von LunaYazz
Die Gestaltenwandlerin
Die Sonne lugte zaghaft durch einen kleinen Spalt in der dichten, grauen Wolkendecke und tauchte den Schwarzen See einen Augenblick lang in helles Licht, dass ihn türkisen schimmern ließ, bevor sie wieder im endlosen Meer aus Regenwolken verschwand. Sofort wirkte der See wieder bedrohlich und trist, als würde jeden Moment der Riesenkraken aus der düsteren Tiefe auftauchen, auf der Suche nach ahnungslosen Schülern, die er verschlingen kann. Severus saß auf einem großen Stein am Seeufer, der von den Wellen, die seit Jahrtausenden beständig und ohne einen Moment der Rast gegen ihn spülten, glattgeschliffen war, und lauschte dem fernen Donnergrollen. Das Schloss Hogwarts überragte die Szenerie wie ein unheilbringender Schatten und hatte im aufziehenden Gewitter rein gar nichts Einladendes, überhaupt nichts Heimeliges an sich.
Natürlich nicht. Wer würde behaupten, dass Hogwarts noch so etwas wie eine Heimat für die Schüler war? Die Zeiten sind vorbei, dachte Severus grimmig. Die Sommerferien waren nun schon seit einigen Wochen vorüber, vorbeigezogen wie ein leiser, angenehmer Windhauch, und die Schule hatte wieder begonnen. Aber nicht für alle. Selbstverständlich war Muggelgeborenen der Schulbesuch verwehrt. Die hatten sowieso besseres zu tun, mussten unter dem immer mächtiger werdenden Regime der Todesser fliehen, mit ihren Familien untertauchen. Aber Severus konnte nicht sagen, dass sie es wirklich schlechter hatten als die Schüler von Hogwarts. Vermutlich ging es ihnen sogar besser. Die Carrows hatten die Jahrtausende alte Schule für Hexerei und Zauberei in eine Schule für schwarze Magie verwandelt. Die Kinder wurden zu Todessern erzogen, und wer nicht gehorchte, wurde gefoltert. Severus hatte Dumbledore einst versprochen, Hogwarts zu schützen, so gut es geht, falls es in Voldemorts Hände fällt. Doch was konnte er tun? Wie konnte er die Carrows stoppen, ohne sich zu verraten? Gestern noch hatte er Alecto Carrow davon abgehalten, eine Fünftklässlerin aus Ravenclaw, die schon zum vermehrten Mal frech geworden war und sich weigerte, an ungehorsamen Mitschülern den Cruciatus-Fluch zu üben, umzubringen. Das wollte sie tatsächlich tun! Aber Severus konnte sie überreden, ihr noch eine Chance zu geben …Warum sollten sie unnötig magisches Blut vergeuden? Sie würden dieser frechen Göre schon noch Gehorsam einbläuen, nicht so voreilig… Doch zu viel mehr, als die Carrows ein wenig zu kontrollieren, ihnen als Schulleiter auf die Finger zu schauen, war Severus nicht in der Lage. Ich habe schließlich einen Ruf als Todesser zu verlieren, dachte er sich bitter…
Während Severus so am Seeufer saß, tief in Gedanken versunken, und das aufziehende Gewitter beobachte, zuckte der erste Blitz durch den düsteren Himmel. Sein gleißend heller Schein spaltete das wolkenverhangene Firmament, schien es in tausend Scherben zu zersplittern. Unwillkürlich tauchte das Bild des zerbrochenen Spiegels Nerhegeb vor Severus innerem Auge auf, und er zuckte zusammen. In letzter Zeit war alles noch viel schlimmer geworden. Oft wachte er mitten in der Nacht schweißgebadet auf, von Albträumen gequält, ohne sich recht entsinnen zu können, was er geträumt hatte. Erst wenn er schon fast wieder eingeschlafen war, drängte sich ein Bild von Lily wie ein schmerzhafter Stich in sein Bewusstsein. Doch es war nicht die Lily, die schon viele Jahre zuvor gestorben war und deren Bild langsam, im Gegensatz zum Schmerz, die Severus empfand, wenn er an sie dachte, verblasste. Es war die Spiegellily, strahlend hell wie ein Engel und mit einem liebevollen Lächeln auf dem Gesicht. Fast war es so, als hätte Severus Lily noch einmal verloren…
Der erste Regentropfen fiel zart wie ein Hauch auf Severus Handrücken und lief langsam an seiner Hand herunter. Severus blickte in den Himmel und einen Moment später traf ihn ein zweiter Tropfen am Auge. Er blinzelte ihn weg. Jetzt regnete es auch noch. Ärgerlich zog sich Severus seinen Mantel über den Umhang und wollte gerade aufstehen und über die sattgrünen Wiesen hoch zum Schloss gehen, als ihn ein stechender Schmerz in seinem Unterarm überraschte. Er seufzte. Es war also wieder so weit. Severus war wirklich nicht in der Stimmung für ein Treffen mit Voldemort und den Todesser. Das Dunkle Mal begann stärker zu schmerzen, bis Severus Arm unter seinem brennend heißen Druck zu zerbersten schien. Severus stöhnte leise auf. Resigniert zog er seinen Zauberstab und im nächsten Moment verschlang ihn ein Wirbel aus tiefster Finsternis wie der gierige Schlund eines Ungeheuers.
Als ihn die Schwärze wieder losließ, stand Severus vor den glänzend silbernen Toren des riesigen Garten Malfoy. Er krempelte seinen linken Ärmel hoch und offenbarte sein Dunkles Mal –Eine Schlange, die sich um einen Totenkopf schlang. Wie so oft stimmte der Anblick seines Mals Severus nachdenklich. Was wäre, wenn diese makabre Tätowierung nicht unauslöschlich in seinen Arm gebrannt wäre? Wenn er nie Todesser geworden wäre…? Das Tor schwang wie auf einen stummen Befehl auf und ließ Severus keine Zeit zum Nachgrübeln über Dinge, an denen er sowieso nichts mehr ändern konnte. Um ihn herum tauchten andere Todesser mit einem leisen Plopp auf. Ohne ein Wort der Begrüßung gingen sie schnurstracks durch den verwilderten Garten auf die Villa zu. Severus schloss sich ihnen an, während seine Gedanken bereits in weite Ferne schweiften. Es war eigentlich klar, warum Voldemort mal wieder seine gesamte Gefolgschaft einberufen hatte. Schließlich hatte er noch keinen einzigen Hinweis auf Potters Verbleib. Und langsam wurde er nervös, Severus konnte es förmlich in jeder Faser seines Körpers spüren. Vermutlich wollte Voldemort die Belohnung, die auf Potter ausgesetzt war, noch einmal drastisch erhöhen und noch mehr Todesser der Suche nach ihm zuteilen. Sie konnten Potter einfach nicht finden. Severus auch nicht.
Seit der Verfolgungsjagd auf ihn und den Orden des Phönix hatte Severus Potter nicht mehr gesehen. Aber Sorgen musste er sich auch nicht um ihn machen, zumindest nicht für den Moment. Phineas Niggelus. Severus hätte nie geahnt, dass dieses nervige alte Portrait des längst verstorbenen Schulleiters von Hogwarts, dem wohl unbeliebtesten Leiter in der Geschichte der Schule, noch nützlich für ihn sein könnte. Doch als es eines Tages aufgeregt von seinem Portrait im Grimmauldplatz in seinen Rahmen in Severus Büro geeilt kam und außer Atem berichtete, Hermine Granger hätte das Portrait aus dem Haus der Blacks in ihre verzauberte Handtasche gepackt, wurde er vom Gegenteil überzeugt. Einen erleichterten Moment lang schien ihm nun alles ganz einfach. Nun könnte er auch endlich Dumbledores Auftrag erfüllen und Potter das Schwert Gryffindors überbringen. Doch Potter und seine Freunde waren vorsichtig. Sie hatten Niggelus mit einer magisch heraufbeschworenen Augenbinde die Sicht verdeckt und ließen, wären sie ihn nach neuen Informationen aus Hogwarts ausfragten, kein Wort über ihren Aufenthaltsort fallen. Aber zumindest schien es ihnen gut zu gehen. Was immer Dumbledore Potter aufgetragen hatte, was immer Potter tat, Severus hoffte inbrünstig und aus ganzem Herzen, das er diese Mission meisterte. Er durfte nicht sinnlos sterben. Niemals.
Der Regen prasselte wie auf einen stummen Befehl von einem Moment auf den anderen stärker auf die Erde und riss Severus aus seinem Gedankenstrom, holte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Er beschleunigte seinen Schritt und öffnete hastig die silberne Tür der Villa, während der Regen seinen Umhang durchnässte. Mit ihm drängten sich noch einige andere Todesser durch die Tür, Severus konnte Draco Malfoy unter ihnen entdecken, der eingeschüchtert und verunsichert wirkte, voller böser Vorahnungen, wie immer, wenn er seinem Herrn einen Dienst erweisen oder zu einer Todesserversammlung kommen musste. In der Eingangshalle des Hause Malfoy war es nicht viel wärmer als draußen, aber zumindest trocken. Der mit einem wertvollen roten Teppich ausgelegte Raum machte keinen freundlichen Eindruck, wirkte leblos und steril. Ungemütlich. Die Portraits von den Ahnen der Malfoys blickten kühl und abschätzend auf Severus herunter.
Severus trat durch eine schwere Tür ein in den prächtigen Salon der Villa und ein Schwall wohliger Wärme überflutete ihn. Am Ende des vertrauten, langen Marmortischs saß Voldemort, in den brutalen Zügen seines Gesichts konnte Severus kaum verhohlene, wilde Ungeduld lesen. Er war es schlichtweg leid, dass er, der Dunkle Lord, Potter immer noch nicht gefasst hatte. Severus setzte sich auf einen leeren Stuhl und wartete. Langsam gesellten sich immer mehr Todesser zu ihm, der Tisch wurde immer voller. Nach kurzer Zeit schien die Versammlung vollständig zu sein. Leises Getuschel und gedämpfte Stimmen erfüllten den Raum wie das sanfte Rascheln von Blättern in einem aufziehenden Sturm. Doch Voldemort machte keine Anstände, mit dem Reden zu beginnen. Stattdessen warf er immer wieder ärgerliche Blicke in die Menge der Todesser und seine Ungeduld durchbrach endgültig die Maske der Gelassenheit, seine blutroten Augen funkelten zornig. Severus ließ den Blick durch die Reihen der Todesser schweifen, da entdeckte er es auch: Bellatrix Lestrange fehlte. Voldemort wartete auf seine beste und treuste Gefolgin.
Gerade, als er den Mund öffnete, wohl entschlossen, nun ohne sie zu beginnen, öffnete sich die Eingangstür und Bellatrix hastete in den Salon. Die Tür fiel mit einem lauten Rumms zu und Bellatrix stürmte geradewegs hin zu Voldemort, der sie kühl und ärgerlich taxierte. Dessen ungeachtet griff sie ihn an der Schulter und flüsterte leise und eindringlich auf ihn ein. Der Ausdruck in Voldemorts Gesicht verwandelte sich von Zorn in interessiertes Erstaunen. Doch dann wechselte er schlagartig wieder in wilde, unbändige Wut. Doch sie war nicht gegen Bellatrix gerichtet, denn in ihren großen, dunklen Augen mit den schweren Lider funkelte ebenfalls Zorn auf und sie nickte bestätigend. Sie fügte noch leise etwas hinzu, und ein kaltes Lächeln umspielte Voldemorts Mundwinkel. „Sehr gut!“ sagte er in seiner hohen, klaren Stimme, „Wirklich sehr gut. Meine Todesser, ich darf euch mitteilen, dass wir heute wieder einmal Gäste haben.“
Gäste. Severus spürte plötzlich etwas wie einen schweren Stein im Magen. Gäste wie Charity Burbage und etliche andere zuvor. „Bellatrix, erzähle deine nette kleine Geschichte doch allen Anwesenden. Sie ist wirklich äußerst interessant. Beinahe unglaublich.“ Voldemort lächelte kalt und bedeutete Bellatrix mit einer Handbewegung, zu sprechen. Die lächelte verschwörerisch zurück und sagte: „Ihr habt Recht, mein Herr. Das ist sie.“ In ihren Augen lag jener Glanz, der immer dann in ihnen aufblitzte, wenn Voldemort ihr ein wenig Beachtung schenkte. Sie wird wohl nie verstehen, dass sie für Voldemort nur eine Dienerin, ein Mittel zum Zweck ist, das seine Arbeit vielleicht gut macht, ja, aber das war es auch schon, dachte Severus. Und für einen Moment fühlte er sich ihr verbunden. Einen Herzschlag lang, nur in dieser einen Beziehung. Auch er kannte Zurückweisung. Wusste, wie es war, jahrelang akzeptiert zu werden, bloß akzeptiert, und zu hoffen, bis man plötzlich nicht mehr gut genug ist, nur weil man einen Fehler gemacht hat. Man versucht es rückgängig zu machen, doch es geht nicht. An Verzeihung ist nicht zu denken… Und man blickt zurück auf all die Jahre, während denen man da war und alles getan hätte… Genauso würde es ihr auch noch ergehen. Immer an der Grenze, Voldemort zu enttäuschen, egal, was sie tat… Genau wie es bei ihm gewesen war…
Doch als Bellatrix aufgeregt zu sprechen begann, zerriss Severus gerade entstandenes Band zu ihr wieder so schnell, wie es geknüpft wurde und wich der unangenehmen Frage, welche unschuldigen Menschen diesmal wohl sterben sollten, weil sie vielleicht etwas getan haben, was Bellatrix nicht gefiel oder sich ihr in den Weg gestellt haben. „Also, gerade eben, kurz bevor ich hier zu meinem Herrn gerufen wurde, war ich in London unterwegs, auf dem Weg zur Winkelgasse. Ich wollte ein wenig von meinem Gold aus Gringotts holen. Und wie ich mich so durch die bedrückende Menge von dreckigen Muggeln drängte, sah ich plötzlich sie im Menschengewühl.“ Die Todesserin machte eine kleine Pause, zweifellos, um ihrer Geschichte mehr Dramatik zu verleihen, und fuhr dann fort: „Auf den ersten Blick sah sie aus wie ein ganz gewöhnliches Mädchen, so um die zwanzig, und diese naiven Muggel haben sie auch sicherlich für ein solches gehalten und sich nicht die Mühe gemacht, genauer hinzuschauen, die Dinge zu hinterfragen. Aber ich tat es, sie kam mir gleich seltsam vor. Und da stachen sie mir ins Auge. Ihre Fingernägel. Sie waren bläulich durchscheinend und liefen spitz zu. Ich habe so etwas nie zuvor gesehen. Und ihre Haare erst! Sie hatte langes, dickes, wallendes, weißblondes Haar. Aber es war nicht das Haar eines Menschen, dafür war es viel zu spröde. Es sah eher aus wie die Mähne eines Pferdes. Als ich dann in ihre Augen sah, war mir vollkommen klar, dass sie kein Mensch sein konnte. Denn welcher Mensch hat schon azurblaue Katzenaugen, die von goldenen Linien durchzogen sind?“ Nach dieser rhetorischen Frage sah Bellatrix sich fragend im Raum um, als würde sie auf eine Antwort aus dem Kreis der Todesser warten. Eines war sicher, sie kostete es vollkommen aus, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen und die ganze Versammlung auf die Folter spannen zu können. Aber auch Severus Neugier war geweckt. Was hatte es bloß mit diesem seltsamen Mädchen auf sich? Bellatrix sollte endlich auf den Punkt kommen.
Doch die machte nicht den Eindruck, als ob sie ihre Geschichte knapp zu Ende führen wollte, ganz im Gegenteil. Vergnügt fuhr sie fort: „Ganz genau, niemand. Eine richtige kleine Missgeburt also. Die Frage, was dieses Wesen denn nun genau war, bohrte in mir. Also verfolgte ich sie. Ich musste nicht besonders vorsichtig sein, so vertieft war diese Anomalität in die Erzählung ihrer Freundin, von der sie durch ganz London gezogen wurde. Die sah ganz normal aus. Kurze, schwarze Haare, ein dümmlicher Ausdruck im Gesicht. Sowas eben. Und eine richtige Quatschtante. Laberte nur auf das seltsame Mädchen ein. Die konnte nicht viel tun, außer zu nicken und „Ja“ und „Amen“ zu sagen. Gerademal fünf Minuten waren die zwei gegangen, da bogen sie von der belebten Hauptstraße schon in einen schmaleren Weg ein. Perfekt! Ich ging unauffällig hinter ihnen her, tat so, als wäre ich vollkommen damit beschäftigt, das Geld in meinem Portemonnaie zählen. Natürlich merkten sie nichts. Und wie mein Glück es so wollte, führte ihr Weg weiter in eine ganz und gar menschenleere Gasse. Ich blickte mich vorsichtshalber noch einmal um, aber es war wirklich wie ausgestorben. Also zog ich meinen Zauberstab und schockte die beiden blitzschnell mit einem kräftigen Stupor, bevor sie überhaupt nur blöd gucken konnten. Die redselige Schwarzhaarige setzte ich zusätzlich mit Petrificus Totalus außer Gefecht, bevor ich zu ihrer merkwürdigen Freundin ging. Sie lag immer noch benommen auf dem Boden, hat meinen Schockzauber wohl nicht besonders gut vertragen, also packte ich sie am Kragen und sagte: `Raus mit der Sprache! Was bist du? Und erzähl mir nicht, du wärst ein ganz normaler Mensch!´ Und da schüttelte die doch glatt den Kopf und stammelte, sie wüsste nicht, wovon ich rede. Nun, der Cruciatus-Fluch lockert bekanntlich jede Zunge, selbst die einer anormalen Göre. Und so habe ich am Ende doch noch eine ganz erstaunliche Geschichte aus ihr herausbekommen. Hört her. Tatsächlich ist dieses Mädchen –Lucy Morgan heißt sie übrigens– kein reiner Mensch, sondern eine Abart, wie sie selten vorkommt. Vermutlich sogar die Einzige ihrer Art. Ihr Vater ist nämlich ein Mischwesen aus zwei magischen Geschöpfen. Aus zwei magischen Geschöpfen! Er ist praktisch ein Tier! Seine Mutter war eine Kelpie und sein Vater ein Irrwicht. Irrwicht, dürfte jedem geläufig sein, oder? Kleine garstige Dämonen, die sich immer in das verwandeln, was ihr Opfer am meisten fürchtet. Sie können sich rein theoretisch in alles Erdenkliche verwandeln, sind aber durch die Ängste ihrer Opfer gebunden. Kelpies sind räuberische Wasserpferde, die ebenfalls die Fähigkeit zur Gestaltwandlung besitzen. Ob Otter oder Seeschlange, sie können nach Belieben die Form eines jeden Wassertiers annehmen. So kam es, dass die beiden Elternteile Lucy Morgans Vater ihre besonderen Fähigkeiten auf eine erstaunliche Weise vererbt haben: Er kann sich nach Belieben in alle lebenden Wesen verwandeln. Aber seit er sich das erste Mal in einen Menschen verwandelt hatte, wechselte er nur noch selten seine Form. Er lernte die Sprache der Menschen und versuchte, ihr Verhalten zu kopieren, war er doch vollkommen von ihnen fasziniert.“ Bellatrix´ Stimme war voller Verachtung, als sie weitersprach: „Bildete sich tatsächlich ein, er könnte einer von ihnen sein. Aber er sollte sogar in gewisser Weise Recht behalten, denn bald darauf lernte er Morgans Mutter, eine reinblütige Hexe, kennen, die sich unerklärlicherweise sofort in ihn verliebte. Ein halbes Jahr später heirateten sie. Ihre Tochter Lucy, ihr erstes und einziges Kind, wurde als mehr oder weniger ganz normaler Mensch geboren, hat aber bedingt die Fähigkeit ihres unmenschlichen Vaters geerbt: Sie kann sich nur durch die Kraft ihrer Gedanken in alle möglichen Tiere verwandeln, außer in magische Geschöpfe.“ Bellatrix machte abermals eine kurze Redepause und schien auf ein Kommentar zu ihrer Geschichte seitens der Todesser zu warten, während sie demonstrativ ungeduldig mit ihren Fingern auf den marmornen Tisch trommelte. Aber es war totenstill im Salon, als hätte sich ein Mantel der Stille, der jedes noch so kleine Geräusch verschluckt, über den Raum gelegt. Selbst Severus hatte es vor Erstaunen die Sprache verschlagen. Ein Mädchen, dessen Vater eine Kreuzung aus Kelpie und Irrwicht ist? Er hatte noch nie zuvor von einem ähnlichen Mischwesen gehört.
„Dazu sagt ihr also nichts?“ fauchte Bellatrix, plötzlich zornig. „Also ich finde ja, dieses Mädchen, Lucy Morgan“, sie spuckte den Namen gehässig und voll Spott aus, als wäre es lächerlich, dass ein Wesen wie sie einen Namen hatte, „ist eine unbeschreiblich abartige Missgeburt. Aber lasst mich erst mal meine Geschichte zu Ende erzählen. Nachdem ich alle Informationen über ihre Herkunft aus der Kleinen herausgepresst hatte, fragte ich sie dann noch nach ihrer Freundin aus. Nellie Gouldin heißt sie. Ist eine ganz gewöhnliche Hexe. Sogar reinblütig. Aber eindeutig eine Blutsverräterin, wenn sie sich mit sowas abgibt. Jetzt, da ich alles Wichtige gehört hatte, setzte ich die Morgan auch mit einer Ganzkörperklammer außer Gefecht. Ich musste nachdenken. Und ich kam zu dem Entschluss, dass so eine Abart wie sie keinesfalls länger am Leben bleiben sollte. Denn nützlich könnte sie uns auch mit nichts sein. Widerliches Geschöpf! Sie gefährdet eindeutig die Reinheit des Blutes! Schlimmer noch als ein Halbwerwolf, wenn ihr mich fragt. Und ihre Freundin sollte meiner Meinung nach auch sofort umgebracht werden. Sie verrät ihre Herkunft ja noch mehr, als würde sie sich mit dreckigen Muggeln abgeben!“ Bellatrix´ reißerische Ansprache hatte den Mantel der Stille vom Salon gerissen, als hätte ihn eine gewaltige Götterhand gepackt und weggeschleudert. Zustimmendes Gemurmel erhob sich in der Menge der Todesser. Einige spuckten verächtlich auf den Boden. Ein kaltes Glitzern blitzte in Voldemorts Augen auf, als er leise sagte: „Ja. Diese Beiden haben wirklich nichts Besseres als den Tod verdient.“ Bellatrix warf ihrem Herrn einen dankbaren Blick zu und schenkte ihm ein dämonisches Lächeln, dann fuhr sie fort: „Genau das war auch mein Gedanke gewesen, doch gerade, als ich sie töten wollte, begann mein Dunkles Mal zu brennen. Also packte ich mir die Beiden und apparierte mit ihnen hierher. Nun liegen die Mädchen versteinert im Garten der Villa. Ich wollte euch erst einmal Bescheid sagen, dass ich hier bin, bevor ich das erledige.“
„Gut gemacht, Bellatrix. Sehr gut. Danke. Setz dich jetzt hin.“ sagte Voldemort kalt lächelnd. Bellatrix, die ihre Freude angesichts des Lobs ihres Herrn kaum verbergen konnte, tat wie geheißen. Ihre Schritte hallten laut über den marmornen Boden durch den Raum, als sie sich in die Reihen der Todesser setzte. „Ihr habt es gehört“ sagte Voldemort knapp. „Da draußen im Garten gibt es unverrichtete Arbeit.“ „Ich werde das erledigen, Herr!“ platzte Severus heraus. Er hatte nicht besonders viel nachgedacht, bevor er das gesagt hat. Aber er musste es einfach versuchen. Wenn er sich anbieten würde, Lucy und Nellie zu töten, vielleicht hätte er dann eine Möglichkeit, die beiden Mädchen vor ihrem grausamen Schicksal zu retten.
Voldemort musterte Severus abschätzend, dem plötzlich bewusst wurde, wie merkwürdig seine Worte wohl geklungen haben müssen. „Ich meinte bloß, Herr…“ beeilte er sich zu sagen, „Mich empört dieser abartige Halbmensch so sehr, genau wie Euch. Dieses Mädchen widert mich einfach an. Es würde mir wirklich große Genugtuung bereiten, sie und ihre verräterische Freundin zu töten. Wenn Ihr erlaubt…“ Severus blickte seinen Herrn erwartungsvoll an. Voldemort schien kurz zu überlegen, dann nickte er: „Natürlich. Dann geh nun auch, wir haben schon genug Zeit verloren.“ „Danke, Herr“ sagte Severus, erleichtert, dass bis jetzt alles so glatt lief, stand auf und machte einen kleinen Knicks. „Ich werde gleich wieder da sein.“ fügte er noch hinzu, dann drehte er sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Salon. Er konnte Bellatrix´ wütenden Blick kribbelnd auf sich ruhen spüren. Auch diesen Dienst hätte sie ihrem Herrn am liebsten selbst erwiesen. Severus öffnete mit einem Ruck die schwere Tür, die vom Salon in die Eingangshalle führte, ließ Voldemort und die Todesser hinter sich, und ein kalter Wind blies ihm scharf ins Gesicht. Und es schien, als würde der Windstoß Entschlossenheit und Hoffnung mit sich tragen und geradewegs Severus überbringen. Denn in diesem Moment wusste er, er würde diese Mission, die er sich selbst aufgetragen hatte, meistern. Er wusste es einfach. Als die schwere Tür, die den Salon von der Eingangshalle trennte, mit einem dumpfen Knall zuschlug, hatte Severus schon einen Plan. Er würde Lucy und Nellie retten können.
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Ich hoffe, euch hat meine FF bis jetzt gefallen. Freut euch schon bald auf Kapitel 7, "Das Urteil des Sprechenden Huts"!
Und: Nach all den Stunden, die ich schreibend am PC verbracht habe, sind Kommis und Kritik die allergrößte Freude auf Erden für mich. Ich werde für Freude an die Decke springen!!
GLG
LunaYazz
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