von Blue
Auf dem Gleis 9 3/4 herrschte ein reges Treiben.
Überall liefen kleine, aufgeregte Kinder umher, hinter ihnen besorgte Eltern. Jessica war nicht gern unter so vielen Leuten. Es war eng, man wurde angerempelt und man musste höllisch aufpassen, nicht zu nah an die Gleise zu kommen. Allerdings war sie und auch ihr bester Freund mit dem Talet gesegnet, sich auch noch hier einsam zu fühlen. Ja, wirklich. Jessica konnte von hunderten Menschen umgeben sein und fühlte sich trotzdem einsam. So auch heute. Ihre Eltern hatten sich zu Hause von ihr verabschiedet und sie war hierher apperiert. Ihr lieber Vater hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, sie nocheinmal ausdrücklich vor dem "Muggeljungen" zu warnen.
Seine Tochter hatte daraufhin nur genickt und war so schnell wie möglich verschwunden.
Jetzt war sie hier am Gleis, hatte ihren Koffer abgegeben und machte sich auf zu einem Einstieg.
Da wurde sie plötzlich hart an der Schulter zur Seite gestoßen.
"Hey, pass gefälligst auf!"
Sie blickte neben sich und sah ein ihr wohlbekanntes Mädchen, sich an ihr vorbei drängeln.
"Klar, Olive!" konterte sie.
"Drängeln, schieben und schupsen. So kommt man weiter!"
Olive Hornby war auch eine Slytherin und eine riesige Zicke dazu. Das blonde Mädchen zog arrogant die Augenbrauen hoch und checkte Jessica von oben bis unten ab.
"Tja, es stimmt wirklich, was Rose immer sagt."
Und damit drehte sie sich so schwungvoll um, dass ihre langen, glatten Haare Jessica ins Gesicht klatschten.
Hochnäsig und hüftwackelnd ging sie durch den Zug und suchte nach einem Abteil, doch Jessica folgte ihr.
"Was erzählt Rose immer?!" rief sie der Gryffindor nach.
"Dass du eine graue, armselige Maus bist." erwiderte Olive, ohne sich umzudrehen und ging weiter.
Die junge Slytherin blieb einen Moment stehen.
Graue Maus! Denen ist wohl immer noch nichts Besseres eingefallen!
Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und suchte sich ein Abteil in der anderen Richtung.
Die Fahrt verbrachte Jessica merkwürdigerweise mit Schlafen. Die ganze vorherige Nacht hatte sie vor lauter Aufregung und Vorfreude kein Auge zu getan.
Und jetzt war sie hundemüde.
Selbst ihr neuer Krimi konnte sie nicht wachhalten.
Ihr fielen einfach die Augen zu. Das Letzte, was sie sah, waren die weiten Felder Englands, deren grünes Gras, mit Raureif überzogen, in der Morgensonne glizerte.
Sie träumte furchtbar wirres Zeug.
Sie war in Hogwarts, in einer Art großem Keller.
Es war es eine riesige, dunkle, kalte Halle, die überall mit Schlangen verziert war.
Da waren riesige Schlangenköpfe, die sie mit smaragtgrünen Augen anstarrten und in die Steinwände waren ganze Schlangen eingemeißelt, die sich zu bewegen schienen.
Sie sah sich selbst über nasse Steinplatten laufen, bis zum anderen Ende der Halle, wo jemand stand.
Als sie näher kam erkannte sie ihren besten Freund.
Tom schien erfreut sie zu sehen, aber sein Lächeln war auf eine merkwürdige Art und Weise beängstigend.
Es war dieses fiese, leicht arrogante Lächeln.
Als Jessica etwas sagen wollte, bemerkte sie, dass sie stumm war. Sie wunderte sich sehr darüber und blickte Tom fragend an. Aber ihr Freund gab ihr mit einem beruhigendem Nicken zu verstehen, dass es in Ordnung sei. Er reichte ihr seine Hand und blickte auf einen großen Felsen, einige Meter von ihnen entfernt.
Sie musterte ihn nachdenklich. Ihr Freund schien wie hypnotisiert zu sein. In seinen Augen lag Bewunderung und Faszination. Sie folgte seinem Blick zu den Felsen, ergriff aber nicht seine Hand.
Da öffnete sich zwischen den Steinen plötzlich eine Art Klappe, die den Eingang zu einer Höhle freilegte.
Wie gebannt starrten beide ins Schwarze.
Da drang plötzlich ein scharfes Zischen aus der Dunkelheit. Es klang wie der Schnitt einer rasiermesserscharfen Klinge.
Moment mal, ein Zischen?
Es klang genau wie das, was Jessica vor den Ferien beim Lernen im Mädchenschlafsaal gehört hatte.
Bedrohlich, flüsternd und doch laut.
Jetzt ergriff sie Toms Hand und trat einen Schritt zurück, hinter seine rechte Schulter.
Aus ihm schien jegliches Bewusstsein verschwunden zu sein, denn er beachtete sie garnicht.
Er starrte nur, genau wie sie, in den Höhleneingang und als das Zischen in ein Fauchen überging, breitete sich ein dämonisches Lächeln auf seinem hübschen Gesicht aus.
"HA!"
Plötzlich schreckte sie hoch. Sie saß im Zug, in ihrem Abteil, allein. Als sie aus dem Fenster blickte, sah sie einen Moment lang nur Schwärze. Wie in ihrem Traum.
Jessica schüttelte den Kopf, um wieder in die Realität zurückzufinden.
Wie spät war es denn?
Sie blickte noch einmal aus dem Fenster und erkannte den Bahnhof von Hogwarts. Dort stand auch eine Uhr.
Zehn nach acht!!
Oh, je!
Hatte sie denn niemand geweckt, als sie angekommen waren? Offenbar nicht, denn als sie ihre Umhängetasche schnappte und durch den Zug zum Ausgang rannte, war niemand anderes dort.
Zum Glück war der Zug noch nicht auf das Rangiergleis gefahren worden. Als sie hinaus hechtete kam ihr ein eiskalter Windstoß entgegen.
Sie fröstelte und knöpfte ihre Jacke bis oben hin zu.
Die Kutschen waren natürlich schon alle weg.
Jessica blieb also nichts anderes übrig, als zu Fuß zum Schloss zu kommen.
Oh, ich werde solchen Ärger bekommen, wie noch nie!
Nicht nur, dass der Wald so im Tiefdunkel äußerst unheimlich und beängstigend war, nicht nur, dass sie fast erfror und dass man sie wahrscheinlich mit Foltermethoden strafen würde (der Hausmeister Filch liebte solche Art der Bestrafung). Nein, jetzt begann es auch noch zu regnen! Ein unheimlich starker Platzregen prasselte im Nu auf sie hernieder.
Als sie nach bestimmt einer halben Stunde endlich am Schloss ankam, war sie bis auf ihre Unterwäsche völlig durchnässt. Ihre Kleidung klebte schon so lange an ihrer Haut, dass sie das Gefühl hatte mit ihren Klamotten zu verschmelzen. Ihre Haut war kalt und komplett aufgeweicht. Zitternd kam sie ans Tor. Dort wurde sie bereits erwartet. Ausgerechnet Professor Standfield, der fieseste Mensch der ganzen Welt, stand dort mit einem Regenschirm und lächelte hinterhältig.
Er sah sie als Opfer und würde sie noch weiter erniedrigen jetzt da sie, in seinen Augen, schon so tief gesunken war.
"Ah, Miss Whiteman. Wir haben Sie bereits erwartet." sagte er mit einem ironischen Tonfall.
Du mich auch, Mister Sarkasmus!!
Jessica strich sich die nassen Locken aus dem Gesicht und gab sich alle Mühe, gerade zu stehen.
Jede Bewegung mit den durchnässten Kleidern war fürchterlich unangenehm. Doch sie bemühte sich, das nicht zu zeigen.
Standfield öffnete das Tor und Jessica huschte hinein, zu ihm unter den Schirm. Während sie in Richtung Eingang liefen, blickte sie stur geradeaus. Innerlich betete sie, dass dieser miese Idiot die Klappe halten möge, doch ihre Gebete wurden nicht erhört.
"Damit sehe ich unsere offene Rechnung, wegen der Tinte auf meinem Pult beglichen." zischte er ihr zu.
Bei Merlin nochmal!
Sie hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so nachtragend war, wie Standfield.
Er hing ihr also immer noch mit dieser Geschichte hinterher. Das war vor vier Jahren gewesen!
Die Hoffnung, dass der alte Mistkerl diesen Vorfall irgendwann vergessen würde, löste sich gerade in Luft auf. Aber damit schien es auch gut zu sein, denn Standfield sagte nichts mehr. Als sie drinnen waren ließ er den Schirm ein paar Mal auf und zu springen, um ihn trockener zu bekommen. Beim ersten Mal hielt er den Schirm raus, doch plötzlich drehte er sich zu Jessica um und sie bekam einen feinen Wasserfilm ins Gesicht.
Sie kniff die Augen zusammen und ballte gelichzeitig die Hände zu Fäusten.
Du mieses Arschloch!
Als sie die Augen wieder öffnete und ihn sehr vorwurfsvoll ansah sagte er nur:
"Oh. Es tut mir leid, Miss Whiteman. Das war ein Versehen." Schon wieder dieser widerliche Sarkasmus in seiner Stimme.
"Aber das dürfte Ihnen ja nichts ausmachen. Viel nasser können Sie nicht werden." Scheinbar amüsiert über seinen eigenen Witz grinste Standfield sie an.
Jessicas Kiefer verkrampfte sich, als sie die Zähne aufeinander presste.
Doch sie würde nicht ausrasten. Diesen Triumph gönnte sie ihm nicht. Sie lächelte stattdessen freundlich, nickte dankend und verschwand die Treppe hoch.
Es brannten noch Lichter im Schloss und so fand sie den Weg recht schnell.
Als sie in den Gemeinschaftsraum schlich, brannte noch das Feuer im Kamin und genau davor, auf dem grünen Teppich saß......Tom!
Gedankenverloren starrte er in die Flammen.
Als er ihre Anwesenheit bemerkte blickte er zu ihr auf und lächelte nach einer Weile amüsiert.
Er öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, doch sie unterbrach ihn.
"Kein Wort!"
Er stand auf, kam zu ihr und nahm sie in den Arm, trotz ihrer nassen Klamotten.
Er war angenehm warm und sein Atem ging ruhig.
Doch da hörte sie seinen Herzschlag. Ungewöhnlich schnell, als wäre er gerade einen Kilometer gerannt.
Sie wunderte sich nicht weiter darüber und löste sich von ihm. Er nahm seine Hände nicht von ihren Armen und ließ sie auch mit seinem Blick nicht los. Einen Moment lang sahen sie sich nur in die Augen und schwiegen.
Da war es! Diese unergründliche Tiefe in der Farbe seiner Augen. Sie waren dunkel, so viel stand fest. Vielleicht war es ein sehr dunkles Braun, es hätte aber genauso gut schwarz sein können.
Sie fühlte sich, als würde sie in seinen Augen versinken.
Da brach er die Stille.
"Du........du solltest dich umziehen." Er schluckte hörbar.
Jessica lächelte und ging in den Mädchenschlafraum.
Als sie nach ungefähr zehn Minuten wieder in den Gemeinschaftsraum schlich, saß ihr bester Freund auf dem Sofa und blickte wieder ins Feuer.
Wortlos setzte sie sich neben ihn und tat es ihm gleich.
"Alles klar mir dir?" fragte er, ohne sie anzusehen.
"Ja, alles gut." antwortete sie und sie spürte, wie er nach ihrer Hand tatstete, die sie ihm schließlich reichte.
"Mein Gott, deine Hand ist ja wie aus Eis." stellte er sachlich fest.
Sie musste lächeln. "Ja und deine ist schön warm."
Jessica hörte ihn leise lachen.
Dann schwiegen sie. Das einzige, was zu hören war, war das Knacken und Prasseln des Feuers.
So langsam wurde ihr auch wieder warm und sie nahm ihre Hand von seiner.
"Warum hast du mir nicht geschrieben?" fragte sie nach einer Weile in die Stille hinein.
"Was meinst du?" fragte er gedankenverloren.
Verwirrt blickte sie ihn an.
"Warum hast du mir die ganzen Ferien nicht geschrieben, Tom?"
Als er sie ansah stand in seinem Blick Verwunderung und....Wut.
"Findest du das witzig, Jessy?" fragte er spitz.
Nun war sie entgültig verwirrt. Was solte sie denn witzig finden? Wovon sprach er?
"Wie bitte?" fragte sie.
Toms Augen verängten sich zu schmalen Schlitzen und er stand auf.
Jessica zögerte nicht lange und stellte sich ihm in den Weg. Er schien gereizt zu sein, denn er blickte zur Seite.
"Wo willst du denn jetzt hin?" fragte sie höchst erstaunt.
Toms Blick schoss sofort zu ihr und er fühlte sich an wie ein Messerstich.
"Dahin, wo du nicht bist, Jessy!" knurrte er. Als er sich an ihr vorbeidrängen wollte, schob sie sich ihm erneut in den Weg. Er hielt an und wich einen Schritt zurück, als stände er plötzlich vor einem unüberwindbaren Hindernis.
"Was habe ich dir getan?" fragte Jessica noch immer verwirrt. "Ich will lediglich wissen, warum du mir nicht geschrieben hast?"
"Ich habe dir zwei Wochen lang jeden Tag geschrieben!!" brüllte er aufgebracht. Sein Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzogen.
"Nur DU hieltest es nicht für nötig, mir zu antworten!"
"Was?!" Nun fühlte sie sich entgültig vor den Kopf gestoßen.
"Ich habe dir zu Weihnachten geschrieben und danach auch noch zweimal. Du warst derjenige, der nicht geantwortet hat!" rief sie aus.
Verständnislos zog er die Augenbrauen zusammen.
Da kamen plötzlich zwei Mädchen aus ihrem Schlafsaal.
"Hey!" Jessica, die mit dem Rücke zu ihnen stand, fuhr herum.
"Seid gefälligst leise! Wir wollen schlafen!"
Bevor weder Tom noch Jessica etwas sagen konnten, kam ein Junge von seinem Schlafsaal schwerfällig die Treppe herunter.
"Was isn das hier fürn Krach, Mensch? Ich will pennen!"
Hilflos blickten Jessica und Tom von den Mädchen zu dem Jungen.
Jessica war die Erste, die die Sprache wiederfand.
"Tut....uns leid. Wir...."
".....sind jetzt leise." meinte Tom abschließend. Sein Gesicht war urplötzlich wieder vollkommen normal.
Die drei anderen nickten nur wortlos und verschwanden, leicht beleidigt wieder in ihre Schlafsääle.
Nun waren die beiden wieder allein und blickten einander schweigend an.
"Also, wenn ich dir geschrieben habe und du mir......" begann Tom.
"Warum hat dann keiner von uns irgendeinen Brief erhalten?" beendete Jessica den Satz.
Lange sahen sie sich fragend an.
Dann zuckte Jessica unwissend mit den Schultern und setzte sich wieder auf das Sofa.
Tom ließ sich neben sie plumsen und nahm ihre Hand.
"Entschuldige." flüsterte er kaum hörbar.
"Schon in Ordnung." war ihre Antwort.
Und wieder schwiegen sie.
Wieder hörte man im Gemeinschaftsraum der Slytherins nur das Knacken und Prasseln des Kaminfeuers.
Die beiden hatten nichtmehr lange dort gesessen. Immerhin sollte am nächsten Tag wieder Unterricht sein.
Trotz des leichten Schlafentzuges waren die beiden, wie immer, pünktlich.
Als sie nach der zweiten Stunde hinunter in die Kerker gingen, bemerkte Jessica Olive Hornby, die sich mit anderen Mädchen, darunter auch Rose, über eine Ravenclaw in ihrem Alter lustig machte. Das Mädchen hatte zwei lange, dunkle Zöpfe, war leicht pummelig, hatte ziemlich viele Pickel und eine riesige, hässliche Brille auf der Nase. Jessica hatte sie schon oft gesehen, was auch wirklich nicht zu vermeiden war.
Das war für Olive das gefundene Fressen. Eigentlich gab es keinen Tag, an dem sie das Mädchen mal in Ruhe ließ.
"Seht sie euch an! Eigentlich müsste sie mit dieser Riesenbrille doch besser sehen! Aber offenbar verfügt sie über keinen Spiegel!" In ihrer Stimme lag Grausamkeit.
"Neeeiin!" funkte Rose dazwischen.
"Sie kann in garkeinen Spiegel sehen, der zerbricht bei ihrem Anblick doch sofort."
Die Mädchenschar lachte so laut, dass der Ravenclaw in ihrer Mitte das Trommelfell hätte platzen müssen.
Jessica tat das Mädchen leid, aber sie hatte nicht eingreifen wollen. Die Ravenclaw müsste sich mit ihrem Aussehen und den Zicken selbst auseinandersetzen, fand sie. Irgendwann würden Olive, Rose und die anderen schon der Spaß daran vergehen.
Zum Glück kam in diesem Moment auch schon ihr Lehrer und es war sofort still.
Nach der Doppelstunde Zaubertränke ging das Mobbing für die arme Ravenclaw allerdings weiter.
"Vielleicht sollte sich das hässliche Endlein mal denen anschließen, die optisch zu ihr passen. Oh, wartet! Das geht ja garnicht! Niemand ist so hässlich!" Olive lachte lauthals über ihre Gemeinheit.
Das Mädchen mit der großen Brille schien es nicht mehr auszuhalten. Weinend rannte sie davon, in Richtung Mädchentoilette.
Jessica sah ihr besorgt nach, wurde jedoch wieder abgelenkt, von ihrem besten Freund.
"Ich muss nochmal nach oben, in den Gemeinschaftsraum. Ich hab mein Buch für Zaubereigeschichte vergessen." er lächelte verschmitzt.
"Okay, wir sehen uns dann in der großen Halle, zum Mittag?" fragte sie. Tom nickte, strich ihr noch einmal mit der Hand über den Arm und verschwand den Gang runter.
Jessica sa ihm eine Weile nach und machte sich dann auf den Weg zur Bibliothek.
Als sie dort ankam, legte sie ihre Bücher auf einen Tisch und wollte gerade nach einem speziellen Buch für Zaubertränke greifen, da packte sie plötzlich jemand am Arm. "An Ihrer Stelle, Miss Whiteman, würde ich erstmal das Buch von vor zwei Wochen zurückbringen."
Vor ihr stand die Bibliothekarin Irma Pince mit zornrotem Gesicht.
"Sie haben noch immer das Buch "Hexenrezepte für tausend und einen Anlass" nicht zurückgebracht. Ich will wissen, wo es ist."
Jessica befreite ihren Arm aus ihrem harten Griff und sah sie freundlich an.
"Ich kann Ihnen versichern, Misses Pince...."
"MISS Pince!" unterbrach die alte Frau sie forsch.
"Miss....Pince, ich kann Ihnen versichern, dass mit dem Buch alles in Ordnung ist. Es...."
"Dann beweisen Sie es!" fuhr ihr Irma Pince schon wieder dazwischen.
"Bringen Sie es her! Jetzt!"
Jessica war so überrumpelt, dass sie garnicht wusste, was sie sagen sollte.
Gerade wollte sie ihre Bücher nehmen, da......
"Oh, nein! Die lassen Sie mir schön als Pfand hier, damit ich sicher sein kann, dass sie mir das Buch zurückbringen!" Mit diesen Worten packte Pince die Bücher und drückte sie an sich.
"Okay...." sagte Jessica und machte sich kopfschüttelnd auf den Weg.
Wie konnte man sich wegen eines Buches so aufregen?
Die Frau war wirklich merkwürdig. Aber so blieben die Bücher wenigstens heil und verschwanden nicht nach einem halben Jahr.
Auf ihrem Weg zur Treppe kam Jessica am Mädchenklo vorbei. Ob die weinende Ravenclaw mit der riesigen Brille immer noch da drin war?
Sie blickte sich um. Niemand weit und breit zu sehen.
Da fasste sie sich ein Herz und ging hinein. Das Mädchen konnte sicherlich Trost gebrauchen.
Sie sah das Mädchen nicht. Wahrscheinlich hatte sie sich in einer Kabine eingeschlossen. Doch sie hörte auch nichts. Nur das Tropfen der Wasserhähne registrierte sie.
"Hallo?" frage sie in den Raum hinein.
Keine Antwort. Sie ging weiter, zu den Kabinen. Ihr Blick fiel auf den nassen Fußboden. Sie wollte sehen, ob sie unter einer der Türen Füße sehen konnte. Einen Schritt tat sie noch. Da erschrak sie. Auf dem Boden, in einer Pfütze lag das Mädchen mit der Brille auf dem Rücken.
Sie war kreidebleich und ihre Arme lagen links und rechts neben ihrem Körper.
Jessica riss die Augen auf, ihr Atem stoppte.
Sofort stürzte sie an die Seite der Ravenclaw, kniete sich neben sie und nahm ihre Hand.
Verzweifelt hektisch suchte sie nach dem Puls.
Aber sie fand keinen. Geschockt ließ sie die Hand fallen, als hätte sie etwas furchtbar Ekelaftes berührt.
Sie lehnte sich vor, um an ihrem Hals zu fühlen, da erschrak sie erneut fast zu Tode. Die blauen Augen des Mädchens waren weit aufgerissen. In ihrem Gesicht lag pures Entsetzen. Jessica presste die Hand vor den Mund und rutschte auf dem nassen Boden einige Meter von dem Mädchen weg. Ängstlich drückte sie sich gegen eine der Kabinen und versuchte noch weiter weg zu rücken.
Ihr Atem ging nun so schnell, wie noch nie zuvor.
Sie war starr vor Entsetzen.
Sie war tot. Das Mädchen war tot! Tot! Tot!
"Hilfe." füsterte sie mit zittriger Stimme.
"Hilfe" wiederholte sie etwas lauter. Sie konnte sich selbst kaum verstehen.
Ihr Blick war gefesselt an das bleiche Gesicht, an den leblosen Körper.
Da brach es plötzlich aus ihr heraus.
"Hilfe! Hilfee!! HIIIILFEEEEE!!!" Sie hörte sich selbst so laut schreien, als würde man ihr die Kehle durchschneiden. Immer weiter.
"Hilfe, Hilfe, Hilfe, HILFEE!!"
Jetzt begann sie zu weinen. Die Tränen rannen ihr Gesicht in Strömen herunter und ihr hysterisches Gekreische wurde noch lauter.
Ihr Atem ging viel zu schnell, er stockte. Sie bekam kaum noch Luft. Und sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Ihre Beine waren Pudding und ihr Rücken noch immer an die Kabine gepresst.
"Hilfe!!"
Nach einer viel zu langen Weile kam jemand. Es waren mehrere Professoren, darunter Standfield.
Jessica hatte mittlerweile aufgehört zu schreien. Sie hatte ihre Beine an ihre Brust gepresst, machte sich so klein, wie möglich. Ihr Kinn stützte sie auf ihre Knie, den Blick immer noch auf das tote Mädchen geheftet. Ihre Tränen liefen wie Wasserfälle, immer weiter. Sie zitterte am ganzen Körper. Wie die Professoren reagierten, bekam sie nicht mit. Sie war abwesend. Sie sah nur die Leiche vor sich liegen. Sie war taub und stumm.
Da tauchte plötzlich ein bekanntes Gesicht vor ihr auf und verdeckte ihr den Blick auf die Tote.
Es war Tom. Er sagte irgendetwas zu ihr, doch sie hörte nichts. In seinen Augen lag Ruhe und Frieden.
Er nahm sie bei den Schultern und zog sie sanft nach oben. Doch in seinen Armen blieb sie nicht lange, denn nachdem sie sich erhoben hatte kam eine Heilerin auf sie zu und nahm sie mit. Dass sie zum Krankenflügel gingen, nahm Jessica nicht wahr. Sie spürte garnichts. Sie sah die Dinge, konnte sie aber nicht zuordnen. Ihr Kopf war wie leer gefegt, ihr Gehirn wie blockiert. Mittlerweile hatte sie auch aufgehört zu zittern. Es war, als wäre kein Leben mehr in ihr. Genauso wie in dem toten Ravenclaw- Mädchen mit der großen, hässlichen Brille.
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