von Blue
Voldemort tigerte nervös auf und ab. Nichts hatte sich bisher getan, aber auch gar nichts!
Außer der Tatsache, dass seine Todesser offensichtlich zu blöd waren, um ihn mal für eine Stunde in Frieden zu lassen,…
Er stockte. Frieden? Hatte er jemals Frieden gehabt? Nein, denn er hatte niemals Frieden gewollt. Da hallte es wieder durch seinen Kopf.
Das Töten wird dir keinen Frieden bringen, Tom! - Frieden war nie eine Option.
Doch Jessica hatte immer Frieden gewollt. Frieden für sich, Frieden für ihn, Frieden für ihre erbärmlichen Eltern, die es überhaupt nicht verdienten, dass sie noch so oft an sie dachte, Frieden für die Welt. Voldemort kniff nachdenklich die Augen zusammen. Wie naiv ihre Vorstellungen und Pläne doch gewesen waren. In ihrem Innern war sie immer ein kleines Mädchen geblieben, das im Grunde nur das Lebensideal erfüllen wollte. Nur hatte sie sich das nie anmerken lassen und sie wäre eher gestorben, als dass sie es zugegeben hätte. Ja, sie hatte einen unverbesserlichen Dickkopf, genau wie er. Wie konnten sie bloß so verschieden sein, und einander doch so ähnlich? Überrascht fiel ihm auf, dass er sich kaum noch an seine Zeit vor ihr erinnerte. Aber er kannte noch jede einzelne Sequenz und jede einzelne Minute, die er ohne sie verbracht hatte. Ihre Abwesenheit hatte sich merkwürdig angefühlt. Es hatte nicht direkt geschmerzt, es war mehr wie ein ständiges Übelkeitsgefühl gewesen. Das Gefühl, verloren zu sein. Doch er hatte seine Pläne vorantreiben müssen. Seine Zukunft und seine nahe Machtergreifung hatten oberste Priorität, und er hätte sich durch nichts und niemanden davon abbringen lassen können. Noch nicht einmal durch sie. Sein Verschwinden war nötig gewesen. Jedes Mal, wenn sie in den Laden kam, jedes Mal, wenn sie durch die Tür trat und ihn anlächelte, jedes Mal, wenn sie auch nur seinen Namen aussprach, verlor er mehr und mehr an Selbstbeherrschung. Es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer, wenn nicht sogar von Tag zu Tag. In seinem Hinterkopf hatte er immer weiter an seinen nächsten Horkrux gedacht und sich gefragt, wen er wohl dafür umbringen sollte. Dieser Denkprozess hatte sich allerdings als recht schwierig herausgestellt, weil in seinen Grundgedanken nur eine einzige Person umherspuckte, ohne es zu ahnen. Jessica Whiteman. Verdammt, wie sehr er es gehasst und zugleich geliebt hatte, wenn sie ihn anlächelte. Aber nach ungefähr sechs Wochen war ihm das Medaillon von Salzar Slytherin in die Hände gefallen und ihm war klar geworden, dass er weiter an der Umsetzung seiner Pläne arbeiten musste. Natürlich hatte er nicht vorgehabt, bis an sein Lebensende bei Borgin & Burke’s zu verrotten. Aber wie sollte er den beiden cholerischen Säufern nur seine Kündigung erklären? Eine Lösung war schnell gefunden, wenig später lebte der alte Borgin nicht mehr, er hatte einen neuen Horkrux erschaffen und sich ein paar Haare von dem alten Mann geborgt. Kurz darauf war auch schon seine beste Freundin durch die Tür gekommen und hatte ihn dank des Vielsafttrankes für den Geschäftsinhaber gehalten. Als er ihr erklärt hatte, dass der junge Riddle fort sei, hatten sich ihre Augen vor Schmerz geweitet. Sie hatte ihn gleich mehrmals hintereinander gefragt, wo er hin verschwunden sei, was er mit unwissend zuckenden Schultern beantwortet hatte. Danach war sie aus dem Laden gestürzt und das letzte, was er von ihr gesehen hatte waren ihre langen schwarzen Locken, die hinter ihr her flogen. Er dachte an Bellatrix, die vorhin noch vor ihm geflüchtet war, lange schwarze Locken. Ihm fiel auf, dass er Jessica mit ihr verglich. Wobei das gar unmöglich war. Allein ihr Aussehen! Bellatrix Lestrange hatte dunkle, braune, recht monotone Augen. Jessys Augenfarbe dagegen war für ihn eigentlich immer ein Geheimnis geblieben. Mal erschienen sie ganz klar grün, dann wieder grau, manchmal aber auch hellbraun. Er fragte sich ernsthaft, ob sie wirklich nur eine Augenfarbe hatte, zumindest hatte er einen guten Grund, es zu bezweifeln. Ihre Augen. Ein Mysterium wie sie selbst.
Es waren aber nicht ihre Augen gewesen, die ihn in St. Petersburg die Kontrolle über sich selbst gekostet hatte. Dabei hatte er sie genau an jenen erkannt. Auf dem großen Platz unter der Alexandersäule, im Dezember, im Schnee. Er wusste noch, sie hatte einen roten Mantel getragen, ihn umgerannt und ihm dann seine Bücher wieder aufgehoben. Sie hatte ihn nicht erkannt, er sie dafür aber sofort. Die nächsten Wochen hatte er damit verbracht, herauszufinden, warum sie hier war, ob sie noch bleiben würde und wenn ja, wo. Es hatte etwas sehr Einfaches an sich, ihr zu folgen, ohne dass sie es bemerkte. Das Haus, oder besser Anwesen, in dem sie gewohnt hatte war größer gewesen, als sein Hotel. Es war das Anwesen der Familie Romanov gewesen. Eine reinblütige, hoch angesehene Zaubererfamilie, die sich hier in St. Petersburg einen großen Namen gemacht hatte. Er hatte aus diversen, und eher unfreiwilligen Quellen erfahren, dass sie das Weihnachtsfest nach Tradition sehr groß und prunkvoll in reinblütiger Gesellschaft feierten und das jedes Jahr. Dieses Mal allerdings hatte sich auch ihre Verwandtschaft aus England bereit erklärt, daran teilzunehmen. Und diese Herrschaften hießen rein zufällig Whiteman. Zuerst hatte er es gar nicht geglaubt. Konnte das wirklich sein? Verfolgte diese Frau ihn etwa bis ans Ende seines Lebens? Später war ihm aufgegangen, dass es besser gewesen wäre, ihr fern zu bleiben. Aber damals war seine Sehnsucht einfach zu groß gewesen und da er ohnehin bei den Romanovs vorbeischauen und sich offiziell vorstellen wollte, ergab es sich, dass er an Weihnachten über eine hohe Gartenmauer kletterte. Der Schutzzauber, der vorher darauf gelegen hatte, war derart lächerlich gewesen, dass es ein Leichtes für ihn gewesen war, ihn aufzuheben. Und da im Garten, an einem Brunnen, mitten im Schnee und mit einem viel zu luftigen, aber hübschen Kleid hatte sie gestanden. Jessica Whiteman. Es war ein Schock gewesen. Für beide von ihnen. Jessy hatte sich für sie typisch verhalten und ihn als Eindringling wütend mit ihrem Zauberstab bedroht (geblendet). Sie hatte ihn nach seiner „Aufklärung“, die im Grunde nur aus einem Zucken seines Gesichts bestanden hatte, zunächst umarmt, dann hatte sie ihn zu Boden geworfen, sich auf ihn gestürzt und ihn mit ihren Fäusten bearbeitet. Er musste sich ja entschuldigen, sonst hätte sie ihn vielleicht noch erwürgt, so wütend war sie gewesen. Er hatte es immer gehasst, sich zu entschuldigen. Man entschuldigte sich ja schließlich nur, wenn man Fehler gemacht hatte und er machte niemals Fehler! Irgendwann hatte sie sich dann wieder beruhigt, nachdem sie ihm eine Hand voll Schnee ins Gesicht geworfen und vor ihm weggelaufen war. Welcher Teufel ihn geritten hatte, ihr nachzugehen, wusste er nicht, doch er wurde sogleich auf brutalste Art dafür bestraft. Indem sie sich bückte, ihren bodenlangen Rock hochzog und so einen freien Blick auf ihr Bein preisgab. An ihrem Oberschenkel hatte sie ihren Zauberstab in ein Strumpfband gesteckt. Das war einfach zu viel gewesen. Er hatte weggesehen, widerwillig. Im gleichen Moment hatte er realisiert, dass sie längst nicht mehr das Mädchen war, das er in ihrer Schulzeit seine beste Freundin genannt hatte. Sie war zur Frau geworden mit all ihren lieblichen Reizen, die sich vor Jahren bloß angedeutet und ihn doch damals schon verrückt gemacht hatten. Zum Glück hatte sie seine angespannte Reaktion nicht bemerkt und war dann im Haus verschwunden. Obwohl sie versucht hatte, ihn auszusperren, war er ihr doch noch dazwischen gefunkt und hatte sich Zutritt verschafft.
Man sah nur noch einen blassen Rücken, der sich, von einer schwarzen Lockenpracht überdeckt, den Weg durch viele Menschen bahnte.
Doch ihr Parfum hatte sie verraten. Ihre Spur aufnehmend, wie ein Hund, war er ihr gefolgt. Er war teilweise mit geschlossenen Augen die Treppen hinauf gestiegen, immer ihren betörenden Duft in der Nase. Sie hatte sich in die Bibliothek geflüchtet und war zurückgewichen, als er auf sie zuging. Nun, da er sie in der Falle hatte, musste er zuerst einmal klarstellen, nach wessen Regeln hier gespielt werden würde. Und zwar nach seinen! Jessy hatte sich davon wenig beeindrucken lassen und wollte wieder verschwinden, da war er wütend geworden. Er hasste es, wenn sie vor ihm weglief. Sie sollte endlich einmal still stehen, nur bei ihm sein, nur für ihn sprechen, nur für ihn atmen. Er hatte sie für sich allein gewollt, schon damals. Schon in Hogwarts, als dieser schmierige Mitschüler sie auf der Treppe abgefangen und sie angesprochen hatte. Sie gehörte ihm! Sie sollte ihm gehören!
Und als er sie dann endlich in seinen Händen hielt sah er den Widerstand in ihren Augen. Doch es war nicht schwer, diesen zu brechen. Sie war schwächer als er, und so konnte er sie leicht mit bloßer Muskelkraft festhalten. Wenn er auch bloß aus lauter Lust ihren Hals liebkoste, sie gegen das Bücherregal drückte. Wenn er sie aufforderte, ihm zu sagen, dass er aufhören solle. Wenn er von ihr verlangte, ihn wegzustoßen. Hätte sie es doch getan! Oh, hätte sie ihn doch von sich gedrückt! Von alleine hätte er niemals aufgehört, so viel stand fest. Er hatte Feuer gefangen, er war wahrlich entbrannt. Tom hatte wissen wollen, wie sie sich anfühlte. Nur ihr Anblick reichte schon lange nicht mehr! Je mehr man bekam, desto mehr wollte man davon. Er hatte buchstäblich Blut geleckt. Er wollte wissen, wie sie schmeckte. Was hätte er nicht alles gegeben, um den Geschmack ihrer Haut. Ihre blasse, porzellanähnliche Haut, die einen hinreißenden Kontrast zu ihren Augen, ihrem Haar und ihrem roten Lippenstift setzte. Ihm war dabei Schneewittchen eingefallen. Warum er ausgerechnet an ein verdammtes Muggel-Kinder-Märchen dachte, hatte er nicht gewusst. Und irgendwie hatte er dann seine Lippen auf ihre gepresst, hatte sie in seine Arme gezogen und ihren Herzschlag gespürt. Manchmal erlaubte er sich selbst, der Lust nachzugeben. Immerhin würde auch Jessy nur eine von vielen sein. Es hatte vor ihr unzählige Frauen gegeben, die zum Teil sogar begehrenswerter erschienen, als sie. An jenem Abend wurde ihm klar, dass er sic geirrt hatte. Ein fataler Fehler! Den er sich niemals hätte erlauben dürfen! Und noch während des Kusses spürte er, dass er sich selbst vergaß. Es erschreckte ihn und doch konnte und wollte er nichts dagegen unternehmen. Sie hatte ihn völlig in ihren Bann gezogen. Er vergaß, wer er war, vergaß den Ort, die Zeit, einfach alles. Doch als sich ihre Arme um seinen Nacken schlangen, hatte er gewusst, dass er aufhören musste. Er hatte einen heftigen Kampf mit sich selbst geführt, indem er noch immer nicht von ihr abgelassen hatte. Sie hatte ihm einfach zu gut geschmeckt. Als er es dann doch noch fertig brachte, sich von ihr zu lösen, fühlte er sich matt und erschöpft. Hatte sie ihn verhext? Vielleicht, aber was für ein Zauber war das? Nur einige Minuten später sollte er sie erneut küssen, um sich zu beweisen, dass er es jederzeit beenden konnte, wenn er wollte. Da hatte er sich regelrecht konzentriert und hatte abrupt aufgehört, seine Lippen gegen ihre zu bewegen. Es war die reinste Folter gewesen! Und doch würde er ihr versprechen, sie wieder zu finden, auch wenn er für jetzt gehen würde.
Noch später, jedoch am selbigen Abend sollte er sich selbst verfluchen, dass ihm sein Geist derart entglitten war. Und noch später…zu einer Zeit, in der sich mehr und mehr Anhänger um ihn scharten, sollte er sie wieder sehen. Auf der Beerdigung von Edward Santally, den er zuvor getötet hatte und der ganz zufällig Jessicas Mentor gewesen war.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.