von mia.winchester
In den darauffolgenden Tagen wagte es niemand, Rabastan auf den Vorfall im Zaubertränkeraum anzusprechen. Natürlich hatte es sich rasch im Schloss herumgesprochen und ein jeder wusste, was sich unten in den Kerkern zugetragen hatte, aber Rabastans stetig wütendes Gesicht war jedem, der ihn nach dem Duell hätte fragen wollen, eine Warnung. Jedoch hielt es Bellatrix, die nicht weniger wütend war als Rabastan selbst, an einem Sonntagmorgen nicht länger aus. Rodolphus und sie hatten zusammen am blassgrünen Feuer im Slytherin-Gemeinschaftsraum gesessen, als Rabastan hineingerauscht kam. Sofort waren dutzende Augenpaare auf ihn gerichtet, aber keiner der im Raum versammelten Slytherins traute es sich, ihn länger als einen kurzen Augenblick anzusehen. Rabastan senkte den Kopf und wollte direkt zu den Schlafsälen durchgehen, als Bellatrix aufstand und ihm entgegenlief. Selbstverständlich fühlte sie sich ebenfalls bloßgestellt, da Rabastan nicht nur zu ihren engsten Freunden, sondern auch zu der Gruppe auserwählter, begabter Zauberer gehörte, die sich dem Dunklen Lord angeschlossen hatten. Gerade Leute wie Ted Tonks waren es, welche der Dunkle Lord und seine Anhänger verachteten, und sich von solchen Leuten unterwerfen zu lassen war mehr als gegen die ungeschriebenen Regeln dieser Gemeinschaft.
„Hör zu.“, sagte Bellatrix und hielt Rabastan an der Schulter fest. „Ich kann nicht mehr mitansehen, wie du mit gesenktem Kopf durch die Flure wandest.“
Rabastan hob den Blick und starrte Bellatrix in die tiefdunklen Augen, aber nichts in seinem blassen Gesicht rührte sich.
„Bella hat Recht.“, rief Rodolphus vom Sofa. „Du bist mein kleiner Bruder und ich trage Verantwortung für dich. Ich lasse nicht zu, dass es dir schlecht geht.“
Leider klangen diese Worte eher wie eine lange auswendig gelernte Leier als eine wirklich von Herzen kommende Ermutigung eines fürsorglichen großen Bruders. Zwar war Rodolphus wirklich besorgt um seinen jüngeren Bruder, allerdings gehörte er auch zum Schlag der Leute, die sich zum eigenen Wohl auch vom eigen Fleisch und Blut abspalten würden. Ihm war nicht zu verkennen, dass er sich für Rabastan schämte.
Rabastan presste die Lippen aufeinander und wollte sich schon wieder umdrehen, als Bellatrix ihn fester an der Schulter griff und an sich zog. Ihre Lippen berührten sein Ohr, als sie ihm zuflüsterte:
„Heute Abend ist Vollmond.“
Es lief Rabastan eiskalt den Rücken herunter und er wusste nicht, ob es Bellatrix' warmer Atem oder der Gedanke an das, was ihm heute Nacht bevorstand, war.
„Wir finden einen Weg, es diesem Schlammblut heimzuzahlen, das verspreche ich dir.“, hauchte sie. Schließlich ließ sie von ihm ab und lächelte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
Rabastan nickte, schaute Bellatrix eine Weile in das vor Aufregung errötete Gesicht und ging schließlich in den Schlafsaal, um noch ein wenig zu ruhen, ehe er und einige wenige seiner Freunde am Abend in den verbotenen Wald aufbrechen würden.
Es war seltsam, zu beobachten, wie sich Bellatrix, Rodolphus und die anderen Dazugehörigen in Angesicht des bevorstehenden Treffens verhielten. Rodolphus lächelte untentwegt und auch Rabastan schien sich nach tagelangem Trübsalblasen endlich ein wenig besser zu fühlen. Und Bellatrix schien wie auf Wolken zu laufen, fasste alles vorsichtiger und nahezu zittrig an und ihr wässriger, verträumter Blick schwand immer wieder ins Leere. Andromeda konnte ihr ansehen, dass sie vor ihrem inneren Auge das kalte, schlangenartige Gesicht ihres großen Helden Lord Voldemort sah.
Andromeda selbst hatte bereits einem dieser Treffen bei Vollmond beigewohnt, aber obgleich sich die Worte des geheimnisvollen Dunklen Lords zum Teil mit den Lebensvorstellungen ihrer Familie deckten, war es ihr alles eher furchteinflößend als faszinierend vorgekommen. Die vermummten Gestalten, die am Waldboden kauerten und dem Schlangemann zuhörten, als spreche er aus einer anderen Welt zu ihnen- dies war eine Szene, die Andromeda Gänsehaut bereitete, sobald sie auch nur daran dachte. Deswegen fiel es ihr nicht schwer, zu verneinen, als Bellatrix sie bei den Hausaufgaben in der großen Halle fragte, ob sie am Abend mitkommen würde.
„Ich bleibe lieber hier, bei Narzissa. Und sowieso.“, sagte sie.
