von mia.winchester
Am Nachmittag durften die Schüler von Hogwarts einen Ausflug in das kleine Dorf Hogsmeade machen, wo sich die meisten aufgrund des frostigen Wetters sofort in die Drei Besen zurückzogen, um dort genussvoll ein warmes Butterbier zu schlürfen. Auch Andromeda und einige ihrer Freundinnen hatten es sich dort mit ein paar Ravenclaws gemütlich gemacht und tratschten und lachten, wie es sich wohl für sechszehnjähirge Mädchen gehörte. Narzissa hatte eine Weile bei ihnen gesessen, aber die Unterhaltungen über Jade McMillans schreckliche Frisur oder die sich anbahnende Romanze zwischen Kelly Grundler und Miroslav Tjenko waren ihr rasch langweilig geworden. Sie konnte ohnehin nicht mitreden und war schließlich aufgestanden, um sich im Honigtopf einen der endlos währenden Karamellbonbons zu kaufen, die sie schon als kleines Kind von Bellatrix aus Hogsmeade hatte geschickt bekommen.
Der kalte Wind peitschte ihr ins Gesicht, als sie aus der wohlig warmen Gaststube trat und sie beeilte sich, die Straße zu überqueren, um in den Honigtopf zu gelangen.
Nirgends auf der Welt konnte man sich wohler fühlen als in einem bis zur Decke mit Süßigkeiten gefüllten Raum. Im Honigtopf war es so bunt und farbenfroh, dass einem fast die Augen übergingen, aber noch viel eindrücklicher und berückender war der Duft, der hier in der kaminwarmem Luft lag.
Es roch nach gebrannten Mandeln, Erdnüssen, glasierten Äpfeln, Zuckerwatte, Mais in Buttercreme, Karamell und Schokolade, nach Nougattalern und Erdbeersahne, nach Käsekuchen und Kirschlollis, nach Kakao und süßer, heißer Milch, Kaugummi und Minzeiskrem, Marshmellows, Baisern und selbst eine blumige Note von der kleinen Bar mit dem süßen Tee konnte man vernehmen. Narzissa versuchte, die Gerüche alle auf einmal einzuatmen, und unwillkürlich musste sie lächeln.
Doch als sie die Augen wieder öffnete, weiter eintrat und sich um Geschäft umsah, erblickte sie Lucius Malfoy am Stand mit dem kandierten Obst und sofort erstarb ihr Lächeln wieder. Da war etwas an ihm, dass ihr jedes Mal das selbe, seltsame Gefühl gab, mit dem sie sich alles andere als wohl fühlte, weil sie nicht einmal wusste, was genau das für ein Gefühl war. Sie mochte es einfach nicht.
Doch ohne sie zu bemerken, lief Malfoy zur Kasse, zahlte eine riesige Tüte voller Süßigkeiten und verließ, ohne um sich zu blicken, den Laden.
Sie drehte sich um und ging zu der Schale mit den immerwährenden Bonbons. Gerade suchte sie zwischen Minz-, Birnen-, und Schokoladengeschmack nach denen, die nach Karamell schmeckten, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
Sie befürchtete schon, dass Malfoy zurückgekommen war, doch dafür war die Hand viel zu groß und warm, und als sie sich umdrehte, blickte sie schließlich in das Gesicht ihres Lehrers für Zaubertränke.
„Guten Tag, Miss Black!“, grüßte Horace Slughorn mit einem verdrießlichen Lächeln auf dem Walrossgesicht.
„Guten Tag, Professor Slughorn.“, grüßte Narzissa. Von allen Lehrern auf Hogwarts war dieser rundliche Mann ihr der Liebste. Er hatte eine so angenehme und ergiebige Stimme, dass sie sich wünschte, er würde ihr abends vorm Zubettgehen Geschichten vorlesen.
„Na, auf der Suche nach einem leckeren Bonbon für zwischendurch?“
„Ja, Sir.“, entgegnete Narzissa. „Karamellgeschmack, aber der scheint aus zu sein.“
„Ach je, mach dir nichts draus. Es gibt auch keine kandierte Ananas mehr.“
„Eine Schande ist das.“, sagte Narzissa.
