von mia.winchester
Ein Raunen ging durch die Runde. Malfoy trat an seinen ursprünglichen Platz zurück. Er konnte den Blick nicht von Lord Voldemort wenden. Seine Hand, die soeben noch in der kalten Kralle des wohl furchteinflößendsten Zauberers gelegen hatte, den er je gesehen hatte, schien in Flammen zu stehen. Er schüttelte sie unter den langen Ärmeln seiner Kutte, doch das Gefühl in ihr verschwand nicht. Ein Todesser. Das war er jetzt. Er trug ab heute diesen Titel, diesen geheimen Namen, der ihm zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Zwar trug er seinen Kopf stets hoch erhoben, gab nichts auf die Meinungen und Gefühle der Anderen und ließ keinen Tag vergehen, an denen er nicht mindestens einen seiner Mitschüler mit seinen gehässigen Kommentaren wirklich verletzt hatte, aber innerlich hatte er sich nie danach gefühlt, als hätte er auch das Recht dazu, so zu sein. Aber jetzt, binnen weniger Minuten, schien alles anders geworden zu sein.
„Wie einige von euch vielleicht bemerkt haben, fehlt jemand in unserer Runde.“
Die Köpfe drehten sich, erneut ging ein Raunen durch die Gruppe.
„Chamelia Lazarus.“, erklärte Voldemort. „Das liegt daran, dass sie tot ist.“
Bellatrix sog scharf die Luft ein, aber wirklich leid tat es ihr um die alte Hexe nicht.
„Schlimme Sache.“, sagte Voldemort, aber man hörte ihm an, dass er es nicht so meinte. „Sieht so aus, als hätte die Gute ganz gerne einmal einen über den Durst getrunken und dabei Dinge erzählt, die niemanden etwas angingen. Ihr großes Maul wurde ihr, so scheint es, zum Verhängnis.“
Bellatrix schluckte schwer. Schuldbewusst blickte sie um sich.
Sie war nicht die Einzige gewesen, die eine derartige Unterhaltung wie die damals im Drei Besen mit Chamelia gehabt hatte? Enttäuscht und wütend biss sie sich auf die Lippe. Sie hatte sich für etwas Besonders gehalten, hatte sich dem Dunklen Lord durch dieses Wissen so nah gefühlt, doch sie hatte falsch gelegen.
„Deshalb möchte ich es euch jetzt und hier verkünden, ein für alle Mal. Wir haben uns alle oft genug getroffen, um ein nötiges Band des Vertrauens zwischen uns zu weben, nehme ich doch an. Stimmt mir jemand in dieser Sache nicht zu, steht es ihm frei, zu gehen.“
Niemand regte sich, als Voldemort prüfend in die Runde sah. Alle Augenpaare waren auf den moosigen Boden gerichtet, niemand schien auch nur zu Atmen zu wagen.
„Chamelia Lazarus war ohne Frage eine meiner engsten Vertrauten aber es schien, als würde sie dieses Vertrauen ausnutzen. Sie machte sich einen Spaß daraus, Menschen Geschichten über mich und meine Vergangenheit zu erzählen, die niemanden außer mich selbst etwas angehen.“
Bellatrix spürte ein Ziehen in der Magengegend. Sie fühlte sich schuldig und hatte Angst, würde der Dunkle Lord von erfahren, dass auch sie jene Geschichten über ihn von Chamelia wusste, sie würde von den Todessern ausgeschlossen werden.
„Aber gut.“, sagte Voldemort laut. „Ich habe beschlossen, die Gerüchte, die sich um meine Person ranken zumindest für euch ein wenig zu lüften. Es ist wahr, was Chamelia erzählt hat. Seht mich nicht so an, ich wette, sie hat kaum einen von euch nicht mit ihren Erzählungen belästigt.“
Bellatrix entspannte sich wieder, auch, wenn es sie sich umso mehr ärgerte, dass sie nicht die Einzige war, die solch vertrauliche Dinge über den Dunklen Lord erfahren hatte.
„Ich bin der Erbe Slytherins.“, verkündete Voldemort.
Stille trat ein, die in der Dunkelheit schimmernden Augenpaare der Todesser lagen unbewegt auf dem Antlitz ihres Anführers.
„Ich habe in seinem Namen das Monster aus der Kammer des Schreckens entfesselt, und es ist immer noch im Schloss. Ich verspreche euch, zu gegebener Zeit werde ich seine Kräfte erneut in Anspruch nehmen, um das Schloss ein für alle Mal zu säubern vom Schmutz der ungewollten Muggelstämmigen.“
Andromeda spürte, wie das Herz ihr bis in den Hals schlug. Der Erbe Slytherins, das klang nach einem so machtvollen Titel, dass sie es regelrecht mit der Angst zu tun bekam. Eine ehrfürchtige, faszinierte Art von Angst, dennoch nicht minder stark als nackte, kalte Furcht. Und der Gedanke daran, dass sich im Schloss, irgendwo weit unter der Erde, ein Monster befand, dass nur Lord Voldemort kontrollieren konnte, gab ihr ein seltsam unwohles Gefühl. Dennoch lauschte sie ihm gebannt, als er fortfuhr:
„Ich weiß nicht, ob ihr mich unterschätzt, aber ich bin durchaus in der Lage, Dinge zu tun, von denen Schaumänner wie der verkommene Schuldirektor Hogwarts' nur träumen können.“
Vielleicht hatte Andromeda es sich nur eingebildet, aber es schien, als wäre Voldemorts' Stimme bei seiner Umschreibung Dumbeldores' leicht zittrig geworden.
„Mehr, denke ich, muss ich nicht erzählen. Tatsache ist, dass sich prüfen wird, wer von euch loyal ist, und wer nicht. Wenn die Zeit gekommen ist, meine Freunde, dann wird sich alles, was ihr bisher gewusst habt, in Frage stellen. Und wer mich als seine Antwort auf all diese Fragen anerkennt, der wird mit mir eine Macht entfesseln, von der niemand von euch bisher zu träumen gewagt hat.“
Bellatrix spürte ihre Beine nicht mehr. Unbewegt stand sie dort, dem wohl furchteinflößendsten Menschen, dem sie je begegnet war, so nahe- und ihr Herz schlug ihr bei seinen Worten bis in den Hals. Nicht aus Angst, sondern, man konnte es nicht anders ausdrücken, aus wilder, kindischer Begeisterung und Faszination einer an jugendliche Schwärmereien erinnernder Heftigkeit, die ihren ganzen Körper in Besizt nahm.
Sie wollte loyal sein, loyal bleiben, wollte die Macht entfesseln und das Unmögliche wahr werden sehen. Sie wollte es bewerkstelligen. An der Seite dieses Mannes, was immer auch komme. In diesem Moment auf der Lichtung wurde sie sich ein für alle Mal bewusst, dass dies alles war, was sie in ihrem Leben wollte. Dazugehören, zum Dunklen Lord, zu dieser Gemeinschaft, zu jenen, die früher oder später Großes vollbringen würden.
Niemand sagte etwas. Voldemorts Miene entspannte sich kaum merklich und nun blickte er Rabastan an.
„Mein lieber Rabastan.“, sagte er und schritt auf ihn zu.
Andromedas Magen verkrampfte sich. Hoffentlich würde er den Jungen nicht vor allen Anderen bloßstellen. Auch Rodolphus trat einen kleinen Schritt näher an seinen Bruder. Schützend, aber nicht besitzergreifend genug, um diesen Schutz wirklich bieten zu können.
„Ich habe gehört, was sich im Schloss zugetragen hat zwischen dir und dem Schlammblut.“
Rabastan's Haltung zeugte von solcher Demut, dass es kaum auszuhalten war, ihn anzusehen. Wie die Beute eines gefährlichen Raubtieres stand er mit gesenktem Kopf vor Lord Voldemort, bereit, dass sich dessen Krallen in sein Genick gruben und es ihm ohne Mühe brachen.
„Herr, ich-“, begann Bellatrix, da sie merkte, dass Rodolphus viel zu viel Angst hatte, dem Dunklen Lord zu missfallen, als dass er sich für seinen kleinen Bruder einsetzen würde, doch Voldemort brachte sie mit einer schnellen Geste zum schweigen.
„So sehr mich die Ironie dieses Geschehnisses beleidigt, werde ich wohl nichts machen können. Aber an deiner Stelle würde ich mich schämen. Schämen, dass es überhaupt geschehen konnte und dann umso mehr schämen, dass du es wagst, heute Abend hierherzukommen. Ich könnte sagen, dass es nicht so schlimm war, aber die Umstände dieses Geschehnisses sind einfach unfassbar entehrend.“
Wäre er nicht so wütend auf sich gewesen, zu wütend, um auch nur eine andere Emotion als eben jene heiße, zerstörerische Wut zu fühlen, wäre Rabastan bei diesen Worten ganz sicher in Tränen ausgebrochen. Doch er schwieg, presste die Lippen aufeinander und wartete darauf, dass der Dunkle Lord ihn aus seinen Kreisen ausschloss, vielleicht Rodolphus ebenso, und dass Rabastan schließlich zum geächteten Bruder der Lestrange-Familie wurde und Schuld daran war, dass sie aus dem gehobenen Kreise der schwarzen Magier absteigen und fortan unerkannt im Untergrund leben würden. Die Ehre seinerselbst, seiner Familie und der der Todesser so zu verletzen war ein undenkbares Vergehen und nie hatte Rabastan sich so elend gefühlt. Doch dann wurde Lord Voldemorts Stimme sanfter. Er streckte die Totenhände aus und legte einen seiner langen, blassen Finger unter Rabastans gesenktes Kinn, um sein Gesicht ansehen zu können.
„Dennoch rechne ich es dir hoch an, dass du es wagst, heute Nacht hier zu erscheinen. Ein bisschen stolz bin ich also trotz allem auf dich. Du bist unfassbar dreist, aber auch mutig. Ich gebe dir ein Versprechen. Deine Ehre wird wieder hergestellt werden.“
Jetzt geschah es. Rabastans Augen füllten sich mit Tränen. Er konnte nichts dagegen tun. Dies zu beobachten war so ungewohnt, so unangenehm und beengend für Andromeda, dass sie sich strecken und winden musste, als könne sie das einspannende Gefühl um ihre Schultern loswerden.
„Na, na, na.“, sagte Voldemort beinahe zärtlich, als er die silbrigen Tränen auf Rabastans Wange hinabfließen sah. „So weine doch nicht.“
Für Andromeda war es schon immer eines der seltsamsten, beklemmendsten Dinge der Welt gewesen, einen Jungen weinen zu sehen, und in diesem Moment hatte sie das Gefühl, als lägen ihr tausende Steine im Magen. Sie wollte Rabastan trösten, doch zugleich widerte sie die Demut in seinem Gesicht an. Da stand er heulend vor diesem schrecklichen Mann und es fehlte nur, dass er diesem noch die nackten Füße küsste. Und am schlimmsten war es, dass in seinem Gesicht nun genau die selbe Demut stand, die Andromeda im Gesicht ihrer älteren Schwester sehen konnte, wann immer diese den Dunklen Lord ansah. Merkten es die Anderen nicht? Wie falsch es war, sich dieser zwielichten Gestalt, so mächtig sie auch sein musste, wie Tiere zu unterwerfen? Und warum schaffte sie es ebenfalls nicht, aufrecht zu bleiben, wenn Voldemorts vernichtender Blick auf ihr lag? War es seine Macht, welche Jene um ihn so einschüchterte, oder bestand seine Macht einzig und allein darin, seine Umwelt einzuschüchtern?
Voldemort ließ von Rabastan ab und wand sich wieder an die Gruppe.
„Ich freue mich, zu verkünden, dass wir, hat es auch nicht die Ausmaße angenommen, die ich mir erhofft hatte, einen kleinen Streich mit den Muggelbeauftragten des Ministeriums erfolgreich vollbracht haben. Ihr habt es sicher mitbekommen, nicht zuletzt, weil die Diskussion über diese Umstände letztendlich Auslöser für Lestranges' Auseinandersetzung mit dem Zaubererabschaum war.“
Andromeda hätte es wissen müssen. Natürlich hatten sie dahintergesteckt. Oder wohl eher wir. Denn solange sie hierbeistand, gehörte sie genau so zu den Todessern wie ihre Schwester, deren Freunde und der kleine Lucius Malfoy, der so gar nicht in die Runde zu passen schien und dennoch mit der größten Faszination den Worten des Dunklen Lords lauschte.
Kaum vernehmbar hörte man ein leises Wimmern.
„Was ist, Hubbey?“
Joce Hubbey war ein dicker Mann, dem mit seinen vielleicht gerade fünfundzwanzig Jahren bereits die Haare ausgegangen waren. Er war bis jetzt bei jedem der Todesser-Treffen dabei gewesen und arbeitete, soweit Bellatrix es wusste, als Hilfskraft bei Borgin&Burkes in der Nokturngasse.
„Oh.“ Ein hässliches Grinsen zuckte um die Lippen Voldemorts'. „Ich vergaß. Deine Ehefrau war eine von ihnen.“
Hubbey schien nicht gewusst zu haben, dass hinter dem Angriff auf die Muggelbeauftragten Leute aus eigenen Reihen steckten.
„Ich finde es höchst bedauerlich, dass auch ich erst bei meiner Begegnung mit ihr erfahren habe, dass sie zu dir gehört. Du hast es wohl nicht für nötig gehalten, zu erwähnen, dass sich dein Eheweib für Schlammblüter einsetzt.“
Es war wie in Kindertagen, wenn sich ein Duell oder, umso besser, eine primitive Schlägerei zugetragen hatte. Alle standen im Kreis um die Kämpfenden und niemand wagte es, einzuschreiten, da es kaum etwas interessanteres gab, als zu beobachten, wie sich die Kräfte zweier Menschen miteinander maßen. Nur in diesem Falle war es klar, dass Hubbey nichts sagen, sich nicht wehren würde. Alle waren schockiert über das, was gerade ans Tageslicht kam, und in nur einem Augenblick war aus einem Freund und Verbündeten ein Feind und Verräter geworden.
„Ich bin zutiefst enttäuscht von dir. Wieso bist du überhaupt noch hier?“
Hubbey sagte nichts.
„Wieso bist du überhaupt je in meiner Nähe gewesen? Was führt dich zur Annahme, als Versorger einer Muggelliebhaberin, auch nur im Ansatz bei mir, bei uns, erwünscht zu sein?“
Hubbey, der nun ebenfalls in Tränen ausgebrochen war, aber, anders als Rabastan nicht leise weinte, sondern laut und hysterisch heulte, drehte sich um und wollte gehen. Doch Voldemort packte ihn fest an den Schultern und zog ihn zurück. Nagini zischte laut auf.
„Du bleibst hier.“, sagte Voldemort mit fester, kalter Stimme. „Bis das hier beendet ist, bleibst du hier. Ich möchte dich gebührend verabschieden.“
Hubbey nickte und legte die Hand auf seinen Mund, um seine Schluchzer zu dämpfen.
Eine Weile standen alle nur da und sahen ihn an.
Dann fuhr Voldemort mit gänzlich veränderter Miene fort, erzählte von einem weiteren geplanten Überfall auf einen ganz bestimmten Zauberer namens Kalleygh, welcher ein Magazin in Druck gegeben hatte, das unterschwellig von der ersten bis zur letzten Seite die vermeintlichen Vorteile von Bündnissen zwischen Magiern und Nicht-Magiern aufzählte. So etwas, so sagte Voldemort es, dürfte erst gar nicht verbreitet werden, und müsse im Keim der abstrusen Idee erstickt werden.
Zu guter Letzt bedankte er sich bei Allen für ihr Erscheinen.
„Auf Wiedersehen, Freunde.“, sagte er feierlich. Er sah jedem ins Gesicht und es schien, als bliebe sein Blick besonders lang an Bellatrix hängen. Sie spürte, wie sie errötete und da war es wieder, dieses leichte Zucken um Voldemorts Lippen, die ein Lächeln, dass er nicht fähig war, zu zeigen. Bellatrix' Magen verkrampfte sich schmerzlich, aber sie war erfüllt von purem, kribblig machenden Glück. Alle begannen, langsam zu gehen, nur Hubbey blieb stehen. Er schaute Voldemort an und in seinen Augen lag eine plötzliche Entschlossenheit. Er sah tapfer aus. Andromeda erhaschte einen Blick von ihm, ehe sie Bellatrix auf den Weg zum Schloss zurück folgte und er nickte ihr aufmunternd zu. Er lächelte. Andromeda spürte, wie sich eine Gänsehaut über ihren Körper legte. Sie wusste, dass sie die Letzte der Todesser war, die Hubbey lebend gesehen hatte.
Sobald alle außer Sichtweite waren, trat Voldemort auf Hubbey zu.
Nagini wand sich um seine Beine und zischelte aufgeregt. Er flüsterte ihr etwas in Parsel zu und sie schien sich zu entspannen. Auch ihr Blick lag nun auf Hubbey.
„Mein Herr, so-“, begann Hubbey, doch Voldemort's Worte durschnitten seinen Bittversuch. Es waren die letzten Worte, die Joce Hubbey in seinem Leben hörte:
„Lass es dir schmecken, Nagini.“
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