„Narzissa kann doch auch mit.“, meinte Kenneth Dougal, ein Ravenclaw im sechsten Jahr, der schon lange mit den Lestrange-Brüdern befreundet war.
„Wohl kaum.“, zischte Andromeda. „Sie ist noch zu jung für diesen Kram.“
„Dieser Malfoy kommt doch aber auch mit.“, entgegnete Alison. „Oder etwa nicht?“
„Doch, doch, tut er.“, pflichtete ihr Rodolphus bei.
„Das ist ja auch was ganz anderes.“, sagte Andromeda. „Ihr habt den Jungen ja ganz kirre gemacht mit eurem Gerede von...“ Sie hielt inne- „Lord Voldemort.“
Bellatrix'Augen weiteten sich beim Klang dieses Namens und Rodolphus' Finger schlossen sich so eng um seinen Federkiel, dass die Knöchel weiß wurden. Die unverhohlene Aufregung stand ihnen ins Gesicht geschrieben und wieder einmal kam Andromeda die ganze Sache mehr als unheimlich vor.
„Selbst wenn“, sagte Rodolphus. „Narzissa kann sehr wohl alleine im Schloss bleiben.“
„Und wir brauchen jeden.“, fügte Kenneth hinzu.
Alison hatte gebannt zugehört und blickte nun hoffungsvoll zu Rodolphus.
„Jeden“, sagte dieser mit einem abwertenden Lächeln, „der es wert ist.“
Alisons Miene verdunkelte sich und sie blickte beschämt zu Boden.
„Bitte, Andromeda, du bist meine Schwester. Unser Blut in diesen Reihen, das ist perfekt! Wir können die Welt verändern.“ Bellatrix' fanatischer Blick ging geradewegs durch Andromeda hindurch.
Es war das erste Mal, dass Andromeda spürte, wie sich ihre große Schwester ihr inzwischen entfremdet hatte. Ganz früher, als sie nichts weiter als die kleinen Black- Töchter waren, die ihre Zeit in der gehobenen Zauberergesellschaft mit Spielen und ganz gewöhnlichem, kindischen Spaß verbracht hatten, hätte man keinen Keil zwischen den zwei Älteren treiben können. Mit ihren dunklen, langen Haaren und den großen Augen sahen sie fast wie Zwillinge aus, und tatsächlich hatten sie sich auch stets als diese ausgegeben, wenn sie auf Fremde trafen. Bellatrix war schon immer weitaus extrovertierter und forscher gewesen als Andromeda, aber der Bund zwischen ihnen war fest verankert gewesen, wie die Verbindung eines unbrechbaren Schwurs.
Inzwischen aber schien Bellatrix sich langsam in der Rolle der Geheimnishüterin und machtvollen Hexe, Meisterin immer dunkler werdender Künste, zu gefallen, und ihre stetig radikaler werdenden Ansichten drifteten weiter und weiter von ihrer ehemals einzigen Überzeugung, nämlich die Ehre und das Blut der Familie Black und der allgemeinen Zaubererschaft rein zu halten, in Richtung gewaltsamen Bluts-Rassismus ab. Die Tatsache, dass sie sich den meisten Hexen und Zauberern überlegen fühlte und ihre unverhohlene Arroganz erschraken Andromeda, die zwar Bellatrix' Charakter mit all ihren Eigenarten liebte und akzeptierte, die faschistisch anheimelnden Ideale ihrer großen Schwester allerdings furchtbar erschreckend fand.
Traurig über diese plötzliche Erkenntnis, nickte Andromeda schließlich.
„Gut, ich komme mit.“, sagte sie leise. War dies die einzige Möglichkeit, Zeit mit ihrer Schwester zu verbringen, so wollte sie diese auch wahrnehmen. Und außerdem könnte sie diesem Dunklen Lord ruhig noch eine Chance geben.
Egal wie, irgendetwas musste er ja wohl an sich haben, weswegen so viele ihrer Freunde und Bekannten zu seinen Anhängern wurden. Es war eine große Sache, die da mit ihm ins Rollen kam, das wusste Andromeda. Und noch hatte sie die Wahl, sich zu entscheiden, ob sie sich zu solchen Menschen zählte, wie ihre eigene Familie, oder ob sie außen vor bleiben wollte, wie die Anderen, die von ihrer Familie ignoriert bis geächtet wurden.
„Sehr schön.“, sagte Rodolphus.
„Das will ich hören.“, meinte Kenneth.
Bellatrix schaute ihre kleine Schwester nur mit einem schmalen Lächeln an. Es war das selbe Lächeln, das sie früher im Gesicht gehabt hatte, als sie mit Andromeda in den Gärten der Rosiers gespielt hatten und hatte nichts von dem Irrsinn, der ihr in letzter Zeit so oft im Gesicht stand. Es war ein durch und durch zufriedenes Lächeln. Sie hatte ihren Willen bekommen.
Die Dunkelheit brach nur langsam über das Schloss hinein. Zwischen den Freunden herrschte eine dauernd steigende Anspannung, die sich bei Sonnenuntergang auf ihrem Höhepunkt befand. Gebannt saßen sie am Ziehbrunnen vorm Schloss und blickten in den abendlichen Himmel. Es war eiskalt, doch die Sonne ging beinahe sommerlich unter. In einem rotorangefarbenen Wirbel versank sie am graublauen Himmel und hinterließ rosa Schwäden zwischen den Wolken, die Narzissa an den Geschmack von Bubbles Bestem Blasenkaugummi erinnerten.
Sie saß am Fenster eines engen Flures, der kaum benutzt wurde. Hierhin, auf die Nische der Fensterbank, kauerte sie sich oft, wenn sie alleine sein wollte. Sie schaute hinab und ihre Schwestern und deren Freunde, die dort am Ziehbrunnen standen und wusste genau, wohin sie gehen würden. Es war eine spannende Sache, ohne Frage, aber Narzissa machte sich nicht allzu viele Gedanken darüber. Es war eines dieser Dinge, die nur die Älteren anzugehen schienen. Mit Ausnahme von Lucius Malfoy natürlich.
Andere Kinder wären vielleicht neidisch gewesen, wenn ihre Geschwister in irgendeinem Geheimbund waren, aber Narzissa war im Grunde ganz froh, dass sie in dieser Eiseskälte nicht in den Verbotenen Wald stapfen musste und sowieso galt ihr Interesse eher anderen Dingen, wie zum Beispiel dem Zeichnen. Auch jetzt hatte sie ein dickes Pergament auf dem Schoß legen, einen Kohlestift schräg darauf gehalten und wartete auf eine Idee, die sie in Form einer Zeichnung zu Papier bringen konnte. Im Haus ihrer Familie hingen so manche ihrer Kunstwerke, doch nicht immer nahm man ihre Lieblingsbeschäftigung mit Freude auf. Vor allem ihr Vater appellierte stets an sie, doch eher zu Lernen, statt ständig „herumzukritzeln“. Dass sie solche Worte verletzen, gab sie nie zu.
Es wurde dunkler und dunkler, doch zugleich stieg der weiße Vollmond am Himmel auf. Die Fackeln an den Steinwänden entfachten sich von selbst und Narzissa konnte ihre Schwestern nur noch im blassen Mondlicht draußen stehen sehen.
„Was machst du so alleine in diesem Flur, Black?“, näselte eine unverkennbare Stimme weiter hinten im Flur. Schritte näherten sich, Narzissa wand den Kopf und sah ihn: Wer dort ins Licht trat, war, sie hatte es nicht anders erwartet, Malfoy.
Es schien ihr beinahe, als verfolge er sie.
„Ich könnte dich das selbe fragen, Malfoy.“ Sie sprach seinen Namen mit Absicht wie ein Schimpfwort aus.
„Das weißt du doch. Ich bin auf dem Weg in den Verbotenen Wald.“ Er machte ein wichtigtuerisches Gesicht.
„Ich nicht.“, keifte sie und legte die Arme auf das Pergament in ihrem Schoß.
Zu spät, Malfoy hatte es bemerkt.
„Du malst?“, fragte er mit hoher Stimme. „Lass mal sehen.“
„Ich habe noch nicht angefangen mit dem Bild. Ich weiß nicht, was ich zeichnen soll.“
„Wie wär's mit mir?“ Malfoy lachte. „Das wäre doch ein schönes Motiv.“
„Ganz bestimmt.“, entgegnete Narzissa mit einem für ihr Alter ungewöhnlichem Sarkasmus in der Stimme.
„Ich weiß auch schon, wo du es hinhängen kannst, wenn es fertig ist. Über dein Bett. Dann kannst du mich jeden Abend vorm Schlafen und jeden Morgen nach dem Aufwachen betrachten.“
Er lächelte sie so direkt mit seinem schiefen Lächeln an, dass sich Narzissa der Magen zusammenzog, und sie wusste nicht recht, wieso genau.
„Halt doch die Klappe, du dummer Sack!“, fluchte sie. Mit einem Mal war sie unfassbar wütend auf ihn. Das Lächeln auf Lucius' Milchgesicht erstarb und er setzte seinen Weg fort, ohne Narzissa eines weiteren Blickes zu würdigen.
„Ich hab noch was gut bei dir!“, rief er, ehe er durch die Tür zu den Treppen gelang.
Einige Augenblicke später konnte Narzissa ihn ins Mondlicht treten sehen. Die Anderen, allesamt in schwarze Umhänge gehüllt, begrüßten ihn ohne jegliche Herzlichkeit und setzten sich schließlich in Bewegung, Richtung Verbotener Wald. Lucius' Blondschopf, der als Einziger nicht unter einer Kapuze verborgen war, leuchtete fast so hell wie der Mond selbst. Einmal, kurz bevor sie vollends in der Nacht verschwanden, drehte er sich um und sah hoch zu dem Fenster, an dem Narzissa saß, doch sie hatte sich bereits ihrer Zeichnung zugewandt. Es wurde das Bild eines unglaublich grässlichen, wütend aussehenden Drachen.
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