„In der Tat. Wo sind deine Schwestern?“
„Andromeda ist im Drei Besen und Bellatrix ist heute auf dem Schloss geblieben. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist, Sir, ich wollte sie fragen, ob sie mitkommt, aber sie ist wortlos an mir vorbei in den Schlafsaal gerauscht.“
„Höchst verwunderlich!“ Slughorn hob eine Tüte Lakritzschnapper aus einem Korb, betrachtete die sich im Plastik windenden Tierchen aus Ochsenblut und legte sie schließlich mit einer leicht angewiderten Miene zurück an ihren ursprünglichen Platz. „Ich wollte sie bloß einladen.“
„Ah, ich verstehe.“, sagte Narzissa. „Wann ist es denn soweit?“
„Oh, ich dachte mir, heute Abend wäre es doch ganz nett. Bei so einem Sauwetter sitzt man doch gern zusammen am Kamin und genießt ein gutes Essen bei einem noch besseren Gespräch, nicht wahr?“
Narzissa nickte. Sie wusste um den Club von talentierten Schülern, den Professor Slughorn um sich gegründet hatte und ihre Schwestern waren beide seit ihren ersten Jahren auf Hogwarts Mitglieder eben jenes Clubs. Sie selbst allerdings hatte Slughorn noch nie eingeladen.
„Gut, ich werde es ihnen ausrichten.“, sagte sie.
Slughorn schien nach einem anderen Gesprächsthema zu suchen, doch es fiel ihm offensichtlich keines ein, weswegen er Narzissa schließlich noch einmal viel zu fest auf die Schulter patschte und sich zum Ausgang begab. Doch dann hielt er inne und sah Narzissa mit seinem kauzigen Lächeln an:
„Wissen sie was, Miss Black? Wieso kommen sie nicht einfach mit. Der junge Herr Malfoy aus ihrem Jahrgang wird auch zum ersten Mal dabei sein. Ich freue mich schon sehr auf ihr Erscheinen.“
„Sehr gerne, Professor!“, rief Narzissa und konnte die Begeisterung in ihrer Stimme kaum verstecken. „Ich nehme ihre Einladung mit größtem Vergnügen an.“, fügte sie ernst hinzu.
„Sehr schön. Dann machen sie's gut, Miss Black, machen sie's gut.“
Narzissa vollführte einen Knicks und Slughorn nickte ihr noch einmal anerkennend zu, bevor er in die Kälte trat und vor den beschlagenen Fenstern nicht mehr zu erkennen war.
Narzissa lächelte wieder, gab die Suche nach Karamellbonbons auf und gönnte sich stattdessen einen saftig roten Liebesapfel, wie die Muggel sie auf der Kirmes in ihrer Stadt gern aßen.
„Das macht genau eine Galleone.“, sagte die mausgesichtige Verkäuferin.
„Hier bitte sehr.“, sagte Narzissa und wollte der Frau das Geld reichen, als sich eine blasse Hand auf ihre legte und sie sanft zurückschob.
„Das übernehme ich.“
Da war er also wieder. Lucius Malfoy schien Narzissa im Laden gesehen zu haben und war zurückgekommen, wie sie es schon zuvor befürchtet hatte.
Zu überrascht, um ihn zurückzuhalten, ließ Narzissa Malfoy bezahlen. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss und schaute die Verkäuferin mit einem entschuldigenden Blick an.
Doch diese schaute bloß auf die Galleone in ihrer Hand, legte sie in die Kasse und richtete den Blick dann auf das Geschehen im übrigen Laden, als hätten Narzissa und Lucius ihn schon verlassen.
Lucius würdigte Narzissa ebenso keines Blickes. Also beschloss sie, ohne sich zu bedanken, den Laden zu verlassen, doch als sie aus der Tür in die eisige Luft trat und sich die Hitze ihrer Wangen mit einem Mal um das doppelte feuriger anfühlte, spürte sie einen spitzen Schmerz in der Schulter und wirbelte herum. Lucius war hinter ihr aus dem Laden gerauscht und hatte nun die spitzen Zähne des silbrigen Schlangenkopfes, der wie ein Griff auf der Spitze seines Zauberstabs saß, in das Fleisch an Narzissas Schulter gebraben.
„Autsch!“, keuchte sie. „Sag mal, geht’s dir noch gut?“
„Danke hättest du ruhig auch mal sagen können.“, zischte er und steckte den Zauberstab wieder in seinen Umhang.
„Jetzt ganz bestimmt nicht mehr, du Idiot. Was sollte das da drin überhaupt?“
„Nichts. Ich habe bloß einem Mädchen einen Liebesapfel spendiert. Möchtest du ihn denn gar nicht essen?“
Mit einem süffisanten Grinsen auf dem Gesicht deutete er auf die rot glänzende Zuckerfrucht in Narzissas vor Kälte schmerzenden Händen. Sie blickte ebenfalls auf die Süßigkeit hinab und mit einem Mal merkte sie, dass ihr die Lust daran im Moment von Lucius' Auftauchen schon vergangen war.
„Um ehrlich zu sein Nein.“, fauchte sie und pfefferte den Apfel auf den schneematschbedeckten Boden.
Sie erwartete einen dummen Spruch von Lucius, oder sogar eine üble Beschimpfung, aber wie schon einige Male zuvor wurde sein Gesicht plötzlich furchtbar weich und Narzissa meinte, so etwas wie Verletztlichkeit in seinen Augen lesen zu können. Beinahe tat es ihr schon wieder leid, dass sie sich so abweisend ihm gegenüber verhielt. Aber sein Verhalten widerte sie an. Sie waren dreizehn Jahre alt, verdammt nochmal, und da kaufte man sich keine Liebesäpfel und verhielt sich wie der großzügige, spendable Vormund seiner gleichaltrigen Schulkameradin, auch, wenn man sie vielleicht mochte. Aber Narzissa war sich ja nicht einmal sicher, ob Lucius sie mochte. Vielleicht machte er all das nur, weil er wusste, dass er sie mit diesem Verhalten langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb.
Jetzt stand er nur da und blickte ihr mit umherhuschenden Pupillen ins Gesicht.
„Tut mir Leid.“, brachte Narzissa schließlich doch hervor.
Lucius sagte nichts.
„Ich weiß nur nicht, warum du das machst, Malfoy. Du verhältst dich wie ein dreißigjähriger Mann, oder einfach wie ein Idiot. Du bist ständig so übertrieben seriös und angespannt und gleichzeitig mischst du dich überall in Dinge ein, die dich nichts angehen. Du willst überall dabei sein und dich ständig irgendwie beweisen.“
Es wunderte Narzissa, dass sie eine so präzise Charakteranalyse über Malfoy abgeben konnte, wobei sie noch nie bemerkt hatte, sich wirklich Gedanken über ihn zu machen.
„Gut möglich.“, sagte Lucius ungewohnt leise. „Aber das eben sollte einfach nur eine nette Geste sein.“
Narzissas Magen schien sich in ihr zu einem Stein zu verwandeln, so schwer lag er plötzlich in ihr. Unwillkürlich legte sie die Hand auf den Bauch, als könne sie den Schmerz damit stoppen.
„Tut mir Leid.“, sagte sie noch einmal. „Ich habe nicht darüber nachgedacht.“
Jetzt schien Lucius die Entschuldigung akzeptiert zu haben, denn seine gesamte Haltung ging von der gekrümmten Figur eines traurigen Schuljungen wieder in ein übertrieben stolzes Präsentieren seinerselbst über und er lächelte herablassend, als er sagte:
„Das tust du ohnehin nicht oft, scheint es mir.“
So ein Idiot!
Narzissa wusste nicht, wieso er sich so verhielt. Ihre Wangen glühten immer heißer, als wäre ihr Kopf eine Kaminfeuerkugel.
Sie beschloss dennoch, nichts auf diesen dummen Spruch zu erwidern.
„Man sieht sich heute Abend.“, sagte Malfoy und verneigte sich gekonnt ironisch.
Narzissa erwiderte nichts und ließ ihn einfach von dannen ziehen. Es hatte angefangen, wieder zu schneien. Auf einmal fühlte sie sich so verloren, so einsam und schwach, als wäre sie nicht nur dreizehn, sondern gerade einmal sechs Jahre alt. Sie wünschte sich nach Hause, in ihr warmes Bett, weit weg von all dem Trubel, weit weg von all den Gedanken, die sie sich über die Schule, die Machenschaften ihrer großen Schwestern und jetzt auch noch über Lucius Malfoy machen musste. Sie bückte sich, um den langsam einschneienden Liebesapfel aufzuheben und dort, wo er eben noch gelegen hatte, tropfte eine einzige, salzige Träne in den Schnee.
„Wie sehe ich aus?“, fragte Andromeda ihre große Schwester am Abend. Sie beide standen vorm rostigen Spiegel im Mädchenschlafsaal und probierten verschiedene, gekonnt geschneiderte Roben aus den schönsten nur vorstellbaren Stoffen an. Die anderen Slytherin-Mädchen beneideten die schönen Black-Schwestern um ihre edle Garderobe, und wann immer es Anlass gab, diese vorzuführen, nahmen die Schwestern sie auch zu gerne wahr.
Andromeda trug ein langes, zu ihrem dunklen Haar kontrastierendes lindgrünes Kleid aus altmodischem Brokat. Ein klein wenig glich sie der Grauen Dame, dem schönen Hausgeist des Ravenclaw-Turms.
„Wunderschön.“, staunte Narzissa, die sich auf Andromedas Bett gesetzt hatte und ihren großen Schwestern zusah. Sie selbst war bereits fertig für den Abend im Slug-Club. Ihr langes, blondes Haar hatte sie von Bellatrix zu einem kunstvollen Zopf flechten lassen, der nun an ihrer Schulter hinab bis zu ihrer Taille reichte. Sie trug ein fließendes, hellblaues Kleid im Stil des neunzehnten Jahrhunderts.
Auch Bellatrix nickte ermunternd.
„Du siehst fantastisch aus.“, lobte sie ihre Schwester, doch in ihrer Stimme schwang Unmut mit. Andromeda sah in ihrem Gesicht, dass sie mit den Gedanken ganz woanders war, als sie vor näher an den Spiegel trat und versuchte, ihr wirres schwarzes Haar zu kämmen- vergeblich.
„Bella, was ist mit dir los?“, fragte Andromeda leise und trat hinter sie. Sie griff in die dichten Locken ihrer Schwester und fühlte sich mit einem Mal so wohl in ihrer Nähe, dass sie ihr am liebsten still um den Hals gefallen wäre. Hier im Schlafsaal, allein mit ihren geliebten Schwestern, fühlte sie sich so wohl wie schon eine Ewigkeit nicht mehr. Es war wieder wie früher, als sie noch kleine Mädchen gewesen waren und mit Puppen in Bellatrix' Zimmer gespielt hatten, weil diese als Älteste stets das Schönste und Größte gehabt hatte. Und hier, in diesem wohligen Moment von familiärer Vertrautheit vereint, schlug Andromedas besorgtes Herz Purzelbäume vor Glück.
Kein Mädchen ohne Schwester konnte nachvollziehen, wie Liebe zwischen Schwestern war. Kein Mädchen ohne Schwester wusste, wie Andromeda gerade fühlte.
In letzter Zeit war ihr gerade Bellatrix so unglaublich fremd geworden, dass sie versuchte, den Duft ihrer Haare und das Gefühl dieser auf ihren Handflächen möglichst tief zu verinnerlichen, nur für den Fall, dass sie sich ihr mit der Zeit immer weiter und weiter entzog.
„Ach, nichts.“
„Du kannst mich nicht belügen.“
Bellatrix zog eine ergiebige Schnute, dann atmete sie tief durch und sah Andromeda durch den Spiegel mit ihren irren Augen an. Wären es nicht die ihr auf der Welt am Liebsten Augen, und säßen sie nicht in dem ihr auf der Welt am Liebsten Gesicht, so hätte sich Andromeda sicher vor Bellatrix gegruselt. Schon immer war sie anders als gewöhnliche Mädchen gewesen, hatte einen Irrsinn im Blick gehabt und geredet und sich bewegt, als wäre sie von einem wirren Dämon besessen. Sie war eine einnehmende und furchteinflößende Person, fast wie Lord Voldemort selbst, bloß mit dem Unterschied, dass Andromeda wusste, dass Bellatrix Gefühle hatte. Und Bellatrix' Gefühle waren, gerade, weil sie so irrsinnig schien, um einiges wilder als die der meisten Menschen. Intensiver und feuriger. Und umso grauenvoller war Bellatrix' Empfindung von Trauer. Keinesfalls wollte Andromeda ihr diese jetzt zumuten.
„Es geht dich aber nichts an.“, zischte Bellatrix.
Da war sie wieder. Die Fremde in Bellatrix. Der Teil von ihr, der keine schwesterliche Liebe von Andromeda bekommen würde. Andromeda ließ von Bellatrix ab und drehte sich, als wolle sie bloß den schweren Stoff ihres Kleides zum Fliegen bringen, doch in Wirklichkeit versuchte sie ja nur, die plötzliche Enttäuschung aus ihrem Kopf zu wirbeln.
Bellatrix gab es auf, ihre Haare zu bändigen zu versuchen, und stand schließlich auf, um sich von der herbeieilenden Narzissa das Korsett an ihrem dunkelroten Kleid zuschnüren zu lassen.
„Nicht so fest, du kleines Biest!“, fauchte sie.
Nun war auch sie zurechtgemacht für den Abend in den Kerkern. Es sollte eine kleine Feier werden, hatte man sich unter den Mitgliedern erzählt, nicht bloß ein Abendessen. Slughorn hatte spontan entschieden, dass ihm der Sinn nach Musik und größerer Gesellschaft stand, weswegen er sogar ein paar musizierende Landstreicher eingeladen hatte, die ihre Instrumente aus Drachenknochen und Demiguisenhaaren fertigten, weswegen es zum Teil aussah, als würden sie einfach nur in der Luft herumzupfen und gar keine wirklichen Instrumente spielten. Diese Musiker hatten schon einmal auf einer von Slughorns Parties gespielt, weswegen Andromeda und Bellatrix sie schon kannten. Eines ihrer Stücke, „Betörende Banshee“, hatten die Mädchen früher auswendig gekonnt und stets bei der Abendtoilette gesungen. So laut, dass ihr Vater im Untergeschoss mit dem Zauberstab an die Decke hatten hämmern und laut brüllen müssen, doch selbst dann hatten sie nicht aufgehört. Bis er eines Abends hochgekommen war und Andromeda mit Langlock zum Schweigen gebracht hatte.
Nun, da auch Bellatrix fertig war, konnten die Mädchen gehen. Es war immer ein besonderer Moment für alle Anwesenden, wenn die Black-Schwestern alle auf einmal einen Raum betraten. Gerade Bellatrix, die ohnehin stets alle Blicke auf sich zog, sah an in ihrem engen, roten Kleid an diesem Abend umso reizender aus.
Als sie durch die Flure der Kerker streiften und schließlich vor das Gewölbe gelangten, an dessen Scheitelpunkt sich die Tür zum Festsaal des Abends befand, wo sie die Landstreicher schon leisen Jazz spielen hörten, begegneten sie den Lestrange-Brüdern.
„Meine Güte.“, keuchte Rabastan. „Da weiß man gar nicht, wo man zuerst hingucken soll.“
Natürlich scherzte er nur, doch sicherlich ging es einigen Jungen an diesem Abend so.
Rodolphus allerdings sagte nichts. Er stand unbewegt am Eingang zum Raum der Festlichkeit und starrte Bellatrix an. Sie blickte zurück und er wurde, es war das erste Mal, dass Andromeda das bei ihm sah, feuerrot im Gesicht.
Eine ungekannte Spannung wob sich plötzlich um die fünf Gestalten im Flur, und Andromeda stieß kraftvoll die Türen des Festsaals auf, um dieser so schnell wie möglich zu entkommen.
Das sonst so leere, kalte Kellergewölbe hatte sich binnen kürzester Zeit in einen eleganten Festsaal verwandelt. Unter den runden Deckenbögen hingen schwere, grüne und graue Stoffe- die Farben Slytherins. Die meisten Schüler des Slug-Clubs kamen aus Slytherin, er selbst war seinerzeit einer der berühmtesten Schüler des Hauses gewesen. Seine altargleiches Regal mit den Fotos von seinen ehemaligen Lieblingsschülern, hatte er von seinem Büro in diesen Raum gezaubert. Vielleicht sollte die Anwesenheit der inzwischen überwiegend bekannten Zauberer auf ihren sich bewegenden Fotos eine Motivation für die Schüler sein, es ebenfalls einmal auf dieses Regal zu schaffen.
Die Köpfe der Anwesenden reckten sich nach den Schwestern, als sie den Raum betraten, wie sie es gewohnt waren. Narzissa entfloh dieser Situation als erste. Sie hatte einen gemütlichen Sessel in einer abgeschiedenen Ecke entdeckt, der ihr wie ein einladender Platz für den Rest des Abends erschien. Sie fühlte sich ein wenig überfordert mit der Situation. Selbst wenn sie, durch den Status ihrer Familie in der Zaubererwelt, schon oft edle Feste besucht hatte und die gehobene Gesellschaft gewohnt war, so fühlte sie sich auf diesem kleinen Privatball mit all diesen Jugendlichen schon ein klein wenig unwohl.
Bellatrix hingegen genoss die Aufmerksamkeit. Die sorgenvolle Miene, die sie den ganzen Tag über aufgesetzt gehabt hatte, wich für einen Moment einem überlegenen, zufriedenen Lächeln. Dann trat sie weiter in den Raum, ohne die sie anlächelnden Mitschüler zu beachten, und ging geradewegs auf eben jenes Regal mit den Fotos zu.
Rodolphus blieb stehen, wo sie noch eben bei ihm gestanden hatte.
Rabastan hakte sich bei Andromeda ein und beide gingen, mit dem Vorhaben, das Beste aus dem Abend zu machen, direkt ans Büffet.
„Wie geht’s dir?“, fragte Andromeda.
„Ach, passt schon.“, entgegnete Rabastan und lächelte. „Wenn du das meinst, was ich denke, dann geht’s mir besser. Ich meine, es wird mir nicht gut gehen, bis ich diesem Schlammblut seinen verfluchten Arsch eingetreten habe, aber bis dahin mache ich das Beste aus meiner Situation.“
Andromeda nickte nur. Dass sie im Grunde nichts gegen Ted Tonks hatte, würde sie auf jeden Fall für sich behalten.
„Gut so.“, sagte sie, ohne es so zu meinen.
„Ich habe so einen Hunger!“, lachte Rabastan. „Schau nur, was es hier alles gibt.“
„Die Hauselfen haben gute Arbeit geleistet!“, lobte Andromeda und lud sich ein ordentliches Stück Rostbrot auf den Teller.
„Für etwas Anderes sind sie auch nicht gut.“, spottette Rabastan.
Wieder merkte Andromeda, dass sie keinesfalls mit ihm übereinstimmte, und wieder nickte sie nur, aus Angst und Vernunft.
„Hat Bellatrix mit dir gesprochen?“
Rabastan und Andromeda hatten ihre befüllten Teller zu einem kleinen Tisch in der Raummitte gebracht und saßen nun einander gegenüber.
„Worüber?“, fragte sie ihn.
„Über die Sache mit meinem Bruder.“
„Nein, sie hat nichts über Rodolphus gesagt. Hätte sie denn etwas sagen sollen?“ Neugierig lehnte sie sich nach vorne. Auch Rabastan kam ihr näher.
„Er hat sie geküsst.“, sagte er und um seinen Mund spielte ein kindisches Lächeln.
Andromeda allerdings war gar nicht nach Lächeln zumute. Wieso hatte ihre Schwester ihr nichts davon erzählt? Früher, in ihrem vierten Jahr, hatte sie Andromeda ständig von ihrem ersten festen Freund vorgeschwärmt, und auch später hatte sie als kleine Schwester stets zu ihrer begehrten großen Schwester aufgesehen, hatte sie für ihre Jungsgeschichten angehimmelt und sich gewünscht, ebenso zu werden. Was sie nie getan hatte, dennoch- sie war bitter enttäuscht und dachte traurig an das so heimelige Gefühl der Verbundenheit, das sie eben noch im Schlafsaal gespürt hatte.
„Nicht wirklich?“, fragte sie mit vor Enttäuschung gedämpfter Stimme.
„Jawohl. Glaubst du, ich erfinde das?“ Rabastan grinste dumm.
„Nein, natürlich nicht.“
„Er kam an und meinte >Ich habe es getan, einfach so, ich habe es getan, es war so falsch von mir.< und ich dachte wunder was er mir zu beichten hat. Und dann sagt er mir, dass er deine Schwester im Flur abgeknutscht hat. Ich meinte nur zu ihm, dass das doch super wäre und ich hab mir ja eh schon immer gedacht, dass er, wie jeder andere im Schloss, scharf auf sie ist.“
Andromedas Finger krallten sich in das Stück Rostbrot, sodass es zu bröckeln begann. Rabastan, der sich sonst so gewählt und kühl ausdrückte, so ernst und edel gab, sprach nun wie ein matter Schuljunge. Und er vergaß wohl, dass Andromeda es durchaus als Beleidigung ihrer Schwester nahm, wenn er so über sie sprach.
