von Blue
"Ja, doch Dad. Ja, ich verspreche, ich werde pünktlich sein..... Ja, okay. Grüß Mum von mir... Gut bis morgen, dann. Tschüss."
Sie legte den Hörer auf und schrieb sich etwas in ihren blauen Terminkalender, der neben dem Telefon lag.
Mittwoch 19.09.2001
18.00 Uhr
Essen bei Mum und Dad
Hermine hatte ihre Eltern ungefähr ein Jahr nach dem Krieg wieder gefunden und hatte deren Erinnerungen wieder hergestellt.
Die beiden hatten sich im australischen Outback aufgehalten und waren jeden Tag woanders gewesen. Deshalb hatte ihre Suche so lange angedauert.
Und morgen würde sie mit ihren Eltern, in deren neuem Haus, ihren Geburtstag feiern.
Das Problem lag nur darin, dass ihre Eltern in Muggel – London lebten und sie………..
Nun ja, Hermine hatte sich eine Wohnung am Grimmauldplatz gemietet.
Da der Orden noch immer bestand und sie ein festes Mitglied dort war, eignete sich dieser Wohnort sehr gut. Doch in letzter Zeit gab es immer weniger Anlässe für Ordensversammlungen und Hermine sah ihre alten Freunde Ron, Ginny, Harry und Luna nur noch sehr selten. Harry und Ginny waren verheiratet und irrsinnig glücklich miteinander.
Genauso wie Ron und Luna, nur mit dem Unterschied, dass die beiden „nur“ verlobt waren.
Tja und Hermine? Sie war seit über einem Jahr wieder solo. Ihre letzte Beziehung, oder eher Affäre, war im Grunde ein kompletter Reinfall gewesen. Der Muggelanwalt mit den blauen Augen und der stets hochgezogenen Augenbraue hatte sie zwar auf Händen getragen und ihr alles geschenkt, was sich eine junge Frau nur wünschen konnte, aber……..irgendetwas hatte Hermine dabei immer gefehlt. Wahrscheinlich war es die nichtvorhandene Echtheit, die schließlich zur Trennung geführt hatte. Steve hatte Privates und Berufliches einfach nicht voneinander trennen können.
Aber Hermine weinte ihm keine Träne nach, im Gegenteil, es war sogar viel einfacher für sie, keinen Beziehungsstress zu haben.
Sie arbeitete im Zaubereiministerium in der Abteilung für magische Strafverfolgung.
Hier saß sie im Zaubergamot - Verwaltungsdienst und war eine von 50 Beratern im Zaubergamot, des Hohen Gerichts der Zauberergemeinschaft.
Das erforderte viel Zeit, Stress, Schweiß und Herzblut.
Hermine liebte ihren alltäglichen Stress zwischen Beruf und Privatleben. Er gab ihrem Leben eine Aufgabe, füllte die Leere in ihrem Herzen aus.
Und doch, sie entkam der Einsamkeit nicht. Jeden Abend, wenn sie nach Hause kam und den Schlüssel drehte, war da niemand der auf sie wartete, niemand der sich um sie sorgte.
Meist flüchtete sie sich dann schnell in den Schlaf oder in Arbeit, die sie mit nach Hause genommen hatte.
So auch heute.
Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, dass es bereits 21 Uhr durch war.
Sie ging in die Küche, legte die Akten auf dem Tisch ab und schenkte sich ein Glas Wasser ein.
Zwar hatte sie keinen Durst, aber für alle Fälle..............
Einer ihrer Ticks.
Entschlossen krempelte sie die Ärmel ihrer blauen Bluse bis zu den Ellenbogen nach oben und nahm ihre langen, braunen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz nach hinten zusammen.
Also dann. Frisch ans Werk!
Als sie aufwachte, war es bereits kurz vor Mitternacht.
