blut nicht rein genug. Ich bin ja nur ein wertloses Schlammblut, mehr nicht“, presste Lily zwischen ihren Zähnen durch.
„Nimm dieses Wort nicht in den Mund, Lily“, knurrte James.
„Welches? Schlammblut? Wieso? Das entspricht doch der Wahrheit. Hör zu James, ich habe hart dafür gearbeitet, ich war immer fair, hilfsbereit und nett. Warum hat Dumbledore nicht mich zur Schulsprecherin gemacht? Dir scheint es egal zu sein, denn du bist trotzdem beliebt. Du musst nichts dafür tun, … dich liebt ja sowieso jede. Du musst nur mit dem Finger schnipsen und sie schwirren um dich wie Fliegen um das Licht.“ Ohne es zu merken hatte Lily das Thema gewechselt, aber James war es nicht entgangen. Was hatte auch seine Beliebtheit bei dem weiblichen Geschlecht mit Lilys Wunsch Schulsprecherin zu werden zu tun? Vorsichtig strich er ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und berührte so Lilys feuchte Wange.
„Lily, worum geht es wirklich?“
Lily erstarrte. Seine Berührung jagte ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. „Darum, dass ich wohl unfähig bin um den Posten als …“ Sie brach ab, als sie James zweifelnden Blick sah. Er glaubte ihr nicht. Warum sollte er ihr auch? Ihre ganze Körperhaltung signalisierte doch, dass sie ihn in ihre Nähe haben wollte, sie wünschte von ihm berührt zu werden und sehnte sich danach ihn zu küssen, aber sie war es selbst gewesen, die einen Schlussstrich darunter gezogen hatte. Sie bereute es. Im Nachhinein kam ihr der Entschluss übereilt vor. Vielleicht hätten sie in Ruhe noch einmal darüber reden sollen. Sie biss sich auf die Lippe. „Wir sind ihre Kinder“, hauchte Lily und blickte fest in James Augen um seine Reaktion aus ihnen ablesen zu können.
James blickte schnell auf den Boden. „Lily, bitte du hast das beendet. Und du hattest Recht. Lass uns nicht darüber nach denken, dass macht die Sache nur noch komplizierter“, murmelte er und fuhr sich angespannt durch seine Haare. „Aber…“, setzte Lily an. „Nein Lily, bitte kein aber, mach es uns nicht noch schwerer“, bat James und blickte ihr kurz in die Augen. In ihren smaragdgrünen Augen stand der Schmerz geschrieben, doch er erkannte auch Sehnsucht. Es stellte ihn auf eine harte Probe. Er wollte sie küssen, um ihren Schmerz zu lindern.
„Es war nicht mehr als ein schöner, kurzer Traum“, murmelte James abwesend, als er sich erhob.
Lily griff nach seinem Arm um ihn fest zu halten. Sie wollte nicht dass er sie schon alleine ließ. „Dann lass uns wenigstens versuchen Freunde zu sein“, bat sie ihn vorsichtig. Mehr als verlieren konnte sie nicht.
James seufzte. „Was versprichst du dir dabei?“
„Unsere Eltern schmerzt es, wenn wir uns streiten. Also, wenn wir schon nicht so selbstsüchtig sind und nur an uns denken, dann sollten wir ihnen wenigstens den Gefallen tun und uns nicht mehr streiten.“
„Mhm“, sagte James, er wusste nicht, was er von Lilys Vorschlag halten sollte. Sie hatte Recht, sie verletzten mit ihrem ständigen Gezanke die Gefühle ihrer Eltern. Aber auf der anderen Seite war sich James nicht sicher, ob er es schaffen könnte, Lily jedesmal nahe zu sein, aber nicht mehr zwischen ihnen haben zu können.
Allein die Vorstellung, dass er ganz normal neben ihr stand und wusste wie ihre Lippen schmeckten, war seltsam. Da konnte er besser damit umgehen, wenn er sie dafür zumindest anschreien konnte.
„Bitte James, nicht für mich, tu's für Mum.“ Lily sah ihn aus ihren großen Augen geschockt an. Dass war das erste Mal, dass sie Andrea auch im Sinne von James, als Mutter gesprochen hatte. Es schien ihr so falsch zu sein. Sie war wütend auf ihre Mutter, dass sie ausgerechnet James zu ihrem Stiefbruder gemacht hatte.
Langsam schüttelte er den Kopf. Er kam zum Entschluss, dass es niemals zwischen ihnen klappen könnte als Freunde.
