von Blue
Er hatte es geschafft! In seinen Händen hielt er den Edlerstab. Den Zauberstab, der ihm zum absoluten Sieg und zur absoluten Macht verhelfen würde!
Hinter sich hatte er seine Todesser und allmögliche, magischen Kreaturen, die nur darauf warteten, ihm in Scharen in den Triumph zu folgen.
Und vor ihm lag die finale Stunde.
Die Stunde, die er den schwachen Halb- und Schlammblütern gegeben hatte, um ihm Harry Potter, "den Jungen, der lebte", auszuliefern.
Man wird den Namen bald in "Der Junge, der starb" umändern! dachte er.
Ihn umgab ein Meer aus Leichen. All jene, die zu schwach, zu dreckig oder zu unwert waren. Der gesamte Abschaum der Zaubereiwelt. Das unwerte Leben.
Der nächtliche Wald gefiel ihm. Die Dunkelheit war ihm vertraut, hatte ihn immer bestärkt. Die hohen, alten Bäume hatten etwas Bedrohliches, was er mit sich selbst in Verbindung brachte. Die kalte Luft stach in seinen Körper und er spürte das unvergleichliche Gefühl der Lebendigkeit. Dieses Gefühl würde ihm niemand je wieder nehmen können! Niemals!
Der dunkle Lord blickte hinter sich, als er den Cruciatusfluch hörte. Bellatrix Lestrange verging sich gerade an einem halbtoten Jugendlichen. Der blonde Junge zuckte hin und her, gab nicht einmal mehr einen Laut von sich. Wie seine Anhängerin daran Spaß finden konnte, verstand er nicht, es war ihm aber auch egal.
Nun, da er vor seinem Lebenswerk stand und ihn nur noch eine Stunde von seinem entgültigen Sieg trennte, dachte er über vieles nach.
All die Toten, das Reinwaschen der Zaubereiwelt vom unwerten Blut. Der herbe Rückschlag durch diesen miesen Bastard, der damals nicht einmal sprechen konnte. Seine Wiedergeburt. Das Gefühl des Lebens, der Unsterblichkeit. Ja, es erfüllte ihn. Bald war der lange Kampf gewonnen und er würde der alleinige Herrscher sein, die alleinige Macht haben. Er fühlte sich allzu berauscht, stolz. Aber durchaus nicht glücklich. Das Glücksgefühl, wie man so schön sagte, war ihm fremd.
Er hatte es nie gekannt und hatte es auch nie kennen wollen. Zumindest nicht in diesem Leben.
Voldemort dachte nicht gerne an sein erstes Leben. Er verdrängte es so gut es ging, verleugnete es sogar.
Was war denn schon gut an seinem ersten Leben gewesen? Nichts. Doch, aber nur eine Sache. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt, war weiser geworden.
Und wen würde nach dem Sieg schon sein erstes Leben interessieren? Es war überhaupt nicht der Rede wert.
Da fühlte er plötzlich einen ganz zarten, kaumspürbaren Druck in seiner Brust. Verwundert rieb er sich kurz über die Stelle. Er stutzte, als er erkannte, dass es genau die Stelle war, an der sein Herz sitzen sollte.
Er verzog das Gesicht. Was in drei Teufels Namen war das? Wenn ihn etwas überraschte, dann musste es etwas sehr Schwerwiegendes sein. Auf jeden Fall war es ihm nicht unbekannt. Nur in diesem Leben war es ihm fremd.
Schon wieder. Diesmal stärker.
Wann hatte er das gespürt? Er dachte nach. Kramte in seinem Unterbewusstsein.Doch er kam beim besten Willen nicht auf die Erinnerung. Schon wieder. Diesmal war es sogar schmerzhaft gewesen.
Was für ein Zauber war das? Sofort blickte er sich um.
Doch außer Bäumen, Leichen und seinen Anhängern sah er nichts.
Er fand keine Antwort. Er wusste es nicht. Das war unbekannt. Es verwunderte ihn. Irgendetwas in ihm regte sich. Aber es war nicht die Wut oder der Hass. Es war......
verschwunden. Ja, es ging ihm gut. Alles war wie vorher.
Da traf es ihn plötzlich unerwartet mit voller Wucht.
Eine Welle von Schmerz und Erinnerung. Er sah sich im Waisenhaus, in Hogwarts. Er sah Dumbledore.
Voldemort zuckte und drehte den Kopf. Er fing sich wieder. Was in ihm vorging, verstand er nicht und es beunruhigte ihn.
Er beschloss, das Ganze einfach mal näher an sich heranzulassen. Er musste wissen, warum und woher dieser unbekannte Schmerz gekommen war.
Der dunkle Zauberer schloss seine roten Augen und umfasste den Edlerstab mit beiden Händen.
Also der Punkt war: Erinnerung an sein erstes Leben.
Ein ihm sehr unangenehmes Thema.
Er stellte fest, dass er an einer Art grässlichem Déja-vu litt. Die Parallelen zu seinem beinahigen ersten Sieg und dem jetzigen waren verblüffend. Er hatte sich, wie damals, alles alleine erkämpft. Er hatte alle, wie damals, überrascht. Wie damals war er kurz vor dem entgültigen Sieg. Wie damals fehlte ihm etwas. Ja, das musste es sein. Etwas fehlte. Aber was?
Zornig drehte er sich zu seinen Anhängern um.
"Wieso spüre ich, dass mir was fehlt?!" brüllte er ihnen entgegen.
"Lord Voldemort, dem größte Zauberer aller Zeiten!! Was kann ihm schon fehlen?!"
Da meldete sich einer seiner Todesser.
"Der Tod von Harry Potter, Meist...."
"AVADA KEDAVRA!!!"
Ein grüner Blitz und der junge Mann kippte steif nach hinten. Einige zuckten zusammen.
Ungeduldig tigerte Voldemort vor der Schar auf und ab.
"Nun?!" rief er. Seine Stimme war schneidend.
"WAS ZUR HÖLLE FEHLT MIR?!!!" kreischte er hysterisch.
Keiner wagte mehr, etwas zu sagen. Alle waren still. Man hörte sie nicht einmal atmen.
Da kam Bellatrix Lestrange in seine Richtung und warf sich einige Meter vor ihm auf den Waldboden.
"Mein Herr!" begann sie. In ihrer Stimme lag Leidenschaft und Besessenheit.
"Euch, mein Herr, kann nichts fehlen! Mein Lord, in nicht einmal einer Stunde, habt Ihr es geschafft!!" Sie kreischte den letzten Nebensatz und blickte erwartungsvoll zu ihm auf. Sie war wie ein Hund.
Sie lief ihm hinterher, liebte ihn abgöttisch. Aber was war schon Liebe? Er stutzte. Da war nichts. Zu diesem Punkt fand er nichts in seinem Leben. Liebe? Allein das Wort brachte ihn zum Würgen! Diese Gefühlsverirrung war etwas für die Schwachen! Er hatte nie geliebt! Nicht in diesem Leben. War es das, was fehlte?
Jedenfalls hatte es beim ersten Mal gefehlt. Hatte es?
Er begann zu zweifeln. In den Tiefen seines Innenlebens regte sich etwas. Etwas tief Verschüttetes in seinem Herzen. In einem ganz dunklen, winzigen Winkel, von dessen Existenz er garnichts mehr wusste.
Voldemort kannte die Antwort bereits. Alles in seinem Unterbewusstsein schrie es ihm zu. Doch er weigerte sich, es anzuerkennen. Wehrte sich mit allen Mitteln dagegen. Der Kampf, der gerade in seinem Inneren von statten ging, spiegelte sich in seinem Gesicht wieder.
Bellatrix Lestrange musterte ihn fragend. Sie zog die Augenbrauen zusammen und drehte den Kopf ganz leicht zur Seite. Das war es! In diesem Moment siegte sein Unterbewusstsein und er hatte Gewissheit.
Er kannte diesen Gesichtsausdruck. In einem bleichen Gesicht, umramt von langen, schwarzen Locken.
Jessy. schoss es ihm durch den Kopf.
Sofort schalt er sich innerlich für diesen Gedanken.
Wütend drehte er seinen Anhängern den Rücken zu.
Verbarg sein Gesicht vor ihnen. Das war nicht möglich!
Es war nicht möglich!!
"Mein Herr?" hörte er hinter sich die dünne Stimme, der auf dem Boden liegenden Hexe.
Er drehte den Kopf zur Seite und zischte über die Schulter: "Schweig, Bella!"
Dann richtete er den Blick nach vorne und ging ein paar Schritte.
Hinter sich hörte er verwundertes Gemurmel.
"LASST MICH ALLEIN!!" brüllte er, so laut, dass es durch die Bäume schallte.
Er hörte, wie sie sich langsam entfernten.
Matt stützte er sich gegen einen alten, knorrigen Baum und atmete schwer. Er spürte zum ersten Mal in diesem Leben seinen Herzschlag.
"Mein Herr?" erklang es plötzlich zaghaft dicht hinter ihm.
Wütend fuhr er herum und streckte den Zauberstab nach vorne. Vor ihm stand eine geschockte Bellatrix, die ängstlich zurückwich. Da war es wieder. Der Ausdruck in ihrem Gesicht. Die Angst mit einer Spur von Enttäuschung. Voldemorts Blick wurde mit einem Mal menschlich. Er zog seine Stirn hoch, an der Stelle wo die Augenbrauen hätten sein müssen. Seine roten, schmalen Augen weiteten sich. Bellatrix schien davon so verwirrt zu sein, dass sie sich sofort umdrehte und Ihresgleichen nacheilte. Voldemort sah ihr nach. Sah ihre schwarzen Locken im Wind fliegen.
Jessy.
Nachdenklich sah er zu Boden. Es war schon viel zu lange her. Das letzte Mal vor zwei Jahren. Ihre Haut. Ihre Augen. Ihre Haare.
Ermattet sank er auf dem Waldboden zusammen und versuchte, ein Keuchen zu unterdrücken.
Da waren sie. Die Erinnerungen an sein erstes Leben.
Sein Leben mit ihr. Ihre Kindheit. Ihre Nähe. Ihr Vertrauen. Ihre...........Liebe.
Verzweifelt schloss er die Augen und fuhr sich über den kahlen Kopf. Ausgerechnet jetzt kam alles zurück. Die Erinnerungen. Der Schmerz. Sogar das Glücksgefühl deutete sich an. Doch es wurde sofort von Wut, Hass und Gier erdrückt. So viel auf einmal war entschieden zu viel!
Es schien ein kompletter Zusammenbruch seines Inneren zu sein. Ein totaler Zusammenbruch seines Herzens.
Jessy.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel