von mia.winchester
Es war einer der leisen, leichten Tage, die im Flug vergingen. Wie ein kleiner Vogel, der am Fenster vorbeifliegt: Schön anzusehen, aber viel zu rasch wieder fort, um dass man seine vollkommene Pracht hätte erkennen können. Die Sonne stand hoch am Himmel, den ganzen Tag über, wenn sich auch einige weiße, wattegleiche Wolken ab und zu davorschoben. Der schwarze See ruhte friedlicher denn je und diejenigen, die am Abend den Ball besuchen würden, waren aufgeregt genug, um das ganze Schloss in eine erwartungsvolle, angespannte Stimmung zu versetzten. Waren die Mitglieder des Slug-Clubs bei den Anderen sonst als „Streber“ und „Schleimer“ bekannt, so beneidete man sie an jenem schönen Frühlingstag, den sie dazu nutzen, ihre schönsten Roben anzulegen, sich die Haare zu flechten und einige letzte Schritte zu proben, falls es zum Tanz mit dem oder der Angebeteten kam.
Sian konnte ihr Glück noch immer nicht fassen. Nach dem Mittagessen eilte sie in ihren Schlafsaal und suchte sich drei schöne Kleider, die sie sonst nie getragen hätte, um aus ihnen eines zu nähen. Mit Nadel und Faden bewaffnet breitete sie die glänzenden Stoffe auf dem Boden aus und begann, sich ans Werk zu machen. Wie immer kehrten ihre Gedanken zu den herannahenden Ereignissen zurück. Der Ball, auf den sie sich ohnehin gefreut hatte, und der jetzt noch viel, viel schöner zu werden schien, da sie mit Gideon hingehen würde. Und dann das Abenteuer in der Nacht, nachdem sie endgültig in die Geschichte von Hogwarts eingehen würde. Sie überlegte immer wieder, ob sie Dumbledore nicht schon vorher von der Sache mit Voldemort erzählen sollte. Aber stets kam sie zu dem Schluss, dass sie erstens ganz sicher gehen musste und dass es zweitens weitaus dramatischer wäre, die bösartigen Magier, von denen so viele die Flure von Hogwarts durchwanderten, als hätten sie nicht dieses eine, dunkle Geheimnis, auf frischer Tat zu ertappen.
Sian stach sich mit der Nadel in den Finger, ein kurzer Schmerz durchzuckte sie. Sie leckte das Blut aus der Wunde und nähte weiter. Fast drei Stunden brauchte sie, und die ganze Zeit über kam nicht eine Menschenseele hoch, um nach ihr zu sehen. Aber das machte Sian nicht wirklich etwas. Als sie das fertige Kleid schließlich anlegte, freute sie sich, sich ihren Mitschülern so verändert zeigen zu können. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Das war kein Alptraum, was dort aus dem Spiegel schien, dies war der schönste, wahrgewordene Traum, den Sian sich denken konnte. Und es war sie selbst.
Sie hatte sich das Haar kunstvoll hochgesteckt und aus zwei hellblauen und einem lindgrünen Kleid einen Traum in Pastell genäht, der wie ein Wasserfall aus Stoff an ihrer Haut hinabfloss. Man konnte ihre Figur unter dem leichten Kleid erahnen, und Sian fühlte sich so frei darin, als trüge sie gar nichts. Die Schuhe ließ sie aus.
War sie sonst auch so abenteuerlustig, so zögerte sie, bevor sie die Tür zur Treppe in den Gemeinschaftraum öffnete. Was, wenn es den Anderen nicht gefiel? Was, wenn überhaupt niemand da war? Und wie genau hatte Gideon es sich eigentlich vorgestellt, mit ihr zum Ball zu gehen? Mit einem Mal wurde ihr ganz schwindelig und die Gedanken wurden ihr zu viel. Doch sie schüttelte sich, blickte noch einmal in den Spiegel und lächelte.
„Das wird ein wunderschöner Abend.“, sagte sie sich selbst.
„Du gehst zum Ball?“ Es waren die ersten Worte, die Bellatrix seit einer Zeit, die sich lang wie ein Leben angefühlt hatte, an ihre Schwester Andromeda richtete.
