von *Luna*15
Ich hatte die kompletten Ferien nichts mehr von Sue gehört und hatte auch nicht den Mut, zu ihr zu gehen um das Ganze auszudiskutieren. Ich befürchtete, dass sie mich ignorieren könnte, was ich als noch schlimmer empfand, als sich von ihr anschreien zu lassen. Eine gute Nebenwirkung hatte der Streit mit Sue aber doch: Ich hatte noch mehr Wut und Hass auf die Zauberei und war dadurch entschlossener geworden, etwas zu unternehmen, dass ich von Hogwarts so schnell wie möglich wegkam. Ich tat mir nur etwas schwer damit, einen Plan auszudenken, der einigermaßen realistisch wirkte. An dem Tag, als ich von Kings Cross abfahren sollte, war mir immer noch nichts Gutes eingefallen, doch ich gab mich nicht geschlagen. Ich hatte seit dem Abend, an dem meine Freundin aus meinem Zimmer gestürmt war nicht viel gegessen, da ich keinen Appetit verspürte. Die meiste Zeit hatte ich damit verbracht, nachzudenken, was ich unternehmen könnte, um von Hogwarts verwiesen zu werden oder mich wieder mit Sue zu verstehen. Dabei flossen auch einige Male wieder Tränen aber mittlerweile weinte ich nicht mehr so oft. Als ich meinen Koffer packte war meine Mutter ins Zimmer gestürmt um mich daran zu erinnern warme Sachen mitzunehmen und nicht nur die Sommershirts. Dann legte sie mir alles zurecht was ich einpacken sollte und räumte meinen Koffer noch einmal aus, um meine Umhänge richtig zu falten. Dann fragte sie mich noch über alles Mögliche aus, wie „Hast du einen Umhang auch griffbereit, denn du musst den im Zug schon anziehen“ und „Ist dein Zauberstab auch sicher verstaut, denn das ist der Zauberstab, der dich ausgesucht hat“ und dann ging sie ziemlich aufgeregt wieder hinunter. Sie war total aus dem Häuschen, dass ich endlich nach Hogwarts kam, obwohl sie wusste, dass ich unter keinen Umständen dorthin wollte. Als sie dann außer Hörweite war, sortierte ich die meisten Sachen, die Mum mir herausgelegt hatte wieder in meinen Schrank und packte die Dinge in den Koffer, die ich auch anziehen würde. Bis meine Mutter das bemerken würde, wäre ich schon längst weg. Sie konnte echt nerven, vor allem wenn es um Kleider ging, die ihre Tochter trug. Meist verrollte ich bei solchen Gesprächen nur die Augen und wimmelte sie irgendwie ab. Am liebsten wäre mir, wenn Dad jetzt hier wäre. Er hätte es vielleicht geschafft, Mum wieder zu beruhigen. Abgesehen davon, würde er mich wahrscheinlich besser verstehen und mir gut zureden, denn anders wie meine Mutter, hatte er ja gesehen, was ich gesehen hatte. Als mein Koffer dann endlich fertig gepackt war, legte ich einen meiner Umhänge ganz oben auf meine restlichen Kleider, damit ich ihn einfach herausnehmen konnte, wenn ich ihn im Zug anziehen musste. Meine Mum wartete schon ungeduldig in der Küche auf mich, als ich am Morgen des 1. September unausgeschlafen die Treppen hinunter kam. Sie hatte mir Pfannkuchen gebacken, sozusagen als Abschiedsessen. „Hast du auch dein Geld eingesteckt?“ begann sie als ich mich hungrig aber immer noch etwas appetitlos über den ersten ihrer Pfannkuchen hermachte. Ich beschloss nicht darauf einzugehen, denn ich hatte diese Frage seit dem letzten Nachmittag schon mindestens zehn Mal beantwortet. „Und du willst wirklich keine Eule haben? Damit könnten wir uns immer schreiben.“ Auch das hatte ich mir die letzten Wochen anhören müssen, weshalb ich auch unbeirrt weiter aß. Nach weiteren zehn Minuten unbeantworteter Fragerei gab sie es jedoch auf mit mir zu reden und setzte sich schweigend neben mich. Nach dem Frühstück ging dann jedoch schon die Hetzerei los. Meine Mutter schaute alle zehn Sekunden auf ihre Uhr und rief mir dazu jedes Mal „Beeil dich Gwen!“ zu. Ich musste mich nur noch umziehen, doch das schien sie nicht zu verstehen, genauso wenig wie die Tatsache, dass es noch eine ganze Stunde dauerte, bis der Hogwarts-Express von Gleiß 9 ¾ abfuhr. Da sie jedoch nicht auf mich hörte, kamen wir jedoch schon eine halbe Stunde vor dem im Brief genannten Termin in einem extra für Zauberer eingerichtetem Kamin des Flohnetzwerks an. Da Gleiß 9 ¾ auch nicht schwer zu finden war, hieß es eben warten. Zu meinem Erstaunen waren schon ziemlich viele junge Hexen und Zauberer auf dem Gleiß eingekehrt. Um nicht die letzte zu sein, die ihre Sachen im Zug verstaute, suchte ich mir schon ein Abteil, in welches ich meine Sachen ablegte und stieg dann auf Wunsch meiner Mutter wieder aus, damit sie sich auch von mir verabschieden konnte. Sie hatte einen Fotoapparat mitgenommen um mich mit der Hilfe von Fotos in Erinnerung behalten zu können. „Ich komme ja schon an Weihnachten wieder!“ moserte ich, nachdem sie meinte, dass zehn Fotos noch nicht genügten. Nach einem letzten Foto, auf dem auch sie mit drauf war, durfte ich dann endlich in den Zug einsteigen. Die meisten anderen Kinder waren schon längst in ihren Abteilen und schwatzten mit ihren Nachbarn. Nur noch ein paar Nachzügler waren jetzt noch nicht im Zug. Als ich in meinem Abteil, in welches sich noch kein anderer gesellt hatte, ankam und aus dem Fenster blickte, sah ich, wie meiner Mutter Tränen über die Wangen flossen. Irgendwie war es traurig sie jetzt nicht mehr zu sehen, doch anderseits war ich auch irgendwie froh darüber. Ich sah die letzten Schüler noch in den Zug springen, der sich daraufhin mit einem Ruck in Bewegung setzte.
An meinem Abteil liefen ein paar Schüler vorbei, doch keiner von ihnen setzte sich zu mir. Das war mir sehr recht, denn sie waren alle wie ich und was noch viel schlimmer war, so wie ich nicht sein wollte. Ich würde die nächsten Wochen (oder Tage, wenn mir etwas Gutes einfiel, von dort weg zu kommen) mit jungen Hexen und Zauberern verbringen müssen. Es war schön nach den Wochen, in denen mich meine Mutter förmlich verfolgt hatte um mich mit Fragen zu löchern, einmal alleine zu sein und die Stille zu genießen. Ich legte mich quer über zwei Sitze und dachte in Ruhe nach. Es kam mir alles vor wie ein Traum. Als ob das alles nicht real war. Jahrelang war ich fast ein normales Kind gewesen und mit einem Brief war das alles vorbei. Ich hatte meine normales Leben verloren und dazu noch meine beste Freundin. Das war wie in einem total verrückten Film und ich fühlte mich, als ob ich jeden Moment aufwachte und neben Sue in der Schule saß, um mit ihr über Mathematik herzuziehen. Doch das geschah natürlich nicht. Während der sehr langen Zugfahrt wurde ich nur selten gestört. Ich versank die meiste Zeit in meinen Erinnerungen oder Gedanken. Nach ein paar Stunden kam eine Frau mit einem Wagen voller Süßigkeiten vorbei. Draußen auf dem Flur des Zuges wurde es plötzlich laut. Da ich neugierig war, ging ich zur Abteiltür und öffnete diese. Der Lautstärke zu folge, hätte ich vermutet, dass sich eine Horde Kinder direkt vor dem Abteil versammelt hatte, doch ich irrte mich. Mindestens Zehn Meter weiter links von meinem Abteil erkannte ich Schüler der Zauberschule, die sich so sehr zusammenpferchten, dass mir fast die kleine, alte, lächelnde Dame in der Mitte des Getümmels entging. Mit einer Hand hielt sie einen Wagen fest umklammert und mit der anderen teilte sie Süßigkeiten aus und nahm Geld von den Kindern an, die ihr etwas abgekauft hatten. Ich beobachtete das Schauspiel einige Zeit, da ich es amüsant fand, wie die kleine Frau trotz des vielen Stresses immer zu lächeln pflegte und ruhig blieb. Dann zog ich mich aber wieder in mein Abteil zurück, um weiter ungestört zu sein. Lange hielt die Einsamkeit jedoch nicht an, da die Frau vom Süßigkeiten-Wagen auch noch dachte, in jedes Abteil einzeln hineinschauen zu müssen damit auch jeder die Change hatte etwas zu kaufen. Ich winkte dankend ab, da ich absolut keine Lust auf magische Süßigkeiten hatte. Nach dieser Störung hatte ich erst einmal wieder ein paar Stunden Ruhe. Ich saß die meiste Zeit einfach nur da und schaute mir aus dem Fenster die Landschaften an, die der Zug durchfuhr.
Als ich noch kleiner war hasste ich die Einsamkeit und das Schweigen. Wenn ich auch nur eine Minute still sein sollte, hielt ich es nach der Hälfte der Zeit nicht mehr aus und musste etwas sagen. Eines Tages aber, nahm mich mein Vater mit an einen See, der mitten im Wald lag. Ich war noch sehr klein, doch obwohl ich man sich eigentlich nichtmehr an seine Kindheit erinnert, war bei mir dieser Augenblick in meinem Gedächtnis geblieben. Am Morgen hatte er mich ganz früh geweckt, so früh, wie ich normalerweise nie aufstand. Wir frühstückten und gingen los. Ich wusste nicht was er vorhatte, und löcherte ihn die ganze Zeit mit Fragen, ohne auch nur eine kleine Pause einzulegen. Als wir dann an den Rand des Waldes kamen, nahm er mich auf seine Schultern, damit ich nicht über Wurzeln stolpern konnte. Ich mochte es, wenn er mich auf seinen Schultern trug. Er ging eine Weile, in der ich keine Ruhe gab und ihn durch und durch Fragen an den Kopf warf. Es war immer noch dunkel, so früh war es, doch ich wachte immer mehr auf. Dann verlangsamte mein Vater seine Schritte und setzte mich wieder auf dem Boden ab. Ich sah nicht viel und auch als mein Dad mich noch einige Schritte weiter vor führte blieb ich blind. Ich wollte wieder anfangen, meinem Vater Fragen zu stellen, doch dann strahlte mir ein Strahl, der gerade aufgehenden Sonne, die hinterm Horizont langsam empor schlich ins Gesicht und ich verstummte mitten im Satz. Die wenigen Sonnenstrahlen tauchten den Fluss vor mir und die Lichtung, auf der wir uns befanden in ein sanftes leicht rötliches Licht, welches sich auf der Wasseroberfläche brach und ein Funkeln des Wassers hervorrief. Es war wunderschön! Ich vergaß ganz zu reden, vor lauter Staunen und lernte die Schönheit der Natur kennen. Mein Vater setzte sich und ließ die Füße in den Fluss hängen und ich tat es ihm gleich. Wir verbrachten den ganzen Morgen damit, einfach nur die Natur zu beobachten und sagten auch nichts, als wir wieder den Heimweg antraten. Seit diesem Tag, liebte ich die Stille und die Einsamkeit. Ich mochte es unheimlich gern, mit Freunden Spaß zu haben und zu lachen, doch wenn ich alleine war und einfach nur die Natur betrachten konnte und eventuell noch nachdenken konnte, ohne gestört zu werden, fühlte ich mich einfach wohl. Mein komplettes Leben könnte ich nicht so verbringen, doch ab und zu wollte ich einfach alleine sein.
Es begann bereits zu dämmern, als ein Mädchen, kaum älter als ich, wenn überhaupt, mit wuscheligen braunen Haaren und etwas zu langen Schneidezähnen zur Abteiltür herein kam. Sie hatte bereits ihren Umhang an und sah ziemlich gestresst aus. „Hast du zufällig eine Kröte gesehen?“ fragte sie und sprach dabei so schnell, dass ich es beim ersten Mal noch nicht einmal verstand. „Was?“ bat ich um Wiederholung. „Hast du hier zufällig eine Kröte gesehen? Ein gewisser Neville hat seine nämlich verloren.“ Sie sprach immer noch nicht viel langsamen, aber nun verstand ich was sie sagte. „Äh… Nein ich hab keine Kröte gesehen. Tut mir leid?!“ Ich war etwas verwirrt, da ich so abrupt aus meinen Gedanken gerissen wurde. Das Mädchen drehte sich wieder um und ohne etwas zu sagen verließ sie mein Abteil wieder. Bevor die Tür wieder komplett zugefallen war, kam sie jedoch noch einmal herein und sagte: „Ach übrigens: Ich würde schon einmal deinen Umhang anziehen. Wir dürften bald da sein und du willst doch nicht schon am ersten Tag Ärger bekommen.“ Dann ging sie wieder ohne etwas zu sagen. Ich dachte kurz nach und hatte dann eine Idee. Wenn hat in der Schulkleidung erschien, würde ich Ärger bekommen und vielleicht wieder nach Hause geschickt werden. Eine Zeit lang spielte ich mit dem Gedanken, einfach den Umhang nicht anzuziehen, doch dann entschloss ich mich dagegen. Nicht etwa, weil ich Angst vor der Konsequenz hatte, nein! Eher davor, dass ich nicht nach Hause geschickt würde, sondern nur eine milde Strafe erhalten würde, denn das wäre genau das Gegenteil von dem was ich erreichen wollte. Also streifte ich mir den Umhang über und wartete, bis der Zug endlich halten würde.
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