
von Mille_Casanova
Am nächsten Morgen wusste ich wieder, warum ich mir um den Feuerwhiskey solche Sorgen gemacht hatte. Mir brummte der Schädel und der Schlafsaal war mehr als grell, obwohl die Vorhänge noch zu waren.
Ich blickte auf die Uhr und stöhnte innerlich. Es war sechs Uhr morgens. Viel zu früh um zum Unterricht oder so zu gehen. Doch 17 Jahre Erfahrung hatten mich gelehrt, dass ich nun auf keinen Fall mehr einschlafenkonnte.
Da meine Kameraden noch schliefen, stand ich leise auf und zog mich an. Das beste Rezept gegen einen Kater war zwar immer noch 'kein Alkohol trinken', aber das kam jetzt ja leider zu spät. So musste halt die nächstbeste Methode herhalten: frische Luft.
Müde schlenderte ich durch das Schloss in Richtung Küche. Zum Glück kannte ich den Weg dorthin durch einen der nächtlichen Streifzüge von Roger, auf die er uns manchmal mitnahm und die meist zu einer seiner Freundinnen führte. Oder zu anderen Mädchen. Meist war ich nur dabei, damit ich ihn raushaute, wenn wir erwischt wurden.
Die Hauselfen waren gemilde gesagt erstaunt, mich so früh hier zu sehen, und dann auch noch in nicht allzu prickelnder Verfassung. Meinen Kaffee bekam ich trotzdem.
Da ich keine Ahnung hatte, wo ich hin sollte, streifte ich ziehmlich planlos durch das Schloss, bis ich schließlich in der Eulerei ankam. Sogar die Eulen hatten noch keine Lust wach zu sein. Der Großteil schlief und schrie mich an, da ich sie aufgeweckt hatte. Doch das war mir egal, als ich mich ans Fenster setzte und nach draußen blickte.
Von hier aus hatte man einen perfekten Ausblick auf den verbotenen Wald. Auf den Platz, wo ich gestern mit George gesessen hatte.
Ich konnte immer noch nicht glauben, dass das gestern wirklich passiert ist. Die Möglichkeit, dass ich vom anderen Ufer wäre, hatte ich bisher noch überhaupt nicht in Betracht gezogen. Warum sollte ich auch schwul sein? Ich war immer von Mädchen umschwärmt worden, hatte noch nie etwas an der Farbe Pink gefunden und 'Y.M.C.A.' war sehr weit davon entfernt mein Lieblingssong zu werden.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein Räuspern und drehte mich um. Da stand einer der Weasley Zwillinge und starrte mich mehr oder weniger entgeistert an.
Das war genau das, was ich momentan am wenigsten gebrauchen konnte. Ein enttäuschter George, der eine Erklärung verlangte. Was sollte ich da denn sagen?
"Darf ich?" Schüchtern deutete mein Gegenüber auf den zweiten Platz auf dem Fensterbrett. Schnell nickte ich und nahm meine Kaffeetasse von dort.
"Morgen, George.", murmelte ich, während ich aus dem Fenster blickte, um ihn nicht ansehen zu müssen. Aus irgendeinem Grund war es mir peinlich, dass er mich beobachtet hatte, während ich an ihn dachte.
"Kannst du nach Partys auch nie schlafen?" Erstaunt sah ich ihn an, worauf er betreten zur Seite blickte.
"Tschuldigung, doofe Frage.", murmelte er verlegen und rieb sich die rot werdenden Ohren.
George Weasley war um eine Frage verlegen? Das war ja etwas vollkommen neues. Gestern hatte er keine Probleme damit gehabt, vor allen Augen mit mir zu tanzen, und nun fiel es ihm schwer, ein Gesprächsthema zu finden? Seltsam.
Darin war ich zwar auch nicht allzu gut, aber so ziehmlich alles war besser, als betretenes Schweigen.
"Ähhm, wieso bist du eigentlich schon so früh hier?"
"Fred und ich sind momentan dabei, eine neue Nasch-und-Schwänz Leckerei zu entwickeln. Ich sammle oft hier oben Ideen."
Interessiert blickte ich auf. Nasch-und-Schwänz-Leckereien? Der Ausdruck kam mir wage bekannt vor, doch mir wollte beim besten Willen nicht einfallen, warum.
"Was ist denn das?"
"Das sind Süßigkeiten, die du isst und dann krank wirst."
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Krank werden?
"Wieso sollte man krank werden wollen?"
"Nicht wirklich krank. Nur so krank, dass man aus dem Unterricht geschickt wird. Wenn man draußen ist, nimmt man die andere Hälfte der Leckerei und das Leiden verschwindet."
Krank genug, um aus dem Unterricht geschickt zu werden? Auch wenn ich eigentlich dagegen sein müsste, musste ich zugeben, dass das etwas verlockendes hatte, ab und zu aus dem Untericht zu verschwinden. Ich konnte mir schon prof. Vektors Gesicht vorstellen, wenn ihr Lieblingsschüler plötzlich krank wird.
Oder Kim, wie sie alles von Hühnerbrühe über Aspirin bis zur Blinddarmoperation auffährt, damit ich wieder gesund werde.
Plötzlich kam mir eine Idee.
"Man könnte das doch auch wann anders hernehmen, oder?"
George nickte und ich musste grinsen. Man sagte doch immer, dass Frauen keine Lust auf Sex haben und dann sagen, sie hätten Migräne. Ich könnte den Spieß um drehen.
"Woran denkst du gerade?" Neugierig beugte sich mein Gegenüber zu mir herüber. Offenbar musste ich ein wenig gelacht haben.
Ich zuckte kurz mit den Schultern und beschloss dann, ihn einzuweihen.
"Wenn die Frauen Migräne bekommen, wenn sie keine Lust auf Sex haben, warum können wir das dann nicht auch machen? Stell dir das mal vor. 'Oh, Schatz, nein, heute nicht. Ich hab so schlimme Kopfschmerzen, ich könnte das gar nicht genießen.'"
Meine Frau/Mann-Immitation schien mir gelungen zu sein. Geogre prustete los.
"Genau. Überleg mal, wie es wäre, wenn sich die Männer einen ganzen Tag lang so verhalten würden, wie die Frauen. 'Schatz, Schatz! Schau mal die Schuhe da! Sind die nicht einfach pefekt? Passen farblich haargenau zu meiner neuen Handtasche.'"
Ich lachte los. Das konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Zwar hatte der Mann bei mir erstaunliche Ähnlichkeit mit Roger, doch Kim war trotzdem die verwirrte Freundin, die nicht verstand was nun auf einmal los war.
"Oder noch besser. Mädchen regen sich doch immer so auf, wenn jemand im selben Outfit auftaucht wie sie selbst. Auf einer feinen Party tragen doch immer alle Anzug. Nun regt sich ein Junge auf, weil jemand genau denselben Anzug trägt wie er."
"Du wirst es nicht glauben, aber Roger fragt wirklich immer rum, welchen Anzug man trägt, damit er nicht denselben anzieht."
George schmiß sich fast vor Lachen weg. War auch verständlich. Das Roger das tat, war uns am Anfang auch merkwürdig vorgekommen. Doch man gewöhnte sich daran und inzwischen tat man das fast automatisch.
"Das kann ich einfach nicht glauben. Das tut er echt?"
"Ja, kaum zu glauben, oder? Einmal ist Geoffrey Hooper mit derselben Krawatte wie Roger gekommen. Der arme Geo lag drei Wochen im Krankenflügel, bevor er sein Trauma verarbeitet hatte."
George hatte inzwischen Schluckauf vor Lachen. Er lehnte sich gegen mich und hielt sich den bauch. Doch auch mir ging es nicht viel besser. Mir tat das Zwerchfell weh und Tränen standen in meinen Augen.
"Du bist echt witzig, Robert."
"hey, nenn mich Rob. Und danke. Ich geb mir alle Mühe."
Immer noch lachend drehte ich mich zu ihm um...
Und sah direkt in zwei wunderschöne, schokoladenbraune Augen.
George war nur einen Zentimeter von mir entfernt und ich spürte seinen warmen Atem an meiner Wange. Er ging viel zu schnell und duftete sanft nach Vanille und Kaugummi.
Leicht beugte er sich vor und fuhr mit der Nase über meinen Hals. Ein Schauer kribbelte über meine Haut und ich spannte mich automatisch an.
Verängstigt blickte George mir in die Augen. Er schien sich zu fragen, was er falsch gemacht hatte. Meine Hand zitterte als ich ihm über die Wange fuhr und ihn dann zögerlich umarmte.
Sofort breitete sich ein Lächeln über seinem Gesicht aus und er legte seinen Kopf auf meine Schulter. Seine roten Haare kitzelten mich leicht, als er den Kopf bewegte und ich legte meine Hand ein wenig enger um ihn.
Plötzlich flog die Tür auf und George und ich fuhren auseinander. Vollkommen entgeistert stand Kim im Türrahmen und starrte uns an.
"Ich kann es einfach nicht fassen!", kreischte sie und stürmte auf mich zu.
"Du betrügst mich mit einem Jungen? Mit einem Mädchen okay, aber mit einem Jungen?" Sie krallte sich in mein Hemd und schüttelte mich.
"Wie kannst du mir das antun?" Ich sprang auf und hielt sie an den Schultern fest, als sie weg wollte.
"Kim, warte, du verstehst das nicht."
"Was versstehe ich nicht? Wenn ich es nicht verstehe, verstehen es ja vielleicht die anderen."
Sie wollte sich wegdrehen, doch ich hielt sie fest.
"Nein! Bleib hier! Du darfst es den anderen nicht erzählen."
"Nenn mir einen Grund, warum ich es ihnen nicht erzählen sollte. Ach warte, es gibt keinen. Tschau."
"Warte!" Ich packte sie mit der einen Hand an der Schulter und zog mit der anderen den zauberstab.
"Obliviate!"
Sofort verschwamm Kims Blick und sie sank zu Boden. Ich ging neben ihr in die Knie und strich ihr über den Rücken.
"W...Was ist passiert?" Verwirrt blickte sie sich um bis sie meinen Blick fand.
"Rob! Was machen wir hier in der Eulerei?" Sie klammerte sich an meinen Hals und ich zog sie hoch.
"Weißt du... Du hattest... einen Nervenzusammenbruch! Du hast mich und Ge...Kat hier oben reden gesehen und bist total ausgerastet und dann zusammengebrochen."
Zwei erstaunte Blicke trafen mich und ich nickte bestätigend.
"Na komm, wir gehen wieder in den Gemeinschaftsraum."
Vorsichtig führte ich sie in Richtung Tür und hörte George gerade noch etwas murrmeln. Ich drehte mich um und lächelte ihm zu, was er erwiederte.
"Nervenzusammenbruch. DAS wär doch mal etwas aufgefallenes für unsere Leckereien."
Ich warf ihm noch einen verwirrten Blick zu und ging dann runter.
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