von whisperend
@hedwig_schneeeule: Vielen Dank für deine Mail, ich wollte auch antworten, aber du scheinst Private Nachrichten abgeschaltet zu haben. Vielleicht schickst du mir deine Email-Adresse oder so? Glg!
iii. kapitel
Ich erinnere mich noch daran, wie wir zum Schuldirektor gerufen wurden, weil Will in der fünften Klasse einen Mitschüler verletzte. Wenn man selbst keine Kinder hat, kann man nie den Beschützerinstinkt und den Glauben an das Kind verstehen, die Eltern empfinden, und noch weniger den Schock, unter dem man steht, wenn sich herausstellt, dass das Kind diesen Schutz nicht braucht, nein, ihn sogar ablehnt, und sich der Glauben gegen einen richtet.
Ich habe vergessen, wo ich gerade war, als wir die Mitteilung von Professor Dumbledore bekamen, in der in knappen, aber freundlichen Worten zusammengefasst war, was Will getan hatte, aber ich bin sicher, dass ich den Brief zuerst in die Finger bekam. Ich erinnere mich daran, wie ich irgendwo, auf einer Bank, einem Stuhl, vielleicht auf dem blanken Boden – zusammensank, die Hand auf den Mund gepresst, und für Stunden ins Leere starrte.
Wenn das eigene Kind etwas tut, das es einem so fremd macht, es so weit wegzerrt von allem, was man versucht hat, ihm nahe- und beizubringen, dann hinterlässt das keine Wut.
Man wird wütend, wenn jemand etwas tut, was andere verletzt, nicht wahr?
Aber wenn das eigene Kind der Täter ist, ein fremder Körper, ein Werkzeug einer nicht identifizierten Kraft, dann wird man nicht wütend. Nur fassungslos.
Ich weiß noch, ich dachte darüber nach, es vor dir zu verheimlichen. Für mehr als eine Sekunde. Ich weiß noch, wie ich mich an den Zorn auf deinem Gesicht erinnerte bei all den vorhergegangenen Straftaten unseres Sohnes, ich weiß noch, wie ich fürchtete, du würdest erneut diese fremde, zornige Person werden. Aber schließlich, als ich dir den Brief gab, last du ihn schweigend, und als du fertig warst, last du ihn noch einmal, und irgendwann wandte ich den Blick ab, da ich nicht mehr mit einer Reaktion von dir rechnete und als ich meine Augen wieder zu deinem Gesicht schweifen ließ, da liefen dir die Tränen die Wangen herab.
Und dann waren wir in der Großen Halle, und sie war leer. Dazu muss man wohl eines wissen, das nur jemand wissen kann, der je in Hogwarts war: Die Große Halle ist niemals leer.
Es gibt dort immer Schüler, die sie durchqueren, Geister, Lehrer, den Hausmeister, irgendjemanden. Immer, immer, immer.
Aber als wir dort waren, du und ich, auf einer Bank saßen und auf jemanden warteten, der uns zum Büro des Schulleiters bringen würde – da war sie leer. Vollkommen leer. Nicht einmal ein Geist kam vorbei, dir ganze, quälende halbe Stunde lang. Während ich nur dasaß und mit leerem Blick umherstarrte, als würde mein Leben noch einmal vor meinen Augen ablaufen – und das tat es, nur dass es nicht mein Leben, sondern Wills war – gingst du wie wahnsinnig auf und ab, schweigend.
Bis irgendwann-
„Glaubst du, wir haben etwas falsch gemacht?“
Da war sie, die Frage, die ich die ganze Zeit verdrängt hatte. Die Frage, auf die ich keine Antwort haben wollte. Die ich am allerwenigsten selbst beantworten konnte.
„Vielleicht“, sagte ich.
Wir schwiegen wieder, bis wir Dumbledore gegenüber saßen, der uns beide gleichzeitig durch seine Brille fixieren zu schien.
„Bevor ich mit einer langen und durchaus langweiligen Theorie beginne, wo das Verhalten ihres Sohnes herrühren könnte, möchte ich sie zunächst einmal fragen: Wissen Sie es?“
Ich glaube, bis zu diesem Zeitpunkt war dieser Moment das schlimmste, was mir je passiert war. Ich saß vor meinem ehemaligen Schulleiter, der mir mein Abschlusszeugnis überreicht hatte, der mein Leben lang eines meiner Vorbilder geblieben war, und redete mit ihm darüber, woher das gewaltsame Verhalten meines Sohnes kam. In diesem Augenblick fühlte ich das einzige Mal überhaupt für einen kurzen Moment Wut. Wut auf Will, dass er mich in diese Situation brachte.
Diese Wut verwandelte sich sehr schnell in ein schlechtes Gewissen. Es war schließlich meine Schuld, und deine, dass wir hier saßen. Weil wir irgendetwas falsch gemacht hatten, und nun drang es nach außen.
„Wir wissen es nicht, Professor.“, sagtest du mit fester Stimme und drücktest meine Hand unter dem Tisch. „Wir haben an ihm nie gewalttätige Züge bemerkt. Ein wenig aufrührerisch war er immer schon gewesen, aber“ - Dumbledore hörte das leise Lachen in deiner Stimme vermutlich nicht, aber ich schon – dachtest du auch an das Weihnachten vor zwei Jahren, als er unseren Weihnachtsbaum zum Umsturz gebracht hatte, weil er dahinter ein Bowtruckle versteckt hatte? - „nie hätten wir ihn für aggressiv oder“ - eine kurze Pause, in der das richtige Wort gesucht und nicht gefunden wurde - „gefährlich gehalten.“
„Gefährlich“, echote Dumbledore und neigte den Kopf. „Nein, das würde ich nicht sagen.“
„Ein Schüler ist wegen ihm im Krankenflügel. Ich weiß nicht, was ich sagen oder finden soll.“, brach es aus dir heraus.
„Sie wären überrascht, wenn Sie die ganze Geschichte kennen würden.“, sagte Dumbledore. „Kenneth Smith ist der Schüler, von dem wir reden. Auch, wenn man es mir nicht zutraut“ - er lachte leise und nahm ein Zitronendrop - „Sie auch? - auch, wenn man es mir nicht zutraut, so weiß ich einiges mehr über die Angelegenheiten meiner Schüler, als ihnen, und manchmal auch mir, lieb ist. So weiß ich, dass sowohl Kenneth als auch Will“ - er schien mich zu röntgen - „seit einiger Zeit recht unglücklich in Lorelai Mariano verliebt sind. Kennen Sie das Mädchen?“
Du schüttelstest den Kopf, aber ich nickte. „Ihre Mutter, Professor.“
Dumbledores Augen leuchteten auf. „Das dachte ich mir. Sie ist eine, wenn ich mir das erlauben darf, sehr hübsche Slytherin aus Wills Jahsgang.“
„Slytherin?“, fragte Charles so ungläubig, dass Dumbledore ihn mäßig interessiert ansah, dann zu mir, und ich ihm den Ellbogen in die Rippen stieß. „Will mag das Haus Slytherin nicht!“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn es übelste Vorurteile gegen mein Haus gab – auch wenn ich mich zunächst weigern wollte, die Wahl des Hutes anzunehmen – so war es mir doch im Laufe der Jahre ein Zuhause geworden.
Dumbledore schmunzelte. „Nun, ich muss sagen, ich denke, damit liegen Sie falsch.“ Er griff nach einem weiteren Zitronendrop. „Die Angelegenheit scheint recht unglücklich verlaufen zu sein, jedenfalls hielt es Mr Smith für nötig, Ihrem Sohn nach einem Quidditch-Spiel aufzulauern und ihn daran zu erinnern, wessen Eigentum Miss Mariano ist.“
Ich konnte sehen, wie deine Augen aufleuchteten. Dein Sohn hatte sich bewährt.
„Es kam zu einem Duell, doch irgendwann hatten wohl beide genug davon, sich mit vergleichsweise harmlosen Flüchen zu attackieren, und stiegen auf die bewährte Art des Muggelduells um.“
Wir waren wohl beide nicht im Stande, dazu etwas zu sagen.
„Was danach geschah, ist wohl leicht vorzustellen. Ihr Sohn kam bemerkenswerterweise mit einem blauen Auge davon, Mr Smith hingegen...“
Vor meinem inneren Auge tauchte ein Spezialteam aus St. Mungos auf, das um das Leben eines am Boden liegenden, bewegungslosen Körpers kämpfte. „Und das..“, begann ich, doch Dumbledore unterbrach mich.
„Das alleine wäre schon genug für einen Verweis von der Schule-“ Es raschelte und er förderte eine Schachtel edelster Elfenweinbrandbohnen zutage. „-doch der Schrecken hat noch kein Ende.“
Neben mir sank Charles ein klein wenig in sich zusammen. Dass dein Sohn dazu fähig war, sich zu verteidigen, schien dich eher zu freuen als zu erschüttern.
„Was denn noch?“, fragte ich ungeduldig.
„Nun“, Dumbledore sah uns beide durch seine Brille an, „es ist wahrscheinlich auch der Fehler der Schule. Wir hätten ahnen müssen, dass die beiden unmöglich im gleichen Zimmer im Krankenflügel untergebracht werden können.“
Ich presste die Lippen zusammen. „Was hat er getan?“
„Als Mr Smith auch wieder bei Bewusstsein war, beschränkten sie sich eine Weile darauf, sich die sogenannten „bösen Blicke“ zuzuwerfen und sich zu drohen. Das hielt jedoch nicht lange an, und Madam Pomfrey musste sie mit Schockzaubern trennen.“
Du drücktest meine Hand, während ich merkte, wie die Farbe aus meinem Gesicht wich.
„Mr Smith ist nun, wie dem auch sei, in St. Mungos, und wird dort noch eine Weile bleiben.“, sagte Dumbledore, nun leichthin. Ich starrte ihn fassungslos an.
Wir schwiegen eine Weile. Du schienst noch betroffener als ich; der Satz Ich verstehe das nicht schien dir auf die Stirn gemeisselt. Als ich genug davon hatte, den Phönix am anderen Ende des Raumes zu betrachten, zuckte ich mit den Schultern.
„Wollen die Eltern des“ - ich stockte - „anderen Jungen klagen?“
Eine Weile betrachtete Dumbledore mich interessiert wie ein mäßig faszinierendes Ausstellungsstück in einem Museum. „Nein“, sagte er dann.
Unwillkürlich fasste ich mir ans Herz. „Gut“, entwich es mir. „Das ist gut.“ Ich machte erneut eine Pause. „Dann, denke ich, sollen wir Will einfach mitnehmen?“
Du rührtest dich nicht. Dumbledore zog die Augenbrauen hoch.
„Er wird doch sicherlich der Schule verwiesen, nicht wahr?“ Es tat weh, die Worte auszusprechen, im Wissen, dass ich damit dem Direktor die Idee erst rechtfertigte. Wenn sogar die Eltern die Hoffnung aufgegeben haben, was soll jemand anders noch hoffen?
Aber Dumbledore sagte nichts.
„Nicht wahr?“, wiederholte ich, mit hoher Stimme.
Nach einer Weile hob er den rechten Zeigefinger. „Ich bin der Meinung“, sagte er. „Dass Will ein Problem hat.“
Wie überflüssig, das aufzuzeigen.
„Allerdings“, fuhr er fort, „bin ich nicht der Ansicht, dass, Ihren Sohn der Schule zu verweisen, dieses Problem in irgendeiner Weise lösen würde.“
War ich erleichtert?
Wahrscheinlich, aber es kam noch nicht zu mir durch.
„Diese Dinge, die ihr Sohn tut, sie rühren nicht von einem bösen Willen her, dieser Überzeigung bin ich. Es sind Taten der Verzweiflung. Es ist ein Problem, es ist etwas in ihm, und er muss es bekämpfen.“
Ich nickte; du nicht.
„Natürlich wird das Ganze für ihn nicht ohne Konsequenzen bleiben“, fuhr Dumbledore unbeirrrt fort. „Gryffindor wird eine große Summe Hauspunkte abgezogen und er wird viel Nachsitzen müssen-“
„-selbstverständlich, Sir.“, sagte ich schnell. „Auch wir werden... Maßnahmen einleiten, nicht wahr, Schatz?“ Ich drückte deine Hand. Du sahst auf, als hättest du das Gespräch nicht im Geringsten gehört.
„Ähm – sicher – jaah...“
Ich schob es auf den Schock.
In der Erziehung eines Kindes versagt zu haben hinterlässt Stille. Stille, als wir eine halbe Stunde später Will gegenüberstanden und nicht wussten, was wir sagen sollten. Stille, als er uns nicht in die Augen sah. Stille, als wir die Blicke der anderen Lehrer sahen.
Aber was tut man?
Was soll man tun? Was muss man tun?
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