von mia.winchester
Ein Geheimnis zu teilen ist eine Geste, die zwei Menschen auf eine besonders innige Weise miteinander verbindet. Nachdem Sirius und Andromeda das vertrauliche Gespräch beendet hatten, bedachten sie einander für den Rest des Abends mit aufmunternden Blicken. Beide wussten, dass der Andere die selben Gedanken hatte. Es war ein unheimlich beruhigendes Gefühl in einer Zeit, in der Andromeda alles Andere als beruhigt war.
Derjenige, der begonnen hatte, ihr Trost zu spenden, saß meilenweit entfernt von ihr im Kreis seiner nichtmagischen Verwandten und feierte Weihnachten, wahrscheinlich ohne zu wissen, dass er in Andromedas Gedanken war. Hätte er gewusst, dass sie sich einredete, dass sie ihn nie wieder treffen durfte, damit nichts Schlimmeres geschah, wäre er sicher verletzt gewesen. Wobei Andromeda davon ausging, dass er sicher schon ahnte, dass diese mögliche Verbindung gegen jede zwischenmenschliche Regel verstieß, zumindest unter den gegebenen Umständen. Andromeda versuchte sogar, sich einzureden, dass es Ted vielleicht sogar egal wäre, wenn sie sich nicht mehr mit ihm treffen wollen würde. Aber es gelang ihr nicht.
Bellatrix indessen hatte sich eines der Gästezimmer zurückgezogen. Sie lag ausgestreckt auf dem weichen, alten Bett, auf dessen Pfosten Wichtelschädel steckten und starrte auf das zerknitterte Bild, das sie stets mit sich trug.
In ihrer Familie kannte jeder den mächtigen Zauberer Tom Riddle, aber sie ging davon aus, dass niemand etwas von Lord Voldemort ahnte. Erst hatte sie es für sich behalten wollen. In Hogwarts redeten sie und die anderen Todesser auch nie öffentlich darüber. Aus Gefahr, von ahnungslosen und unwürdigen Schülern verraten zu werden. Die Anhängerschaft war noch nicht groß und bei weitem noch nicht stark genug, um an die Öffentlichkeit zu treten. Aber in ihrer Familie von reinblütigen Zauberern, die sich mehrheitlich schon lange der tieferen, dunkleren Magie verschrieben hatten, würde ihr der Posten als engste Vertraute des aufsteigenden Dunklen Lords sicherlich viel Lob einbringen. Und weil Bellatrix es gewohnt war, gelobt zu werden und immer wieder genoss, im Mittelpunkt zu stehen, beschloss sie schließlich, spätestens beim Abendessen Andeutungen zu machen, die ihre Familie darauf schließen ließ, dass etwas Besonders in der Zaubererwelt vor sich ging. Und dass sie, Bellatrix, die älteste und schönste der drei Schwestern, eine bedeutende Rolle in dieser Bewegung spielte.
Ihr Bauch kribbelte und sie biss sich auf die Lippe, dann küsste sie das Bild des Dunklen Lords und schob es unter das Kissen.
„Zissy, hilfst du mir kurz?“, rief Irma aus der Küche. Ihrer Großmutter ähnelte Narzissa, im Gegensatz zu ihrer eigenen Mutter, sehr. Man konnte sich leicht ausmalen, wie sie in sechszig Jahren aussehen würde, wenn sie neben Irma Black stand.
Irma war eine störrische und schnippische alte Frau, die allerdings um einiges sanftmütiger war als ihre Tochter Walburga. Besonders, wenn es um ihre Enkeltöchter ging, war sie durchaus fähig, Liebe und Fürsorglichkeit zu zeigen, viel mehr als deren eigene Mutter.
Sie hatte alle Hände voll zu tun, Geschirr sauber zu zaubern und Charis und Lucretia beim Vorbereiten des Truthahns zu helfen.
Narzissa gehorchte und nahm ihr eine große Schüssel mit etwas darin ab, das aussah wie eine Mischung aus Flubberwurmschleim und Steinen. Sie wollte gar nicht erst wissen, um was für eine Speise es sich bei dieser Kreation handelte.
„Zissy, komm doch mal her!“, rief Charis, nachdem Narzissa die Schüssel auf die große Tafel in der Stube des fürnehmen Hause Blacks gestellt hatte. Wieder eilte sie herbei.
