Wo bist du, Ron? - Kapitel 2
von Judi2823
Hallo!
Keine Sorge, ich werde keine langen Reden halten.
Ich wollte mich einfach nur noch mal bei allen bedanken, die ein Kommentar bei dem ersten Kapitel geschrieben haben. Also danke an Nelly Potter, ginny11108, SunnyRoxy, angelfly04, Drays Girl, Rose Malfoy und Rose_Weasley.
Die vielen Kommentare haben mich total glücklich gemacht. Ich hoffe ihr bleibt dran und ihr lasst mich wissen, ob es euch auch weiterhin gefällt.
Danke auch noch mal an Feenflügel. Ja, ich weiß, ich soll mich nicht immer bei dir bedanken, aber du bist mir so eine große Hilfe. Ohne dich wäre Ron zu einer Patentante geworden :D Du wirst also gebraucht!
Danke an euch alle und viel Spaß
Eure Judi
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Wo bist du, Ron?
Kapitel 2
Langsam öffnete ich meine Augen. Es war schon fast dunkel, jedoch erleuchtete der Kamin das ganze Wohnzimmer. Ich drehte meinen Kopf etwas zur Seite und sah, wie Harry auf einem Sessel saß und etwas schrieb. Scheinbar hatte er bemerkt, dass ich wach war, denn plötzlich schaute er mich an.
„Na, auch schon wach?“, fragte er lächelnd, „Der Trank scheint ja perfekt gewirkt zu haben. Schließlich hast du so friedlich und so lange geschlafen. Hast du Lust auf einen Tee?“
Ich nickte und Harry stand auf und holte eine zweite Tasse aus der Küche. Ich beobachtete, wie er mir Tee einschenkte und die Tasse auf den Couchtisch vor mich stellte.
„Er ist heiß. Also lass ihn noch ein wenig abkühlen“, sagte Harry und widmete sich wieder seiner Arbeit.
„Was machst du da?“, fragte ich und deutete auf die Papiere, die er ausfüllte.
„Ach, das ist nichts berufliches. Es sind noch Unterlagen wegen dem Haus. Ich habe gedacht, jetzt wo ich mal Zeit habe, könnte ich mich mal darum kümmern. Außerdem bleibt sonst immer alles an Ginny hängen“, antwortete Harry ohne aufzuschauen.
Das Haus war Harrys und Ginnys Traum gewesen und jetzt, wo auch das Kind geboren war, hatten sie sich den endlich erfüllt. Apropos Ginny, was war mit ihr? Saß sie jetzt alleine, verzweifelt und mit einem drei Monate altem Baby in dem neuen, noch nicht ganz fertigem Haus?
„Harry!“, schrie ich, „Ginny! Was ist mit ihr? Solltest du nicht bei ihr sein? Gerade jetzt! Stattdessen sitzt du hier bei mir. Du kannst sie doch nicht einfach so im Stich lassen!“
„Hermine! Nicht so laut!“, sagte Harry leise und schaute angespannt auf die Tür, die zu Rons und meinem Arbeitszimmer führte, „Mach dir keine Sorgen um Ginny. Ihr geht es bestens. Sie ist in Rumänien bei Charlie. Dort wollte sie schon vor einem Jahr hin. Doch dann kam die Schwangerschaft und dann James. Mit dem Haus und der Geburt so schnell nacheinander hatte sie kaum Zeit für sich und viel zu viel Stress. Sie musste mal hier weg. Also hat Charlie ihr angeboten für drei Wochen Urlaub in Rumänien zu machen und dort ist sie jetzt schon seit genau neun Tagen.“
Hermine sah ihn fragend an. Das klang gar nicht nach der Ginny, die sie kannte.
„Aber wie hast du das geschafft, dass sie nach Rumänien fährt, wo ihr Sohn gerade mal drei Monate alt ist und einer ihrer Brüder – ver – verschwunden ist?“
Da waren sie wieder: Gedanken an Ron. Harry bemerkte meinen plötzlichen Gefühlsumschwung und redete schnell weiter um mich abzulenken.
„Sie weiß nichts von Ron. Sie denkt, er wäre einfach nur bei einem längeren Einsatz. Ich weiß, es ist falsch, sie anzulügen, aber als ich ihr sagen wollte, dass hier etwas nicht stimmt, hat sie mir davon erzählt, wie toll es ist ohne Kummer und Stress zu leben. Da konnte ich es ihr einfach nicht sagen. In Zeitungen haben sie auch nichts davon gelesen, da sie dort ziemlich zurückgezogen leben“, sagte Harry und starrte nochmals auf die Bürotür.
