von mia.winchester
Es war ernüchternd, wie schnell sich der Schulalltag wieder eingespielt hatte. Zwei Wochen waren seit der Rückkehr der Schwestern nach Hogwarts vergangen. Den meisten ihrer Freunde und Schulkameraden kam es vor, als hätte die Ferien nie stattgefunden. Natürlich, denn alles, was sie erlebt hatten, war ein nettes Weihnachtsfest im Kreise ihrer Lieben, ein anständiges Feuerwerk zu Neujahr und allerlei lustige Unternehmungen, zu denen sie während der Zeit im Schloss sonst keine Zeit hatten. Die Schwestern allerdings hingen noch immer mit den Gedanken bei den Geschehnissen während der Festtage, egal, wie sehr sie versuchten, sich abzulenken.
Narzissa konnte sich im Unterricht nun gar nicht mehr konzentrieren, während Andromeda sich Kopfüber in Zusatzarbeit gestürzt hatte, die sie selbst nachts erledigte. Schlafen konnte sie sowieso kaum noch.
Bellatrix war die Einzige, die klarzukommen schien, was verwunderlich war, wo sie es doch war, um die sich die anderen beiden Schwestern Gedanken machten. Sie war Opfer eines undenkbaren Verbrechens geworden, sie hatte einen furchtbaren Streit entfacht. Und trotzdem lächelte sie und gab sich wie immer. Zudem schien sie nahezu süchtig nach Küssen von Rodolphus geworden zu sein. Bei jeder Gelegenheit warf sie sich an seinen Hals und ergab sich seinen Zärtlichkeiten. Andromeda konnte das Schauspiel kaum ertragen. Auch Rabastan schien das plötzlich vereinte Traumpaar nicht wirklich ernst nehmen zu können.
„Schon komisch.“, sagte er zu Andromeda, als er sich am Nachmittag zum Hausaufgabenmachen neben sie setzte.
„Was?“, fragte sie desinteressiert und blätterte in ihrem vergilbten Geschichtsbuch.
„Das mit deiner Schwester und meinem Bruder.“, sagte er.
„Bitte.“, stöhnte Andromeda. „Sprich mich nicht darauf an.“
„Ich meine ja nur. Bellatrix war früher immer so ablehnend ihm gegenüber. Und das eine Mal, als er sie geküsst hat, da hat sie ihm auch gesagt, dass es nicht der richtige Zeitpunkt wäre. Ich habe immer gedacht, vielleicht gibt er sie auf, so sehr ich mir auch wünsche, dass aus den beiden was wird.“
„Sieht aus, als hätte sie ihre Meinung geändert und der Zeitpunkt ist gekommen.“, sagte Andromeda, in der Hoffnung, Rabastan abwimmeln zu können. Doch er gab nicht auf.
„Nein, ich verstehe das nicht. So verhält sich auch keiner, dem so etwas schreckliches zugestoßen ist wie ihr.“
Andromeda schaute auf. Für einen Augenblick überlegte sie, ihren alten Freund Rabastan in ihr Wissen einzuweihen, ihm alles zu erzählen. Aber damit würde sie ihn nur gegen sich selbst aufbringen. Denn die Sache mit Ted trug viel dazu bei, dass Bellatrix sich auf so kalte Art und Weise von Andromeda abgewandt hatte. Der Groll über sie hatte viel dazu beigetragen, dass Bellatrix so skrupellos geworden war. Außerdem würde sie nicht zu eine Verräterin werden. Sie klappte ihr Buch zusammen und beschloss, an einem anderen Ort ihre Hausaufgaben weiter zu machen.
„Jeder hat seine eigene Art und Weise, mit so was umzugehen.“, sagte sie und schulterte ihre lederne Tasche. „Sei doch froh, dass es ihr so gut geht.“
Rabastan nickte. „Vielleicht mache ich mir einfach zu viele Gedanken.“
„Das ist gut möglich.“, sagte Andromeda. „Manchmal hilft es, den Kopf einfach abzuschalten.“
Wenn sie das doch nur selbst könnte. Sie lächelte Rabastan ermutigend zu und hoffte, dass sich das Thema für ihn erledigt hatte, dann ließ sie ihn alleine.