„Hör mal, ich hab gehört, du verstehst dich gut mit dem Spross der Malfoys?“ Wie sie das so sagte, mit diesem fordernden Blick in den blassen Augen, erinnerte sich Narzissa auf einmal wieder lebhaft an die Zeit, in der sie Lucius noch nicht gemocht hatte.
„Ja, ich denke schon. Wir sind ganz gute Freunde.“, sagte Narzissa leise.
„Schön finde ich das. Ich kenne die Malfoys schon sehr lange. Eine tolle Familie.“ Charis zwinkerte Narzissa zu. „Halt dich an den Jungen.“, flüsterte sie.
„Natürlich.“, sagte Narzissa. An wen auch sonst. Keiner in der Familie wusste, wie schwer sie es stets in Hogwarts gehabt hatte. Ohne Freunde, und dann der plötzliche Noteneinbruch in der Mitte des Halbjahres. Gut, dass Lucius ihr geholfen hatte. Dass sie sich durch die Freundschaft mit ihm zum ersten Mal in ihrem Leben vollkommen wohl im Schloss fühlte, interessierte hier niemanden.
„Nein, ich meine, halte dich an ihn.“ Charis zwinkerte ihr zu. „Am besten für immer. Kann nicht schaden, wenn man sich früh genug Gedanken um seine Zukunft macht.“
„Was meinst du?“, fragte Narzissa, obwohl sie schon ahnte auf welche stupide, schreckliche Forderung ihrer unliebsamen Verwandten hinauslief.
Und tatsächlich. „Eine spätere Ehe mit ihm wäre von größtem Vorteil!“ Charis lächelte.
Narzissa drehte sich der Magen um. Sie fühlte sich peinlich berührt und bloßgestellt und das Blut schoss ihr augenblicklich in die Porzellanwangen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ließ sie ihre Verwandte stehen und setzte sich schon lange vor Beginn des Abendessens mit Regulus und dessen Opa Arcturus an die Tafel. Sie versuchte, die bloßstellenden Worte von Charis zu verdrängen, aber wie das so ist, wenn man so etwas gesagt bekommt, kam auch sie nicht umhin, ständig wieder das bittere Szenario einer Hochzeit zwischen Malfoy und ihr durchzuspielen. Das war vollkommen idiotisch und eines stand fest: Dazu würde es ganz sicher nie kommen.
Endlich ließ Orion die Glocke zum Beginn des Festmahls mit einem Zauber erklingen. Sirius stürmte herbei und Andromeda nahm neben ihm Platz, am anderen Ende des Tisches klemmte sich Bellatrix zu ihrer Mutter und ihrem Vater und Narzissa blieb einfach an ihrem Platz sitzen, auch, wenn sie sich ein bisschen darüber ärgerte, als Pollux und Charlus neben ihr Platz nahmen. Die beiden Streithähne, die sich schon seit Beginn der Familienfeier wegen den dümmsten Kleingkeiten in den Haaren hatten, hörten auch mit dem Diskutieren nicht auf, als sie es über Narzissas Kopf hinweg tun mussten. Wieder einmal fühlte sie sich, als wäre sie aus Glas. Unsichtbar. Oder einfach gar nicht wirklich da.
„Potter, du Idiot, jetzt gib endlich zu, dass du Grahams zum Minister wolltest!“, bellte Pollux. Der Großvater der Schwestern war einer der größten Verfechter des reinen Zaubererblutes. Alle in der Familie folgten der Ideologie, dass Zauberer sich auf keinen Fall mit Halbblütern oder gar Muggeln verbinden sollten. Sie empfanden es als eine Schande, als unnatürlich und abstoßend, und wenn sie es schon so radikal sahen, sah Pollux es um einiges radikaler.
Er würde besonders stolz auf sie sein, wenn sie ihm erzählte, was sie bei Vollmond im Verbotenen Wald tat, das wusste Bellatrix.
„Ach Quatsch, Pollux, du weißt ganz genau, dass ich Eddins von Anfang an für den richtigen Mann hielt.“, keifte Charlus zurück. „Du willst mir bloß wieder unterstellen, dass ich Muggelstämmige verteidige.“
„Wiederlich!“, krächzte Pollux bei dem Wort. „Ich meine nur, unter Grahams hätten die Squibs es vielleicht nochmal versucht, und der wäre weitaus toleranter gewesen als Leach. Aber nicht mal der hat unterbinden können, dass die sich letztes Jahr aufgelehnt haben. Squib-Rechte, wenn ich das schon höre. Eine Sumpfhexe hat mehr Rechte verdient als die.“
„Bitte erinnere dich, wer der Allianz von Reinblütern beigewohnt hat, die den Squibs Einhalt geboten haben.“ Charlus versuchte jetzt, den Streit zu schlichten, aber Pollux ließ nicht ab.
