von mia.winchester
In den nächsten Tagen wich Lucius nicht mehr von der Seite der älteren Slytherins. Während der dünne, kleine Junge weder Bellatrix noch den Anderen zuvor wirklich aufgefallen war, mussten diese sich eingestehen, dass er bereits alles wusste, was es über sie zu wissen gab.
β Du bist die älteste Schwester von Narzissa.β, sagte Lucius, als er Bellatrix und Rabastan an einem besonders kalten Oktobernachmittag durch die Flure folgte. β Sie ist in meinem Jahrgang.β
β Seltsam.β, sagte Bellatrix spitz. β Sie hat dich nie erwähnt.β
β Ist ja auch nicht weiter schlimm.β, entgegnete Lucius, doch es klang nicht sonderlich überzeugend. β Ich halte mich lieber im Hintergrund.β
Niemand sagte etwas. Bellatrix war angetan von dem Eifer des Jungen, doch wie er ihr ständig am Rockzipfel hing und nicht aufhören wollte, vor sich hin zu schwafeln, fiel er ihr doch langsam auf die Nerven.
β Sie ist ziemlich hübsch.β, bemerkte Lucius und es hörte sich an, als hätte es ihn einiges an Überwindung gekostet, das zu sagen. β Narzissa.β
Bellatrix drehte sich zu ihm und lächelte zufrieden auf ihn herab.
β Hat meine kleine Schwester in dir also einen Verehrer?β
β Meine Absichten sind durch und durch aufrichtig.β, erklärte er.
Rabastan lachte. β Sieh einer an!β, warf er ein. β Dreizehn Jahre alt und schon so wortgewandt.β
Wieder errötete Lucius. β Danke.β
β Du bist den Anderen in deinem Alter wirklich um einiges voraus.β, lobte ihn Rabastan.
Sie begannen, gemeinsam die Treppe zu den Kerkern hinabzusteigen.
β Darf ich denn jetzt auch endlich erfahren, was genau es mit diesem Dunklen Lord auf sich hat?β
Lucius' Worte hallten von den steinernen Wänden wider. Einen Augenblick lang hing die Frage in der Luft, als traue sich niemand, sie zu beantworten. Einen Dreizehnjährigen mit ins Vertrauen zu ziehen war höchst fahrlässig. Andererseits würde er noch früh genug erfahren, was es mit dem Dunklen Lord auf sich hatte, zumal der junge Malfoy tatsächlich genau das war, was man in jenen Kreisen suchte: Ein folgsamer, wissbegieriger Junge reinen Blutes.
Rabastan blickte Bellatrix fragend an. Ihr widerstrebte es, das Geheimnis mit Lucius zu teilen. Ihr widerstrebte es ohnehin, überhaupt etwas zu teilen, vor allem, wenn es um ihn ging. Ihren Herrn.
β Pass auf, Junge.β, sagte Rabastan leise. β Du scheinst ein wirklich großes Interesse an der ganzen Sache zu haben und das lobe ich mir. Wir können jeden gebrauchen.β
Bellatrix sog scharf die Luft ein. β Ein kleines Kind?β, höhnte sie.
β Auch ein kleines Kind.β, zischte Rabastan. Dann wand er sich wieder an Lucius. β Wenn der nächste Vollmond am Himmel steht, versammeln wir uns im Verbotenen Wald. Dort werden wir dich hin mitnehmen und du wirst dem Dunklen Lord entgegentreten. Bis dahin allerdings möchte ich, dass du kein Wort über diese Sache verlierst. Unglücklicherweise wandeln durch diese Hallen eine Menge Zauberer verdreckter Herkunft und Einstellung, denen das, was wir dort in den Wäldern zelebrieren, sicherlich missfallen würde.β
Narzissa Black hatte keine Freunde in Hogwarts. Im Grunde genommen störte sie das nicht weiter, da sie im ganzen Schloss noch nicht einer Person begegnet war, mit der sie sich vorstellen könnte, außerhalb des Unterrichts Zeit zu verbringen, aber wenn es Abend wurde und sie allein durch die Flure streifte, befiel sie seit geraumer Zeit ein schwarzes, trauriges Gefühl, das sie nur als Einsamkeit deuten konnte. Man nannte sie das gläserne Mädchen, weil ihre Haut so blass war, dass sie beinahe durchsichtig schien, und ihr Haar beinahe weiß. Sie war groß für ihr Alter und schrecklich dünn, aber dies machte ihre ungewöhnliche Schönheit aus. Narzissa genoss bereits im dritten Jahr die Bewunderung zahlreicher Mitschüler und deswegen störte es sie auch nicht weiter, dass sie diesen Spitznamen trug, viel mehr noch nahm sie ihn als Kompliment.
Doch als sie an diesem Tage auf dem Weg in die große Halle war und zwei Ravenclaws passierte, die sich zuflüsterten β Da ist wieder unser Mädchen aus Glasβ, hätte sie am liebsten ihren Zauberstab gezückt und die beiden in Sumpfkröten verwandelt, denn sie war schrecklich wütend. Soeben hatte sie ein T auf ihren Aufsatz über Heilkräuter in England und Schottland bekommen. T wie Troll. Und sie fürchtete sich jetzt schon vor der Reaktion ihrer Schwester Bellatrix, die während der Zeit in Hogwarts gern die Rolle der Mutter übernahm.
Nur, dass die wirkliche Mutter der Mädchen, Druella Black, eine geborene Rosier, nicht halb so jähzornig und unberechenbar war wie ihre älteste Tochter. Selbst die Beichte bei ihrem Vater hätte Narzissa der bei Bellatrix vorgezogen.
Sie konnte sich schon vorstellen, was sie sich gleich anhören musste: β Was erlaubst du dir? Solltest du nicht etwas mehr lernen? Hast du eine Ahnung, was passiert, wenn du so weitermachst? Du Idiotin! Du ziehst den guten Ruf deiner Familie durch den Dreck und deinen Eigenen ruiinierst du dir gänzlich! Und du sollst eine begnadete Jungehexe sein? Ein Troll bist du, wie es auf deinem Aufsatz steht!β
Zwar waren die schulischen Leistungen von Bellatrix selbst auch nicht ausgesprochen gut, aber da Bellatrix ihren Eltern sowieso immer die liebste Tochter gewesen war und sicher nie auch nur ansatzweise im Stande war, eine ernsthafte Karriere neben ihrem Hauptberuf als Repräsentantin des Hauses Black anzustreben, kümmerte das niemanden. Narzissa allerdings, die von allen Seiten als Wunderkind gelobt wurde, sollte später im Ministerium arbeiten.
β Unsere Jüngste. Die Klügste von allen. Sie hat die Welt in ihren Händen!β, so lobte Cygnus seine Tochter auf jedem Familienfest. Narzissa war ein gefasstes und ausgesprochen kluges Mädchen, aber wenn ihr die Ehre der Familie derartig auf die Schultern gelegt wurde, wie eine tonnenschwere Last, dann fühlte sie sich doch, als würde sie darunter zerbrechen. Eben, als wäre sie aus Glas.
Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und verzog das Gesicht, um zu verhindern, dass sie ihr an den Wangen hinabliefen.
β Was ziehst du denn schon wieder für ein Gesicht, Black?β
Diese herablassende Stimme konnte nur einem gehören. Lucius Malfoy, der ebenso helles Haar hatte wie Narzissa, im Gegensatz zu ihr aber nicht um seine Noten bangen musste: Er war Jahrgangsbester, und das, ohne dass er je lernen musste. Er war ein unglaublich blasierter und hochnäsiger Junge, der einen mit seinem vielen Gerede schnell nervte und zu allem Überfluss tat er seine offensichtliche Bewunderung für Narzissa kund, in dem er sie, statt wie zu erwarten höflich und ergeben, noch viel respektloser und herablassender als alle Anderen behandelte.
β Was ist los, Malfoy?β, zischte Narzissa. β Warst du wieder bei den Siebstklässlern unten und bist meiner Schwester auf die Nerven gegangen?
Lucius war soeben aus den Kerkern emporgestiegen und stand nun mit Narzissa am Fuße der großen Treppe in der Eingangshalle.
β Auf die Nerven gegangen?β Lucius zog eine seiner hellen Augenbrauen hoch. β Wohl kaum. Viel mehr schätzen sie meine Gesellschaft. Nein, wir haben bloß geredet. Und dann haben sie mich eingeladen.β
β Eingeladen zu was?β Narzissa hasste es, sich ausgeschlossen zu fühlen. Was war es nun schon wieder, das ihre Schwester plante, ohne sie einzuweihen, geschweige denn einzuladen?
β Das werde ich dir sicherlich nicht verraten!β, höhnte Lucius. β Frag doch deine Schwester selbst.β
β Ist mir eigentlich auch egal.β, sagte Narzissa mit verstellt fester Stimme. Sie kam nicht umhin, bei dieser Lüge die Finger fester um die Rolle Pergament zu schließen. Sie begann, in ihren Händen zu zerknittern.
β Was hast du denn da?β, fragte Lucius und versuchte, das Pergament zu greifen. β Ein Liebesbrief an Professor Flitwick?β
β Halt doch den Mund, Malfoy!β Wieder an das schreckliche rote T erinnert, begannen Narzissas Augen erneut, sich mit Tränen zu füllen.
β Gib doch mal her! Ich will's mir nur kurz ansehen.β Je fester Narzissa die Pergamentrolle griff, umso angestrengter versuchte Lucius, sie ihr zu entreißen. Sie drohte, in der Mitte auseinanderzureißen und schließlich gab Narzissa voller Angst nach.
β Bitte sag's keinem.β, flehte sie mit ungewollt zittriger Stimme, als Lucius blasse Augen über den Aufsatz wanderten.
β Du hast ein T?β, lachte Lucius. β Du? Ich hätte besseres erwartet von dir, Black. Ich habe ein O auf diesen Aufsatz bekommen. Es war ja auch wirklich kein schweres Thema.β
β Ich weiß!β, krächzte Narzissa. β Ich meine, ich weiß auch nicht, was mit mir los war, ist jetzt auch gut, bitte gib mir den Aufsatz wieder.β
β Das muss ich mir aber noch gut überlegen. Ich frage mich, was Bellatrix dazu sagt, dass ihre sonst so kluge kleine Schwester plötzlich Noten wie Squib schreibt!β Gemein lächelnd rollte Lucius das Pergament zusammen und ließ es in die tiefen Taschen seines Umhangs sinken.
β Hör auf!β, bat ihn Narzissa verzweifelt. β Bitte, du hast keine Ahnung, wie gemein Bella sein kann! Ich werde es ihr selbst sagen, aber bitte verrate du es ihr nicht!β
Mit einem Mal kam Lucius ein Gedanke. Sein blasses Gesicht schien aufzuleuchten und die kleinen Augen weiteten sich, als er sagte: β Nun, ich hätte da eine Idee, bei der weder ich noch du es ihr verraten müssen.β
β Was meinst du? Es ihr verheimlichen? Das geht nicht. Bella weiß, dass ich einen Aufsatz zu schreiben hatte und sowieso. Man kann ihr nichts verheimlichen.β
β Nein, nein.β Lucius lächelte schief. β Zufälligerweise kenne ich da einen nicht allzu schlechten Zauber, der aus diesem T ein E macht, und das schneller, als du Quidditch sagen kannst.β
β Wirklich?β Völlig entgeistert schaute sie Lucius an. Jetzt wurde ihr auch klar, wie er es schaffte, ständig die besten Noten zu schreiben, ohne je etwas zu lernen. β Das ist Betrug, Malfoy! Und du selbst bist auch ein dreckiger Betrüger!β
β Na, na, na!β Lucius wedelte mit der Pergamentrolle. β Ich habe Bellatrix schneller davon erzählt, als es dir lieb ist, überleg dir also, was du sagst!β
Stille trat ein. Ein dicker Hufflepuff drängelte sich an Lucius vorbei auf die Treppe und schubste ihn somit näher an Narzissa heran. So nah, dass seine Lippen dicht genug an ihrem Ohr waren, um dass er ihr zuflüstern konnte: β Hör zu, Narzissa. Du sagst keinem was, ich sag keinem was. Ich verhelfe dir zu einer besseren Note und als Gegenleistung für dich lasse ich mir noch etwas einfallen. So schocken wir zwei Wichtel mit einem Zauber. Was sagst du dazu?β
Narzissa überlegte nicht allzu lange. Dass der Zauber, der schlechte Noten in Gute verwandelte, wirksam war, sah man ja an Lucius. Und sich auf einen Handel mit selbigen einzulassen, schien ihr weitaus angenehmer als sich dem Zorn ihrer großen Schwester zu stellen.
β Was für eine Art Gegenleistung wird das sein, Malfoy?β, knurrte sie.
β Na ja.β, sagte Lucius und trat einen Schritt zurück, um ihr wieder richtig ins Gesicht sehen zu können. β Ich dachte da an so etwas wie eine Verabredung.β
β Eine Verabredung?β Allzu schrill klang dieser verwundete Ausruf. Aber was hätte sie auch anderes erwarten sollen. β Du und ich also?β
β Du und ich.β Dieser Gedanke schien Lucius so zu gefallen, dass sich ein ungewohnt breites Lächeln auf sein Gesicht legte. Es wirkte nahezu entstellend.
β Lucius, wir sind dreizehn. Dreizehnjährige haben sich nicht miteinander zu verabreden. Und vor allem habe ich keine Lust, dich mit dir zu treffen.β
β Wie du willst.β Lucius lächelte noch immer, aber er drehte sich um und ging schnellen Schrittes auf den Eingang zur großen Halle zu.
β Halt!β, rief Narzissa und eilte ihm hinterher. β Schon gut, ich mach's. Wann und wo?β
β Am Freitag, bei Madam Puddifoot's?β, schlug Lucius mit strahlenden Augen vor.
β Du hast sie ja nicht mehr alle! Bestimmt gehen wir nicht in dieses widerliche Knutsch-Café! Lass uns in Die Drei Besen. Bitte, Malfoy.β
β In Ordnung.β Er hielt Narzissa die langfingrige Hand zur Besiegelung der Abmachung hin, doch sie drehte sich um und lief in die große Halle. Ehe sie ganz hinter der schweren Tür verschwinden konnte, rief ihr Lucius, mit überraschend sanfter Stimme hinterher: β Black! Mach dir keine Sorgen wegen der Noten. Ich hab gehört, Professor Dumbledore will sie in dieser Form abschaffen und fortan nur noch bei den ZAG-Prüfungen im fünften Schuljahr vergeben. Dann wäre das so ziemlich das einzig Gute, was dieser Hohlkopf für uns getan hätte, oder?β
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