von *Luna*15
Nackte Füße auf dem kalten Waldboden. Das Mädchen wich trotz ihres hohen Tempos geschickt jeder Wurzel aus. Trotzdem wirkte es panisch. Immer wieder blickte es hektisch hinter sich. Sein Atem ging schnell und in den Augen hatten sich schon längst Tränen gebildet, da sich neben der Panik nun auch die Trauer über das soeben gesehene mischte. Immer wieder schlugen kleine Tropfen auf dem Waldboden auf, was das kleine Mädchen jedoch nicht dazu veranlasste seine Schritte zu verlangsamen.
Mittlerweile konnte es auch ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Sein Gesicht war leichenblass und mit den roten verweinten Augen sah die kleine wirklich furchteinflößend aus.
Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis das Mädchen an einen See kam. Immer noch panisch blickte sie sich um und versuchte einzuschätzen, ob dieser Ort sicher genug war. Viel zu aufgebracht lief die Kleine ein paar Runden um den See. Sie war soweit gekommen, doch weiter wusste sie nicht. Sie kannte sich nicht aus. Hierher wusste sie den Weg, doch weiter draußen im Wald war sie nie gewesen. Außerdem hatte sie eigentlich sowieso keine Ahnung was sie nun machen sollte. Sie wollte nur so weit wie möglich von dem, was sie da gesehen hatte, wegkommen und vor allem wollte sie von diesen Männern weg, die dort gewesen waren.
Nach einigen Runden die das Mädchen um den See getan hatte, ließ es sich ans Ufer sinken. Die Knie an die Brust gezogen und die Arme um diese geschlungen, den Kopf eingezogen und auf den Armen abgestützt saß sie da und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Eine kindliche Naivität sagte dem Kind, dass alles wieder gut werden würde, auch wenn es nicht wusste wo es hin sollte oder was es überhaupt machen sollte. Irgendwas sagte dem Mädchen, dass es immer einen Weg gab, auch wenn man keinen Plan hatte.
Also saß die Kleine lange Zeit einfach nur da und weinte schluchzend in ihre Arme und hoffte dass niemand sie finden würde und vielleicht wäre ja alles wieder gut, wenn sie nur lange genug wartete.
Plötzlich verdunkelte sich die Szenerie ohne, dass das Mädchen sich rührte. Ich sah meine Arme und hörte mein Schluchzen. Meine nackten Füße auf dem Boden. Es drehte sich alles. Zerrissene Bilder, welche ich nicht zusammensetzen konnte. Blut überall. Panische Blicke. Schreie. Qualen. Tränen. Ich wusste nicht mehr wo ich war. Dann wieder das Mädchen im Wald. Ich wie ich leise vor mich hin weine. Eine Hand auf meiner Schulter. Ein Augenblick der Erinnerung. Draco neben mir. Eine verzerrte Stimme. „Gwen was tust du denn da. Komm!!“ Ein Blick. Ein grauenvolles Gesicht. Zu viele Erinnerungen. Und dann…
Ich schrecke schreiend zusammen und öffne schlagartig die Augen.
Bei einer längeren Pause muss ich vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Nur sitze ich zitternd und mit rasendem Herzen an einen Baum gelehnt und versuche mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Ich hatte mich längst daran gewöhnt während meiner Träume ein paar Tränen zu vergießen. Bei dieser Geschichte war das ja auch kein Wunder.
Ich stand schnell auf und blickte mich um, um sicher zu stellen, dass niemand mich während meiner Pause eingeholt hatte. Keiner war zu sehen. Es hatte also wirklich funktioniert. Ich starrte ungläubig in die Richtung aus der ich gekommen war. Das Schloss war schon lange hinter den Baumkronen verschwunden, doch ich glaubte mich mittlerweile auch so weit entfernt, dass ich das Schloss wahrscheinlich auch nicht mehr erkennen gekonnt hätte, wenn kein einziger Baum mir die Sicht versperrt hätte.
Doch kurz darauf wurde mein Glück schon wieder gestört. Ich dachte an den Traum den ich gerade gehabt hatte und wusste nun warum ich von diesem hilflosen Mädchen geträumt hatte. Mir ging es genauso!! Mir war es zwar gelungen etwas zu erreichen, doch ich hatte, wie schon damals an dem See, keine Ahnung wie es weitergehen sollte. Ich war weg von Hogwarts, doch wo sollte ich jetzt hin.
Da ich noch nicht einmal einen richtigen Plan zu meiner Flucht gehabt hatte, hatte ich mir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viele Gedanken gemacht, was ich anstellen wollte, wenn ich erst einmal weg war. Nun stand ich genauso hilflos wie vor vielen Jahren da, hatte mittlerweile aber diese Naivität verloren, mit der ich mich damals einfach an den See gesetzt hatte und gewartet hatte bis ein Wunder passierte, welches natürlich nie eintraf. Ich glaube, dass ich nach diesem Moment nie wieder so naiv gewesen war.
Also schnappte ich mir meine Tasche und lief weiter vom Schloss weg, während mir die Frage wohin ich gehen sollte durch den Kopf ging. Langsam aber sicher verfluchte ich meine spontane Flucht. Eigentlich wollte ich mir mehrere Pläne zurecht legen und alle komplett bis ins letzte Detail durchplanen, um dann abwägen zu können, was die beste Idee gewesen wäre, aber nein… ich musste ja die erstbeste Gelegenheit nutzen, meine Bücher versenkten und dann abhauen ohne einen genauen Plan in der Tasche zu haben.
Ich zog einen Müsliriegel aus meiner Umhängetasche, da mein Magen knurrte und versuchte irgendeinen Ausweg zu finden. Wohin sollte ich gehen??
Im ersten Moment schweiften meine Gedanken zu meinem Zuhause und meiner Mutter, was jedoch unmöglich war. Meine Mutter verstand mich zwar in den meisten Dingen sehr gut und wir kamen auch gut miteinander aus, doch sie ließ nicht mit sich reden, wenn es darum ging, dass ich nicht nach Hogwarts gehen wollte. Würde ich auch nur in die Nähe des Hauses kommen, in dem ich die letzten Jahre verbracht hatte, hätte ich mich können auf eine Standpauke erster Klasse gefasst machen und danach würde ich wieder im Zauberkunstunterricht sitzen und mich fragen wieso ich um Himmels Willen wieder nach Hause gegangen war. Außerdem wäre ich das Gespött der Schule, wenn ich wieder zurück kommen würde, denn dann würde ich auf ewig die Person sein, die es nicht geschafft hatte abzuhauen ohne gleich zu Mami zu rennen.
Meine Freunde, die ich hatte, bevor ich in das Zauberinternat geschickt wurde, waren auch keine Möglichkeit. Sie waren alle noch nicht annähernd volljährig und so hatten ihre Eltern ein Mitspracherecht. Da die Eltern meiner Freunde jedoch meine Mutter kannten würde es nicht lange dauern, bis ich wieder bei meiner Mutter wäre und dann würde das auf das gleiche Ergebnis kommen, wie wenn ich gleich zu meiner Mutter gehen würde.
Dann kamen meine Verwandten in Frage, doch ich hatte nur reinblütige Verwandte, die noch nie meine Meinung bezüglich der Magie teilten und welche mich deswegen auch umgehend bei meiner Mutter ausliefern würden. Einzig eine Tante irgendwo in Neuseeland hatte mir einmal mitgeteilt, dass sie mich zwar nicht verstehen würden, bezüglich meiner Abneigung gegen alles magische, doch dass sie mir helfen würde, wenn ich einmal Probleme hatte. Doch wie sollte ich jetzt nach Neuseeland kommen??
Naja… und dann war da noch mein Vater, der seit einigen Jahren verschwunden war. Na gut… man konnte es nicht wirklich verschwinden nennen, denn er war eins nachts in mein Zimmer gekommen und hat mir mitgeteilt, dass er für eine längere Zeit fort sein würde um mich und meine Mutter zu schützen. Ich war noch immer verängstigt wegen dem zuvor erlebten und wollte nicht, dass ich nun auch meinen Vater verlor, doch es hatte keinen Zweck um ihn zu weinen. Seit diesem Tag bekam ich nur noch alle zwei Jahre ein Lebenszeichen meines Vaters, in Form einer verzauberten Karte, die sich nach dem Lesen in Luft auflöste. Ihn konnte ich also auch von meiner Liste mit möglichen Zufluchtsorten streichen.
Mein Optimismus, den ich schon von Beginn meiner Überlegungen etwas verloren hatte war jetzt so gut wie tot. Ich wusste, dass ich niemanden hatte zu dem ich gehen konnte und ich wusste auch, dass nicht einfach eine Hütte an der nächsten Ecke auftauchen würde, in der ich den Rest meines Lebens verbringen könnte. Mir kam für einen Augenblick sogar der Gedanke wieder zurück zu gehen, doch ich wusste, dass das keine Option war. Eher würde ich hier draußen im Wald sterben, als wieder nach Hogwarts zurück zu gehen.
Meine Beine schmerzten immer noch, obwohl ich gerade mindestens eine halbe Stunde geschlafen hatte. Trotzdem trugen sie mich weiter, schon fast ohne dass ich es merkte. Nur ab und zu, wenn ich mich in ein paar Dornen verfing, wurde mir wieder bewusst, dass ich mich weiterhin von Hogwarts weg bewegte. Ich war mittlerweile wie betäubt. In meinem Kopf fand kein Gedanke mehr halt, sodass ich nur stumm und unfähig etwas zu denken von meinen Beinen vorangetragen wurde.
Erst als ich nach unzähligen Malen mal wieder an einer Hecke mir ein paar Dornen hängen blieb, bemerkte ich, dass ich immer noch meine Schuluniform trug. Ich legte also meine Tasche kurz beiseite, um mich von den Dornen zu befreien und legte dann die Uniform ab, da sie mir zu auffällig schien. Ich kleidete mich mit dunklen Jeans, einem T-Shirt und einer unauffälligen Weste ein und überlegte, ob ich die Uniform einfach im Wald zurück lassen sollte. Das schwarze Knäul am Boden war recht unauffällig, da auch der Waldboden fast schwarz wirkte. Wenn ich den Umhang hier liegen lassen würde, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass er jemals gefunden werden würde, doch es bestand dennoch eine minimale Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand aufgrund dieser Uniform meine Fährte aufnehmen könnte. Also verstaute ich das Knäul aus Stoff in meiner Tasche und setzte meinen Weg fort.
Kurz schweiften meine Gedanken nach Hogwarts zurück, wo ich fast meine gesamten Besitztümer, darunter auch meinen Zauberstab. Ob man mittlerweile gemerkt hatte, dass ich verschwunden war?? Ich hoffte, dass es noch nicht groß aufgefallen war, um einen größeren Vorsprung einplanen zu können, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich nach einer, doch recht langen Zeit noch nicht vermisst wurde. Leider hatte ich keine Uhr dabei, sodass ich nicht einschätzen konnte wie lange ich schon gegangen war und meine innere Uhr war auch nicht gerade hilfreich und selbst an dem Stand der Sonne konnte ich mich nicht orientieren, oder gar an der Helligkeit, da die Kronen der Bäume meine ganze Umgebung in ein einziges dunkles Gelände verwandelten und keinen Sonnenstrahl bis zur Erde durchließen. Meiner Meinung nach hätte es schon dämmern müssen, doch ich hatte eigentlich nicht wirklich viel Vertrauen in diese Vermutung.
Plötzlich spürte ich einen brennenden Schmerz in meinem linken Bein und spürte kurz darauf wie beide meiner Beine nachgaben und ich mich nur noch mit Mühe abfangen konnte. Ich wusste, dass ich jetzt nicht weitergehen konnte. Meine Beine würden mich keine fünf Meter weit tragen können. Also zog ich mich zu einem naheliegenden Baum heran, gegenwelchen ich mich mit dem Rücken lehnte. Meine Tasche zog ich nah zu mir heran und sofort überkam mich wieder ein Gefühl der Hilflosigkeit. Ich konnte nicht ewig weiterlaufen. Außerdem hatte ich kein Geld und nicht genügend Essen. Dann fehlte mir noch ein Dach über dem Kopf. Ich erinnerte mich daran, wie mir mein Vater einmal eingetrichtert hatte, dass man nach drei Tagen verdurstete. Das war also mein Ende. Ich würde hier draußen im dunklen sterben, ohne dass es jemand mitbekommen würde. Es war recht unwahrscheinlich, dass mich hier draußen noch jemand finden würde.
Langsam spürte ich das brennen in meinen Augen welches gefolgt wurde von den ersten Tränen, die über meine Wangen liefen. Ich zog meine Beine näher an mich heran um mein Gesicht hinter meinen Knien verbergen zu können. Ich wollte noch nicht sterben. Ich war doch erst elf Jahre alt.
Stille Tränen bahnten dich immer mehr Wege über meine Wangen zu meinem Kinn, von welchem sie mir in den Schoß tropften. Es war mir egal, dass ich weinte. Ich war noch ein Kind und mich konnte sowieso niemand sehen, doch trotzdem fühlte ich mich hinter meinen Knien versteckt geborgener. Ich hatte keine Uhr, doch es dauerte lange bis die Tränen nachgelassen hatten. Ich erinnerte mich an die Nacht in Hogwarts, in welcher Draco bei mir saß und mich tröstete und ich wünschte mich, auch jetzt seine Schulter zu haben um etwas Halt zu finden. Doch er war nicht da. Ich würde ihn nie wieder sehen. Nie wieder hatte ich die Chance mich bei ihm für seine Hilfe zu bedanken, obwohl mir erst jetzt der Wert seiner tröstenden Geste klar wurde.
Nach weiteren wenigen Tränen versiegten diese nun endgültig. Es brachte mich nicht weiter weinend an diesem Baum zu sitzen. Meine Wangen fühlten brannten nun, ebenso wie meine Augen und ich wusste, dass sowohl meine Augen als auch meine Wangen eine unnatürliche rote Farbe angenommen haben mussten, doch es war in diesem endlosen Wald nicht von Bedeutung. Ich wischte mir die restlichen Tränen aus den Wimpern und von den Wangen obwohl es mir sinnlos erschien, doch es war eine so gewohnte Geste. Noch immer hatte ich keine Hoffnung und Optimismus war nun auch endgültig begraben, doch es war sinnlos hier zu bleiben.
Als ich mich gerade erheben wollte, vernahm ich jedoch Schritte. Sehr unsichere Schritte, doch sie näherten sich mir ganz eindeutig. Also blieb ich wo ich war und hoffte nicht entdeckt zu werden.
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