von mia.winchester
Nach dem schrecklichen Vorfall mit Alphard hatte niemand im fürnehmen und gar alten Haus der Blacks Laune, Neujahr zu feiern. Cygnus, Druella und ihre Töchter reisten am nächsten Mittag nach Hause zurück und dort verbrachten die Schwestern den Rest ihrer Ferien ohne auch nur ein Wort über das, was geschehen war, zu verlieren.
Bellatrix schien es gut zu gehen. Sie schien zurechtzukommen und sich gut von dem Schock, den sie erlitten haben musste, erholt zu haben. Cygnus und Druella beobachteten voller Zuversicht, wie ihre älteste Tochter schon bald wieder mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen durch das Haus stolzierte.
Andromeda allerdings beobachtete dies aus ganz anderen Augen. Obwohl sie den Gedanken für sich noch nicht einmal klar dargelegt hatte, war sie sich insgeheim sicher, dass Bellatrix es dieses Mal zur Spitze getrieben und den Übergriff ihres vermeintlich gewalttätigen Onkels bloß inszeniert hatte, weil ihre Eifersucht auf dessen Rolle im Spiel um Lord Voldemort größer gewesen war als ihr Skrupel oder familiäre Liebe. Doch natürlich verlor sie kein Wort darüber. Sie schwieg und beobachtete, und das einzige, was man im Hause von ihr hörte, waren leise Schluchzer, die nachts aus ihrem Zimmer drangen.
Narzissa machte aus ihrer Trauer kein solches Geheimnis. Sie schien es am härtesten getroffen zu haben und immer wieder fragte sie Bellatrix, ob es ihr gut ginge. Sie sorgte sich gleichermaßen um Andromeda und ihre Eltern mussten beobachten, wie Narzissa mit aller Kraft versuchte, ihre Schwestern zusammenzuhalten und um sich zu haben, doch irgendetwas, das entging selbst Cygnus nicht, war zwischen den beiden Älteren vorgefallen.
Aber wie man es so mit Problemen handhabte, wenn man ein Black war, setzten Cygnus und Druella alles daran, so zu tun, als hätte es nie Probleme gegeben und erstickten ihre Sorgen im Keim. Der im Stillen ausgetragene Konflikt ihrer Kinder wurde für sie endgültig totgeschwiegen. Das würde sich schon wieder legen.
Durch eine dichte Nebeldecke glitt der Hogwarts-Express beinahe lautlos in Richtung Heimat. Als hätte man das Wetter verzaubert, war der heftige Schnee gleich nach Neujahr geschmolzen und der Winter, der bereits so früh begonnen hatte und als einer der kältesten Englands gehandelt wurde, erlebte einen jähen Abbruch.
Jetzt war nur noch der Himmel weiß wie Schnee und leer, und die Luft war kühl und starr. Als Narzissa auf den Bahnsteig am Schloss trat, hatte sie das Gefühl, sich in einer riesigen Höhle zu befinden. Wenn der Himmel weiß und wolkenlos war, fühlte es sich an, als fiele er gleich auf die Erde hinab, lege sie wie eine Decke über alle Häupter und ersticke, was immer auch atmete.
Sie versuchte, das ungute Gefühl abzuschütteln, aber es gelang ihr nicht. Schon seit dem Streit zwischen ihren Schwestern im Raum des Stammbaums, aber spätestens nach dem Vorfall mit Onkel Alphard, den ihre anderen Verwandten noch immer nicht zu schnappen geschafft hatten, war dieses unwohle, beklommen machende Gefühl, das eine Mischung aus Angst, Trauer und Betäubung war, ihr ständiger Begleiter. Sie hatte für den Rest der Winterferien beobachten müssen, wie ihre einst so innigen Schwestern kein Wort miteinander sprachen. Andromeda, die sonst so stark und selbstbewusst, vorlaut und lustig gewesen war, hatte ständig diesen panischen Ausdruck in den Augen, als fürchte sie, jeden Moment von Bellatrix, welche ihrerseits wahnsinniger denn je aussah, mit dem Todesfluch belegt zu werden. Wenn sie denn miteinander sprachen, dann mit hohlen Stimmen, als kannten sie einander nicht, und auch nur über das nötigste. Narzissa hatte mit beiden geredet,aber nicht einmal Andromeda machte noch Anstalten, zu versuchen, Friede mit Bellatrix zu schließen. Narzissa machte das furchtbar wütend. Die sonst so verständnisvolle Andromeda schien nicht einen Funken Mitleid mit ihrer Schwester zu haben, die nur knapp einem der wohl schlimmsten Vergehen auf der Welt entgangen war. Streit hin oder her, in solchen Situationen musste man zusammenhalten. Narzissa brach es das Herz, zuzusehen, dass nicht nur Bellatrix, an dessen Kaltherzigkeit sie sich langsam gewöhnt hatte, sondern auch Andromeda begonnen hatte, eine fürchterliche Gleichgültigkeit ihrer Schwester gegenüber zu entwickeln. Andromeda hatte Narzissa versprechen müssen, sich nicht mehr mit Ted zu treffen, egal, wie sie für ihn empfand, denn an oberster Stelle stand die Familie und der durfte Andromeda zu ihrem eigenen Wohl und sowieso niemals den Rücken kehren. Bellatrix zeigte gegenüber Narzissa nicht, wie verletzt sie war und tat die ganze Zeit über stark, aber die jüngste Schwester meinte, ab und zu, wenn auch ganz selten, ein leichtes, unsicheres und trauriges Zucken in den Augen der Ältesten zu sehen, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Und sie ahnte, dass dies nicht nur an der Sache mit Alphard lag.
Dennoch müsste Andromeda wohl dafür sorgen, dass wieder Friede einkehrte. Schließlich war sie Auslöser des Streites gewesen und Bellatrix war durch den Übergriff in eine Opferrolle verfallen. Doch egal wie, Bellatrix war erschreckend skrupellos. Sie würde sicherlich nicht den Schritt auf Andromeda zuewagen. Vielleicht war sie immer schon so gewesen, vielleicht erst so geworden, vielleicht steckte sie noch immer in einem Prozess, an dessen Ende sie noch viel, viel rücksichtsloser sein würde, aber egal, was da vor sich ging, es machte Narzissa Angst.
Der einzige, der sie ein wenig trösten konnte, war ihr bester Freund Lucius. Den ganzen Winter über hatte sie nicht mit ihm geredet, aber an Neujahr, welches die Schwestern verschlafen hatten, traf um Punkt Mitternacht ein Brief von ihm ein, in dem er ihr ein schönes, erfolgreiches und gutes neues Jahr wünschte.
Narzissa hatte zurückschreiben wollen, es aber über die ungemütliche Stimmung im Hause vergessen. Als sie das Schloss vor sich sah, fühlte sie sich augenblicklich tausende Male wohler als sie es in den letzten Wochen im eigenen Heim getan hatte.
Lucius war über die Ferien kurzerhand in Hogwarts geblieben. Eigentlich hatte er geplant, daheim Weihnachten zu feiern, aber es gefiel ihm sehr gut in der Schule, und außerdem waren die Lestrange-Brüder ebenfalls nicht nach Hause gefahren. Lucius hatte seine Chance gewittert und die ganzen Wochen über versucht, mit ihnen eine Art Freundschaft aufzubauen, was ihm letztendlich geglückt war. Er hatte viel über sich ergehen lassen müssen: Herablassende Sprüche von Rabastan und machthaberisches Getue von Rodolphus, aber am Ende hatten sie ihm sogar von sich aus den Platz neben ihnen angeboten und an Neujahr hatten sie zu dritt ein riesiges Feuerwerk auf dem Astronomieturm gezündet, das ihnen allesamt Nachsitzen bei Professor McGonagall beschert hatte.
Als er, in Erwartung der Ankunft der übrigen Slytherins, im Gemeinschafstraum saß und einen Apfel aß, trat Narzissa ein. Der Apfel blieb ihm beinahe im Halse stecken. Da war sie. Sie war ein so schönes Mädchen und er hatte sie schmerzlich vermisst, ein bisschen zu schmerzlich für seinen Geschmack. Und jetzt stand sie wieder vor ihm, und anders noch als zu Beginn des Schuljahres, lächelte sie ihn aus ganzem Herzen an.
„Lucius!“, rief sie und ließ ihr Gepäck stehen. Langsam, aber zielstrebig ging sie auf ihn zu und blieb eine ewig zu währen scheinende Sekunde vor ihm stehen, ehe er den Schritt wagte und sie in die Arme schloss. Es war ein seltsames Gefühl und beide Kinder machten sich während der Umarmung ganz starr, aber als sie voneinander abließen, lächelten sie.
„Tut mir Leid, dass ich dir nicht geschrieben habe.“, sagte Narzissa. „Bei uns daheim... War einiges los.“
„Ist schon in Ordnung.“, erklärte Lucius. „Ich habe es nicht mal von dir erwartet.“
„Wie geht es dir?“ Narzissa blickte ihn sorgenvoll an. Etwas war in den Ferien geschehen, das spürte Lucius. In ihren blassen Augen lag ein tiefer Kummer, den er noch nie zuvor bemerkt hatte.
„Eigentlich ganz gut.“, sagte er. „Aber dir nicht. Hab ich Recht?“
„Nein, was soll schon sein? Mir geht es prima.“, log Narzissa. Sicherlich würde sie Lucius nicht erzählen, was geschehen war. Er würde sich ohne Frage an Bellatrix hängen und ihr zustimmen und Andromeda ebenso abwertend behandeln wie ihre eigene große Schwester es tat und Narzissa wollte auf keinen Fall, dass Andromeda das durchmachen musste. Und ganz sicher würde sie nicht über das sprechen, was Bellatrix außerdem zugestoßen war.
„Wo sind deine Schwestern?“, fragte Lucius. Er freute sich darauf, Bellatrix zu zeigen, wie gut er sich mit ihren besten Freunden zu verstehen begonnen hatte. Sie, als einflussreiche Todesserin, würde sicherlich erstaunt von ihm sein und ihre abwertenden Blicke ihm gegenüber in Zukunft vielleicht eingrenzen.
„Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung.“ Narzissa keuchte. „Dro ist bei Calista, schätze ich. Und Bella, keine Ahnung.“
Lucius nickte stumm und nahm diese Antwort erstmal so hin. Mit einem Zauber entfachte er das grüne Feuer im Kamin der Slytherins und bat Narzissa, sich aufs Sofa zu setzen. Sie ließ sich in das Polster fallen und lehnte den Kopf weit nach hinten.
„Ich bin so fertig, das glaubst du gar nicht.“, keuchte sie.
„Mh.“, machte Lucius.
„Und morgen beginnt wieder der Unterricht.“ Narzissa zog ein trotziges Gesicht.
„Morgen? Oh. Stimmt. Oh... Morgen.“
„Was ist, Lucius?“
„Morgen ist Vollmond. Du weißt, was das heißt.“ Lucius lächelte. „Ich bin so aufgeregt.“
„Lucius...“, keuchte Narzissa. „Gibt es denn auf der ganzen Welt nichts Anderes mehr für euch alle als diesen komischen Dunklen Lord?“
Lucius fuhr herum und kniete sich neben Narzissa aufs Sofa. Sein Blick traf sie hart wie Stahl. „Rede nicht so von ihm.“, zischte er.
Beinahe hatte sie Angst vor ihm. Er erinnerte sie plötzlich auf unheimliche Art und Weise an ihre eigene Schwester.
Andromeda hatte alle Mühe, ihr Gepäck die Treppen nach unten zu schleifen. Die Eingangshalle war voll von sich um den Hals fallenden Schülern aller Häuser. Sie jubelten und beglückwünschten einander zum neuen Jahr. Kleine, vom Neujahrsabend verbliebene Feuerwerke wurden verbotenerweise gezündet und alles lachte und freute sich. Andromeda war übel. Sie quetschte sich mit ihrem Koffer durch die Menge, unfähig, sich an einen Zauber zu erinnern, der ihr mit der schweren Last hätte helfen können, als plötzlich eine bekannte Stimme etwas weiter weg von ihr erklang.
„Andromeda!“, rief sie. „Dromeda, hey!“ Ein Lachen lag im Tonfall.
Andromeda fragte sich, ob Ted noch ordentlich tickte. Da machte er einen solchen Aufstand, weil er im Wald mit ihr gesehen worden war, sorgte sich um sie und ihren Ruf wegen ihm und wirkte stets so erpicht auf ihr Wohl, und jetzt rief er vor allen anderen Schülern ihren Namen, als hätte er vor, sie vor versammelter Mannschaft gleich noch einmal zu küssen. Sie durfte sich auf keinen Fall umdrehen. Ted sollte von Anfang an wissen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben durfte.
Deswegen tat sie einfach so, als würde sie ihn nicht hören.
„Andromeda!“, rief er, jetzt lag Verzweiflung in der Stimme. „Hier bin ich!“
Verdammt Ted, halt's Maul, wollte Andromeda schreien, aber sie presste die Lippen fest zusammen und kämpfte sich endlich in den Kerkerflur hinab, um der verrückt gewordenen Meute zu entkommen. Sie wusste ganz genau, dass Ted ihr hinterher sah.
Am Abend der Wiederkehr nach Hogwarts lagen die Schwestern in ihren Betten im Gemeinschaftssaal, nur Bellatrix war noch dabei, den Inhalt ihres Koffers in die Truhe vor ihrem Bett umzupacken. Andromeda las und tat so, als wäre sie gar nicht da, während Narzissa ihre älteste Schwester unbemerkt beobachtete. Die übrigen Slytherin-Mädchen schienen sich zu wundern, weswegen die Schwestern, die sich schon vor dem Winter immer seltener unterhalten hatten, nun gar nicht mehr miteinander sprachen. Sie schauten sich unsicher an und Narzissa sah Andromedas tratschwütiger bester Freundin Calista an, dass sie jeden Moment kurz davor war, die Sache vor den Anderen anzusprechen.
Plötzlich aber stand Bellatrix ruckartig auf. Ihr Gesicht war wutverzerrt. Sie knüllte ein Kleid, das am Boden ihres Koffers gelegen hatte, in ihren Armen zusammen und verschwand leise wie ein Geist aus dem Schlafsaal.
Narzissa wusste, was für ein Kleid das gewesen war. Es war das Geschenk gewesen, was Bellatrix Andromeda zu Weihnachten hatte geben wollen. Narzissa konnte sich denken, was Bellatrix jetzt damit tat.
Am nächsten Morgen fand sie die Perlen vom Saum des Kleides am Rande des Kamins.
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