Auf dem Weg nach draußen traf sie Jonah Macnaire. Nie hatte sie jemanden mit so viel Abneigung im Blick angesehen. Er war Schuld daran, dass Bellatrix sie endgültig verstoßen wollte. Wie er mit seinem schiefen Zähnen und dem selbstverliebten Grinsen an ihr vorbei stolzierte, griff Andromeda intuitiv nach ihrem Zauberstab. Am liebsten hätte sie ihn mit einem Fluch in Stücke gerissen. Ob Diffindo auch bei Menschen funktionierte? Doch sie beherrschte sich, ließ ihre Vernunft gewinnen. Was geschehen war, war geschehen und selbst, wenn sie gewaltsam Rache an dem Verräter nahm, würde es ihr danach nicht besser ergehen. Umso mehr Gründe würde Bellatrix, die Jonah zum Kreis ihrer Freunde zählte, haben, um wütend auf sie zu sein. Also schaute sie ihn einfach so an und hoffte, dass der kalte Hass, den sie für ihn empfand, durch ihre Augen bei ihm ankam.
Und als er ihren Blick auffing, zuckte er tatsächlich zusammen. In dieser Hinsicht war es wirklich gut, Bellatrix so ähnlich zu sein. Wenn Andromeda wollte, schaffte auch sie es, Anderen Angst einzujagen. Aber in letzter Zeit war sie es, die ängstlich war. Zu jeder Stunde, in jedem Augenblick. Sie schaute mehrmals hinter sich, um sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurde, ehe sie zu den Gewächshäusern abbog und sich durch eine offene Luke in eines von ihnen hineinschlich.
Hier würde sie niemand finden. Nie zuvor hatte sie sich in die Gewächshäuser gewagt, die selbst im Winter schwülwarm waren. Sie legte Schal und Umhang von sich und setzte sich auf eine steinerne Bank in einer von Moospflanzen umgebenen Ecke. Das Zischen und Rascheln der Blätter und Blüten hatte eine beruhigende Wirkung. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte Andromeda das Alleinsein genießen.
Es gab einen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit und Andromeda erlebte beides nicht selten. Da war sie froh, wenigstens ersteres einmal genießen zu können.
Sie zückte ihre Feder und begann, ihren Aufsatz über den Riesen Urghad, der sich den Menschen angeschlossen und eine bedeutende Rolle in den Aufständen der Waldwesen 1754 gespielt hatte, weiterzuschreiben.
Eine ganze Weile saß sie da und schrieb, so energisch und angestrengt, dass ihr vom Klammergriff um die Feder die Hand zu schmerzen begann.
Sie war hochkonzentriert. Als das Scheppern erklang, schrie sie laut auf. Nie in ihrem Leben hatte sie sich so erschrocken. Sie war hochgefahren, der Inhalt ihres Tintenfasses hatte sich über ihre Schuhe ergossen und das Herz hüpfte ihr jede Minute aus dem Hals.
„Verdammt nochmal!“, keuchte sie. „Wer ist da?“
„Tut mir Leid!“, sagte eine vertraute Stimme. „Ich bin's, Andromeda!“
Andromeda wirbelte umher, konnte durch das Dickicht der Pflanzen vor ihr aber nicht erkennen, wer sich da durch raschelnde Blätter näherte. Sie zückte den Zauberstab, bereit, einen möglichen Angreifer abzuwehren, aber als sich die Blütenstaude einer riesigen, übermenschlich großen Hortensie beiseite schob, war es bloß Gideon, der da zum Vorschein kam.
„Hast du mich erschreckt!“, sagte sie und konnte endlich über den Schock lachen.
„Tut mir echt Leid!“, entschuldigte sich Gideon mit einem Lächeln. Er sah seinem Bruder Fabian zum Verwechseln ähnlich und beide hatten Andromeda stets an Godric Gryffindor selbst erinnert. Sie war froh, ihn hier anzutreffen. Er war ein wirklich netter Junge und seine Gesellschaft war ihr noch lieber, als jetzt allein zu sein.
„Setz dich.“, sagte sie und deutete auf die Bank. Erst jetzt bemerkte sie die Tintenlache auf ihrem Fuß. „Verdammt.“
„Warte, das bring ich in Ordnung. Widiwasi!“ Gideon zauberte Andromedas Schuhe wieder sauber und außerdem ließ er ganz ohne Zauberspruch die Tinte zurück in ihr Fass laufen. Er hob es auf und reichte es ihr.
„Danke.“, sagte sie. „Was machst du überhaupt hier?“
„Ich habe nach meiner Schlingpflanze geguckt. Sie gedeiht prächtig.“ Gideon lächelte.
„Interessierst du dich für Kräuterkunde, ja?“
„Oh ja, sehr.“ Gideon nickte und zeigte Andromeda das Buch, das er unter dem Arm trug.
„Purzelnde Wurzeln und tanzende Pflanzen- Wie sie ihre magischen Kräuter richtig züchten.“, las Andromeda vor. „Klingt lustig.“
„Ist es, in der Tat. Es gibt so viele höchstspannende Gewächse, manche von ihnen sind intelligenter als eine Herde Zentauren!“
„Unfassbar!“, sagte Andromeda mit gespieltem Interesse.
„Ja, ja.“ Gideon merkte, dass er Andromeda nicht mit Geschichten von tanzenden Pflanzen fesseln konnte und setzte ein ernsteres Gesicht auf.
„Mit Ted ist nichts mehr anzufangen.“, sagte er.
Andromedas Magen verkrampfte sich wieder. Sie hatte die letzten zwei Wochen über so getan, als gäbe es Ted nicht. Wann immer er sie auf den Fluren gerufen oder im Vorbeigehen gegrüßt hatte, hatte sie ihn ignoriert. In Zaubertränke hatte sie extra den Platz gewechselt, um nicht länger so nah bei ihm zu sitzen. Sie hatte das Leid in seinem Gesicht gesehen und es hatte ihr geschundenes Herz schwerer getroffen, als erwartet. All ihre Kraft hatte sie darauf angewendet, sich von ihren Gefühlen abzulenken. Und jetzt kam Gideon und sagte einen Satz und all der Kummer strömte in sie zurück.
„Ich will nicht darüber reden.“, wisperte sie betrübt.
„Ist schon okay.“, sagte Gideon. „Ich soll dir nur etwas von ihm ausrichten.“
„Ich will es nicht hören.“, log Andromeda.
„Er bat mich, es dir in einem ungestörten Moment zu sagen. Ich hätte es schon gestern getan, aber da hat sich keine Gelegenheit geboten. Also glaub bitte nicht, dass ich dich extra deswegen hierher verfolgt habe.“
„Nein, ist schon in Ordnung. Trotzdem, ich will es gar nicht erst wissen. Glaub mir, es ist besser so, Gideon.“ Andromeda spürte Tränen in ihren Augen. Ihre Sicht verschwamm vor ihren Augen, sie sah nur noch das Grün der Gewächse.
„Er hat gesagt, es ist wichtig, dass du es erfährst.“ Gideon streichelte Andromeda den Rücken.
„Bitte, Gideon...“, flehte sie.
„Er hat gesagt er weiß, was passiert ist. Zumindest kann er es sich denken, meinte er. Er hat gesagt, es ist okay und dass er es versteht. Aber er will dich treffen.“
„Das geht nicht!“, zischte Andromeda. „Sag ihm, dass es nicht geht, sag ihm, ich will ihn nicht sehen.“
„Du lügst doch.“ Gideons blaue Augen ruhten unnachgiebig auf Andromedas Gesicht.
„Und wenn schon.“, flüsterte sie. „Ich kann nicht. Es geht einfach nicht.“
„Ich sorge schon dafür, dass euch niemand sieht, wenn es das ist, was dir Sorgen bereitet.“
Erstaunt blickte Andromeda in das löwenartige Gesicht des Prewett-Bruders.
