von terese
Ein Brief von Mrs. Snape
Lucy, die alte Schleiereule, die Mrs Eileen Snape und ihrem Sohn Severus gehörte, nahm es mit ihren Pflichten als Posteule sehr ernst und flog auch bei Regenwetter. An einem verregneten Septembermorgen landete sie mit einer toten Maus in den Krallen und einem Brief, der an ihr rechtes Bein gebunden war, tropfnass auf dem Frühstückstisch der Gryffindors. "Friss deine verflixte Maus woanders, Lucy!" kreischte Mary, die Freundin von Lily Evans, als sie sah, was die Eule da hereinschleppte, und ergriff zusammen mit ein paar anderen Mädchen die Flucht. Lily band den Brief vom Bein der Eule los, nahm Lucy samt ihrer Maus um die Mitte und rannte mit ihr ins Freie, wo sie die Eule in die Luft warf. Lucy segelte auf die oberste Stufe von Hagrids Hütte, wo sie vor dem Regen sicher war, fauchte ein paar neugierige Tauben an, die dort herumlungerten und begann, ihre Beute zu zerteilen.
Lily ging zum Frühstückstisch und dem Brief zurück. Wahrscheinlich hatte die alte Eulendame wieder einmal die Tische verwechselt und die Post für Severus versehentlich bei ihr abgeliefert. Aber als Lily den Absender und die Anschrift las, war sie nicht wenig erstaunt: Die Mutter ihres Freundes hatte wirklich an sie geschrieben, nicht an Severus? Was konnte Mrs Snape ihr wohl mitzuteilen haben? Lily hatte sich eigentlich immer gut mit ihr verstanden. Die Snapes wohnten in derselben Stadt wie Lilys Eltern, und Mrs Snape hatte sich darüber gefreut, dass Severus und sie so gute Freunde geworden waren. In den Sommerferien hatte sie Lilys Zauberstab so verhext, dass leichter Rauch aus ihm hochstieg, wenn man eine falsche Antwort auf eine Prüfungsfrage hinschrieb. Lily hatte den Zauber zwar nicht selbst ausprobieren können, weil Zaubern außerhalb von Hogwarts verboten war, aber sie hatte ihn sich genau gemerkt. Mrs Snape hatte gesagt, er würde nur eine gewisse Zeit anhalten. Die älteren Schüler brachten sich solche Zauber gegenseitig bei. Aber sie hielten sie vor den jüngeren geheim, und Lily war erst im zweiten Schuljahr.
Sie steckte den Brief in ihre Rocktasche und ging hinüber zum Tisch der Slytherins.
"Guten Morgen, Severus."
Severus Snape, um den herum sich die Plätze bereits geleert hatten, hielt einen Toast in der linken Hand, von dem Honig auf das Tischtuch tropfte. Sein rechter Zeigefinger fuhr eine verglasste Schrift in einer uralten Ausgabe von Zaubertränke brauen leicht gemacht entlang. Die Schrift war so schwer zu lesen, dass er mit der Nase fast die Seiten berührte. Bei Lilys Gruß schreckte er hoch. "Hallo, Lily."
"Du sollst nicht gleichzeitig lesen und essen." Sie nahm ihm die Toastscheibe aus der Hand und legte sie auf seinen Teller.
"Warum denn nicht?" knurrte Severus. "Ich bin letzte Nacht mit dem Buch eben nicht mehr ganz fertig geworden."
"Das soll heißen, du bist mal wieder darüber eingeschlafen." Lily hob das Buch hoch und klappte es zu. "Da, auf dem Einband sind lauter Honigflecken! Vergiss bloß nicht, die wegzuzaubern, bevor du das Buch zurückgibst, sonst wird dir Madam Pince etwas erzählen."
Severus lachte. "Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich über ein Bibliotheksbuch einen Zauberspruch gebe? Jeremy Harris hat neulich einen bei Quidditch - 1000 Tipps und Tricks versucht, weil ihm seine Teetasse daraufgefallen war, und dann fielen immer Buchstaben heraus, wenn er das Buch aufmachte. Madam Pince hat es natürlich sofort gemerkt. Jetzt darf Jeremy nicht mehr in die Bibliothek, und ich muss ihm immer seine Bücher besorgen." Er grinste. "Nein, ich sage einfach, dass ich es zuletzt dir geliehen habe, einverstanden?"
"Untersteh dich!" Lily schlug ihm das Buch auf den Kopf, legte es auf die Bank und setzte sich neben ihn. Sie zog den Brief aus ihrer Rocktasche und legte ihn auf en Tisch. "Hier, sieh dir das mal an."
Severus strich sich die langen schwarzen Haare mit beiden Händen nach hinten. Da sie ziemlich fettig waren und jetzt auch noch Sirup daraufgekommen war, standen sie nun in Strähnen von seinem Hinterkopf ab, so dass es aussah, als trüge er Stacheln. Er las die Anschrift und den Absender mehrmals und war nicht weniger erstaunt als Lily. "Seit wann schreibt meine Mutter denn an dich?" Er betrachtete den Brief so misstrauisch, als fürchte er, er könne sich jeden Augenblick in einen Heuler verwandeln.
Plötzlich kam Lily ein schrecklicher Gedanke. Ihre Mutter kannte Mrs Snape, denn diese hatte Lily manchmal nach Hause gebracht, wenn sie zu lange bei Severus gewesen und es draußen dunkel geworden war. Konnte es sein, dass sich die beiden Mütter getroffen und über sie gesprochen hatten? Wollte man ihrer Freundschaft etwas in den Weg legen? Ihre Mutter hatte in den Sommerferien oft geseufzt: "Lily, ich verstehe ja, dass du Severus gern besuchst, aber könntest du nicht wenigstens in den Ferien ab und zu bei uns bleiben?" Aber sie und Severus hatten doch diese Höhle am Fluss entdeckt ...
"Miss Evans, Master Snape, würden sie jetzt bitte den Tisch verlassen?" Das vorwurfsvolle Piepsen kam von einer kleinen Hauselfe in einer weißen Schürze, die den Slytherin-Frühstückstisch sauberzaubern wollte. Lily warf den Brief in ihre Schultasche, und Severus stopfte Zaubertränke brauen leicht gemacht in die seine. Dann rannten sie durch die Große Halle und den strömenden Regen hinüber zu Gewächshaus 14, wo eine Doppelstunde Kräuterkunde auf sie wartete.
Als sie am Nachmittag in der Großen Halle ihre Schultasche öffnete, um die Hausaufgaben zu machen, hörte Lily, dass es in der Tasche leise summte. Der Brief schwebte aus der Schultasche heraus und legte sich vor Lily auf den Tisch. Offenbar war er ungeduldig geworden und wollte jetzt endlich geöffnet werden. Aber Lily war vom Unterricht ziemlich erschöpft (in Kräuterkunde hatten sie zwei Stunden lang Feuersteinzwiebeln einpflanzen müssen, die eine Flamme ausstießen, wenn man sie aus Versehen mit der Spitze nach unten in die Erde legte), und sie hatte jetzt nicht den Mut, den Brief zu öffnen. Kurz entschlossen wickelte sie ihn in ihr Taschentuch, um das Summen zu dämpfen und klemmte ihn zwischen zwei schwere Schulbücher, so dass er nicht mehr herausfliegen konnte.
Jetzt lief Severus aufgeregt auf sie zu und ließ sich neben ihr auf die Bank fallen. "Ich hab's! Der Brief ist bestimmt von meinem Vater!" raunte er ihr zu. In den Hausaufgabenstunden durften sie nicht laut sprechen. "Wie bitte?" Lily sah ihn verständnislos an, aber Severus war sich seiner Sache ganz sicher. Er sah sich rasch um, dann zog er Lily zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: "Der mag doch keine Kinder, und er hasst alles, was mit Zauberei zu tun hat. Was glaubst du, wie enttäuscht er war, als er merkte, dass ich die magischen Fähigkeiten meiner Mutter geerbt habe! Ich habe mit acht Jahren einmal aus Versehen einen kostbaren Serviettenring in eine Ringelnatter verwandelt, und da her er eine furchtbare Szene veranstaltet. Erst hat er mit eine Ohrfeige gegeben und dann..." "Sev, was hat das jetzt mit dem Brief zu tun?" stöhnte Lily leise. "Na, wir haben doch in den Sommerferien am letzten Tag diesen Zauberkleber in die Sonntagsschuhe meines Vaters getan, weil ich wusste, das merkt er erst, wenn wir wieder in Hogwarts sind. Und jetzt könnte er dir doch geschrieben haben, dass du nicht mehr zu uns nach Hause kommen darfst!" "Aber Sev!" sagte Lily. "Wenn dein Vater wirklich an mich schreiben würde, würde doch sein Name als Absender auf dem Brief stehen.!" Seerus musste lachen. "Du weißt doch, dass auf die Eulenpostbriefe meiner Eltern immer meine Mutter ihren Namen als Absender schreibt. Mein Vater würde sich nie trauen, unter seinem eigenen Namen einen Brief per Eule zu verschicken, wo er doch ein Muggel ist. Er hat viel zu viel Angst, dass das rauskommt und die anderen Muggel ihn dann für verrückt halten würden."
Lily sah Severus betroffen an. Sie war seinem mürrischen Vater, der nie mit ihr sprach, immer aus dem Weg gegangen und hatte Severus meistens nur dann besucht, wenn sein Vater nicht zu Hause war. Die Idee, etwas mit Zauberkleber zu machen, war ihr gekommen, weil sie Severus dabei helfen wollte, sich an seinem Vater zu rächen. Mr Snape hatte ihm verboten, in den Ferien in seinen Zauberbüchern zu lesen. Aber der Einfall mit dem Sonntagsschuhen stammte von Severus selbst. - Es war schon möglich, dass sein Vater ihr jetzt das Haus verbot ...
"Darf ich die Herrschaften an ihre Hausaufgaben erinnern? Und Sie, Mr Snape, würden Sie bitte an Ihren eigenen Tisch zurückkehren?" Professor McGonagall, die heute die Aufsicht führte, ragte neben ihnen empor und blickte missbilligend zwischen ihnen und der leeren Tischplatte hin und her, auf die noch kein einziges Hausaufgabenpergament seinen Weg gefunden hatte. "Entschuldigung, Professor!" sagten beide gleichzeitig. Lily kramte hastig ihre Bücher und Pergamente hervor, und Severus eilte zum Slytherin-Tisch zurück, wo ihn Jeremy, der gerade mit Verwandlung fertiggeworden war, seine Hausaufgabe abschreiben ließ.
Der nächste Tag brachte wenig Hausaufgaben und die Sonne schien schon wieder verlockend war, so dass Lily und Severus nachmittags im See baden gingen. Nachdem sie eine Weile im Wasser Unsinn gemacht hatten, wobei sie wegen des Riesentintenfischs in Ufernähe blieben, sammelten sie flache Steine und hielten einen Steineflachwurf-Wettbewerb ab. Der, dessen Steine auf der Wasseroberfläche am häufigsten hochsprangen, wenn man sie flach ins Wasser warf, war Sieger. Hier hatte Severus zweifellos die geschicktere Hand. Während Lilys Steine meistens sofort ins Wasser plumpsten, sprangen seine drei- bis viermal hoch. Gerade sah er begeistert einem stein nach, der nicht weniger als sechsmal hochgesprungen war, als Lily in die Höhe wies. "Sevie, da kommt etwas Weißes genau auf uns zu!" Severus sah ebenfalls hoch. Der weiße Punkt, der schnell näher kam, verwandelte sich in ein quadratisches Etwas. Und Sekunden später landete der Brief auf Lilys Decke und summt so laut, dass ein paar Vögel auf der Wiese erschreckt aufflogen.
Lily eilte hin und warf ihre Handtücher über den Brief, um das Summen zu ersticken. Severus lief vom Ufer herauf. "O nein!" rief Lily. "Ich habe den Brief heute mittag auf meinen Nachttisch gelegt, als ich meine Schultasche ausgepackt habe, und dann habe ich meine Badesachen zusammengesucht, und in der Eile habe ich den Brief nicht zugedeckt. Und die Fenster in unserem Schlafsaal standen offen!"
"Mach den Brief auf, Lily!" stöhnte Severus gepresst. "Mach ihn auf und wir lesen ihn gemeinsam, ja!" Sie setzten sich auf die Decke, und Lily holte den Brief hervor und riss ihn auf. Das Summen verstummte augenblicklich. Sie holte den Pergamentbogen heraus und erkannte überrascht die Schrift ihrer Mutter. In dem Brief stand:
3. September 1972
Liebe Lily,
eure wunderbare Idee mit dem Zauberklebstoff hat Mr und Mrs Snape sehr viel Ärger eingebracht. Mr Snape konnte seine Schuhe eine Woche lang nicht mehr ausziehen, bis seine Frau endlich den richtigen Zauber gefunden hatte. Er ist sehr wütend auf dich und ist sicher, dass Du Severus zu diesem Unsinn angestiftet hast. Ich glaube auch, dass du es warst, denn Severus macht wohl zu Hause keine Dummheiten mehr, seit sein Vater ihn einmal fürchterlich verprügelt hat, als er seinen Dackel in einen Wolf verwandelte. Das hat mir Mrs Snape erzählt, als ich sie heute auf dem Wochenmarkt traf und sie mir die Schuhgeschichte berichtete. Der Schuster konnte die teuren Schuhe nicht mehr reparieren Mrs Snape kannte auch keinen Zauberspruch, der sie wieder heil gemacht hätte. Ich werde dir die Kosten für den Schuster vom Taschengeld abziehen. Und Du brauchst Dich in den Weihnachtsferien nicht bei den Snapes sehen zu lassen.
Deine Mutter.
Und darunter hatte Mrs Snape in großer Schrift geschrieben:
P.S. An Severus werde ich noch einen Extraheuler schicken.
Lilys Mutter musste diesen Brief also bei den Snapes geschrieben haben, nachdem sich die beiden Mütter auf dem Markt getroffen hatten.
"Da werden sich James Potter und seine Freunde wieder mal schieflachen, wenn ich diesen Heuler kriege", murmelte Severus düster. Lily sagte nichts. Sie verfolgten stumm den Flug eines großen Seeadlers, der sich einen riesigen Karpfen aus dem Wasser fischte und damit zu seinem Horst auf einer alten Eiche flog. Lily fuhr sich mit dem Handrücken über die Auge und zog die Nase hoch.
Severus legte den Arm um sie. "Mach dir nichts daraus", sagte er tröstend. "Wenn du in den Weihnachtsferien nicht zu uns kommen darfst, bleiben wir über Weihnachten einfach hier. Und dann haben wir endlich mal genug Zeit, um einen wirklich tollen Abschreibzauber zu üben. Mein Freund Lucius hat mir einen verraten!"
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