von terese
[b]Nach dem Irrwicht[/b]
Seit einigen Tagen hatte Severus Snape den Eindruck, dass sich unter der Schülerschaft von Hogwarts ein merkwürdiger Wandel vollzogen hatte.
Irgendwie sahen zur Zeit alle Schüler so vergnügt aus, wenn er an ihnen vorbeiging. Früher hatten sie eher angespannt gewirkt. Die jüngeren hatten sich zusammengedrängt, bevor sie ihn grüßten oder waren schnell um die nächste Ecke geflüchtet, um ihm nicht begegnen zu müssen.
Aber jetzt hörte er immer wieder leises Kichern hinter sich und manchmal auch Töne, die auf einen mühsam unterdrückten Lachkrampf schließen ließen. Und dieses alberne Lachen und Grinsen, das abbrach, wenn er in die Nähe kam, war schon reichlich sonderbar. Und was gab es nur dauernd zu flüstern?
Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Wenn es in Hogwarts einen Menschen gab, der keinen Anlass zur Heiterkeit bot, dann war das doch wohl er. - Oder?
Woher konnte dieser plötzliche Mangel an Respekt nur kommen?
Als erstes unterzog Severus seine Garderobe einer eingehenden Prüfung.
Aber an der Arbeit der Hauselfen war nichts auszusetzen. Seine Kleidung war frisch gewaschen, ordentlich gebügelt und prangte in makellosem Schwarz. Keine glänzende oder zerschlissene Stelle, keine aufgetrennte Naht. Kein noch so kleines Loch, kein Riss, alle Knöpfe vorhanden. Und die Schuhe glänzten um die Wette.
Daran konnte es also schon einmal nicht liegen.
Am nächsten Abend trug er zusammen mit Minerva McGonagall Pergamentordner ins Lehrerzimmer.
„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Severus“, sagte sie. „Mit dem Einordnen komme ich schon zurecht.“ „Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen gerne, Minerva“, sagte er schnell. Vielleicht würde ihm das die Gelegenheit geben, ihr die Frage zu stellen, die er so gerne loswerden wollte.
Minerva sah ihn erstaunt an. Soviel Hilfsbereitschaft war sie von ihrem Kollegen nicht gewohnt. „Ja, wenn Sie Zeit haben, Severus, gerne“, sagte sie, „hier wären die Buchstaben A - G.“
Severus nahm sich den ersten Ordner vor. Minerva McGonagall stellte Pergamente zusammen. Sie begann ein Gespräch über die Quidditch-Mannschaft des Hauses Gryffindor und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sie vielleicht dieses Jahr den Hauspokal gewinnen könnte. Er hörte ihr höflich zu und begann ihr seinerseits die Vorzüge des Slytherinteams darzulegen.
Es klopfte an der Tür. Severus öffnete. Draußen stand ein kleiner Zweitkläßler. „Guten Abend, Professor“, sagte er fröhlich und hielt ihm ein unbeschriebenes Blatt Pergament entgegen. „Könnten Sie das bitte Professor McGonagall von Professor Dumbledore geben?“ „In Ordnung“, sagte Severus kurz, nahm den Pergamentbogen und schloß die Tür. Er wunderte sich über sich selbst. Seit wann ließ er sich von einem Zweitkläßler Anweisungen erteilen? Und er war sich sicher, auf dem Gesicht des Kleinen ein Grinsen bemerkt zu haben, als er sich zum Gehen wandte.
Er brachte Minerva das Pergament. Sie berührte es mit ihrem Zauberstab, warf einen raschen Blick auf ihn und legte es neben sich auf den Schreibtisch. Severus fragte sie nicht, was darin stand. Dass sich Dumbledore und Minerva in einer Geheimschrift verständigten, die nur sie beide lesen konnten, wusste er schon längst. Und er konnte sich im Moment keine Neugier leisten.
Als seine Kollegin einmal hinausgegangen war, warf er sehnsüchtige Blicke auf das Pergament. Er war sich sicher, dass etwas über ihn darin stand. Wenn er es mit einem Kopierzauber verdoppeln würde, das Original schnell in der Innentasche seines Umhangs verschwinden lassen und die Kopie auf den Schreibtisch legen würde? Dann könnte er später in seinem Büro in Ruhe versuchen, dem Pergament sein Geheimnis zu entlocken. Aber er wollte lieber nichts riskieren. Wenn Minerva die Nachricht nochmals lesen würde und ihm auch nur der kleinste Fehler unterlaufen war, würde sie sofort wissen, dass er das Original hatte.
Minerva McGonagall kam zurück und sie arbeiteten weiter. Severus wurde nun doch allmählich müde, und morgen standen ihm drei Doppelstunden Unterricht bevor. „Übrigens, Minerva“, sagte er und versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen, „finden Sie nicht auch, dass zur Zeit eine ganz ungewöhnliche Fröhlichkeit an der Schule herrscht? Und angesichts der Gefahr, die von Sirius Black ausgeht, kommt mir das doch sehr eigenartig vor.“ Minerva McGonagall lächelte ihn nachsichtig an. "Ach Severus, lassen Sie die Kinder doch vergnügt sein! Gerade weil die Lage so ernst ist, tut uns doch ein wenig Heiterkeit ganz gut, finden Sie nicht auch?“ Severus Snape warf ihr einen Blick zu, aus dem deutlich zu lesen war, dass er diese Meinung nicht teilte. Dann gab er sich einen Ruck. „Nun, mir scheint es aber fast so, als ob ich die Ursache dieser Heiterkeit wäre. Kommt es Ihnen nicht auch so vor?“ Er merkte deutlich, dass er rot wurde.
Minerva sah ihn mit gespieltem Erstaunen an. „Aber Severus, das bilden Sie sich ein! Warum sollten denn die Schüler über Sie lachen? Nein, ich vermute, sie freuen sich schon auf die nächste Quidditchsaison.“ - Von ihr würde er also nichts erfahren. Anstandshalber arbeitete er noch fünf Minuten weiter und sagte dann: „Minerva, ich werde Sie jetzt doch verlassen. Ich muss meinen Unterricht noch vorbereiten.“ „Ja, gehen Sie nur, Severus“, sagte sie freundlich. „Und nochmals vielen Dank.“
Er ging verärgert in sein Büro.
Aber er würde schon noch herausfinden, was hier so lustig war.
Minerva McGonagall las lächelnd die Nachricht noch einmal und löste sie dann mit einem Verschwindezauber auf. Auf dem Pergament hatte gestanden: „Falls Severus Ihnen Fragen stellen sollte, Minerva - kein Wort über Remus, Longbottom oder Irrwichte!“
Am Abend darauf wollte Severus sein Schrankfach im Lehrerzimmer aufräumen.
Als er ins Zimmer kam, saß dort Remus Lupin und korrigierte Hausaufgaben. Severus wäre am liebsten sofort wieder umgekehrt. Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Andererseits - vielleicht könnte er ihn in ein Gespräch verwickeln und … aber um ausgerechnet Remus nach dem zu fragen, was er so gerne wissen wollte, würde er seinem Stolz schon einen gewaltigen Fußtritt versetzen müssen.
„Guten Abend, Herr Kollege“, sagte er zunächst etwas spitz. „Hallo, Severus“, gab Remus Lupin freundlich zurück und arbeitete weiter.
„Du hast dich ja schon wieder bestens hier eingelebt“, sagte Severus und bemühte sich, so neutral wie möglich zu klingen. Remus warf ihm einen durchtriebenen Blick zu. „Ach ja - das gute alte Hogwarts! Das hätte ich mir auch nie träumen lassen, dass ich hier einmal unterrichten würde.“ „Und dazu noch genau das Fach, um das ich mich schon seit Jahren umsonst bewerbe“, dachte Severus grimmig. Aber er sprach es nicht aus. Diese Freude würde er Remus bestimmt nicht machen.
Er ging an den Schrank und förderte ein Durcheinander aus Schreibfedern, Lehrbüchern, Pergamenten und alten Tintenfässern zutage. Die Bücher konnte er
ja gleich hier sortieren. Er ließ sich Zeit dabei. „Wie weit bist du eigentlich jetzt im Lehrstoff?“ fragte er, um etwas zu sagen. Remus musste unwillkürlich grinsen. „Nun, in der letzten Stunde haben wir die Irrwichte durchgenommen“, sagte er und lachte leise. Severus erinnerte das fatal an seine Schüler. Und als Remus' Mundwinkel immer noch verräterisch zuckten, als er sich wieder über seine Arbeit beugte, kam Severus ein Verdacht.
„Sag mal, findest du nicht auch, dass die Schüler in letzter Zeit ungewöhnlich fröhlich sind?“ fragte er. Und da konnte Remus Lupin sich nicht länger beherrschen. Er lachte laut heraus.
Severus Snape machte ein Gesicht, als wäre er auf seiner eigenen Beerdigung. Dann trat er ganz nahe an Lupin heran. „Da steckst du dahinter, nicht wahr?“ sagte er leise. „Raus mit der Sprache! Warum lachen alle über mich?“ „Na ja, früher oder später erfährst du's ja doch“, sagte Remus und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Also - einer meiner Schüler hat mir anvertraut, dass du derjenige bist, vor dem er sich am meisten fürchtet. Und ich habe ihm den Rat gegeben - ja, ich gebe zu, das war ein wenig boshaft - dass er sich dich in Frauenkleidern vorstellen soll. Der Irrwicht hat dann auch prompt deine Gestalt angenommen, und der Schüler hat den Ridikkuluszauber erfolgreich ausgeführt. - Sei mir nicht böse, aber die Gelegenheit, dich mal ein wenig zu ärgern, konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen.“
Einen Augenblick lang war Severus versucht, seinen Zauberstab zu ziehen. „Weißt du was, du kannst dir in Zukunft deinen Wolfsbanntrank selbst brauen“, fauchte er. Remus Lupin wurde wieder ernster. „Mensch, Severus, nun hab doch einmal ein wenig Humor! In ein paar Wochen lachen die Schüler doch wieder über etwas anderes. Und weißt du, du mit deiner griesgrämigen Art ... du kannst so etwas schon herausfordern." „Ach, jetzt bin ich auch noch schuld, ja?“ zischte Severus. „Und ich brauche wohl nicht zu hoffen, dass du mir den Namen des betreffenden Schülers nennst?“ Remus Lupin schüttelte den Kopf. „Ganz bestimmt nicht“, sagte er ruhig. -
Severus Snape beförderte seine Bücher mit einem Transportzauber nach draußen und warf die Tür hinter sich zu.
Als er zwei Tage später am Gemeinschaftsraum der Gryffindors vorbeikam, sah er vor sich zwei Drittkläßler die Treppe hochsteigen. Er schlich sich leise heran. „Hätte ich unserem Neville gar nicht zugetraut, dass er einen so tollen Ridikkuluszauber hinkriegt“, sagte der erste der beiden Jungen. „Mich würde nur interessieren, ob Snape es schon weiß“, meinte der zweite. „Der wird bestimmt vor Wut platzen, wenn er's erfährt.“ „Du, das wäre gar keine schlechte Lösung“, sagte der erste und kicherte. "Dann wären wir ihn wenigstens los.“ Sie gaben der Fetten Dame das Passwort und kletterten durch das Porträtloch.
Severus konnte sich vor Zorn nicht länger auf den Schwebezauber konzentrieren, mit dem er seine Tintenfässer beförderte. Sie fielen klirrend zu Boden und zerbrachen in Hunderte Scherben und noch mehr Splitter. Der schwarze Bodensatz ergoss sich über die Steinfliesen. Es erforderte mehrere Verschwinde- und Reinigungszauber, bis der Boden wieder einigermaßen sauber war. Wahrscheinlich würde Argus Filch die Schüler verdächtigen. Verdient hätten sie es.
Zurück in seinem Büro setzte sich Severus an seinen Schreibtisch und betrachtete grimmig die Aufsatzpergamente, die er heute noch korrigieren musste.
An dem verdammten Remus würde er sich schon noch rächen.
Und dieser Longbottom konnte etwas erleben!
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.