„Lily, hör zu … ich kann das nicht. Zumindest jetzt noch nicht. Du hast gar keine Ahnung wie es in mir aussieht. Hier drin“, er tippte sich mit dem Finger an die Stirn, „ist das reinste Chaos und hier drin“, er legte seine Hand aufs Herz, „fühlt es sich gebrochen an. Vielleicht ist es dir nicht bewusst Lily, aber mir hat das alles mehr bedeutet. Wahrscheinlich mehr als es dir jemals bedeutet hätte.“
James nahm ihre Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken, bevor er das Zimmer verließ, mit dem Gedanken, dass er richtig gehandelt hatte.
Lily brach auf dem Boden erneut in einen Weinkrampf aus. Er dachte also, es hätte ihr nichts bedeutet. Das Schlimme war, dass sie sich selbst nicht sicher war. Es hatte ihr Spaß gemacht und sie sehnte sich danach, wieder von James berührt und geküsst zu werden, aber hatte es ihr ernsthaft etwas bedeutet? Sie war sich nicht mehr sicher, was sie denken sollte. Langsam stand sie auf und ging ins Bad um alle Gedanken an James oder sonst etwas unter einer heißen Dusche zu ertränken. Ihr Handrücken brannte immer noch da, wo James´ Lippen ihn berührt hatten.
Sie ließ die Tür achtlos hinter sich zufallen und stieg aus ihrer Jogginghose und aus der Weste, die sie auf den Boden warf. Das Wasser ließ sie richtig heiß laufen, bevor sie die Glastür öffnete und in die Dusche stieg. Innerhalb kürzester Zeit war die Scheibe angelaufen, da sich die Hitze im Bad staute. Lily schluchzte immer noch, als das heiße Wasser auf ihre schmerzende Glieder herab prasselte. Leider ließ sich der Schmerz nicht mit wegwaschen.
Und auch ihre Gedanken kreisten immer und immer wieder um James. Vielleicht sollte sie Sophie anrufen und sie fragen, ob sie ein paar Tage zu ihr kommen könnte ein bisschen Abstand zu James würde ihr bestimmt gut tun. Von draußen hörte sie ziemlich laut James Musik.
Er hörte ihre Lieblingsband. Lily liebte 30 Seconds to mars.
“Your defences were on high. Your walls built deep inside. Yeah I’m a selfish bastard, but at least I’m not alone. My intensions never change. What I want is staying the same. And I know what I should do. It’s time to set myself on fire. Was it a dream? Was it a dream? Is this the only evidence that proves it a photograph of you and I.”
Lily sang leise den Text mit. Sie kannte ihn auswendig. „Your reflection I’ve erased like a thousand burned out yesterdays. Believe me when I say goodbye forever. Is for good”, Lily stockte, als ihr den Sinn des Liedes bewusst wurde. Es war fast so, als wäre das Lied für sie und James geschrieben worden.
„Is for good“, murmelte Lily und schüttelte den Kopf. Nichts war gut. Ganz und gar nicht.
James wanderte Gedankenverloren in seinem Zimmer umher. Er hatte die Musik laut gestellt und zog sich im Gehen sein T-Shirt über den Kopf und warf es in eine Ecke, auf einen Klamottenberg. Er brauchte dringend eine heiße Dusche, vielleicht würde sie ihm Klarheit in seine verwirrten Gedankengänge bringen. Er schlüpfte aus seinen Jeans und öffnete seine Zimmertür. Er öffnete die Badezimmertür und erschrak, vor ihm stand eine nackte Lily und trocknete sich ab, die aber mitten in der Bewegung inne hielt, als sie ihn entdeckte. Schnell wickelte sie sich das Handtuch um sich herum. Ihr Blick fiel auf James entblößten Oberkörper. Es war nicht so, als hätte sie ihn so zum ersten Mal gesehen, aber in ihren Augen hatte sich sein Anblick für sie geändert. Früher war er einfach ihr nervender Stiefbruder, der dachte er wäre zu schön für diese Welt und würde es so jedem zeigen wollen. Doch jetzt sah sie in ihm einen attraktiven, jungen Mann der wirklich zu schön für diese Welt war. Als sie so darüber nachdachte lief sie dabei rot an und versuchte den Blick von seinem Bauch, der leichte Ansätze zu einem Sixpack zeigte, zu reißen. Krampfhaft hielt sie ihr Handtuch fest und zwang sich dazu James ins Gesicht zu schauen. Sein wunderschönes Gesicht war ausdruckslos und er drehte sich einfach um und verließ das Bad ohne ein Wort zu ihr zu sagen. Draußen lehnte er sich mit geschlossenen Augen an die Tür. Was sprach dagegen? Nur noch einmal, dachte er und atmete tief durch, bevor er die Tür erneut aufriss und vor Lily trat, die immer noch wie angewurzelt auf dem Platz stand, auf dem sie vorhin schon gestanden hatte.
„James was…?“, fragte sie und sah ihn sein angespanntes Gesicht. Seine Kiefer mahlten aufeinander. Er ging schnellen Schrittes auf sie zu und nahm ihren Kopf in seine Hände und presste seine Lippen gegen ihre. Lilys Hände wanderten zu seinen Haaren, dabei ließ sie ihr Handtuch los, welches an ihr nach unten auf den Boden fiel. Es war ein komischer Gedanke, dass sie vollkommen nackt vor ihm stand und ihn weniger von nackt als von angezogen trennte. Er ließ seine Hände auf ihren Rücken gleiten und drückte sie noch enger an sich. Sie spürte, wie James Herz schnell gegen seinen Brustkorb schlug, und sein Atem schnell und stoßweise ging. Sie küssten sich leidenschaftlich und in Lily stieg eine ihr unbekannte Erregung auf. Was machte er nur mit ihr? Sie stellte sich auf die Zehnspitzen um ihm entgegen kommen zu können. Er roch immer noch so gut. Warum war es ihr früher nie aufgefallen, dass er so gut roch? Aber ihr war damals vieles nicht aufgefallen. Vor allem nicht wie toll seine Haare eigentlich waren. Nie wieder würde sie rum meckern wenn er sich durch das wilde Durcheinander auf seinen Kopf strich. Seine Haare fühlten sich einfach perfekt zwischen ihren Fingern an. Lily passte sich seiner Atmung an und sie hatte das Gefühl gleich kollabieren zu müssen. Ihr wurde schummrig und ihre Hände glitten zu James Oberarme, so dass sie sich an ihm fest halten konnte. Sie riss ihre Lippen von seinen und füllte ihre Lungen mit Luft, indem sie tief einatmete. Was würden nur ihre Freundinnen von ihr denken, wenn sie wüssten, was sie hier trieb? Sie wären über die liebe, anständige Lily Evans geschockt. Ein verschmitztes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Ich bin nicht die brave Evans“, lachte sie leise und küsste James über seinen Kehlkopf.
„Da hast du recht, Evans“, stöhnte er, als Lily ihre Fingernägel sanft über seinen Rücken kratzen lies. Er küsste sie stürmischer und drückte ihren Körper gegen die Duschkabine. Er sehnte sich nach mehr. Er wollte sie richtig spüren. James küsste sich ihren Hals entlang und sog ihren Duft tief in sich auf. Wie oft hatte er sich danach gesehnt, sie einfach nur mal richtig zu riechen? Jedesmal, nach dem Lily nach dem Duschen in ihrem Zimmer verschwunden war, hatte James das Bad blockiert und ihren Duft genossen.
Lily keuchte auf, als sie die Duschkabine in ihrem Rücken spürte. „Stopp James, das geht mir zu schnell.“ Sie brauchte all ihre Kraft um ihn von sich zu drücken. James wich geschockt von Lily zurück. Wie konnte er sich nur so gehen lassen? Das Letzte was er wollte, war Lily zu bedrängen.
„Es … es tut mir Leid“, stotterte er und hob ihr das Handtuch auf und reichte es ihr. „Hier! Es wäre vielleicht besser wenn du …“ Er sprach den Satz nicht zu ende. Lily hatte es auch so verstanden. Sie nickte und wickelte das Handtuch um sich.
„Ich lass dich in Ruhe duschen“, sagte sie leise. Sie drehte sich um und wollte das Bad verlassen, hielt aber kurz inne und wand sich noch einmal zu James, der sich völlig betroffen auf die Toilette gesetzt hatte und die Wand hinter Lily anstarrte.
„James?“ Auch wenn ihre Stimme nur sehr leise war, wachte James aus seiner Art von Trance auf und richtete seinen Blick auf Lily.
„Ja?“
Lily beugte sich zu ihm runter und drückte ihm einen schnellen Kuss auf den Mund. „Ob du es glaubst oder nicht, mir bedeutet es auch was.“
Mit diesen Worten ließ sie ihn alleine.
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