von LunaYazz
Hallo, meine Lieben =),
Hier das letzte Kapitel!
...Ich habe es nun tatsächlich geschafft, Severus´ Tod, der sich im Original ja wirklich nicht besonders lange hinzieht, auf 12 großen Seiten zu beschreiben Oo Diese 12 Seiten bestehen hauptsächlich aus den Erinnerungen, die er Harry gibt. Im Buch wird zwar nur gesagt, dass so lange Erinnerungen aus ihm heraussprudeln, bis Harrys Fläschchen voll ist. Das dürfte bei einem so kleinen Fläschchen nicht sehr lange dauern, aber ich denke, Severus musste all die Erinnerungen noch einmal selbst durchleben, um sie Harry geben zu können (eigentlich logisch), wenn auch im Zeitraffer. Und seine Gedanken dazu wird er gehabt haben.
Sonst wollte ich allgemein noch sehr viele Gedanken und Emotionen in seinen Tod hineinpacken ... Mir erschien es sehr wichtig ... Und sagt man nicht, im Tod empfindet man alles wie in Zeitlupe und die Gedanken sind das Schnellste was existiert? ... Unter diesen Gesichtspunkten ist die Länge meines Kapitels sogar durchaus logisch :P
...Ach, was labere ich da eigentlich so lange!
Viel Spaß beim Lesen!
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Naginis rasiermesserscharfen Zähne stießen wie grässliche Säbel tief in Severus´ Hals.
Und dann war er nur noch Schmerz.
Der schrecklichste Schmerz, den er je erlitten hatte, stieg flammend in seiner Kehle auf wie ein Schwall vernichtender Säure – und er stieß einen hilflosen Schrei aus, er schrie und schrie, schrie in qualerfüllter Verzweiflung, so als könnte sein Schrei den Schmerz vielleicht ein wenig, nur ein wenig betäuben, doch niemand erhörte ihn, niemand kam, um seine Leiden zu lindern – und Nagini ließ ihn nicht los, bohrte ihre Zähne nur noch tiefer in sein Fleisch, und es schnürte Severus den Atem zu, langsam wurde ihm schwarz vor Augen. In fieberhafter Panik fanden seine Hände die warm glimmenden Wände des Schlangenkäfigs, mit aller Kraft versuchte er, die verzauberte Sphäre von sich wegzustoßen, sein Zauberstab glitt ihm aus der Hand und fiel klappernd auf den hölzernen Boden, doch die schimmernde Kugel, sie gab keinen Millimeter nach –
Und die Welt bestand bloß noch aus diesem grauenvollen Schmerz, Severus ertrank in einem Meer der schier unerträglichen Qual, und am Rande seines Bewusstseins nahm er dumpf und leise wahr, wie seine plötzlich so unglaublich schwachen, zuckenden Knie nach gaben und er hart zu Boden stürzte –
Wie über einen endlosen Ozean des Leids hinweg wehte scharf, mitleidslos und eiskalt eine hohe, klare Stimme zu ihm herüber, die seiner Wunde einen weiteren schmerzhaften Stich zu versetzen schien:
„Ich bedaure es.“
Und endlich, endlich löste Nagini ihre grässlichen Zähne ruckartig aus seinem Hals, im selben Moment drang durch den Vorhang der Schwärze vor Severus´ Augen allmählich wieder ein verschwommenes Bild seiner Umgebung, und er sah, wie der strahlende Käfig samt der riesigen Schlange langsam nach oben von ihm wegtrieb; das einzige, was ihn noch aufrecht erhielt, da der Schmerz ihn so jäh, so grausam all seiner Kraft zu berauben schien. Hilflos sackte er seitwärts zusammen auf den staubigen Grund, Blut rauschte in einem warmen Schwall aus seinen wie loderndes Feuer brennenden Wunden.
Ohne einen einzigen Blick zurück huschte Lord Voldemort im schwachen, schmutzig gelben Licht der Öllampe an Severus vorbei, hinaus aus der Heulenden Hütte, Nagini in ihrer gleißenden Schutzsphäre schwebte rasch hinter ihm her. Ein leises Rascheln seines bauschenden Umhangs, dann war der Dunkle Lord verschwunden: Seine Arbeit war erledigt.
Und Severus war allein, ganz allein mit seinen Qualen in der Dunkelheit.
In schmerzerfüllter Panik presste er seine kraftlosen, tauben Hände so fest er nur konnte auf die klaffenden Wunden in seinem Hals, versuchte verzweifelt, sie zuzudrücken, doch das Blut floss in einem klebrigen Strom durch seine Finger hindurch, unaufhaltsam verließ es seinen Körper. Ein heftiges Zittern und Zucken durchfuhr ihn in schaudernden Wellen, und mit ihm durchstieß seine Wunden in schrecklichen Schüben ein Schmerz jenseits des Aushaltbaren.
Severus wollte schreien, er wollte nur noch schreien und nie mehr damit aufhören, bis er mehr Schrei als Schmerz war, doch der Blutschwall, der in seiner Kehle anstieg, schnürte ihm die Luft ab; jeder Atemzug bereitete ihm Qualen, bohrte sich wie eine Rasierklinge in sein Herz…
Dort lag Severus in der warmen, feuchten, in grausamer Geschwindigkeit größer werdenden Lache seines eigenen Blutes, umfangen von Staub, Moder und Düsternis, sein Gehirn war erfüllt von nichts als unglaublichem Schmerz, der es von innen her aufzufressen schien.
Wie lange lag Severus da, kläglich schwach, ertrinkend in seiner Qual und niemand stand ihm bei, sein Hals zerfleischt von den Zähnen einer riesigen Schlange? Er wusste nicht, ob es ein paar wenige Sekunden waren, mehrere Minuten oder einige sich schrecklich hinziehende Stunden. Oder auch nur ein flüchtiger, fürchterlicher Augenblick.
Doch irgendwann brach sich ein Gedanke, ein einzelner, erstaunlich klarer Gedanke, durch den Schleier aus Schmerz, der ihn umhüllte, unbarmherzig und endgültig:
Ich werde sterben.
Severus wusste es; es war vollkommen klar und unausweichlich. Er erkannte es an dem rhythmischen Zucken, das seinen Körper wie Stromstöße durchfuhr. Er spürte es in seinem stechenden Herzen, das, nachdem es ihn achtunddreißig Jahre lang nie im Stich gelassen hatte, jetzt bereits nur noch schwach und unregelmäßig schlug, holprig und verzweifelt.
Er würde diese düstere Hütte nie mehr – nie, nie mehr – verlassen. Nie mehr würde er den Himmel erblicken und nie mehr Schloss Hogwarts, nie mehr würde er einen klaren Atemzug tun, nie mehr würde er auch nur einen einzigen Schritt machen können, nie mehr würde er den Wind im Gesicht spüren, nie mehr Regen, Hagel und Schnee … nie mehr würde er in finsterer Nacht schweißgebadet aus wieder und wieder dem gleichen grausamen Albtraum erwachen…
Eben noch hatte sich Severus gedankenversunken beim Anblick vom Elderstab, beim Anblick von Nagini gefragt, wie sein künftiges Leben wohl aussehen würde. Doch es gab kein Morgen.
Vielleicht noch ein paar von hilfloser Schwäche und grausamen Schmerz erfüllte Minuten, genauso einsam wie sein Leben, dann wäre alles vorüber. Es hatte keinen Zweck mehr zu kämpfen.
Ich werde sterben, sterben, sterben…
Severus ließ diesen einen Gedanken durch seinen Kopf schießen wie ein schreckliches Mantra, sog seine Bedeutung eiskalt und tief in sich auf, und er erwartete, erhoffte, dass diese Erkenntnis in ihm Qualen erzeugen würde, die seine körperlichen Leiden daneben unbedeutend erschienen ließen, sie somit linderten…
Doch dieser seelische Schmerz wollte nicht eintreten und der in seinen Wunden tobte unbarmherzig weiter...
Und irgendetwas ließ den Fußboden leise erzittern, fast unmerklich schwach und doch so stark, dass es Severus´ geschundenem Körper zitternde Stiche versetzte…
Und nachdem der erste Überlebenstrieb in ihm besiegt war, nachdem er nach wenigen Momenten des unerträglichen Schmerzes und der lähmenden Schwäche bereits erloschen war, stellte Severus fast schon nüchtern fest, dass er starb, ja, den Tod sehnte er sich dumpf herbei als Erlösung seiner Leiden.
Dann jedoch, den Bruchteil einer Sekunde und doch so unendlich lange, quälende Zeit später, da durchzuckte noch ein weiterer Gedanke schwach Severus´ gemartertes Gehirn, wühlte sich langsam an dessen Oberfläche und erfasste ihn dann mit bleierner Wucht:
Ich habe … meine Mission … nicht erfüllt ...!
Mir ist es nicht gelungen … Potter … die Wahrheit zu sagen…! Niemals wird der Junge erfahren … dass er ein Horkrux ist … und niemals wird der Dunkle Lord … besiegt werden … niemals wird Frieden einkehren… Denn niemals wird Voldemort es … gelingen … den so hartnäckigen … so entschlossenen Harry Potter zu töten … wenn Potter sich nicht … freiwillig opfert… Nein… Nein…
Ich bin … alles Schuld… alles … wie … immer…
Und dieser Gedanke versetzte Severus endlich einen heftigen Stich, nicht minder schmerzhaft als das schrecklich ziehende Stechen in seinem Hals, doch linderte das seelische Leid das körperliche nicht im Geringsten, sondern verband sich nur mit ihm zu einem unerträglichen Strom der Qual…
– Und drang da das dumpfe, hallende Geräusch zögernder Schritte an seine Ohren? Doch nein, das war nicht möglich, das konnte nicht möglich sein… Er war doch vollkommen allein… Er halluzinierte bereits, er musste halluzinieren… –
Sein eigenes Blut würgte ihn, erstickte ihn beinahe, und wie lange würde es noch dauern, bis aller Widerstand vernichtet wäre und England sich der Diktatur ergeben hätte? Ein fiebriges Pochen durchfuhr seine Kehle heiß und verbrennend, und die grauenvolle Macht von Lilys und nun auch seinem Mörder würde nun, da er sehr, sehr bald der wahre Herr des Elderstabs wäre, bis ins Unermessliche wachsen, wenn niemand im Einhalt gebot… Und die tiefen, klaffenden Wunden in seinem Hals wurden hart gegen den dreckigen, rauen Holzboden gepresst, und er fragte sich verzweifelt, warum Lord Voldemort ihn nicht einfach mit einem Todesfluch ermordet hatte, schmerzlos und so schnell, dass er tot gewesen wäre, ehe er überhaupt wirklich begriffen hatte, was geschehen war. Dann hätte er all das nicht erleiden müssen, weder diese körperlichen noch diese seelischen Qualen, und wäre jetzt bereits … wo?
Aber nein, der Dunkle Lord hatte das Hindernis auf seinem Weg zur Macht hinterhältig und feige von seiner Schlange beseitigen lassen, er hatte nie einen Kampf gegen Severus führen wollen… Nie…
Und Severus spürte, wie die Schwäche immer stärker und stärker von ihm Besitz ergriff, seine tauben Finger lockerten langsam ihren Griff um seine blutenden Wunden, ein flimmernder Schleier legte sich plötzlich vor seine Augen –
Das leise Geräusch von Schritten erstarb, verklang im Nichts, als sei es niemals da gewesen; nicht das geringste Zittern durchfuhr nun noch den hölzernen Boden. Und Severus´ Kopf begann auf einmal monoton zu schwirren, als sei ein hypnotisierter Bienenschwarm in ihm gefangen –
So rasch wie sein Blut fühlte er die Lebensenergie aus sich herausströmen.
Und das war gut, unglaublich gut.
Denn mit seiner allerletzten Kraft, die ihn rasend schnell verließ, klang auch Severus´ Schmerz ab, verschwand nicht, aber wurde tatsächlich, tatsächlich weniger. Weniger verätzend wie brodelnde Säure, weniger sengend wie loderndes Feuer, weniger stechend wie rasiermesserscharfe Klingen, die in grausamen Intervallen in seine Kehle stießen… etwas dumpfer.
Und im selben Moment, in dem Severus dies in einem leisen Hauch der Hoffnung und Erleichterung bemerkte, da erfasste ihn eine seltsame, doch wunderbare Halluzination.
Dort, über ihm aufragend, das dämmrige Licht der Öllampe umhüllte ihn wie ein leuchtender Kranz, stand niemand anderes als Harry Potter vor ihm.
Er löste den Griff seiner rußverschmierten Hand von einem silbrigen Knäuel, das geräuschlos zu Boden sackte. Leicht wie schimmernde Luft, graziös wie fließendes Wasser wellte es sich auf dem staubigen Holz.
Der Junge sah wortlos auf Severus herab, mit diesen verblüffend grünen Augen, tief wie smaragdene Ozeane…
Und noch im selben schwachen und zittrigen Herzschlag, im selben stechenden Atemzug wurde es Severus bewusst, schlagartig:
Potter war keine Halluzination.
Nein. Das konnte er nicht sein. Niemals...
Dazu wirkte er einfach viel zu real… der Blick seiner Augen viel, viel zu intensiv…
Der Junge war … wirklich … Natürlich war er das … Er hatte die Schlacht verlassen … die Hütte aufgesucht … um sich dem Dunklen Lord … entgegen zu stellen … um Nagini, den letzten Horkrux … zu zerstören … Doch Voldemort hatte sein abgeschiedenes Versteck … schon wieder verlassen … und dann … dann war Potter zu ihm gekommen. Zu Severus.
Ein unglaublicher Schwall der Erleichterung, fast so stark und unaufhaltsam wie der des Bluts, das aus seinen Wunden rauschte, durchströmte Severus plötzlich, als er in seinem betäubten Gehirn allmählich wirklich begriff, wen er da vor sich hatte. Seine schrecklichsten, seine allerschlimmsten Leiden, jene Qualen, die viel grauenvoller waren als jeder körperliche Schmerz, wurden wie in einem befreienden Windhauch augenblicklich hinfort geweht.
Ja, obwohl Severus im Sterben lag, obwohl ein heftiges, krampfartiges Zittern seinen schwachen Körper eiskalt durchzuckte, das im grausamen Kontrast zum brennend heißen Pochen in seinem zerfetzten Hals stand, trotz allem konnte Severus sich nicht erinnern, je so wunderbar erleichtert gewesen zu sein wie in diesem Moment.
…Und auf keinen Fall hatte ihn jemals zuvor beim Anblick von Potter ein so intensiver Strom der Gefühle ergriffen, wärmend statt getränkt in eisigen Hass. Doch nun sah der Junge ihn mit einem geradezu schmerzlich bekannten Schimmern in den strahlend grünen Augen an.
Und Severus konnte bloß unverwandt zurück starren, wie magisch gebannt von jenem vertrauten Blick. Er benötigte den winzigen Bruchteil einer Sekunde, bevor er begriff, was dieser smaragdene Glanz bedeutete, und woher er ihn kannte.
Es war Mitleid; Mitleid lag in Potters Augen, wahres, aufrichtiges Mitleid für den Mann, der zu seinen Füßen schmerzerfüllt und schwach am Boden lag, dessen unaufhaltsam blutende Wunden zu tief waren und nie mehr heilen würden. Durch den klirrend kalten Schleier all des schrecklichen, verzweifelten Hasses, den er auf Dumbledores Mörder empfand hindurch, dennoch ein zögerlicher, unsicherer, glimmender Funken dieses sanften Gefühls für Severus.
Und Severus meinte über das sirrende Flimmern hinweg, das seine Sicht verhüllte, in diesen vertrauten Augen auf einmal einen flüchtigen Schatten jenes Blickes, jenes liebevollen Blickes zu erkennen, mit dem ihn Lily so oft beschenkt hatte, damals, als noch nicht alles verloren war, vor vielen, vielen Jahren, als sie die besten Freunde waren…
Doch dieser Junge, dieser junge Mann, dessen Haut im Halbdunkel wächsern und durchscheinend schimmerte, dessen Gesicht verklebt war von geronnenem Blut, dessen mattschwarzer Zaubererumhang zerfetzt und aschverschmiert war, er war nicht Lily.
Er war auch nicht James.
Ebenso wenig war er bloß der Dorn, der Severus´ Vergangenheit wieder und wieder aufs Neue so schmerzhaft aufriss, er war nicht bloß der Sohn, für den seine Mutter gestorben war.
Er war Harry.
Harry, der trotz all dem zu dem einsam in der kühlen Dunkelheit verblutenden Severus gekommen war. Harry, in dessen Blick, über all die widersprüchlichen Gefühle hinweg, die hinter den Vorhängen seiner Augen tobten, doch eine gewisse Sachtheit lag, anstatt dass er Severus hasserfüllt den letzten Todesstoß versetzte.
Harry, einfach nur Harry, und doch erkannte Severus in diesem seltsamen Moment, zum ersten Mal in seinem Leben, etwas von Lily in ihm.
Und als könnte jener Augenblick noch merkwürdiger werden, regte sich nun urplötzlich ein fremdartiges Gefühl tief ihn Severus, dass er vollkommen verblüfft als eine jäh aufkeimende Woge der Zuneigung entpuppte.
Zuneigung für Harry, einem Jungen, dem er bisher nichts als eiskalten Hass entgegen gebracht hatte.
Für Harry, den einzigen Menschen, der in seinem Tod bei ihm war.
Harry, der ihm auf einmal der letzte Mensch der Welt schien, auf den er jemals seinen Selbsthass projizieren könnte.
Harry, das Kind, das durch Severus seine Eltern verloren hatte.
Harry, der sich selbst opfern würde für die Menschen, die er liebte, genau wie seine Mutter es einst getan hatte…
Severus überkam plötzlich der heftige, schmerzliche Wunsch, mit Lilys Sohn so viel anders gemacht zu haben, jetzt, wo alles zu spät war. Das dringliche Verlangen, dem Jungen so viel zu sagen, so viel, dass es gar nicht in Worte zu fassen war, doch das Blut war nun als warmer, metallischer Schwall in seinen tauben Mund vorgedrungen und ihm gelang es nicht, es hinunter zu würgen, allein dazu war sein geschundener Körper bereits zu schwach.
Aber er musste … Harry etwas sagen … er musste … er musste es um jeden Preis ... es war so wichtig … damit die Zaubererwelt … irgendwann … Freiheit und Frieden erlangen konnte …
Doch die Zeit rann Severus in zuckenden, eiskalten Schwallen davon – Er spürte, wie das Leben ihn unaufhaltsam, rasend schnell verließ â€“ das Flimmern vor seinen Augen wurde mit jeder Millisekunde stärker und stärker, die düstere Umgebung verschwamm allmählich, löste sich in wabernden Schlieren auf, und in seinen Ohren begann es durchdringend und bohrend zu klingeln – Wie sollte er dem Jungen bloß alles erklären, bevor er – aber… ja……
Severus konnte Harry all das … was er ihm … mitteilen musste ... nicht mehr sagen…
Aber er konnte es ihm … zeigen…
Langsam öffnete er den zitternden Mund und versuchte, mit seiner blutbenetzten Zunge Wörter zu bilden, doch es drang nur ein ersticktes Krächzen aus seiner Kehle, das messerscharf in seine Wunden stach. Harry beugte sich hastig zu ihm herunter, um ihn zu verstehen, und Severus löste die starren Finger von seinem blutenden Hals und griff unbeholfen nach dem Kragen von Harrys Umhang. Mit aller Kraft, die er aufbieten konnte, krallte er sich am rußverschmierten Stoff fest und zog den Jungen näher zu sich heran.
Und endlich gelang es ihm, die Wörter zu formen, auch wenn seine Stimme nicht mehr als ein rasselndes, nicht mehr wieder zu erkennendes Gurgeln war und seinen Hals mit jeder Silbe ein Atem raubender Schmerz durchstieß:
„Nimm … es … nimm … es …“
Es war schwierig für Severus, in den See seiner Erinnerungen einzutauchen, wenn ihn das brennende Pochen in seinem blutüberströmten Hals so grausam in der Gegenwart gefangen hielt, nur ein wenig betäubt von seiner elendigen Schwäche.
Harry starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, sein bleiches, verblüfftes, irritiertes Gesicht bloß eine Handbreit von dem Severus´ entfernt, und Severus konzentrierte sich mit all seiner Kraft auf Vergangenes, sein Kopf begann hämmernd zu pulsieren und schließlich war es, als hätte er einen steinernen Wall in seinem Innern zerbrochen; die Erinnerungen strömten wie eine Flutwelle ihn in hinein, ein silbrigblauer, nebliger Vorhang legte sich plötzlich vor seine Augen.
Das erste Bild einer Erinnerung flammte nun jäh in diesem Nebel auf, das durchscheinend und fahl, doch wie gestochen scharf aus dem wabernden Dunst hervor stach…
Ein finsterer, schlauchartiger Raum, nur schwach erhellt von wenigen giftgrün lodernden Fackeln, die ihren gespenstischen Schein an die steinernen, verwitternden Wände warfen...
Severus´ ersticktes Keuchen hallte durch die Dunkelheit und in seinem Kopf wieder, das nicht von den Schmerzen zeugte, die er gegenwärtig erlitt, sondern jenen, die ihm Jahre zuvor, viele Jahre zuvor zugefügt wurden… Dort, in der Mitte des Raums, stand sein weitaus jüngeres Selbst, fast noch ein Schüler, sein fahles, versteinertes Gesicht eine mühsam beherrschte, in grünes Licht getauchte Maske. Er streckte seinen linken, entblößten Arm einer knochenbleichen, in einen langen, nachtschwarzen Umhang gehüllten Gestalt entgegen, die ihn mit einer skelettartigen Hand in eisernem Griff hielt. Die blutroten Augen fest auf Severus´ Arm gerichtet, ein kaltes Lächeln kräuselte seinen lippenlosen Mund, fuhr Lord Voldemort mit dem Zauberstab in seiner anderen Hand über die Haut seines angehenden Todessers. Die glimmende Spitze des Stabs hinterließ eine verbrannte Spur auf Severus´ Unterarm, die allmählich eine Schlange formte, die sich aus einem Totenkopf wand…
Nein… Nein… Das war nicht das, was er Harry zeigen wollte … und das wollte Severus nicht sehen… Er wollte nicht jetzt, in seinem Tod, den größten Fehler seines Lebens so grausam scharf vor sich erblicken müssen… Und nichts wollte er aus der dunklen Zeit sehen, die darauf folgte … er wollte nicht in diesem Moment von brennenden Schuldgefühlen über all das erfasst werden, was er in seinem Leben so schrecklich falsches getan hatte… Und wie auf seinen flehenden Befehl bin löste sich der finstere Kellerraum augenblicklich auf, ein neues Bild erstand…
Ein kleiner, magerer, schwarzhaariger Junge saß auf einem mottenzerfressenen Bett in einem düsteren, engen, kühlen Raum und Tränen rannen aus seinen großen, dunklen Augen über sein blasses Gesicht… Durch die verschlossene Tür drang ohrenbetäubend das wutentbrannte Brüllen seines Vaters und ganz leise das verzweifelte, resignierte Schluchzen seiner Mutter hinein… Sein Vater hatte das Kind in rasendem Zorn in sein Zimmer geschliffen und dort eingeschlossen, nachdem es im Streit der Eltern dazwischen gegangen war, sich mutig auf die Seite seiner eingeschüchterten, zitternden, weinenden Mutter gestellt hatte…
Nein … Das war ebenfalls falsch … falsch… Das kleine Kind in seinem schäbigen Zimmer löste sich im Nebel auf und ein anderes Bild formte sich im silbrigen Dunst…
Ein unterirdischer Kerker, erfüllt von den wabernder Dämpfen zahlloser Zaubertränke, die in den bleiernen Kesseln konzentriert rührender, häckselnder und mahlender Schülern brodelten…
Ein Kind hockte eingeschüchtert auf seinem Platz, sah mit geröteten Wangen, bebenden Lippen und weit aufgerissenen braunen Augen durch den gelblichen Dampfschleier, der aus seinem Kessel emporstieg (ein überdeutlicher Kontrast zu den blaugrünen Dunstschwaden, die die Tränke all der anderen Schüler umhüllten) zu seinem Lehrer hoch...
Der Junge war nicht Severus. Dieses rundgesichtige Kind mit dem schokoladenbraunen Haar war Neville Longbottom. Ein Gryffindor, der nicht Auserwählte Voldemorts, der Zweite der Prophezeiung.
Severus selbst war in dieser Erinnerung bereits ein erwachsener Mann. Er war der Lehrer, vor dem Neville so ängstlich zurückschreckte. Bedrohlich hatte er sich über Longbottom aufgebaut, beide Hände auf den von Brandlöchern durchsetzten Tisch des Schülers gestützt, das blasse Gesicht nur Zentimeter von dem des verschüchterten Jungen entfernt, der zu zittern begonnen hatte und aussah, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.
Und ein spöttisches Funkeln glühte wie eine schwarze Flamme in Severus´ Augen, bitterer Hass war in seine Miene gemeißelt, während er Neville Longbottom vor der ganzen Klasse wegen seines misslungenen Zaubertranks verhöhnte...
Nein ... das war immer noch nicht ... die richtige Erinnerung... Nicht das, was er Harry zeigen wollte... Und auch diese Szene ... wollte er sich ... in dem Augenblick nicht anschauen... Nein, Severus wollte sich selbst nicht so sehen...
Völlig irritiert spürte er urplötzlich ein ganz und gar fremdartiges Schuldgefühl heftig in sich aufsteigen, in jenem Wimpernschlag, da die Bilder aus dem Zaubertrankunterricht an ihm vorbeischossen; und warum riss es ihn auf einmal so schmerzhaft mit sich, obwohl doch das letzte lebensspendende Blut, das noch in ihm war, in einem schrecklich stechenden Ziehen heiß aus seiner Kehle rauschte ... womöglich in einigen wenigen Momenten alles vorbei wäre?
Vielleicht ... gerade ... deshalb...
In einer jähen Epiphanie, die in einem Augenblick lodernd in seinem Gehirn aufflammte und noch im selben Moment schon wieder von seinem grausamen Schmerz, dem rasenden Strom der Vergangenheit verzehrt wurde, jedoch ohne ihn wirklich loszulassen, erfasste Severus wie ein heftiger Schlag dieses schlechte Gewissen für etwas, das er nie zuvor bedauert hatte … jetzt, da seine Fehler wie ein grausamer Film unaufhaltsam an ihm vorbei zu ziehen schienen...
Jahre um Jahre hatte er in einem dunklen Gefängnis aus Gewissenslast über Vergangenes gelebt, über die ganze Schuld, die er als Todesser auf sich geladen hatte, über das, was er Lily angetan hatte... Doch in all der Reue, in all dem verzweifelten Bemühen, all das irgendwie wieder gut zu machen, hatte er sich nie von der Vergangenheit losreißen könne, die ihn in ihren grausamen Klauen gefangen hielt...
Und er hatte seinen schrecklichen Selbsthass an anderen ausgelassen, und er war grauenvoll zu jedem gewesen, der nur irgendetwas mit seiner Vergangenheit zu tun hatte, ob dieser Mensch dafür nun etwas konnte oder auch nicht...
Und was ihm all die Jahre stets eine bittere Genugtuung bereitet hatte, empfand Severus jetzt, in diesem Moment der seltsamer nicht mehr werden konnte, als so falsch von sich...falsch...
Der von dunstenen Schlieren verhangene Kerker war vor seinen Augen verschwommen, die nächste Erinnerung hatte sich bereits im Nebel geformt...
Ein in tiefblauer Nacht da liegender, kreisrunder Raum, in das flackernde Licht eines sechszackigen Kerzenständers getaucht, der auf einem hölzernen Schreibtisch brannte...
Hinter dem Schreibtisch stand ein hoher, thronartiger Stuhl, auf dem eine schlaffe Gestalt seitlich zusammengesackt war. Die sonst so lebhaft funkelnden Augen in dem faltenübersäten, von einer schimmernden Welle silbernen Haars umwogten Gesicht des alten Zauberers waren kaum geöffnet, trübe, er atmete unregelmäßig und flach. Zur rechten Seite des halb ohnmächtigen Albus Dumbledores stand ein erwachsener, fast vierzig Jahre alter Severus, ein gehetzter, angespannter und besorgter Ausdruck lag in seinen dunklen Augen. Er richtete seinen Zauberstab auf die geschwärzte, verbrannte, vertrocknet und tot anmutende Hand des Schulleiters, die regungslos über die Stuhllehne herabhing, murmelte unentwegt komplizierte Beschwörungen; gleichzeitig träufelte er Dumbledore mit der anderen Hand einen dickflüssigen goldenen Trank aus einem bronzen schimmernden Kelch in den leicht geöffneten Mund...
Ja... Ja…! Das … war … richtig …! Diese Erinnerung … gehörte zu dem … was Severus … Harry zeigen wollte…! Daran ... musste er ... festhalten ... mit aller …… Kraft...
Und er konzentrierte sich, das Bild des vertrauten Schulleiterbüros fest vor seinen Augen, in nunmehr schneidend schmerzhafter Intensität auf all das, was Dumbledore und er einst Bedeutsames besprochen hatten, all das, wofür nun die Zeit gekommen war, dass Harry es ebenfalls erfuhr... Wie ein in rasender Geschwindigkeit vorgespulter Film durchflutete Severus nun, so als hätte er jetzt plötzlich die einzig richtige Leitung angezapft, jäh ein gewaltiger Strom des Vergangenen, unaufhaltsam schnell...
Und er spürte, wie die Erinnerungen, im selben Moment, in dem sie in seinem schwirrenden Kopf Gestalt annahmen, in einem kühlen, fließendem Strom aus ihm hervor brachen, eine sprudelnde Substanz irgendwo zwischen Gas und Flüssigkeit sickerten sie aus seinem bluterfüllten Mund - seinen Ohren - seinen Augen -
Ein silbrigblauer Schleier vernebelte seinen Blick, doch anders als der silberne Gedankennebel, der ihn umhüllte; stofflich, wirklich, wie schimmerndes Eis -
Jener kreisrunde Raum, sonnendurchflutet, in den stahlgrauen Schein der Dämmerung getaucht, von glutrotem Abendlicht erfüllt... Himmelblaue, tiefe Augen, sich ernst und eindringlich bohrend in nachtschwarze, kühle, i
n denen ein interessierter, ein gespannter, ein angespannter, ein irritierter, ein zorniger Ausdruck lag...Ein monotoner Schwall stets der zwei selben Stimmen schwoll in Severus´ betäubten Kopf an, Stimmen, die von der untereinander abgesprochenen Tötung eines kranken Mannes redeten, Stimmen, die Harry wieder Vertrauen in seinen Zaubertranklehrer schenken sollten … Stimmen, die über das grausame, unausweichliche Schicksal des Jungen sprachen ... und denen Harry nun glauben, die er nicht anzweifeln würde...
Stimmen, die so schnell vorüber zogen, verklangen und wieder neu entsprangen, dass Severus keine klaren Worte erreichten, und die Welt bestand nur noch aus seinem blassen Gesicht, dem uralten, faltenzerfurchten Dumbledores, rhythmischem Zucken, klebrigem Blut und ziehendem, pumpenden Schmerz...
Dumbledore - er selbst - Dumbledore, die Augen in tieftrauriger Erschöpfung geschlossen - die marmorne, in lange Schatten getauchte Eingangshalle von Hogwarts - er selbst, entsetzt und mühsam um Fassung ringend - abermals Severus, doch unverkennbar mehrere Jahre jünger, die Wut stand ihm lodernd in sein schmales Gesicht geschrieben, während er aufgebracht im Schulleiterbüro vor Dumbledore auf- und abschritt, der in unerschütterlicher Ruhe ein Buch las - wieder Dumbledore, doch auf jenem jäh aufflammenden Bild war er nicht mehr als ein in einen goldenen, prächtig verschnörkelten Rahmen eingefasstes Ölgemälde, das in eindringlichem Ernst zu Severus aufsah -
Und die Szenen zogen so rasend schnell an ihm vorüber, und er war so pochend schmerzhaft über all seine Qualen hinweg auf Gespräche zwischen sich und Dumbledore konzentriert, auf das, was seine wahre Treue offenbarte, auf das, was Harry tun musste, dass Severus nicht wusste, welche der Erinnerungen, die aus seinem ausgelaugten Körper hinaus flossen, tatsächlich solche waren, die er Harry zeigen wollte, und welche nicht -
All diese Erinnerungen, in denen Severus ohne einen Anflug von Schmerzen sprach, in denen er ohne einen Hauch der Anstrengung Schritte tat, in denen er kraftvoll Magie aus seinem Zauberstab strömen ließ, in denen er wütend seine Meinung sagte oder auch resigniert zustimmte - so banale, ja so selbstverständliche Dinge ... Dinge, die er niemals mehr tun könnte, verließ ihn doch das Leben so erbarmungslos schnell, erfasste ihn doch das eiskalte Zittern und Zucken mit jeder Millisekunde heftiger.
Bereits nach einigen Sekunden versiegte der Strom der Vergangenheit wieder, in dem strahlenden Schein einer lichtenen Hirschkuh, die aus der Spitze von Severus´ Zauberstab hervorbrach und in anmutigen Sprüngen durch das kreisrunde Schulleiterbüro setzte, bevor sie aus dem offenen Fenster hinaus in den metallgrauen Abendhimmel rauschte.
Doch als das letzte Bild verblasste, als der wirbelnde Nebel vor seinen Augen bereits begann, sich in silbrigen Schlieren aufzulösen, da wurde Severus in seinem entkräfteten Gehirn schlagartig bewusst, er war noch nicht bereit, sich von den Szenen der Vergangenheit zu lösen.
Dort lag er im klebrigen See seines eigenen Blutes, in ein Wechselbad aus fiebriger Hitze und jener eisigen Kälte getaucht, die den brennenden Schmerz mehr und mehr betäubte, doch ihm dafür gierig das Leben stahl; und er hätte sich selbst einreden können, er hätte sich selbst einreden können, er würde bloß noch tiefer in den Nebel der Erinnerungen vordringen, um ganz sicher zu sein, dass Harry ihm auf jeden Fall vollends vertraute... Wenn Severus seine ... wahren Motive … offen legte ... dann würde der Junge gewiss nicht an dem … was er ihm zeigte … zweifeln... Nein...
Aber im Grunde wusste Severus, er wollte doch bloß, dass Harry ihn verstand. Dass Harry womöglich gar ein klein wenig Verständnis für ihn aufbringen würde.
…Dass er ihm vielleicht sogar irgendwann auf irgendeine Weise verzeihen konnte…
Und alles in ihm schrie flehentlich danach, in jene Erinnerungen einzutauchen, nun, da er in zitternder Taubheit spürte, die letzten Augenblicke seines Lebens hatten begonnen.
War es deshalb so unglaublich und erleichternd einfach?
Es erforderte nicht den leisesten Hauch von Anstrengung; sowie Severus es zuließ, wurde er sofort von einer überwältigenden Welle der Szenen seiner Vergangenheit mitgerissen, so als hätten diese Erinnerungen die ganze Zeit nur sehnsüchtigst auf ihn gewartet......
Ein im warmen Licht der gleißenden Mittagssonne daliegender Kinderspielplatz, umgrenzt von hohen, knorrigen Bäumen und dichten, blühenden Büschen...
In der Mitte des kleinen Platzes stand eine hölzerne Schaukel, auf der zwei Mädchen kichernd und ausgelassen vor und zurück schwangen. Das dunkelrote Haar des kleineren Mädchens schimmerte im Sonnenlicht, ihre verblüffend grünen Augen leuchteten amüsiert, als Lily höher und höher schwang, viel schneller als ihre hagere Schwester, die ihr von der Seite her empörte, beunruhigte, neidische Blicke zuwarf...
Severus versuchte diese Erinnerung verzweifelt festzukrallen, er wollte sie an sich reißen, er wollte sie niemals mehr loslassen - doch rasend schnell entglitt ihm diese Szene auch schon wieder und er konnte sie nicht halten; sie verblasste in jenem Wimpernschlag, in dem seinem weitaus jüngeren Selbst Lily entschwand, nachdem der bleiche, magere, offensichtlich heruntergekommen erscheinende Junge in diesem unaufhaltsamen Film plötzlich aus den sattgrünen Büschen am Spielplatzrand aufgetaucht war und aufgeregt verkündet hatte, das Mädchen sei eine Hexe...
Das nächste Bild formte sich im schimmernden Nebel...
Der Schlosshof von Hogwarts, eine vertraute Welt aus stahlgrauem Marmorstein, verlassen und still in den frühen Abendstunden...
Die einige Jahre ältere, jugendliche Lily schlenderte gemeinsam mit Severus über den Hof, ein hübsches, selbstbewusstes Mädchen, offensichtlich im Streit mit ihrem Freund. Sie wirkte verärgert, funkelnder Zorn lag in ihrem Blick, während sie aufgebracht auf Severus einredete...
Doch selbst diese wütenden, diese glockenklaren Worte waren wie ein Lebenselixier für Severus, während sein Herz heftig stach, verzweifelt nach dem Blut flehend, das es doch durch seinen Körper pumpen musste, aber das es nicht erreichte...
Der Schulhof verschwamm im selben Moment, in dem er erschienen war, bereits wieder im wirbelnden Silber und eine andere Erinnerung erstand...
Die von tausenden und abertausenden golden flackernden Kerzen erhellte und voll besetzte Große Halle von Hogwarts, deren kuppelförmige Decke einen tiefblauen Abendhimmel widerspiegelte...
Eine große Gruppe von aufgeregten Erstklässlern lugte in der Nähe des Lehrertisches an der Stirnseite der Halle hinter einer viel jüngeren Professor McGonagall hervor, die ein langes Pergament in den Händen hielt und davon ablas. Die Kinder sahen gebannt zu, wie ein junges Mädchen mit schimmernd dunkelrotem Haar auf zitternden Beinen aus der Gruppe hervortrat und sich zögernd einem kleinen Holzschemel näherte, auf dem ein alter, knittriger, zerschlissener Spitzhut thronte...Ein überwältigendes Gefühl hatte Severus erfasst, während er all diese Erinnerungen sah, und ließ ihn nicht mehr los; war es, nur leicht gedämpft von Bedauern und stechenden Schuldgefühlen, wehmütiges Glück?
Viel zu schnell löste sich die Große Halle in nebligen Schlieren auf und neue Bilder zogen an Severus vorüber...
Der von flockigem Dampf verhangene Bahnsteig neundreiviertel, voll mit aufgeregt plappernden Hogwartsschülern, kreischenden Eulen und beeindruckten Muggeleltern... Lily stand vor der im weißen Dampfnebel verschwommenen Silhouette des scharlachroten Hogwarts-Express und sprach aufgeregt, flehentlich mit ihrer hageren, blassäugigen Schwester -
Im Inneren der ratternden Lokomotive, in einem gemütlich wirkenden Abteil, an dessen großen Fenstern die frühherbstliche Hügellandschaft wie ein grasgrünes, feuerrotes und erdbraunes Mosaik vorbeizog...
Lily hatte den Kopf gegen das kühle Glas gelehnt und sah betrübt hinaus, Tränen glitzerten in ihren smaragdfarbenen Augen -
Der sonnenbeschienene Wiesengrund von Hogwarts, über den eine haushohe, mächtige Buche ihre langen Schatten warf, von den schwatzenden Stimmen erleichterter Schüler erfüllt, die gerade ihre letzten ZAG-Prüfungen hinter sich hatten...
Zwei ruppige Jungen näherten sich, lachend und spottend, wie ein Paar angriffslustiger Hyänen Severus, der, ein blässlicher Teenager, gedankenverloren im hohen Gras gesessen hatte und noch immer in seinen Prüfungsbogen vertieft gewesen war… Doch nun, da er Potter und Black erblickte, fuhr Severus abrupt auf, zog augenblicklich seinen Zauberstab -
Nein... Severus wusste nur zu genau, wie diese Szene weiterging, und er wollte es sich nicht ansehen müssen, nicht jetzt, nicht in seinem Tod... Er wollte ... Lily ... nur Lily…
Und wie auf sein heftiges Verlangen hin verschwamm das spätsommerliche Hogwarts-Gelände im Silber und die nächste Erinnerung formte sich im Nebel…
Ein nächtlicher, schattenerfüllter Korridor, an dessen von der Finsternis fast verschlucktem Ende ein kunstvoll gemaltes Portrait einer dicken, tief schlafenden Frau prangte...
Lily, die einen blass orangefarbenen Morgenrock trug, hatte sich mit verschränkten Armen vor dem Gemälde aufgebaut, das den Eingang zum Turm der Gryffindors bewachte; kalte, abweisende Wut stand in jeden feinen Zug ihres zarten Gesichts geschrieben, ihre Augen loderten wie Eisflammen -
Nein... nein, nein, nein, nein…!
Das … wollte Severus auch … nicht sehen … nicht…!
…Denn das Allerschlimmste für ihn an dem jäh aufflammendem Bild war es, genau zu wissen, er hatte diese ganze Kälte in Lilys Blick verdient, mehr als nur verdient, tausendfach verdient…
Seine verzweifelte Bestürzung erfasste ihn in jenem Wimpernschlag lodernder als all sein körperlicher Schmerz … als all der brennende Schmerz in seinen tödlichen Wunden, der in der zuckenden Eiseskälte, die seinen gesamten Körper wie eine Salve aus Stromstößen durchfuhr, nun fast bereits auf irgendeine Weise an die Grenze des irgendwie erträglichen abgeklungen war… tatsächlich allmählich beinahe, beinahe schon einem gewöhnlichen, einem vorstellbaren Schmerz glich…
Jene Bestürzung in Severus verwandelte sich in eine neuen, unaufhaltsam schnell vorüber ziehenden Strom der Erinnerungen...
Ein sturmgepeitschter Hügel, der in die Dunkelheit einer kalten, sternenlosen Nacht aufragte...
Severus, ein junger, in einen wehenden schwarzen Umhang und einen langen Reisemantel gehüllter Mann, stierte furchtsam, angespannt in die Finsternis - Ein blendend heller, strahlend weißer Lichtblitz teilte das dunkle Firmament -
Das vertraute runde Schulleiterbüro, erfüllt von schrecklichen, leidgetränkten, markerschütternden Schluchzern, die von den gewölbten Wänden widerhallten...
Severus, jener junge Mann, saß vornübergesunken auf einem Stuhl, von frischer, unfassbarer Trauer und grausamem Schock über den Tod seiner größten und einzigen Liebe überwältigt, die bebenden Hände auf das tränenverschmierte Gesicht gepresst -
Und dann ein Raum so wüst und staubig wie die Heulende Hütte, vom Licht der aufgehenden Sonne, das durch die trüben Fenster sickerte, in einen blassgelben Schein getaucht...
Severus kniete auf dem hölzernen Boden und erneut rannen die Tränen leise über sein blasses Gesicht, als er einen Brief las, den Lily kurz vor ihrem Tod, vor mehr als sechzehn Jahren, an ihren Freund Sirius geschrieben hatte...
Und selbst jetzt, gerade jetzt, im Augenblick seines Todes, verspürte Severus diese Trauer, diese Sehnsucht, die ein so großer Teil von ihm geworden war, ungemindert heftig, über all den pochendem Schmerz und die benebelnde Schwäche hinweg saß sie bohrend in seinem langsam aufgebenden Herzen...
Und die wundervolle Frage, die schon leise und schwach am Rande seines gequälten Bewusstseins klopfte, seit er begriffen hatte, dass er starb, erfüllte ihn auf einmal stark und hoffnungsvoll:
Würde er Lily bald wieder sehen?
Gedanken an den Spiegel Nerhegeb und an Christopher Morgans verblüffendes Tagebuch durchschossen ihn, und Sirius Blacks altes Schlafzimmer wurde vom silbrigen Nebel verschluckt; die nächste Erinnerung erstand...
Ein mittsommerlicher Laubwald, die sattgrünen Blätter der hohen Bäume wehten sanft im lauen Wind, Vogelgezwitscher erfüllte die warme Luft und ein im Sonnenlicht glitzernder Fluss schlängelte sich plätschernd zwischen den moosbedeckten Stämmen hindurch...
Am Ufer des Flusses, im Schatten einer mächtigen Trauerweide, saßen sich zwei Kinder gegenüber, mit überkreuzten Beinen ins trockene Gras gelümmelt.
Der Junge hatte lange, pechschwarze Haare, ebenso schwarze Augen und trug eine kurze, abgetragene Jeans und ein kittelartiges Hemd. Begeisterung und Stolz standen in sein blasses Gesicht geschrieben, während er dem Mädchen unablässig und aufgeregt etwas erzählte. Dem Mädchen mit den zarten Gesichtszügen, den smaragdgrünen, freundlichen Augen und dem dunkelroten Haar. Interessiert lauschte sie, sie hatte den Kopf leicht schräg gelegt und betrachtete den Jungen im tänzelnden Schein des grünlichen Dämmerlichts, ein glückliches, erwartungsvolles Lächeln umspielte ihre Lippen…
Und auf einmal, im Bann dieser wunderschönen Erinnerung, da durchströmte Severus ein überwältigend warmes, mitreißend heftiges Gefühl, das etwas seltsam Erleichterndes und Befreiendes an sich hatte und im Tod etwas sehr Tröstliches.
Er wusste - es war vollkommen klar, vollkommen offensichtlich - allein schon für jenen so weit zurückliegenden und doch so nahen Moment hatte es sich gelohnt, zu leben.
Doch Severus konnte die Erinnerung nicht halten, auch wenn er alles dafür gegeben hätte. Lily entschwand ihm, die Szene glitt ihm davon, verblasste in den Tiefen des schimmernden Silberwirbels, und mit ihr verebbte schließlich der Strom der Vergangenheit, nach einigen langen Augenblicken, die ihm wie viele schöne und schreckliche Jahre vorgekommen waren. Der Schleier silbrigen Nebels vor seinen Augen löste sich in glimmenden Schlieren auf, verschwand, als sei er nie da gewesen.
Abermals sprudelte das kühle Silber aus seinen Ohren, seinem Mund, seinen Augen, eine mächtige Welle all der Erinnerungen, die er verzweifelt versucht hatte festzuhalten, doch die ihn nun endgültig verließen, um von Harry empfangen zu werden.
Und als die silbrige Gedankensubstanz in diesem überwältigenden, kalten, heftigen Schwall unaufhaltsam wie sein Blut aus Severus hinausrauschte, in jenem Moment geschah etwas Wunderbares.
All sein Schmerz verschwand augenblicklich.
Das lodernde Brennen, Ziehen und Pochen in Severus´ tief klaffenden Wunden war auf einmal wie von einem plötzlichen Windstoß weggeblasen, als sei es nie so quälend intensiv und Atem abschnürend da gewesen, als hätte Voldemorts Schlange nie ihre langen, säbelartigen Zähne tief in seinen Hals geschlagen.
Er hätte vor schier unendlicher, unvorstellbarer, wahnsinniger Erleichterung laut aufgeschrieen, hätte er noch die Kraft dazu besessen.
Doch dafür ergriff nun eine nie da gewesene Taubheit, eine nie da gewesene Schwäche jäh von Severus Besitz, er spürte leise, wie seine erstarrenden Hände ihren Griff um den rußverschmierten Stoff von Harrys Umhang lockerten.
Und dann, im nächsten Augenblick, spürte er nichts mehr.
Er konnte die klebrige Lache seines Blutes nicht mehr warm an seiner Haut spüren, nicht mehr den rauen, harten Fußboden an seinen offenen, schrecklichen Wunden, nicht mehr die modrige Kühle der finsteren Hütte in seinem betäubten Gesicht, er spürte auch nicht, wie Harrys weiche Hand zögernd die seine ergriff, ja, er konnte nicht sagen, dass er überhaupt seinen Körper noch spürte.
Es war ein merkwürdiges, ein wenig beängstigendes Gefühl und doch ein seltsam befreiendes, als würde Severus schweben, so leicht wie ein Blatt, das vom Wind fort getragen wurde.
Das Silber, das aus seinen Augen sprudelte, versiegte, doch kein klares Bild seiner Umgebung kehrte zu ihm zurück. Nein, alles um ihn herum war verschwommen und schemenhaft, wie neblige Formen in einer Kristallkugel.
Er sah eine silhouettenartige Gestalt, die sich über ihn beugte, doch er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Nur ihre wunderschönen, ihre verblüffend grünen Augen, die stachen klar wie schimmernde Smaragde aus dem Nebel hervor, wie sie so intensiv auf Severus herab schauten.
Und die wundervolle Erkenntnis traf ihn wie ein euphorischer Schlag.
Gewiss, etwas in Severus wisperte ihm leise zu, er wüsste es besser, er wüsste doch, wer diese Gestalt, die über ihm aufragte, in Wahrheit war, er wüsste, dass es nicht sie war.
Doch sehnstliche Wünsche und dieses fremdartige Gefühl, das ihn jetzt umfing, ein Gefühl ein wenig wie der merkwürdige, einzigartige Augenblick kurz vor dem Einschlafen, irgendwo zwischen Vergessen und federleichter Freiheit, ertränkten diese Zweifel.
Natürlich, oh natürlich war es Lily! Lily, die nun gekommen war, um ihn zu sich zu holen!
Dort stand sie vor ihm, in greifbarer Nähe! Endlich sah er sie wieder, endlich!
Lily…!!
Doch nein - nein, was sollte das? Warum bloß schaute sie weg, warum schweifte ihr Blick unruhig, Hilfe suchend durch den Raum?
Sie sollte wieder zu ihm sehen, sie konnte ihn doch jetzt nicht allein lassen!
Severus kostete es eine größere, eine unvorstellbar heftigere Anstrengung denn je, zu sprechen, in jenem Moment, in dem sein Körper bereits so weit weg von ihm zu sein schien, meterweit entfernt. Doch schließlich vernahm er wie von weit her ein krächzendes, verzweifelt flehendes Wispern, das wohl aus seinem Mund drang:
"Sieh ... mich ... an ..."
Erleichtert sah er, wie Lily den Blick wieder ihm zuwandte.
Und Severus verlor sich in den schönsten Augen, die es auf der Welt geben musste, während er sich selbst allmählich entschwebte, während sein resigniertes Herz den letzten schwachen, zittrigen Schlag machte, von dem er nichts mehr spürte…
Jetzt befand er sich auf einmal nicht länger in einem düsteren, staubigen Raum, sondern in einem schier endlosen Meer aus strahlendem Gold, und diese vertrauten, grünen Augen, die auf ihn herab blickten, waren wie ein Leuchtturm, der ihm den Weg durch den schimmernden Ozean wies.
Dann waren es keine Augen mehr, sondern ein smaragdgrünes, glühend helles Lichtportal, auf das Severus langsam zuschwebte, ein Portal, das er, wie er wusste, nun beschreiten musste … das er beschreiten musste, um endlich wieder zu Lily zu gelangen…
Und schwerelos glitt er hinein in das gleißende Licht.
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...Ja, jetzt ist Severus tot :(
Hoffe, euch hat das Ende gefallen :) :)
Ich würde mich wirklich seeehr über Kommentare, Feedback und Kritik freuen, beim Abschluss der Geschichte ist mir das sehr wichtig :)
OK, es ist noch nicht vorbei, es folgt noch der Epilog, der (wie ihr euch sicher denken könnt) im Jenseits spielt ;)
Ich werde ihn nun schreiben ;)
LG
Eure
Luna <333
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