von Lili Braun
Als Ich erwachte umhüllte mich Dunkelheit. Lange Zeit lag Ich einfach so dort und beobachtete orange Schatten, die über mir umhertanzten. War ich tot? War dies der Himmel? Oder vielleicht sogar die Hölle? Für einen kurzen Moment ergriff mich Panik und ich musste mich wiederum zur Ruhe zwingen. “Nella versuche die Sache ausnahmsweise einmal logisch anzugehen“, ermahnte mich meine Vernunft. Nun gut. Was hatte Ich schon zu verlieren.
Wenn dies der Himmel oder das Leben danach war dann konnte meine Tollpatschigkeit mich wenigstens nicht mehr umbringen. Denn ich war ja schon tot. Langsam versuchte ich meine Hand zu spüren, versuchte meinen kleinen Finger zu bewegen. Er tat wie Ihm befohlen und wackelte auf meine Aufforderung hin. Mein Körper war also noch da. Wie beruhigend. Ich war also nicht dazu verdammt als schemenhafter Schatten in alle Ewigkeit hinfort zu wandeln. Wenigstens etwas. Des weiteren wurde mir plötzlich noch etwas klar. Ich war nackt. Mit dem Einsehen dieser Erkenntnis war jegliche Vorsicht verstrichen denn diese Tatsache war überaus peinlich selbst im Himmel oder sonst wo, so dachte ich. Ich richtete mich vorsichtig auf, gefasst auf einen brennenden, fürchterlichen Schmerz in der Schulter. Nichts dergleichen geschah. Warum sollte auch etwas passieren… ich war ja tot. Dann war dies wahrscheinlich doch der Himmel denn ich hatte keine Schmerzen, obwohl mir eine Kugel vor geraumer Zeit meine halbe Schulter weggerissen haben musste. So hatte es sich jedenfalls angefühlt. Bei diesem Gedanken glitt meine Hand automatisch zu meiner Schulter hoch und berührte Sie. Sie war heil und es gab kein Anzeichen dafür als hätte Sie jemals eine schwerere Verletzung davon getragen. Aber da war noch etwas. Meine Hand berührte statt nackter Haut Seide. Nun richtete ich mich vollends auf und meine Augen blinzelten im vorherrschenden Dämmerlicht umher. Es dauerte eine Weile bis ich die Konturen eines Raumes wahrnehmen konnte.
Statt eines Raumes hätte man auch die Bezeichnung einer windschiefen Besenkammer wählen können. Der kleine Raum war nur spärlich erleuchtet und die orangen Schatten, welche an der Decke über der mit Fellen belegten Pritsche auf der ich saß tanzten wurden von einem lustigen kleinen Feuer geworfen, dass in einem Ruß geschwärzten Kamin in einer Zimmerecke brannte. Die einzig weitere Möblierung der Kammer bestand aus einer kleinen Kommode über der ein gewaltiger Spiegel thronte. Auf ihr stand eine mit verblassenden Blumen geschmückte Waschschüssel aus Ton. Behutsam berührte ich mit meinen nackten Füßen die kalten Holzdielen des Bodens. Vorsichtig bewegte ich mich vorwärts bis mein Antlitz in dem großen Spiegel zu erkennen war. Ich erschrak so heftig, dass meine Tollpatschigkeit fast die sehr alt und teuer wirkende Waschschüssel zu Boden riss, die nun bedrohlich auf der morschen Kommode schwankte. Es gab keinen Zweifel. Das Spiegelbild war meines auch wenn es sich stark verändert hatte. Vorsichtig näherte ich mich wieder der gläsernen Fläche um mich genauer zu mustern. Meine sonst so lockigen, ungebändigten Haare flossen nun in einem einzigen, klaren, glatten Strom aus orangenen Haar an meinem Körper hinunter, der schließlich in Höhe der Taille versiegte. Mein ganzer Körper war in ein samtenes Nachtkleid aus blauer Seide gehüllt, welches so leicht war, dass Ich gedacht hatte Ich wäre nackt. Die Schatten, die so lange meine blauen Augen geziert hatten waren verschwunden und statt dessen erstreckte sich makellos weiße Haut unter Ihnen. Wie konnte das alles bloß möglich sein? Wo war Ich?
Auch wenn sich mein Spiegelbild verändert hatte so hatte der liebe Gott wohl kein Erbarmen mit meinen grob motorischen Fähigkeiten gehabt. Ich war auf die brillante Idee gekommen mich für eine Sekunde auf die zierliche Waschschüssel abzustützen, was nach sich zog, dass diese mit einem klirrenden Lärm auf dem schwarzen Dielenboden in tausende Stücke zerbarst. Erstarrt beobachtete ich die tausenden Scherben aus Blumen und Porzellan.
Es waren Schritte zu hören. Sie näherten sich eilig der schiefen Holztür an der gegenüberliegenden Wand der Kammer. Ängstlich musterte ich die verrostete Türklinke. Doch nichts geschah. Die Schritte verblieben bei Erreichen der Tür und hielten inne. Statt dessen erklang nun ein forsches Klopfen. “Ja bitte”, sagte ich mit zittriger Stimme. Mit diesen zwei Worten schwang die Tür mit einem Ächtzen behände auf und ein glatzköpfiger alter Mann mit Buckel erschien auf ihrer Schwelle. Ohne auf weitere Worte zu warten oder mich auch nur zu mustern stolperte er mit merkwürdigen Schritten hinein während er fröhlich anfing vor sich hin zu brabbeln: “ Ahh Ms Graf was für eine Freude Sie hier im tropfenden Kessel begrüßen zu dürfen! Der junge Mr Riddle hat mir aufgetragen Ihnen im Falle seiner Abwesenheit alles zu zeigen falls Sie aufwachen würden. Kommen Sie Kommen Sie…” und ohne das ich auch nur die Chance gehabt hätte seinem Griff auszuweichen hatte seine faltige weiße Hand mein rechtes Handgelenk umschlossen. Bestimmend zog er mich durch das schwarze Türloch in den dahinter liegenden, finsteren Korridor hinein. Der schmale Gang war an einigen Stellen durch Kerzenlicht beleuchtet und es roch nach Moder und Schimmel.
Von den Wänden hing vergilbte Tapete hinunter und manchmal so schien es mir hörte Ich eine Ratte oder sonstiges Getier fiepen. Immer noch zog mich der Bucklige hinter sich her und wir machten hier einen Schlenker und dort einen Schlenker, bogen in den nächsten Korridor ein der ungleich finsterer war wie der ihm vorher gegangene. Die Angst lähmte meine Stimmbänder und mein Gehirn konnte keinen klaren Gedanken fassen. Nur ein Name spukte mir im Kopf herum in immer anders währenden Klangfarben wiederholt und geschrien: Tom, Tom Riddle. Was hatte das alles zu bedeuten? Wo war Tom? Mein Herz machte einen schmerzhaften Satz. Ich keuchte. Der Bucklige hielt inne. “ Ohh junge Ms Graf entschuldigen Sie meine Hast, Sie haben bestimmt viele Fragen… Aber nur Geduld Sie brauchen keine Angst zu haben hier sind Sie in Sicherheit… Er wird ihnen alles erklären…!” krächzte er und zog mich weiter. Nach einiger Zeit erreichten wir eine Wendeltreppe, die auf schmalen Stufen in die Dunkelheit hinunter führte. Wieder begann der Mann zu reden: “ Nun Ms Graf hier, hier hinunter haben Sie keine Angst… Diese Treppe führt in den Schankraum ich werde Ihnen später folgen doch ich habe noch einen Gast zu versorgen wenn Sie verstehen.” Mit diesen Worten war er flink in der Finsternis des nächsten Korridors verschwunden.
Langsam stieg ich die Stufen in die Dunkelheit hinab. Vom Grunde der Wendeltreppe war gedämpftes Stimmengemurmel und fremdartige Musik zu hören. Als ich die letzte Stufe genommen hatte erstreckte sich vor mir ein hell erleuchteter Gang, welcher an seinem Ende in einem großen Türbogen endete. Langsam schritt ich auf ihn zu und als ich Ihn erreicht hatte zögerte ich die gusseiserne Tür zu öffnen. Die Stimmen waren nun deutlich zu hören und gedämpftes Lachen erklang hinter Ihr. Mein Blick wanderte von der Tür vor mir an meinem Körper hinab. Immer noch war ich in dem samtblauen Hauch aus nichts eingekleidet. Viele Mädchen hätten dies vielleicht gemocht doch ich fühlte mich unwohl und wünschte mir meinen warmen Wollkragenpullover zurück.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und die Helligkeit, die aus dem Raum hinter ihr heraus ströhmte ließ mich blinzeln. Vor mir stand ein großer Junge. Sein haselnussbraunes Haar fiel ihm verwegen ins Gesicht und unter einem seiner großen grünen Augen prangte eine unansehnliche, große Narbe. Zuerst schien er erschrocken doch schließlich lächelte er und baute sich vor mir auf. “ Du musst Antornella Graf sein… Der Grund warum Tom in letzter Zeit kaum schläft und seine Pflichten vernachlässigt als würden Sie sich von alleine erledigen?” raunte er mit lauter Stimme. Bevor ich auch nur etwas entgegnen konnte wurde er unsanft zur Seite gedrückt und ein hageres Mädchen, Sie musste in meinem Alter sein, baute sich vor seinem wuchtigen, muskulösen Körper auf. Sie hatte kurzes schwarzes Haar und große verträumte Augen. Mit einem freundlichen Lächeln griff Sie nach meiner Hand und warf dem Jungen einen bösen Blick zu, woraufhin er schuldbewusst im dunklen Korridor hinter mir verschwand. “ Hallo Nella, ich darf dich doch Nella nennen oder ?”, piepste Sie aufgeregt los “Dir muss alles so unwirklich vorkommen aber keine Sorge wir werden dir alles erklären komm ich zeige dir die anderen… Tom wird bald auch wieder hier sein.”
Mit diesen Worten zog Sie mich flink am Arm durch die Tür.
Der Raum dahinter war nicht mit den dunklen Korridoren des bisherigen Gemäuers zu vergleichen. Er war hell erleuchtet und ein großer Kamin spendete Ihm Licht und Wärme.
Durch große Fenster war der Blick auf eine Straße freigegeben, die in der klaren Nacht unter einer hohen Schneedecke glitzernd begraben lag. Mehrere Tische und Stühle der unterschiedlichsten Bauart, von bequemen Sesseln angefangen bis hin zu steifen Holzstühlen, säumten den weiten Raum. An den Wänden hingen Teppiche und merkwürdige Bilder von Menschen in schwarzen Gewändern oder phantasievollen Kreaturen.
Alles in allem wuchs in mir der Eindruck das dies eine Art Wirtschaft oder eine Art von merkwürdigem Cafe sein musste. Aus einer der Ecken erklang eine Stimme “Marie komm schon das Essen wird kalt…” Das Mädchen ließ meine Hand los und guckte mich mit Ihren riesigen, blauen Augen an. Sie war wunderschön. “ Komm Nella setz dich zu uns… Tom wird gleich da sein und er wird nicht glücklich sein wenn er dich hungrig sieht. Setz dich zu uns. Komm.” Wieder ergriff Sie mein Handgelenk und zog mich mit sich.
“Wilkommen im tropfenden Kessel”, kicherte Sie.
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