von Blue
Voldemort hatte sich wieder gefangen, war wieder in der Gegenwart angelangt und hatte eine gewisse Hexe aus einem ersten Leben (mal wieder) ganz stark nach innen verdrängt. Was vergangen war, war vergangen.
Und Jessy gehörte auch dazu. Oh ja. Vor allem sie!
Was zum......?! Schon wieder dieser Gedanke!
Er schüttelte den Kopf. Noch knapp eine dreiviertel Stunde bis zu seinem finalen Sieg. Dann würde er es geschafft haben! Er würde der größte Zauberer der Weltgeschichte sein, wenn er es nicht schon war!
Ja, man würde ihn nie wieder vergessen! Er würde herrschen. Herrscher auf immer und ewig!
Und alle würden sie vor ihm kriechen! All jene, die ihm in der Vergangenheit weder Respekt noch Dienste erwiesen hatten! All der Abschaum der Zaubereiwelt würde vor ihm zu Kreuze kriechen! Er hatte es geschafft. Lord Voldemort hatte sie sich alle Untertan gemacht! Aber er hatte ja schon immer ein Talent für solche Dinge wie Manipulation und Beeinflussung gehabt. Selbst in seinem ersten Leben.
Ein wenig trauerte er ihm schon hinterher, zumindest was das Aussehen anging. Auf der anderen Seite: So, wie er jetzt aussah, würde sich sein Bild viel eher in die Köpfe der Menschen einbrennen. Es löste Angst aus. Und das gefiel ihm. Er liebte es, wenn sie vor Angst zitterten und um ihr Leben bettelten. Dann konnte er sie immer so leicht einschätzen. Es war wie ein Spiel und es verlor niemals seinen Reiz.
Schon damals, als er der "Schulheld" wurde, war es zu köstlich gewesen, mit allen zu spielen.
Die ganzen Mädchen, die ihn rund um die Uhr verfolgten, die absurden Taugenichtse, die sich Lehrer, oder noch schlimmer, Professoren schimpften.
Alle hatte er sie geblendet, sie alle durchschaut. Und wo sie glaubten, ihn alle zu kennen, hatten sie keine Ahnung von seinem wirklichen Ich gehabt. Damals hatten sich alle gleich verhalten, alle waren sie identisch, alle waren.............
Er stockte. In seinem Unterbewusstsein meldete sich eine Art Selbstlügendetector. Dass es nicht der Wahrheit entsprach, was er da gerade gedacht hatte, war offensichtlich.
Verdräng es! Vergiss es! Konzentrier dich auf deinen Sieg! Du musst.......! Du musst!!
Krampfhaft versuchte er, sich aus dem Sog der Erinnerungen zu befreien. Aber es gelang ihm nicht.
Zum zweiten Mal in dieser Stunde, in dieser Nacht, versank er, wurde von seinen Erinnerungen verschluckt.
Es gab nicht eine Sache, die er hätte tun können.
Voldemort spürte, dass er abdriftete, sich fallen ließ.
Sich ergab. Der dunkle Lord ergab sich nicht!
NEIN! Nein! Nein........Nein,bitte.
Es war zwecklos. Bereits mitten drin, unfähig sich aus dem Netz der Spinne zu befreien.
Spinne? Schwarze Riesenspinne. Das Monster von Hogwarts, sein Ticket zum Ruhm und Ansehen auf der ganzen Schule.
Alles hing zusammen, war miteinander verknüpft.
Er stand ihr wieder gegenüber, blickte in ihr enttäuschtes Gesicht. Er hatte sich entschuldigt, doch sie hörte ihm nicht zu. "Spar dir den Atem, Tom." hatte sie gesagt.
Ihr Blick war fremd und kalt gewesen. Es hatte ihn........geschmerzt. Auf einmal war ihre Freundschaft, ihre ständige Anwesenheit nicht mehr selbstverständlich.
Im Alter von 15 Jahren hatte Tom damals gelernt, dass man erst merkt, wie wichtig einem etwas ist, wenn man kurz davor ist, es zu verlieren.
Ja, schon damals hatte er sie beinahe verloren. Zwei Monate lang, war er ein Fremder für sie. Bis er realisierte, dass er etwas tun musste. Ihm war klar geworden, dass er für das, was er wollte, verdammt noch mal kämpfen musste! Für Jessica. Für seine beste Freundin, die ihm wichtiger war, als der ganze Ruhm, die gesamte Popularität. Wichtiger als die Macht.
Jessy. Verzeih mir. In seinem Kopf ging er noch einmal die Worte durch, die er ihr damals gesagt hatte.
Sie waren ihm unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt.
Alles an ihr war unvergesslich. Bis heute. Immer noch.
Jessy. Jessy ich.......ich liebe dich.