Müde hob sie ihren Kopf von der harten Tischplatte, stützte sich mit dem linken Arm ab und klappte mit der rechten Hand die Akte zu. Ihre langer, lockiger Zopf lag ihr weich über der rechten Schulter. Sie fuhr ein paar Mal mit ihren Fingern durch ihre Haare, versuchte die Locken ein wenig zu sortieren und strich schließlich ihren herausgewachsenen Ponnie hinter die Ohren.
Noch ein Tick von ihr. Ungeordnetes bei jeder Gelegenheit ordnen.
Dass sie bei der Heimarbeit einschlief kam gelegentlich vor. Matt ließ sie ihre Oberarme über den Tisch gleiten, bis hin zu ihrem Glas Wasser.
Langsam zog sie es zu sich und trank es in einem Zug aus. Schwerfällig erhob sie sich und schleppte sich zur Spüle, wo sie das Glas abstellte.
Sich auf der Arbeitsfläche abstützend, wollte Hermine gerade wieder den Kopf sinken lassen, als sie ein kalter Windstoß von hinten zusammenzucken ließ. Sofort stellten sich bei ihr sämtliche Nackenhaare auf und sie zog die Schultern nach oben.
Kalter Wind? In ihrer Wohnung?
Mit einem Mal war sie wieder wach und sah sich prüfend um. War ein Fenster undicht?
Sie verließ die Küche in Richtung Wohnzimmer und verweilte dort einen Augenblick vor ihrem schwarzen Ledersofa. Nein, hier war es warm.
Sie drehte sich um und ging weiter in den schmalen, dunklen Flur, der zu ihrem Bad und zu ihrem Schlafzimmer führte.
Die weiße Tür war sperrangelweit offen. Hatte sie die nicht heute morgen, wie immer, zugemacht?
Gerade als sie im Türrahmen stand kam ihr wieder ein fieser, überraschender, kalter Windstoß entgegen.
Hermine zuckte zusammen.
Es war nichts zu sehen. Die weißen Schleier, die am Gerüst ihres Bettes hingen, bewegten sich plötzlich wie von Geisterhand. Hier drin war es eiskalt.
Ohne das Licht anzuknipsen ging sie schnurstracks in Richtung der beiden Fenster, welche weit geöffnet waren.
Erst als sie die Fenster hektisch geschlossen hatte, wurde ihr mulmig zumute.
Sie war sich hundertprozentig sicher, dass sie die nicht geöffnet hatte.
Und wenn sie schon den ganzen Tag offen gestanden hatten? War womöglich ein Einbrecher hier gewesen?
Und wenn, war er noch immer da?
Langsam und darauf bedacht kein Geräusch von sich zu geben, zog Hermine ihren Zauberstab aus der Hosentasche. Verzweifelt drückte sie ihn in ihrer Hand so fest bis es weh tat.
Warum hatte sie nur das Licht nicht angemacht?
Nur der schwache Schein des Halbmondes erhellte ihr Schlafzimmer etwas. Die plötzliche Stille schien sie festzunageln. Es war geradezu unheimlich.
Als sie spürte, wie die Angst in ihr hochstieg, schloss sie die Augen.
Wenn jemand hier war, dann war er ganz in ihrer Nähe also musste sie Ruhe bewahren.
Sie versuchte irgendetwas zu hören, verlangsamte ihre Atmung.
Doch ihr Herz schlug so stark, dass ihr das Blut in den Ohren brauste.
Konzentrier dich, Hermine! Ganz ruhig bleiben!
Sie hörte nichts.
Sie wollte sich umdrehen, wagte es aber nicht.
Die Bewegungsunfähigkeit hasste sie am meisten bei ihrer Angst. Harry hatte das immer "Angststarre" genannt.
Sie wartete. Wartete darauf, dass etwas passierte.
Alles, was sie wahrnahm war ihr stockender Atem, ihr lauter Herzschlag und ihr Blut, das ihr durch die Ohren sauste.
Die Kälte von draußen umschloss sie, legte sich wie ein Schleier über sie.