„Na und?“, brüllte er. „Du wohnst mit meiner Schwester in einem fast ausschließlich von Muggeln bewohnten Ort! Du kannst nicht mal in deinen Vorgarten gehen, ohne beschmutzt zu werden von den Grüßen des niederen Volkes.“
Daraufhin entgegnete Charlus nichts mehr. Die ganze Familie schwieg und wartete darauf, dass entweder der Streit weiterging oder Lucretia endlich den Truthahn servierte. Die meisten hofften natürlich, dass ersteres eintrat.
„Ich hab von Anfang an gesagt, nehmt Riddle.“, sagte Pollux schließlich.
Riddle. Beim Klang dieses Namens überkam Bellatrix ein wohliger Schauer. Ein Stechen in der Bauchgegend zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht. Das war ihr Stichwort.
„Tom Riddle?“, fragte sie und ließ sich dabei jeden Buchstaben wie süße Eiscreme auf der Zunge zergehen.
„Genau der.“, sagte Pollux und nickte Bellatrix zu.
„Aber der hat schon vor längerem Nein gesagt. Der will nicht.“, sagte Cassiopeia plötzlich. „Warum auch immer. Er wäre der beste Mann für den Job gewesen.“
„Ganz genau.“, sagte Pollux. „Er und kein Anderer. Selten hat die Welt einen Zauberer wie ihn gesehen.“
Bellatrix tat bereits das Gesicht vom Lächeln weh. Dieses Gefühl, das man hat, wenn man mehr weiß als die Anderen, wenn man Klarheit besitzt, während sie im Dunkeln tappen, war pure Macht.
„Besser als Grindelwald und dieser Schnösel Dumbledore zusammen.“, sagte Alphard, der Onkel der Schwestern, der erst vor kurz vor Einläuten des Essens in der Küche appariert war. Er lächelte schief.
„Unvergleichlich mit einer Vogelscheuche wie Dumbledore.“, lachte Irma.
Andromeda hätte noch vor einem Jahr mitgelacht. Aber jetzt, sie wusste nicht, ob es nur an ihrem Gespräch in seinem Büro lag, oder daran, dass sich ihre Einstellung zu vielen Dingen in letzter Zeit auf teils unerklärliche Art und Weise zu ändern begonnen hatte, fühlte sie sich beleidigt, als sie zuhören musste, wie ihre Familie über Dumbledore herzog. Sie wollte das nicht. Sie wünschte sich, dass sie mitlachen und sich das Maul über ihn und Konsorten zerreißen konnte und tatsächlich zwang sie sich auch, über die weiteren Witze auf seine Kosten zu lachen, aber sie meinte es lang nicht mehr ernst. Sie wollte es nicht wahrhaben, doch hier, inmitten ihrer einst so heißgeliebten Familie, fühlte sie sich plötzlich wie eine Fremde. Nur Sirius neben ihr schaute sie aufmunternd an. Er sah, dass ihr Lächeln nicht ehrlich war.
„Ich frage mich, was Riddle jetzt macht.“, sagte Pollux.
Jetzt musste es raus. Bellatrix hatte das Glas in ihrer Hand so fest gedrückt, dass es eingebrochen war. Ihre Handfläche blutete und niemand bemerkte es.
„Dazu kann ich etwas sagen!“, rief sie mit zittriger Stimme. „Es ist nämlich, so, dass-“
„Er ist Lord Voldemort.“, sagte plötzlich eine andere Stimme, die Bellatrix noch vor Beendigung ihres Satzes übertönte. „Er versammelt Anhänger um sich, welche die Ideologie des reinen Blutes vertreten und machthungrig genug sind, um mit ihm die ganze Zaubererwelt und vielleicht auch die der Muggel zu verändern.“
Die ganze Familie starrte gebannt auf die Lippen des Mannes, der soeben gesprochen hatte: Alphard Black lächelte selbstgefällig in die Runde und fuhrt fort.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel