von whisperend
vii. kapitel
Ich endete damit, vor dem Spiegel zu stehen und mir von meinem Spiegelbild die Wahrheit sagen zu lassen. Ich legte mich hin und stand wieder auf. Ich setzte mich an unser steinaltes Klavier, drückte eine Taste und schlug dann mit unnötiger Wald den Deckel zu.
Vergebung von dir.
Und wer würde mir vergeben?
Am nächsten Tag schlug ich Alfred die Tür vor der Nase zu. Er hatte Blumen in der Hand. Als die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, stütze ich mich schwer atmend auf die Türklinke und schloss die Augen. Nach einigen Minuten seufzte ich und öffnete die Tür wieder. Alfred kam ohne Begrüßung herein.
„Du solltest zu einem Therapeuten gehen.“
Wortlos schloss ich die Tür und folgte ihm in die Küche, die Schultern hochgezogen. Er nahm eine Vase vom Schrank und pustete einmal, was den Staub aufwirbelte (ich kam nicht nach oben, um sie abzustauben) und ging dann zur Spüle, um Wasser reinzufüllen. Meinen Versuch, ihm die Vase abzunehmen und das selbst zu bewerkstelligen, ignorierte er vollkommen. Dann stellte er die Blumen in die Vase und ging ins Wohnzimmer. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Ich fühlte mich wie ein Teenager.
Als ich hereinkam, hatte er die Blumen schon auf den Tisch gestellt und die Vorhänge aufgezogen. Licht fiel auf den Boden und bildete seltsame Muster. Ich musste daran denken, wie das grüne Licht in den Kerkern mich immer nervös gemacht hatte und ich ich zunächst immer bleicher und kränklicher geworden war, bis ich mich an den Klimaunterschied zwischen der Welt und Slytherin gewöhnt hatte. Bis ich mich überhaupt daran gewöhnt hatte, in Slytherin zu sein.
Eigentlich hatte es mich ja geärgert. Meine ganze Familie war in Slytherin gewesen, oder in Ravenclaw. Ich hatte gehofft, wenigstens nach Gryffindor zu kommen. Nun, offenbar war der Hut einer anderen Meinung gewesen, und so hatte ich wenigstens den Vorteil, die meisten Leute sowieso schon zu kennen.
Ich betrachtete die Blumen genauer. Es waren Orchideen. Es hatte mir noch nie jemand Orchideen geschenkt. Unsicher betrachtete ich Alfred, der wieder ins Wohnzimmer kam, mit Gläsern und Wein, den er irgendwo gekauft hatte. Wir setzten uns und schwiegen. Wieder. Etwas war anders, und es machte mich unruhig. Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her.
„Marina“, sagte Alfred. Ich fühlte mich seltsam, als er mich so nannte. Manche hatten mich so in Hogwarts genannt, aber das war einfach zu lange her. Mir fiel ein, dass ja auch er mit mir in Hogwarts gewesen war, sogar in meinem Jahrgang. „Ich kann das nicht mehr.“
Ich nickte sofort, obwohl ich nicht im Geringsten verstand, wovon er redete.
„Ich warte und warte.“, sagte er und sah mich an. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihm fast nicht in die Augen sehen. „Auf dich.“ Er ließ es wirken, aber wie alles andere auch berührte es meinen Geist nicht. Es prallte irgendwo an meinem Schutzwall ab, bis ich es noch einmal von vorne abspulte. „Und es geht dir nicht besser.“
Als ich nicht antwortete, sprang er auf und ging in die Küche. Er kam nicht zurück, und irgendwann ging ich ihm nach. Er stand da, an der Spüle, und wusch mit der Hand ab. „Ich kann-“, begann ich, doch er brachte mich durch einen Wink mit dem Schwamm zum Schweigen.
„Ich kann nicht mehr hier bleiben.“, sagte er schließlich, als er fertig war und hängte das Handtuch säuberlich zurück an seinen Haken. Ich wünschte plötzlich, dass ich dort hing. „Was-“ Er war dabei, den Raum zu verlassen, wie ich argwöhnte, zur Haustür heraus, über die Veranda, durch unseren, nein meinen, verwilderten Garten und dann durch das Gartentor auf die Straße, irgendwo anders hin, weit weg von hier. Von mir. Ich trat ihm in den Weg, und er rannte fast gegen mich, wich aber sofort zurück. Er starrte mich an, als wäre ich ein Thestral, mit einer Mischung aus Ungläubigkeit, Zweifel und Angst, da er mich ja nicht sehen konnte. Oder schon, und dann fand er mich nur hässlich. Das schlechte Gewissen kroch an mir hoch. Ich hatte mich nie wirklich gefragt, ob er eine Familie hatte, oder jemanden hatte sterben sehen. Wir waren seit mehr als drei Jahren befreundet, irgendwann hätte ich das fragen müssen.