Plötzlich war da noch etwas anderes.
Ein Geruch.
An ihrer rechten Seite.
Hermine versuchte den Geruch zu erkennen und drehte unmerklich den Kopf leicht zur Seite.
Dieser Duft kam ihr bekannt vor, doch sie kam beim besten Willen nicht auf den Namen.
Es roch frisch, leicht, eigentlich ganz angenehm. Aber es gehörte nicht hier hin, soviel wusste sie.
Etwas Fremdes.
Es war der Duft von..........
"Pfefferminz." flüsterte sie kaum hörbar.
Sie hatte laut gedacht.
"Richtig, mein Engel." zischte urplötzlich eine fremde Stimme an ihrem Ohr.
Hermine erschrak und fuhr herum.
Hektisch blickte sie sich um, doch sie konnte nichts erkennen. Noch bevor sie überhaupt das Wort "Lumos" denken konnte, spürte sie eine angenehme Wärme an ihrer Schläfe.
Dann wurde ihr plötzlich schwarz vor Augen.
Sie spürte sich noch fallen, danach war nichts mehr.
Hermine glitt in ein wahres Land aus Träumen.
Sie sah Harry und Ron ihr gegenüber stehen und beide lächelten sie.
Die beiden bewegten die Lippen, vermochten aber nichts zu sagen. Dann traten sie an ihre Seite, nahmen sie in ihre Mitte. Sie spürte wie sie sich bei den Händen fassten.
Dann war es, als würden sie apperieren.
Hermine schien mit ihren besten Freunden wahre Zeitsprünge zu machen.
Plötzlich sah sie sich selbst wieder mit ihnen in ihrem ersten Jahr auf Hogwarts.
Das Schachspiel.
Dann sah sie plötzlich Harrys erstes Quidditchspiel.
Der heutige Harry neben ihr jubelte am Lautesten und grinste sie überglücklich an.
Hermine musste lächeln, obwohl ihr das alles sehr paradox vorkam.
Da wurde es dunkel. Das Spielfeld verschwand und ein Friedhof tauchte auf.
Sie stand neben Harry, der stumm auf den Grabstein seiner Eltern starrte.
Es schneite.
Sie spürte die Angst des Krieges wieder. Die Angst, jeden Augenblick sterben zu können.
Die Angst um die anderen. Sie war allein. Harry und Ron waren auf einmal wie vom Erdboden verschluckt, als wären sie nie da gewesen.
Da war plötzlich wieder der Schmerz auf ihrem Unterarm.
Als sie auf diesen hinab sah bildeten sich blutige Buchstaben darauf. Innerhalb von Sekunden konnte sie das Wort "Schlammblut" darauf lesen.
Hermines Blick blieb dort hängen. Und dann fiel sie.
Immer weiter. Ganz langsam und doch unaufhaltsam.
Kälte umgab sie. Und dann kam die Dunkelheit.
Es war schließlich auch die Kälte, die Hermine weckte.
Noch etwas matt öffnete sie die Augen.
Was sie zuerst sah, ließ sie staunen.
Eine schwarze Deckenverzierung. Der Stil erinnerte an Russland im 18. Jahrhundert.
Doch dann besann sie sich wieder.
In ihrer Wohnung war sie überfallen worden. Und das hier war nicht ihre Wohnung.
Ruckartig setzte sie sich auf und blickte sich um.
Sie saß auf einem altmodischen, kleinen, roten Sofa.
Es sah aus, wie aus einem Museum. Wahrscheinlich war dieses Möbelstück antik.
Biedermeier-Stil. dachte Hermine und fuhr über den rauen Stoff.
Ihr Blick wanderte auf Augenhöhe. Was sie dort zu sehen bekam, erstaunte sie nicht schlecht.
Eine riesige Wand aus Bücherregalen erstreckte sich über mehrere Meter an ihr vorbei.
Die Bücher hatten alle dunkle Farben und die hölzernen Regale waren allesamt schwarz. Genauso wie die Wände und er Parkettfußboden, wie Hermine feststellte.