„Darum geht es nicht.“, sagte sie. „Ich meine, doch, auch. Aber egal. Sag Ted, dass er es nicht weiter versuchen soll. Sag ihm, wenn er mich wirklich so mag, wie er tut, dann soll er mich in Ruhe lassen. Es ist zu meinem Besten, wenn wir uns nicht mehr sehen. Und nicht mehr miteinander reden. Und sowieso.“
„Andromeda, bitte. Ted ist einer meiner besten Freunde. Ich möchte, dass es ihm gut geht. Und ich glaube, dass er sich wirklich in dich verliebt hat.“
Das zu hören ließ Andromeda erzittern. Eine Wärme durchfuhr sie, die sie unter anderen Umständen sicher zum Lächeln gebracht hätte. So etwas zu erfahren, war immer aufregend. Und schön, wenn man es erwiderte. Schrecklich allerdings, wenn es verboten war und im schlimmsten Falle zum Verlust der eigenen Familie führte.
„Ach Quatsch.“, sagte sie, wie jedes Mädchen es gesagt hätte. „Das stimmt doch nicht.“
„Ich werde ihm von dir keine Nachricht überbringen.“, sagte Gideon hart.
„Das ist unfair von dir.“, entgegnete Andromeda zornig. „Ich dachte, du willst, dass es ihm gut geht!“
„Ich will, dass du dich mit ihm triffst und ihm das persönlich sagst.“
„Gideon, ich begebe mich damit in große Gefahr. Du hast keine Ahnung, was mir bevorsteht, wenn irgendjemand aus meiner Familie oder deren Bekanntenkreis erfährt, dass ich mich doch noch einmal mit ihm getroffen habe, selbst, wenn das das letzte Mal war.“ Inzwischen weinte sie wieder. Sie fragte sich, wie sie nach all diesen Wochen voller Leid überhaupt noch Tränen haben könnte.
„Ich habe dir gesagt, ich sorge dafür, dass euch niemand sieht.“ Jetzt packte Gideon Andromeda an den Schultern und schaute ihr genau in die Augen. „Unterschätze mich nicht.“
Sie nickte. „Trotzdem.“, sagte sie.
„Du bist es ihm schuldig.“, sagte er. „Aber noch viel mehr bist du es dir selbst schuldig.“
„Was meinst du?“, fragte sie.
„Sieh dich doch an.“ Gideon stand auf und blickte mitleidig auf sie hinab. „Du bist vollkommen am Ende. Glaubst du nicht, wir alle sehen, wie sehr du leidest? Keiner kann sich einen Reim darauf machen. Aber als es dir vor den Ferien schlecht ging, hast du dich mit Ted getroffen. Und er hat es geschafft, dir einen Gedanken für einen Patronus zu schenken. Hast du mal versucht, einen Patronus zu zaubern? Ich wette, mit dieser Erinnerung schaffst du es.“
Andromeda war nicht verletzt, dass Ted seinem Freund von dem Kuss erzählt hatte. Viel mehr erstaunte sie es, dass Gideon sich so um sie bemühte. Sie war furchtbar dankbar, wusste aber, dass sie seiner Bitte nicht nachkommen durfte.
„Ich mische mich da nicht weiter ein. Jeder muss selber wissen, was er tut, um glücklich zu sein. Ich habe nur einfach das Gefühl, dass Ted dich verdammt glücklich machen könnte. Sieh mich an und sage mir, dass du nicht so denkst. Dann werde ich ewig darüber schweigen.“
Statt ihm zu antworten oder zu versuchen, ihn weiter davon zu überzeugen, sie in Ruhe zu lassen, tat Andromeda einen Schritt auf Gideon zu und umarmte ihn.
„Ted wartet morgen Abend um halb zehn an der Hütte des Wildhüters. Sei da oder nicht, es liegt bei dir.“ Gideon drückte Andromeda fester, dann ließ er sie los und lächelte sie an. „ Aber glaub mir, es wird alles gut. Vielleicht nicht so, wie wir es uns vorstellen. Aber am Ende wird alles gut.“
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel