von Blue
Liedtipp: Just one last dance von Sarah Connor & Mark Terenzi
(Ja, ich weiß, kitschig! :D).
Wem's zu kitschig ist kann auch Serpentine von Reamonn hören. (MEIN Favorit!)
Später eventuell Lacrimosa von Sweetbox
@Zelda-Angel: Danke dir! Hoffe, du hast auch einen schönen Sommer (Ferien/Urlaub ?).
PS: Wer auch Erinnerung an Liebe liest: Lest das zuletzt hinzugefügte Kapitel nochmal, hab's überarbeitet!! :)
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Jessica verschlief am nächsten Morgen. Als sie sich in ihrem Bett aufrichtete, war sie alleine im Schlafsaal. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht, putzte die Zähne und band sich ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Der Aufenthaltsraum war ebenfalls leer. Unten in der großen Halle allerdings herrschte geschäftiges Treiben. Beinahe alle Häuser saßen heute wild durcheinander gewürfelt. Vor allem die Mädchen hatten sich bunt verteilt und kannten heute natürlich nur ein Thema: Abschlussball! Auf dem Weg zu ihrem Stammplatz, schnappte Jessica einige Wortfetzen auf:
„Kleid,….-tanz,….sexy, heiß,…..Kleid, pink…..Leuchtdekoration, Feenlichter,….Kleid…“
Auf ihrem Platz lag der Tagesprophet, wie jeden Morgen. Bevor sie sich hinsetzte, blickte sie sich suchend um. Tom war nirgends zu sehen. Innerlich atmete sie auf und ließ sich auf die Bank sinken. Vielleicht hatte sie ja heute absichtlich verschlafen, um ihm nicht zu begegnen?
Sie wusste es selber nicht. Aber, wenn sie nicht, wer dann? Eigentlich war sie sich bei gar nichts mehr sicher. Es war schon gestern schwer genug gewesen, ihm den ganzen restlichen Tag nicht über den Weg zu laufen, und er hatte nicht einmal bewusst nach ihr gesucht! Wie sollte das heute werden? Mit etwas Glück würde sie ihn heute den ganzen Tag nicht sehen, weil sie sich im Schlafsaal verkriechen würde, wie eine feige Erstklässlerin. Aber spätestens heute Abend würden sie sich sehen. Er würde einen schicken Anzug tragen und sie ihr Ballkleid, dass sie sich vor einigen Wochen gekauft hatte. Wenn sie so darüber nachdachte, hatte sie eigentlich keine Lust mehr, überhaupt auf den Ball zu gehen.
Worüber sollte sie mit ihm reden, wenn sie sich „zufällig“ begegnen würden? Was sollte sie sagen, wenn er auf gestern anspielen würde? Was gab es da zu reden? Eine ganze Menge, immerhin hatte er sie geküsst! Ihr bester Freund hatte sie geküsst! Was sollte sie davon halten? Wie sollte sie darauf reagieren? Tom und sie waren wie Geschwister, seit der ersten Klasse.
Ein Blick von ihm und sie wusste genau, was er fühlte oder was er dachte. Und trotzdem war er selbst für sie noch unberechenbar. So wie gestern. Jessica wusste vielleicht ungefähr, was in seinem Kopf vorging, doch wusste sie nie genau, was er als nächstes tun würde. Seine Handlungen waren ebenso sprung- und wechselhaft, wie seinen Launen. Tom Riddle würde ihr wohl auf eine gewisse Art und Weise immer ein Rätsel bleiben. Genauso wie der Grund, für seinen Kuss. Vielleicht war das auch besser so. Sie wollte gar nicht den Grund dafür erfahren. Nachher hätte er noch gesagt, dass er auf sie stehen würde oder noch schlimmer, sich in sie verliebt hätte. All das wollte sie nicht hören wollte es möglichst vermeiden. Zwischen Tom und ihr sollte sich nichts ändern, durfte sich nichts ändern. Jessica konnte sich einfach keine andere Beziehung zu ihm vorstellen, als Freundschaft. Mehr konnte da einfach nicht sein, durfte da nicht sein! Plötzlich wurde sie auf die Schulter getippt.
Überrascht fuhr sie herum und erkannte Professor Slughorn. Der korpulente Zaubertrankmeister stand neben ihr und hielt beide Hände hinter den Rücken. Er grinste wie immer über das ganze Gesicht. „Guten Morgen, Jessica.“, trällerte er so fröhlich, als hätte er soeben eine Auszeichnung erhalten. „Morgen, Sir.“, entgegnete sie leicht irritiert und sah ihn erwartungsvoll an. Slughorns Grinsen wurde nun noch breiter. „Hach, ist das zu fassen? Heute Abend sagen wir euch schon Auf Wiedersehen!“ Er zeigte seine gelben Zähne.
Wie konnte er da so fröhlich sein? Jessica verstand seine übergroße Freude nicht. Abschied war doch etwas Trauriges. Aber da sie keine Lust hatte, mit ihm zu diskutieren antwortete sie nur knapp: „Ja, wer hätte das gedacht?“ Sie versuchte ein leichtes Lächeln, was aber nur allzu kläglich ausfiel. Ihr Professor schien ihren Unmut bemerkt zu haben und klopfte ihr tröstend, allerdings etwas zu fest auf den Rücken. „Das wird schon.“, meinte er und verschwand schließlich in Richtung Ausgang. Jessica hustete ein paar Mal und sah ihm nach.
Wahrscheinlich war der ältere Herr einfach gerührt darüber, wie erwachsen sie doch alle geworden waren. Im Grunde hätte sie sich auch freuen sollen. Sie würde Aurorin werden, wie sie es sich seit über einem Jahr wünschte. Und hier auf Hogwarts gab es nichts, was sie hielt.
Ihr Magen verkrampfte sich bei dieser dreisten Lüge. Auch, wenn es nur wegen einem einzigen Menschen war, tat es unglaublich weh, zu gehen. Er ließ sie nicht los, obwohl er sie überhaupt nicht festhielt. Angewidert schob sie ihren Teller weg, stand auf und ging zurück in den Schlafsaal. Der Appetit war ihr regelrecht weggegrinst worden.
Als sie im Schlafsaal ankam, waren Olive Hornby und zwei andere Mädchen namens Vanessa und Mary dabei, ihre Koffer zu packen. Diese wohlbekannte Abschiedsszene trieb Jessica beinahe die Tränen in die Augen. Sie blinzelte ein paar Mal und schluckte dann kräftig.
Es wäre erbärmlich, sich am offiziell letzten Tag noch die Blöße vor der Oberzicke und ihren Anhängseln zu geben. Sie würde sie ja ohnehin nicht vermissen. Und umgekehrt ganz sicher auch nicht. Jessica schloss die Tür hinter sich und ging zu ihrem Bett.
Auch sie würde jetzt ihre Sachen packen. Etwas schwerfällig zog sie ihren schwarzen Lederkoffer mit den silbernen, schlangenförmigen Verschlüssen unter ihrem Bett hervor (ein Weihnachtsgeschenk von ihrem Vater), fegte einen der grünen Umhänge zur Seite und ließ das große Ding achtlos auf die weiche Matratze fallen. Es federte leicht, die Matratze quietschte und der Koffer, der ihr im Stehen bis zum Bauchnabel reichte, hob leicht ab. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie Olive ihre Schoßhündchen zu sich rief und mit ihnen tuschelte. Demonstrativ wandte sie ihren Blick zum Kleiderschrank und lauschte unauffällig.
„Seht ihr ihren Koffer? Sponsered by Daddy!“, flüsterte Olive in einem dreckigen Unterton.
„Diese Prinzessin hält sich wohl für was Besseres!“, zischte Mary und nickte beipflichtend.
Von Vanessa hörte sie nur albernes Gekicher. Betont gleichgültig, als hätte sie es nicht gehört, griff sie in den Schrank, griff sich einen Stapel ihrer Oberteile und warf ihn achtlos über die Schulter in den Koffer. Während sie das tat, drehte sie sich plötzlich wie aus dem Nichts um und funkelte ihre drei Mitschülerinnen absichtlich böse an. Diese, welche sie bis gerade noch angegafft hatten, widmeten sich etwas schneller und konzentrierter als normal wieder ihren Koffern.
Jessica lächelte mit leicht fiesem Zug. Diese Ziegen konnten so viel flüstern, wie sie wollten, ihr gutes Gehör ließ sie in geschlossenen Räumen niemals im Stich.
Jessicas Laune schien sich von Minuten zu Minute zu bessern. Sie griff sich den nächsten Stapel Kleidung und schmiss ihn wieder achtlos in den Koffer. So ging das auch bei ihren Jacken und zuletzt bei ihren Schuhen. Zufrieden blickte sie sich in ihrem Schrank um. Am Bügel hing nur noch ihr Kleid für heute Abend, auf dem Schrankboden standen die passenden Schuhe und in einem der Regale lagen ihre Sachen für morgen zur Abreise. Sie schloss die Schranktür und ging zu ihrem Koffer. All ihre Sachen lagen ordentlich gestapelt und aufgereiht darin. Alles was man in diesen Koffer warf, schmiss oder stopfte, sortierte sich ordentlich von selbst. Standart in Jessicas Welt. In einer Welt, wo der Vater genug Geld nach Hause brachte, um sich solchen Schnickschnack leisten zu können. In einer Welt, wo in den Abschlussprüfungen überall ein „Ohne Gleichen“ zu haben, das Mindeste war. Eine Welt voller Vor- und ebenso großen Nachteilen. Eine Welt, aus der sie nun endlich ausbrechen könnte, wenn sie ihre Ausbildung gut absolvierte.
Nachdem sie ihren Koffer soweit fertig gepackt hatte, schnappte sie sich einen ihrer Krimis, legte sich auf ihr Bett und versank in Geschichten über Mord, Totschlag, Erpressung, Intrigen und Rätsel. Jessica schaffte es, sich davon so weitgehend ablenken zu lassen, dass sie gar nicht mehr an den Ball, an Tom, an den Kuss oder an den Abschied dachte. Erst, als es draußen dämmerte, das Licht zum Lesen schlechter wurde und sich der Geräuschpegel im Gemeinschaftsraum erhöhte, blickte sie auf und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Überrascht stellte sie fest, dass sie nur noch zwei Seiten zu lesen hatte. Gerade wollten ihre Augen zu der Zeile zurückkehren, wo sie stehen geblieben war, da wurde die Tür zum Schlafsaal aufgerissen und so ziemlich alle Mädchen stürmten auf einmal hindurch. Genervt richtete sie sich auf, schlug das Buch zu und legte es auf ihren sonst leeren Nachttisch. Als endlich alle Mädchen im Raum waren, begannen sie wie verrückt herum zu springen, liefen von einer Ecke zur anderen, kicherten wie die Erbsen und schienen regelrecht auszuflippen. Ungerührt blieb Jessica liegen und hob plötzlich die Stimme: „Hab’ ich was verpasst?“ Sofort verstummten alle. Die Mädchen blieben stehen, verharrten teilweise mitten in ihrer Bewegung und starrten sie an, als wäre sie ein Hippogreif. Dummerweise war ausgerechnet Rose die Erste, die die Sprache wieder fand. „Hast du mal auf die Uhr geguckt, Jess? In einer Stunde geht’s los!“
Bei dem letzten Satz lösten sich alle Mädchen aus ihrer Starre und schienen wie nach einem Break wieder zu ihrem ursprünglichen Vorhaben überzugehen. Jessica blickte sie alle erstaunt an und schüttelte unverständlich den Kopf. Die machten einen Aufstand, als würden sie alle in einer Stunde heiraten. Unbeirrt blieb sie liegen. Da kam Rose durch die Masse zu ihrem Bett und setzte sich ihr Gegenüber ans Fußende in den Schneidersitz und grinste. Aber nicht hinterhältig oder böse, nein. Sie grinste fröhlich. Jessica zog verwundert die Augenbrauen zusammen und drehte den Kopf leicht zur Seite. Was sollte das?
„Ach, Jess. Du warst nie das typische Mädchen.“ Sie lächelte. „Wahrscheinlich steht Riddle deshalb auf dich. Du bist eben anders.“
Jessicas Augen weiteten sich. Was wusste Rose denn von ihrer Beziehung zu Tom? Jetzt fing sie auch noch genauso an, wie Olive. Wusste etwa die ganze Schule etwas, das sie nicht wusste? Empört richtete sie sich komplett auf, setzte sich ebenfalls in den Schneidersitz und sah Rose entnervt an. „Wie oft soll ich das denn noch sagen? Tom und ich sind nur Freunde!“
Die blonde Hexe veränderte ihr Lächeln nicht. Es blieb fröhlich, aber nicht spöttisch. Eher, verständnisvoll. „Ja, ja. Du bist aber scheinbar die Einzige auf dieser Schule, die das wirklich glaubt.“ Sie nickte. Jessica öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Rose fuhr ihr dazwischen: „Komm. Mach’ dich fertig, viel Zeit hast du nicht mehr.“ Mit diesen Worten sprang Rose auf und kämpfte sich durch die Masse mittlerweile halbnackter Mädchen.
Jessica blieb leicht verwirrt zurück. Sie zögerte noch einen Moment, bevor sie sich nur langsam erhob und zu ihrem Schrank ging.
Keine fünf Minuten später waren die meisten Mädchen ins Badezimmer verschwunden. Auch hier drängten sie sich wie die Wilden um die Spiegel, legten Make-up, Rouge, Eyeliner und Lippenstift auf. Hin und wieder hörte Jessica manche von ihnen aufschreien. So was wie:
„He! Lass mich auch mal….Ich bin dran!!...Hau endlich ab!!...Hör’ auf mich zu….“
Sie musste lachen. Irgendwie würde ihr das schon fehlen. Es war immerhin vertraut, sogar die eher nervigen Dinge würde sie vermissen. Sie schminkte sich kurzerhand mit ihrem Schminkspiegel in der Hand. Es war ja auch nicht viel. Ein bisschen Wimperntusche und ein bisschen Lipgloss in einer natürlichen Farbe. Ihre Haare frisierte sie wie an dem Abend vor einem Jahr, als sie zu Slughorns Weihnachtsfeier gegangen war. Sie nahm einfach die vorderen Strähnen und befestigte sie mit einer schwarz glänzenden Klammer an ihrem Hinterkopf. Sie strich ihr Kleid glatt und schlüpfte in ihre hochhackigen Schuhe.
Zum Glück befand sich in ihrer Schranktür ja ein Ganzkörperspiegel. Sicherheitshalber blickte sie sich noch einmal um, ob auch keine ihrer Mitschülerinnen im Raum war und öffnete den Schrank. Überrascht blickte sie ihr Spiegelbild mit großen Augen an. Es sah besser aus, als sie es sich erhofft hatte. Ihre schwarzen Haare fielen ihr in schönen, weichen Locken über die Schultern. Ihr azurblaues Kleid reichte ihr bis über die Knie, es war Träger los und am Ausschnitt war es mit ein paar Falten verziert. Es lag eng an, der Rock ging etwas breiter auseinander und schwang ihr leicht um die Beine, als sie sich hin und her drehte. Ihre Schuhe hatten die gleiche Farbe. Zufrieden und doch etwas niedergeschlagen lächelte sie sich selbst aufmunternd zu. „Komm schon, Jessy. Reiß’ dich zusammen!“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, das sie mit großen, grün-grauen Augen ansah.
Als sie die große Halle betrat, staunte sie nicht schlecht. Die Mädchen hatten Recht gehabt mit der Deko. Die Decke bildete einen klaren, sternenreichen Nachthimmel, darunter, quer durch den gesamten Raum schwebten bunte Feenlichter. Im vordern Teil des Saals standen mehrere runde Tische, überzogen mit weißen Tischdecken. Und auf jedem der Tische stand eine Vase mit vielen, verschiedenen Blumen, in allen Formen und Farben. Die meisten Abschlussschüler waren schon anwesend und bedienten sich eifrig an der Bowle, unterhielten sich angeregt mit den Lehrern oder waren dabei, sich umzusehen, wie Jessica. Ganz hinten, wo sonst der Lehrertisch stand war eine kleine Bühne aufgebaut. Eigentlich war es nur ein kleines Podium, worauf ein großer schwarzer Flügel, einige Geigen und ein Kontrabass von Zauberhand eine ruhige, wunderschöne Melodie spielten. Jessica lächelte und ließ ihre Augen weiter wandern. In diesem Moment machte die Melodie einen Sprung, wurde etwas lauter.
Da blieb ihr Blick an ihm hängen. Er stand mitten in der Menge, unterhielt sich mit keinem Geringeren als Slughorn und sah sie direkt an. Tom trug einen eleganten schwarzen Anzug und, wie es der Teufel wollte, darunter ein blaues Hemd. Es war ein etwas dunkleres Blau als Azur, kam dem aber sehr nahe. Sein Mund war leicht geöffnet und seine Augen waren groß.
Er schien Slughorn gar nicht mehr zu bemerken, der begeistert auf ihn einredete. Jessica zögerte. Unsicher begann sie, mit einer ihrer Locken zu spielen und war sich nicht sicher, wie sie sich verhalten sollte. Sollte sie zu ihnen hinüber gehen und so tun, als wäre nichts passiert?
Konnte sie das? Am Liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre nach draußen verschwunden.
Doch da wurde ihr die Entscheidung jäh abgenommen. „Miss Whiteman.“, zischte es hinter ihr. Verzweifelt schloss die die Augen und wünschte sich, sie hätte die erste Möglichkeit gewählt. Als sie sich zu Standfield umdrehte, starrte dieser mit gewohnt scharfem Blick auf sie herab. „Professor.“, sagte sie und setzte ihr falsches Lächeln auf.
Schmalzlocke trug ein schwarzes Frack, darunter ein weißes Hemd und um den Hals eine schwarze Krawatte. Er sah aus wie ein Pinguin. Jessica musste sich bemühen, um ihn nicht auszulachen, was sie nur zu gerne getan hätte. „Hübscher Galgen“, nickte sie anerkennend und deutete auf den Schlips. Standfield spannte gereizt den Unterkiefer an. Offenbar eine seiner Angewohnheiten, wenn er wütend war, ganz besonders dann, wenn er wütend auf sie war, was so gut wie jeden Tag vorkam. Na gut, daran war sie ja auch nicht ganz unschuldig. Sie grinste frech und ehe der Professor etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und machte sich eilig in Richtung Saalmitte davon. Standfield folgte ihr nicht, das war schon mal ein gutes Zeichen. Kurz vor der Tanzfläche blieb sie stehen und blickte sich um. Sie kam sich ein bisschen verloren vor. In diesem Moment kam ein kleiner Schwarm von silbernen Feenlichter angeflogen und umschwärmten ihre nackten Beine. Überrascht bewegte sich Jessica ein paar Schritte weiter, um von ihnen weg zu kommen. Doch die kleine, silbern glitzernde Wolke folgte ihr und schwebte nun um ihre Schultern herum. Leicht genervt verzog sie das Gesicht und wedelte ein paar Mal mit der Hand umher, um sie wie lästige Fliegen zu verscheuchen.
In diesem Moment nährte sich Slughorn. Er hatte ein Glas Bowle in der Hand und im Schlepptau….ihren besten Freund. Der Tränkemeister blinzelte, als er sie sah und grinste dann sofort über beide Ohren. Forschen Schrittes kam er auf sie zu, Tom folgte ihm unsicher und lugte vorsichtig über dessen Schulter hinweg in ihre Richtung. Jessica blieb wie angewurzelt stehen. Als Slughorn bei ihr war, flogen die Lichter auf und davon, in Richtung des Klaviers, das auf dem Podium seine ruhige, gleichmäßige Melodie weiterspielte.
„Ah, Jessica!“, begrüßte der Professor sie freudig und hob die Hand, als wollte er ihr auf die Schulter klopfen. Doch ihm schien gerade noch aufzufallen, dass sie ein Mädchen war und ließ die Hand wieder sinken. „Wir hätten dich beinahe nicht erkannt, du siehst so erwachsen aus!“, meinte er und blickte sich nach Tom um. Dieser stand noch leicht versetzt hinter ihm und beschaute sie von oben bis unten. Slughorn griff ihn plötzlich am Arm und zog ihn neben sich, sodass die drei nun einen kleinen Kreis bildeten. Jessica spielte unsicher mit ihren Händen, während Tom seine auf dem Rücken hielt und seinen Blick immer wieder zwischen seiner besten Freundin und dem Fußboden schwanken ließ. Sie konnte sehen, wie er schwer schluckte. Slughorn schien die Anspannung seiner beiden Lieblingsschüler gar nicht zu bemerken, plauderte stattdessen in einem Fort darüber, wie groß die beiden doch geworden wären und wie erfolgreich und legendär sie doch waren und vor allem wie stolz er auf sie beide wäre. Jessica lächelte ab und an unsicher und gequält auf, während Tom dies gar nicht gelang. Als Slughorn endlich mal eine Atempause einlegte, also endlich mal einen Punkt in seinem Vortrag setzte, verabschiedeten sich Tom und Jessica gleichzeitig und aus einem Mund: „Ich habe Durst.“ Als hätten sie sich verbrannt, starrten sie einander geschockt an und zuckten leicht zurück. Ohne eine Reaktion des Tränkemeisters abzuwarten, wollten sich die beiden in Richtung des Buffets aufmachen, was sich jedoch als schwierig erwies. Beide wollten sich gleichzeitig durch die Menge drängeln und blieben voreinander stehen. Als Jessica gehen wollte, setzte auch er sich plötzlich in Bewegung. Und wieder zuckten beide verunsichert zurück. Sie versuchte es zu vermeiden, ihn anzusehen. Tom räusperte sich kurz und streckte die Hand aus, als Zeichen, dass er ihr den Vortritt ließ. Das war ihr mehr als unangenehm. Sie nickte kurz und beeilte sich dann, zum Buffet zu kommen. Jessica spürte seine Blicke förmlich, ihren Rücken hinauf kriechen. Eine Gänsehaut machte sich auf ihrem Körper breit und ihre Schultern zogen sich unwillkürlich nach oben. Das war ja noch unangenehmer, als Standfields Eisblicke. Am Buffet angekommen, füllte sie sich ein Glas mit der rosafarbenen Bowle und trank erst einmal einen großen Schluck. Eine angenehme Wärme machte sich in ihrem Hals- und Brustbereich breit. Den Kopf weiterhin geradeaus auf die Wand gerichtet, schielte sie zur Seite, in Toms Richtung. Sein Blick war gesenkt, als er sich etwas vom Feuerwhiskey nahm. Natürlich nur eine kleine Menge, in einem Brandy-Glas, mehr war den Abschlussschülern nicht erlaubt. Er nippte leicht daran und seine dunklen Augen blitzten zu ihr herüber. Schnell drehte sie ihm den Rücken zu. In der nächsten Sekunde kniff sie die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. Warum musste sie immer so übertrieben und auffällig reagieren? Auch jetzt glaubte sie, seinen Blick auf ihrer Haut zu fühlen. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus und versuchte, sich herunter zu fahren.
Beruhig’ dich endlich! Du stellst dich absolut kindisch und dumm an!
Und wieder nahm sie einen großen Schluck und legte den Kopf in den Nacken, als sich das Glas leerte. Langsam drehte sie sich wieder um und stellte es auf dem Buffettisch ab.
Tom hatte sie beobachtet und musterte sie nun etwas gelöster. In der rechten Hand hielt er das Glas, die linke Hand hatte er in der Hosentasche verstaut. Er ließ seine Schultern nach hinten rollen, scheinbar bemüht, sich zu entspannen. Jetzt brachte er sogar ein Lächeln zustande.
Innerlich atmete sie auf. Es schien ein kleiner Teil der großen Last auf ihren Schultern abzufallen. Vielleicht war das aber auch nur die Bowle? Sie standen bestimmt einen Meter voneinander entfernt und jeder wartete darauf, dass der andere etwas sagen würde. Schließlich brach Tom sein Schweigen: „Du…siehst toll aus.“, meinte er und sein rechter Mundwinkel zuckte nach oben. Jessica schluckte und bemühte sich, ihr Lächeln aufrecht zu erhalten.
„Ja,…danke. Ähm…du auch.“ Tom nickte kurz und trank seinen Feuerwhiskey in einem Zug aus. In diesem Moment spielte das Klavier eine andere Melodie, eine Melodie, die darauf hinwies, dass es jetzt Zeit zum Tanzen war. Die Geigen und der Kontrabass stiegen fröhlich mit ein. Jessica lauschte. Es klang ganz nach Walzer. Sie blickte zur Tanzfläche hinüber und sah, dass bereits einige Schüler dabei waren, sich dort zu sortieren. Sie lächelte bei diesem Anblick und schaute zu ihrem Gegenüber, der sie fragend musterte. Er folgte ihrem Blick und drehte den Kopf in Richtung Saalmitte. Nebenbei stellte er sein Glas ab. Als er sie wieder ansah, lächelte er leicht. „Möchtest du tanzen?“, fragte er schließlich. Na endlich! Er hatte sie verstanden, sie brauchte nichts mehr zu sagen.
Tom ergriff ganz ungezwungen ihre Hand und zog sie sanft hinter sich her. Als er auf der Tanzfläche angekommen war, ruckte er kurz an ihrem Arm, sodass sie der Schwung genau vor ihn beförderte und sie sich gegenüber standen. Jessica musste schlucken, schon wieder.
Er legte seine rechte Hand auf ihrem Rücken ab und zog sie noch ein bisschen näher an sich heran. Sie reichte ihm ihre rechte Hand und legte ihre andere auf seiner Schulter ab. Die beiden warteten noch, bis sie einen Einstieg in den Takt fanden, dann taten sie den ersten Schritt. Sie blickte kurz auf ihre Füße, um sich zu orientieren, dann sah sie ihn an. Und er lächelte. Fast so, als wäre nichts gewesen, als wäre nichts passiert. Zu Anfang war sie noch ein wenig verkrampft, wusste nicht, was sie sagen sollte. Doch die Ruhe in seinen dunklen Augen gab ihr Sicherheit und ihr wurde klar, dass sie nichts sagen musste. Im Augenblick durften sie schweigen. Jessica hörte die Musik nur noch im Hinterkopf, sie schien immer weiter abzudriften, in seinen Augen zu versinken. Es kam ihr vor, als würden sie schweben. Das Tanzen, was eigentlich eher nicht zu ihren Talenten zählte, fiel ihr unglaublich leicht. Seine Haltung war elegant, gerade, gestreckt, aber nicht verspannt. Er strahlte eine vertraute Wärme aus, die sie auffing und in sich aufnahm. Es war, als würden sie sich schwerelos über die Tanzfläche bewegen. Doch immer, wenn sie glaubte, zu leichtfüßig zu werden, holte er sie irgendwie wieder zurück. Sanft. Er ließ nicht zu, dass der Strom sie mit sich riss, ließ sie aber dennoch schwimmen. Tom und Jessica befanden sich für sieben Minuten irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit.
Als das Klavier plötzlich verstummte, blieben sie stehen. Sie wollte zurück gehen, aber er ließ sie noch nicht los. Sein Gesichtsausdruck war diabolisch, bestimmend. Jessica war verwundert, vielleicht sogar ein bisschen schockiert. In seinen Augen stand Entschlossenheit. Die Entschlossenheit, sie erst dann loszulassen, wenn er es wollte. Doch das würde sie nicht zulassen. Er würde ihr nicht vorschreiben, was sie zu tun hatte. Das tat ihr Vater schon andauernd und davon hatte sie ganz klar genug. Etwas fester als unbedingt notwendig befreite sie sich aus seiner Umarmung und riss ihre Hand los. Seine Augen blitzten drohend, aber sie ließ sich davon nicht beeindrucken und verschwand. Sie drängelte sich zwischen den anderen Leuten hindurch, kämpfte sich bis zum Ausgang. Die Luft war warm, der Himmel sternenklar, wie die Decke in der großen Halle, ein paar grüne Feenlichter schienen sich nach draußen verirrt zu haben und tänzelten unruhig von rechts nach links. Jessica atmete die frische Luft ein und blickte hinauf zum Astronomieturm. Von jetzt auf gleich packte sie die Lust, dort hinaufzusteigen. Sie wusste selbst nicht warum. Suchend blickte sie sich nach Tom um, der gerade aus dem Saal kam. Sein Blick schien auf ihr zu brennen. Er kam langsam näher. Sie wusste, nicht was sie tun sollte. Bald würden sie sich für vorerst verabschieden, sie durfte ihn nicht zu sehr an sich heranlassen, sich selbst nicht zu sehr von ihm abhängig machen. Sie hatte keine Ahnung, warum ihr das gerade jetzt einfiel. Er war noch nicht ganz bei ihr, als sie fragte: „Steigst du mit mir auf den Turm?“ Sie wies mit ihren Augen in dessen Richtung und lächelte dieses Mal absichtlich nicht. Er antwortete nicht, nickte nur stumm.
Bestätigend zog Jessica die Augenbrauen hoch und ging voran.
Die ganze Zeit über blieb er hinter ihr. Auf den Treppen. In den Gängen. Ebenfalls auf der Metalltreppe, die direkt bis ganz hinauf führte. Er blieb bestimmt zwei Schritte hinter ihr und die ganze Zeit spürte sie seinen Blick in ihrem Rücken. Es war merkwürdig. Seine Blicke krochen nicht mehr. Sie brannten. Es war, als würde er ihre Haut mit einem Brandeisen streifen, was auf ewig Brandnarben hinterlassen würde. Jessica stellte sich eine Schlange vor. Eine Königskobra, die vollkommen regungslos auf einem Stein verharrte, ihr Opfer, zum Beispiel eine Maus, mit stechend scharfem Blick anstarrte und nur den perfekten Moment abwartete. Und irgendwann, wenn die Maus vielleicht ihr Näschen auf den Boden senkte, um nach etwas zu schnuppern, wenn ihre gesamte Aufmerksamkeit auf diese eine Sache gerichtet war,….dann ging es Zack! Ein blitzschneller, kräftiger Biss. Ein kläglicher Schmerzensschrei, der zu einem schwachen, hilflosen Gequieke wurde. Ein triumphierendes Zischen, zwischen den rasenden Herzschlägen. Und ein letzter Atemzug. Dann war es vorbei.
Jessica erschauderte und sie spürte einen Anflug von Hitze in ihrem Inneren.
Sie schüttelte den Kopf, um dieses Naturszenario aus ihren Gedanken zu verbannen und ließ gerade die letzten Stufen der Wendeltreppe hinter sich. Beinahe schon fluchtartig ging sie weiter bis zum Geländer, legte ihre Hände dort ab und schaute hinaus auf den schwarzen See.
Tom erschien nur eine Millisekunde neben ihr. Dank ihren hohen Schuhen, die sie mittlerweile ziemlich schmerzten, war sie jetzt fast so groß wie er. Von unten tönte ganz schwach die Musik des Klaviers und der Geigeninstrumente zu ihnen hinauf. Der warme Wind wehte ihre Haare nach hinten auf ihren Rücken, das Gefühl der Freiheit. Sie lächelte gedankenverloren. „Morgen ist es vorbei.“, sagte Tom plötzlich, den Blick fest auf den Horizont gerichtet. Jessica blickte ihn traurig an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie konnte nur einatmen. Was sollte sie auch sagen? Er hatte Recht, es war eine Tatsache.
Sie schloss den Mund wieder und warf einen kurzen Blick auf ihre Fingernägel. Gefeilt.
„Werden wir uns wieder sehen, Jessy?“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie ernst an.
Wirklich antworten wollte sie nicht, doch sie hob den Kopf. Ihr kamen die Tränen. Ihre Augen brannten, als sie begannen sich mit salziger Flüssigkeit zu füllen. Krampfhaft presste sie die Lippen aufeinander und versuchte, ihre Trauer zurückzuhalten.
Da nahm Tom sie plötzlich in den Arm und begann, sie langsam hin und her zu schwenken.
Es sollte wohl so was wie tanzen sein. Jessica legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab und konnte nicht verhindern, dass sich eine Träne über ihre rechte Wange stahl. Schnell wischte sie sie mit den Fingerspitzen weg. „Schon gut, Lacrimosa.“, flüsterte er in ihr Haar.
„Weine ruhig.“ Weiter tänzelnd fragte sie: „Lacrimosa?“ Dieses Wort oder diesen Namen hatte sie noch nie zuvor gehört. „Es bedeutet die Tränenreiche.“, erklärte er.
Jessica lachte trocken auf. „Tränenreich? Ich und tränenreich?“
Tom drehte sich um 180 Grad, und sie mit ihm. „Vielleicht weinst du nicht nach außen hin. Aber innerlich….“ Das war absurd. Offensichtlich vertrug er den Feuerwhiskey nicht. Innerlich? Die Tränenreiche? War er jetzt unter die Poeten gegangen? Jessica antwortet nichts darauf. Sie ließ sich einfach von ihm weiter drehen. Ließ sich selbst ein bisschen hin und her schwanken, während die Klaviermelodie immer so weiter zu gehen schien.
Der sichelförmige Mond beobachtete ihr Tänzchen vom Nachthimmel aus. Ein paar Stimmen erhoben sich in die Luft und mit ihnen schwebten ein paar bunte Feenlichter zu ihnen hinauf auf den Astronomieturm.
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