Nur ein altmodisch verzierter Teppich in rot brachte etwas Farbe.
Es war dämmrig, denn um sie herum standen nur ein paar Kerzenständer, auf denen acht oder mehr schwarze Kerzen brannten und eine gruselige Atmosphäre schufen.
Als Hermine weiter geradeaus blickte, sah sie einen Lichtschein. Tageslicht!
Mehrere Meter von ihr entfernt war ein großes Sprossenfenster, das mit schwarzen Flor verhangen war. Nur durch einen kleinen Spalt fiel Sonnenlicht auf den Boden und auf ein anderes rotes Sofa, dass seitlich vor dem Fenster stand. Es sah aus, wie das, auf dem sie saß, es war nur etwas größer.
Bis zu diesem Fenster reichten auch die Bücherregale, die bis unter die Decke reichten.
Hermine schätzte sie auf bestimmt sechs Meter.
An einem der Regale stand eine Leiter, ebenfalls in schwarz. Im Sonnenlicht konnte sie den Staub erkennen, der hier in der Luft schwebte.
Es roch miefig und modrig.
Verwirrt fuhr sie sich durch ihren lockigen Pferdeschwanz und zog ihre blaue Bluse zurecht.
Plötzlich hörte sie ein gespenstisches Geräusch.
Es klang wie der leise Hauch des Windes. Aber beinahe wie eine Stimme oder mehrere Stimmen gleichzeitig.
Gleichzeitig herrschte hier diese allgegenwärtige Kälte.
Langsam schob sie ihre Beine von dem Sofa und setzte ihre Füße, trotz der schwarzen Stifeletten, lautlos auf dem Fußboden ab. Der Absatz war ohnehin beim Gehen kaum zu hören.
Erst jetzt bemerkte Hermine, dass sie sich hier in keinem Raum befand, sondern auf einer gesamten Etage.
Sie blickte hinter sich und sah ein paar Stufen nach oben führen.
Vorsichtig stand sie auf und schlich auf die Stufen zu.
Als sie näher kam, erkannte sie, dass sie eine Brücke über ein meterlanges Loch im Fußboden bildeten.
Als sie zwischen den Stufen hindurch lugte, konnte sie einen langen Tisch erkennen. Es sah schon beinahe aus wie eine richtige Tafel. Darauf standen drei brennende Kerzenleuchter, die den Raum mit Dämmerlicht erfüllten.
Es war, als hätte man einfach ein großes Loch in den Fußboden geschlagen und dafür diese "Brücke" gebaut.
Vorsichtig trat Hermine auf die erste der schwarzen Stufen. Sie war leise. Zum Glück.
Bis auf die windähnlichen, flüsternden Geräusche war es ganz still.
Noch eine Stufe. Noch eine. Und noch eine.
Jetzt stand sie auf dem direkten Übergang.
Im Grunde nur ein schwarzes Holzbrett, das vielleicht drei Meter lang war. Es sah nicht wirklich vertrauenserweckend aus, beinahe zerbrechlich.
Auf Zehenspitzen schlich sie darüber und versuchte möglichst schnell zu den vier Stufen zu kommen, die auf der anderen Seite wieder nach unten führten.
Dort sah es nicht viel anders aus, als auf der Fensterseite.
Das Bücherregal ging hier weiter, bis zu einer großen Wendeltreppe, die nach oben und nach unten führte.
Vorsichtig setzte Hermine erst einen, dann den anderen Fuß auf jeweils einer der Stufen ab. Wenn sie hier raus wollte, durfte sie auf gar keinen Fall bemerkt werden.
Doch selbst das Aneinanderreiben der Hosenbeine ihrer schwarzen Jeans schien ihr viel zu laut. Hermine breitete die Beine etwas weiter beim Gehen aus.
Sie wähnte sich schon am Ziel, als sie den linken Fuß langsam auf der letzten Stufe absetzte.........und es laut knarrte.
