von Paddy_4
Die langen blonden Haare der fremden Frau, wehten im starken Wind wild umher, während sie Harry freundlich anlächelte. Harry jedoch hatte keine Ahnung wer diese Frau war. Wenn er sie schon einmal gesehen haben sollte, so hatte er sie vergessen.
Langsam ließ er den Zauberstab sinken.
„Harry! Was machst du denn da?“, ermahnte ihn Hermine leicht entsetzt. „Erinnerst du dich denn nicht an unseren letzten Besuch?“
Natürlich hatte er das nicht vergessen. Wie auch. Doch irgendetwas an dieser Frau sagte ihm, dass sie ihnen nichts tun würde, zur Sicherheit steckte er seinen Zauberstab jedoch griffbereit in seine linke Manteltasche. Er wagte einen Schritt vorwärts.
„Ähm tut mir ja Leid, aber ich kenne Sie nicht.“, sagte er zu der Fremden.
Sie lächelte breiter und ein leises Kichern drang durch den Regen zu ihm.
„Wie denn auch? Du warst damals noch ein Baby.“, antwortete sie leicht amüsiert.
Harry blickte sie verdutzt an. Hermine kam an seine Seite, den Zauberstab fest in der Hand.
„Soll das heißen sie kennen mich?“, fragte Harry neugierig.
„Naja, wer kennt dich nicht?“, schmunzelte sie. „Ja, Harry Potter ich kenne dich.“
„Und wer sind Sie?“, fragte Hermine recht bissig.
Die Frau jedoch, ließ sich von Hermine und ihrem gezückten Zauberstab nicht beeindrucken. Weiterhin lächelte sie die beiden freundlich an und Harry konnte kleine Grübchen in ihren Wangen erkennen, die sich im kalten Wind zartrosa gefärbt hatten. Ihre Augen leuchteten strahlend blau auf, als in der Ferne ein Blitz mit lautem Getose auf die Erde eingeschlagen hatte.
Sie war hübsch. Harry schätzte sie auf Mitte zwanzig ein.
„Ich heiße Pruedence Abott.“, sagte sie.
„Abott?“, fragte Hermine kurz und schnippisch. „Sind Sie eine Verwandte von Hannah?“
Weiterhin lächelnd nickte sie Hermine zu.
„Ich bin eine ältere Cousine von Hannah. Ihr kennt sie?“, antwortete Pruedence.
Hermine ließ ihren Zauberstab etwas sinken und nahm eine freundlichere Haltung ein.
„Ja, Hannah ging mit uns zur Schule.“, sagte Hermine zaghaft und ihr Gesicht wurde rot.
Wieder lächelte Pruedence sie an. Harry trat einen weiteren Schritt nach vorne.
„Und was wollen Sie von uns?“, fragte Harry höflich.
Langsam steckte sie ihre freie Hand in eine ihrer Manteltaschen und zog etwas raus, das aussah wie eine kleine, ziemlich ramponierte Schatulle. Es war von einem schwarzen Samtstoff überzogen, der den Regen, der von der Seite darauf tropfte, abperlen ließ.
„Das.“, antwortete Pruedence und legte die Schatulle auf ihre freie Handfläche. „Das ist was ich dir geben möchte.“ Sie streckte es ihm zu.
Harry blickte verwirrt auf das samtene Kästchen. „Mir?“
Pruedence nickte und ging auf ihn zu. Harry zögerte, doch schließlich nahm er es in die Hand.
Hermine blickte gespannt über seine Schulter und vergaß dabei sogar, Pruedence zu beobachten. „Was ist da drin?“, fragte sie neugierig.
„Ich weiß es nicht.“, sagte Pruedence gespannt. „Wisst ihr, vor ungefähr siebzehn Jahren, als mich mein Vater aufgrund einer Geschäftsreise wieder einmal zu meinen Großeltern brachte, die hier in Godrics Hollow leben, da spielte ich gerne auf den Straßen. Ich war acht, und da sich meine Zauberkräfte gerade entwickelten, stand ich ständig unter ihrer Aufsicht. Ich sollte ja kein Aufsehen erregen. Es war schrecklich. Ich durfte mich keine zwei Meter vom Haus entfernen. Doch eines Tages, meine Großmutter war gerade in einer hitzigen Diskussion mit einer Nachbarin gefangen, da schnappte ich die Gelegenheit und fuhr auf meinem Dreirad durch die Straßen von Godrics Hollow. Plötzlich fiel mir ein Haus auf. Dieses Haus. Dein Haus.“, berichtete sie und wies mit dem Finger auf Harrys Elternhaus hinter ihnen.
„Es sieht noch genauso aus wie damals. Ich fragte mich, wieso die Leute, die daran vorbeiliefen nicht davon Kenntnis nahmen. Die obere Ecke war weggesprengt worden, doch niemand blickte auf. Es waren Muggel natürlich. Fasziniert stieg ich von meinem Dreirad und ging auf das Haus zu. Ich öffnete das Gartentor und trat in das Haus ein. Es war so abenteuerlich. Ein verlassenes Haus. Zudem roch es noch nach Rauch und verbranntem Holz.
Ich war also in das Haus gegangen und blickte mich um. Sogleich lief ich die Treppe hoch. Ich wollte in das Zimmer mit der weggesprengten Wand. Es war alles so faszinierend für mich. Ich fragte mich, wieso niemand darin wohnte. Es war so wunderschön eingerichtet.
Natürlich hatte ich noch keine Ahnung.
Dann war ich in dem Raum angekommen, nach dem ich gesucht hatte. Alles war angekokelt gewesen und nur noch ein Teil des blauen Teppichbodens war übrig geblieben. Überall lagen verbrannte schwarze Holzteile verstreut. Sie stammten von den Wänden und dem Dach.
Ein Lichtstrahl der Sonne schien durch das Loch in der Fassade und plötzlich sah ich ein leichtes Schimmern inmitten der Trümmer. Neugierig kletterte ich über die Holzbalken und streckte meine Hand aus. Und ich fand dies hier.“, sagte Pruedence mit vernebeltem Blick auf die kleine Schatulle in Harry eiskalter, nasser Hand.
Harry betrachtete die Schatulle etwas genauer. Im schwarzen Samtüberzug waren kleine Silberstückchen verarbeitet und mit zierlichen silbernen Linien kunstvoll mit einander verbunden.
„Ich versuchte sie öffnen. Ich wandte sogar meine Kräfte an. Doch was ich auch tat, die Schatulle wollte sich nicht öffnen. Dann hörte ich meine Großmutter nach mir rufen. Fasziniert wie ich war, steckte ich es in die Tasche meines Kleides und huschte schleunigst zurück.“, erzählte sie weiter. „Dreh es mal um.“
Harry drehte die wasserabweisende Schatulle in seiner Hand. Am Verschluss konnte er kleine Brandspuren erkennen, die wohl von Pruedence’ vergeblichen Versuchen stammen mussten, die Schatulle zu öffnen. Der Samtbezug um den Verschluss herum war verbrannt, doch der goldene Verschluss schimmerte makellos im spärlichen Licht der verdeckten Frühlingssonne.
Auf der Rückseite war ein kleiner, vergilbter Zettel angebracht, der an einigen Stellen schwarze, verbrannte Ränder hatte. In der zierlichen, leicht schrägen Schrift erkannte Harry die Schrift seiner Mutter wieder. Es war die Schrift Lilys.
Für meinen geliebten Sohn. Harry.
Sein Herz begann schnell zu pochen und eine Wärme durchfuhr seinen ganzen Körper als er die hektische Schrift seiner Mutter analysierte. Wieder verglich er ihre „g“ mit den seinen.
„Erst später erfuhr und verstand ich, was dieses Haus zu bedeuten hatte. Meine Großmutter hatte es mir erzählt, als ich ihr gestanden hatte, wo ich mich herumgetrieben hatte. Auch sie konnte die Schatulle nicht öffnen. Sie gab sie mir zurück und sagte mir, ich solle sie gut aufbewahren. Also bewahrte ich sie die ganzen Jahre über auf. Bis du zurückkommen würdest. Nach Hause.“, sagte Pruedence und blickte Harry tief in die grünen Augen
Harry schluckte. Langsam glitten seine Finger zum goldenen Verschluss. Ein Klicken.
Pruedence stieß einen spitzen Laut aus. Gespannt blickte sie ins Innere der Schatulle.
Staub, der sich in dem kleinen Raum zwischen Deckel und Boden versteckt hatte, verwehte schnell im Winde.
Auf einem ebenfalls schwarzen Samtkissen steckte ein kleiner silberner Ring. Er war dünn und sein Silber strahlte ein geheimnisvolles Leuchten aus, das offenbar von dem kleinen silbernen Diamanten ausging, der in einer Fassung des Ringes steckte und dessen glatte Kanten ein schwaches Strahlen aussandten.
Hermine und Pruedence stöhnten beide begeistert auf. Sie drängelten sich dicht um Harrys Hand um einen guten Blick auf alle Seiten des Ringes zu haben.
„Das ist ja ein Verlobungsring!“, sagte Pruedence ehrfürchtig.
„Ein Verlobungsring?“, fragte Harry und begutachtet den Ring etwas näher.
„Den hat dir deine Mutter also hinterlassen.“, schloss Pruedence fröhlich und blickte mit blitzenden Augen von ihm zu Hermine. Harry stutzte ein wenig. Dann begriff er.
„Wa..Was? Ein Verlobungsring für mich? Ich meine für…“, stotterte er nervös, als er seinen Blick zu Hermine umwandte.
Hermine war einen Schritt zurückgetreten und blickte ihn ebenfalls etwas erschrocken an.
Pruedence stöhnte auf. „Natürlich! Für deine Freundin.“
Harry schluckte ein weiteres Mal und es wurde ihm unangenehm warm um den Kragen seines Mantels. Auch Hermines Wangen fingen an zu glühen.
Der Wind huschte ein weiteres Mal stark an ihnen vorbei und lies ihre Haare wild umherfliegen.
„Na was ist denn? Ihr beide seid doch ein Paar oder nicht?“, fragte sie drängend.
„Schon. Aber noch nicht lange. Und wir sind erst siebzehn.“, sagte Harry etwas kleinlaut, mit dem Kopf nach unten. Natürlich liebte er Hermine. Und eine Zukunft ohne sie war für ihn unvorstellbar geworden. Doch eine Verlobung?
„Für die Liebe gibt es keinen passenden Zeitpunkt oder ein passendes Alter. Dieser Unfug wurde bloß von Menschen erfunden.“, hauchte Pruedence weise und aufgeregt.
„Aber lasst euch von mir nichts einreden, ja?“
Harry nickte schnell und wandte den Blick wieder dem Ring zu.
„Nun denn. Meine Aufgabe ist getan.“, sagte Pruedence Abott plötzlich, hob ihren Schirm wieder stramm über den Kopf und ging einige Schritte zurück. „Ich werde dann jetzt mal wieder nach Hause gehen.“
Harry blickte perplex zu ihr auf. „Sie wollen schon gehen?“
„Natürlich. Ich habe meine Aufgabe erfüllt. Nach siebzehn Jahren liegt der Ring nun in den richtigen Händen.“
Freudestrahlend hob sie die Hand und winkte ihnen zu. Hermine trat an die Seite ihres völlig überrumpelten Freundes und beide winkten sie ihr nach, bis sie sich umdrehte und rasch im dichten Regen verschwand.
„Was war das denn?“, fragte Harry total irritiert.
„Keine Ahnung.“, schloss Hermine. „Sicher, dass sie keine Verwandte von Luna ist? Das würde mehr passen, findest du nicht?“
Harry lächelte nüchtern, ehe er wieder den Ring ansah. Verlobungsring.
Was dachte wohl Hermine darüber? Harrys Herz fing an unangenehm zu hüpfen.
Erwartete sie etwa, dass er ihr jetzt einen Antrag machte?
Harrys übereinander stolpernde Gedanken wurden jäh von einem weiteren Blitz unterbrochen, der in der Nähe des Dorfes auf einen Acker eingeschlagen hatte. Der Regen wehte heftiger denn je gegen ihre Gesichter. Sie waren von Kopf bis Fuß durchnässt und es war schrecklich kalt.
„Zurück zum Grimmauldplatz?“, fragte Harry mit lauter Stimme.
„Ja, bitte.“, sagte Hermine durch den schneidenden Wind.
Ein weiteres Mal blickte er auf die Schatulle, ehe er sie wieder schloss und in seine Manteltasche gleiten ließ. Seine Hand griff nach der Hermines, doch sie war noch einmal zurück zum Schild vor dem Gartentor gestolpert.
„Was machst du denn da?“, rief Harry ihr zu, während sie vor dem Schild kniete.
Hastig stand sie wieder auf und drängte sich an seine Seite. Sie nahm seine kalte Hand.
„Ich wollte es mir nur noch einmal anschauen.“, antwortete sie ihm.
Hermine wandte den Kopf zum Schild, doch ehe sie genauer hinschauen konnte, war sie bereits mit Harry disappariert.
Die Buchstaben, die Hermine gerade in das alte Holzschild hineingeritzt hatte, glühten noch einmal mit einem rotgoldenen Farbenschleier auf, bevor der Regen ihn erlöschen ließ.
Danke für alles Lily und James. Ich werde auf ihn aufpassen. Ruhet in Frieden.
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„Endlich!“, jubelte Harry, als er und Hermine in der Eingangshalle des Grimmauldplatzes
Nr. 12 standen und ihre nassen Mäntel auf eine nahe Kommode warfen.
Langsam trat Harry von hinten auf Hermine zu und schlang seine Arme um sie.
Den Kopf legte er auf ihre Schulter und küsste sie auf die nasse Wange. Hermine seufzte.
Harry nahm ihre Hände und umschloss sie mit den seinen. Sie zitterte heftig.
„Danke, Hermine.“, flüsterte Harry in Ohr.
Hermine drehte sich ihm zu und blickte ihm in die Augen.
„Kein Problem.“, sagte sie leise, bevor sie sein Gesicht in die Hände nahm und ihn küsste.
Sofort stieg wieder Wärme in Harrys Gesicht und Körper.
Ein Klopfen.
Harry und Hermine schreckten auseinander. Wieder klopfte es.
Da war jemand vor der Haustür.
„Hey. Jemand zu Hause?“, rief es von draußen.
Schleunigst rannte Hermine zur Haustür und öffnete.
Unter einem grünen Regenschirm mit blauen Vögeln drauf gemalt, standen Luna und Neville.
Beide strahlten sie zu ihnen herein, während Hermine sich ihnen um den Hals warf.
„Hey, Harry.“, würgte Neville hervor und winkte ihm zu.
Harry lachte ihnen zu. Luna schlüpfte unter einem Arm von Hermine hervor und trat ein.
Träumerisch wandelte sie den Hausgang entlang, bis sie schließlich vor Harry stand.
„Weißt du eigentlich, dass das Dach dieses Hauses voller Nargel ist?“, hauchte sie mit vernebelter Stimme.
Harry lachte lauthals los.
„Danke. Schön zu wissen.“, prustete er hervor, nachdem er sich wieder gefangen hatte.
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