von mia.winchester
Zittrig streiften ihre Finger die Bäuche der verstaubten Flaschen und Phiolen, die im Zaubertrankregal der Black'schen Vorratskammer standen. Bis zur Decke hoch fanden sich hier Liebestränke und Gemische, welchen derjenigen, der sie sie zu sich nahm, in die verschiedensten Tiere verwandelte oder einfach nur missgestaltete. Ein riesiger Bottich Vielsafttrank stand dort und zahlreiche unbeschriftete Phiolen mit Flüssigkeiten darin, von deren Anblick allein einem übel wurde. Bunte Wässerchen und schwarzbraune Suppen in kleinen und großen Flaschen. Wie sollte sie hier finden, wonach sie suchte? Ihre Augen huschten von Phiole zu Phiole, bis ihr eine besonders Kleine entdeckte. Sie holte sie mit spitzen Fingern aus ihrer Vorrichtung und hielt sie gegen das dämmrige Licht ihres Zauberstabs. Die Flüssigkeit darin sah aus wie klares Wasser.
„Da haben wir dich.“, kicherte sie und küsste das kühle Glas der eingestaubten Flasche. Dann ließ sie es, noch immer kichernd, in die Tasche ihres Nachthemdes gleiten.
„Nox.“
Er erinnerte sie an ihren Vater, bloß um einiges schlanker und natürlich jünger. Selbst im Schlaf hatte er dieses selbstgefällige, dümmliche Lächeln auf dem Gesicht. Er schlief allein in einem der kleinen Gästezimmer unter dem Dach. Das Haus der Black bot erstaunlich viel Raum und die Zimmer nebenan waren unbewohnt. Wenn sie sich geschickt anstellte, würde niemand etwas mitkriegen. Leise ließ sie die schwere Tür hinter sich zugehen, die erschreckend laut ächzend ins Schloss fiel. Für einen Augenblick fürchtete sie, er würde schon jetzt aufwachen, denn seine Lider zuckten, doch dann beruhigte er sich wieder und sie konnte gefahrlos näher treten.
Entzückt vom Anblick ihres eigenen Verwandten, der so schutzlos vor ihr lag, dass sie ohne Probleme einen Dolch hätte zücken und ihn längs aufschlitzen hätte können, stahl sich ein erregtes Lächeln auf ihre Lippen. Sie streckte die Finger aus und ließ sie knapp über seiner Haut die Konturen seines Gesichtes nachzeichnen. Das also war er. Der engste Vertraute des Dunklen Lords. Sie konnte nicht fassen, dass dieser Mann hier behauptete, ihrem Herrn näher zu stehen als sie es tat. Es war undenkbar, dass nur irgendjemand auf der Welt Lord Voldemort mehr Treue entgegenzubringen vermochte als sie. Ihr Herz, ihre Seele, ihren eigenen Körper hätte sie für ihn gegeben. Stattdessen aber war er es, Alphard, ihr großmäuliger Onkel, der dem Dunklen Lord am nächsten stand und die Lorbeeren für seine Anhängerschaft erntete? Er war jetzt der Stolz der Familie, weil er sie in die Geheimnisse der Todesser eingeweiht und geworben hatte?
Hitzige Wut ließ sie die Fäuste ballen. Sie musste sich wirklich zurücknehmen, sie nicht gleich auf sein Gesicht hinabschnellen zu lassen. Vergessen waren die schönen Abende in ihrer Kindheit, die sie mit ihren Schwestern bei ihm zu Hause verbracht hatte. Oder viel mehr waren sie jetzt einfach nicht mehr wichtig. Alles hatte sich geändert. Sie war sich dessen bewusst. Manchmal merkte man es nicht einmal. Man schlief ein und am nächsten Morgen fand man sich in einer ganz anderen Welt wieder, ohne es zu merken. Erst irgendwann, viel zu spät, um noch etwas ausrichten zu können, wird man stutzig. Aber über diesen Punkt war sie längst hinweg. Sie selbst hatte sich geändert, änderte sich immer noch. Und sie liebte es. Sie liebte die Macht, die sich in ihr entfesselt hatte. Sie liebte den Rausch, das Gefühl, das es ihr gab, hier vor diesem ihr physisch wie geistig überlegenen Mann zu stehen und trotzdem zu wissen, dass sie nur mit dem Finger zucken müsste, um ihn zu töten. Nie hatte sie sich besser gefühlt als in letzter Zeit. Endlich hörten all diese lästigen Angelegenheiten mit der Familie auf, ihr etwas anzuhaben. Endlich war sie an dem Punkt angelangt, an dem ihr alles andere egal war. Ab und zu, in nüchternen Momenten, machte es ihr Angst. Dann sah sie in den Spiegel und fragte sich, was mit ihr geschehen war. Wenn sie spürte, wie egal ihr ihr eigen Fleisch und Blut geworden war, bekam sie Schuldgefühle. Aber sie konnte es nun mal nicht mehr ändern. Und diese Momente der Reue und des Infragestellen ihrer selbst wurden immer seltener. Sie hatte sich entschieden, nichts mehr auf diese Schuldgefühle, die Skrupel und Rücksicht zu geben. Alles, was zählte, war das, wonach ihr Sinn und ihr Körper verlangte. Der Rest war egal.
Und wonach alles in ihr zu jeder Zeit am meisten verlangte, war Macht. Und diese in den Händen des Dunklen Lords zu wissen, jenen an ihrer Seite zu haben, war das, was sie erstrebte. Und was sie nun im Begriff war, zu tun, war absolut notwendig.
Sie zückte ihren Zauberstab und stach ihrem Onkel in die Schläfe. Augenblicklich erwachte er. Schneller, als er hätte reagieren können, griff sie nach der Phiole in ihrer Nachthemdtasche, schraubte sie auf und hielt gewaltsam Alphards Kiefer fest, während sie ihm die durchsichtige Flüssigkeit einflößte.
„Trink aus, zum Wohl!“, kicherte sie und schob mit aller Kraft den Mund ihres Verwandten zu, nachdem das Fläschchen leer war. Er schluckte und starrte sie voll nackter Angst an.
„Bellatrix.“, keuchte er. „Was hast du mir verabreicht?“
Bellatrix trat zurück. Sie lachte nur. „Das kann dir egal sein. Du bist jetzt nicht dran mit Frage stellen.“
„Bella, ich verlange, dass du mir sagst, was du mir verabreichst hast!“ Schwer atmend hob Alphard seine Stimme. „Und wieso bist du überhaupt hier?“
Von draußen schien der Mond durch die Dachluke auf Bellatrix steinhartes Gesicht. Sie lächelte. Das Schwarz ihrer Augen schien sich nicht mehr nur auf ihre Iris zu begrenzen. Alphard lief es eiskalt den Rücken runter.
„Hilfe!“, rief er reflexartig. Seine eigene Nichte jagte ihm fürchterliche Angst ein. „Hilfe!“
„An deiner Stelle würde ich meine Schnauze halten!“ Mit einem Satz war sie direkt über ihn, die Spitze des Zauberstabs in die Mulde seines Halses gebohrt, an der die Hauptschlagader entlanglief. „Wir wollen doch niemanden wecken. Das ist unsere Spielzeit, Onkel. Kein anderer darf mitspielen, außer du und ich.“
„Was willst du von mir?“, hauchte er. Nie hatte er sein Herz so stark schlagen spüren.
„Die Wahrheit.“, brachte Bellatrix durch die Zähne hervor.
„Veritaserum...“, flüsterte er. „Natürlich.“
Bellatrix nickte eifrig und trat wieder zurück. Ohne einen Zauberspruch zu sagen, glitt ein Stuhl aus der Ecke des Zimmers zu ihr hinüber und sie setzte sich direkt vor Alphard, der es geschafft hatte, sich in seinem Bett aufzurichten.
„Stehst du dem Dunklen Lord wirklich so nah, wie du sagst?“, fragte sie.
„Ja.“, sagte Alphard.
„Ist die Geschichte mit der Höhle wahr?“ Fiebrig klammerte sich Bellatrix an ihren Stuhl.
„Ja.“, presste Alphard hervor. „Wieso willst du das wissen?“
„Ich bin eine Todesserin!“, zischte Bellatrix. „Und nicht nur irgendeine! Ich bin dem Dunklen Lord so nah wie niemand sonst! Zumindest habe ich das gedacht.“
„Der Dunkle Lord hat nicht viele enge Vertraute. Nur mich.“, sagte Alphard.
Bellatrix verspürte ein Stechen im Magen. „Nicht mehr lange.“, sagte sie kalt.
„Was hast du vor? Willst du mich töten?“ Alphard klammerte sich wie ein Kind an sein Kissen. Von seiner eigenen Nichte ermordet zu werden war ein grausamer Gedanke.
„Viel schlimmer, glaub mir.“ Bellatrix zwinkerte ihm zu. „Aber bevor das geschieht, was ich mit dir vorhabe, will ich, dass du mir die Geschichte von dieser Reise in die Höhle erzählst. Was ist da vorgefallen?“
„Wir haben das Medaillon von Salazar Slytherin dort versteckt.“, krächzte Alphard. Das Veritaserum war stark. Er hatte keinerlei Kontrolle über das, was er sagte.
Bellatrix sog scharf die Luft ein. „Wieso?“
„Es ist ein Horkrux!“
„Ein was?“ Bellatrix' irre Augen verengten sich. „Was ist ein Horkrux?“
„Ein Horkrux ist ein...“ Alphard holte tief Luft. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, ohne ihn atmen zu lassen. All das, was nun preisgab, war streng geheim. Nur er teilte dieses Geheimnis mit dem Dunklen Lord. Es zu verraten, bedeutete seinen sicheren Tod. Würde Bellatrix ihn nicht nach der Befragung umbringen, würde es Voldemort persönlich tun, wenn er davon erfuhr.
„Was ist ein Horkrux!“, donnerte Bellatrix. „Incarcerus!“
Um Alphards Hals legte sich augenblicklich ein enger Strick, der ihn an den Pfosten des Bettes fesselte. Jetzt fiel es ihm noch schwerer, zu atmen.
Bellatrix lachte ihn aus. „Sieh dich an!“, johlte sie. Sie stand auf und zog an dem Strick, damit er sich noch fester um die Kehle ihres Onkels schnürte. „Fesselspiele mit der eigenen Nichte. Du widerwärtiger Bastard.“
Der Strick tat höllisch weh. Alphard spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich je dermaßen vor einem Menschen gefürchtet zu haben. Vor allem nicht vor einem siebzehnjährigen Mädchen, das noch vor wenigen Jahren auf seinem Schoß gesessen und mit ihm Kinderbücher gelesen hat.
„Du bist erbärmlich.“, flüsterte sie und nahm sein Gesicht in die Hände. „Wenn ich mit dir fertig bin, wird dich weder der Dunkle Lord, noch irgendjemand sonst noch wollen. Verabschiede dich von deinem Posten als engster Vertrauter. Und verabschiede dich von deinem Abbild auf dem Stammbaum der Familie. Niemand wird mehr stolz auf dich sein. Das verspreche ich dir.“
„Was ist nur in dich gefahren, Bella?“, brachte Alphard unter Zittern hervor.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, wenn hier einer Fragen stellt, dann bin ich das. Also halt gefälligst deine Schnauze. Und jetzt verrate mir, was ein Horkrux ist.“
Alphard nickte. Mit aller Kraft und Luft, die ihm verblieb, begann er, zu reden. „Ein Horkrux ist ein verzauberter Gegenstand, in dem man einen Teil seiner Seele aufbewahren kann. Man spaltet die Seele und macht sich sozusagen unsterblich. Jeder Gegenstand kann ein Horkrux sein. Voldemort wählte das Medaillon, weil es ein Erbstück seiner Familie ist. Er hat es zu einem Horkrux gemacht, aber jetzt, da er aufsteigt, war es bei ihm nicht mehr sicher.“
Bellatrix hing gebannt an seinen zitternden Lippen. „Weiter...“, flüsterte sie.
„Voldemort hat es mit mir zusammen in eine Höhle am Meer gebracht, um es dort zu schützen. Es ist mit mächtigen Flüchen belegt. Es ist so gut wie unmöglich, es zu finden.“
„Also fertigt der Dunkle Lord Horkruxe an, um unsterblich zu werden?“ Bellatrix ganzer Körper kribbelte. Wie war es nur möglich, dass man derart klug und gerissen sein konnte? Nie hatte die Welt einen Zauberer wie ihn gesehen. Das hier übertraf all ihre Erwartungen an den Dunklen Lord.
„Sehr richtig. Er wird der mächtigste Zauberer aller Zeiten werden.“, keuchte Alphard.
„Gibt es etwas, was nur du und der Dunkle Lord wissen?“, fragte Bellatrix.
„Da wäre etwas.“, brachte Alphard hervor. „Was er mir anvertraut hat. Ich darf es niemanden verraten, hat er gesagt. Nur ich, Dumbledore und er selbst kennen dieses Geheimnis.“
„Was ist es...?“ Bellatrix bebte vor Aufregung.
„Der Dunkle Lord...“, keuchte Alphard mit letzter Kraft. „Voldemort... Er ist... er ist ein Halbblut. Sein Vater war ein Muggel.“
„WAS!“ Bellatrix schnappte nach Luft. „Das kann nicht wahr sein!“
„Doch... Er hat es stets verheimlicht. Als er 1937 nach Hogwarts kam, wusste niemand mehr, woher er stammte. Du weißt doch, was für ein Mysterium er den Anderen stets bot. Nur Dumbledore wusste es. Und das ist die Wahrheit, Bella, ich kann nicht lügen, das weißt du. Er ist der muggelstämmige Erbe Slytherins.“
Bellatrix' Herz hatte für einen Moment aufgehört zu schlagen. Ganz kurz schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, Voldemort jetzt den Rücken zu kehren. Er erschien ihr für den Bruchteil einer Sekunde wie ein Lügner, ein Gaukler. Aber Nein. Jemand mit solchen Zielen und solch einer Stärke, einem Kampfgeist wie er nie zuvor dagewesen war und einer Macht, die die Grundfesten der Zaubererwelt erschüttern würde, konnte nichts von einem Muggel haben. Selbst, wenn sein Erzeuger ein Muggel gewesen war, so floss durch seine Adern das Blut Slytherins und er war auserkoren, die Welt von Ratten wie seinem eigenen Vater zu säubern. Bellatrix verbot sich jegliche Gedanken in dieser Art und beschloss, niemandem jemals davon zu erzählen. Wenn sie dieses vernichtende Geheimnis mit ihm teilte, würde sie sofort zu seiner engsten Vetrauten werden, da bestand kein Zweifel.
„Danke.“, sagte sie. Noch immer war ihr schwindelig von dieser treffenden Wahrheit.
Alphard hustete. „Und jetzt?“, fragte er. „Was passiert jetzt mit mir?“
„Ich weiß nicht, verrate du es mir.“ Bellatrix kicherte. Sie stand auf, schob den Stuhl per Zauberhand zurück in seine Ecke und trat neben ihn. Sie entknotete die magischen Stricke mit bloßen Händen und Alphard schnappte aphatisch nach Luft, als er endlich frei war.
„Onkel Alphard?“, fragte Bellatrix mit verstellt kindlicher Stimme. Statt die Stricke wegzulegen, begann sie nun, sie sich selbst um das linke Handgelenk zu schnüren. Alphard beobachtete voller Misstrauen das Geschehen.
„Was willst du, Bellatrix?“, fragte er.
Sie biss sich auf die Lippe. „Hast du Angst vor mir?“
Und dann holte sie aus und schlug sich mit voller Kraft ins eigene Gesicht.
„Bella!“, schrie Alphard, doch seine angeschlagene Stimme brach und bloß ein Krächzen entfloh seiner Kehle.
Bellatrix hatte die Stricke inzwischen gekonnt und ihren Hals und ihr Handgelenk geschnürt und warf sich nun neben Alphard auf das Bett. Er stand sofort auf, vollkommen verwirrt von dem, was vor sich ging. Bellatrix begann, mit der noch freien Hand an ihrem Nachthemd zu zerren, zog daran, biss es stückweise riss. Dann holte sie erneut aus und schlug sich ins Gesicht. Ein roter Abdruck bildete sich auf ihrer Wange. Alphard begann zu ahnen, was hier vor sich ging.
Bellatrix wälzte sich in den Laken hin und her und begann langsam, zu schreien. Immer lauter wurden ihre geqäulten Hilferufe.
„Bellatrix, hör sofort damit auf!“, flehte Alphard.
„Nein.“, lachte Bellatrix und zwinkerte ihm zu. Dann schrie sie: „Hör du auf!“
„Bella, nein!“
„Au, Onkel Alphard! NICHT!“, kreischte sie. „Du tust mir weh, Onkel Alphard! LASS MICH LOS!“
Alphard wusste, dass es keinen Weg gab, zu entkommen. Selbst, wenn er disapparieren würde, würde ihn das nur noch verdächtiger machen. Er konnte nichts mehr tun.
„NICHT DAS NOCH, ONKEL ALPHARD!“, kreischte Bellatrix. Sie hatte begonnen, zu weinen. Immer und immer wieder schlug sie sich mit der freien rechten Hand. Nicht mehr nur ins Gesicht, sondern sie drosch auf ihren ganzen Körper ein. Ihren Zauberstab hatte sie weit von sich in den Raum geworfen. Sie wand sich im Bett, als hätte ein Dämon Besitz von ihr ergriffen.
Das Haus erwachte plötzlich zum Leben. Jemand rannte die Treppen hinauf, Türen knallten, Stimmen erfüllten die Flure. Sie kamen. Und zwar alle. Die ganze Sippe.
Als die Tür aufschwang, war Alphards Schicksal besiegelt.
„Was geht hier vor sich?“, donnerte Orion, der Herr des Hauses. Er hielt einen riesigen Kerzenleuchter mit magischem Feuer in der Hand. Sobald er den Raum betrat, erfüllte er sich mit seinem taghellen Licht. Alphard, dessen tränende Augen sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schmerzten schrecklich.
Orion starrte seinen Schwager voller Misstrauen an. Dann fiel sein Blick auf die immer noch kreischende Bellatrix auf dem Bett.
„Um Himmels Willen!“ Er ließ den Kerzenständer fallen und stürzte zu seiner Nichte, sofort begann der Dielenboden, zu brennen. Doch seine Frau Walburga, die gleich nach ihm in den Raum stürmte, konnte das Feuer rechtzeitig löschen.
„Bella!“, schrie sie voller Entsetzen und fiel neben Bella auf das Bett. „Mein Kind!“
Inzwischen stand die gesamte Familie Black an der Tür des Raumes, selbst Sirius und Regulus drängten sich hinein.
„Verschwindet!“, donnerte Orion sofort. „Das müsst ihr nicht sehen!“
Die Jungen bekamen Angst und rannten davon. Beide wussten, dass etwas ganz furchtbares geschehen war.
„Mein Kind!“, schrie Cygnus, der es geschafft hatte, durch den Pulk aus Verwandten an das Fußende des Bettes zu treten. „Ich bring dich um, du verfluchter Scheißkerl!“
Ohne ihm die Chance zu geben, etwas zu sagen, packte Cyguns seinen Bruder am Hals und schleuderte ihn gegen die Wand.
„Papa!“, heulte Bellatrix. „Papa, Onkel Alphard hat versucht, mich,-“
„Du Missgeburt!“, schrie Cygnus und griff seinen am Boden liegenden Bruder, nur, um ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Immer und immer wieder.
Druella und alle anderen Frauen hatten begonnen, zu weinen, die Männer eilten herbei, um Cygnus zu untersützten.
„Mein eigener Sohn... Ich kann es nicht fassen.“ Pollux' faltengerahmtes Gesicht war vor Erschütterung fahlgrau geworden.
„Vater, hör mir zu...“, flehte Alphard.
„Ich bin nicht mehr dein Vater.“, zischte Pollux.
Jetzt begann auch Alphard, zu weinen.
Auch Narzissa, die an Andromeda geklammert in der Ecke des Raumes stand, war in Tränen ausgebrochen. Andromeda starrte mit leeren Augen auf ihre Schwester und wusste nicht, was sie denken sollte. Sie konnte nicht fassen, was hier geschehen war. Sie konnte nicht glauben, dass so viel Unglück in so kurzer Zeit über sie und ihre Familie hineinbrechen konnte. Insgesamt konnte sie es nicht glauben. Sie konnte das hier nicht glauben. Sie glaubte nicht, dass das, wonach es hier aussah, wirklich geschehen war. Und dass sie es nur wagte, ihre blutende, vor Schmerz kreischende Schwester in deren Lage anzuzweifeln, riss ihr ohnehin schon gebrochenes Herz in weitere kleine Stücke. Aber sie kannte ihre Schwester. Sie wusste, wie sie klang, wenn sie wirklich weinte. Und während alle anderen weinend und schreiend um sie herum standen, schwieg Andromeda, denn in ihr keimte ein übler Verdacht auf.
„Druella, schnell. Meinen Zauberstab!“, rief Irma. Ihre Schwiegertochter gehorchte und sogleich begann die alte, weise Hexe, ihre Enkeltochter mit Heilzaubern zu belegen.
Die roten Flecken und Schnitte auf ihrem Körper verblassten und Bellatrix begann, wieder ruhiger zu atmen.
„Jetzt bist du dran.“, bellte Cygnus. „Avada -“
Plopp!
Jetzt zeigte Cygnus' Zauberstab ins Nichts. Alphard hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen und sich schließlich doch dafür entschieden, zu disapparieren. Sofort wurde der Raum vom Knallen der disapparierenden übrigen Blacks erfüllt, die allesamt versuchten, an den möglichen Plätzen, an denen sich Alphard befinden konnte, die Jagd aufzunehmen.
Nur die Schwestern, Druella und Irma blieben zurück im Dachzimmer.
„Mein Kind...“, flüsterte Druella immer und wieder und ihre Augen waren zum ersten Mal überhaupt von einer so tiefen mütterlichen Sorge erfüllt, dass es Bellatrix fast sogar leid tat.
„Sie wird sich wieder erholen.“, sagte Irma. „Zumindest körperlich. Von dem Schock vielleicht nicht. Aber wir kennen doch unsere Bella. Sie ist ein starkes Mädchen.“
„Das ist sie.“, flüsterte Druella. „Mein Mädchen.“
Dann wand sie den Kopf und winkte ihre übrigen Töchter zu sich. Narzissa fiel ihr sofort weinend um den Hals.
„Ich kann nicht fassen, was geschehen ist.“, schluchzte sie. „Das ist alles zu viel für mich.“
Schwach und zerbrechlich wie Glas fühlte sie sich in den Armen ihrer Mutter an.
Andromeda regte sich nicht. Sie starrte Bellatrix entgeistert an, unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
„Dro, komm schon her. Es ist alles in Ordnung. Bella wird wieder gesund.“, sagte Irma sanft. „Komm und umarme deine Schwester.“
Andromeda drehte sich der Magen um.
Schließlich schaffte sie es, sich auf Bellatrix zuzubewegen. Diese blickte sie mit falschem Flehen an. Obwohl es ihr widerstrebte, streckte sie schließlich die blassen Arme aus und legte sie um die Schultern ihrer noch immer vor Schmerz zuckender Schwester. Als sie ihr Gesicht in Bellatrix' dunklen Locken vergrub, fühlte sie deren Lippen dicht an ihrem Ohr. Sanft küssten sie ihre Schläfe.
Andromedas Blick fiel auf den Boden neben dem Bett, wo eine kleine, leere Phiole mit der Aufschrift Veritaserum lag. Nun ergab nichts mehr Sinn.
Bellatrix ließ sie gar nicht mehr los. Ihre Küsse mehrten sich, bis sie schließlich inne hielt und leise, so leise, dass nur Andromeda es hören konnte, flüsterte: „Siehst du, wozu ich fähig bin?“
Nur eine Stunde später hatten sich die meisten der Blacks wieder in der Stube eingefunden. Man hatte Bellatrix Tee gekocht und Schokolade gebracht. Alle waren aufgelöst und wollten bloß, dass es dem Mädchen gut ging. Sie hatte immer noch nicht gänzlich aufgehört, zu weinen und niemand wusste so Recht, wie man mit einem Mädchen umging, das einer solchen Tat, vom eigenen Onkel begangen, zum Opfer gefallen war.
„Er ist nirgendwo aufzufinden.“, sagte Pollux. „Ich kann das alles nicht glauben.“
„Ich will es nicht wahrhaben.“, schluchzte Charis. „Das arme Ding.“
„Das wird schon wieder. Es ist ja nicht wirklich zum Übergriff gekommen.“, versuchte Caspar, sie zu beruhigen.
„Muss es erst wirklich schlimm werden, um dass dieser Mistkerl zur Strecke gebracht wird?“, zischte Walburga. „Das arme Mädchen.“
„Ich bringe ihn eigenhändig um.“, sagte Cygnus. „Und so was schimpft sich mein Bruder.“
„Das passiert mit Geschwistern.“, warnte Cassiopeia. „Du liebst sie unbedarft und irgendwann zeigen sie dir dein wahres Gesicht und du fragst dich, wie es sein kann, dass sie dein Blut und deinen Namen teilen.“ Sie dachte dabei an Marius, aber woran Andromeda bei diesen Worten dachte, schnürte ihr die Kehle zu.
Narzissas verheulte Augen huschten zwischen ihren Schwestern hin und her. In diesem Moment hatten alle Drei den selben Gedanken.
Jetzt schwiegen alle.
„Ich will es tun.“, sagte Bellatrix plötzlich. „Ich will sein Gesicht aus dem Wandteppich brennen.“
„Gut, wenn du das so willst, soll es so sein!“, sagte Walburga. „Ich hätte es eh getan. Komm.“
Und dann folgte ihr die ganze Familie in den Raum mit dem Stammbaum. Draußen hatte bereits der neue Tag begonnen und das Licht der aufgehenden Wintersonne fiel genau auf das Antlitz von dem noch vor wenigen Stunden allseits beliebten Onkel Alphard.
Bellatrix ließ sich von ihrer Mutter den Zauberstab geben.
Alle um sie herum warteten gebannt darauf, dass das Schauspiel begann. Eine uralte Prozedur, bei der nicht nur das Gesicht des Verwandten aus dem Teppich, sondern auch die guten Erinnerungen an ihn aus den Herzen aller Anwesender gebrannt wurden.
„Incendio!“
Und dann fraß sich eine kleine, stechend helle Flamme in den Stoff, aus dem Alphards Gesicht gewebt war. Es war, als dauerte es eine Ewigkeit, wie sich das Feuer durch den Teppich fraß und langsam alles schwarz wurde, bis nur noch ein dunkler Fleck daran erinnerte, dass hier einmal ein Mann verewigt worden war, der seine Familie verraten und ihrer verbannt wurde.
Bellatrix lachte. „Das war gut.“, sagte sie. „Jetzt geht es mir viel besser.“
Während des ganzen Schauspiels über starrte Andromeda auf das Feuer und dachte daran, dass sie die Nächste sein könnte, die einfach ausgebrannt wurde.
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