von Blue
Am nächsten Nachmittag, sahs sie draußen am See.
Die Prüfung heute war ziemlich schwierig gewesen und hatte viel Kraft gekostet. Sie brauchte ganz einfach ein ruhiges Plätzchen, zur Entspannung.
Trotz der Kälte schien ihr die Sonne warm ins Gesicht.
Einen Moment lang schloss sie die Augen und atmete die kalte Luft tief ein, was sie zum Husten brachte.
"Na, du wirst doch wohl nicht krank werden!" vernahm sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Jessica musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da hinter ihr stand.
Tom kam herum und setzte sich neben sie.
"Was wäre daran so tragisch?", fragte sie.
"Dann muss ich wenigstens nicht zur Dinnerparty."
Bei dem Wort Dinnerparty, deutete sie mit jeweils zwei Fingern Gänsefüschen an und blickte genervt drein.
Tom musste lächeln und legte den Arm um sie.
"Was hast du eigentlich gegen Professor Slughorn?"
fragte er und sah dabei auf den See hinaus.
Jessica überlegte. Ja, was eigentlich?
Slughorn war zwar etwas eigen, aber doch eigentlich ganz nett.
"Ich weiß nicht, er ist.........er ist merkwürdig."
Verwundert sah Tom ihr in die Augen.
"Sind wir das nicht alle?"
Sie schmunzelte, er hatte Recht, wie üblich.
"Stimmt." sie machte eine Pause.
"Aber er......er hat die krankhafte Vorstellung, seine Lieblinge zu.....sammeln. Ich meine, wir sind doch keine Gegenstände."
Tom nahm wieder den Arm von ihr und zog seine Beine an seine Brust heran.
"Er mag dich, Jessy. Desshalb hat er ja auch uns beide eingeladen. Sei froh, viele würden gern mit uns tauschen."
Arrogant lächelnd sah sie ihn an.
Tom war, im Gegensatz zu ihr, vollkommen fasziniert von Slughorn. Er genoss seine Aufmerksamkeit und sein Lob, vor allen anderen. Jessica hingegen war das ganze Lob, das sie für einen einfachen Trank bekam, ziemlich unangenehm. Auch, wenn sie mittlerweile daran gewöhnt sein müsste. Zaubertränke lagen ihr einfach. Während anderen sich abmühten, die Anleitung überhaupt zu verstehen, hatte sie den Trank schon perfekt fertig gebraut. Tom sah sie dann jedesmal ironisch lächelnd an.
Aber sie konnte doch auch nichts dafür. Für alle anderen Fächer lernte sie den lieben, langen Tag. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass sich lernen immer auszahlte.
Das war eine Sache, die sie Tom bereits im ersten Schuljahr beigebracht hatte. Mit Erfolg. Tom war ein absoluter Lehrerliebling und meist auch Klassenbester.
Die beiden konkorrierten regelrecht miteinander, was den besseren Schnitt anging. Aber hundertprozentig war nicht festzustellen, wer von ihnen beiden der oder die Bessere war. In einem Fach war sie die Meisterin, in einem anderen war er der Überflieger.
Allerdings hatten die beiden das nie ernst genommen, sondern sich einen Spaß daraus gemacht.
Professor Slughorn war einer der wenigen Lehrer, die das mitbekamen und auf eine eigene Art und Weise zu bewundern. Solche Dinnerpartys gab er vielleicht dreimal im Halbjahr und jeden Dezember machte er eine Weihnachtsfeier. Letztes Jahr waren die beiden noch nicht eingeladen gewesen. Slughorns Bewunderung für sie hatte erst im zweiten Halbjahr, ihres vierten Schuljahres begonnen. Darum würden sie wahrscheinlich dieses Jahr nicht drumherum kommen.
Seufzend lehnte sie sich gegen seine Schulter, beide schlossen sie die Augen und ließen sich von der Sonne wärmen.
Am Freitag Nachmittag war es soweit. Um 19 Uhr sollten sie in Slughorns Büro auflaufen.
Nervös drehte sich Jessica vor ihrem Spiegel hin und her.
Sie hatte nicht eingesehen, sich zu sehr herauszuputzen.
Sie trug eine schwarze Hose, schwarze Halbschuhe und eine dunkelblaue Bluse. Ihre Haare hatte sie, wie immer, offen und Schminke benutzte sie auch keine.
Sie hatte es heute irgendwie geschafft, dass ihre Locken nicht widerspänstig aussahen, sondern weich über ihre Schultern fielen.
Wenn ihr doch nur jeden Tag so aussehen würdet!
Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass sie noch 10 Minuten hatte. Sie legte ihr Parfum auf und ging in den Gemeinschaftsraum. Hier wollte sie sich mit Tom treffen.
Doch besagter Junge war noch nicht da. Sie ging zur Treppe und rief einmal laut nach oben:
"Tom?! Jetzt beeil dich, wir kommen noch zu spät!"
Da sie keine Antwort bekam, setzte sie sich genervt aufs Sofa, verschrenkte die Arme vor der Brust und schlug die Beine übereinander. Das war etwas an ihm, das sie hasste: Seine Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit, in solchen Dingen.
Ungeduldig wibbte sie mit dem Fuß und starrte ins Feuer.
Da hörte sie ihn die Treppe hinunter eilen.
Na endlich!
Genervt rief sie, ohne sich umzudrehen:
"Na, Schönling? Sind wir jetzt endlich perfekt und hübsch genug?"
Tom kam zum Sofa und stellte sich vor sie.
"Wenn ich dich so ansehe, würde ich sagen: Ja!"
Lässig hatte er seine Hände in den Taschen seiner schwarzen Hose vergraben und lächelte sie machomäßig an. Sein dunkelrotes Hemd stand ihm gut und betonte seine Augen sehr schön. Jessica hatte garnicht gewusst, dass Tom rot trug. Auf jeden Fall sah er ordentlich aus und das war die Hauptsache.
Arrogant zog sie die Augenbrauen hoch und checkte ihn von oben bis unten ab. Auch er betrachtete sie genau.
Sie stand auf, stellte sich dicht vor ihn und fummelte an seinem Kragen herum, da dieser ziemlich schief sahs.
Ganz konzentriert, ohne ihn anzusehen fragte sie:
"Gehen wir denn auf ein Weinfest?"
Sie hörte, dass er lächelte. Da beugte er sich leicht zu ihr runter (sie war einen halben Kopf kleiner als er) und flüsterte ihr ins Ohr: "Wer weiß? Nachher vielleicht noch."
Sie schnaubte ironisch und trat von ihm zurück.
Er schaute sie im Gesamten an. Von ihren Haaren, bis zu ihren Schuhen.
"Du siehst......toll aus." sagte er tonlos.
"Danke, du auch." antwortete sie und ging an ihm vorbei, zur Tür.
Das Abendessen war furchtbar langweilig.
Bedauerlicherweise konnte Jessica nicht neben Tom sitzen, da sie als die letzten gekommen waren und sich nun mit den letzten freien Plätzen, an dem runden Tisch begnügen mussten.
Tom sahs direkt neben Slughorn und Jessica musste den beiden gegenüber sitzen, neben Marcus Dunn.
Marcus war ein guter Quidditch-Torhüter, aber in allen anderen Dingen scheiterte er oft auf ganzer Linie.
Er war ein Hufflepuff, hatte braune, zurüchgegelte Haare und blaue Augen. Jessica hatte schon diesen Sommer, vor den Ferien festgestellt, dass er sie irgendwie komisch ansah. Im Unterricht, beim Mittagessen schaute er von seinem Tisch immer zu ihr herüber und jetzt sahs er auch noch neben ihr.
"Hi, Jessica." sagte er plötzlich. Überrascht sah sie ihn an.
Jessica. So wurde sie nur von ihren Eltern genannt.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Tom ihn ebenfalls merkwürdig ansah.
"Hallo,.....Marcus." sagte sie unsicher und widmete sich der Vorspeise, die gerade serviert wurde.
Putensalat.
Als nach einiger Zeit bereits der Zwischengang abgeräumt und der Hauptgang serviert wurde, bemerkte Jessica zwei Dinge. Erstens: Marcus starrte sie von der Seite an und zweitens: Tom schaute, obwohl er von Slughorn zugetextet wurde, andauernd abwechseld zu ihr und dann zu Marcus. Wenn sich ihre Blicke trafen, lächelte er, aber wenn er im nächsten Moment zu ihrem Nachbarn sah, verfinsterte sich sein Gesicht. Jessica wusste nicht ob sie es sich einbildete, oder ob seine Augen tatsächlich noch dunkler wurden, als sie es ohnehin schon waren. Sein Unterkiefer war angespannt, auch wenn er Slughorn oder sie ansah. Er wirkte gereizt.
Der Hauptgang bestand aus Salzkartoffeln, buntem Gemüse und Drachenfilet. Jessica war damit aufgewachsen, also war es völlig normal für sie, Drachenfleisch zu essen. Tom hingegen hatte sich damit nie anfreunden können und ließ es desshalb unangerührt auf seinem Teller liegen.
Jessica grinste ihn an und zog noch einige, kleine Grimassen, um ihn zu ärgern.
Tom ließ es sich bieten und antwortete mit einem gemeinen Racheakt.
"Sagen Sie, Professor, wollten Sie Miss Whiteman nicht noch nach dem Wohlergehen ihres Vaters fragen?"
Fies lächelnd lehnte er sich zurück.
Jessica biss die Zähne zusammen und drückte die Gabel in ihrer Hand so fest, bis es weh tat.
Du mieser Idiot!
Slughorn nahm das sofort als Startschuss wahr.
"Ach ja, Miss Whiteman. Was macht ihr geschätzter Herr Vater denn im Moment? Ist seine Kanzlei im Ministerium erfolgreich?"
Jessicas Vater, Benjamin Whiteman, war Anwalt und führte seit 20 Jahren eine erfolgreiche Kanzlei im Zaubereiministerium.
"Aber natürlich, Sir. Er übermittelt Ihnen seine Grüße."
"Oh, vielen Dank. Vielen Dank. Grüßen Sie ihn von mir.
Sie alle hier müssen wissen, dass Mister Whiteman und ich uns schon etwas länger kennen."
Er blickte in die Runde und lächelte.
Dann begann glücklicherweise sofort wieder mit seinen alten Geschichten über sich und das Ministerium.
Wütend funkelte Jessica zu Tom herüber, dem mittlerweile schon das Desert serviert wurde.
Nach dem Essen hielt Slughorn sie alle glücklicherweise nicht mehr lange bei Laune und schickte sie auf ihre Zimmer. Tom kam sofort um den Tisch herum zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
"Tut mir leid, Jessy. Aber das musste sein." flüsterte er ihr zu und lächelte.
"Schon okay." wisperte sie zurück.
Sie wollten gerade als die letzten aus der Tür heraus, da sprach Slughorn sie nocheinmal an.
"Ach, Tom, Jessica. Hättet ihr beiden noch einen kurzen Augenblick?"
"Nein!", murmelte sie widerspänstig, ging aber trotzdem, mit ihm gemeinsam, nocheinmal zurück.
"Hört mal, ihr beiden, entschuldigt, dass ich euch vorhin gesiezt habe, aber ihr wisst ja, in der Öffentlichkeit."
Er kicherte albern.
Jessica musste sich anstrengen, um nicht die Augen zu verdrehen. Sie sagten ihm beide, dass es schon in Ordnung sei und wollten sich gerade verabschieden..........
"Ähhm, ihr zwei? Diese Frage ist vielleicht ein bisschen zu persönlich, aber......." Er zögerte. Abwechselnd sah er erst Tom, dann Jessica ernsthaft an.
"Seid ihr beiden........ein Paar?"
Erschrocken rissen die beiden fast gleichzeitig die Augen auf. Dann redeten sie wild durcheinander und machten abwinkende Bewegungen, die alle darauf hindeuteten, dass Slughorn falsch lag.
Der Tränkelehrer konnte nur einige Wotfetzen von den beiden aufschnappen:
"Oh, nein........." , "...nur Freunde." , ".....ganz und garnicht.." , "....sie ist toll, aber......", "....wir sind doch Freunde...."
"In Ordnung." stoppte er sie schließlich.
"Es tut mir leid, ihr beiden. War ja auch nur eine Vermutung, meinerseits."
Tom und Jessica liefen beide leicht rot an, verabschiedeten sich knapp und verschwanden durch die Tür. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
Sie konnte seine Spannung förmlich spüren und als sie zu ihm aufsah, blickte er ganz schnell wieder geradeaus.
Als sie an den Treppen ankamen, wurde die Stille unerträglich, also begann sie:
"Siehst du jetzt, wesshalb ich nicht noch länger bleiben wollte?" Unsicher sah sie zu ihm hoch.
"Ja, hast ja Recht." Er lächelte wieder und seine Anspannung schien sich zu lösen.
Gerade öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, da........
"Hi, Jessica." ertönte es hinter ihnen.
Die beiden blieben gleichzeitig stehen und drehten sich völlig synchron um.
Zwei Stufen unter ihnen stand...... Marcus.
Jessica verzog die Augenbrauen zu einem leidenden Gesichtsausdruck und Toms Unterkiefer spannte sich wieder an. Sie vernahm eine Art leises Knurren von ihm.
Verunsichert schielte sie kurz zu ihm, widmete sich dann aber ihrem Verfolger.
"Ja, Marcus? Was gibt's ?"
Der Hufflepuff deutete ihr mit einer Geste, doch bitte zu ihm herunter zu kommen und sah Tom abschätzend an.
Ihr bester Freund sah sie ungläubig an, als sie wirklich zu Marcus runter ging und ihn stehen ließ.
Marcus grinste sie förmlich an. Widerlich. Er hatte dieses Aufreiserlächeln drauf. Tom konnte das zwar auch, aber bei ihm sah es einfach......besser aus. Außerdem meinte er das nie ernst.
"Ha..Hast du morgen Nachmittag.....schon was vor?" fragte Marcus unsicher.
Oh, nein! Bitte nicht!
Jessica hatte ganz einfach keine Lust, etwas mit ihm zu unternehmen, aber wie sagte sie ihm das?
"Ähm, naja.....also eigentlich...."
Sie stockte. Tom stand plötzlich neben ihr und nahm ihre Hand. Verwirrt sah sie zu ihm auf, aber er fixierte Marcus mit seinen dunklen Augen.
"Lass sie in Ruhe!" knirschte er.
Marcus wirkte überrascht, aber dennoch entschlossen.
"Ich glaube, dass sie für sich selbst entscheiden kann."
Auffordernd sah er Jessica an.
Doch bevor diese etwas sagen konnte, ließ Tom sie los und machte einen Schritt auf Marcus zu. Drohend blickte er ihn an und verzog das Gesicht.
"Das hat sie! Und jetzt verschwinde!" zischte er ihm zu.
In Marcus' Augen stand plötzlich Entsetzen. Ohne sie nocheinmal anzusehen, drehte er sich um und verschwand wortlos.
Erschrocken atmete Jessica durch den Mund.
Ganz langsam trat sie an Tom heran, der dem Hufflepuff nochimmer hinterher starrte.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.
"Hey,.....beruhig dich. Kein Grund, so wütend zu werden."
Er bleib noch eine Weile still stehen,bevor er seine Schultern sinken ließ und sein Gesicht entspannte.
Sie redete beruhigend auf ihn ein und es schien zu wirken.
"Lass es, das ist es nicht wert."
Langsam drehte er sich zu ihr um. Ganz ernst und doch gutmütig blickte er sie an. "Entschuldige." kam es tonlos von seinen Lippen. Dann wandte er sich nach vorne und sagte: "Na, komm. Lass uns gehen."
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