„Eigentlich“, fuhr Rabastan mit etwas ernster Miene fort, „reden wir nie über so was. Eigentlich reden wir ohnehin nicht. Vor allem seit dem Vorfall mit, na ja. Seit dem Vorfall eben. Wir sind nie wie richtige Brüder es sein sollten.“
Das tat Andromeda fast schon wieder ein bisschen Leid. Sie kannte das Gefühl allzu gut. Im Moment ging es ihr doch genau so.
„Jedenfalls meinte er, dass er einfach denkt, ehe er Bella ganz verliert, an“- Er sah sich prüfend um- „den Dunklen Lord, muss er alles probieren, um sie zu halten.“
Andromeda nickte nur. Sie hatte ohnehin gewusst, dass Rodolphus und Bellatrix sich mochten, hatte genauso die Befürchtung mit Bellatrix' Faszination für Voldemort und vor allem hatte sie auch Angst, ihre Schwester zu verlieren. Früher oder später hätte Rodolphus ohnehin gehandelt. Aber ihre Schwester einfach so küssen erschien ihr erschreckend plump für einen Jungen wie ihn.
„Und ja, dann hat er sie also einfach geküsst. Und jetzt redet sie schon den ganzen Tag nicht mehr mit ihm. Und guckt ihn nicht an. Und macht nichts. Als wäre nichts passiert. Ich glaube, das macht ihn fertig. Aber wie gesagt, wir reden nie über so etwas. Es ist auch nicht so, als hätten wir irgendwelche verweichlichten Gefühle, aber... Ich glaub wirklich, dass er sie mag.“
Andromeda nickte, trank ihren Kürbissaft aus und stützte den Kopf auf ihrer Hand.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“, maulte sie.
Rabastan bemerkte nichts von ihrer Enttäuschung und grinste sie nur weiter an. Dann biss er voller Gier in einen saftigen Hähnchenschenkel und schloss beim Kauen die Augen wie ein Tier, das soeben junge Beute erlegt hatte.
„Interessant, nicht wahr?“
Horace Slughorn war hinter Bellatrix getreten, die noch immer vor dem Regal mit den Bildern stand.
„So viele verschiedene Menschen verschiedenster Herkunft sind alle hier auf diesem Regal vereint. Und einst waren sie es, genau wie sie, hier unten im Kerker.“
Er lachte ein glucksendes Lachen, das vermuten ließ, dass er bereits zu Beginn des Abends ein wenig über seinen Durst getrunken hatte.
Bellatrix antwortete ihm nicht.
„Sie schauen so“, lachte er, „als wollten sie selbst ihr Bild hier sehen. Und glauben sie mir,-“
„Wer ist das?“, fiel sie ihm ins Wort.
Sie griff nach einem weit hinten im Regal angelehnten, großen Bild eines Jungen, der ihr nur allzu bekannt vorkam. Eigentlich wusste sie schon, wer das war. Sie wollte es nur noch einmal hören. Sie wollte seinen wahren Namen hören und das Bild dabei ansehen und dann versuchen, mit Slughorn ein Gespräch über ihn aufzubauen. Er, der Dunkle Lord, war alles, was sie interessierte. Wann immer sich die Chance ergab, sich ihm in Gedanken und Worten hinzugeben, so nutzte sie diese.
„Oh das ist...“ Slughorn schaute das Bild eingängig an. Er überlegte nicht, nein, er dachte an ihn, erinnete sich vielleicht an ein bestimmtes Erlebnis mit dem Jungen auf dem Bild, bevor er sagte: „ Das ist Tom Riddle.“
Bellatrix atmete just in diesem Moment ein, als könne sie die in der Luft schwebenden Silben, die seinen Namen bildeten, in ihre Lungen saugen.
„Ah.“, sagte Bellatrix mit einer aufgelegt unschuldigen Miene. „Der Tom Riddle.“
„Sehr wohl.“ Slughorn entriss Bellatrix das Bild, was ihn einige Mühe kostete, und schaute es noch eindringlicher an als zuvor. „Hier war er noch sehr jung.“
„Ich verstehe.“
„Er war zweifellos einer der besten Schüler, die je durch die Gänge dieses Schlosses gewandert sind. Ein brillianter Zauberer.“
Bellatrix nickte und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Brilliant, mächtig,- der größte Zauberer aller Zeiten, das war er für sie.
„Ich verstehe nicht,“, keuchte Slughorn, „wieso er sich so vehement dagegen geweigert hat, wirklich etwas aus seinen Fähigkeiten zu machen.“
Ein leichter Anflug von Wehmut zeichnete sich nun um Slughorns' bartumrahmten Mund. Bellatrix nutzte die Gelegenheit und nahm ihm das Bild wieder aus der Hand. Anders als die meisten Bilder auf Slughorns Regal, bewegte sich dieses kaum. Lediglich die Augenlider des jungen Voldemort schlossen und öffneten sich in einem regelmäßigen Abstand, ansonsten stand er nur starr da, blickte aus dem goldenen Rahmen heraus direkt in die Seele des Betrachters, so schien es.
„Aber wenn ich genau darüber nachdenke“, fuhr Slughorn fort, „so war er doch schon immer ein recht seltsamer Junge.“
Bellatrix hob prüfend die Brauen.
„Bitte verstehen sie mich nicht falsch, er war im guten Sinne seltsam. Sehr eigenwillig. Ein Einzelgänger, unglaublich ehrgeizig und zielgerichtet. Aber er war, wie sagt man, in vielerlei Hinsicht einfach undurchsichtig. Schwer einzuschätzen. Und leider galt sein Interesse schon immer Dingen, die rasch den Charakter eines guten Zauberer verderben: Dunkle Magie, Miss Black, tiefschwarze Magie.“
Bellatrix nickte nur. Sie wusste all dies schon, doch es noch einmal zu hören, gab ihr wieder das Gefühl, Voldemort ganz nah zu sein. Sie dachte daran, dass sie am nächsten Abend um etwa die gleiche Zeit auf den Weg in den Verbotenen Wald sein würde, um ihn dort zu treffen. Ganz allein, nur er und sie. Wehmütig schaute sie auf das Bild, obgleich der junge Tom Riddle kaum noch etwas mit dem Mann zu tun hatte, der er inzwischen geworden war. Dennoch hatte sie das Gefühl, sie könne dieses Bild ewig ansehen, ohne dem Anblick überdrüssig zu werden. Er war ein so hübscher Junge gewesen, Chamelia hatte kein bisschen übertrieben. Ein Herzensbrecher war er gewesen, das hatte sie gesagt. Bellatrix schmunzelte mit glänzenden Augen.
„Ist alles in Ordnung mit ihnen, Miss Black?“, fragte Slughorn.
„Oh, ja. Es ist nur, dieses Bild ist wirklich schön.“
„Wie gemalt.“, bemerkte Slughorn.
„Wie gemalt.“, hauchte Bellatrix. Und dann, was hatte sie schon zu verlieren, fragte sie, ohne lange zu überlegen: „Ob ich dieses Bild wohl haben dürfte?“
„Bitte?“ Slughorns Augen weiteten sich. „Das Bild haben?“
Bellatrix nickte stur.
„Ich wüsste nicht, wieso, aber,- gut von mir aus.“ Slughorn war bereits angetrunken und schien sich keine Gedanken darüber zu machen, weswegen eine seiner Schülerinnen das Bild von Tom Riddle haben wollte. Wahrscheinlich dachte er, es läge an der unverkennbaren Schönheit dieses Jungen, dass ein junges Mädchen wie Bellatrix einem Bild von ihm verfiel, und ein Stück weit hatte er auch Recht. Bellatrix' wahres Motiv, was im Grunde nichts weiteres war, als alles, was mit dem Dunklen Lord zu tun hatte, für sich zu haben, konnte er nicht erahnen. Er wusste ja nicht, was inzwischen aus Tom Vorlost Riddle geworden war. Ist Lord Voldemort, sinnierte Bellatrix.
„Ich habe noch eine Menge Fotografien von Riddle, die ich auf mein Regal stellen kann.“, bemerkte Slughorn. „Dieses können sie also ruhig mitnehmen, auch wenn ich es nicht verstehe.“
Bellatrix nickte nur, glücklich über ihren neuen Besitz.
„Um ehrlich zu sein“, flüsterte Slughorn, ehe Bellatrix sich von ihm abwand, „bin ich ganz froh, dass ich es los bin. Es ist eines dieser Potraits, von dessen Blick man sich ständig verfolgt fühlt. Ganz unter uns- es hat mir immer ein wenig Angst gemacht.“
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