Ich verstand es vollkommen. Wahrscheinlich war es auch besser so. Ginny hatte in den letzten Wochen und Monaten wirklich genug Stress gehabt. Harry war oft tagelang auf irgendwelchen Missionen und Ginny musste alles alleine regeln. Als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, war sie kurz vorm Durchdrehen. Sie hatte diesen Urlaub voll und ganz verdient.
„James alleine zu lassen, fiel ihr überhaupt nicht leicht. Sie erreicht uns jetzt mehrere Male am Tag per Flohnetzwerk und ich muss ihr immer genauestens Bericht erstatten. Aber sie genießt ihre Zeit mit Charlie und solange sie das tut, werde ich ihr auch nichts von Ron erzählen“, erklärte Harry weiter. Viele Fragen waren nun für mich geklärt, aber eine blieb.
„Wo ist James jetzt?“, fragte ich und als Harry ein letztes Mal auf die Tür schaute, klärte sich auch diese Frage. Ich lächelte. James war das süßeste Patenkind, das man sich nur wünschen konnte, und dass er im Nebenraum lag, lenkte mich unweigerlich von meinen Problemen ab. Harry erkannte an meinem Gesicht, dass sich meine Frage geklärt hatte und sagte: „Er schläft gerade. Er wacht aber sicher bald auf. Dann kannst du ihn mit der Flasche füttern, wenn du willst. Dir macht es doch nichts aus, dass er auch hier bleibt, oder?“
„Nein, überhaupt nicht“, sagte ich sofort. Was war das denn für eine blöde Frage?
„Und ja, ich will ihn füttern!“
„Gut“, meinte Harry nur und beugte sich wieder über seine Unterlagen. Ich trank einen schluck Tee, stand auf und ging in unser Arbeitszimmer. Dort hatte Harry eine Wiege aufgebaut und in der schlummerte ein kleines Baby mit dünnen schwarzen Haaren. Es sah so friedlich und zufrieden aus.
James hatte es gut. Er bekam von der ganzen Aufregung um Ron nichts mit. Er konnte ruhig essen und schlafen. Er dachte nicht bei jedem Bissen und bei jedem Wimpernschlag an Ron.
Ich hob vorsichtig meine Hand und streichelte James sanft mit meinem Zeigefinger über die Wange. Er öffnete langsam seine zwei kleinen Augen und sah mich mit diesen hellblauen Augen an. Ich lächelte.
Daraufhin griff er mit seinen winzigen Fingern nach meinem Zeigefinger und umschloss ihn.
„Na, mein Kleiner? Wie geht’s dir so?“, fragte ich und wackelte ein wenig mit meinem Finger und somit auch mit seiner Hand hin und her. Er verfolgte meinen Finger mit seinen Augen und lachte. Diesem Lachen konnte wirklich niemand wiederstehen. Man musste einfach mitlachen. Doch irgendwie machte es mich gleichzeitig traurig, denn bei solch einem Erlebnis, hätte ich liebend gern Ron an meiner Seite.
Während ich mit James lachte, spürte ich wieder einmal Tränen in meinen Augen und dachte gleichzeitig an den Moment, an dem Ron und ich James zum ersten Mal in den Armen halten durften.
Endlich öffnete sich die weiße Tür, auf die alle so gespannt starrten, und eine Krankenschwester kam heraus.
„Mr. und Mrs. Potter wären dann so weit“, sagte sie und schon sprangen ein duzend Menschen auf, „Stopp, stopp, stopp! Alle nacheinander. Das hier ist doch kein – kein – kein – Ach herrje! Jedenfalls ist das Zimmer zu klein für sie alle. Mr. Potter hat mich daher darum gebeten, erst einmal nur Mrs. und Mr. Weasley Senior und Mr. Ronald Weasley und Mrs. Hermine Granger-Weasley hereinzubeten. Aber alle anderen kann ich beruhigen. Mrs. Potter und das Neugeborene sind wohl auf.“
Ich war erleichtert. Ginny ging es gut, genauso wie dem Kind. Das waren tolle Nachrichten und jetzt durften wir es auch noch zuerst sehen.
Ron nahm meine Hand und wir gingen dichtgefolgt von Molly und Arthur der Schwester hinterher. Sie klopfte an eine der Zimmertüren und es erklang ein „Herein!“, das glücklicher nicht hätte sein können.
Die Schwester öffnete uns die Tür, blieb jedoch draußen. Ich ging als erste in das Zimmer hinein und bevor ich irgendetwas sehen konnte, hatte mich Harry schon umarmt.
„Es ist ein gesunder Junge!“, rief er, als er mich losließ und Ron umarmte. Er war so glücklich, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Ich ging nun weiter in das Zimmer hinein. Es waren nicht viele Möbel in ihm, nur ein kleiner Schrank, ein paar Stühle, ein Nachtisch und ein Bett.
Ich ging näher an das Bett, in dem eine erschöpfte aber ebenso glückliche Ginny lag, doch nicht nur Ginny, nein, auch ein kleines Geschöpf mit einem Pflaum schwarzer Haare auf dem Kopf. Ginny hielt es fest in ihren Armen und konnte kaum ihren Blick von ihm abwenden. Das konnte ich gut verstehen. Er war so klein und süß. Der kleine Junge zog mich sofort in seinen Bann.
Ginny schaute mich an. Ihr Blick war voller Freude, Erleichterung und Liebe. Sie hatte nun das, was sie sich schon immer gewünscht hatte: Eine Familie, zusammen mit Harry.
Ich spürte, wie sich Ron hinter mich stellte und über meine Schulter das kleine Kind ansah. An der gegenüberliegenden Seite des Bettes setzte sich Molly auf einen Stuhl und Arthur stellte sich dahinter. Beide betrachteten Ginny und ihr Kind voller Stolz und Glück.
Harry ging an mir und Ron vorbei an das Kopfende des Bettes und beobachtete ebenfalls seinen neugeborenen Sohn.
„Er sieht fantastisch aus“, sagte Arthur und Molly fing an zu weinen. Sie weinte vor Freude, nicht vor Schmerz.
„Mum!“, sagte Ginny lachend, „Du brauchst doch jetzt nicht weinen. Es ist doch alles in Ordnung.“
„Ach, Ginny, jetzt hast du sogar schon ein Kind. Wie schnell doch die Zeit vergeht. Erst Bill, dann Percy und dann George und jetzt auch noch du. Dabei bist du doch meine Kleine“, sagte Molly, als sie sich wieder beruhigt hatte.
„Wie heißt er denn?“, fragte Ron schnell. Ich wusste genau, warum er das jetzt gefragt hatte. Er hatte Angst, dass Mrs. Weasley gleich zu dem Punkt kam, dass sie sagen würde, wie traurig es doch sei, dass Ron und ich immer noch keine Kinder hatten. Ich lächelte ihn kopfschüttelnd an. Das war mal wieder so typisch Ron.
„Harry und ich haben uns darauf geeinigt ihn ‚James’ zu nennen, in Gedenken an Harrys Vater“, sagte Ginny und wiegte den kleinen Jungen sachte hin und her. Es war nichts Überraschendes für mich und Ron, denn Harry hatte uns schon vor mehreren Monaten erwähnt, dass sie auf dem besten Weg seien, ihr Kind, wenn es ein Junge werde ‚James’ und wenn es ein Mädchen werde ‚Lily’ zu nennen.
Molly und Arthur schienen überrascht, aber glücklich über den Namen.
„Harry, deine Eltern wären stolz auf dich“, sagte Arthur und Harry Grinsen wurde noch breiter, so weit das denn möglich war.
„Der kleine James Sirius hier braucht aber noch etwas bevor wir ihn auf die lange Reise des Lebens schicken können“, sagte Ginny und sah Harry an. Harry lächelte kurz zurück und wendete sich an mich und Ron.
„Ron, Hermine, wollt ihr James’ Paten werden?“, fragte Harry. Davon waren wir wiederum überraschter als Molly und Arthur. Ron und ich sahen uns kurz freudestrahlend an und ich sagte: „Natürlich wollen wir das! Danke!“
„Ja, Danke für das Vertrauen“, sagte Ron, „Wir werden euch und insbesondere unseren kleinen Herren hier nicht enttäuschen.“
„Darf ich ihn denn auch mal halten?“, fragte ich Ginny.
„Klar, der Patentante und dem Patenonkel gebührt diese Ehre zuerst“, antwortete Ginny und übergab mir vorsichtig ihren kleinen Sohn. Er war so zart und ruhig. In meinen Armen schlief er weiter und lehnte sich an meinen Körper.
„Sieh mal, Ron! Diese kleinen Hände und die Finger! Da, guck mal, das Ohr! Ist er nicht niedlich?“
Ron beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Stirn. Er konnte manchmal so überraschend zärtlich sein, dass ich mich fragte, ob das wirklich mein Mann war. Aber genau deswegen liebte ich ihn auch so sehr.
„Ja, das ist er. Kein Wunder, er ist ja auch unser Patenkind.“
Wir waren damals die glücklichsten Paten der Welt gewesen und auch danach freuten wir uns über jeden gemeinsamen Moment mit James. Als wir James zum letzten Mal besucht hatten, hatte Ron ihm eine Mütze geschenkt. Es war aber keine gewöhnliche Kindermütze. Diese war mit Wärmezaubern belegt, die sich an die Wärmebedürfnisse des Kindes anpassten und außerdem war sie in den Farben von Rons Lieblingsquidditchmannschaft. Ron hatte viel Zeit dafür verwendet solch eine Mütze zu finden und viel Geld ausgegeben. Doch er meinte, es würde sich lohnen, denn James Ohren sollten im bevorstehenden Winter keinesfalls kalt werden und er solle sich ja wohl fühlen.
„Magst du überhaupt die Chudley Cannons, James?“, fragte ich mit ruhigem Ton. Doch er sah mich nur munter an.
„Ich wünschte, du könntest mir schon antworten“, sagte ich und nahm ihn vorsichtig aus der Wiege, „Weißt du was? Tante Hermine gibt dir jetzt erst einmal was zu trinken.“
Einschlafen war für mich noch nie leicht gewesen, aber jetzt war es einfach unmöglich. Wie sollte ich das tun, wenn ich nicht wusste, wo Ron war?
Ich war sogar schon zum Masochisten geworden. Ich konnte meinen Blick einfach nicht von Rons Bettseite abwenden. Ich wollte es nicht. Wenn ich mich anders herum drehen würde, könnte ich eventuell besser einschlafen und alles verdrängen. Aber hatte ich nicht gesagt, dass ich nichts mehr verdrängen wollte? So würde ich Ron verdrängen und ihn somit verraten.
Was würde er nur von mir denken, wenn er wüsste, dass ich ihn so viele Tage durch Arbeit ersetzt hatte? Er würde enttäuscht sein. Wie hatte ich das nur tun können? Wie hatte ich nur einfach weiterleben können? Mein Leben hätte anhalten müssen, für ihn. Er war doch das Wertvollste, das ich hatte.
Also hatte ich ihn schon verraten, ich hatte ihn schon enttäuscht! Was war ich nur für ein Mensch?
Diesmal fing ich nicht einfach an zu weinen. Nein, ich fing direkt an laut zu schluchzen. Jetzt würde ich wahrscheinlich Harry, der im Wohnzimmer auf der Couch schlief, wecken. Er, der sich rührend um mich kümmerte und wegen mir nicht mehr zu Arbeit ging, würde um vier Uhr nachts aufwachen und sich Sorgen machen. Was war ich nur für ein Mensch?
Ich hätte da sein sollen, wo auch immer Ron war. Er war so ein toller Mensch. Er war immer für jeden da, brachte alle mit nur einem Wort zum Lachen und schaffte es jedem egal, wie schlecht es ihm gerade ging, Hoffnung zu geben.
Aber ich, ich schrie Menschen an, die mir helfen wollten, wie zum Beispiel Neville. Ich machte Menschen Vorwürfe, warum es ihnen besser ging als mir. Was war ich nur für ein Mensch?
Ich hatte es verdient allein und verzweifelt zu sein. Ich war ein schrecklicher Mensch.
„Was – was – bin ich – nur – für ein – Mensch?“, heulte ich, „Ich hab’s – verdient! Ich hab’s verdient. Verdient!“
Mein Schluchzen wurde, ohne dass ich es bemerkte, immer lauter. Ich fing an wütend in mein Kopfkissen zu schlagen. Doch Plötzlich packten mich zwei starke Arme und hielten mich fest.
Ich brauchte mich nicht umzudrehen, ich wusste auch so, dass es Harry war. Wer sollte es denn sonst sein? Außerdem kannte ich seine Arme und seinen Geruch nur zu gut.
„Hermine, alles ist gut. Ich bin da, beruhige dich“, sagte Harry ruhig und setzte sich auf das Bett. Zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Stunden vergrub ich meinen Kopf in seinem Pulli und weinte. Wieder spürte ich, wie seine Hand über meine Haare strich. Es half mich zu beruhigen und tat gut.
Dabei hörte ich, wie Harry sagte: „Schhhh, es wird schon wieder. Es wird schon wieder. Er kommt zurück. Es wird alles wieder gut. Ron liebt dich doch.“
Bei seinen letzten Worten schrak ich zusammen. Ich hatte diese Liebe nicht verdient. Genauso wenig, wie ich es verdient hatte, dass Harry sich so um mich kümmerte.
Ich setzte mich auf und rutschte von Harry weg. Ich war es nicht wert, dass er seinen wohlverdienten Schlaf unterbrach.
„Was ist los?“, fragte Harry, scheinbar überrascht von meinem Verhalten.
„Geh schlafen, Harry“, sagte ich so ausdrücklich, wie es mir im Moment möglich war.
„Nein“, sagte Harry verwirrt, „Ich lass dich so nicht alleine.“
„Geh schlafen!“, sagte ich nochmals und diesmal lauter. Doch er bewegte sich keinen Zentimeter.
„HARRY, GEH!“, schrie ich hysterisch.
„Nein! Ich gehe nicht. Ich bleibe, egal wie laut du schreist und wie viele Nachbarn du aufweckst“, sagte Harry mit einer Entschlossenheit, die er schon lange nicht mehr gegenüber mir verwendet hatte.
Ich rutschte weiter weg von ihm. Warum konnte er jetzt nicht einfach schlafen gehen? Ich fühlte mich doch nur noch schlechter, umso länger er wach blieb.
„Hermine, was soll das?“, fragte Harry besorgt.
Jetzt sorgte er sich auch noch um mich. Wenn ich ihm jetzt nicht antwortete, machte er sich nur noch mehr Sorgen.
„HERMINE!“, rief Harry. Ich erschrak, doch er erreichte damit das, was er wollte, denn es platzte alles aus mir heraus.
„Ich bin es nicht wert, dass du dich um mich kümmerst, nachts wegen mir aufstehst oder dich um mich sorgst. Ich bin es nicht wert, dass sich Menschen erkundigen, wie es mir geht oder mir ihre Taschentücher schenken. Ich bin Rons Liebe nicht wert!“, sagte ich und Träne um Träne lief mir die Wange hinunter. Harry rutschte zu mir und drückte mich an sich.
„Was ist das denn für ein Unsinn?! Warum solltest du denn all das nicht wert sein?“, fragte er.
„Weil ich Ron verraten habe!“, rief ich laut und rutschte erneut von Harry weg.
„Was?!“
„Ich hab versucht ihn zu vergessen. Ich hab versucht ohne ihn weiter zu leben! Ich wollte ihn nicht mehr in meinem Leben haben. Ich wollte nicht ständig an ihn denken. Ich habe ihn verdrängt und so verraten!“, schrie ich.
So, jetzt wusste er es. Jetzt würde er bestimmt aufstehen, James holen und so schnell wie möglich nach Hause fahren. Dann war ich wieder allein. So war es ja auch richtig. Aber wollte ich allein sein?
Doch zu meiner Überraschung bewegte sich nichts in der Dunkelheit. Harry blieb einfach sitzen und schwieg.
Diese Stille hielt ich nicht aus. Sag schon was, Harry! Schrei mich an! Mach mich fertig, aber schweig nicht einfach weiter! Er schien meine Gedanken nicht zu teilen, denn ich hörte immer noch nichts. Sekunde um Sekunde verging. Ich hielt das nicht mehr aus. Wenn er nicht das Schweigen brach, dann tat ich das eben.
„Was ist?! Warum gehst du nicht?“, rief ich und endlich regte sich Harry.
„Warum sollte ich denn gehen?“, fragte er nur.
„Du solltest mich hassen! Schließlich habe ich Ron ver-“
„Hör auf mit dem Unsinn!“, rief Harry, „Du hast Ron nicht verraten. Das, was du unter verraten verstehst, ist total natürlich! Es ist doch völlig klar, dass, wenn man die ganze Zeit an eine Sache denkt, die einem unheimlich viel Schmerz bereitet, man auch einfach mal an etwas anderes denken will. Das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen, das macht dich menschlich! Weißt du, was ich glaube? Du hast einfach zu viel nachgedacht! Nachts werden die Gedanken immer verworrener und unlogischer und wenn man dann noch so ein Gehirn hat wie du, dann kommen da einfach solche Vorwürfe bei raus!“
Was redete er da? Warum versuchte er Entschuldigungen für mich zu finden? Ich war noch bei klarem Verstand, auch nachts!
„Warum tust du das? Warum versuchst du Argumente für mich zu finden?“
„Die Frage ist doch wohl eher: Warum versuchst du Argumente gegen dich zu finden? Du reimst dir da irgendetwas zusammen und machst dich schlecht!“, rief Harry aufgebracht.
Hatte er Recht? Vielleicht war ich wirklich müde und unzurechnungsfähig.
„Hermine, du hast nichts falsch gemacht“, sagte Harry auf einmal behutsam. „Du kannst nichts dafür, dass Ron nicht wieder hier ist und absurde Schuldgefühle, wofür auch immer, bringen ihn auch nicht zurück. Du hast ihn nicht verraten und du bist es wert, dass man sich um dich kümmert, dir hilft und dich liebt. Red dir nicht so einen Unsinn ein.“
Harry schaffte es wirklich immer, dass ich mich besser fühlte. Es war toll ihn hier zu haben.
„Komm wir gehen noch ein wenig ins Wohnzimmer. Nach einer Tasse Tee sieht die Welt bestimmt schon ganz anders aus“, sagte Harry und erhob sich vom Bett. Ich stand ebenfalls auf und folgte ihm hinaus in das Wohnzimmer. Ich konnte eh nicht schlafen, also warum sollte ich noch länger im Bett bleiben?
Ich setzte mich aufs Sofa, während Harry in die Küche ging und Tee machte. Vom Arbeitszimmer her kam kein Geräusch. Es war ein Wunder, dass James bei unserer Schreierei nicht aufgewacht war.
Ich nahm mir die Decke, mit der sich Harry nachts zudeckte, und legte sie über mich. Schließlich hatte ich immer noch meinen Schlafanzug an und unser Wohnzimmer wurde nachts nicht beheizt.
Kurze Zeit später kam Harry mit zwei Tassen wieder und setzte sich auf den Sessel. Außer dem Tee hatte er mir noch eine Packung Papiertaschentücher mitgebracht, mit denen ich mein Gesicht trocknen konnte.
„Und geht’s wieder?“, fragte er.
Ich nickte. Hier, im Licht und zusammen mit Harry, kamen mir meine vorherigen Gedanken anders vor. Harry hatte Recht. Nachts Nachzudenken führte nur zu ungewollten Gedanken.
„Ich will ja schlafen, aber ich kann es nicht“, sagte ich plötzlich.
Es stimmte. Ich wusste, dass ich meinen Schlaf brauchte. Aber umso stärker ich schlafen wollte, umso schwerer war es.
„Da bist du nicht die Einzige“, sagte Harry, „Ich kann schon seit Tagen nicht mehr gut schlafen. Manchmal liege ich im Bett und warte nur darauf, dass James anfängt zu schreien und ich ihn beruhigen kann. Vorhin hast du mich übrigens auch nicht geweckt, ich war schon wach.“
„Kannst du auch nicht schlafen, wegen Ron oder wegen was anderem?“, fragte ich.
„Wegen Ron“, sagte Harry sofort, „Wegen seinem Verschwinden. Das bringt dann auch noch andere Dinge mit sich. Ich denke an dich und an Molly und Arthur; ich denke daran, dass ich Ginny nicht anlügen sollte und ich denke natürlich an Ron. Wo er ist. Wie es ihm geht. Ob er verletzt ist. Dann ist einschlafen für mich einfach zu schwer. Vor lauter Müdigkeit schlaf ich dann aber doch immer irgendwann ein.“
Harry sprach mir aus der Seele. Mir ging es fast genauso wie ihm.
„Weißt du noch, wie lange wir immer in Hogwarts wach geblieben sind? Wir waren so oft die letzten, die schlafen gegangen sind. Manchmal vermisse ich unsere Nächte vorm Kamin. Ron und ich waren oft erst um Mitternacht mit den Hausaufgaben fertig, während du sie immer schon nach dem Unterricht gemacht hast. Du hast uns geholfen und Buch um Buch verschlungen. Das waren noch Zeiten“, sagte Harry und ich sah im richtig an, wie er in diesen Erinnerungen schwelgte.
Ich trank noch einen Schluck Tee und legte mich aufs Sofa. Auf einmal war ich so müde. Ich schloss meine Augen und endlich fiel ich in einen tiefen und festen Schlaf.
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