Sie war wieder so nah. Sie nahm seine Hand. Sie lächelte.
Er hörte sie sagen: "Ich liebe dich auch, Tom."
Der Klang ihrer Stimme, ihre Worte, ihr Duft........all das ließ ihn aufseufzen.
Ach,....wenn sie doch nur hier wäre.
Bei ihm, wo sie hingehörte. An seiner Seite.
Seine Sehnsucht steigerte sich ins Unermessliche.
Jessy.
Da traf ihn ein kalter Windstoß von hinten, der ihn augenblicklich aufweckte.
Entsetzt riss Voldemort die Augen auf. Dunkelheit.
Wald. Bäume. Leichen. Todesser.
Er war wieder hier. Hatte sich wieder im Griff.
Vor ihm stand eine blonde Hexe, deren Namen er nicht kannte. Sie starrte ihn völlig verblüfft, ja, beinahe geschockt an. Wie lange stand sie schon so vor ihm? Ob sie ihn beobachtet hatte?
Noch bevor die Hexe den Mund öffnen konnte..............
"AVADA KEDAVRA!!"
Lieber kein Risiko eingehen.
Als seine Anhänger sich erschrocken umdrehten, fuhr er zwischen ihnen her, puschte seine Wut hoch.
"Ich bin es Leid, zu warten!!" rief er aufgebracht.
"Diese elenden Feiglinge sollen sich schneller entscheiden! Eine Stunde ist viel zu viel Zeit!"
Natürlich wagte niemand zu widersprechen.
Alle starrten ängstlich auf den mit Leichen gepflasterten Waldboden.
Was sollte er nur tun? Wenn er noch länger warten musste, würde er noch durchdrehen! Sein Drang, Harry Potter endlich zu töten wurde größer und größer.
Der zweite Krieg, den er innerlich mit sich selbst führte.
Zwei Angriffe auf sein Nervenkostüm. Und er hatte keine Ahnung, wie lange er beidem noch standhalten konnte.
Jessy. Der Gedanke schoss ihm völlig unerwartet durch den Kopf. Warum zum Teufel?!
Er wollte sie vergessen! Er musste sie vergessen! Sie vergessen! Vergessen!
Urplötzlich ging er willkürlich auf seine Anhänger los.
Drei Todesser und einen Vampir nietete er mit dem Todesfluch um. Alle nacheinander. Wie Fliegen, die man mit der Klappe erschlägt. Und bei jedem grünen Blitz schrie er auf. Brüllte etwas wie: "VERGISS SIE!!!!!! VERGISS!!!!!"
Dann ging er auf die Knie. Er atmete schwer.
Rang nach Luft. Doch sie war immer noch in seinem Kopf.
Sie war neben ihm. Blickte diabolisch auf ihn herab. Sie spottete über ihn.
"Du bist schwach, Tom Riddle." sagte sie in seiner Vorstellung. Sie lachte böse auf.
"Hör auf." hörte er sich selbst flüstern.
"Hör auf, Jessy."
Verwirrt umfasste er seinen Schädel mit beiden Händen.
Was tat er hier? Er redete mit einer Wahnvorstellung!
Er halluzinierte!
Verschwinde! Verschwinde!!
Fest schloss er die Augen. Doch als er sie nach einiger Zeit wieder öffnete, saß sie vor ihm auf dem Waldboden.
Jessica lächelte, diesmal freundlich.
So hatte sie immer ausgesehen, wenn er durch die Tür kam oder einfach wenn sich ihre Blicke trafen und sich berührten.
Entsetzt sah er sie an. Sie sah genauso aus, wie sie ihn verlassen hatte. 35 Jahre alt. Schwarze, leicht lockige Haare. Ihre Grün-grauen Augen funkelten. Einfach wunderschön.
"Du kannst versuchen, was du willst." sagte seine Halluzination plötzlich.
"Du wirst mich nicht los."
Jessica lächelte hämisch, dann war sie plötzlich verschwunden.
Verwirrt blickte sich der dunkle Zauberer um.
Da war nur der kalte Wald. Die Dunkelheit der Nacht.
Die Totenstille.
All das war für ihn vertraut. Im Dunkel der Nacht kannte er sich. Hier fand er eine Art zu Hause.
Ich habe kein zu Hause. Jessy war mein zu Hause.
"AAAHH!!!"
Wütend schrie er auf. Schlug mit beiden Fäusten auf den Waldboden.
Was in drei Teufels Namen tat er hier?! Er erkannte sich selbst nicht wieder. Er schien eine gespaltene Persönlichkeit zu entwickeln, die sich aus Tom Riddle und Lord Voldemort zusammen zu setzen schien.
Verzweifelt drückte er beide Hände gegen seinen Kopf.
Versuchte, jegliche Erinnerungen an Leben Nummer 1 auszulöschen. Mal wieder war er dabei, es zu verleugnen.
Es war einfacher, wenn man so tat, als hätte all das nie existiert. Von nirgendwo ging in diesem Punkt eine Bedrohung aus. Niemand wusste davon, außer ihm und......Jessy.
Er machte sich nur selbst verrückt. Dabei war das mehr als unnötig.
Beruhige dich endlich! befahl er sich selbst.
Es war alles in Ordnung. Vielleicht wurde er einfach sentimental, weil er sich derart berauscht fühlte.
Oder es lag daran, dass er nicht mehr der Jüngst war.
Nein! Unmöglich! Lord Voldemort würde solche Probleme niemals kennen! Wie hatte Harry Potter ihm vor zwei Jahren gesagt: "Du wirst nie erfahren, was Liebe ist."
Tja, da hatte der kleine, verdammte Bastard ja mal Recht behalten! Der Junge war selbst Schuld, wenn er sich durch so etwas Absurdes so verwundbar machte.
Das war einer seiner entscheidenden Vorteile. Nichts konnte ihm etwas anhaben! Selbst nicht das, woran so viele von den "Guten" glaubten.
"Die Liebe siegt immer." HA!
Plötzlich ereiferte er sich und sprach wieder zu seinen Anhängern.
"Diese miesen Feiglinge behaupten, dass die Liebe..." (er betonte dieses Wort sehr herablassend)
"...alles wieder hinbiegen könne!"
Ironisches Gelächter folgte von ihnen allen und sie schienen, sich zu entspannen.
Ihr Meister hatte sich offenbar wieder beruhigt und war erneut euphorisch.
Doch plötzlich wurde er wieder todernst.
"Wer von euch glaubt das?"
Seine Stimme war so kalt und schneidend, dass sie alle zusammenzuckten. Wieder ging er zwischen ihnen hindurch. Musterte einen nach dem anderen.
Bei einem Zwerg blieb er schließlich stehen.
Durchdringend sah er ihn an.
Der alte Mann, der ihm bis zu den Knien ging, versuchte
möglichst ernst und tapfer zu wirken. Er drückte seine Wirbelsäule durch und straffte seine Schultern.
Voldemorts Blick wurde abwertend und angewidert.
"Du!" schoss es plötzlich so unerwartet aus seinem Mund, dass der Zwerg erschrocken die Augen aufriss.
"J...jj...ja, Meister?" fragte er zittrig.
Der Dunkle Lord genoss diesen kleinen Moment sichtlich.
Oh ja, die schöne Angst, die er verbreitete.
Es lief ihm wie ein Schauer über den Rücken.
Ein schöner Schauer. Ein Gefühl der Befriedigung.
"Was heißt Liebe?!"fragte er den Zwerg eindringlich und beugte sich zu ihm herunter.
Eine falsche Silbe und du bist schneller tot, als du "Liebe" überhaupt denken kannst!
Ernüchtert sah der Zwerg vor sich, auf seine Augenhöhe.
Er schien, zu überlegen.
Dann blickte er zu seinem Meister auf und sagte entschlossen: "Eine Verirrung, derer, die zu feige sind, in der Realität zu leben, mein Herr. Oder ein Wort mit zwei Konsonanten, drei Vokalen und zwei neurotischen, elenden Feiglingen."
Voldemort stutzte. Das hatte er nun wirklich nicht erwartet. Der kleine, alte Mann schien gar nicht so dumm zu sein, wie er aussah.
Und diese Antwort, diese Definition hatte ihm gefallen. Sehr sogar.
Anerkennend nickte er. "Richtig." sagte er halblaut und entfernte sich wieder ein Stück von seinen Anhängern.
Mit einer Handbewegung deutete er ihnen, ihn allein zu lassen.
Es begann zu regnen. Die kalten Tropfen trafen auf seinen kahlen Schädel und jagten ihm Gänsehautschauer über den Rücken.
Wieder das Gefühl der puren Lebendigkeit.
Voldemort schloss die Augen, hob den Kopf gen Himmel und ließ den Regen auf sein Gesicht tropfen.
Ein Gefühl der Freiheit machte sich breit.
Hier gehörte er hin.
Die Zeit verstrich. Der Sieg war schon ganz nahe.
Langsam öffnete er die Augen. Ein Blitz durchzuckte den nächtlichen Himmel und erleuchtete den Wald. Für einen Moment war es taghell. Nur Sekunden später folgte ein langer, grollender Donner.
Voldmort spürte den Schlag in seiner Brust.
Das war ein Zeichen. Die Dinge würden sich grundlegend ändern. Er würde die Dinge grundlegend ändern.
Lord Voldemort würde die Welt verändern.
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