Hermine biss sich auf die Unterlippe und machte einen großen Schritt auf den Parkettfußboden.
Dieser quietschte kurz.
Hier ging auch der rote Teppich weiter. Das verschaffte ihr ein kleines Sicherheitsgefühl. Hier waren ihre Schritte wenigstens leise.
Nur noch ein paar Meter, dann war sie an der Wendeltreppe. Sie war ebenfalls russisch-prunkmäßig verziert und natürlich schwarz.
Unglücklicherweise waren die Stufen hier ebenfalls offen, was ihr große Angst machte. Von unten würde man sie sehen können.
Ein Blick nach oben verriet ihr, dass sie sich in einem sehr hohen Gebäude befinden musste. Die Treppe wand sich bestimmt noch fünfmal. Ein wirkliches Ende konnte Hermine aber nicht erkennen.
Suchend tastete sie nach ihrem Zauberstab.
Doch er war nicht da.
Na, klasse! War ja zu erwarten.
Als sie mit ihrer Hand ihren Arm berührte, zuckte sie zusammen. Ihre Hände waren eiskalt.
So kalt, dass es ihr graute. Fast so, als hätte sie kein Blut mehr in ihnen.
Sie strich sich eine Locke aus dem Gesicht hinters Ohr und trat vorsichtig den Weg nach unten an. Sie konnte ja schließlich nicht ewig hier stehen bleiben.
Je näher sie dem Boden kam, desto mehr Angst machte sich in ihr breit. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle zusammenzubrechen und loszuheulen.
Innerlich schrie sie.
Doch dann, endlich, hatte sie es geschafft.
Der Boden war hier ebenfalls schwarzes Parkett. Ohne Teppich. Sie befand sich in einer riesigen Eingangshalle.
Ein wenig erinnerte sie das Gesamte mittlerweile an Malfoy Manor.
Ähnliche Größe. Ähnliche Kälte. Und ähnliche Angst.
Auch hier war alles schwarz. Vom Boden bis zur Decke.
Ihr Blick bleib an der riesigen Eingangspforte hängen. Sie war von innen verschlossen.
Ein großes, silbern schimmerndes Kettenschloss hing zwischen den beiden Türgriffen.
Verdammt!
Hier würde sie schon mal nicht rauskommen.
Auf dem Fußboden lagen zerknüllte, voll gekritzelte Pergamentstücke überall verteilt.
Zu ihrer Linken ging es in den Raum, den sie durch das Loch oben gesehen hatte. Sie sah die lange Tafel durch die offen stehende Flügeltür.
Langsam, vorsichtig und ohne ein Geräusch zu machen schlich sie auf den Raum zu.
Als sie am Türrahmen stand, staunte sie zum dritten Mal.
Vor ihr lag ein riesiger Salon. Mehrere, meterhohe Sprossenfenster, die bis zum Boden reichten, befanden sich auf der rechten Seite. Allerdings waren sie alle, wie das Fenster oben, mit schwarzem Flor verhangen.
Stattdessen brannten im ganzen Raum unterschiedlich große Kerzenleuchter. Vielleicht waren die Sprossenfenster ja offen.
Sie zog am ersten Fenster den Flor zur Seite und wurde von der Sonne begrüßt. Ihre Augen, mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, brannten schmerzhaft.
Doch nach einer Weile ging es wieder und sie versuchte die große, schwarze Klinke herunterzudrücken.
Abgeschlossen.
Missmutig hob sie den Blick und sah hinaus.
Vor ihr lag eine großflächige schwarze Terasse und dahinter ein riesiger Garten, der von hohen, grauen Mauern umgeben war.
Ziemlich in der Mitte der ungepflegten Wiese stand eine alte, riesige Eiche. Ihre massive Krone begann bereits sich gelblich zu verfärben. Etwas weiter stand ein großes, gläsernes Gewächshaus. Das Dach war bereits mit Moos bewachsen. Doch sie glaubte, Blumen darin erkennen zu können. Rote und weiße und blaue.
Es hatte wohl über Nacht geregnet, denn die riesigen Steinmauern waren ganz dunkel, sodass man das Moos auf ihnen nur erahnen konnte.
Hermine hatte das Gefühl, mit dem Zeitumkehrer ins 18. Jahrhundert oder sogar noch früher zurückgereist zu sein.
Wenn sie freiwillig hier gewesen wäre, hätte sie bestimmt Lust gehabt, dieses Gemäuer zu erkunden.
Aber leider war sie ja nicht freiwillig hier!
Sie zog den Flor wieder vor das Sprossenfenster und drehte sich um. Dieser riesige Raum sah aus, als wäre es früher einmal ein Ballsaal gewesen. Er war fast so groß wie die große Halle in Hogwarts. Einfach unglaublich.
Genau gegenüber von jedem Fenster befand sich auf der anderen Seite des Saals jeweils ein gläserner Schrank.
Zuerst hatte Hermine sie benfalls für Türen oder Fenster gehalten, doch hinter den spiegelnden Türen befanden sich Regalbretter in einer Niesche. Hier im ersten Schrank stand weißes Porzellan. Eine antike Suppenschüssel, ein paar altmodische Teller.
Im nächsten standen Weingläser, Biedermeiergläser.
Sie ließ das Ganze auf sich wirken.
Hier roch es nicht mehr muffig und alt.
Es lag ein leichter Kerzenduft im Raum. Ein Duft nach Rose. Hermine schloss für einen Moment die Augen.
Doch sie öffnete sie schnell wieder und überlegte fieberhaft, was sie nun machen sollte.
Sie musste hier raus! Einen Ausweg finden und fliehen.
Wenn sie nicht alles täuschte, war heute ihr Geburtstag.
Sie musste zu ihren Eltern fahren. Sie hatte doch versprochen, pünktlich zu sein!
Können vor Lachen! dachte sich Hermine sarkastisch.
Vielleicht gab es ja am Ende dieses riesigen Salons einen Hinterausgang. Eine naive Hoffnung, aber immerhin eine Möglichkeit, wenn auch unwahrscheinlich.
Aber Hermine hatte einfach viel zu viel Angst, um die Logik herauszukristallisieren.
Wie in Trance schritt sie weiter. Vorbei an den nächsten Fenstern. Vorbei an den Glasschränken. Vorbei an den Kerzenständern, die einige Meter von der Wand entfernt, wild im Raum verteilt waren (was der Platz ohne Weiteres zuließ).
Vorbei an der langen, schwarzen Tafel, die mittig unter dem riesigen Kronleuchter stand.
Das edle, antike Stück hing schwer von der Decke herab uns sah aus, als ob man es schon ewig nicht mehr verwendet hatte. Eine dicke Staubschicht lag darauf.
Etwas weiter konnte sie die "Brücke" in der Decke sehen.
Sie erkannte, dass man es gesehen haben musste, als sie über die offenen Stufen geschlichen war, trotz der monströsen Höhe. Verängstigt verschrenkte sie die Arme vor der Brust, während sie weiter ging und ihren Blick wieder auf Augenhöhe richtete.
Der schwarze Parkettboden vor ihr glänzte im Kerzenschein.
Die gespenstischen Geräusche waren wieder zu hören.
Hermine stiegen Angsttränen in die Augen, doch sie ging mutig weiter. Sie glaubte, ihr Herz müsse jeden Augenblick zerspringen.
Am Ende des Salons stand ein großer, schwarzer, aufgeklappter Flügel.
Die Tasten blitzten beinahe, so weiß waren sie.
Auch das Klavier glänzte im Schein der vielen Kerzen, von denen es umstellt war.
Die Kerzen waren wohl sehr groß gewesen, denn auf ihren Tellern und an ihren Seiten hatten sich bereits Unmengen von verflossenem Wachs gebildet.
Hier war Ende. Nirgendwo konnte Hermine einen Ausweg sehen. Verzweifelt blickte sie sich um.
Da fiel ihr Blick auf einen der Kerzenständer und auf eines der riesigen Sprossenfenster.
Das war es! Dann musste sie eben auf die harte Tour hier raus. Entschlossen griff sie nach dem Kerzenständer, der ihr bis unters Kinn reichte und blies die Kerzen alle auf einmal aus.
Sie wollte ihn gerade anheben und ihn durch das Fenster werfen.
"Du siehst dich um."
Erschrocken ließ Hermine den Kerzenständer fallen und fuhr herum. Laut krachte das große Gestell auf das Parkett doch Hermine kümmerte das nicht. Ihr Blick war auf die Flügeltür gefestigt.
Diese düstere Stimme hörte sie nun schon zum zweiten Mal hinter sich.
Nun sah sie auch, wem sie gehörte.
In der Tür stand ein Mann. Die düstere Stimme passte ganz klar zu seinem Aussehen. Lässig lehnte er am Türrahmen, beide Hände in den Hosentaschen. Er schien sie schon länger zu beobachten.
Er war sehr schlank und trug einen dunkelblauen Anzug, der diese Tatsache noch unterstrich.
Er hatte dunkles, längeres Haar und eine blasse Haut.
Langsam kam er auf Hermine zu. Fixierte sie mit seinem Blick. Elegant schritt er voran, fast als würde er tanzen.
Er pirschte sich regelrecht an sie heran.
Sie zählte unbewusst die Sekunden, in denen er ihr immer näher kam. Sollte sie weglaufen? Nur wohin?
Als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, wich sie zurück. Immer weiter bis sie auf Widerstand stieß.
Die Wand.
Und er kam noch näher.
Sie blickte zu ihm auf. Er war einen Kopf größer als sie.
Jetzt sah sie seine Augen. Sie waren dunkelbraun. Dunkler als ihre, fast schwarz.
Einen letzten, kleinen Schritt tat er noch.
Nun berührten sich ihre Körper beinahe.
Hermine wünschte sich in diesem Moment, die Wand möge nachgeben.
Der Duft von Pfefferminz wehte ihr entgegen.
Es betäubte sie regelrecht.
Sein Gesicht war unergründlich. Keine Emotionen.
Ein kühler Zug.
Er öffnete den Mund ein wenig und schloss ihn kurz darauf wieder.
Ängstlich zwang sich Hermine, seinem Blick standzuhalten.
Sie würde ihre Angst nicht zeigen, auf gar keinen Fall!
Schließlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und fragte: "Was....soll ich hier?!"
Sie bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen.
Aber sie war zitterig.
Wütend biss sie sich auf die Unterlippe, bis sie ihr eigenes Blut auf der Zunge schmeckte.
Ihr Gegenüber machte große Augen und lächelte ganz leicht. Sein Blick schien sie wahrhaft zu durchdringen.
Hermine schüttelte sich kurz.
Plötzlich hob er seine Hand und legte sie ihr auf den rechten Oberarm. Sachte fuhr er darüber, fast so als würde er sie streicheln.
Entsetzt sog sie die Luft durch den Mund ein und presste sich noch stärker gegen die Wand.
Was wollte dieser Kerl von ihr?
Der Fremde machte nun ein mitfühlendes Gesicht.
"Du musst keine Angst vor mir haben, Hermine."
Obwohl seine Stimme dunkel, tief und doch schneidend klang, wusste sie, dass er beruhigend hatte klingen wollen. Entsetzt riss sie die Augen auf.
Woher kannte er ihren Namen?
Sie sah ihn zum ersten Mal, da war sie sicher!
Vielleicht war er ein Verurteilter, der sich jetzt an ihr rächen wollte. Oh, Gott! Er würde sie foltern. Ganz schrecklich foltern, bis zum Tod.