Andromedas Magen zog sich augenblicklich zusammen, sie schloss die Augen und musste einige Male tief durchatmen, ehe sie antworten konnte. „Ja.“ Kurz und knapp. Mehr brachte sie nicht heraus.
„Schön.“, zischte Bellatrix. „Auch, wenn es ein bisschen traurig ist.“
Andromeda wirbelte herum. Bellatrix zog sich gerade mühevoll die Korsage ihres nachtblauen Kleides zu. Früher hätte Andromeda ihr dabei geholfen.
„Was meinst du?“, presste Andromeda hervor. Sie selbst trug ein schlichtes hellrosa Kleid. Es bedurfte keinem sonderlichen Schmuck, und wie sie es bereits vor Narzissa gesagt hatte, besaß sie sowieso kein anders passendes Kleid für diesen Anlass.
„Ich meine, dass es traurig ist, alleine auf einem Ball aufzukreuzen. Ohne Begleitung. In einem Kleid wie diesem.“ Bellatrix musterte ihre Schwester abwertend. Ob sie wohl inzwischen fand, dass sie hässlich war? Wo sie ihr selbst doch so ähnlich sah? Ihr Blick jedenfalls sah ganz danach aus.
„Oh, ich komme nicht ohne Begleitung.“, sagte Andromeda mit einem plötzlichen Anflug von Selbstsicherheit in der Stimme. „Ich habe jemanden bei mir.“
„Schön.“, bellte Bellatrix. „Wer ist es, dein Muggel-Freund?“
Andromeda sagte nichts.
Bellatrix kicherte. „Also ja. Das Schlammblut. Andromeda, dass du es nicht merkst.“
„Dass ich was nicht merke, Bellatrix?“ Andromeda fühlte mit einem Mal alle angestaute Wut der vergangenen Monate in sich aufkochen. All die Worte, die sie geschluckt hatte, statt sie Bellatrix wie Flüche auf den Hals zu jagen, all die Unhöflichkeiten und Qualen, die sie über sich hatte ergehen lassen. Sie bebte.
„Was du mit dir anstellst. Was hier passiert.“, säuselte Bellatrix. Sie hatte die Corsage inzwischen so enger gezogen, als dass man als gewöhnliches Mädchen noch darin hätte atmen können.
„Oh, glaub mir, ich weiß sehr wohl, was hier passiert.“, lachte Andromeda. „Endlich weiß ich es. Du drehst vollkommen ab, Bellatrix. Du belügst, betrügst und bespuckst diejenigen, die dir einst vertrauten, mit jeder deiner Worte, Gesten und Blicke. Um deinen Willen, den du als den der Familie verkaufst, durchzusetzen, bist du zu einem mir nicht länger vertrauten Monster geworden. Du, und der Rest unserer sogenannten Familie, ist vollkommen krank. Und ich habe es endlich begriffen. Du bist wie vergiftet! Sei es von den längst veralteten Werten einer griesgrämigen Zaubererdynastie, zu der ich nicht länger gehören will, oder von deinem Dunklen Lord. Du bist ein Monster, Bellatrix!“ Andromeda weinte. Nie zuvor hatte ihr Herz so schnell geschlagen, die letzten Worte waren kaum mehr als ein in Tränen ersticktes Krächzen gewesen. Doch sie fühlte sich frei, und mutig, und klug, und zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit fühlte sie sich, als täte sie das Richtige. Wie gestern Abend im Drei Besen, traf sie nun auch hier eine richtige Entscheidung, indem sie endlich das sagte, was ihr auf der Seele brannte.
„Du wagst es, so mit mir zu sprechen?“, schrie Bellatrix. Mit einem Satz war sie auf der anderen Seite des Schlafsaales angelangt. Den Zauberstab augenblicklich gezückt drückte sie ihn nun an Andromedas Kehle, welche sie mit der freien Hand fest umschloss.
„Und du wagst es, mich zu bedrohen?“, würgte Andromeda unter Bellatrix' Klammergriff hervor.
„Spreche nie wieder so über den Dunklen Lord, über die Familie, oder über mich.“, zischte Bellatrix. „Du bist dumm, kleine Schwester, furchtbar dumm, weißt du das?“
Sie ließ Andromeda los. Ihre schwarzen Augen funkelten voller Abscheu.
„Ich bin nicht deine Schwester.“, sagte Andromeda trocken.
Bellatrix sagte nichts, doch ihr Blick wurde unstet. Sie sah zu Boden, dann wieder hoch.
„Du hast es mir selbst oft genug bewiesen, gesagt, gezeigt.“, fuhr Andromeda fort. „Das, was uns zu Schwestern gemacht hat, ist fort. Das Band, was einst zwischen uns gewebt war, du hast es zerrissen.“
„Ich?“, polterte Bellatrix los. Andromeda hätte nicht erwartet, dass ihre Worte sie derartig hart trafen. Vielleicht ruhte tief in der wahnsinngen Bellatrix noch die verkümmerte, kleine Bellatrix von damals, die jetzt nicht hören wollte, dass ihre Schwester sie verließ. Ihre liebe kleine Schwester. Doch sie selbst hatte sie weggestoßen. „Ich habe es zerissen? Du bist doch diejenige, die ein Schlammblut küsst!“
„Ich liebe, Bellatrix!“, sagte Andromeda überraschend ruhig. „Ich liebe. Ich weiß nicht, ob du dich erinnern kannst, wie es ist, zu lieben. Nicht auf diese besitzergreifende, fleischliche, obsessive und nahezu gewaltsame Art. Sondern auf die leise, reine und schöne Art, die dich vergessen lässt, dass du dich jemals schlecht, wertlos, kalt oder einsam gefühlt hast. Früher hast du mir gesagt, du willst, dass ich glücklich bin. Früher, als wir noch Schwestern waren. Jetzt bin ich glücklich. Und du willst es mit aller Kraft unterbinden und sprichst über meine Liebe, als wäre sie nichts wert?“
Bellatrix hatte Andromeda zugehört. Sie würde es nie zugeben, aber noch viele Jahre später, als sie kein Fünkchen von der Liebe, die sie einst für Andromeda empfunden hatte, mehr in ihrer schwarzen, vom Wahnsinn geschundenen Seele trug, dachte sie an diese Worte zurück. Und manchmal, besonders in ihrer kalten Zelle in Askaban, die sie in nicht allzu ferner Zukunft beziehen würde, wünschte sie sich, sie hätte einmal in ihrem Leben die Liebe empfunden, von der Andromeda gesprochen hat. In diesen stillen Momenten küsste sie ihr Dunkles Mal und wünschte sich, dass derjenige, dem sie ihr Leben verschrieben hatte, selbiges mit einem Hauch jener Liebe füllen könnte. Doch das würde nie geschehen. Und auch, wenn Bellatrix später viele der Dinge, die sie sich vorgenommen hatte, was allgemein sehr schlechte, brutale und bösartige Dinge waren, erreichte, konnte sie all das nie annährend so glücklich machen, wie Andromeda trotz Tränen und Wut im Gesicht ausgesehen hatte, als sie vor ihr stand und von der Liebe sprach.
„Halt deine dämliche Schlammblutschnauze.“, keifte Bellatrix. „Ich will das nicht hören.“
„Es ist vorbei, Bellatrix.“, sagte Andromeda. „Es tut mir Leid.“
„Was tut dir Leid?“, schrie Bellatrix. „Dass du mich verlässt? Andromeda, du warst nie da. Sobald du mir und der Familie endgültig den Rücken kehrst- und das tust du, wenn du nun wirklich mit diesem Schlammblut zum Ball gehst – bist du für mich gestorben. Wenn wir dein dämliches Gesicht aus dem Stammbaum gebrannt haben, habe ich schon vergessen, wie du aussiehst.“
„Das wirst du nie vergessen.“, lachte Andromeda und fühlte sich stark. So musste sich Bellatrix immerzu gefühlt haben. Die große Schwester, die, die immer Recht hatte. Aber nun, da sie keine wirklichen Schwestern mehr waren, nun, da sie sich durch das gerissene Band der Schwesternschaft nichts mehr zu schulden schienen, war es auf einmal Andromeda, die stark war.
„Oh doch.“, keifte Bellatrix.
„Jedes Mal, wenn du in den Spiegel guckst, wirst du mich sehen. Wir sehen uns viel zu ähnlich, Bellatrix. Aber glücklicherweise bin ich nicht ein Stück weit wie du.“
Und mit diesen Worten drehte sich Andromeda um und verließ den Schlafsaal. Sie raubte Bellatrix den Abgang, denn auch sie hatte geplant, nach dem nächsten treffenden Satz einfach die Szene zu verlassen und zu vergessen, was vorgefallen war.
Aber Bellatrix blieb, schnürte sich die Corsage doch noch um einiges enger und stampfte schließlich wutentbrannt in die Kerkerflure.
Hoffentlich ging dieser Ball schnell um, damit sie ihren Zorn an Schlammblütern auslassen konnte, und all die Dinge mit ihnen tun konnte, die sie perfiderweise in diesem Moment am liebsten mit dem Mädchen gemacht hätte, die einst ihre Schwester gewesen war.
Die Sonne ging unter. Sie tauchte das Schloss in ein orangerotes Licht, der Himmel war von rosafarbenen Streifen durchzogen und alle Vögel und andere Tierwesen des Himmels schienen im herrlichen Abendlicht um die Türme von Hogwarts zu kreisen. Wenn ein Muggel das Schloss so gesehen hätte, hätte er sofort erkannt, dass dies ein magischer Ort war.
Im Gemeinschaftsraum hatten sie alle geguckt. So, wie Sian es sich gewünscht hatte. Auch, wenn es furchtbar unangenehm gewesen war, besonders als Gregory Malkins gepfiffen hatte, so hatte sie es doch genossen, für einen Augenblick der Mittelpunkt alles Geschehens zu sein.
„Du siehst wunderschön aus.“, hatte Molly gesagt.
Arthur hatte sie mit großen Augen angesehen und genickt.
Gideon allerdings war nirgends zu sehen. Also beschloss Sian, einfach schon mal in die Kerker zu gehen.
Auf ihrem Weg durchs Schloss traf sie Professor Dumbledore. Er trug ein edles, silbernes Gewand und hatte seinen Bart in seltsame Zöpfe geflochten. Auf dem Kopf trug er einen spitzen, hellblauen Hut mit weißer Bommel. Er sah ein bisschen wie ein Einhorn aus.
„Professor.“, sagte Sian höflich. „Sind sie auch unterwegs zum Ball?“
„Nein, nein, Miss Somerset.“, sagte Dumbledore. „Sie jedoch schon, habe ich Recht?“
Sian nickte. „Ja, Sir.“
„Mit Verlaub, Miss Somerset, sie sehen hinreißend aus. Wer ist ihre Begleitung für den Abend, wenn ich fragen darf?“ Dumbledore lächelte ein freundliches Altherrenlächeln.
„Gideon Prewett, Sir.“, sagte Sian stolz. Sie konnte es selbst kaum glauben, und auch Dumbledore hob die Augenbrauen.
„Ein brillianter Jungzauberer.“, lobte er. „Es freut mich sehr, sie lächeln zu sehen.“
„Danke, Sir.“, sagte Sian.
„Verzeihen sie mir erneut meine forsche Art, aber sie wirkten doch oftmals so betrübt. Und nun strahlen sie wie die Frühlingssone selbst. Das freut mich wirklich ungemein.“
„Danke.“, sagte Sian wieder.
Dumbledore nickte und machte Anstalten, zu gehen, da entschloss Sian plötzlich, ihm doch schon von Voldemort und dem Treffen in dieser Nacht zu erzählen. Es war schlauer, und sicherer.
Doch als sie sich umdrehte, um ihm nachzulaufen, war er verschwunden.
„Sir!“, rief sie noch einmal. „Professor Dumbledore!“
Doch niemand hörte sie und Sian schüttelte den Kopf, gebot sich, beim alten Plan zu bleiben und lief in Richtung Kerker weiter. Dort würde Gideon sicher schon auf sie warten.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel