Wo bist du, Ron? - Kapitel 1
von Judi2823
Wo bist du, Ron?
Kapitel 1
Er war weg, immer noch. Das war das einzige, woran ich im Moment denken konnte. Ich ging durch unsere leere Wohnung. Der Mond schien durch die Fenster und die Straßenbeleuchtung war auch an. Das war genug Licht, um durch die Wohnung zu streifen. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen, noch nicht mal lesen. Alles erinnerte mich an Ron. Bei dem Gedanken an ihn, spürte ich Tränen in meinen Augen. Ich erinnerte mich noch genau an den Morgen vor 23 Tagen, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.
„Guten Morgen, mein Schatz“, hörte ich Ron flüstern.
Ich öffnete meine Augen und starrte in die strahlend blauen Augen meines Mannes. Ich lächelte ihn verschlafen an.
„Warum bist du denn schon so fit?“, nuschelte ich und vergrub meinen Kopf in den Kissen. Ron, der schon vollständig angezogen vor meiner Bettseite kniete, grinste.
„Tja, ich habe gestern eben nicht so viel getrunken, wie du“, sagte er lachend und strich mir die Haare aus dem Gesicht, „Aber du kannst ruhig mal feiern. Schließlich arbeitest du viel zu viel. An deiner Stelle würde ich jetzt aber trotzdem aufstehen.“
„Warum?“, fragte ich, „Es ist doch Samstag.“
„Ja, schon“, antwortete Ron und stellte sich hin, „Aber ich habe Frühstück gemacht.“
Sein stolzes Gesicht war Überzeugung genug aufzustehen. Ich setzte mich auf und dann streckte mir Ron seine Hand entgegen und zog mich hoch.
„Geht das so?“, fragte ich und deutete auf mein Nachthemd.
„Klar“, antwortete Ron, „Du siehst in allem wunderschön aus und außerdem frühstücken wir ja nur.“
Er nahm meine Hand und führte mich in unsere Küche, die gleichzeitig auch unser Esszimmer war.
„Ich weiß, es ist nicht besonderes“, meinte Ron, „Aber sonst machst du immer Frühstück und ich hatte einfach diese spontane Idee.“
„Danke“, sagte ich und küsste ihn.
Wir setzten uns hin und fingen an, wie jeden Samstag und Sonntag, ganz normal zu frühstücken. Gerade als ich das Marmeladenglas nahm, hörte ich auf einmal dieses Piepen. Ich hasste dieses Geräusch über alles, denn es bedeutete, dass Rons Aurorfähigkeiten gebraucht wurden. Ron reagierte prompt. Er stand auf, holte sein Portmonee aus seiner Hosentasche und nahm daraus eine kleine Münze.
„Ach du scheiße!“, sagte er. Ich wusste sofort warum; die Münze leuchtete rot. Das bedeutete, es stand irgendein besonders wichtiger Einsatz bevor, ein gefährlicher, ein dramatischer. Wir sahen uns kurz geschockt an, doch es blieb keine Zeit für Entsetzen. Es ging um Leben und Tod. Es war rot.
Ron holte seine Jacke aus den Schlafzimmer und ich sprang auf und rannte ihm nach.
„Es tut mir Leid. Ich muss-“
„Ich weiß“, sagte ich schnell und küsste ihn, „Pass auf dich auf.“
„Das werde ich“, sagte er, schloss seine Arme um mich und wir küssten uns leidenschaftlich.
„Ich liebe dich“, sagte er leise. Dann zwang er sich zu einem kurzen Lächeln, drehte sich und war verschwunden.
Es war rot.
Bei dem Gedanken an sein Lächeln, fasste ich mir geistesabwesend an meinen Ehering. Ich ging in die Küche und holte mir ein Glas und die angebrochene Wasserflasche, die auf dem Tisch stand. Ich schaltete im Wohnzimmer das Licht an und setzte mich aufs Sofa. Als ich mir Wasser einschenkte, sah ich genauer auf das Glas. Vor Schreck ließ ich es fallen.
Ich weinte so sehr. Wo bist du, Ron? Warum kommst du nicht zurück zu mir? Ich fing an zu schluchzen und schüttete das ganze Wasser auf den Boden, auf die Scherben von Rons Chudley-Cannons-glas. Ich weinte und weinte bis ich irgendwann vor Müdigkeit einschlief.
Mein Wecker weckte mich nur wenige Stunden, nachdem ich eingeschlafen war. Ich ging ins Bad und war geschockt bei den Anblick meines Spiegelbildes. Meine Augenringe waren riesig, mein Gesicht war von dem vielen Heulen geschwollen und meine Haare waren so buschig wie schon lange nicht mehr. Doch Gott sei Dank war ich eine Hexe und konnte mit einigen Beautyzaubern verbergen, wie schlecht es mir ging. Ohne zu frühstücken machte ich mich auf den Weg ins Ministerium. Dort angekommen ging ich wie schon seit den letzten 2 ½ Wochen erst in die Aurorenabteilung.
„Guten Morgen, Mrs. Granger-Weasley“, sagte die Sekretärin, die die Hauptkoordination in der Abteilung führte. Dabei sah sie mich traurig an. Dieses Mitleid in ihren Augen konnte ich nicht länger ertragen und schaute ein paar Zentimeter über ihren Kopf.
„Morgen“, sagte ich steif, „Ich wollte nur fragen, ob es etwas Neues von meinem Mann und seiner Einsatzgruppe gibt.“
Die Frau schüttelte mitfühlend ihren Kopf. Es versetzte mir einen Stich im Bauch und dagegen konnte ihr Mitgefühl auch nichts tun. Ich brauchte kein Mitgefühl, ich brauchte meinen Mann!
„Mrs. Granger-Weasley, sie wissen doch. Wir werden sie sofort informieren, wenn es Neuigkeiten von der verschwundenen Einsatzgruppe gibt“, sagte die Frau und sie redete weiter, obwohl ich mich schon längst auf den Weg zu den Aufzügen gemacht hatte, „Sie brauchen nicht jeden Morgen hierher zu kommen. Und wenn sie mal jemanden brauchen, einfach zum-“
Der Aufzug war da und ich fuhr in meine Abteilung. Ich hatte mir dort schnell einen Namen verschafft und sogar mehrere Leute unter mir und eine eigene Assistentin. Ich war schon fast Chef der Abteilung, denn so viele Menschen arbeiteten nicht für die „Rechte der Elfen und anderen magischen Geschöpfen“.
Auf dem Weg vom Aufzug zu meinem Büro erntete ich viele mitleidige Blicke, doch ich hielt nicht an und sprach mit niemandem. Sprechen war lästig geworden, genau wie alles andere auch, alles außer Arbeit. Arbeit lenkte mich ab. Deshalb war ich auch nicht auf die vielen Urlaubsangebote meines Abteilungsleiters oder gar Kingsley eingegangen.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und sofort kam meine Assistentin, legte mir irgendetwas auf den Tisch und redete dabei mit mir. Erst das Zugehen meiner Tür riss mich aus meinen – meinen was? War das Schlaf? Waren das Gedanken? Nein! – aus meiner Leere.
Einen kurzen Augenblick starrte ich auf das Foto, was auf meinem Schreibtisch stand. Darauf sah man erst nur mich und Ron und dann kam Harry lachend von hinten zwischen uns gesprungen. Dabei legte er seine Arme auf unsere Schultern und wir drei lachten in die Kamera. Ich klappte mir der linken Hand das Bild um, ich konnte es nicht mehr länger ansehen.
Die Tür ging auf und Rachel, meine Assistentin, kam mit einer Tasse Kaffee herein. Sie lächelte mich an. Ihr Lachen gefiel mir. Es war nicht mitleidig oder aufgesetzt. Nein, es war einfach ganz normal und freundlich.
„Guten Morgen, Rachel“, sagte ich und zwang mich auch zu einem Lächeln, „Es tut mir Leid, dass ich eben so abwesend war.“
„Das macht nichts“, sagte Rachel fröhlich, „Ich habe alles nochmal aufgeschrieben und den Zettel in die Akte gelegt. Ich werde mich dann jetzt um Mrs. Douglas kümmern. Sie ist schon wieder da, weil sie denkt, dass sie Tippy nicht gut behandeln würde. Ich komme dann in etwa einer Stunde wieder und dann könnten wir Mr. Snow besuchen.“
Ich nickte und sagte wahrheitsgemäß: „Wenn ich sie nicht hätte, wäre ich aufgeschmissen. So machen wir’s.“
Als Rachel mein Büro verlassen hatte, machte ich mich sofort an die Arbeit. Es befreite mich, es machte mir Spaß, es lenkte mich ab. 1 ½ Stunden später war ich fertig und lehnte mich zufrieden zurück. Ich musste sogar ein wenig Lächeln. Doch bei dem Gedanken, was Ron jetzt wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass mich Arbeiten glücklich machte, verschwand mein kurzes Lächeln wieder. Nicht weil ich Angst hatte, dass er sauer sein würde oder so etwas. Nein, weil ich ihn so vermisste.
Ich wollte nicht an ihn denken, also brauchte ich Arbeit.
Wollte Rachel nicht schon längst wieder da sein? Sie redete wahrscheinlich immer noch mit Mrs. Douglas. Die alte Dame glaubte egal worum es ging immer direkt, sie hätte ihren Hauselfen gequält. Dabei war Tippy rundum glücklich.
Ich lächelte ein wenig, weil es so toll war, dass es zwischen diesen ganzen Elfenhassern auch noch solche Menschen gab. Ich stand auf und öffnete die Tür, die zu dem kleinen Vorraum führte, in dem Rachel ihren Schreibtisch hatte. Doch zu meiner Überraschung war ihr Schreibtisch leer.
„Was soll das denn?“, murmelte ich.
„Ganz einfach, Hermine“, sagte plötzlich eine tiefe unverwechselbare Männerstimme hinter mir. Ich zuckte vor Schreck zusammen, drehte mich dann aber um. Kingsley Shacklebolt lehnte sich an die Wand hinter meiner Bürotür und sah mich ausdruckslos an.
„Minister Shacklebolt, was führt sie zu mir?“, fragte ich überrascht. Er schüttelte den Kopf und lächelte.
„Hermine, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich Kingsley nennen kannst? Wir kennen uns doch jetzt schon lange und haben viel erlebt.“
Ich fühlte mich unwohl. Wo genau dieses Gefühl herkam, wusste ich nicht. Aber was machte Kingsley in meinem Büro?
„Was mich zu dir führt, ist, wie gesagt, ganz einfach und trotzdem schwer.“
Was sollte das denn? Was wollte er? Doch nicht etwa sagen – Nein, das war es nicht, dass konnte es nicht sein! Jedoch musste ich zur Sicherheit auf jeden Fall fragen.
„Was ist?! Ist was mit Ron? Ist er wieder-“
„Nein, Hermine. Es ist gibt keine Neuigkeiten von den vier Vermissten. Es tut mir Leid“, sagte Kingsley und legte seine Hand auf meine Schulter, „Es geht um dich.“
„Was ist mit mir?“, fragte ich sofort. Ich hatte trotz allem meine Arbeit gemacht, sogar bis zu drei Überstunden am Tag. Hatte ich einen Fehler gemacht? Wollte er mir kündigen?
Kingsley drückte kurz meine Schulter und ließ sie los. Dann wendete er sich von mir ab und ging ein paar Schritte im Raum umher ohne mich anzusehen.
„Wie du ja siehst, ist Miss Cooper nicht mehr da. Ich habe sie nach Hause geschickt. Du fragst dich sicher, warum ich das getan haben. Weil du sie nicht brauchen wirst, nicht heute, nicht morgen und auch nicht die restliche Woche.“
„Was redest du da, Kingsley?! Jetzt sag mir doch mal, was das soll!“, sagte ich gereizt. Konnte er nicht mal klar sagen, was er wollte.
„Hermine, du bist beurlaubt“, sagte Kingsley schlicht, aber nicht in meine Richtung, sondern zu einer Topfpflanze auf Rachels Schreibtisch.
Dass er mir das nicht einmal ins Gesicht sagen konnte, machte mich so wütend, geschweige denn von der Wut, die ich über die Beurlaubung verspürte. Und in dem Moment war es mir wirklich scheißegal, ob der Zaubereiminister vor mir stand oder nicht.
„WAS?!“, schrie ich, „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Ich reiß mit für die Abteilung den ARSCH auf und du beurlaubst mich?!“
Endlich drehte er sich um und sah mich an. Ich spürte, wie Tränen aus meinen Augen quollen, Tränen der Wut und Enttäuschung.
„Deine Arbeit zweifelt niemand an. Sie ist hervorragend, aber du machst dich kaputt damit“, sagte Kingsley. Das machte mich nur noch wütender.
„KAPUTT?!! Woher willst du denn wissen, was mich kaputt macht? Du kennst mich doch kaum!“, schrie ich.
„Stimmt, Hermine, leider kenne ich dich nicht sehr gut, jedoch hat mich jemand auf deinen Zustand aufmerksam gemacht, der dich so gut wie sonst nur Ron kennt“, sagte Kingsley, „Ich vertraue seinem Urteil voll und ganz. Meine Entscheidung steht fest. Ich möchte dich hier nicht mehr sehen bis Ron wieder aufgetaucht ist.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Das konnte doch nicht wahr sein?! Warum hatte er das gemacht? Warum hatte er Kingsley von meinem vermeintlichen Zustand erzählt? Er hatte mich in den letzten Tagen doch kaum gesehen. Dieser Idiot!
„KINGSLEY!“, schrie ich und rannte aus meinem Büro, „Das kannst du doch nicht machen!“
Doch er ging einfach weiter und achtete gar nicht auf mich. Als er im Aufzug verschwand, wusste ich, dass ich keine Chancen hatte, ihn umzustimmen.
Meine Kollegen schauten schon aus ihren Bürotüren heraus und sahen mich geschockt an. Entweder waren sie geschockt, weil sie nicht erwartete hätten, dass ich einen Vorgesetzten so behandeln würde, oder mein Anblick schockierte sie. Kein Wunder, mein Gesicht war tränenüberströmt und in meinen Augen konnte man deutlich eine noch nie zuvor da gewesene Wut funkeln sehen.
Ich würdigte meine Kollegen keines Blickes und lief in mein Büro. Dort riss ich meine Jacke vom Kleiderhacken und schnappte mir meine Tasche. Ich musste hier raus und das so schnell, wie möglich. Ich rannte den Flur entlang und weiter in den Aufzug. Zur meiner Erleichterung war er vollkommen leer. Ich hämmerte wie wild auf den Knopf des Atriums ein und endlich setzte er sich in Bewegung.
Doch schon nach zwei Etagen hielt er erneut an und ein braunhaariger junger Mann stieg ein. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, weil riesige Tränen aus meinen Augen quollen. Aber lange Rätseln musste ich nicht.
„Hermine!“, rief der Mann. Die Stimme war unverwechselbar, es war Neville Longbottom.
„Was um Himmels Willen ist passiert?“, fragte er und reichte mir ein Taschentuch. Ich wischte mir die Augen und das Gesicht und konnte wieder besser sehen. Aus irgendeinem Grund wurde ich noch wütender, als ich Neville deutlich sehen konnte. Es war nicht sein besorgter mitleidiger Blick. Nein, es war die Tatsache, dass er hier vor mir in seinem Aurormantel dastand.
„Du warst dabei!“, schrie ich plötzlich, „Du warst dabei! Warum bist du wieder da und er nicht?! Warum hast du ihn nicht mit nach Hause gebracht? Warum?! Er gehört doch zu mir!“
>Ding<
Die Tür des Aufzuges öffnete sich und ich rannte ins Atrium. Ich musste hier raus!
„Hermine!“, hörte ich Neville rufen. Das fehlte mir noch. Warum musste er mir folgen? Ich will hier raus und das so schnell wie möglich. Es war schon schwer genug gegen niemanden zu stoßen, wenn man so stark weinte, dass man nichts mehr sehen konnte.
Ich fing an zu rennen und endlich war ich in der Zone des Atriums angekommen, in der man apparieren konnte.
„Hermine!“
Ich hörte nicht auf Nevilles Rufe, drehte mich und tauchte im Treppenhaus des Hauses, in dem Ron und ich wohnten, wieder auf. Endlich allein!
Ich suchte den Schlüssel in meiner Handtasche.
Scheiße! Ich konnte den Schlüssel kaum halten, weil meine Hände so stark zitterten. Ich wusste genau, warum das so war. Ich zitterte vor Wut; Wut auf Neville, Wut auf Kingsley, Wut auf meine gaffenden Kollegen und vor allem Wut auf Harry. Wäre er nicht gewesen, würde ich jetzt so glücklich, wie es mir im Moment möglich war, in meinem Büro sitzen und meine Arbeit machen. Stattdessen stand ich verheult, aufgelöst und mit einer mörderischen Wut im Bauch vor meiner Haustür, deren Schloss ich nicht einmal aufbekam.
„Komm schon, du dummer Schlüssel. Du musst doch nur ins Schlüsselloch“, murmelte ich verzweifelt. Schließlich beruhigte ich mich und schloss die Tür auf. Ich ging hinein und stand in dem Wohnzimmer unserer Drei-Zimmer-Wohnung. Ich schloss die Tür und lehnte mich an sie.
Ich fühlte Erleichterung. Jetzt war ich zu Hause.
Moment mal, irgendwie roch das gar nicht nach meinem Zuhause. Es roch nach Pfannkuchen. Warum roch es in einer leeren Wohnung, in der alle Fenster geschlossen waren, nach Pfannkuchen?
Ich wischte mir erneut die Augen mit Nevilles Taschentuch und ging in Richtung Küche.
„Hallo?“, rief jemand und dieser jemand stand mit hundertprozentiger Sicherheit in meiner Küche. Seit wann begrüßten Einbrecher einen mit Pfannkuchen und riefen ‚Hallo!’?
Doch ich musste nicht lange rätseln, denn der vermeintliche Einbrecher kam aus der Küche und blieb bei meinem Anblick im Türrahmen stehen.
„Du bist ja schon da!“, sagte Harry.
Ich sah ihn an. Was machte er hier? Er war der letzte, den ich jetzt sehen wollte. Wegen ihm war ich beurlaubt worden, wegen ihm ging es mir so schlecht. Ich fühlte nichts anderes als Wut. Ich wollte ihm wehtun, ihm genauso viel Schmerz bereiten, wie die, die ich wegen ihm ertrug.
„DU!“, schrie ich, „Was willst ausgerechnet DU hier?!“
Er ging auf mich zu.
„Bleib bloß weg von mir!“, schrie ich. Doch er kam unbeirrt auf mich zu. Ich konnte mich nicht beherrschen und ich wollte es auch nicht. Meine Wut hatte die völlige Kontrolle über meinen Körper.
Ich ging, gepackt von meiner Wut, auf ihn zu und schlug auf ihn ein.
„Du bist so hinterhältig und – und – und widerwärtig!“, schrie ich und meine Faust schnellte dabei immer wieder auf seine Brust zu.
Aus meinen Augen liefen dicke Tränen. Doch das störte mich nicht im Geringsten. Ich wollte ihm wehtun!
„Du Idiot!“, schrie ich und schlug immer fester.
Er wehrte sich nicht einmal! Fester und fester wurden meine Schläge und er, er verzog nicht mal sein Gesicht. Er ging immer näher auf mich zu. Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Ich schlug ihn und weinte noch mehr. Ich schlug ihn und weinte noch mehr.
„Ich habe – gedacht – du wärst – mein Freund!“, schrie ich. Er sah mich ausdruckslos an und ging noch näher an mich heran. Ich konnte ihn kaum noch schlagen, so nah war er schon bei mir.
„Ich hasse dich!“, schrie ich aus tiefster Seele. Harry gab mir keine Zeit ihn weiter zu verletzen. Er legte seine Arme um mich und drückte mich an sich. Ich wollte ihn nicht umarmen, ich hasste ihn doch.
Doch gegen seine muskulösen Arme hatte ich keine Chance. Sie drückten mich an seinen Körper. Sein T-Shirt roch nicht nach Pfannkuchen. Es roch genauso wie damals, als ich ihn auf der Suche nach dem Stein der Weisen umarmt habe oder wie so oft, wenn ich ihm vor einem wichtigen Quidditchspiel Glück gewünscht habe oder so wie er an meiner und Rons Hochzeit gerochen hat, als er mir mit Tränen in den Augen gesagt hatte, dass ich die beste Schwester war, die es auf der Welt gab.
Auf einmal verstummte meine Wut und mein Hass auf ihn. Er war schließlich mein bester Freund, den ich wie einen Bruder liebte. Ich hörte auf mich zu wehren und legte meine Arme um seinen Bauch. Harry strich mit seiner Hand über meine Haare und versuchte mich zu beruhigen. Ich konnte nicht mehr. Auf einmal platzte alle aus mir heraus. Ich fing hemmungslos an zu schluchzen und konnte mich kaum auf den Beinen halten.
„Sch, Hermine. Ich bin bei dir. Beruhig dich“, sagte Harry und zog mich mit ihm aufs Sofa.
„Ich – ich – kann – nicht – mehr“, schluchzte ich und vergrub meinen Kopf in Harrys Pullover, „will – nicht – mehr – allein – sein.“
„Hör mir zu, Hermine“, sagte Harry und hob sanft meinen Kopf, sodass er mir in die Augen schauen konnte, „Du wirst auf gar keinen Fall alleine bleiben. Ron wird wieder kommen und bis dahin bleibe ich hier bei dir.“
„Aber was – was ist, wenn – er – er t-tto-to-“
„Hermine! Ron wird wieder zu uns kommen. Er wird dich nicht alleine lassen. Das kann er gar nicht, weil er dich viel zu sehr liebt.“
„Dich auch“, nuschelte ich und brachte ein kleines Lächeln auf Harrys Gesicht.
„Siehst du, und er weiß genau, dass wir total aufgeschmissen ohne ihn sind. Also wird er uns sicher nicht mehr lange warten lassen und zurückkommen.“
Ich beruhigte mich wieder, doch ganz überzeugt war ich noch nicht.
„Bist du sicher“, fragte ich und sah tief in seine Augen, um zu sehen, ob er seine Antwort ernst meinte.
„Ganz sicher“, antwortete er und seine Augen sagten mir alles, was ich brauchte, um ihm zu glauben. Ich lächelte sogar ein wenig. Sein Blick hingegen verdunkelte sich plötzlich.
„Hermine, du musst mir glauben, dass ich nur dein Bestes wollte. Ich konnte dich nicht mehr so sehen. Irgendetwas musste ich doch tun. Also habe ich mit Kingsley gesprochen und er hat uns beiden erst einmal Urlaub gegeben . Es tut mir Leid, wenn du das nicht so siehst, aber es ist nur zu deinem Besten“, sagte Harry und in den Moment wusste ich, dass er Recht hatte.
„Ist schon gut“, sagte ich, „Ich habe die Arbeit nur dazu benutzt, es zu verdrängen. Ich war morgens die erste und abends die letzte in unserer Abteilung. Auf Dauer wäre das sicher schief gegangen.“
„Gut, dass du das so siehst. Ich habe kurz gedacht, du meintest das ernst mit den Hassen...“
„Was?! Nein! Ich weiß auch nicht genau, warum ich das gesagt habe. Ich war einfach so wütend und traurig. Meine Gefühlswelt ist im Moment einfach eine Liga für sich. Es tut mir Leid, dass ich das gesagt habe. Ich könnte dich nie hassen, dafür liebe ich dich doch viel zu sehr, großer Bruder.“
„Ich dich auch, kleine Schwester“; sagte Harry lächelnd. Ich dachte unwillkürlich an den Moment, in dem Harry mich zum ersten Mal so genannt hatte.
Es klopfte an die Tür. Was denn jetzt noch? Mrs. Weasley, Mum und Ginny hatten doch schon tausend Mal geguckt, ob ich so heiraten konnte. Mein Kleid sitzte perfekt, meine Frisur war genauso, wie sie sein sollte, und mein Gesicht war so hübsch geschminkt, wie noch nie. Was gab es denn noch?
„Herein, wenn es nicht Ron ist“, sagte ich und die Tür öffnete sich. Es war weder Mum, Mrs. Weasley oder Ginny. Es war Harry.
Er grinste und sah fast so glücklich aus, wie ich mich fühlte.
„Wow! Du siehst fantastisch aus!“, sagte er bewundernd, „Hoffentlich fällt Ron bei deinem Anblick nicht in Ohnmacht.“
Ich lachte.
„Danke, aber was gibt’s? Kann ich jetzt endlich kommen?“, fragte ich neugierig.
„Nein, noch nicht, aber gleich. Da Tante Muriel immer noch den Verkehr aufhält, habe ich noch ein wenig Zeit mit dir zu Reden.“
„Okay, über was denn?“
„Ähh, gut. Über – na ja. Also ich will dir sagen, dass ich jeden Tag mit dir genossen habe – Oh Mann, ich komm mir so blöd vor, aber ich will es trotzdem sagen“, sagte Harry, „Hermine, ich bin so froh, dass ich euer Trauzeuge bin. Ich wart und seid meine Familie. Hermine, du bist, wirklich eine tolle Freundin und ich liebe dich so, wie ich eine Schwester lieben würde.“
Ich war baff. Ich hätte Harry nie zugetraut das zu mir zu sagen. Es war einfach toll.
„Oh, Harry! Ich liebe dich auch so wie einen Bruder. Du bist doch irgendwie auch mein Bruder. Wir haben zwar unterschiedliche Eltern aber trotzdem“, sagte ich und lachte. Harry lachte mit und nahm mich vorsichtig in den Arm, um mein Kleid nicht zu zerstören.
„Ich glaube, es geht gleich los, kleine Schwester.“
„Oh, ich bin so aufgeregt! Aber Moment mal, warum bin ich die kleine Schwester? Ich bin doch älter!“
„Aber kleiner. Also kleine Schwester“, sagte Harry grinsend.
„Ja, okay, großer Bruder“, sagte ich und warf einen letzten Blick in den Spiegel.
>Klopf, klopf<
„Herein, wenn es nicht Ron ist“, sagte ich und die Tür öffnete sich erneut.
„Lass uns gehen, Kleines“, sagte meine Dad, „Ron wartet schon!“
„Oh, na dann geh ich schnell!“, sagte Harry, „Wir sehen uns am Altar. Viel Glück!“
Er küsste mich auf die Stirn und ging hinaus. Mein Dad führte mich ebenfalls aus Ginnys altem Zimmer heraus und in den Garten, wo schon alle auf mich warteten und Ron mich über die sitzende Menschenmenge anlächelte.
Plötzlich nahm ich nichts mehr um mich herum wahr, nur Ron.
Harry brachte mich wieder zurück in die Gegenwart.
„Lust auf einen Pfannkuchen?“, fragte er und strich mit seiner Hand über meine Haare, „Ich hab sie extra für dich gemacht.“
Ich richtete mich etwas auf und sah Harry an. Zum ersten Mal seitdem die Nachricht gekommen war, dass etwas bei dem Einsatz schiefgegangen war und man keine Ahnung hatte, wo die verschwundene Einsatztruppe abgeblieben war, spürte ich Hoffnung in mir. Ich war nicht mehr alleine.
„Danke“, murmelte ich. Harry sah mich lächelnd an und ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich mich nicht nur wegen den Pfannkuchen bei ihm bedankte.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel
Samstag, 01.07.
Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
All unsere Freunde fanden es unheimlich, so nahe am Friedhof zu wohnen, doch wir mochten das. Ich habe noch immer viel für Friedhöfe übrig - sie sind eine großartige Fundgrube für Namen.
Joanne K. Rowling