Vielleicht würde er sie vorher auch noch vergewaltigen oder verprügeln.
Das hier war sein Haus. Sie war hier fremd. Kannte keinen Ausweg. Und sie war alleine.
Eingesperrt mit ihm, diesem dunklen Fremden.
"Wer.......bist du?!" fragte sie gepresst. Jedes einzelne Wort kam ihr schmerzhaft und nur mit großer Mühe über die Lippen.
Gleich als sie den Mund schloss, japste sie, denn ihr Atem stockte.
Noch immer gab sie sich aller größte Mühe, ihre Angst zu verbergen. Doch es kostete sie das letzte bisschen Kraft, das sie noch in sich hatte.
Ihr Entführer lächelte. Es war ein kaltes, fieses Lächeln.
Solch ein Lächeln hatte Draco Malfoy früher immer drauf gehabt, was Hermine (inoffiziell) verboten sexy fand.
Doch dieses Mal machte es ihr Angst.
Todesangst.
Der Fremde schien ihre Gedanken zu lesen.
Er wusste, dass sie Angst hatte, das konnte sie in seinem Gesicht deutlich erkennen.
Er nahm seine Hand von ihr, blieb aber noch genauso dicht vor ihr stehen.
Langsam kam er mit seinem Gesicht näher zu ihrem.
Nur noch wenige Zentimeter trennten sie voneinander.
Ihre Nasenspitzen berührten sich fast.
Als Hermine den Kopf zur Seite drehte, folgte er ihr mit seinem Gesicht. Zur anderen Seite genauso.
Auf diese Weise scheuchte er sie mit seiner Nähe hin und her. Von allen Seiten sah sie seine Augen vor sich, spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht. Doch als sie ihn wieder geradeaus ansah, hörte er auf. Aber dennoch blieb er genauso nahe.
Es quälte sie. Sie schienen sich so nahe zu sein, dass es fast wehtat.
Sie wollte fliehen. Davonrennen. Nur wohin?
Hermine war vollkommen hilflos.
Nun musterte er sie. Die ganze Zeit über hatte er ihr nur tief in die Augen gesehen. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, zu ihrem Hals und kurz über ihre Haare.
Dann trafen sich ihre Augen wieder.
"Ich bin Rafael." sagte er ruhig.
Für einen kurzen Moment zog sie die Augenbrauen zusammen. Sollte sie einen Rafael kennen?
War das einer ihrer letzten Verurteilten gewesen?
Herrgott, sie wusste doch nicht alle Vornamen, von allen Verbrechern der letzten fünf Jahre!
"Wir waren im gleichen Schuljahr in Hogwarts." verkündete er langsam.
Hermine überlegte. Hatte sie in den sechs Jahren je einen Rafael gekannt?
"Du warst eine Gryffindor und ich...war ein Slytherin."
Das letzte Wort klang bei seiner Stimme sehr hypnotisierend. Sie hatte das Gefühl, von einem reißenden Strudel hinab gerissen zu werden.
Ihr wurde kurz schwindelig.
Ihr Gegenüber starrte sie an, als würde er auf irgendetwas warten.
Doch sie war unfähig, etwas zu sagen.
Da zog er plötzlich seinen Zauberstab.
Dieser war schwarz (wer hätte das gedacht), schlicht am Griff verziert und glatt geschnitzt.
Langsam fuhr er ihr mit der Spitze über den Hals.
Ganz leicht, sodass sie es kaum spürte.
Sein Blick folgte seinem Zauberstab, während er rauf zu ihren Haaren wanderte, die ihr über der Schulter lagen. Langsam drehte er einzelne ihrer Locken auf seinen Zauberstab und gab sie wieder frei.
Schließlich strich er sie ihr nach hinten, sodass ihr Hals freilag.
Hermine begann zu zittern. Sie wusste nicht, wie lange sie dem noch standhalten würde aber eins war sicher: Nicht mehr lange genug!
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