Ich räusperte mich. „Geh nicht.“, sagte ich und war froh, nicht allzu sehr zu krächzen. Er trat einen Schritt zur Seite, ich ebenfalls. Er sah hilfesuchend gen Decke.
„Marina“, sagte er, und es war nicht nur der Name. Tausend Mal hatte er mich Mary genannt, was war jetzt so falsch daran?
„Al.“, sagte ich im gleichen Tonfall.
„Du verstehst mich nicht.“, sagte er. „Warum glaubst du, war ich hier jede Woche, jeden Tag, seit drei Jahren?“ Mein Gehirn begann langsam, die Gleichung zu vollenden. Ich war erstaunt von mir selbst. Ich hätte mich nie als Schwer Von Begriff eingestuft. „Ich habe darauf gewartet, dass du dich fängst.“, fuhr er fort. „Aber das tust du nicht. Im Gegenteil... es scheint alles noch schlimmer zu werden.“
„Es tut mir Leid.“, sagte ich. „Bitte bleib.“
Er sah mich schwer leidend an und atmete langsam ein und aus, ein und aus. Dann schüttelte er den Kopf, als hätte er sich fast hinreißen lassen und wollte die bloße Erwägung dessen fortschütteln. „Ich kann nicht.“ Und er schob mich zur Seite und ging in Richtung Tür. Ich folgte hartnäckig.
„Ich kann nicht.“, wiederholte er, als er den Flur entlang marschierte und die Tür öffnen wollte. Ich lehnte mich dagegen. „Ich kann nicht!“
„Natürlich kannst du.“, sagte ich. Er starrte mich wieder an, diesmal eher wie... ein Bowtruckle?
„Es wird nicht besser!“, knurrte er, als ich seine Hand von der Tür nahm. „Ich habe dir zugesehen, ich habe darauf gewartet, es passiert nicht!“
„Und was tust du? Du gibst auf?“
Er sah zur Seite. „Ich sehe nicht ein, warum ich hier bin. Du wirst langsam...“ Er vollendete es nicht.
„Wie?“, fragte ich leise. „Verrückt? Wahnsinnig?“
„Vor Schmerz.“
„Ich arbeite daran.“
„Tust du nicht.“
Ich sah zu Boden. Natürlich hatte er Recht. „Lass uns ins Wohnzimmer gehen und darüber reden.“ Er zuckte mit den Schultern und folgte mir. Er setzte sich, wie immer, auf Jonathans Platz.
„Vielleicht erinnerst du dich nicht daran“, sagte er, „aber in Hogwarts hatten wir manchmal Unterricht zusammen.“
„Ich erinnere mich daran“, sagte ich sofort. „Ich habe dich doch danach gefragt, das erste Mal, als du hier warst.“
„Richtig... Wie auch immer. Du warst immer unter dieser Kastanie draußen und hast gelesen. Muggel-Bücher.“, sagte er.
„Ja.“ Es war dasselbe Bild wie in meinem Traum, Sekunden bevor du in mein Leben gekommen warst. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre ich zurück zum Unterricht gegangen und abends... Slytherin hatte zu meiner Schulzeit die Angewohnheit, jede Nacht durchzufeiern. Ich glaube, der rote Lippenstift klebt mir immer noch im Gesicht.
„Ich habe das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, dich zu fragen, ob du mit mir ausgehen würdest.“, sagte Alfred schließlich. Ich sah ihn überrascht an.
„Du hättest dich sehen sollen.“, sagte er. „Du hättest mit jedem ausgehen können, wenn du gewollt hättest.“ Mein Blick ging ins Ungläubige. „Im Ernst. Es hat dich nur offenbar nicht interessiert. Ch-Charles hatte Glück, dass er dich zuerst gefragt hat.“ Ich sah zu Boden.
„Du hättest fragen sollen.“, sagte ich schließlich, nicht sicher, ob ich das sagen durfte.
„Warum?“ Er klang noch überraschter als ich mich fühlte.
„Vielleicht hätte ich dann keinen... Mörder geheiratet.“ Es fühlte sich an, als würden meine Zähne zittern.
Er legte eine Hand auf meine. „Du hättest nicht deine Kinder.“
„Es war eher theoretisch.“
„Ich weiß doch.“ Aber er ließ meine Hand trotzdem nicht los.
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